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Grüße aus Strasbourg

Ein Erfahrungsbericht über den TRISTRA-M Studiengang

Jene Studierende, die bereits einmal etwas vom französischdeutschen Studiengang TRISTRA gehört haben, kennen häufig nur die negativen Erfahrungen. Ich habe mich jetzt dem TRISTRASchauermärchen für meinen Master gestellt und berichte live und in Farbe aus der deutschsprachigen Perspektive. Aber zuerst:

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Cassandra Dostert

Was ist TRISTRA? Und was hat das mit Erasmus zu tun? Oder eben nicht?

TRISTRA ist ein Projekt, das liebevoll von Dr. Eckhard Wirbelauer in Strasbourg und Dr. Christian Rollinger in Trier gehegt und gepflegt wird. Es handelt sich hierbei um einen jungen Studiengang, der die Kooperation zwischen Frankreich und Deutschland fördern soll. Im Bachelor wie auch im Master hat man die Möglichkeit, bilingual Geschichte als Kernfach zu studieren. Je eine Hälfte des Studiums verbringt man in Strasbourg und studiert auf Französisch, die andere Hälfte in Trier auf Deutsch.

Wo liegt da jetzt der Unterschied zu Erasmus? Bei Erasmus kann man ein Auslandssemester oder -jahr absolvieren und bekommt das im Abschlussdiplom anerkannt. Bei TRISTRA kriegt man nicht bloß eine Bescheinigung, sondern gleich zwei Abschlüsse! Einen von der Universität Strasbourg und einen von der Universität Trier. Der wunderbare Vorteil dabei ist zugleich, dass man ohne Einschränkungen mit den einheimischen Kommilitonen studieren kann. Mit diesem Studiengang bekommt man also nicht nur zwei Abschlüsse von zwei Universitäten aus zwei verschiedenen Ländern, sondern zugleich auch die volle Strasbourg-Erfahrung!

Aus diesen Gründen habe ich mich für TRISTRA entschieden und nun sitze ich mit meiner Katze in einer heimeligen Wohnung in der historischen Innenstadt von Strasbourg und berichte aus erster Hand.

Wir leben in der EU. Da wird ins Ausland ziehen sicher kein Problem sein… oder etwa doch?

Als Luxemburgerin bin ich schon einmal fürs Studium ins Ausland gezogen. Damals nach Trier und der Umzug stellte keine allzu große Herausforderung dar. Die Komplikationen, mit denen ich mich bei meinem Umzug nach Strasbourg konfrontiert sah, trafen mich dementsprechend unerwartet.

Wer sich schon einmal über die deutsche Bürokratie aufgeregt hat, wird die französische lieben. Genauso bürokratisiert, nur dass gleich viel weniger funktioniert. Achtung! TRISTRA ist nichts für schwache Nerven! Bevor ich meine Wohnung fand, war ich monatelang auf der Suche. Für neun Monate ist wohl die einfachste Lösung, sich einen Wohnheimplatz zu suchen, wobei

Ein großer Vorteil an Strasbourg ist die historische Fakultät: ein frühneuzeitlicher Palast, der für die Lehre umfunktioniert wurde. (by Cassandra Dostert) die Anmeldefristen für internationale Studierende für Wohnheime erst ab Ende August beginnen. Bei meinem Umzugschaos war das viel zu kurzfristig und ungewiss, da ich meine Wohnung in Trier kündigen und meine Habseligkeiten irgendwo unterbringen musste. Wie auch in Trier gibt es in Strasbourg mehr Anfragen als verfügbare Plätze und somit ist auch die Wohnungssuche eine Herausforderung.

Aber es gibt Hoffnung! In Strasbourg hat jeder –auch ausländische Studierende – ein Anrecht auf Wohngeld. Zumindest theoretisch. Hier kommt der bürokratische Papierkram und das ewige Hin- und Her Telefonieren. Denn manchmal wird das Gesuch aus reiner Willkür abgelehnt. Da muss man Durchhaltevermögen beherrschen und Penetranz zeigen, um es doch bewilligt zu bekommen – und der hohen Miete in Strasbourg zuliebe sollte man wirklich hartnäckig sein!

In Strasbourg studieren – Wie tickt das französische Universitätssystem?

Ich glaube, den größten Kulturschock hatte ich, als eine Dozentin in einem Hauptseminar meinte: „Sie haben mit Ihrer Master-Arbeit und Ihrem Studium schon genug um die Ohren. Deshalb müssen Sie für dieses Seminar nichts vor- oder nachbereiten.“

In Frankreich ist es üblich, bereits im ersten Semester Thema und Betreuer für die Master-Arbeit zu suchen und schon daran zu arbeiten. Der Druck lastet noch nicht allzu stark auf den TRISTRA-Studierenden, dafür aber bei den anderen.

Generell gibt es hier im Master-Studiengang mehr Module und Veranstaltungen für weniger Leistungspunkte. Ein Hauptseminar hat in Frankreich sechs Leistungspunkte, eine Übung nur drei. Dafür fallen im Master, je nach Dozent:in, viele Studienleistungen völlig weg. Viele Kurse basieren vollständig auf Frontalunterricht und wenig auf eigenständiger Arbeit. Die Herausforderung hier ist vielmehr, die Konzentration und die Ausdauer zu besitzen, diese zwei vollen Stunden durchzustehen, ohne den Faden zu verlieren.

Es kommt hierbei ganz auf die Dozierenden an. In einem anderen Seminar wurden wir sehr vorsichtig darauf vorbereitet, dass der Master jetzt anders ablaufen würde. In diesem Seminar müsse man für jede Woche Texte lesen und vorbereiten, ansonsten brauche man nicht im Seminar zu erscheinen. Und man müsse sich aktiv an der Diskussion beteiligen. Was in Trier ein selbstverständlicher Teil der Studienleistung ist, wird in diesem Seminar die Prüfungsleistung sein. Wir werden also aufs Mitarbeiten benotet. Anfang der Stunde habe ich mich über diese Ansage noch gefreut. Im Laufe des Seminars wurde mir dann klar, dass man die Hürde einer Fremdsprache bei einer mündlichen Mitarbeit nicht unterschätzen sollte. Aber auch wenn ich mich gelegentlich verhaspele oder mir das richtige Wort nicht einfällt – die Dozierenden zeigen stets Verständnis und freuen sich über jede Beteiligung.

Obwohl das System in Strasbourg generell sehr verschult ist, bietet die Universität Möglichkeiten, die man hier nicht erwartet hat. Zum einen kann man sich in den Seminaren aktiv an den Forschungen beteiligen. In gewisser Weise werden die Studierenden gerne mal für die eigenen Forschungszwecke rekrutiert, aber zugleich hat man die Möglichkeit auf erste Publikationen und enge Mitarbeit mit den Dozierenden. Man kann sich hier also gezielt Herausforderungen suchen. Zum anderen kann man während des Studiengangs unterschiedliche Nebenfächer als „Optionen“ wählen. Das Konzept, das die Universität Trier mit der Abschaffung des Zweifach-Masters durchboxen möchte, ist also hier bereits etabliert. Dadurch kann man Seminare, Übungen oder Vorlesungen in den Bereichen Paläographie, Archäologie (alle Epochen!), Numismatik und Epigraphik, Sprachkurse in Latein und Altgriechisch und andere Spezialthemen, wie die Germanische Welt oder geschichtliche Landeskunde des Elsass belegen. Durch diese Auswahl hat man den Vorteil, dass in Strasbourg generell enger mit Primärquellen gearbeitet wird. Andererseits hat man aber auch den Nachteil, dass in den Seminaren Studierende unterschiedlichen Levels vertreten sind. Das erschwert es zusätzlich, vom Schwierigkeitsgrad her einen Konsens zu bilden. Ich sitze beispielsweise in einem Seminar mit dem Titel „Geschichte und Archäologie im Mittelalter“. Da ich im Bachelor als Nebenfach Klassische Archäologie hatte, hatte ich die Hoffnung, dort mehr über die Archäologie in unterschiedlichen Fächern zu lernen. Das Seminar wird von zwei Dozenten – einem Historiker und einem Archäologen – geleitet und thematisch aufgeteilt.

Auch die Rechercheaufträge werden zwischen beiden Bereichen aufgeteilt und nicht wirklich geschickt miteinander kombiniert. Da gehen leider Möglichkeiten verloren, die ich gerne kennengelernt hätte.

Ein weiterer Unterschied zur Trierer Universität ist wohl allgemein die Atmosphäre unter Studierenden. Viele kennen sich bereits und bilden separate Grüppchen, in die man nur schwer oder überhaupt nicht reinkommt. Es gibt tatsächlich wieder Klassenclowns und es ist nicht unüblich, dass leise getuschelte Gespräche während eines Seminars geführt werden. Die ganze Atmosphäre versetzt mich manchmal zurück in die Schulzeit.

Die Studierende haben einen stark ausgeprägten Wettbewerbsdrang, wenn es um ihre Noten geht. Teilweise bin ich auf Studierende gestoßen, die meine Vorschläge für eine Gruppenarbeit schlichtweg ignoriert haben, bloß weil ich sie nicht akzentfrei artikulieren konnte. Auf der anderen Seite treffe ich hier auf unheimlich hilfsbereite und zuvorkommende Studierende, die einem beim verzweifelten Versuch, französische Quellen Anfang des 17. Jahrhunderts zu transkribieren, unterstützend zur Seite stehen. Oder Dozierende, die mich für mein Französisch loben (und davon ausgehen, ich sei wirklich eine Deutsch-Muttersprachlerin), mein Engagement bewundern und fördern wollen. Generell werde ich hier mit viel Wärme und Verständnis empfangen.

Das Studentenleben in Strasbourg Natürlich sollte man in Strasbourg nicht nur studieren, sondern auch leben. Die historische Stadt ist dabei wie für Studierende geschaffen. Mit der Studi-Karte kann man zwar leider nicht kostenlos mit dem ÖPNV fahren, dafür kommt man zu Fuß fast überall hin und es gibt zahlreiche Läden mit Studentenrabatten. Man benötigt hierfür zwar oft eine Kundenkarte, kriegt dafür aber in Lebensmittelläden, Kleidungsgeschäften u.v.m. Rabatte. Neben den vielen unterschiedlichen Bibliotheken in Campusnähe und im Palais Universitaire, den vielen Veranstaltungen und Essensangeboten, gibt es auch viele Studentenbars und Clubs. Und egal, wohin man geht, man wird stets von einer malerischen Schönheit begleitet.

Fazit – Bereue ich meine Entscheidung?

Ich war mir nicht sicher, ob ich es tatsächlich hinbekommen würde, auf Französisch studieren zu können. Aber ich habe mich erstaunlich schnell daran gewöhnt. Es gibt mir auch sehr viel Sicherheit, dass ich zum Teil fachlich im Bachelor mehr gemacht habe als die Studierenden in Strasbourg. Das fachliche Wissen gleicht meine sprachliche Unsicherheit etwas aus. Es kann eine ziemliche Härteprobe sein, als Deutschsprachige in Frankreich zu studieren und zu wohnen. Mein tägliches Mantra ist nicht umsonst „Zwei Master Abschlüsse! Zwei Master Abschlüsse!“. Und auch wenn die Stadt mit ihren Flüssen, Brücken und wunderbar historischen Gebäuden und Fassaden sehr schön ist, fehlt mir die wundervolle Stille in den grünen Teilen Triers und meine Wohnung in Waldnähe.

Ich vermisse es, auf dem Weg zur Uni Füchsen und Eichhörnchen zu begegnen. Stattdessen begegne ich jeden Morgen Menschenmassen und verrücktgewordenen Fahrradfahrern.

Zudem ist das französische Universitätssystem teils sehr stur und festgefahren. Das System geht vom Prinzip aus, dass alle Studierende aus Frankreich kommen und ist für das Konzept TRISTRA aus deutscher Perspektive noch nicht ganz offen. Aber wer weiß? Vielleicht lege ich hier - wie viele vor mir, die den Studiengang gemeistert haben - die Weichen für die nächsten deutschsprachigen Studierenden?

Ich freue mich auf die neuen Erfahrungen und Möglichkeiten, die sich mir hier bieten. Innerhalb weniger Wochen hat sich mein Französisch und mein Selbstbewusstsein diesbezüglich schon deutlich verbessert. Die Kurse sind etwas anstrengend und ich fühle mich nicht ganz gefordert, was mir aber die Möglichkeit gibt, mich bereits auf meine Master-Arbeit und andere Projekte konzentrieren zu können. Der Master-Studiengang ist dementsprechend also machbar und auch eine wundervolle Möglichkeit, sich fachlich weiterzuentwickeln und den Lebenslauf etwas auffälliger zu gestalten. Für Deutschsprachige Studierende scheint der Bachelor-Studiengang allerdings eher das Gegenteil zu sein. Aber das ist nicht meine Geschichte.

Wer sich für den Studiengang interessiert und Fragen hat, kann sich gerne an Herrn Rollinger, Herrn Wirbelauer oder aus studentischer Perspektive auch an mich wenden.

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