TAKT 2 - 2019/2020 | Südwestdeutsche Philharmonie

Page 31

GENIAL

ICH!

31

GENIAL III Ich! Komponisten verschlüsseln Botschaften mittels Tonnamen oder Solmisationssilben, seit es notierte Musik gibt. Dazu kommen noch 1000 andere Versteck-Spiel-Möglichkeiten: z. B. symbolisch mit Rhythmus oder Zahlen zu arbeiten o. Ä. Ganze Forscherzweige beschäftigen sich damit, mögliche Codes überhaupt erst aufzufinden und sie dann zu knacken, gleich ob in der Bibel, in Bildern oder in Bachs Werk. In alten Zeiten huldigten Komponisten ihren Dienstherren, indem sie ihre Namen und Embleme in Töne übersetzten. Gelegentlich waren die Komponisten auch heimlich aktiv, versteckten zarte Bande, verarbeiteten Liebesweh, beschimpften, verkündeten Slogans oder gaben Autogramme. Ein so klanglicher Namen wie B-A-C-H eignet sich dafür bestens. Vor ihm verneigten sich Hunderte von Komponisten, von Rameau über Schumann und Liszt bis zu Schönberg, Poulenc, Alban Berg und Max Reger – der in seiner Musik den Kritikern auch klingende A-F-F-E-N zudachte. Auch durch das Werk von Dmitri Schostakowitsch zieht sich die Verwendung seines in Töne übersetzten Namens: d-es-c-h. Von Gustav Mahler, einem der bedeutungsvollen Vorbilder für Dmitri Schostakowitsch, stammt der berühmte Ausspruch: »Symphonie heißt mir eben: mit allen vorhandenen Mitteln der Technik eine Welt aufbauen«. Mahler freilich hat die Welt noch vor dem Ersten Weltkrieg verlassen und musste auch nicht mehr miterleben, wie Europa schon rund 20 Jahre später auf die nächste Katastrophe zusteuerte. 1906 geboren, gehörte Schostakowitsch hingegen jener Generation an, die gleich durch zwei Kriege erschüttert wurde. Was also konnte es heißen, in Symphonien eine Welt aufzubauen, wenn doch die Welt, in der man lebte, völlig aus den Fugen geraten war? Wenn in der Sowjetunion um 1938 im Zuge der »Stalinschen Säuberungen« immer mehr unerwünschte Intellektuelle in den Lagern verschwanden, wenn durch die kulturpolitische Doktrin vom »Sozialistischen Realismus« jegliches individuelle Denken verboten wurde – und das, wo doch Musik eigentlich gerade dieses Persönliche, Innerliche zum Ausdruck bringen konnte? Was bedeutete es, sich eine (musikalische) Seele zu bewahren in einer Zeit, in der ständig ihre Vernichtung drohte? – Eine Welt in Tönen aufzubauen, bedeutete gewiss schon bei Mahler keinesfalls nur ein Abbild der Wirklichkeit. Auch das Ziel, der Realität durch Musik eine erträumte Idealvorstellung gegenüberzustellen, ist nur eine mögliche Auslegung des Mahler‘schen Credos. Es konnte auch etwas ganz anderes heißen: nämlich der umgebenden Welt den Spiegel vorzuhalten, deren schönen Schein und deren Lügen zu entlarven. Während jedoch ein Mahler allenfalls mit Anfeindungen zu rechnen hatte, musste Schostakowitsch bei einem ähnlichen Vorgehen geradewegs um sein Leben fürchten. Es wurde mithin die subtile Arbeit mit Zweideutigkeit und doppeltem Boden zu jener Kunst, in der sich aufrichtige Komponisten unter Stalins Diktatur vielleicht am meisten zu üben hatten … Insa Pijanka

KONZIL KONSTANZ

FAMILIEN-MAXI-PAKET

FAMILIEN-MINI-PAKET

GENIAL

(2 Erwachsene/4 Kinder)

(1 Erwachsener/2 Kinder)

GENIAL

GENIAL

15 € / erm. 11 € / Schüler 6 €

Freie Platzwahl

29 €

18 €

KONZIL KONSTANZ Samstag, 18. Januar 2020 _ 18 Uhr

Dmitri Schostakowitsch 1906 – 1975 Symphonie Nr. 10 e-Moll op. 93 – Auszüge

Insa Pijanka Moderation Marcus Bosch Erster Gastdirigent


Issuu converts static files into: digital portfolios, online yearbooks, online catalogs, digital photo albums and more. Sign up and create your flipbook.