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Anita Mancini: In ihrem Element
Wenn Anita Mancini über Wasser redet, dann sprudelt es förmlich aus ihr heraus. Schweres und leichtes gibt es, süßes, salzarmes, salzreiches und bitteres – nur Gedanken darüber machen sich die wenigsten in einem wasserreichen Land wie Südtirol. Die 49-Jährige liebt es seit jeher, den Dingen auf den Grund zu gehen und gibt ihr Wissen in Seminaren weiter. Im Interview erzählt sie, was die Menschen beim Thema Wasser am meisten interessiert, welches die Fähigkeit hat, einen Kater nach einer langen Nacht zu vertreiben und warum das Trinkwasser in Südtirol von Tal zu Tal ganz unterschiedliche Eigenschaften hat
PZ: Wasser begleitet uns alle ein Leben lang. Das meiste, was damit zusammenhängt, läuft völlig unbewusst ab. Wann hat das Wasser in Ihrem Leben den Stellenwert bekommen, den es heute hat?
Anita Mancini: Meine Großeltern väterlicherseits lebten als Selbstversorger in einem Nationalpark im Alto Lazio. Da gibt es Bären, Wölfe und viele andere Tiere. Mein Großvater hatte auch einen kleinen Weinberg und machte Wein. Als Kind war ich sehr oft mit ihm unterwegs, weshalb die ganze Gegend für mich ein heiliger Ort geblieben ist, an dem ich sehr viel gelernt habe. In einem kleinen Dorf in der Nähe gab es zum Beispiel viele Brunnen, aber die Einwohner brachten ihre Tiere nur zu ganz bestimmten, um zu trinken. Manchmal war ich mit meinem Großvater ein paar Tage unterwegs, um die Pferde zu holen. Dann tranken wir das Wasser aus Feigenblättern und er erzählte mir von diesem Lebenselixier. Auch mit meinem Vater war ich in Stegen, wo ich aufwuchs, immer viel am Wasser unterwegs. Wir gingen oft zu einer Quelle und dann stellte ich Fragen, wo das Wasser herkommt, wo es hingeht. Das war so ein erstes Herantasten an dieses Thema. Anita Mancini, Jahrgang 1973, wächst in Stegen auf. Nach der Mittelschule besucht sie die Hotelfachschule in Meran und macht eine Ausbildung zur Heilmasseurin in Graz. Sie arbeitet in unterschiedlichsten Betrieben, unter
Was war noch einschneidend?
2001 hatte ich einen folgenschweren Unfall. Ich war mit dem Motorrad auf dem Weg zur Arbeit. Dann bin ich mit einem Auto zusammengeprallt. Schädelbruch, vier Wirbel kaputt: Ein langer Heilungsprozess lag vor mir. anderem in der Provence, Burgund, Österreich und auf Sizilien. Manche Zwischensaison verbringt sie bei Bauern und hilft beim Wimmen, zum Beispiel in der Normandie für die Produktion des Calvados. 2008 kehrt sie für eine Auszeit nach Südtirol zurück und lernt ihren Lebensgefährten Chris Oberhammer kennen. Eigentlich will sie nur für kurze Zeit in seinem Restaurant Tilia (das damals noch in Vintl in einem alten Ansitz untergebracht und heute in die Kulisse des Grandhotels in Toblach eingebettet ist) aushelfen. „Mittlerweile sind es auch schon 15 gemeinsame Jahre geworden“, sagt sie und lacht. Getränke sind die Welt von Anita Mancini. Neben Wein hat es der Sommelière besonders das Wasser angetan. Sie ist überzeugt: Dieses Elixier hält alles zusammen.
Wie ich da so wochenlang im Krankenhaus lag, hieß es immer, dass ich viel trinken soll. Die Besucher brachten mir dann irgendwann ganz unterschiedliches Wasser mit und ich bemerkte, dass manche den Durst löschten, andere nicht. Manche trieben mich zur >>




Auszeit: Anita Mancini ist oft draußen unterwegs, am liebsten am Wasser Auswahl: In Seminaren gibt sie ihr Wissen über Wasser weiter.
Toilette, andere nicht. Wenn man Zeit hat und die Decke anschaut, dann fließen die Gedanken. Als ich genesen war, beschloss ich, eine Auszeit zu nehmen und ging als Naturparkbetreuerin nach Prettau. Das ist eine wasserreiche Gegend, in der ich viel über die geologische Beschaffenheit lernte. Und plötzlich war es, als fügten sich alle Informationen, die ich bis dahin gesammelt hatte, ineinander. Ich fing an zu verstehen, dass der Boden ausschlaggebend dafür ist, was im Essen und in den Getränken steckt. Ernährt sich eine Kuh von einem säurebetonten Boden, wird ihre Milch säurebetonter sein. Genauso verhält es sich beim Wasser – das auch einen digitalen Abdruck hat.
Heute dürfen Sie sich Idrosommelier© nennen. Ein langer Weg dorthin?
Es hat bestimmt zehn Jahre gedauert, um mir das Wissen anzueignen, das ich heute habe. 2006 stieß ich auf eine Vereinigung namens A.D.A.M, eine Organisation mit Sitz in der Emilia Romagna, die 296 Mineralwasserquellen in Italien testet und begutachtet. Dort habe ich dann eine dreijährige Ausbildung und Prüfung absolviert und angefangen, unterschiedliches Wasser zu analysieren. Das habe ich für mich gemacht, ich hatte keine Pläne, damit an andere Leute heranzutreten. Mehr durch Zufall war ich dann einmal für die IDM in Mailand und habe vor Journalistinnen und Journalisten über das Thema Wasser erzählt. Ihr großes Interesse hat mich überrascht.
Was interessiert die Leute am meisten, wenn es um Wasser geht?
Das kann man eigentlich mit einem Satz zusammenfassen: Sie wollen wissen, welche gesundheitlichen Vorteile das Wasser aufweist. Wo ist viel Kalzium drin? Wo viel Magnesium? Solche Sachen. Ich beobachte heute immer öfter, dass Menschen sich sehr viele Gedanken um ihre Ernährung machen und eben auch darüber, was sie trinken. Das hat manchmal fast schon groteske Züge. Dann nämlich, wenn zunächst überall vermutet wird, dass die Qualität schlecht ist oder man irgendwie reingelegt wird.
Es gibt schweres und leichtes Wasser, süßes, bitteres und saures. Warum sind sie so unterschiedlich?
Das hängt von der Beschaffenheit des Bodens ab. Nehmen wir Südtirol. Der Bozner Kessel war ursprünglich einmal Vulkangestein, im Laufe der Evolution haben sich daraus verschiedene Böden entwickelt: Da haben wir heute zum Beispiel den Porphyr in der Terlaner Gegend. In der Brixner Gegend Granitboden und im Ahrntal alte Gneise. Dort ist also viel Eisen enthalten, was für Frauen ein Vorteil sein kann, aber das Wasser auch säuerlicher macht. Die Dolomiten geben basischere Wasser her.
Apropos Qualität: Wie ist es denn um diese bei uns bestellt?
Beim Trinkwasser, das aus der Leitung kommt, gibt es eben die Unterschiede, ob ein Wasser eher eisenhaltig ist wie im Ahrntal oder eher kalkhaltiger und mineralstoffreicher wie in der Toblacher Gegend oder überall, wo die Quelle vom Dolomitgestein angereichert wird. Grundsätzlich aber gilt: Das Trinkwasser wird laufend kontrolliert und hat eine ausgezeichnete Qualität. Man kann übrigens eine Laborprobe des Wassers einschicken. Wenn jemand Zuhause ganz alte Rohre hat, durch die das Wasser läuft, ist das durchaus aufschlussreich. Mineralwasser, die abgefüllt sind, entsprechen alle den Qualitätskriterien. Die Inhaltsstoffe sind natürlich ganz unterschiedlich und haben die ganze Palette an Möglichkeiten. Das fängt schon beim pH-Wert an.
Welchen pH-Wert bevorzugen Sie?
Der Wert geht ja von 0 bis 14, 7 ist also neutral. Wer wie ich viel Sport betreibt, Kaffee trinkt und vielleicht am Abend noch eine Zigarette raucht, sammelt im Laufe des Tages viel Säure an. Das ist gesundheitlich nicht gerade förderlich. Für so jemanden ist hydrogencarbonathaltiges Wasser und ein pHWert von über 7 zu empfehlen. Das hilft beim Abbau der Säure im Körper. Ein Beispiel dafür ist das natürliche Brennerwasser, San Zaccaria. Das hilft auch bei einem Kater.
Das Pustertal ist aber eher sauer, haben wir gelernt. Was also tun, wenn ich gewohnt bin, Leitungswasser zu trinken?
Das stimmt, ein pH-Wert um 7 bis 8 ist eher im Dolomitengestein zu finden. Also einfach ab und zu Mineralwasser kaufen, das einen solchen pH-Wert aufweist. Kaiserwasser zum Beispiel ist das mineralhaltigste Wasser in Südtirol. Das einzige Wasser, das den Namen oligominerale in Südtirol tragen darf, ist San Zaccaria. Es entstammt einem arsenischen Brunnen am Brenner und wird als Thermalwasser definiert. Es ist leicht mineralisiert (leggermente frizzante).
Sie geben in ganz Europa Wasserseminare. Wie viel wissen die Zuhörer übers
Wasser?
Auffallend ist, wie gut Italiener über Ernährung und Wasser Bescheid wissen. Das kommt vielleicht daher, dass Italien selbst nicht nur zu den Top-Exportländern gehört, sondern auch beim Konsum ganz weit vorne liegt. Wenn ich in Südtirol ein Seminar gebe, ist das Erstaunen, wie unterschiedlich Wasser sein kann, zunächst einmal groß. Auch die Geschmacksunterschiede überraschen die Leute. Das hängt natürlich auch damit zusammen, dass bei uns ganz selbstverständlich das Wasser aus dem Wasserhahn konsumiert wird. In Rom hat noch nie jemand Quellwasser getrunken, obwohl es in der Stadt uralte Aquädukte gibt. Das Wasser dort muss mit Chlor versetzt werden. Leitungswasser kann man in der Stadt nicht trinken.
Was überrascht die Leute am meisten?
Zunächst einmal wollen sie wissen, wie sie die Etikette auf der Flasche lesen können. Und dann sind es die großen Unterschiede. Etwa, dass bestimmtes Wasser nur 22 Milligramm Trockenrückstand aufweist, etwa das Plose-Wasser bei uns. Der Trockenrückstand in einem Wasser wird definiert, indem man einen Liter Wasser bei 180 Grad kocht. Alles, was dann noch übrig bleibt, sind die enthaltenen Minerale, die spezifisch im Labor analysiert werden. Manche haben fast kein Natrium, sind also salzarm und geeignet für salzarme Diäten. Dann wiederum gibt es welche mit Werten um 3000 mg/l, also ganz harte Wasser. Kalium macht den Geschmack ein bisschen bitter. Es gibt Wasser, die sind natürlich sprudelnd, andere haben Sprudel zugefügt. Solche Unterschiede merkt man beim Verkosten und darauf gehe ich dann ein.


Nicht nur an Wasser interessiert: Schon als Kind streifte Anita Mancini mit ihrem Großvater durch den Weinberg. Mit viel Leidenschaft hat sie ihr Wissen zu dem Thema aufgebaut und berät Gäste im Restaurant Tilia in Toblach bei der Wahl des richtigen Weines.
Ausgezeichnet: 2018 erhielt das Restaurant Tilia den Preis für Weinkultur.
hält. Passen Sie dort auch das Wasser an die Speisen an?
Nicht direkt zu den Speisen. Mehr gebe ich eine Empfehlung für eine ganze Menüabfolge. Wir haben aktuell 14 verschiedene Mineralwasser. Einige davon sind nicht gerade billig und es gibt nur einige Menschen, die mehr als zehn Euro für eine Flasche ausgeben möchten. Das ist eher etwas, das Gäste aus anderen Ländern gerne ausprobieren.
Ändert sich der Geschmack des Wassers, je nach Essen, das ich dazu genieße?
Wenn wir das Wasser aufs Essen ummünzen, also anpassen, dann kann ein Wasser ein Gericht hervorragend ergänzen, wobei Temperatur, Kohlensäure und Trockenanteil eine große Rolle spielen. Ist das Wasser gekühlt, hat Sprudel die Fähigkeit, Würznoten zu verstärken. Weicheres Wasser hingegen dämpft scharfe Zutaten. Zu einem in Rotwein geschmorten Braten mit einer sehr reduzierten kräftigen Sauce ist ein Wasser mit starkem Sprudel phänomenal, weil es die Geschmäcker im ganzen Mundbereich und Gaumen frei macht.
Abgestandenes Wasser trinken: ja oder nein?
Kommt darauf an, wie lange es schon steht (lacht). Wenn ich etwas trinke, das schon tot ist, wird es dem Körper Flüssigkeit geben, aber keine Energie. Ich kann es trinken, wenn kein anderes zur Verfügung steht (zum Beispiel in der Wüste). Aber kein Tier wird altes Wasser trinken, wenn es daneben frisches stehen hat. Das sagt eigentlich auch schon alles.
In Südtirol schien das Wasser lange
Zeit endlos verfügbar. In diesem Sommer zeigte uns der Klimawandel erste
Grenzen auf.
Ich war einmal in Agadir/Marokko zum Arbeiten und anschließend mit einer Gruppe Freunden in der Sahara unterwegs, als das Wasser ausging. Wir hatten zwei Tage lang kein Wasser zur Verfügung und ich merkte, wie sich das auf meinen Körper ausgewirkt hat. Als ich endlich Wasser ergattert habe, war das lauwarm und schmutzig. Wasser erhielt plötzlich eine andere Dimension. Das hat mich verändert und mir ein Gefühl vermittelt für den Reichtum an Wasser, den wir in Südtirol haben. Wir produzieren Schnee, haben Permafrost und aus allen Bergen sprudelt es. Vielleicht haben wir noch nicht ganz verstanden, dass das nicht immer so sein muss. Ein Drittel der Menschheit hat kein sauberes Wasser zur Verfügung, andere sterben an einer Trinkwasser-Vergiftung und auf der anderen Seite gibt es Flaschen, die mittlerweile 200 bis 1500 Euro kosten. Es ist schon eine verrückte Welt.
Was können wir Konsumenten tun?
Solange wir Gülle spritzen, werden Nitrite freigesetzt und landen auch im Wasser. Bauern müssen ihre Arbeit machen, keine Frage, aber die Gülle muss nicht unbedingt neben einem Bach oder einer Quelle freigesetzt werden. Jeder von uns kann etwas beitragen. Ein Tropfen Olivenöl im Becken verschmutzt 100 Liter Wasser. Mit ein bisschen Umdenken ist gleich viel geholfen.
Sie trinken an manchen Tagen bis zu vier Liter. Welches Wasser bevorzugen Sie?
Ich trinke Leitungswasser und wenn ich rauskomme, dann probiere ich alles querbeet durch. Was die Trinkmenge betrifft, würde ich mich nicht so festlegen. Da muss jeder seinen Weg finden. Das Trinken jedenfalls löst Schlackenstoffe und leitet sie aus. Wer viel trinkt, profitiert davon. Ich sportle viel, deshalb der hohe Wasserkonsum. Es gibt jedoch Menschen, denen zu viel an Wasser auch schaden könnte. Damit unser Körper gesund und funktionsfähig bleibt, müssen wir ihn mit ausreichend Flüssigkeit versorgen. Über die Mengen, die man pro Tag trinken soll, gibt es jedoch unterschiedliche Auffassungen. Häufig hört man den Rat, man könne gar nicht genug trinken. Doch das stimmt so nicht. Ich empfehle da mindestens einen Liter am Tag, da kann man nichts falsch machen.
Sie sind nicht nur Idrosommelière©, sondern auch bei Wein daheim. Ein Widerspruch?
Das eine schließt das andere nicht aus. Für mich gehören die beiden zusammen. Überhaupt ist Wasser in meiner Branche die Nummer eins. Wenn wir von Whisky reden, dann geht es um die Frage, ob das zur Herstellung verwendete Wasser weich, hart oder getorft ist. Produziere ich ein Tonic, fällt der Geschmack je nach Wasser anders aus. Bei Schnaps, der mit Wasser verdünnt wird, verhält es sich genauso. Und Wein besteht zu 60 Prozent aus Wasser. Wenn es viel regnet, sobald die Trauben reifen, schmeckt man das. Wasser ist allgegenwärtig.

Was fasziniert Sie so am Wasser?
Wasser ist ein Element, das mit allem, was es auf der Welt gibt, harmoniert. Es kann als einziges Element verschiedene Aggregatzustände annehmen. Es ist die Basis von allem.
// Interview: Verena Duregger
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