Eine „ernste“ Sache

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VINSCHGER THEMA

„Ich kann nicht aus jedem einen Ronaldo machen“ Seit 1965 arbeitet Ernst Rechenmacher mit Kamm und Schere. SCHLANDERS - Es sind schon einige Jahrzehnte her, als es in Schlanders noch ein Gefängnis gab. Es befand sich der Schlandersburg, die von 1859 bis 1989 Gerichtssitz war. Eine Zellentür im Innenhof erinnert noch heute an das angeschlossene Bezirksgefängnis im Erdgeschoss. Wer sich noch genau an das Gefängnis erinnert und auch an die „Wilderer, Schläger und anderen Typen“, die dort ihre Strafen absitzen mussten, ist der Schlanderser Friseur Ernst Rechenmacher. Er war ab 1973 über viele Jahre hinweg der offizielle Gefängnis-Friseur. Einmal in der Woche musste er seinen Salon im Ortszentrum für einige Stunden zusperren und den Gefangenen in der Schlandersburg die Haare schneiden. „Und das immer am Mittwoch, denn am Donnerstag wurden die Inhaftierten dem Richter vorgeführt“, erinnert sich Ernst.

„Die halbe Nacht im Knast“ Unvergessen bleibt ihm auch ein Vorfall, für den der einstige Gefängniswärter Hans verantwortlich war: Ernst war gerade dabei, einem Gefangenen die Haare zu schneiden, „als der Hans ‚auf Tournee’ ging und nicht mehr zurückkam.“ Eine halbe Nacht habe er hinter dem von außen abgesperrten Raum im Gefängnis ausharren müssen, bis der Hans endlich auftauchte und ihn befreite. „Ganz allein“ war der Gefängniswärter bei seinem Eintreffen nicht mehr. Er war zuvor offensichtlich in mehreren Gasthäusern unterwegs gewesen. Der Gefängnisfriseur war immer zusammen mit den Gefangenen eingeschlossen worden, denn sonst hätten diese versuchen können, aus dem „Tschumpus“ zu fliehen. Von Hans erzählt man sich noch heute, dass er zu „ungefährlichen“ Gefangenen aus der näheren Umgebung gesagt haben soll: „Geh nach Hause, mach die Stallarbeit und komm dann wieder.“ Auch 4

DER VINSCHGER 40/19

Friseur seit 1965

Ernst Rechenmacher im August 2006 in seinem Salon.

für Gelegenheitsarbeiten soll er Gefangene kurzzeitig „entlassen“ haben. Im Bürgerheim und Krankenhaus Ebenfalls regelmäßig „zu Besuch“ ist Ernst Rechenmacher seit dem fernen Jahr 1973 im Bürgerheim in Schlanders und im Krankenhaus. Er rückt immer dann mit Kamm, Schere, Rasiermesser und elektrischer Haarschneidemaschine aus, wenn er gerufen wird. Auch alte und kranke Menschen, die zuhause leben, sucht er auf Wunsch auf. Wie es der Zufall wollte, wurde Ernst kürzlich just zu einem Ernst gerufen, um diesem im Bürgerheim die Haare zu schneiden. „Das ist also eine wirklich ‚ernste’ Sache“, scherzte der Friseurmeister. Sein Kunde war Ernst Schwalt aus Kortsch, Jahrgang 1934. Über die Schulter geschaut hat dem Friseur die Frau von Ernst Schwalt, Margareth Tumler aus Göflan, die 1935 geboren ist. „Mein Mann war und ist bis heute ein echter Kavalier“, freute sich Margareth. Er war 40 Jahre lang Mitglied des Kirchenchors Schlanders und 60 Jahre bei der Musikkapelle Kortsch. Auf die Frage, wie lange sie verheiratet sind, meinte Margareth: „Lange. Das 60-Jährige jedenfalls haben wir schon vor einiger Zeit gefeiert.“

Seinem Handwerk als Friseur, das er von seinem um 5 Jahre älteren Bruder Josef erlernt hatte, geht Ernst schon seit 1965 nach. Josef ist übrigens erst vor kurzem nach 60-jähriger Friseurtätigkeit in Naturns in den Ruhestand getreten. Ernst hatte nach dem Abschluss der Friseur-Schule in Meran zunächst in Latsch gearbeitet, und zwar vom September 1964 bis zum Dezember 1971. Am 1. Jänner 1972 übernahm er von Natale Annovazzi den Salon im Ortszentrum in Schlanders. Natale war in den 1930er Jahren von Mantua nach Schlanders gezogen und hatte den Salon gemietet. Ernst war zunächst ebenfalls in Miete, bis er den kleinen Salon 1986 kaufte. Das, was sich in den ersten Jahrzehnten seines Wirkens vor dem Salon abspielte, ist dem Friseurmeister noch sehr gut in Erinnerung: „Die Busse fuhren mitten durch das Dorf, es gab an beiden Seiten der Straße einen Gehsteig und zu den Stoßzeiten wimmelte es nur so von Schülern.“ Einschneidend verändert hat sich die Situation Hand in Hand mit der Errichtung der Fußgängerzone im Jahr 1996. Weiß ein Friseur wirklich alles? Wenn in einem Dorf jemand alles über alle weiß, so ist es der Friseur. Auf diese allgemein verbreitete „Weisheit“ hat Ernst seine eigene Antwort parat: „Der Friseur soll viel wissen und doch nicht wissen.“ Natürlich werde beim Frisieren über so ziemlich alles geredet. Schwierigkeiten in der Familie werden ihm ebenso anvertraut wie finanzielle Probleme und viele andere Dinge. Auch über Politik wird gesprochen, über nette Sachen, wer mit wem wo gesehen wurde usw. Ernst geht mit dem „Gebeichtetem“ natürlich diskret um. Die meisten seiner Klienten sind übrigens Stammkunden. Auch


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