VINSCHGER GESELLSCHAFT
„Verändern Sie die Welt!“ „Seien Sie Game Changer! Haben Sie den Mut!“, ermunterte Professor Dirk Helbing aus Zürich. BOZEN - Der einflussreichste Game Changer, Spiel-Wechsler, war ein Spielverderber. Die Corona-Pandemie hatte auch die Churburger Wirtschaftsgespräche erwischt, die 35. in alter und neuer Fassung. Es waren die zweiten unter der Regie des Zentrums für angewandte Forschung Eurac in Bozen - diesmal in enger Zusammenarbeit mit dem Innovationszentrum Basis Vinschgau Venosta. Und sie waren die ersten Gespräche, die als Video-Schaltung abliefen – ablaufen mussten. Die Churburg war nicht einmal mehr eine Silhouette in der Ferne. Mit einigen technischen Mühen konnte der Pionier der Wirtschaftsgespräche, Johannes Graf Trapp, nicht aus seiner Burg, sondern aus der Residenz des neuen Bürgermeisters Heiko Hauser grüßen und mit sympathischer Offenheit gestehen: „Ich bin digital vollkommen unbrauchbar.“ Eurac-Direktor Harald Pechlaner versicherte Graf Trapp, dass es die Wirtschaftsgespräche weiterhin geben werde. Bürgermeister Hauser hoffte, der nächsten Ausgabe in „gewohnter Form“ wieder in seiner Gemeinde beiwohnen zu können. Den im Land verstreuten 43 Teilnehmern wurden einführend die Vinschgauer Akteure der ersten digitalen Wirtschaftsgespräche vorgestellt, darunter die mit organisierende Eurac-Mitarbeiterin Daria Habicher, der Obmann der Bürgergenossenschaft Obervinschgau, Armin Bernhard, und der Koordinator von Basis Vinschgau in Schlanders, Hannes Götsch. Als Moderator des Arbeitstisches „Landwirtschaft“ fungierte noch der Basis-Mitarbeiter Luca Daprà.
Gespannt warten Heiko Hauser, Dirk Helbing und Johannes Graf Trapp (von oben) auf die Eröffnung der 1. digitalen Churburger Wirtschaftsgespräche
che Chancen lokale Kreisläufe im digitalen Zeitalter haben könnten. Er kündigte enorme Transformationsprobleme für die herkömmlichen Industrien an und großen Handlungsbedarf durch die Verknappung der Ressourcen. Sehr konkret stellte er die Bedeutung von Biodiversität vor, von vernetzten Kreisläufen in der Natur und eines Versuches in Indien, aus dem Klima-Killer Landwirtschaft einen Klima-Retter Landwirtschaft zu machen. Helbings Kernforderung lautete: „Es braucht auf jeden Fall ein neues Denken“. Er fasste zusammen: „Es geht darum, dass wir digitale Systeme bauen, die Kreisläufe auf den Weg bringen.“ Harald Pechlaner fragte direkt: „Was würden Sie im Vinschgau mit den individuell angelegten Kreativitäten tun?“ Sinngemäß forderte Helbing auf, sehr viel experimenteller zu werden und die Folgen der Experimente geWir müssen experimenteller werden meinsam zu tragen, aber auch gemeinsam zu nutzen. Der Experte Bereits im ersten Impulsre- für „Plattform-Kooperativismus“ ferat versuchte Dirk Helbing, Jonas Pentzien, Institut für ökoETH Zürich, aufzuzeigen, wel- logische Wirtschaftsforschung
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Berlin, nahm die bestehenden Plattformen, ihre Marktmacht, ihre Informationsmacht und ihre Monopolstellung unter die Lupe. Mit dem Konzept des Plattform Kooperativismus nach dem Genossenschaftsprinzip stellte der Referent Möglichkeiten vor, die Werte demokratische Entscheidungsfindung, gemeinsamer Besitz, Solidarität, Kooperation und Innovationsverständnis zu erhalten und zugänglich zu machen. Die größten Vorteile einer Plattform-Genossenschaft sah er im Wissensvorsprung auf lokaler Ebene und im Vernetzen mit global aufgestellten Plattformen. Wir müssen transdisziplinär denken Die dritte „Impulsstimme“ war englisch und kam von der Französin Clothilde Sauvages. Als „Connector“, als Verbinderin, des internationalen Netzwerkes „Ouishare“ war sie von Basis Vinschgau eingeladen worden. Wortreich stellte sie ihre Organisation vor als Stifter „von Begegnungen zwi-
schen verschiedenen Akteuren aus verschiedenen Ecken der Gesellschaft und als Führer in der Erschaffung neuer Formen der Zusammenarbeit“ (Quelle: Internet-Auftritt Ouishare). Die Frage von Hannes Götsch nach Vorzeigeprojekten in einem ländlichen Gebiet wie der Vinschgau beantwortete sie allgemein mit Partnerschaften im Kleinen. Pechlaner wollte die Bedeutung von „Leadership“, Menschenführung, bei Ouishare wissen. Es folgten drei Arbeitskreise. Im ersten sollten Visionen für den Vinschgau entwickelt werden. Nach dem Festtags-Motto der Bürgergenossenschaft Obervinschgau (BG) am 4. Oktober „Hier & danach“ stellte Armin Bernhard die Frage: „Wie kann es weitergehen?“ Der Obmann der BG und Bildungswissenschaftler Bernhard nannte als Ziel seiner Genossenschaft „die Gestaltung einer nachhaltigen Zukunft des Oberen Vinschgaus“. Es brauche eine andere Kultur in dieser Welt voller Krisen. Als BG habe man sich vorgenommen, zukunftsfit zu werden, indem man kleinen