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RASSISMUS MAL ZWEI

SIE HABEN NICHT DEN GLEICHEN GLAUBEN, WOHNEN IN VERSCHIEDENEN LÄNDERN UND SIND ANDERS AUFGEWACHSEN. DENNOCH HABEN SIE EINS GEMEINSAM: HODA ALSHUAIBI UND YARA SAEED WURDEN OPFER VON RASSISMUS. JILAN ALSAHO BERICHTET.

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ch fuhr gerade die Rolltreppe hinunter. In diesem Augenblick spuckte eine Frau auf meine Klamotten und Hände und beschimpfte mich. Dann ging sie weiter. Ich konnte ihre Nationalität nicht ausmachen, obwohl sie Deutsch sprach“, erzählt Hoda Alshuaibi. Sie sei auf dem Weg von der Schule nach Hause gewesen, als der Übergriff passierte. „Als Geflüchtete erlebe ich so etwas häufiger“, sagt Alshuaibi. Sie glaubt, dass sie Opfer dieses Übergriffs geworden sei, weil sie ein Kopftuch trug. Alshuaibi ist aus Syrien geflohen. Heute lebt sie in Hamburg. „Menschen haben vor allem Vorurteile, was die Religion betrifft. Das ändert sich dann, wenn sie mehr und mehr Geflüchtete kennenlernen und durch den Umgang mit ihnen bemerken, dass ihre Vorurteile falsch sind.“

RASSISMUS IST VIELFÄLTIG Alshuaibis Erlebnis ist nur eine Form von Rassismus, doch bei weitem nicht die einzige. Denn es geschieht auch

und in anderen Teilen der Welt. Das zeigt die Geschichte von Yara Saeed aus Syrien. „Als ich in der Schule war, lebte ich in einem Teil der Stadt, der vor allem von konservativen Muslimen bewohnt wurde“, erzählt Saeed. Sie selbst ist Drusin. Aus diesem Grund sei sie von vielen Aktivitäten ausgeschlossen worden, an denen ihre Freundinnen in der Schule teilnahmen. „Was mich am meisten verletzte, war, dass meine beste Freundin mich nicht mehr treffen durfte, nur weil ich einen anderen Glauben hatte. Das ist nicht ihre Schuld, denn ihre Familie bekam Angst, wenn sie Freunde hatte, die einer anderen Religion angehörten. Sie glaubten, dass Vielfalt schlecht für alle sei.“ Oft habe sie versucht, mit der Familie ihrer Freundin zu sprechen und sie zu überzeugen, dass ihre Freundschaft nichts mit Religion zu tun habe, fährt Saeed fort. „Doch leider war die Macht der Ablehnung gegenüber Andersartigem größer. Doch das, was ich erlebt habe, gilt nicht für alle Teile Syri-

ens. Als wir in eine andere Gegend umzogen, konnte ich gesunde und soziale Beziehungen aufbauen.“

EIN PROBLEM, UNTERSCHIEDLICHE REAKTIONEN Obwohl beide Frauen mit Rassismus konfrontiert wurden, reagierten sie nicht gleich. Alshuaibi erschrak, ihr Körper erstarrte. Sie konnte einfach nicht reagieren. Sie sah sich nur um, ob jemand anderes gesehen hatte, was passiert war – nur um sicherzugehen, dass es kein Albtraum war. „Als mir klar wurde, was passiert war, wurde ich sehr traurig. Ich brauchte zwei Tage, um darüber hinwegzukommen. Ich fühlte mich abgelehnt“, sagt Alshuaibi heute. Saeed sagt hingegen: „Für mich war das eine gute Erfahrung, auch wenn ich das damals natürlich nicht so empfand. Nachdem diese Phase jedoch vorbei war, erkannte ich, dass alle Interaktionen im Leben auf gegenseitigem Respekt basieren müssen. Nur dann können wir

diese Probleme lösen.“ Auch Alshuaibi glaubt daran, dass man Vorurteile bekämpfen muss. In diesem Fall trügen die Menschen, die Rassismus erfahren haben, eine Verantwortung. Denn sie können andere dazu bewegen, ihre Vorurteile zu überdenken. Doch wieviel Zeit und Energie werden wir brauchen, um Menschen zu einem Umdenken zu bewegen?

Jilan Alsaho 18 Jahre ... fragt sich, welchen Preis Menschen noch zahlen müssen, damit Rassismus endlich der Vergangenheit angehört.

DIE VERTEUFELUNG DER GEFLÜCHTETEN

IMMER WIEDER WIRD DIE SCHULD FÜR DEN AUFSTIEG DER AFD ZUR NUN ZWEITSTÄRKSTEN POLITISCHEN KRAFT IN DEUTSCHLAND DEN MEDIEN ZUGESCHOBEN. IHAAB HAJ KHALF HAT RECHERCHIERT, WORAN DAS LIEGT.

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iele kritische Stimmen wurden in hätten. Sie hätten negative Begriffe der Euphorie der ersten Wochen verwendet, um arabische und musliund Monate nicht gehört oder sie wur- mische Gefllüchtete zu beschreiben. den als rassistisch oder rechtsnational „Medien waren der Katalysator dafür, abqualifiziert. Das war ein Fehler“, sagt dass sich Bürger zunehmend für diese Frank Bachner vom Tagesspiegel, wenn Themen interessierten“, sagt er. Dener die Berichterstattung über Geflüch- noch glaubt Schidem nicht, dass sie für tete im Sommer 2015 betrachtet. Vor den Ausgang der Wahlen verantwortallem öffentlich-rechtliche Medien ha- lich waren. ben gravierende Fehler begangen, glauForschungen der Technischen ben die meisten Medienwissenschaftle- Universität München zeigen hingegen, rinnen und Medienwissenschaftler. dass es zumindest einen ZusammenLaut einer Studie des Magazins hang zwischen der Berichterstattung „Monitor“ setzten sich mehr als die und den Ergebnissen von MeinungsHälfte der politischen Diskussions- umfragen gibt. Der Studienleiter Simon runden 2016 mit der AfD und ihren Hegelich erklärt: „Wir untersuchen, Haupthemen Flüchtlinge, Islam und wie oft die AfD in Medien erwähnt Terrorismus auseinander. wurde und stellten fest, dass dies eine Auswirkung hatte. Je mehr die AfD in Medien erwähnt wurde, desto besser MEDIEN ALS KATALYSATOR wurden innerhalb von fünf Wochen Samuel Schidem vom Dokumentations- ihre Ergebnisse in den Umfragen.“ zentrum für Verbrechen des NationalBernd Gäbler von der Universisozialismus „Topographie des Terrors“ tät Bielefeld sagt, dass die Grenzübersagt, dass Medien Geflüchtete durch schreitungen der AfD absichtlich geweihre Rhetorik aber auch dämonisiert sen seien. Die AfD habe diese Strategie

intern geplant. „Damit schaffte sie es, dass Journalisten über die Provokationen und angeblichen Fehler der Rechten berichteten und ihnen eine Bühne gab, auf der sie sich vor ihren Anhängern als Opfer darstellen konnten,“ erklärt er.

rungen der AfD sind aber als bewusste Provokation angelegt. Auf sie sollte man nach Möglichkeit gar nicht oder nur sehr zurückhaltend eingehen.“

NICHT IN DIE FALLE TAPPEN Aber wie sollen Medien vorgehen, um nicht der Strategie der AfD zu folgen? Gäbler rät Medienschaffenden, sich nicht missbrauchen zu lassen. Dennoch dürfe die populistische, extreme Rechte nicht marginalisiert werden. Die Berichterstattung müsse objektiv bleiben. Frank Bachner glaubt, dass dieses Problem nie zufriedenstellend gelöst werden könne. „Es ist stets eine Abwägung. Verschweigt man zu viele Dinge, die die AfD sagt, dann provoziert man den Vorwurf, dass Medien bewusst manipulierten und die Realität nicht entsprechend abbildeten. Viele Äuße-

Ihaab Haj Khalf 27 Jahre ... fragt sich, ob Medien nun darauf achten, ob sie mit ihren Publikationen die Stimmung in der Bevölkerung beeinflussen.

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