OPINOMIC Legal Success 11/2024

Page 1


LEGAL SUCCESS

RECHT IM FOKUS – ORIENTIERUNG FÜR UNTERNEHMEN

«Die Schweiz muss eigene

Erich Herzog im Interview

11/2024

EU-Recht

Entsteht eine Swiss European Law?

HGvÜ

Wird die Schweiz zur besten Streitbeilegerin?

Technik der Rechtsprechung K.o. durch KI?

EU-Recht

Steht der Eurofant schon im Huus? SEITEN 4

Moderne Kanzlei

Warum Technik-Tools nur der Anfang sind SEITE 8

Datenschutz

Aktuelle Urteile in der Schweiz und EU SEITE 10

Haager Übereinkommen

Durchbruch oder nur

Etappensieg? SEITE 14

Interview

Erich Herzog über eine global kompatible Nachhaltigkeitsregulierung

SEITEN 16/17

Nachlass

Warum viele Erbfälle zu Streitfällen werden SEITE 20

Unternehmen

Immer mehr Rechtsfragen im Arbeitsalltag SEITE 22

KI

Was der Einsatz von KI-Erzeugnissen für Folgen hat SEITE 24

Schlusswort SEITE 28

Der Zürcher Anwaltsverband für Sie

Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Leser, es freut mich sehr, dass sich die Zürcher Anwältinnen und Anwälte als Ihre Dienstleistungserbringer in dieser Ausgabe von «Legal Success» vorstellen dürfen.

Der ZAV feiert nächstes Jahr sein 150-jähriges Jubiläum. Im Zentrum des Jubiläumsjahres steht der ZAV als verbindendes Element der Zürcher Anwaltschaft von damals, heute und der Zukunft. Das Jubiläumsjahr ist eine Gelegenheit, Netzwerke zu vertiefen, Relevanz zu zeigen und unvergessliche Erlebnisse zu schaffen. Mitglieder, aber auch Partner des ZAV erwartet ein vielfältiges Programm mit Veranstaltungen und Aktivitäten, die Gemeinschaft und Inspiration in den Mittelpunkt stellen. Teil dieser Aktivitäten ist auch die Aufarbeitung ausgewählter Aspekte unserer Geschichte.

Bei dieser Aufarbeitung wurde klar, wie sehr sich die Ausübung des Anwaltsberufes über die Jahrzehnte entwickelt hat. Unvorstellbar ist zum Beispiel, wie sich die Rolle der Anwältin vor nicht mal so langer Zeit noch präsentiert hat. Während die Entwicklungen bemerkenswert waren, ist das Thema auch heute weiterhin von grosser Bedeutung. Der Blick zurück lässt einem bewusst werden, dass es schon immer grossen Wandel gegeben hat. Diese Perspektive vermag die durch Digitalisierung und Künstliche Intelligenz getriebenen Entwicklungen unseres Berufstandes zu relativieren, auch wenn die Wichtigkeit dieser Themen allen Beteiligten sehr wohl bewusst ist.

Unveränderte Bedeutung hat das oberste Ziel der anwaltlichen Beratung, nämlich die Wahrung der Interessen von Ihnen, unserer Mandantschaft. Diese Wahrung muss durch eine effiziente und auf die Bedürfnisse der Mandantschaft exakt abgestimmte Inhalt 11.2024

Lukas Wyss

Rechtsanwalt und Präsident des Zürcher Anwaltsverband

Unveränderte

Bedeutung hat das oberste Ziel der anwaltlichen Beratung, nämlich die Wahrung der Interessen von Ihnen, unserer Mandantschaft.

Dienstleitungserbringung erfolgen. Dieses Ziel gewinnt zusätzlich an Bedeutung, weil die rechtlichen Rahmenbedingungen im In- und Ausland einem stetigen Wandel unterworfen sind und sich dieser Wandel in vielen Rechtsgebieten laufend akzeleriert. Um diesen Anforderungen gewachsen zu bleiben, ist eine Unterstützung durch unabhängige Anwältinnen und Anwälte oftmals unerlässlich.

Als ZAV setzen wir uns dafür ein, dass die Rahmenbedingungen für die Dienstleistungserbringung vorhanden sind, dass aus Sicht der Mandantschaft und der Anwaltschaft eine effiziente Dienstleistungserbringung sichergestellt ist.

Wer sind wir?

Der Zürcher Anwaltsverband (ZAV) ist die Berufsorganisation der unabhängigen und selbständigen Anwältinnen und Anwälte im Kanton Zürich. Er bildet mit gegen 3’900 Aktivmitgliedern die grösste kantonale Sektion im Schweizerischen Anwaltsverband (SAV). Unsere Mitglieder sind in allen Rechtsgebieten tätig. Sie arbeiten in ganz unterschiedlichen Formaten. So ist der ZAV gleichermassen für Grosskanzleien mit über 100 Anwältinnen und Anwälten, wie auch für Einzelkanzleien zur Stelle.

Der Zürcher Anwaltsverband (ZAV) für Sie

Der ZAV ist für Sie ein wichtiger Ansprechpartner und Interessensvertreter. Sind Sie auf der Suche nach einer Anwältin und wissen nicht, wie Sie vorgehen sollen? Unser Mitgliederverzeichnis auf www.zav.ch, sowie der seinerzeit vom ZAV lancierte Advonaut (www.advonaut.ch) bieten wertvolle Hinweise. Zögern Sie auch nicht, unsere Geschäftsstelle, die zu Bürozeiten stets besetzt ist, zu kontaktieren. Konflikte: Haben Sie das Gefühl, dass sie von Ihrer Anwältin oder Ihrem Anwalt nicht richtig beraten wurden oder dass die Honorarrechnung zu hoch ausgefallen ist? Der ZAV unterhält verschiedene Stellen, an die Sie sich wenden können. Die Honorarkommission beurteilt auf Gesuch Honorarrechnungen, die von Mitgliedern des ZAV gestellt worden sind. Die Angemessenheit des ausgewiesenen Zeitaufwands sowie behauptete Mängel der Tätigkeit des Anwalts oder der Anwältin bilden jedoch nur in krassen und offensichtlichen Fällen Gegenstand der Beurteilung durch die Honorarkommission. Das Standesgericht als vereinsinternes Disziplinargericht beurteilt auf Beschwerde hin die Verletzung von Berufs- und Standesregeln z.B. eine mögliche Verletzung des

Berufsgeheimnisses, das Vorliegen von Interessenkollision oder die unsorgfältige und ungewissenhafte Berufsausübung (z.B. bei Missachtung von Weisungen der Klientschaft, wenn die Erreichbarkeit nicht sichergestellt ist oder wenn Zeugen beeinflusst werden). Schliesslich unterstützt der Vorstand des ZAV im Rahmen von Vermittlungsverfahren bei der Findung einer Lösung zwischen Klientschaft und einem Anwalt oder einer Anwältin.

Unentgeltliche Rechtsberatung: Der ZAV betreibt Stellen für unentgeltliche Rechtsauskunft in Zürich, Bülach, Dübendorf und Horgen. In kurzen, persönlichen Gesprächen geben Ihnen Anwältinnen und Anwälte erste Auskünfte zu Ihren Rechtsfragen und zeigen Ihnen Wege für das weitere Vorgehen auf. Podien für die Öffentlichkeit: Regelmässig veranstaltet der ZAV für die Öffentlichkeit Podiumsveranstaltungen zu aktuelle Rechtsthemen. Bei einem anschliessenden Apéro stehen jeweils bis 10 Expertinnen und Experten für weitere Auskünfte zur Verfügung.

Der Zürcher Anwaltsverband (ZAV) für seine Mitglieder

Der ZAV engagiert sich für seine Mitgliedern vor allem in den Bereichen Weiterbildung, Kollegialität und Interessenvertretung. In 22 verschiedenen Fachgruppen, welche unter fachkundiger Leitung stehen, wird der fachliche Austausch gefördert. Im Rahmen von Anwaltsforen werden Themen der Führung und Organisation einer Anwaltskanzlei abgedeckt (z.B: Digitalisierung, KI, Diversity, Equity and Inclusion). Die Lehrstellenförderung für kaufmännische Angestellte in Anwaltskanzleien liegt dem Verband am Herzen.

Für Sie da!

Zögern Sie nicht, uns auf www.zav.ch zu besuchen oder uns direkt zu kontaktieren. Wir sind für sie da.

OPINOMIC AG Dammstrasse 19, 6300 Zug, Schweiz / Herausgeber David Kohler / Redaktion (verantwortlich) Rüdiger Schmidt-Sodingen / Art Department Einhorn Solutions GmbH, Sylvio Murer (Art Direction) / Distribution Handelszeitung / Druck DZZ Druckzentrum Zürich AG / Anzeigen OPINOMIC AG / Titel CHATGPT Sie erreichen uns unter info@opinomic.ch und opinomic.ch

In Kooperation mit IMPRESSUM

Der Entwurf des Investitionsprüfgesetzes torpediert den Wirtschaftsstandort

Schweiz

In M&A-Transaktionen sind ausländische Foreign Direct Investment (FDI)Verfahren mittlerweile ein fester Bestandteil der Beratung geworden.

Die Zahl der Länder und Sektoren, in denen ausländische Investitionen einer Bewilligung bedürfen, ist in den letzten Jahren stetig gewachsen. In der EU mündete diese Entwicklung in der Initiative der Europäischen Kommission zum Erlass einer neuen Verordnung zum Screening von ausländischen Investitionen. Unter der neuen Verordnung sollen alle Mitgliedstaaten einen Screening-Mechanismus mit harmonisierten nationalen Vorschriften haben müssen. Zudem soll ein sektoraler Mindestumfang festgelegt werden, in dem alle Mitgliedstaaten ausländische Investitionen überprüfen müssen.

Ursprünge des Schweizer Investitionsprüfgesetzes

Vor diesem regulatorischen Hintergrund erstaunt es nicht, dass auch in der Schweiz die Rufe nach einer FDI-Gesetzgebung lauter wurden. Begründet wurde der Wunsch nach einer Schweizer FDI-Gesetzgebung damit, dass Schweizer Unternehmen mit ihrem Know-how für Investoren aus Ländern, die nach anderen Regeln als jener der freien Marktwirtschaft funktionierten und die je länger, je mehr über enorme finanzielle Ressourcen verfügten, attraktiv seien. Es sei das erklärte Ziel vieler dieser Staaten, gezielt in westliches Know-how zu investieren und dieses Know-how für sich und ihre Volkswirtschaften nutzbar zu machen. Angesprochen waren hiermit v.a. Investoren aus China. Hintergrund waren unter anderem die (teilweise schon lange zurückliegenden) Übernahmen von Syngenta, Gategroup, Swissport oder SR Technics durch chinesische Investoren.

Weshalb eine FDI-Gesetzgebung ein Standortnachteil ist Der Bundesrat stellte sich zunächst tapfer der Forderung nach einer Schweizer FDI-Gesetzgebung entgegen. Er wies zurecht darauf hin, dass ein wesentlicher Teil des Wohlstandes der Schweiz auf der traditionellen Offenheit der Schweiz gegenüber ausländischen Investitionen basiere. Die offene Politik der Schweiz gegenüber Investitionen aus dem Ausland sichere dem Wirtschaftsstandort Schweiz einen ausreichenden Zufluss von Kapital und Wissen und trage so zur Wertschöpfung sowie zum Erhalt und zur Schaffung von Arbeitsplätzen bei.

Hinzu kommt, dass für die Schweiz kritische Sektoren heute weitgehend in staatlicher Hand (Bund, Kantone oder Gemeinden) sind. Zu denken ist an die Telekommunikation, die Transportinfrastruktur (Bahn und sonstiger öffentlicher Verkehr), das Postwesen, die Stromerzeugung und Stromversorgung,

das Gesundheitswesen etc. Nur schon eine Privatisierung dieser Unternehmen würde vielerorts auf erbitterten politischen Widerstand treffen. Eine Veräusserung an einen ausländischen Investor wäre erst recht undenkbar.

Gegen eine FDI-Gesetzgebung sprechen aber auch die praktischen Erfahrungen mit solchen Regimen. FDIVerfahren führen zu teilweise erheblichen Verzögerungen, und dies auch in Fällen, in denen die betreffenden Transaktionen offensichtlich unproblematisch sind. Oft sind die Aufgreifkriterien (d.h. die Frage, welche Transaktionen zu bewilligen sind) unklar (dies gilt insbesondere für Aufgreifkriterien, die sich auf Branchenzugehörigkeiten stützen) und werden in der Folge von der anwendenden Behörde exzessiv ausgelegt. Ausserdem sind auch die Eingreifkriterien (meist: Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit) diffus und entsprechend anfällig für Willkürentscheide. Die staatliche Willkür wird zudem durch den Umstand, dass die Entscheide unter dem Vorwand der öffentlichen Ordnung und Sicherheit nicht publiziert werden, gefördert. Unter der vielerorts grassierenden Geheimpraxis entfallen lästige Prinzipien wie die Gleichbehandlungsund Begründungspflicht. All dies hat im Ausland auch dazu geführt, dass das Kriterium der öffentliche Ordnung und Sicherheit oft zur behördlichen Abtrotzung von Arbeitsplatzgarantien missbraucht wird.

Die mit einer FDI-Gesetzgebung einhergehenden bürokratischen und willkürbehafteten Leerläufe schwächen die Standortattraktivität. Dies ist v.a. für eine kleine und offene Volkswirtschaft

wie die Schweiz ein Nachteil. Anders als grosse Volkswirtschaften wie die USA, China oder die EU ist die Schweiz in besonderem Masse auf offene Grenzen und ausländisches Kapital angewiesen. Vom relativ begrenzten Vorschlag des Bundesrats … Der Bundesrat schlug vor dem Hintergrund dieser Bedenken vor, nur Kontrollübernahmen durch staatliche ausländische Investoren einer Genehmigungspflicht zu unterstellen und dies auch nur für Kontrollübernahmen über inländische Unternehmen, die in bestimmten kritischen Sektoren tätig seien. Vorgeschlagen wurden zwei Kategorien von kritischen Sektoren:

Für inländische Unternehmen mit Tätigkeiten in besonders kritischen Sektoren wurde eine tiefe Aufgreifschwelle (50 Vollzeitstellen oder CHF 10 Mio. Umsatz weltweit) vorgesehen. Derartige besonders kritische Sektoren sind Armee, Dual-Use-Güter, staatliche Sicherheit, Raumfahrt, elektrische Übertragungsnetze, Elektrizitätswerke ab 100 MW Leistung, Erdgas-Hochdruckleitungen, Wasserversorgungswerke und sicherheitsrelevante IT.

Für inländische Unternehmen mit Tätigkeiten in anderen, weniger, kritischen Sektoren wurde eine

Steckbrief

Bär & Karrer ist eine führende Schweizer Wirtschaftskanzlei mit mehr als 200 Juristinnen und Juristen in Zürich, Genf, Lugano, Zug, Basel und St. Moritz. Ihr Kerngeschäft umfasst die Beratung von Klienten bei innovativen und komplexen Transaktionen sowie deren Vertretung in Gerichts- und Schiedsverfahren sowie regulatorischen Angelegenheiten. Zu ihren Klienten zählen national und international tätige Unternehmen sowie Privatklienten aus dem In- und Ausland. Die Büros befinden sich in der deutschsprachigen (Zürich, Basel, Zug und St. Moritz), französischsprachigen (Genf) und italienischsprachigen (Lugano) Schweiz. Der Hauptsitz befindet sich in Zürich, aber alle Büros bieten das gesamte Spektrum an juristischen Dienstleistungen an.

Bär & Karrer verfügt über ein ausgedehntes internationales Netzwerk von Korrespondenzkanzleien, die in ihren Rechtsgebieten marktführend sind. Dank dieser engen Arbeitsbeziehungen kann die Kanzlei ihre Kunden nahtlos bei grenzüberschreitenden und internationalen Fragen unterstützen. Bär & Karrer wurde wiederholt von den wichtigsten internationalen Legal-RankingAgenturen als «Switzerland Law Firm of the Year» ausgezeichnet.

Mehr Informationen unter baerkarrer.ch

Umsatzschwelle von CHF 100 Mio. weltweit vorgesehen (Spitäler, Pharma, Transportinfrastruktur, Eisenbahninfrastruktur, Lebensmittel-Verteilzentren, Telekommunikationsnetze, Finanzmarktinfrastrukturen und systemrelevante Banken). Eine Begrenzung auf staatliche ausländische Investoren hätte die Bedenken gegenüber ausländischen Investitionen adressiert und wäre gleichzeitig praktisch wohl einigermassen begrenzt geblieben.

… zur Regulierungsorgie des Nationalrats … Der Nationalrat wollte von diesem Vorschlag indessen nichts wissen und

dehnte die Geltung auf sämtliche ausländischen Investoren (also staatliche und private ausländische Investoren) aus. Zudem dehnte der Nationalrat den Kreis der inländischen Unternehmen aus, deren Übernahme genehmigungspflichtig ist. Der Nationalrat behielt die beiden vom Bundesrat vorgeschlagenen Kategorien von besonders kritischen und weniger kritischen Sektoren bei. Er schuf allerdings eine dritte Kategorie von inländischen Unternehmen mit Tätigkeiten in der Elektrizitätsversorgung und -produktion, Erdgas-Hochdruckleitungen und der Wasserversorgung, bei denen weder eine bestimmte Umsatz- noch eine Vollzeitstellenschwelle überschritten sein muss, um eine Genehmigungspflicht zu begründen.

… mit einigen Trostpflastern Positiv zu würdigen ist immerhin, dass die Genehmigungspflicht auf Kontrollübernahmen beschränkt bleibt. Der Erwerb von Minderheitsanteilen ohne Kontrollrechte ist somit nicht genehmigungspflichtig.

Ebenfalls positiv zu vermerken ist, dass als inländisches Unternehmen nur ein Unternehmen gilt, das im schweizerischen Handelsregister eingetragen ist. Übernahmen von Unternehmen, die bloss Verkäufe in der Schweiz haben, ohne in der Schweiz über eine eingetragene Zweigniederlassung oder über eine Schweizer Tochtergesellschaft zu verfügen, sind somit ebenfalls nicht genehmigungspflichtig.

Nächste Station: Ständerat Es ist zu hoffen, dass sich die «Chambre de Réflexion» der Auswirkungen auf den Wirtschaftsstandort Schweiz besinnt und, wenn sie auf die Vorlage eintreten sollte, die Auswüchse des nationalrätlichen Entwurfs zurückstutzt.

Wer in den letzten Jahren oder Jahrzehnten dachte, dass das 1999 unterzeichnete Freizügigkeitsabkommen keine weiteren rechtlichen Weichenstellungen nach sich ziehen würde, hat sich geirrt. Denn die Europäisierung des schweizerischen Rechts schreitet voran. Sie nimmt dabei immer mehr Rechte in den Fokus, die die Mitarbeitenden, Löhne, Patente, digitale Dienste, den Einsatz von KI-Systemen, Lieferketten oder auch Sanktionen gegenüber anderen Ländern betreffen. Zwei Fragen stellen sich Unternehmen nun automatisch: Bedeutet der Einfluss des EU-Rechts einen Vor– oder Nachteil für die hiesige Rechtsprechung und die Rechtsabteilungen? Und: Wie können Unternehmen reagieren oder proaktiv agieren? Allein die Diskussion um das Lieferkettengesetz, das Menschenrechtsverletzungen in ausländischen Betrieben eindämmen will, zeigt, wohin die Reise geht – und angesichts einer zunehmenden Vernetzung und von Stakeholdern eingeforderten Corporate Governance gehen muss. Sollen Rechtsabteilungen hierzulande ihre Energien also in die Abwehr oder den Nachvollzug solcher Gesetze stecken?

In seinem neuen Buch «Der EuGH und die Schweiz» (Europa-Institut an der Universität Zürich, 2023) macht der Jurist und Universitätsprofessor Matthias Oesch erneut klar, wie sehr EU-Recht mittlerweile Teil des schweizerischen Bundesrechts ist, und wirbt für eine genaue, weil lohnende Analyse des EU-Rechts. Oesch unterstreicht mit seiner umfassenden Betrachtung die Worte des Schweizer Aussenministers Ignazio Cassis, der in «einer zunehmend instabilen Welt stabile und sichere Beziehungen mit den Nachbarländern» als «entscheidend» anmahnt und damit indirekt die Expertise des EuGH bestätigt.

«Urteile des EuGH im Schweizer Rechtsalltag allgegenwärtig» Gleich im Vorwort seines Buches fragt Oesch, ob der EuGH immer öfter zum

Der Eurofant im Huus

Der Einfluss des EU-Rechts auf die Schweiz wächst. Auch Unternehmen müssen wissen, wie der Europäische Gerichtshof denkt und urteilt, um ihre Geschäfte absichern und mögliche Rechtsfolgen einschätzen zu können. Vor allem komplizierte Rechtsfragen, so der Jurist und Universitätsprofessor Matthias Oesch, liessen sich längst «nicht mehr allein aus der Warte des innerstaatlichen Rechts» angehen, sondern bräuchten eine Art «Supreme Court».

Elefanten im Raum werde, der als «deal breaker» bisherige Paketlösungen mit neuen institutionellen Regeln und neuen Abkommen gefährde. Denn selbst Fragen, die als rein national betrachtet werden, würden zunehmend erst dann beantwortet, wenn man über die EUGrenze geschaut habe. Die Urteile des EuGH «prägen das Leben in Europa nachhaltig. Das gilt auch für die Menschen in der Schweiz – und zwar in deutlich grösserem Ausmass als dies hinlänglich bekannt ist». Urteile des EuGH seien im Schweizer Rechtsalltag «allgegenwärtig». Kenntnisse des Fallrechts aus Luxemburg gehörten daher «zum unverzichtbaren Rüstzeug der Juristinnen und Juristen nicht nur in Brüssel, Lissabon, Stockholm und Zagreb, sondern auch in Bern, Lausanne, St. Gallen und Zürich».

Eine von einigen Seiten unterstellte Willkür oder etwa Einseitigkeit der Rechtsprechung kann Oesch nicht finden. Im Gegenteil. Gemäss der Präambel des Europarates, «die Grundwerte der Demokratie, die Vorherrschaft des Rechts und die Wahrung der Menschenrechte» anzuerkennen und zu fördern, stehe der EuGH als «supranationales und wirkmächtiges Gericht – eine einmalige Kombination! – unter stärkerer Beobachtung als nationale Höchstgerichte, deren Stellung im Institutionengefüge und Rolle bei der

Rechtsentwicklung weniger hinterfragt werden». Auch «besonders umstrittene Urteile des EuGH» beruhten in aller Regel auf gut nachvollziehbaren Erwägungen, die keinen Partikularinteressen folgten. Der EuGH urteile vielmehr im Sinne eines unabhängigen «Supreme Court».

Nachvollzug als Minimierung der wirtschaftlichen Nachteile Dass die Schweiz «auf absehbare Zeit ein Drittstaat ohne institutionelle Einbindung und direkte Einflussmöglichkeit auf die Weiterentwicklung des EU-Rechts» bleibe, gebe dem Bundesgericht bei der Auslegung der bilateralen Abkommen eine Doppelfunktion. Auf der einen Seite lege es die bilateralen Abkommen für die Schweiz verbindlich aus. «Es tut dies mit einem Seitenblick auf die Methode und Praxis des EuGH; hier dominiert naturgemäss eine supranationale Perspektive. Auf der anderen Seite darf das Bundesgericht als nationales Höchstgericht die spezifisch schweizerische Sicht nicht aus den Augen verlieren.» Allerdings, so Oesch, sei unklar, wie «unbedingt» das supranationale Recht Vorrang geniesse. So zeige sich «bei der Durchführung der bilateralen Abkommen in ausgewählten Bereichen bereits heute ein beachtlicher Grad der Beeinflussung der schweizerischen Rechtsordnung

durch das EU-Recht». Politisch bleibe die Schweiz eine Aussenseiterin, funktional sei sie «punktuell eng in den europäischen Verwaltungs- und Rechtsprechungsverbund eingebunden». Daraus folge, dass «neue Gesetze und Verordnungen wie auch die Änderung von bestehenden Erlassen systematisch auf ihre Europakompatibilität überprüft werden». «Der gesetzgeberische Wille, sich an der Rechtslage in der EU als Leitrechtsordnung zu orientieren», müsse «seinen Niederschlag sodann zwangsläufig auch in der Rechtsanwendung finden, damit der Hauptzweck des autonomen Nachvollzugs – die Minimierung der wirtschaftlichen Nachteile, welche sich aus der Nichtmitgliedschaft der Schweiz in der EU bzw. im EWR ergeben – erreicht wird».

Entstehung einer «Swiss European Law» Angesichts der vielen verschiedenen Aufgabenfelder, der sich die EU widmet – vom AI Act, der risikobasierte Ansätze und Compliance-Anforderungen für KIProdukte und -Dienstleistungen definiert, über die EU Pay Transparency Directive und die Hinweisgeberrichtlinie, die längst nicht nur die EU-Belegschaft in Schweizer Unternehmen betreffen -, ist laut Oesch typisch Schweizer Pragmatismus gefragt. Die hiesigen Gerichte trügen «unaufgeregt dazu bei, dass das Ius commune europaeum auch in der Schweiz Fuss fasst». Das schweizerische Recht werde europäisiert und so entstehe ein Recht, das Carl Baudenbacher «a Swiss European Law» nennt. Die Übernahme einschlägiger Leiturteile der EU beruhe auf dem Vertrauen in die Vernünftigkeit der Rechtsfortbildung in der EU, zitiert Oesch Franz Nyffeler in einem Beitrag von

2005, «Die Anwendung autonom nachvollzogener Normen des EU-Rechts». Die Schweiz profitiere «von den Vorleistungen der unionalen Gerichtsbarkeit», was «handlich und – solange dieser Prozess bewusst erfolgt – unbedenklich» sei. Nicht nur im Zusammenhang mit der praktisch alternativlosen Datenschutz-Grundverordnung mahnt Oesch deshalb eine inhaltliche Nachvollziehbarkeit, eine «persuasive authority», an. Wobei auch hier «die Idee, die Streitbeilegung zwischen der Schweiz und der EU zu entpolitisieren und einer gerichtlichen Instanz zu überantworten», Zustimmung verdiene, da dies der «politisch und wirtschaftlich weniger mächtigen Vertragspartei Schweiz in die Hände» spiele und letztere vor willkürlichen, sprich «ungerechtfertigten einseitigen Massnahmen der EU» schütze.

Da die Schweizerinnen und Schweizer Verhandlung und Vermittlung zur Problemlösung präferierten, werde die «dynamische Rechtsübernahme», auch wenn man sich oftmals durch komplizierte EU-Akten und entsprechende Begründungen wühlen müsse, zur Chance. Dass Rechtsabteilungen bei grenzüberschreitenden Fusionen eng zusammenarbeiten oder sich bei den anstehenden EU-Verordnungen bezüglich Lieferketten, Taxonomie und Netzund Informationssystemen umfassend austauschen müssen, um rechtliche Risiken frühzeitig einzudämmen, lässt sich folglich als Teil dieser Chance ansehen. Wer einsieht, dass der Elefant im Raum längst zum Partner, Vor- und Mitdenker geworden ist, sollte ihn in Zukunft als anspruchsvolles, aber letztlich unverzichtbares Haustier und Fast-Familienmitglied betrachten.

Das schweizerische Recht werde europäisiert und so entstehe ein Recht, das Carl Baudenbacher «a Swiss European Law» nennt.

«Diese EU-Erlasse werden für Schweizer Unternehmen relevant werden»

Adrian Tüscher ist Leiter KPMG Law Schweiz. Zusammen mit seinem Team von Anwält:innen berät er nationale und internationale Kunden in sämtlichen Belangen des Wirtschaftsrechts.

Herr Tüscher, wie wirken sich die EUGesetze auf die hiesigen Unternehmen und deren Geschäfte aus?

Wir haben es hier mit einer langen Liste zu tun. Beim EU AI Act stellt sich beispielsweise die Frage, wie er die Entwicklung und den Einsatz von KI-Systemen durch Schweizer Unternehmen beeinflusst. Für KI-Produkte und -Dienstleistungen müssen risikobasierte Ansätze und entsprechende Compliance-Anforderungen geprüft werden. Auswirkungen dürfte der EU AI Act insbesondere auch auf die Innovation und die Wettbewerbsfähigkeit von Unternehmen haben, die im KI-Bereich tätig sind.

Was kommt mit der EU Pay Transparency Directive auf Schweizer Arbeitgeber zu?

Schweizer Unternehmen mit Belegschaft in der EU müssen unter anderem die Gehaltsstrukturen transparent machen und darüber Bericht erstatten. Dies wird ihre Positionierung im Arbeitsmarkt massgeblich beeinflussen und birgt das Risiko, dass Gehaltsforderungen der Belegschaft insgesamt steigen, sofern Gehaltsunterschiede nicht mit klar formulierten und voneinander unterscheidbaren Rollenprofilen verargumentiert werden können. Dies dürfte insbesondere in hiesigen HR-Abteilungen zu erheblichen Mehraufwänden und nicht selten auch zu einem Überdenken der derzeitigen Gehaltsstrukturen führen. Auch Fragen betreffend Gleichstellung und Nichtdiskriminierung sind als grenzüberschreitende Herausforderung anzusehen. Es braucht hier vor allem griffige Strategien zur Umsetzung der Richtlinie, um Rechtsstreitigkeiten zu vermeiden.

Wie wirkt sich die EU-Hinweisgeberrichtlinie aus?

Auch hier sind die im EU-Raum präsenten Unternehmen gezwungen, im Einklang mit den Vorgaben der Richtlinie sichere Meldekanäle und Schutzmechanismen für Whistleblower zu implementieren, was sich direkt auf die Compliance-Kultur und interne Audits auswirken wird. Nicht zuletzt geht es darum, Whistleblower und Mitarbeitende, die sich um Missstände kümmern und diese benennen, nicht (mehr) zu stigmatisieren, was in manchen Unternehmen sicher ein Umdenken erfordert. Es braucht unter dem Strich proaktive Massnahmen für ein neues Risikomanagement und die Vermeidung von Sanktionen.

Kommt hier auch der EU Digital Resilience Act (DORA) ins Spiel?

DORA ist sicherlich von grosser Bedeutung für Unternehmen, die in irgendeiner Weise mit dem EU-Finanzmarkt interagieren. Auch Schweizer Finanzinstitute und Dienstleister, die Geschäfte mit EU-Unternehmen tätigen oder Dienstleistungen für diese erbringen, müssen unter Umständen die Anforderungen von DORA erfüllen, um weiterhin Zugang zum EU-Markt zu haben. Schweizer Unternehmen mit Niederlassungen oder Tochtergesellschaften in der EU müssen ebenfalls sicherstellen, dass ihre Einheiten den Vorschriften von DORA entsprechen. Zugleich haben wir es mit Drittanbieter-Risiken zu tun. EU-Finanzinstitute, die Dienstleistungen von Schweizer Unternehmen beziehen, könnten verlangen, dass diese Schweizer Anbieter die Anforderungen von DORA einhalten, um die eigenen Compliance-Verpflichtungen zu erfüllen. Die Einhaltung von DORA kann für Schweizer Unternehmen aber auch ein Wettbewerbsvorteil darstellen, da sie damit ihre digitale Widerstandsfähigkeit und Sicherheitsstandards nachweisen können, was für potenzielle Kunden und Partner in der EU attraktiv sein könnte. Zugleich müssen wir damit rechnen, dass auch Schweizer Regulierungsbehörden ähnliche Vorschriften wie DORA einführen werden, um die Harmonisierung mit den EU-Standards zu gewährleisten und die Sicherheit

des eigenen Finanzsektors zu stärken. Unabhängig von regulatorischen Anforderungen kann die Umsetzung der in DORA festgelegten Best Practices zur digitalen Widerstandsfähigkeit und zum Risikomanagement für Schweizer Unternehmen von Vorteil sein, um ihre eigenen Sicherheitsstandards zu verbessern und sich besser gegen Cyberbedrohungen zu schützen. Auch das sollte man frühzeitig bedenken.

Welche Erlasse spielen im Digitalbereich noch eine Rolle?

Der EU Digital Services Act (DSA) und Digital Markets Act (DMA) zielen darauf ab, ein sichereres digitales Umfeld zu schaffen und faire sowie offene digitale Märkte in der EU zu gewährleisten. Schweizer Unternehmen, die digitale Dienste anbieten oder als grosse Online- Plattformen agieren, müssen sich an diese Regeln halten.

Wie steht es um Vorgaben zur Taxonomie und Energieeffizienz, die ebenfalls sehr viele Unternehmen betreffen?

Die Verordnung zur EU-Taxonomie für nachhaltige Finanzen schafft ein Klassifikationssystem, um zu bestimmen, welche Investitionen als ökologisch nachhaltig gelten können. Für Schweizer Finanzinstitute und Unternehmen, die in der EU investieren oder Finanzprodukte anbieten, wird es also wichtig

Die Verordnung zur EUTaxonomie für nachhaltige Finanzen schafft ein Klassifikationssystem, um zu bestimmen, welche Investitionen als ökologisch nachhaltig gelten können.

Steckbrief

Adrian Tüscher ist Partner bei KPMG, einer der führenden Wirtschaftsprüfungs- und Beratungsgesellschaften. Als Rechtsanwalt verfügt er über mehr als 16 Jahre Erfahrung in der Rechtsdienstleistungsbranche. Seit 2022 hat er die Gesamtverantwortung für KPMG Law, dem Rechtsberatungsarm von KPMG mit weltweit über 3’700 Rechtsexpert:innen, in der Schweiz inne. Mit seinem Team berät er nationale und internationale Kunden aus nahezu allen Branchen in sämtlichen nationalen und internationalen wirtschaftsrechtlichen Belangen. Tüscher ist Mitglied des Steering Committee von KPMG Law Global,tritt regelmässig als Referent an diversen Seminaren und Veranstaltungen auf und hat in zahlreichen Zeitungen und Zeitschriften publiziert. Zudem ist er Co-Autor eines Buches über rechtliche Aspekte bei internationalen Mitarbeitereinsätzen und CAS-Dozent für Arbeits- und Aufenthaltsrecht an der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften (ZHAW).

Mehr Informationen unter kpmg.ch

Adrian Tüscher Partner, KPMG Schweiz, Head of KPMG Law

sein, diese Kriterien zu erfüllen. Die Überarbeitungen der EU-Energieeffizienz- Richtlinie (EED) und der Erneuerbare- Energien-Richtlinie (RED) setzen Ziele für die Energieeffizienz und den Einsatz Erneuerbarer Energien.

Schweizer Unternehmen im Energiebereich oder solche mit hohem Energieverbrauch müssen möglicherweise ihre Strategien anpassen, um den EUVorgaben zu entsprechen.

Welche anderen Richtlinien werden mittelfristig in der Schweiz eine Rolle spielen?

Die EU-Richtlinie über das Urheberrecht im digitalen Binnenmarkt soll das Urheberrecht in der EU modernisieren und an das digitale Zeitalter anpassen. Schweizer Unternehmen, die urheberrechtlich geschützte Inhalte in der EU

nutzen oder verbreiten, müssen die neuen Regeln also beachten oder ihre bisherigen Standards entsprechend anpassen. Weiter ist die EU-Richtlinie über die Sicherheit von Netz- und Informationssystemen (NIS-Richtlinie) zu nennen. Sie zielt darauf ab, ein hohes gemeinsames Sicherheitsniveau für Netz- und Informationssysteme in der EU zu gewährleisten. Schweizer Unternehmen, die als Betreiber wesentlicher Dienste oder als digitale Diensteanbieter gelten, müssen die entsprechenden Sicherheitsanforderungen und Meldepflichten beachten.

Wie gehen in der Schweiz ansässige und in der EU aktive Unternehmen Ihrer Erfahrung nach mit den hiesigen Anpassungen an die EU-Richtlinien um? Das ist eine sehr spannende Frage. In der Praxis zeigt sich, dass in der Schweiz ansässige Unternehmensgruppen in gut schweizerischer Manier oft erst mal abwarten, was andere tun, bevor sie (über) aktiv werden. Dies führt in der Regel zu einer eher langsamen Adaption von rechtlichen Vorgaben der EU - respektive deren in aller Regel indirekten Auswirkungen – durch Schweizer Unternehmen mit Aktivitäten im EU-Raum. Oft reagieren grössere multinationale Unternehmen mit Hauptsitz in der Schweiz zuerst. Dies einerseits, weil sie häufig eine geringere Non-Compliance- Toleranz leben und andererseits bestrebt sind, Compliance-Vorgaben und Prozesse international einheitlich zu implementieren. Letzteres nicht selten auch einfach, um die Administration gering zu halten. In der Praxis führt dies dann dazu, dass diese Grossunternehmen die Vorgaben gruppenweit so umsetzen, wie es die Regeln desjenigen EU-Landes verlangen, in dem sie aktiv sind, welches die EU-Vorgaben innerstaatlich am strengsten umgesetzt hat. Das tut zwar «weh», erhöht jedoch die Konsistenz innerhalb der Gruppe und führt letztlich zum geringsten Compliance Risiko.

Wirtschaftsrecht

„Digitalisierung und Gesetzesflut erfordern technologische Weiterentwicklungen und kreative Lösungsansätze“

Die Zürcher Wirtschaftskanzlei Advestra berät Schweizer und ausländische Wirtschaftsunternehmen, Gesellschaften und Investoren im Gesellschafts-, Kapitalmarkt- und Steuerrecht sowie bei Finanzierungen und Fragen des Finanzmarkrechts.

Wie sich die aktuellen technologischen und politischen Entwicklungen auf das Wirtschaftsleben und damit auch auf rechtliche Fragen auswirken, erläutern die Partner Dr. Sandro Fehlmann, Dr. Alexander von Jeinsen und Prof. Dr. Rashid Bahar.

Wie sehr verändern die technologische Entwicklung und die zunehmende Digitalisierung die Bedürfnisse Ihrer Kunden und damit Ihre rechtliche Beratung?

Dr. Sandro Fehlmann: Die technologische Entwicklung und die Digitalisierung haben unsere Arbeitsweise und unser Arbeitsleben in den letzten Jahren tief geprägt: Seit der Pandemie sind alle gewöhnt, von überall arbeiten zu können. In der Schweiz ist zwar einiges noch «old school», so dass einige Dokumente immer noch im Original unterschrieben werden müssen und physische Meetings weiterhin eine wichtige Rolle spielen. Dennoch können wir uns nun nicht nur jederzeit virtuell treffen, sondern auch auf alle Informationen zugreifen und sogar unseren Klienten live zur Verfügung stellen. Unsere Klienten und unsere Mitarbeitenden profitieren von dieser digitalen Mobilität und erhöhten Flexibilität, wobei wir Informationsmanagement und -sicherheit eine besondere Beachtung schenken, da wir in der Regel mit sehr vertraulichen Informationen umgehen.

Wie sehr krempelt AI Ihren Alltag um?

Dr. Alexander von Jeinsen: Wie die meisten Schweizer Kanzleien haben wir kleinere Tools implementiert, die uns den Alltag erleichtern, ohne ihn völlig auf den Kopf zu stellen. Mittelfristig werden jedoch viele Prozesse, die bislang händisch von jüngeren Kolleginnen und Kollegen übernommen werden, einer Automatisierungswelle unterworfen sein. Dies macht unsere Arbeit perspektivisch noch spannender, da AI uns bei der Recherche und Erstellung von bereits standardisierten Dokumenten vermehrt unterstützen wird. Sodann können wir uns noch stärker auf die massgeschneiderte Beratung und die Schöpfung innovativer Lösungen konzentrieren. Wir sind zuversichtlich, dass unsere Mandanten weiterhin einen menschlichen Gesprächspartner suchen werden, der sie durch Höhen

und Tiefen begleitet. Das ist nicht neu, sondern entspricht unserer Vision: Wir wollen mehr als ein einfacher Produktanbieter oder sogar Solution Provider sein. Wir sehen uns in erster Linie als Trusted Advisor. Diese Entwicklung wird jedoch für die Ausbildung jüngerer Kollegen und Kolleginnen eine neue Herausforderung schaffen: Bislang konnten junge Anwältinnen und Anwälte in der ersten Phase der Mandatsarbeit Erfahrung zu sammeln und hatten so einen sanften Einstieg in die Beratungspraxis. Um sie besser für die gewandelte Rolle vorzubereiten, versuchen wir, sie so einzusetzen, dass sie umfassend auf dem Mandat integriert sind. Der Einstieg wird dadurch vielleicht anspruchsvoller, aber auch spannender.

Welche Rolle spielen die gesellschaftlichen und politischen Entwicklungen, wenn es etwa um Nachhaltigkeit oder eine grössere Regulatorik geht?

Prof. Dr. Rashid Bahar: Nachhaltigkeit und ESG haben einen mannigfachen Einfluss auf unseren Arbeitsalltag. Zu Recht fordern immer mehr Klienten Rechenschaft ihrer Dienstleister (inkl. Anwaltskanzleien) hinsichtlich ihres Beitrages zu Nachhaltigkeit, Diversität und sozialem Handeln. Als junge Kanzlei sind diese Anliegen für uns zentral. Ausserdem hat das Thema Nachhaltigkeit in unserer Beratungspraxis eine wichtigere Rolle eingenommen. Unternehmen sollen vermehrt Verantwortung übernehmen. Die neue Regulierung, sei es in Zusammenhang mit der Pflicht zur Erstellung eines nicht-finanziellen Berichts gepaart mit gewissen Sorgfaltspflichten oder den neuen Offenlegungspflichten und Pflicht zur Berücksichtigung insbesondere vom Klimawandel bei Finanzinstituten, öffnet ein neues Beratungsfeld für Wirtschaftsprüfungsgesellschaften und Anwaltskanzleien. Da wir uns immer noch in der initialen Phase der Aufarbeitung und erstmaligen Erstellung der

notwendigen Dokumentation befinden, ist der Beratungsbedarf naturgemäss hoch. Zudem wird erwartet, dass wir im Rahmen unserer Beratungspraxis stets ein Auge auf nachhaltigkeitsbezogene Themen richten: So gilt es, beispielsweise in unserer M&A-Praxis, nicht nur im Rahmen der due dilligence zu ermitteln, ob die formaljuristischen Anforderungen eingehalten werden und ein effektives Kontrollsystem vorhanden ist, sondern auch kritisch zu hinterfragen, wie die Zielgesellschaft mit Nachhaltigkeit und ESG generell umgeht.

Welchen Einfluss hat die zunehmende Politisierung des Wirtschaftsrechts auf die M&A-Landschaft?

Dr. Alexander von Jeinsen: Dies hat verschiede Facetten. Den stärksten Einfluss haben wohl die sogenannten Golden Powers, also Möglichkeiten der Kontrolle von ausländischen Investitionen. Das bekannteste Regime ist CIFIUS in den USA, aber auch Deutschland und andere europäische Länder machen verstärkt Gebrauch von Möglichkeiten, ausländische und insbesondere chinesische Investitionen in bestimmten Bereichen zu blockieren. Auch in der Schweiz wird die Notwendigkeit einer solchen Gesetzgebung intensiv diskutiert. Auch wenn die Schweiz bislang sehr zurückhaltend in dem Bereich tätig ist, haben die Entwicklungen im Ausland Auswirkungen auf Zusammenschlüsse von schweizerischen Unternehmen, denn viele Schweizer Unternehmen sind global tätig und können diese Entwicklungen nicht ignorieren. Als Wirtschaftskanzlei, die ausschliesslich zum schweizerischen Recht berät, müssen wir diesen Entwicklungen Rechnung tragen und auch unsere Klienten darüber sensibilisieren und umfassend beraten.

Sie müssen sich zunehmend auch mit Risikomanagement und

Compliance-Themen auseinandersetzen, die praktisch ständig in Bewegung sind? Dr. Sandro Fehlmann: Anwaltskanzleien profitieren direkt oder indirekt von der steigenden Komplexität, Beschleunigung und Informationsflut, welche allesamt nach einem veränderten Umgang mit Unsicherheiten und Risiken verlangen. Dazu gehört neben einer zeitgemässen Corporate Governance typischerweise auch ein weiterer Ausbau von Rechts- und Compliance-Abteilungen sowie eine Professionalisierung des Risikomanagements, inklusive Management der rechtlichen Risiken. Ebenfalls von Bedeutung ist die wachsende Vorsicht in den Verwaltungsräten und Geschäftsleitungsebenen vor einer Haftung, was oftmals mit einer Risikoauslagerung an externe Anwaltskanzleien im Sinne einer Risikominimierung einhergeht. Dies erhöht den Druck auf Anwälte zur Inkaufnahme von Risiken resp. «pragmatischen» Lösungsansätzen. Die steigende Gesetzesflut, die insbesondere in der EU zu beobachten ist, erhöht zudem das Risiko von Fehlern – sowohl bei Klienten wie auch bei Anwaltskanzleien –, was wiederum Anreize für ein modernes Risikomanagement setzt.

Wie bewerten Sie die Arbeit der FINMA?

Prof. Dr. Rashid Bahar: Nach der Krise der Credit Suisse ist die FINMA

Advestra - Wir sind Wirtschaftsanwälte.

Das Team der Advestra AG berät zu Gesellschaftsrecht | M&A, Kapitalmarktrecht, Finanzierungen, Fragen der Finanzmarktregulierung sowie zu Steuern. Die Klienten reichen von börsenkotierten Gesellschaften und Finanzinstituten über Private Equity Sponsoren und andere Investoren bis zu Unternehmern, Start-ups und Unternehmen im Familienbesitz. Die Branchenerfahrung der Advestra spiegelt die Breite der Schweizer Wirtschaft wieder und umfasst unter anderem Finanzinstitute, Pharma- und Biotech-Unternehmen, Industrieunternehmen sowie Immobilien- und Technologiefirmen. Mehr Informationen unter advestra.ch

politisch in Erklärungsnot und hat das englische Sprichwort «never let a good crisis go to waste» im Kopf. Sie sieht die jetzige Lage als Gelegenheit, mehr Ressourcen, politisches Rückgrat und Aufsichtsinstrumente zu erhalten. Der Ruf der FINMA beschränkt sich aber nicht nur auf mehr inhaltliche Regulierung, sondern konzentriert sich auch auf «schärfere Zähne» und Sanktionsmöglichkeiten zur Durchsetzung der Regulierung. Dieses Bedürfnis ist grundsätzlich verständlich. Dabei muss sich die FINMA aber vor Augen führen, dass der Zweck der Finanzmarktaufsicht in erster Linie die Stabilität des Finanzmarkts und der Anlegerschutz ist, und nicht, wie im Strafrecht, die Repression. Zudem glauben wir, dass die Akzeptanz neuer Regulierung mit der Transparenz über die Aufsichtspraxis seitens des Regulators positiv korreliert; auch eine funktionierende Demokratie gebietet dieses Korrelat. Entsprechend scheint uns wichtig, den Ruf nach verstärkter Regulierung mit zusätzlichen Transparenzstandards zu verbinden

Die steigende Gesetzesflut, die insbesondere in der EU zu beobachten ist, erhöht das Risiko von Fehlern – sowohl bei Klienten wie auch bei Anwaltskanzleien.
Steckbrief
Alexander von Jeinsen Partner Rashid Bahar Partner Sandro Fehlmann Partner

Dank der flachen Gruppenstruktur können rasch passgenaue, multidisziplinäre Teams zusammengestellt werden, um ganzheitliche Lösungen zu erarbeiten. Welchen Mehrwert dies für Klientinnen und Klienten haben kann, zeigt nachfolgendes Experten-Interview zum Aktienrecht, zu KI in der Rechtsberatung, zur Nachfolgeregelung sowie zu steuer- und arbeitsrechtlichen Fragen.

Dr. Nicolas Rouiller zur Revision des Aktienrechts

Herr Dr. Roullier, inwiefern hat die Revision des Aktienrechts KMU bisher am stärksten tangiert?

Indem eine klare Gesetzesgrundlage eingeführt wurde, um Generalversammlungen (wie auch Verwaltungsratssitzungen) neu durch Zirkulation oder per Videokonferenz abzuhalten. Dies erhöhte sowohl die Flexibilität als auch die Rechtssicherheit. Gleiches gilt für die Einführung des Kapitalbandes (es erlaubt dem Verwaltungsrat, innerhalb einer Zeitspanne von bis fünf Jahren über verschiedene Kapitalerhöhungen oder -herabsetzungen zu entscheiden), welches zahlreiche Transaktionen wie z.B. die Aufnahme neuer Aktionäre, die Finanzierung oder auch den Austritt gewisser Aktionäre vereinfacht und beschleunigt.

In welchen Bereichen bestehen bei KMU die grössten Unsicherheiten? Gewisse Mehrheitsaktionäre und Verwaltungsräte sehen im Ausbau der Rechte der Minderheitsaktionäre, namentlich mit dem Recht auf Sonderuntersuchung, einen gewissen Unsicherheitsfaktor. Ich erachte es vielmehr als positive Entwicklung im Sinne der Governance. Gewisse Unsicherheiten ergeben sich aus der Praxis des Handelsregisters, wie zum Beispiel in Bezug auf die statutarischen Anforderungen für den Verzicht auf den unabhängigen Vertreter für virtuelle oder im Ausland stattfindende Generalversammlungen.

Inwiefern könnte der Gesetzgeber KMU allgemein besser unterstützen oder Benachteiligungen aufheben? Soweit ich sehen kann, besitzen KMU mit den heutigen Gesetzen gute Instrumente, welche ihnen Freiheiten und gleichzeitig Rechtssicherheit bieten. Wenn das heutige Gesetz stabil bleibt, wirkt sich das positiv auf KMU aus. Denn es bietet ihnen einen verlässlichen Rechtsrahmen und die Möglichkeit, sich bei Bedarf rasch auf faktische (technologische) Entwicklungen einzustellen.

Martin Frey zum Einsatz von KI

«KMU stehen vor

zahlreichen rechtlichen Herausforderungen »

SwissLegal, der schweizweite Kanzleiverbund, ist mit einem Dutzend Kanzleistandorten in allen Sprachregionen der Schweiz vertreten sowie dank ausgewählter Partnerkanzleien auch im Ausland weltweit vernetzt.

für die rechtliche Beratung dar?

Sie stellt in vielerlei Hinsicht eine Herausforderung dar: sowohl im Zusammenhang mit den rechtlichen Rahmenbedingungen des KI-Einsatzes als auch bei der praktischen Anwendung. Dank KI können sich Rechtssuchende heute schon vor dem Erstgespräch ein Bild zur Rechtslage machen. Hierbei besteht die Gefahr, dass sich KI auf veraltete Informationen stützt oder nicht alle relevanten Aspekte, Querschnittthemen oder Auslegungsregeln mitberücksichtigt, welche für die saubere, rechtliche Beurteilung nötig sind. Hinzu kommt, dass sich das Recht und die Rechtsprechung stets entwickeln, was das Zusammenspiel zwischen KI und Beratung zusätzlich fordert.

KI-Anwendungen lernen aus allen möglichen Quellen, die sich kaum zurückverfolgen lassen. Was bedeutet das aus Sicht der Haftung oder des Datenschutzes?

Es ist ein Spagat zwischen der Einhaltung zwingender Immaterialgüter- und Datenschutzrechte einerseits und der KI als «black box» andererseits, da deren Quellen und Entscheidungsprozesse oft intransparent sind und sie dank ihrer Autonomie die Zuweisung von Verantwortlichkeiten praktisch verunmöglicht. Das ist besonders dann relevant, wenn KI Urheberrechte oder Personendaten Dritter verletzt, denn das KI-Tool selbst trägt keine Verantwortung oder Haftung.

Wie nutzen Sie bei SwissLegal KI-Tools?

Wir setzen KI-Tools insbesondere ein, um Daten zu analysieren, Vertragsdokumente zu überprüfen, Entwürfe zu erstellen sowie auch, um Daten effizienter abzulegen. Dies mit dem Ziel, Routinearbeiten zu reduzieren und mehr Zeit für komplexere, individuell anspruchsvollere Mandatsarbeit zu generieren.

Mauro Lardi zur Nachfolgeregelung

Das grösste Dauerthema von Unternehmen ist und bleibt die Unternehmensnachfolge. Wie erklären Sie sich das? Die Unternehmensnachfolge ist ein komplexer Vorgang mit verschiedenen Interessenebenen, die in Einklang gebracht werden müssen: Aus Sicht der übergebenden Partei ist die Familie, die Vorsorge und der Wunsch nach dem Fortbestand des Unternehmens wichtig - bei der Nachfolgerin hingegen die Eignung und der Wille zur Übernahme. Schliesslich stellen sich auch finanzielle Fragen: Sind genügend Mittel für eine Übernahme vorhanden? Muss die übergebende Partei Preis-Konzessionen eingehen oder gar ein Käuferdarlehen gewähren, um den Weiterbestand des Unternehmens zu sichern?

Dr. Reto Böhi / Heinrich Spühler zur Beschäftigung von ausländischen Führungskräften

SwissLegal –Guiding you to success Ihre Klientschaft besteht primär aus national und international tätigen KMU, UnternehmerInnen, Investoren und Private Clients, welche sie schwergewichtig in Wirtschaftsrecht, Steuerrecht, Bau- und Immobilienrecht, Nachfolge- und Erbrecht sowie bei M&A-Transaktionen berät und vertritt –mit weiteren Spezialisierungen an den jeweiligen Standorten sowie über ihre internationalen Partnerbüros in Europa, USA, Asien und Australien.

Mehr Informationen unter swisslegal.ch

Schweizer KMU beschäftigen zunehmend auch Führungskräfte aus dem Ausland. Welche Fallstricke und rechtlichen Besonderheiten sind aus Ihrer Sicht zu beachten?

Die Fallstricke sind im internationalen Bereich oftmals weniger arbeitsrechtlicher Natur als vielmehr steuer- und sozialversicherungsrechtlicher. Steuerrechtlich stehen die jeweiligen Doppelbesteuerungsabkommen im Zentrum. Bei einigen Abkommen gibt es besondere Regelungen für leitende Angestellte, Verwaltungsräte, Grenzgänger usw.

Sehen Sie eine Möglichkeit, das Problem an der Wurzel zu packen? Was zeichnet eine erfolgreiche Nachfolgeplanung aus? Je früher und vorausschauender geplant wird, desto erfolgreicher gestaltet sich in der Regel die Unternehmensnachfolge. Weiter entscheidend ist, dass verschiedenste Aspekte wie z.B. Suche und Aufbau eines Übernehmers, die Anpassung der Unternehmensstruktur im Hinblick auf die Übergabe, die Regelung der familien- und erbrechtlichen Folgen sowie die Vorsorge- und Steuerplanung beachtet werden. Eine solche Planung dauert mindestens 5 Jahre. Sie sollte nicht erst bei Erreichen der Pensionierung erfolgen, zumal ein unerwarteter Ausfall durch Krankheit, Unfall oder Tod die Unternehmung und deren Fortführung jederzeit hart treffen könnte. Wir empfehlen Unternehmerinnen und Unternehmern, sich frühzeitig mit Stellvertreterreglung, Vorsorgeauftrag oder einem Ehe- und Erbvertrag auseinanderzusetzen. Und wir empfehlen Unternehmen, die von mehreren Personen gehalten werden, den Abschluss eines Aktionärsbindungsvertrages.

Beispielsweise werden die Einkünfte einer in Deutschland wohnhaften Person, welche in leitender Funktion bei einer Schweizer Gesellschaft tätig ist, abweichend von der üblichen Regelung am Sitz der Gesellschaft und nicht im Wohnsitzstaat besteuert, sofern die Person nicht als Grenzgänger qualifiziert, der nach der Arbeit an den Wohnort zurückkehrt. Auch im internationalen Sozialversicherungsrecht spielen Abkommen eine Rolle. Die Schweiz unterhält weltweit zahlreiche bilaterale Sozialversicherungsabkommen, welche die Unterstellung koordinieren: Im Verhältnis Schweiz-EU ist die Verordnung (EG) Nr. 883/2004 relevant. Letztere stellt sicher, dass eine Person nur in einem Land sozialversicherungspflichtig ist, selbst wenn sie in mehreren Ländern arbeitet. Das Honorar eines in der EU wohnhaften Verwaltungsrats einer Gesellschaft mit Sitz in der Schweiz gilt beispielsweise als nicht marginale, unselbständige Erwerbstätigkeit. In Kombination mit einer selbständigen Erwerbstätigkeit im Wohnsitzstaat kann das dazu führen, dass sämtliche Einkünfte weltweit der Schweizer Sozialversicherungspflicht unterliegen. Und dies auch dann, wenn die Beiträge bereits im falschen Land entrichtet wurden. Es ist daher zwingend, solche Aspekte vor Aufnahme einer Tätigkeit in einem anderen Land zu berücksichtigen.

Dr. iur. Nicolas Rouiller Rechtsanwalt, SwissLegal Rouiller & Associés, Lausanne und Genf
Lic. iur. Martin Frey, LL.M. Fürsprecher, SwissLegal (Aarau) AG, Aarau
Lic. iur. Mauro Lardi, LL.M. Anwalt und Notar, SwissLegal Lardi & Partner AG, Chur
Dr. iur. Reto Böhi Rechtsanwalt SwissLegal (Zürich) AG, Zürich
Lic. iur. Heinrich Spühler, LL.M. Legal Counsel Tax/VAT, SwissLegal (Zürich) AG, Zürich

Es mutet auf den ersten Blick paradox an: Je mehr technische Neuerungen ins Alltagsleben schwappen, desto untechnischer und emotionaler werden die Nachrichten oder Debatten, die mit den technischen Tools und Gadgets fabriziert und geführt werden. Inmitten dieses Emotion- und Technikhypes stellt die Juristerei, vielleicht prägnanter denn je, die ausgleichende, nüchterne Instanz dar, die all das auffangen, beschwichtigen und regeln soll, was sich in diesen Tagen zwischen immer neuen staatlichen Regularien, globalen Bedrohungslagen und persönlichem Fehlverhalten angesammelt hat. Angesichts der vielen digitalen Möglichkeiten stehen auch Kanzleien und Rechtsberufe vor dringenden Fragen: Wie sehr möchten Mandaten oder Klienten zukünftig digital kommunizieren? Haben die technischen Gadgets Einfluss auf die Zeitplanungen und Abrechnungspläne? Wie sehr müssen Kanzleien via Newsletter und Websites von aktuellen Fällen berichten – und sogar kostenfreie Services zur Verfügung stellen, die etwa Massenabmahnungen oder datenschutzkonforme Texte betreffen? Dürfen oder sollen Mitarbeitende nach neuen Lösungen abseits der bekannten Wege suchen – vielleicht sogar mit KI?

Digitale Arbeit meint Zusammenarbeit

Recht experimentierfreudig

Auf der einen Seite Künstliche Intelligenz, die alles verändert. Auf der anderen Seite zunehmend emotionalisierte Debatten und Mitbestimmungswünsche. Was bedeutet das für eine intelligente, nüchterne Rechtsprechung und eine moderne Kanzlei?

sei. Der, so Schieblon, stehe «vielerorts unter hohem Kostendruck» und gebe «diesen weiter an die externen Berater». Die Folge: «Langjährige, vertrauensvolle Partnerschaften zu Anwälten», die «trusted advisor», hätten «vielerorts ausgedient». «Angesichts des starken Wettbewerbs unter Kanzleien wählen Unternehmen ihre juristischen Berater nach deren Erfahrung und Reputation, aber auch nach dem attraktivsten Preis oder nach interessanten Preismodellen aus. Um diesem Preisdruck bestehen zu können haben Kanzleien ihre Arbeitsprozesse untersucht, gestrafft und neue, digitale Lösungen eingeführt. So können sie dem Wettbewerb standhalten, da sie schneller, effektiver und kostensparender arbeiten.»

Zudem, so Schieblon, wollten Mandanten heute mitarbeiten und Arbeitsschritte kontrollieren – und neben

sich jedoch auch im konkreten Arbeitsalltag und in neuen Arbeitsstrukturen widerspiegeln. Ein «starres hierarchisches Verhalten verhindert nachhaltige digitale Erfolge». Statusdenken sei folglich «fehl am Platz, wenn ein interdisziplinäres Team in einem LegalTech-Hackathon ein neues Tool für die Akquise einer bestimmten Zielgruppe programmiert oder wenn man mit in einem interdisziplinären Workshop kreative Lösungen für die Optimierung allzu starrer Arbeitsprozesse sucht». Es sei «eine Kultur gefragt, die wertschätzend ist und auf Augenhöhe mit Mitarbeitern aller Arbeitsbereiche einer Kanzlei umgeht».

Die Kanzlei als Info-Kiosk Eine aktuelle Innofact-Umfrage im Auftrag der deutschen Unternehmensgruppe Haufe zeigt, dass «Mandanten nicht nur Fachkompetenz erwarten,

Es ist nichts Neues, dass Chirurgen und Ärzte wegen Behandlungsfehler verklagt werden, weil sie veraltete Methoden anwenden –warum sollte es bei Anwälten anders sein?

In ihrem Buch «Digitalisierung und Innovation in Kanzleien» (Springer Gabler Wiesbaden 2022) stellt Herausgeberin Claudia Schieblon, Gründerin und Leiterin des Professional Management Network für Wirtschaftskanzleien, fest, dass der «wichtigste Treiber der Digitalisierung im Anwaltsmarkt» immer noch und weiterhin der Mandant

den Ergebnissen auch die «Anzahl der geleisteten Arbeiten» dargestellt bekommen. Das alles sei ohne eine umfassende Digitalisierung, die aber verbindende und ineinandergreifende Strukturen brauche, nicht möglich. Bessere technische Strukturen, die miteinander kommunizieren, statt lose Software-Stückwerke zu sein, müssten

Raus aus der «Perfektionsfalle»

des Anwaltsberufs gar nicht unähnlich seien und den obligatorischen Wissensund Informationsvorsprung sichern. Angesichts der Verantwortung, die ein Anwalt gegenüber seinem Mandanten trage, müsse sich dieser vermehrt um eine «zeitsparende und qualitätssteigernde Technologie» bemühen. «Es ist nichts Neues, dass Chirurgen und Ärzte wegen Behandlungsfehler verklagt werden, weil sie veraltete Methoden anwenden – warum sollte es bei Anwälten anders sein? Alles in allem meinen wir, ein Anwalt, der ohne ausreichend Daten handelt, stellt ein weitaus grösseres Haftungsrisiko dar als einer, der mit Hilfe von KI auf den Grundlagen kollektiver Intelligenz vorgeht.» Am Ende, so Sengpiel, gehe es bei dem Beruf, der gerne recht hat, zukünftig um die noch ungewohnte Lust am Experimentieren. «Es liegt vielleicht in der Natur von Anwälten, dass Risiken und Unsicherheiten beziehungsweise die Sorge vor daraus resultierenden möglichen Fehlentscheidungen extrem unbeliebt sind.» Im Beratungsmandat sei dies nachvollziehbar – «schließlich geht es in diesem Kontext darum zu sagen, was Recht ist und rechtlich geht, sowie rechtliche Risiken grösstmöglich zu minimieren». Jedoch bleibe «die Risiko-Aversion vieler Anwälte nicht auf die Beratungstätigkeit begrenzt, sondern zeigt sich auch bei ihrer Haltung gegenüber der Änderung von Gewohnheiten und Routinen, etwa in Bezug auf Arbeitsweisen oder die Nutzung neuer Technologien. Doch gerade hier gilt, dass man nur durch Ausprobieren und regelmäßiges Üben zu neuen Möglichkeiten und Verbesserungen kommt». Anwälte, so Sengpiel, müssten raus aus der Perfektionsfalle. Womit sie sich, zumindest ausserhalb der konkreten Ergebnisse für ihre Mandanten, mehr denn je in den Sturm des Lebens begeben, der zukünftig die beste Expertise ausmachen dürfte. VON RÜDIGER SCHMIDT-SODINGEN

Dazu passend glauben die Innovationsmanagerinnen Dr. Andrea Miskolczi und Zaibaa Thingna in Schieblons Buch an die Lernprozesse Künstlicher Intelligenz, die dem menschlichen Erlernen

sondern auch eine verständliche und rechtssichere Kommunikation, die zunehmend digital erfolgt». Mit steigender Unternehmensgrösse steige etwa im Bereich Steuerrecht der «Bedarf an optimierter und digitaler Kommunikation» via Chats, Newslettern und Broschüren. «Besonders bei den Jüngeren», so die Studie, sei der Wunsch nach «individuellerer Betreuung mit digitalen Tools» stark ausgeprägt. Immerhin hätten grössere Kanzleien bereits positive Effekte festgestellt: 64,1 Prozent der mittelgroßen Kanzleien und 47,7 Prozent der grossen Kanzleien vermelden eine «positive Wirkung der digitalen Tools auf die Effizienz der Mandantenkommunikation». Der Kölner Rechtsanwalt Dr. Markus Sengpiel wirbt in Schieblons Buch denn auch für neue Kooperationen jenseits der Fachbarrieren. «Um die immer weiterwachsenden und komplexer werdenden Anforderungen seitens der Mandanten zu erfüllen, ist in Kanzleien verstärkt nicht-juristisches Know-how gefragt.» Es reiche nicht mehr aus, «sich nur auf die Rolle als juristischer Fachexperte zurückzuziehen. Vielmehr müssen Anwälte einerseits ein Interesse an und grundlegende Kenntnisse in anderen nicht-juristischen Disziplinen haben und andererseits über die Kompetenz verfügen, interdisziplinäres Wissen miteinander zu verknüpfen.» Es gehe folglich darum, «mit Blick auf die Herausforderungen der Mandanten Trends und Zukunftsszenarien vorausschauend in Bezug auf die rechtlichen Implikationen zu beobachten und zu analysieren. Hierzu gehören technologische, ökonomische wie auch gesellschaftliche und umweltbezogene Entwicklungen – und das auf nationaler wie internationaler Ebene.» Tatsächlich skizziert Sengpiel den modernen Anwalt damit als Fels in der Brandung, der mit möglichst umfangreichem Wissen mehr denn je bestmöglich das Individuum schützt und gleichzeitig der Gesellschaft dient.

Mit dem Alternative Legal Service Provider (ALSP) FlexAgility gehen die Gründungspartner Olivier Maeker und Jan Podokschik neue Wege, um mehr Spezialisierung und Synergien zu wagen.

Herr Maeker und Herr Podokschik, wie hat sich der Anwaltsberuf in den letzten Jahren gewandelt?

Olivier Maeker: Der Anwaltsberuf hat sich stark gewandelt. Früher standen vor allem klassische Beratung und Konfliktlösungen im Vordergrund. Heute agieren Juristen zunehmend als strategische Partner, die frühzeitig in Projekte eingebunden werden, um Risiken zu minimieren und Chancen zu maximieren. Globalisierung, Digitalisierung und Regulierung erfordern eine nie dagewesene Agilität. Unternehmen schätzen Anwälte, die juristische Kompetenz mit unternehmerischem Denken verbinden.

Jan Podokschik: Darüber hinaus ist die Zusammenarbeit zwischen Anwälten und anderen Fachdisziplinen intensiver geworden. Ob IT, Finanzen oder HR – juristische Expertise muss oft in interdisziplinären Teams integriert werden, um optimale Lösungen zu entwickeln. Diese Entwicklung ist spannend, aber auch herausfordernd, da sie ein breites Verständnis für unterschiedliche Perspektiven erfordert.

Wie sehr beeinflusst ein neues mitarbeiterzentriertes Arbeiten die Karrieremodelle?

OM: Ein mitarbeiterzentriertes Arbeiten revolutioniert die Karriereplanung nicht nur in der Rechtsbranche, sondern in nahezu allen Fachbereichen.

Junge Talente erwarten flexible Arbeitszeiten, hybride Arbeitsmodelle und klare Entwicklungsperspektiven. Auch traditionelle Karrieremodelle, die auf starren Hierarchien oder dem «Up or Out»-Prinzip beruhen, verlieren branchenübergreifend an Attraktivität. Stattdessen gewinnen projektbasierte Karrierewege und individuelle Entwicklungsmöglichkeiten immer mehr an Bedeutung. Arbeitgeber, die solche Alternativen bieten, fördern nicht nur die berufliche, sondern auch die persönliche Entfaltung ihrer Mitarbeitenden und positionieren sich als attraktive Arbeitgeber.

Unternehmen benötigen für viele Fragestellungen zunehmend rechtliche Beratung. Was heisst das für die entsprechenden Rechtsabteilungen?

JP: Rechtsabteilungen stehen vor der Herausforderung, sowohl Allrounder als auch Spezialisten zu sein. Die Themenvielfalt – von Datenschutz und ESG bis hin zu internationalem Vertragsrecht – sprengt oft die internen Kapazitäten. Externe Berater werden deshalb unverzichtbar, da sie spezifisches Know-how und Entlastung bieten. Gleichzeitig müssen Rechtsabteilungen heute nicht nur Risiken managen, sondern auch aktiv zur Wertschöpfung des Unternehmens beitragen.

Wie sehr beeinflussen die Themen Compliance, ESG, KI und Datenschutz schon heute die Ressourcen in den Rechtsabteilungen?

JP: Diese Themen sind längst zentrale Treiber für Rechtsabteilungen. Compliance und ESG erfordern nicht nur juristisches Fachwissen, sondern auch strategische Beratungskompetenz. Datenschutz bleibt in der digitalen Ära eine konstante Herausforderung, da Regulierungen immer komplexer werden.

OM: Und KI bringt zusätzliche Dimensionen mit sich, wie etwa Haftungsfragen oder ethische Aspekte. Der Druck auf Unternehmen, in all diesen Bereichen handlungsfähig zu bleiben, wächst enorm. Hier ist juristische Expertise gefragt, die technisches Verständnis mit rechtlichem Know-how kombiniert.

FlexAgility

FlexAgility hat sich als innovative Plattform etabliert, die Unternehmen mit hochqualifizierten Juristen und Compliance-Experten zusammenbringt. Das Unternehmen bietet sowohl flexible, projektbasierte Einsätze als auch die Vermittlung von Festanstellungen an. Besonders gefragt ist FlexAgility bei Unternehmen, die kurzfristig spezifisches Fachwissen benötigen oder langfristige Positionen strategisch besetzen wollen. Mit einem starken Netzwerk und einem tiefen Verständnis für die Bedürfnisse von Unternehmen agiert FlexAgility als Brückenbauer, der Talente und Organisationen effizient und zielgerichtet zusammenführt.

Mehr Informationen unter flexagility.ch

«Wir verbinden Unternehmen mit juristischen Experten, die flexibel und bedarfsorientiert arbeiten»

Die Rekrutierung von Fachkräften im Bereich Recht und Compliance ist für viele Unternehmen und Kanzleien zum entscheidenden Erfolgs- und Zukunftsfaktor geworden.

Jeder hätte gerne Spezialisten, die idealerweise auch schon andere Unternehmen beraten haben. Sie fördern und fordern deshalb flexiblere Arbeitsmodelle für Anwälte?

JP: Flexiblere Arbeitsmodelle sind essenziell, um die richtigen Experten genau dann verfügbar zu haben, wenn sie gebraucht werden. Projektbasierte Einsätze ermöglichen es Juristen, ihre Expertise gezielt und effektiv einzusetzen.

OM: Für Unternehmen bedeutet das Zugang zu hochqualifizierten Fachleuten ohne langfristige Bindung. Besonders wichtig ist auch der kulturelle

Aspekt: Externe Berater werden temporär in Teams integriert und bringen neue Perspektiven sowie Best Practices ein, die sie in anderen Unternehmen gesammelt haben. Das fördert nicht nur die Entwicklung der bestehenden Teams, sondern eröffnet den Juristen selbst die Möglichkeit, sich ein breites Netzwerk und vielseitige Erfahrungen aufzubauen.

Da Unternehmen mit ihrem Tun und ihrer Kommunikation immer mehr Bereiche berühren, die nicht zum Kerngeschäft gehören, braucht es mehr

Austausch und Tausch zwischen internen Teams und externen Experten?

OM: Der Austausch zwischen internen Teams und externen Experten wird immer wichtiger. Interne Teams bringen tiefes Verständnis für die Unternehmenskultur und die operativen Abläufe mit, während externe Experten

spezifisches Fachwissen und eine unabhängige Perspektive einbringen. Diese Kombination ist oft der Schlüssel zu innovativen und praxisnahen Lösungen.

Wie bringen Sie mit FlexAgility Unternehmen und Juristen zusammen, um bessere, bedarfsgerechte Lösungen zu finden?

JP: FlexAgility versteht sich als Brückenbauer. Wir verbinden Unternehmen mit juristischen Experten, die flexibel und bedarfsorientiert arbeiten.

Unsere Stärke liegt darin, die richtigen Ressourcen zur richtigen Zeit bereitzustellen – sei es für kurzfristige Projekte, spezifisches Fachwissen oder längerfristige Unterstützung.

OM: Ein gutes Beispiel ist ein Unternehmen, das vor einer regulatorischen Prüfung steht und kurzfristig erfahrene Compliance-Spezialisten benötigt. Mit FlexAgility können wir innerhalb weniger Tage die passenden Experten bereitstellen. Aber auch klassische Vertretungen, etwa bei geplanten oder

ungeplanten Abwesenheiten von Mitarbeitern, lassen sich so nahtlos organisieren, um Kontinuität zu gewährleisten.

Lassen sich temporäre Einsätze hinsichtlich ihres Erfolgs auch besser messen?

JP: Ja, temporäre Einsätze sind oft besser messbar als traditionelle Arbeitsmodelle. Klare Projektziele, Deadlines und definierte Aufgaben ermöglichen es, den Erfolg präzise zu bewerten. Indikatoren wie Kostenersparnis, Effizienzgewinne oder die Einhaltung gesetzlicher Vorgaben bieten konkrete Ansätze zur Erfolgsmessung.

Kommunikation ist ein grosses Thema, weil immer mehr Mitarbeitende immer mehr Wissen zu rechtlich relevanten Verhaltensweisen haben müssen. Wie sehr können die richtigen Spezialisten hier helfen?

OM: Die richtigen Spezialisten sind unverzichtbar, um komplexe rechtliche Themen verständlich und greifbar zu

Unternehmen schätzen Anwälte, die juristische Kompetenz mit unternehmerischem Denken verbinden.

machen. Ein guter Jurist bringt nicht nur Fachwissen mit, sondern kann dieses auch praxisnah vermitteln – sei es in Schulungen zu Datenschutzrichtlinien oder in Compliance-Workshops. Ziel ist es, Mitarbeitende handlungsfähig zu machen und Risiken im Arbeitsalltag zu minimieren.

Was motiviert Sie persönlich, FlexAgility zu führen und Unternehmen sowie Juristen miteinander zu verbinden?

OM: Seit über 15 Jahren unterstütze ich Unternehmen in der Schweiz dabei, die richtigen juristischen Talente zu finden. Mich begeistert immer wieder, wie entscheidend der richtige Mensch am richtigen Ort sein kann. Mit FlexAgility schaffen wir Verbindungen, die echten Mehrwert bringen – für Unternehmen, die flexibel agieren möchten, und für Talente, die ihre Stärken einbringen wollen. Das macht meine Arbeit spannend und unglaublich erfüllend.

JP: Es macht mir Freude, Brücken zu bauen – zwischen den Anforderungen von Unternehmen und den Kompetenzen von Fachleuten. Besonders spannend finde ich es, wenn sich aus einer einmaligen Zusammenarbeit nachhaltige Beziehungen entwickeln. Meine Motivation kommt aus der Überzeugung, dass es in der heutigen Arbeitswelt nicht mehr um starre Strukturen, sondern um Agilität und passgenaue Lösungen geht. Genau das ermöglichen wir mit FlexAgility.

Jan Podokschik und Olivier Maeker Partner

Kameras vor den Werktoren oder auf öffentlichen Strassen, Social-Media-Seiten mit Abbildungen verschiedener Personen, an Dienstleister weitergeleitete Kundennamen, aufgezeichnete Telefongespräche, Newsletter oder Werbe-Mails an eingekaufte Kontakte… jede Sekunde, möchte man meinen, können Unternehmen und öffentliche Institutionen in die Datenschutzfalle tappen und am nächsten Tag Post erhalten. Wer beschwichtigt, dass solle man bitte nicht zu ernst nehmen, kennt die neuesten Urteile nicht. Sie sollen keine Panik verbreiten, aber dazu einladen, sich doch einmal Gedanken über die konkrete Nutzung und Verarbeitung von Daten in allen Bereichen zu machen. Auch um im Falle von Abmahnungen oder Klagen schnelle oder andere Lösungen für ein Weiterarbeiten parat zu haben.

Urteil 1: Aus für Kameraüberwachung von Autos in Luzern

Das Schweizer Bundesgericht hat am 17. Oktober die Regelung zur automatisierten Fahrzeugfahndung sowie zum polizeilichen Informationssystem-Verbund im Luzerner Polizeigesetz aufgehoben. Der Kanton Luzern erklärte, mit der automatisierten Autoüberwachung schwere Straftaten vereiteln zu wollen. Nun gab das Bundesgericht einer Beschwerde über diese Aufzeichnungen statt – ähnlich wie bereits vor zwei Jahren in Solothurn. Im Bereich der automatischen Fahrzeugfahndung und Verkehrsüberwachung komme den Kantonen laut der Pressemeldung des Bundesgerichts «keine Gesetzgebungskompetenz zu. Überwachungsmassnahmen zum Zweck der Strafverfolgung bedürfen vielmehr einer Grundlage in der eidgenössischen Strafprozessordnung. Mit Blick auf den verbleibenden Anwendungsbereich der Regelung stellt die sehr weitreichende Datenerfassung, -auswertung und -aufbewahrung einen unverhältnismässigen Grundrechtseingriff dar. Die Regelung ist daher insgesamt aufzuheben.»

Urteil 2: Rekordbussgeld für Meta-Konzern in Irland Der teure Instant-Klassiker gegen Zuckerbergs «Datenkrake»: Die irische Datenschutzkommission beendete ihre Untersuchungen beim Facebook- und Instagram-Digitalunternehmen Meta Platforms Ireland am 12. Mai 2023 mit einem Rekordbussgeld von 1.2 Milliarden Euro. Grund ist die Übermittlung personenbezogener Daten aus der EU und dem europäischen Wirtschaftsraum an die Mutterfirma in den Vereinigten Staaten. Ein «ausreichender Schutz gegen die damit verbundenen Risiken für die Grundrechte und -freiheiten der Betroffenen» sei bei der Weitergabe der Daten von Irland in die USA nicht gewährleistet. Die in der Vergangenheit an die USA übermittelten Daten, so das Urteil, müssten binnen sechs Monaten gelöscht werden. Meta Ireland musste mit der Urteilsverkündigung jede personenbezogene Datenübermittlung in die USA unterlassen.

Urteil 3: Millionen-Bussgeld für eine unerlaubte App-Einrichtung in Finnland David und Goliath trafen sich vor wenigen Wochen vor einem finnischen Gericht. Eine Privatperson klagte bei der finnischen Datenschutzbehörde gegen die Posti Jakelu Oy, die ihr ohne zu fragen ein E-Mail-Konto auf der OmaPosti-App eingerichtet hatte, auf das dann unter anderem Patientendokumente geschickt wurden. Die Person konnte die Berichte jedoch nicht abrufen, da sie das Postfach samt App nicht nutzte und auch nicht beantragt hatte. Die Behörde strafte mit einem Bussgeld von 2.4 Millionen Euro die unzulässige Verknüpfung verschiedenster Daten und

Datenschutzverstösse werden teuer

Mit den Verstössen gegen Datenschutzverordnungen ist es wie mit den Daten selbst: Keiner hat wirklich eine Übersicht, wo es am meisten brennt – und welche Personen gerade welche sensiblen Daten verwerten, zu lange parken oder unbefugt weitergeben. Eine Übersicht der aktuellen Fälle in der Schweiz und der EU lässt das ganze Ausmass der kleinteiligen, aber höchst sensiblen Arbeit erahnen.

Dokumente auf einem fremdveranlassten E-Postfach sowie die unzureichenden Informationen und Dienste seitens des staatlichen Postdienstleisters ab.

Urteil 4: 900‘000 Euro für nicht gelöschte Daten in Hamburg Daten sicher zu verwahren, schützt vor Strafe nicht. Beim Check mehrerer Hamburger Unternehmen und Dienstleister fand der Hamburgische Beauftragte für Datenschutz und Informationssicherheit Datensätze «im sechsstelligen Bereich», die rechtswidrig weit über die Löschfrist hinaus gespeichert wurden. Nach dem Verhängen einer Geldstrafe von 900‘000 Euro erklärte Behördenleiter Thomas Fuchs dazu: «Wenn die Kundenbeziehung endet, sind die erhobenen Daten sofort beziehungsweise nach festgelegten Fristen zu löschen. Deshalb sollten Unternehmen bereits, bevor sie Daten erheben, eine Bestandsaufnahme machen, welche Daten gesammelt und wie lange sie vorgehalten werden dürfen. Es ist nicht akzeptabel, wenn Unternehmen, die in datengetriebenen digitalen Branchen arbeiten, kein kohärentes Löschkonzept entwickelt haben.»

Urteil 5: 150‘000 Pfund für SpamWerbung in Grossbritannien Zwei Finanzdienstleister aus Manchester wurden vom Information Commissioner’s Office mit einer Geldstrafe von insgesamt 150‘000 Pfund belegt, weil sie, im ersten Fall, binnen eines Monats 7.5 Millionen Spam-Nachrichten und, im zweiten Fall, 129‘902 Spam-Texte binnen vier Monaten an Personen geschickt hatten, deren Daten von Drittanbietern stammten. Beide Aktionen hatten über 70‘000 Beschwerden ausgelöst. Der zweite Anbieter nutzte den Umstand, dass die angeschriebenen Personen für Kredite abgelehnt worden waren, für aggressive, ohne jegliche Einwilligung erfolgte Kreditangebote. Andy Curry, Head of Investigation, kommentierte die Vergehen mit klaren Worten: «Beide Unternehmen bombardierten die Menschen mit Spam-Nachrichten und verfolgten diejenigen, die sich in einer schwierigen finanziellen Situation befinden. Dann von zahlreichen ungerechtfertigten Textnachrichten bedrängt zu werden, bedeutet für Menschen in diesen Situationen nur noch mehr Stress. Unter solchen Umständen ist es folglich wichtig, dass Unternehmen die Zustimmung zum

Versenden von Direktnachrichten einholen. Sich auf die Zustimmung Dritter zu verlassen, ohne die grundlegendsten Überprüfungen durchzuführen, ist alles andere als ein verantwortungsvolles Verhalten dieser Unternehmen, und deshalb haben wir Massnahmen ergriffen.»

Urteil 6: Vereinfachte

Bussverfahren in Frankreich

Seit Juni 2024 hat die französische Datenschutzbehörde CNIL im Rahmen eines neuen, vereinfachten Verfahrens elf Sanktionsbeschlüsse mit einer Gesamtstrafe von 129‘000 Euro erlassen.

Zu den sanktionierten Taten gehörten die systematische Videoüberwachung von Mitarbeitenden, die Aufzeichnung

von Kundengesprächen, das Fehlen von Cookie-Einwilligungsmöglichkeiten sowie nicht fristgerechte Reaktionen auf Meldungen oder Bitten um Auskunft. Die CNIL monierte dabei auch den weitverbreiteten Mitschnitt von Telefongesprächen «zur Verbesserung der Servicequalität», wenn er durch eine «systematische und vollständige Aufzeichnung von Telefongesprächen» erfolgt, «wohingegen eine gelegentliche und stichprobenartige Aufzeichnung geführter Anrufe implementiert werden kann».

Auch fehlende Verzeichnisse über Verarbeitungstätigkeiten zogen Bussgelder nach sich, da nachvollziehbar sein müsse, «welche Daten zu welchem Zweck erhoben werden und wer Zugriff auf sie hat». «Das vereinfachte Sanktionsverfahren», so die CNIL, sei «eines der repressiven Instrumente, die zur Verfügung stehen, um die Einhaltung der Datenschutz-Grundverordnung sicherzustellen und auf die zahlreichen Beschwerden zu reagieren, die jedes Jahr eingehen (16‘000 im Jahr 2023)». Das 2022 eingeführte, vereinfachte Verfahren, ermögliche im Gegensatz zu sogenannten «normalen» Sanktionen die schnelle Verhängung von Sanktionen in einfacheren Fällen. Die vereinfachten Sanktionen seien nicht öffentlich und die Höhe der verhängbaren Geldbussen dürfe 20‘000 Euro nicht überschreiten.

«Wenn die Kundenbeziehung endet, sind die erhobenen Daten sofort beziehungsweise nach festgelegten Fristen zu löschen.

«Datenschutz verlangt eine risikoadäquate Compliance »

Dr. David Vasella, Partner bei Walder Wyss in Zürich, berät und vertritt in- und ausländische Unternehmen und Behörden bei allen Fragen des Daten- und des Technologierechts.

Im Interview erklärt er, warum Datenschutz für Unternehmen immer wichtiger wird.

Herr Dr. Vasella, wie ernst nehmen Unternehmen hierzulande den Datenschutz?

Diese Frage lässt sich nicht allgemein beantworten, weil mehrere Faktoren entscheidend sind. Zuerst die Ausrichtung des Geschäfts: Unternehmen, die in ausländischen Märkten tätig sind, nehmen den Datenschutz ernster, weil das Datenschutzrecht im Ausland häufig strenger ist. Das gilt besonders für den EWR-Raum, aber auch Staaten ausserhalb Europas haben scharfe Regeln erlassen. Ein weiterer Faktor ist das Geschäftsmodell: Hängt es von der Verwendung von Personendaten ab, bspw. im Massen-B2C-Bereich, ist der Datenschutz ein Kernthema, und ebenso bei regulierten Unternehmen wie etwa Versicherern, Banken und Leistungserbringern im Gesundheitsbereich. Auch die Grösse des Unternehmens ist relevant, und ebenso seine Stellung in der Wertschöpfungskette, weil bestimmte Kunden den Anbietern strenge Anforderungen auferlegen. Insgesamt hat das Bewusstsein für die Bedeutung des Datenschutzes stark zugenommen. Unternehmen sind eher bereit, in den Datenschutz zu investieren, die damit verbundenen Rechtsrisiken professionell einzuschätzen und die Compliance entsprechend zu kalibrieren. Das wird zunehmen, weil die Aufsichtsbehörden ihre Praxis im Bereich des Datenschutzes verschärfen, aber auch bspw. der KI, und weil der Datenschutz nur eine von vielen Regulierungen im Digitalbereich ist, die gesamthaft betrachtet werden.

Wurden Ihrer Meinung nach die gesetzlichen Bestimmungen grösstenteils gut umgesetzt? Das hängt von der Perspektive ab. Würde der EDÖB flächendeckend auditieren, würde er viele Lücken entdecken, bspw. bei der Organisation der Datenhaltung und der Datenlöschung. Aus Sicht der Unternehmen wurde der Datenschutz aber recht gut umgesetzt, dem Risikoappetit entsprechend. Und aus Sicht der betroffenen Personen, die der Datenschutz ja schützen soll, ist die Umsetzung meistens ganz gut gelungen.

Wo liegt derzeit der Schwerpunkt Ihrer Beratung?

Die Praxis hat sich verbreitert. Ein Teil betrifft weiterhin die klassische

Umsetzung des Datenschutzrechts, also die Implementierung entsprechender Prozesse und Dokumentation. Manche Unternehmen sind nach wie vor untätig geblieben, und andere wollen eine frühere Umsetzung verbessern oder vereinfachen. Unternehmen entstehen auch neu oder betreten neue Märkte. Ein zweiter Teil betrifft projektbezogene Abklärungen. Dies nimmt zu, weil die Risiken steigen und die Unternehmen Ressourcen aufgebaut haben, die z.B. auf übersehene Schwachstellen hinweisen. Auch die Beratung bei der Corporate Governance wird wichtiger, weil mit steigenden Risiken das Bewusstsein für die interne Organisation und Trennung zwischen Ertrags- und beratenden und prüfenden Einheiten zunimmt. Dazu kommen Abklärungen und Untersuchungen des EDÖB und Auseinandersetzungen mit betroffenen Personen, die ihre Rechte leider nicht immer im guten Glauben wahrnehmen. Vor allem aber ist die Beratung in angrenzenden Gebieten des Datenrechts dazugekommen. Das betrifft bspw. neue Regelungen der Datensicherheit in der Schweiz und in der EU, und natürlich die Künstliche Intelligenz. Hier beraten wir zur Governance in Unternehmen, aber auch zum Einsatz von KI bei Krankenhäusern, Banken und Versicherern, und Dienstleister, die auf KI basierend Produkte anbieten.

Sollten Unternehmen in eine umfassende Datenschutz-Compliance investieren?

Compliance ist in erster Linie eine Prozess- und Kulturfrage. Man kann eine Organisation nicht über ihre Absorptionsfähigkeit hinaus zu Compliance zwingen. Unternehmen brauchen ein Zielbild, aber sie müssen bei der Umsetzung der Organisation, den Personen, den Funktionen und den Prozessen Rechnung tragen. Das Business arbeitet bei der Umsetzung der Compliance meistens motiviert mit, wenn es dabei gut unterstützt wird. Vermeiden sollte man Regularien, die nicht umgesetzt werden, Prozesse, die nicht auf bestehende Abläufe zugeschnitten sind, und Dokumente, die so juristisch formuliert sind, dass sie keine Hilfe sind.

Wo sollten Unternehmen ansetzen, wenn Sie die den Datenschutz ernst nehmen und die Risiken klein halten wollen?

Compliance in dem Sinne, dass jedes Iota des Gesetzes – oder seiner Auslegung durch die Behörden – eingehalten wird, ist kaum möglich, für ein Unternehmen aber auch nicht sinnvoll. In diesem Sinne ist ein risikoorientierter Ansatz richtig. Das verlangt, dass die Risiken verstanden werden. Dies setzt nicht nur ein Verständnis des eigenen Geschäfts und der künftigen Entwicklungen und Chancen voraus, sondern auch einen nüchternen Blick auf die rechtlichen Anforderungen und die Risiken einer Verletzung. Dazu gehören neben Rechtsrisiken auch operationelle Risiken und Fragen der Reputation. Auf dieser Grundlage kann dann

entschieden werden, welche Schritte die Risiken möglichst effizient auf das richtige Mass reduzieren.

Brauchen Unternehmen unterschiedlicher Grösse auch ein unterschiedliches Datenschutzmanagement?

Ja. Einem Unternehmen ein StandardCompliance-Modell überzustülpen ist falsch. Beim Management des Datenschutzes und damit verbundener Themen kommt es darauf an, mit dem bestehenden Rahmen zu arbeiten. Wenn bspw. eine Datenschutzprüfung beim Einkauf nicht auf den bestehenden Third Party Risk Management-Prozess abgestimmt ist, kommt es zu Fehlern und Ineffizienz, und auch ein Governance-Prozess für Künstliche Intelligenz setzt meist auf Bestehendem auf. Es gibt aber grosse Unterschiede zwischen den Unternehmen, je nach Grösse, Komplexität, Geschäftsmodell, Historie und Konzernstruktur. Das muss ein Berater berücksichtigen.

Wenn wir auf die Governance zurückkommen: Wie viel hat ein funktionierender Datenschutz mit einem guten Risikomanagement zu tun? Viel. Zum einen hilft es dem Datenschutz, wenn sich die Compliance im Rahmen eines eingespielten Risikomanagements bewegen kann, wenn bspw. eine gute interne Risikokommunikation besteht, die Delegation der Aufgaben im Unternehmen eingespielt ist und das IKS funktioniert. Zum anderen müssen Datenschutzrisiken natürlich im Risikomanagement reflektiert werden.

Inwieweit beeinflusst ein guter Datenschutz den Wert eines Unternehmens – auch im Hinblick auf internationale Kooperationspartner und Lieferketten? Das ist schwer zu messen und vom Unternehmen abhängig, aber bei Unternehmen mit datengetriebenen Geschäftsmodellen – das sind immer mehr – schützt der Datenschutz auch den Unternehmenserfolg. Ein guter Datenschutz und eine gute Datensicherheit tragen auch bei, die Kooperation mit

Steckbrief

Walder Wyss Walder Wyss wurde 1972 in Zürich gegründet und wächst seither an verschiedenen Standorten in den Wirtschaftszentren der Schweiz. Mit mehr als 290 juristischen Experten und Expertinnen gehört Walder Wyss zu den führenden Schweizer Kanzleien. Zu den Kunden zählen nationale und internationale Unternehmen, Publikumsgesellschaften und Familienunternehmen sowie öffentlich-rechtliche Institutionen und Privatpersonen.

Mehr Informationen unter walderwyss.com

David Vasella Partner

Partnern nicht zu erschweren. Und wenn sie einen Data Breach verhindern, trägt das zum Wert ebenfalls bei.

Man hat den Eindruck, dass einige Unternehmen sich sorgen, dass sie kurzfristige Anpassungen nicht stemmen und nicht alle Bereiche, die vom Datenschutz tangiert werden, erfassen können. Wie können Unternehmen denn den Überblick behalten und „up to date“ bleiben?

Das ist in der Tat eine schwere Aufgabe, vor allem wegen des Regulierungseifers der EU, aber auch in der Schweiz sind Gesetzgeber und Behörden aktiv. Schon die Frage, welche Regulierung worauf anwendbar ist, ist schwer zu beantworten. Grössere Unternehmen kommen nicht umhin, die Compliance auszubauen und ein Monitoring zu betreiben, strukturiert oder durch den Austausch mit Peers. Der externe Beratungsaufwand nimmt ebenfalls zu. Das führt zu mehr Spezialisierung bei Unternehmen und Berater – auf beiden Seiten können datenrechtliche Themen nur noch von Spezialisten begleitet werden.

©iStockphoto.com/ismagilov

Das rasante Wachstum von KI werde sich «in absehbarer Zeit nicht verlangsamen», sondern vielmehr dazu führen, dass «wir innerhalb von drei bis vier Jahren KIs haben werden, die 1‘000-mal leistungsfähiger sind als die heutigen», so Maserati. Innerhalb der nächsten Jahre werde die KI-Entwicklung «humanoide Roboter und virtuelle Künstliche Agenten» hervorbringen, «die in der Lage sind, zahlreiche Aufgaben für Menschen auszuführen».

Man müsse sich im Klaren darüber sein, dass diese «technologische Revolution» hauptsächlich von USUnternehmen vorangetrieben werde, «und angesichts dieses Kontexts ist es unmöglich, ihre Entwicklung zu begrenzen oder zu verlangsamen». Für Arbeitnehmer bedeute das, die neue Realität anzunehmen und sich anzupassen, sei es durch ihre Positionierung im Arbeitsmarkt, die Wahl ihrer Weiterbildung und das Erlernen der Technologie.

Jobkiller vs. Flexibilität

Die wichtigsten Herausforderungen fasst Maserati wie folgt zusammen: KI ist kein Jobkiller, sondern ein Job-Umgestalter. Sie fordere von Unternehmen und Institutionen eine aktive Weiterbildung, neue Berufsbilder, einfachere Prozesse, ein höheres Mass an Automatisierung und eine günstige lokale KI und flexiblere Geschäftsmodelle. Der endgültige Durchbruch von KI werde dann passieren, wenn immer mehr KI-Anwendungen vollständige Arbeiten übernehmen, bestimmte Dienstleistungen im Preis fallen und KI-Unternehmen eine erhebliche Wertsteigerung erfahren. Alles in allem könne mit einer Reduzierung der Pro-Kopf-Arbeit gerechnet werden, so dass Menschen vielleicht noch fünf Prozent ihres Lebens mit Arbeit verbringen würden.

Ohne Frage, so Maserati weiter, werde KI zu einer «enormen Steigerung der individuellen Produktivität» führen. «Wir können diesen Anstieg bereits anhand früher Studien mit Arbeitnehmern messen, die zuerst begonnen haben, diese Technologien zu übernehmen (was einen Nutzen von 5 bis 30 Prozent je nach Aufgabe zeigt).»

Warum sich KI als äusserst effektiv erweise, liege auf der Hand: «Sie verfügt nicht nur über ein Fachwissen, das über das von Top-Hochschulabsolventen hinausgeht, sondern sie verfügt auch über ein Knowhow in allen Disziplinen gleichzeitig und steht 24/7 praktisch

kostenlos zur Verfügung.» Durch KI unterstützte Entscheidungsprozesse und tagtägliche Arbeiten seien deutlich besser und in kürzerer Zeit möglich, was Arbeitnehmer, die KI einzusetzen wissen, tatsächlich zufriedener mache. «Künstlicher Agent» als Moment des Durchbruchs Als kurzfristige Folgen der KI-Revolution nennt der Experte tiefere Preise bei bestimmten Dienstleistungen, die nun abrupt schneller ausgeführt werden können und entsprechend starke Auswirkungen auf die Arbeiterschaft haben. Mittelfristig werde die immer schnellere Technologie «Künstliche Agenten hervorbringen, die in der Lage sind, viele Aufgaben zu erfüllen, die bisher ausschliesslich dem Menschen vorbehalten waren». Auf dem Markt werde sich «die Herausforderung nicht nur auf der Mensch-gegen-Maschine-Ebene abspielen, sondern vor allem kurzfristig auf der Unternehmens-vs.-Unternehmens-Ebene, wo diejenigen, die in der Lage sind, die enormen Chancen der KI zu nutzen, schnell Marktanteile von langsameren Wettbewerbern wegnehmen können». Die Wettbewerbsfähigkeit von Unternehmen hänge deshalb massageblich davon ab, inwieweit KI als «Geschäftsinstrument und Wirtschaftshebel» verstanden und akzeptiert werde.

Wettbewerbsfähigkeit dank KI Als wichtigste Massnahme schlägt Maserati eine kontinuierliche Schulung der Mitarbeitenden vor, die alle sechs oder 12 Monate stattfinden und an die aktuellen Entwicklungen anknüpfen sollte. Ein erhebliches Problem stellten zu wenig qualifizierte Ausbilder dar. Bildungsanbieter und auch öffentliche Institutionen sollten deshalb möglichst schnell und umfassend in eine stetig wachsende Zahl von Ausbilderinnen und Ausbildern investieren. Auch eine «rasche Aktualisierung des universitären Lehrplans und der Lehrpläne der Sekundarschulen» sei von Nöten. Ein weiteres Ziel müsse darin bestehen, günstige lokale KI-Systeme und -Rechenzentren zu etablieren. Natürlich könne es sein, dass Unternehmen bewusst langsam umstellen wollen. «Trägheit mag den Wandel in einigen Sektoren verlangsamen, aber im Kontext einer globalen Wirtschaft können die Vorteile der Wettbewerber, die diese Technologien früher einsetzen, so erheblich sein, dass sie keinen Raum für andere lassen.»

Wie KI den Arbeitsmarkt verändert

Unternehmen und Arbeitende brauchen mehr Flexibilität, Weiterbildungen und lokale KI-Systeme. Alessandro Maserati, Head of AI des Technologieunternehmens Logol, erläutert in seiner Untersuchung «Artificial Intelligence and the Labour Market» die «erheblichen» Chancen und Risiken von Künstlicher Intelligenz.

Alessandro Maserati Head of AI
«Rechtsabteilungen müssen die strategischen Auswirkungen von KI erkennen»

«Es besteht kein Zweifel daran, dass die digitale Transformation und Künstliche Intelligenz zu einem noch nie dagewesenen Automatisierungsgrad im Rechtssektor führen wird», sagt Marco Farina, Gründer und CEO des Schweizer KI-Anbieters von Technologielösungen Logol. Farina wurde kürzlich in den erweiterten Vorstand der Swiss LegalTech Association (SLTA) berufen und von Microsoft als MVP für Artificial Ingelligence ausgezeichnet.

Herr Farina, wie verändert KI die Arbeit von Rechtsanbietern?

KI allein wird die Arbeit der Rechtsabteilungen nicht revolutionieren, vor allem, weil der juristische Bereich eine 100-prozentige Genauigkeit erfordert. Die derzeitigen Einschränkungen selbst der fortschrittlichsten Large Language Models (LLMs) bedeuten, dass der wahre Wert der KI in ihrer Kombination mit Robotic Process Automation (RPA) liegen wird. Einer der innovativsten Bereiche ist der Einsatz von Retrieval-Augmented-Generation-Techniken (RAG) in der eDiscovery. RAG ermöglicht es der KI, relevante Dokumente und Kontexte abzurufen und gleichzeitig ein höheres Mass an Genauigkeit und Relevanz zu gewährleisten, was es zu einem wichtigen Tool für Rechtsabteilungen macht, die riesige Datenmengen schnell und effizient verarbeiten und analysieren müssen. Ein oft unterschätzter Aspekt ist, wie KI in Bereichen helfen kann, die nicht direkt mit dem Umsatz verbunden sind, wie etwa bei der internen Ausbildung von Nachwuchsanwälten oder der Simulation von Gegenparteien in Rechtsstreitigkeiten. Die Realität ist, dass die Auswirkungen sicherlich disruptiv sein werden, aber in welche Richtung ist noch unklar. Was ich unseren Kunden oft sage, ist, dass es in diesem VUCAUmfeld («Volatile, Uncertain, Complex and Ambiguous») für Anwaltskanzleien von entscheidender Bedeutung ist, sich strukturell so zu verändern, dass sie eine Denkweise annehmen können, die im Rechtssektor, insbesondere für grosse Kanzleien, oft schwer zu integrieren ist: Versuchen und sich anpassen.

Welche Tools sind für die Rechtsabteilungen von Unternehmen besonders interessant?

Die Rechtsabteilungen sind besonders an Tools interessiert, die sowohl die Effizienz als auch die Compliance verbessern können. KI-gestützte Tools für das Contract Lifecycle Management (CLM) und die Dokumentenautomatisierung sind besonders wertvoll. Im Vertragsmanagement kann KI bei der Vertragserstellung, -prüfung und -bewertung helfen und so die typischerweise arbeitsintensiven Prozesse rationalisieren. Darüber hinaus kann KI bei der Analyse grosser Fallakten eingesetzt werden und hilft Rechtsteams, grosse Mengen an Informationen schnell und genau zu verarbeiten und zu verstehen, was in komplexen Rechtsstreitigkeiten oder Due-Diligence-Prozessen unerlässlich ist. Darüber hinaus werden Tools, die sich in bestehende ERP- und CRM-Plattformen integrieren lassen, immer wichtiger, so dass

Steckbrief

Logol AG Als disruptives Technologieunternehmen ist Logol darauf ausgelegt, grosse und kleine Unternehmen in einem Prozess der kompromisslosen digitalen Transformation zu begleiten, das Cloud-Computing-Paradigma vollständig zu übernehmen und auf künstlicher Intelligenz basierende Lösungen einzuführen.

Mehr Informationen unter logol.com

Rechtsabteilungen nahtlos mit anderen Geschäftsbereichen zusammenarbeiten können.

Wie beurteilen Sie die Bemühungen um eine Regulierung, wie sie im KI-Gesetz der EU vorgesehen ist? Der KI-Rechtsakt der EU ist ein entscheidender Schritt, um eine verantwortungsvolle Entwicklung und Nutzung von KI zu gewährleisten, insbesondere auch im Rechtswesen, wo Transparenz und Rechenschaftspflicht von grösster Bedeutung sind. Meine Einschätzung ist jedoch, dass nur grosse Anbieter in der Lage sein werden, bei der Bereitstellung verantwortungsvoller KI zu konkurrieren, da die erforderlichen technischen und regulatorischen Ressourcen immens sind. Für kleinere Akteure wird es immer schwieriger, die durch solche Regulierungen gesetzten Standards zu erfüllen. Schlüsseltechnologien wie Confidential Computing, das den Datenschutz auch während der Verarbeitung gewährleistet, werden bei der Einhaltung des KI-Gesetzes eine zentrale Rolle spielen. Darüber hinaus werden für jede KI-Implementierung robuste Rahmenbedingungen in Bezug auf Datensicherheit, Ethik und Erklärbarkeit erforderlich sein. Diese

Vorschriften sind zwar notwendig, um Vertrauen aufzubauen und die Nutzer zu schützen, aber sie werden wahrscheinlich auch die KI-Entwicklung in grösseren, gut ausgestatteten Organisationen konsolidieren, die in der Lage sind, sich in der komplexen technischen und regulatorischen Landschaft zurechtzufinden.

Wie können spezifische KI-Anwendungen die Mitarbeitenden entlasten und gleichzeitig für eine neue Arbeitsweise schulen?

KI-Anwendungen können Mitarbeiter entlasten, indem sie wiederholende, zeitaufwändige Aufgaben automatisieren, sodass sie sich auf komplexere und strategischere Aufgaben konzentrieren können. Gleichzeitig kann die KI als Schulungsinstrument dienen, indem sie die Mitarbeitenden mit neuen Arbeitsweisen vertraut macht. Wenn sie sich mit den KI-Systemen vertieft vertraut machen, entwickeln die Mitarbeitenden auf natürliche Weise ein tieferes Verständnis dafür, wie diese Tools funktionieren und können lernen, KI zu nutzen, um ihre eigene Entscheidungsfindung zu verbessern. Um KI besser in Unternehmen zu etablieren, liegt mein Ansatz auf dem Aufbau eines Innovations-Mindsets. Es ist wichtig, KI so in den täglichen Betrieb zu integrieren, dass sie die menschliche Arbeit ergänzt, anstatt sie zu ersetzen. KI sollte schrittweise eingesetzt werden, mit Feedbackschleifen, die sowohl der Technologie als auch den Mitarbeitenden helfen, sich gemeinsam weiterzuentwickeln.

Wo erwarten Sie persönlich die gravierendsten Veränderungen im Bereich Legal Tech? Ich glaube, dass Begriffe wie «Legal Tech» obsolet werden. Die Technologie ist mittlerweile so allgegenwärtig, dass Geschäftsmodelle, die nicht tief in ihr verwurzelt sind, mittelfristig wahrscheinlich verschwinden werden. Was wir derzeit als «Legal Tech» bezeichnen, wird einfach zu «Legal». Bei der Transformation geht es nicht nur um die Einführung neuer Tools, sondern um das Überdenken des gesamten Geschäftsmodells. Anwaltskanzleien und Rechtsabteilungen von Unternehmen müssen über einen taktischen Ansatz hinausgehen und die strategischen Auswirkungen dieser Verschiebung erkennen. Kanzleien, die jetzt proaktive Schritte unternehmen, um diese Veränderungen auf strategischer Ebene zu berücksichtigen, werden diejenigen sein, die die Branche in die nächste Generation von Rechtsdienstleistungen führen.

Bei der Transformation geht es nicht nur um die Einführung neuer Tools, sondern um das Überdenken des gesamten Geschäftsmodells.
Marco Farina Founder and CEO

Wird die Schweiz zur besten Streibeilegerin?

Mit dem Beitritt zum Haager Gerichtsstandübereinkommen könnte die Schweiz zum wichtigen Standort für die Beilegung internationaler Streitigkeiten werden.

Mehr Rechtssicherheit und Stärkung des Wirtschaftsstandortes

VON RÜDIGER SCHMIDT-SODINGEN

Dank des Haager Übereinkommens können Vertragsparteien bei internationalen Ziviloder Handelsgeschäften ohne Beteiligung eines Verbrauchers verbindlich die Zuständigkeit eines oder mehrerer bestimmter Gerichte vereinbaren. Die Gerichtsstandsvereinbarung gilt als wirksam, wenn sie schriftlich und später eindeutig einsehbar beschlossen wurde. Die vereinbarten Gerichte sind im Streitfalle zu einer über die Landesgrenzen hinaus gültigen Entscheidung verpflichtet.

Dass der Bundesrat zum 1. Januar mit der Änderung des Bundesgesetzes über

HGvÜ - Durchbruch oder nur Etappensieg?

das Internationale Privatrecht (IPRG) das Haager Übereinkommen über Gerichtsstandsvereinbarungen in Kraft gesetzt hat, das «die Wirksamkeit von Gerichtsstandsvereinbarungen, die Zuständigkeit von vereinbarten Gerichten bei internationalen Handelsstreitigkeiten sowie die grenzüberschreitende Anerkennung und Vollstreckung von Gerichtsurteilen» regelt, ist als Gewinn für ein insgesamt einfacheres globales Rechtssystem anzusehen. Der Beitritt, so die Pressemitteilung optimistisch, verschaffe der Schweiz Rechtssicherheit und stärke gleichzeitig den Wirtschaftsstandort. In der Tat erhalten Unternehmen durch eine klare Regelung der Zuständigkeiten mehr Planungssicherheit, zumal das Übereinkommen «bereits in der EU, im Vereinigten Königreich, in Mexiko, Singapur, Montenegro sowie in

der Republik Moldau und der Ukraine» gilt – und man zu einem guten Zeitpunkt dem Übereinkommen beitritt. Während andere Länder mit der Umsetzung noch warten, hat der Beitritt der Schweiz in der mittleren Entwicklungsphase des Übereinkommens eine Signalwirkung nach innen und aussen. Wer international Geschäfte tätigt, kann sich als Schweizer Unternehmen weiterhin auf das Internationale Privatrecht verlassen, das für den Beitritt nur geringfügig angepasst werden musste.

Stabile Rahmenbedingungen Gleichzeitig sorgt das HGvÜ für eine Abschwächung des sogenannten «Forum Shoppings», das Klagen an vermeintlich günstig gesonnenen Gerichten zum Rechtssport machte und nicht nur bei Insolvenzfällen und kurzfristigen

Umzügen in andere Länder für fragwürdige Urteile sorgte. Unternehmen, die weltweit agieren, können sich also auf stabilere rechtliche Rahmenbedingungen freuen – nun auch in der Rechtshochburg Schweiz. Eine berechenbare Rechtspolitik dürfte auch Kostenersparnisse mit sich bringen, weil die beteiligten Parteien sich sicher sein können, dass die gefällten Urteile auch in anderen Ländern anerkannt werden und «Kriegskassen» für ein und denselben Fall damit hinfällig werden. In seinem Leitartikel «Die Schweiz im europäischen und internationalen zivilprozessualen Rechtsraum – Stand und Perspektiven» in der EuZ – Zeitschrift für Europarecht Nr. 8/2023 warb Dr. Dirk Trüten, Privatdozent an der Hochschule Luzern, bereits für den Beitritt, denn obwohl sich das Lugano-Übereinkommen

Obwohl laut dem Artikel 26 des HGvÜ Konflikte verhindert werden sollen, schliessen Experten nicht aus, dass es zu Unsicherheiten kommen könnte, wenn Staaten beide Übereinkommen «anbieten». In der Botschaft der Schweizerischen Eidgenossenschaft heisst es dazu, dass die Anwendungsbereiche des HGvÜ und des LugÜ sich überschneiden könnten «wenn in einem internationalen Sachverhalt eine Gerichtsstandsvereinbarung auf einen Staat verweist, in dem beide Übereinkommen anwendbar sind». Jedoch bestünden in den beiden Übereinkommen einige Unterschiede. «Der bedeutendste Unterschied ist, dass bei parallelen Verfahren das HGvÜ dem vereinbarten Gericht Vorrang einräumt, während nach dem LugÜ das zuerst angerufene Gericht Vorrang hat. Daher ist es wichtig, die Anwendungsbereiche der beiden Instrumente zu klären.» Für die Schweiz bedeute dies, dass das HGvÜ dann angewendet werden soll, «sobald ein Gericht eines Vertragsstaats gewählt wird, während das LugÜ zusätzlich verlangt, dass eine der

Einige Fragen sind offen

Besonders in der Abstimmung mit dem bereits existierenden Lugano-Übereinkommen sehen einige Beobachter Schwierigkeiten.

Parteien ihren Wohnsitz im Hoheitsgebiet eines Vertragsstaats hat (ausser im Hinblick auf die Derogationswirkung der Gerichtsstandsvereinbarungen, die nach Artikel 23 Absatz 3 LugÜ ungeachtet des Wohnsitzes der Parteien eintritt)». Das HGvÜ habe «also einen breiteren Anwendungsbereich als das LugÜ», lasse «diesem aber in den in seinem Artikel 26 genannten Situationen den Vorrang».

Mögliche Konflikte zwischen HGvÜ und LugÜ In vielen Fällen werde also das LugÜ «weiterhin zur Anwendung kommen», etwa «wenn beide Parteien ihren

Wohnsitz in einem durch das LugÜ gebundenen Staat haben, oder wenn nur eine der Parteien ihren Wohnsitz in einem durch das LugÜ gebundenen Staat hat, während sich die andere Partei nicht in einem HGvÜ-Vertragsstaat aufhält». Weiter gibt die Eidgenossenschaft in ihrer Botschaft zu bedenken, dass mögliche Konflikte zwischen den beiden Übereinkommen «in Bezug auf die Anerkennung und Vollstreckung» dadurch abgewendet werden, «dass das HGvÜ die Anwendung anderer Vertragstexte (insbesondere des LugÜ) nicht berührt, wenn sie eine gleichwertige Anerkennung ermöglichen». Echte Konfliktsituationen, die laut der

Vernehmlassungsteilnehmer «selten vorkommen dürften», sollen dann den Gerichten überlassen werden. Als zweiter Knackpunkt des HGvÜ könnte sich dessen begrenzte Reichweite herausstellen. Angesichts der wachsenden Spannungen zwischen den USA und China ist es fraglich, inwiefern sich die Politik aus Haftungsfragen und Streitigkeiten künftig heraushalten will. Ein gänzlich unpolitisches Handelsrecht, das auch in Ländern gilt, die man de facto als Konkurrenten sieht, könnte auf den letzten Metern doch noch fallengelassen und damit nicht umgesetzt werden. Im Spiel von Sanktionen und Zöllen, die monatlich verhängt oder wieder fallengelassen werden, sind langfristig vereinbarte Übereinkommen, die nicht mal eben ausgesetzt werden können, ohne ganze Rechtssysteme lahmzulegen, nicht «en vogue». Wenn in Regierungsmannschaften zunehmend weniger Rechtsexperten sitzen, verheisst das für die Zukunft eines globalen Rechts, das ein einfacheres und trotzdem sichereres Wirtschaftsleben befördern will, nichts Gutes.

zwischen der EU, Island, Norwegen, Schweiz und Dänemark «insgesamt bewährt hat, kann der Blick dennoch nicht vor der Tatsache verschlossen werden, dass sich das EU-interne Zivilprozessrecht in den letzten Jahren stark weiterentwickelte, während das LugÜ auf dem Stand von 2007 verharrt». Die mit dem HGvÜ einhergehende Rechtssicherheit bedeute vor allem auch einen «grösstmöglichen Schutz des Parteiwillens vor staatlicher Intervention».    Für den Rechts- und Gerichtsstandort Schweiz könnte die Teilhabe am Übereinkommen nicht zu übersehende Folgen haben, da die Schweiz nun weiterhin oder «endlich wieder» als unabhängiger und hochkarätiger Standort angesehen werden sollte. So wittern einige Kantone bereits ihre Chance und planen, neue Gerichte für internationale Handelsstreitigkeiten zu etablieren. «Das HGvÜ ist noch aus einem weiteren Grund für die Schweiz wichtig. In verschiedenen Kantonen (BE, GE, ZH) wird aktuell die Errichtung von spezialisierten Gerichten für internationale Handelsstreitigkeiten diskutiert. Solche Gerichte wurden in den letzten Jahren auch in Singapur, Frankreich, Deutschland, Belgien und den Niederlanden eingeführt. All diese Länder sind nicht nur wichtige Handelspartner der Schweiz, sondern auch direkte Konkurrenten im Markt für juristische Dienstleistungen. Voraussetzung für den wirtschaftlichen Erfolg von Handelsgerichten für internationale Streitigkeiten ist die spätere Anerkennung und Vollstreckung ihrer Entscheidungen im Ausland. Nachdem in den letzten Jahren bereits die Attraktivität der Schweiz als Standort für Schiedsgerichte erhöht wurde, sollte nun auch die staatliche Gerichtsbarkeit gestärkt werden, damit die Schweiz ihre führende Position im Rechtsdienstleistungsbereich behalten kann.»

(Botschaft zur Genehmigung und Umsetzung des Haager Übereinkommens über Gerichtsstandsvereinbarungen vom 24. Mai 2023)

«Die Zusammenschau der einschlägigen Bestimmungen des HGvÜ und des LugÜ zeigt, dass positive Zuständigkeitskonflikte nicht ganz auszuschliessen sind. Dies betrifft v.a. den Fall, dass eine Partei ihren Aufenthalt in einem Staat hat, der beiden Übereinkommen angehört (z.B. inskünftig Schweiz), während sich die andere Partei in einem ausschliesslichen HGÜ-Staat aufhält (z.B. Singapur). (…) Je einheitlicher ein internationales Übereinkommen in den Vertragsstaaten ausgelegt wird, desto grösser ist der Gewinn an Rechtssicherheit. Wegen seiner Einbindung in das supranationale ziviljustizielle System der EU mit dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) als zentraler Auslegungsinstanz verfügt das LugÜ insoweit über einen Vorteil, zu dem das rein völkerrechtlich konzipierte HGvÜ keine Entsprechung aufweisen kann.»

(Dr. Dirk Trüten in: Die Schweiz im europäischen und internationalen zivilprozessualen Rechtsraum – Stand und Perspektiven“, EuZ – Zeitschrift für Europarecht Nr. 8/2023)

«Eine spannende Chance für die Schweiz, ein internationaler Handelsgerichtshub zu werden»

Das Haager Übereinkommen über Gerichtsstandsvereinbarungen (HGvÜ) tritt in der Schweiz am 1. Januar 2025 in Kraft und soll die internationale Gerichtszuständigkeit und die grenzüberschreitende Anerkennung von Entscheidungen regeln.

Hans-Ulrich Kupsch, Rechtsanwalt, Partner und Head Litigation & Arbitration der Wirtschaftskanzlei Blum & Grob Rechtsanwälte AG, erläutert, was der Beitritt zum HGvÜ für die Schweiz rechtlich und wirtschaftlich bedeutet.

Herr Kupsch, der Bundesrat sagt, der Beitritt zum Haager Übereinkommen mache grenzüberschreitende Rechtsstreitigkeiten für Unternehmen berechenbarer und senke die Verfahrenskosten. Sehen Sie das auch so? Die Verfahrenskosten des jeweiligen Gerichtsverfahrens bleiben die gleichen. Die Rechtskosten von Unternehmen, die mit grenzüberschreitenden Streitigkeiten konfrontiert werden, können sich aber durch das Übereinkommen trotzdem senken, wenn statt verschiedenen möglichen Gerichtsständen nur einer infrage kommt. Man sieht sich sonst bisweilen genötigt, im Vorfeld gerichtlicher Schritte in verschiedenen Jurisdiktionen zu analysieren, ob die Gerichte dort eine Zuständigkeit bejahen, welches Recht diese Gerichte in der Sache anwenden würden, wie die Chancen nach diesem Recht stehen, mit welchen Verfahrenskosten und welcher -dauer zu rechnen ist. Mit einer sauberen Gerichtsstandsvereinbarung liess sich dies aber auch bereits bisher weitgehend vermeiden. Es ist ja nicht so, dass mit dem HGvÜ das Institut der Gerichtsstandsvereinbarung überhaupt erst erfunden wird, sondern die Vereinbarung soll Lücken schliessen und so für mehr Rechtssicherheit sorgen. Die Aussage ist aber richtig: Ja, das HGvÜ kann dazu beitragen, Streitigkeiten berechenbarer und kostengünstiger zu machen.

Wo wird es für Unternehmen denn konkret verbindlicher und damit auch einfacher werden? Gibt es Beispiel-Fälle, die sich im nächsten Jahr tatsächlich einfacher lösen lassen?

Im nächsten Jahr wird sich durch das HGvÜ wenig ändern, denn anwendbar ist es in der Schweiz ohnehin nur

für Gerichtsstandsvereinbarungen, die nach der Inkraftsetzung in der Schweiz abgeschlossen wurden. Die Vertragsstaaten des HGvÜ und so auch die Schweiz sind jedoch dazu verpflichtet, Urteile aus einem anderen Vertragsstaat anzuerkennen und zu vollstrecken, ohne dessen Begründetheit zu überprüfen. Dies soll sicherstellen, dass die gefällte Entscheidung auch tatsächlich ihre Wirkung entfaltet. Das Übereinkommen über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivilund Handelssachen (Lugano-Übereinkommen, LugÜ), welches grundsätzlich für die EU und für die EFTA-Staaten Schweiz, Norwegen und Island (ohne Liechtenstein) gilt, regelt die gerichtliche Zuständigkeit sowie die Anerkennung und Vollstreckung von Urteilen in Zivil- und Handelssachen zwischen den Vertragsstaaten. In dem Anwendungsbereich des LugÜ ändert sich also auch hinsichtlich der Anerkennung nichts. Verbindlicher und einfacher wird die Situation für Unternehmen aber sicherlich in Bezug auf Streitigkeiten mit Parteien aus dem Vereinigten Königreich. Dort hat der Brexit dazu geführt, dass das LugÜ nicht mehr gilt. Hier wird eine wichtige und als störend empfundene Lücke geschlossen. Zudem gibt es einige wenige Länder, die beim HGvÜ Mitglied sind, nicht aber beim LugÜ (so beispielsweise Mexiko und Singapur). Auch im Rechtsverkehr mit diesen Ländern ist das Abkommen hilfreich. Zur wirklichen Bereicherung wird das Übereinkommen aber erst, wenn noch mehr Länder das Übereinkommen ratifizieren, die nicht schon LugÜ-Mitglieder sind, z.B. Haupthandelspartner der

Blum&Grob

Steckbrief

Rechtsanwalt

Die Schweizer Wirtschaftskanzlei Blum&Grob berät Privatkunden und Unternehmen bei allen Fragestellungen des Wirtschaftsrechts. Hans-Ulrich Kupsch ist seit 2012 Partner in Wirtschaftsrechtskanzleien in Zürich. Er vertritt schweizerische und internationale Klienten in wirtschaftsrechtlichen, häufig grenzüberschreitenden Streitigkeiten vor staatlichen Gerichten in der Schweiz und vor internationalen Schiedsgerichten.

Mehr Informationen unter blumgrob.ch

Schweiz wie die USA oder China. Die Inkraftsetzung in der Schweiz ist also nur ein Etappenziel. Die Schweiz sollte sich zum Ziel setzen, dass die Vereinbarung von möglichst vielen Handelspartners akzeptiert wird und sie entsprechend promoten.

Wird das HGvÜ auch das als klägerfreundlich eingestufte «Forum Shopping» eindämmen?

Kantone englischsprachige, internationale Handelsgerichte einrichten und weil die ausländischen Vertragsstaaten des HGvÜ das in der Schweiz ergangene Urteil dann auch anerkennen und vollstrecken müssen, wird dies sicherlich als Vorteil empfunden. Üblicherweise werden ja auch Gerichtsstand und anwendbares Recht im Paket vereinbart. Natürlich fühlen sich Schweizer Unternehmen wohler, wenn sie ihre Verträge unter Schweizer Recht und mit einem heimischen Gerichtsstand abschliessen. Ich sage aber in Bezug auf den Vorteil bewusst «empfunden», denn vielleicht wäre ja auch für ein solches KMU im konkreten Fall viel vorteilhafter, wenn der Gerichtsstand im Ausland wäre.

In der «Botschaft zur Genehmigung und Umsetzung des Haager Übereinkommens über Gerichtsstandsvereinbarungen» vom 24. Mai 2023 heisst es, dass besonders KMU in der Vergangenheit unter den Rechtsunsicherheiten zu leiden hatten. Können Sie das aus Ihrer Erfahrung bestätigen? Nein, denn in den allermeisten Rechtsstreitigkeiten, die ich in der letzten Zeit für KMU geführt habe, war der Gerichtsstand kein Streitpunkt. Aber ich verstehe das Argument: Für ein KMU ist es eine viel unangenehmer empfundene Situation, wenn man im Ausland in Verfahren involviert wird, als für ein global tätiges Unternehmen. Wenn das HGvÜ den KMU leichter macht, in ihren Verträgen einen Schweizer Gerichtsstand auszuhandeln, z.B. weil es im Zuge dieser Initiative möglich wird, dass einige zu subventionieren. Zudem müssen die Gerichte dann ihre Kapazitäten kräftig aufstocken, auch das Bundesgericht. Viele Gerichtsverfahren dauern heute viel zu lange. Bleiben die Kapazitäten gleich, kommen aber durch das HGvÜ noch mehr Fälle, so wäre das nicht gut. Die Qualität der Rechtsprechung in der Schweiz ist aber hoch. Ich sehe also vor allem für ausländische Unternehmen einen Vorteil, wenn sie mit anderen ausländischen Handelspartnern ein staatliches Gerichtsverfahren in der Schweiz und auf Englisch vereinbaren können und so Rechtsprechung «made in Switzerland» bekommen.

Das HGvÜ kann dazu beitragen, Streitigkeiten berechenbarer und kostengünstiger zu machen.

Inwieweit ist die von mehreren Kantonen geplante Errichtung von spezialisierten Gerichten für internationale Handelsstreitigkeiten von Bedeutung? Für die Schweizer Unternehmen kann dies ein Verkaufsargument für den Gerichtsstand Schweiz sein. Gedacht ist diese neue Institution aber vor allem auch für internationale Streitigkeiten, bei denen die Schweiz ein neutraler Gerichtsstand ist, so wie dies in internationalen Schiedsstreitigkeiten funktioniert, in denen sich Zürich und Genf als attraktive Standorte positioniert haben. Das ist eine Entwicklung, auf die ich sehr gespannt bin. Für solche internationalen Streitigkeiten müssten die Gerichtsverfahren aber kostdeckend sein. Ich sehe es nicht als Aufgabe des Schweizer Staates an, solche Verfahren

Das Erheben von negativen Feststellungsklagen (Torpedo-Klagen) bei einem besonders langsamen Gericht, um die Leistungsklage der anderen Partei mit der Einrede der anderweitigen Rechtshängigkeit zu blockieren (Forum Shopping) ist eine Prozesstaktik, welche z.B. unter dem LugÜ noch beschränkt möglich ist. Forum Shopping kann also Instrument für Kläger wie auch Beklagte sein. Das HGvÜ schliesst jedoch Parallelverfahren dadurch aus, dass die Gerichte in den anderen Vertragsstaaten ein neues Verfahren in dieser Jurisdiktion grundsätzlich auszusetzen bzw. die Klage abzuweisen haben. Das Argument der anderweitigen Rechtshängigkeit ist im HGvÜ nicht zulässig. In diesem Sinne stimmt es, dass das Forum Shopping durch das HGvÜ eingedämmt wird.

Wie wird sich das HGvÜ in den nächsten Jahren entwickeln? Es ist zu hoffen, dass weitere wichtige Staaten wie die USA oder China das Übereinkommen ratifizieren. Dies auch vor dem Hintergrund, dass die Einbindung der USA in das internationale System der Urteilsanerkennung ein Hauptziel des HGvÜ darstellte und seine Regelungen erst dann ihr volles Potenzial entfalten würden. Ausserdem hätte die Ratifizierung durch die USA auch eine Sogwirkung auf andere Staaten. Das Ergebnis der Wahlen in den USA trübt allerdings die Aussichten dafür. Mich würde wundern, wenn sich die USA in den nächsten vier Jahren um internationale Rechtsvereinheitlichung bemühen würden.

«Die Schweiz braucht eine global kompatible Nachhaltigkeitsregulierung»

Unternehmen müssen sich um ihre Nachhaltigkeitsberichterstattung und entsprechende Transparenz kümmern, EU-Gesetze im Blick haben und Innovationen angehen. Erich Herzog, beim Dachverband der Schweizer Wirtschaft, economiesuisse Mitglied der Geschäftsleitung und Bereichsleiter Wettbewerb & Regulatorisches, bewertet im Interview die wichtigsten Herausforderungen für Unternehmen.

VON RÜDIGER SCHMIDT-SODINGEN

Herr Herzog, wie stark beeinflusst die Nachhaltigkeitsberichterstattung den Arbeits- und Rechtsalltag der hiesigen Unternehmen?

Schweizer Unternehmen investieren bereits heute erheblich in Nachhaltigkeit und haben diese tief in ihre Geschäftsmodelle integriert. In den drei zentralen Bereichen – Umwelt, Soziales und Wirtschaftlichkeit – ist gelebte Nachhaltigkeit für viele Unternehmen längst ein umfassender Bestandteil guter Unternehmensführung. Allerdings stellen die heutigen Berichts- und Offenlegungspflichten im Bereich der Nachhaltigkeit bereits einen erheblichen administrativen Aufwand dar. Die zunehmende Komplexität dieser Berichtspflichten bringt besonders für kleine und mittlere Unternehmen (KMU) erhebliche Herausforderungen mit sich. Die vom Bundesrat nun vorgeschlagene Verschärfung im Bereich nicht-finanzielle Berichterstattung zielt darauf ab, die Kompatibilität der Berichterstattung zu erhalten. Dies ist

grundsätzlich sinnvoll. Doch der Fokus des bundesrätlichen Entwurfes liegt zu stark auf den Entwicklungen in der EU, während globale Standards und internationale Trends zu wenig berücksichtigt werden. Deshalb muss die Schweiz im Verhältnis zur EU im Bereich der Nachhaltigkeitsregulierung eigene Regulierungsansätze entwickeln, die auf die spezifischen Bedürfnisse und Stärken unserer Wirtschaft zugeschnitten sind. Das Ziel muss sein, Transparenz, Vergleichbarkeit und Kompatibilität mit internationalen Entwicklungen zu schaffen, nicht ausschliesslich mit denjenigen der EU. Die Schweiz hat dabei politisch die Möglichkeit und Verantwortung, eigenständige Lösungen zu entwickeln, die sowohl mit den EU-Vorschriften kompatibel sind als auch den globalen Anforderungen entsprechen. Dies ermöglicht den Unternehmen, ihre Nachhaltigkeitsanstrengungen fortzusetzen, ohne durch unnötigen bürokratischen Aufwand behindert zu werden.

Sie haben für die Nachhaltigkeitsberichterstattung eine «Dreiecksherausforderung» skizziert. Wie sieht diese aus?

Die «Dreiecksherausforderung» besteht aus drei eng miteinander verbundenen Aspekten, die bei der Gestaltung der Nachhaltigkeitsberichterstattung berücksichtigt werden müssen. Die Schweiz muss erstens eigene Regulierungsansätze entwickeln, die auf die spezifischen Bedürfnisse und Strukturen unserer Wirtschaft zugeschnitten sind. Anstatt EU-Vorschriften direkt zu übernehmen, sollten wir Lösungen schaffen, die unsere Unternehmen stärken und ihnen ermöglichen, im internationalen Wettbewerb erfolgreich zu sein. Im Rahmen der Bilateralen III haben wir zweitens die Möglichkeit, eigenständige Regelungen zu erarbeiten, die dennoch kompatibel mit den EUVorschriften sind. Dies ist wichtig, um den Handel und die Zusammenarbeit mit unseren europäischen Partnern zu gewährleisten, ohne unsere wirtschaftliche Souveränität aufzugeben. Drittens sollte die Nachhaltigkeitsregulierung ihren eigentlichen Zweck – die Förderung nachhaltiger Geschäftspraktiken – nicht durch übermässige Bürokratie und administrative Hürden gefährden. Es ist entscheidend, dass die Regelungen praktikabel, effizient und für

Unternehmen aller Grössenordnungen umsetzbar sind. Diese Herausforderung erfordert einen ausgewogenen Ansatz, der die Bedürfnisse der Wirtschaft mit den Anforderungen an Nachhaltigkeit in Einklang bringt.

Sehen Sie in den zunehmenden Regulierungsbestrebungen eine Gefahr für die Schweizer Wirtschaft? Ja, Regulierung und Innovation vertragen sich schlecht. Die zunehmenden Regulierungsbestrebungen stellen damit eine erhebliche Gefahr für die Schweizer Wirtschaft dar, wenn sie unreflektiert übernommen werden. Dies betrifft insbesondere der EUGreen Deal, der eine Vielzahl komplexer Regelwerke wie die Corporate Sustainability Reporting Directive (CSRD) und die Corporate Sustainability Due Diligence Directive (CSDDD) umfasst. Diese Regelungen verfolgen gesamthaft einen industriepolitischen Ansatz und zielen darauf ab, die EU als globalen Standardsetzer für Nachhaltigkeit zu positionieren. Eine direkte Übernahme dieser Regulierungen würde nicht zu unserem Wirtschaftssystem passen und unsere Unternehmen,

darunter insbesondere die KMU, mit übermässigem bürokratischem Aufwand belasten und ihre Wettbewerbsfähigkeit schwächen.

Driften die politischen Ambitionen und die wirtschaftlichen und rechtlichen Möglichkeiten, wenn es etwa um die Geschwindigkeit geforderter Umsetzungen geht, Ihrer Meinung nach zu stark auseinander?

Ja, es gibt oft eine deutliche Diskrepanz zwischen den politischen Ambitionen und den tatsächlichen wirtschaftlichen sowie rechtlichen Möglichkeiten der Unternehmen. Politische Entscheidungsträger setzen häufig ambitionierte Ziele und straffe Zeitpläne, die in der Praxis für Unternehmen schwer umsetzbar sind. Insbesondere die Geschwindigkeit, mit der neue Regulierungen eingeführt werden sollen, kann für Unternehmen eine enorme Belastung darstellen.

Sie werben dafür, dass Nachhaltigkeit nicht allein vom Staat definiert werden sollte. Inwiefern sollten und können Unternehmen an einer Definition mitarbeiten?

Es gibt im Bereich der Nachhaltigkeit eine grundlegende Erkenntnis: Der Staat kann Nachhaltigkeit nicht in ihrer Gesamtheit definieren. Stattdessen braucht es eine marktgetriebene Steuerung, bei der Kapitalmärkte und Konsumenten durch Transparenz und Eigenverantwortung die Entwicklung prägen. Unternehmen spielen hier eine zentrale Rolle. Sie agieren in einem Umfeld, in dem Marktkräfte, Innovation und Nachhaltigkeitsinitiativen sich gegenseitig befruchten. Diese unternehmerische Dynamik ist ein entscheidender Treiber für die nachhaltige Transformation.

Welche Fallstricke birgt das umstrittene EU-Lieferkettengesetz (CSDDD) für die hiesigen Unternehmen?

Die Sorgfaltspflichten, die im Zentrum der CSDDD stehen, sind grundsätzlich kein neues Konzept und finden sich auch in den überarbeiteten OECD-Leitlinien für multinationale Unternehmen (OECD MNE Guidelines). Grosse Schweizer Unternehmen wenden diese Leitlinien bereits heute an. Besonders kleinere und mittlere Unternehmen, die bislang weniger stark reguliert waren, dürften

durch die neuen Anforderungen aber stark gefordert werden. Ein weiterer Aspekt, der für Schweizer Unternehmen problematisch werden könnte, ist die geplante staatliche Unterstützung in der EU zur Entlastung der betroffenen Unternehmen. In der Schweiz, wo der Fokus auf marktwirtschaftlichen Lösungen und unternehmerischer Selbstverantwortung liegt, kann ein vergleichbarer Ansatz nicht die Antwort sein. Sie sprechen als Dachverband immer wieder die Gefahr an, dass Unternehmen angesichts der zunehmenden Regulatorien hilflos sind oder unter enormem Stress stehen. Sehen Sie denn eine Möglichkeit, dass sich Unternehmen, etwa mithilfe ihrer Rechtsabteilungen, aktiv und vorausschauender auf mögliche Anpassungen vorbereiten können?

Ja, Unternehmen können und sollten proaktiv handeln, um sich auf zukünftige Regulierungen vorzubereiten. Die Rechts- und Compliance-Abteilungen spielen hierbei eine wichtige Rolle. Durch eine frühzeitige Beobachtung internationaler Entwicklungen und eine aktive Teilnahme an Dialogen mit

Regulierungsbehörden können Unternehmen Strategien entwickeln, um neue Anforderungen effizient umzusetzen. Das Thema muss dabei aber zwingend auch ins strategische und operative Management der Unternehmen einfliessen.

Schliesslich muss die Schweiz auch eine Regulierungsumgebung zur Verfügung stellen, die nicht unnötig komplex und bürokratisch ist.

Unternehmen brauchen Visionen. Wo werden Schweizer Unternehmen denn in fünf oder zehn Jahren stehen – und wie werden sie angesichts einer geänderten Corporate Governance arbeiten?

Steckbrief

Erich Herzog; Geschäftsleitungsmitglied und Leiter des Bereichs Wettbewerb & Regulatorisches bei economiesuisse, verfügt über langjährige Erfahrung an der Schnittstelle von Wirtschaft, Recht und Politik. Seine berufliche Laufbahn als Anwalt und Inhouse Counsel bildet die Grundlage für seine heutige Arbeit, in der er an der Gestaltung regulatorischer Rahmenbedingungen beteiligt ist, die den Erfolg der Schweizer Wirtschaft sichern.

economiesuisse, der grösste Dachverband der Schweizer Wirtschaft, vertritt über 100‘000 Unternehmen und rund 2 Millionen Arbeitsplätze. Der Verband setzt sich dafür ein, die Wettbewerbsfähigkeit und Standortattraktivität der Schweiz zu stärken und fördert eine liberale und nachhaltige Marktwirtschaft, die wirtschaftliche, soziale und ökologische Ziele im Einklang hält.

In fünf bis zehn Jahren werden Schweizer Unternehmen noch stärker in die globalen Nachhaltigkeitstrends integriert sein und in einem zunehmend regulierten Umfeld agieren. Zukunftsorientierte Unternehmen in der Schweiz werden verstärkt auf technologische Innovation setzen, um ihre Nachhaltigkeitsziele effizient zu erreichen und ihre Position im globalen Wettbewerb zu stärken. Dies umfasst den Einsatz von Datenanalyse, Digitalisierung und die Entwicklung neuer Geschäftsmodelle, die auf Kreislaufwirtschaft und Klimaneutralität abzielen. Der Fokus wird darauf liegen, dass Schweizer Unternehmen Nachhaltigkeitsberichterstattung und ethische Geschäftsführung nicht als reine Compliance-Aufgabe sehen können, sondern als Chance, langfristig Wert zu schaffen. Unternehmen, die diese Herausforderungen meistern, werden nicht nur erfolgreich in einer sich wandelnden regulatorischen Landschaft bestehen, sondern auch eine führende Rolle bei der Entwicklung zukunftsfähiger Geschäftsmodelle übernehmen. Es wird entscheidend sein, dass sie ihren Handlungsspielraum voll ausschöpfen und sich flexibel an globale Trends anpassen, ohne sich unnötig durch übermässige Regulierungen einschränken zu lassen.

Die Dreiecksherausforderung besteht aus drei eng miteinander verbundenen Aspekten, die bei der Gestaltung der Nachhaltigkeitsberichterstattung berücksichtigt werden müssen.

Die Digitalisierung zwingt Anwaltskanzleien dazu, sich in einem zunehmend digitalen Markt zu behaupten, um längerfristig wettbewerbsfähig zu bleiben. Der Einsatz von innovativen Technologien kann Anwaltskanzleien im Umgang mit diesen Herausforderungen helfen. Mit der Branchenlösung AbaLaw hält die Abacus Research das ideale Werkzeug für die Digitalisierung aller Aufgaben einer Anwaltskanzlei bereit. Statt unterschiedliche Einzeltools zu kombinieren, profitieren AbaLaw-Anwender von einem nahtlos integrierten Ökosystem mit KI-Funktionen, das gleichzeitig höchste Sicherheit bietet, einfach zu bedienen ist und die Effizienz im anwaltlichen Alltag signifikant steigert.

Wie praktisch alle Branchen können auch Anwaltskanzleien stark von der Digitalisierung sowie von Künstlicher Intelligenz profitieren. Geschäftsprozesse, die bisher mit umständlichem Papierverkehr verbunden waren, lassen sich mit geeigneter Software schneller, angenehmer und fehlerfreier abwickeln. Neuartige Instrumente wie qualifizierte digitale Signaturen oder sichere Dokumentenplattformen mit dem Datenstandort Schweiz gewährleisten die Rechtskonformität der digitalisierten Prozesse.

Ökosystem statt Einzellösungen Verschiedene Aufgaben mit völlig unterschiedlichen Softwaretools zu erledigen, ergibt wenig Sinn, da Medienbrüche so nicht völlig ausgemerzt werden können und die Integration der verschiedenen Tools kaum je perfekt daherkommt. Abacus verfolgt mit der Branchenlösung AbaLaw, die speziell auf die Bedürfnisse der Rechtsanwaltschaft abgestimmt ist, einen anderen Ansatz: Ein umfassendes Ökosystem deckt alle Aspekte der Anwaltstätigkeit ab und spiegelt sich in einer integrierten Plattform wider, die zu mehr Effizienz verhilft und die Abläufe des anwaltlichen Alltags optimiert. Im Zentrum des AbaLaw-Ökosystems steht die Lösung AbaPlato, die Mandatsmanagement, Fakturierung sowie mandatsorientierte Zeit- und Leistungserfassung gewissermassen als Motor des Ökosystems übernimmt. Mit AbaPlato lässt sich die Kundschaft vollständig digital onboarden, und es entstehen digitale Kundendossiers, die sämtliche Sicherheitsstandards abdecken. Im digitalen Kundendossier sind alle Dokumente, Rechts- und Beweismittel zu einem Fall gespeichert. Dank leistungsstarken Office-Add-Ins können Dokumente im gewünschten Microsoft-Produkt einfach weiterbearbeitet werden – die Synchronisation zwischen den beiden Programmen läuft voll automatisch. Auch E-Mails und deren Anhänge können aus dem Microsoft Outlook direkt im Dossier abgelegt werden.

Mit der im November vorgestellten und in AbaPlato integrierten Abacus Intelligence beginnt eine neue Ära: AbaPlato ist eine intelligente Software, die mitdenkt. Der Einsatz von Künstlicher Intelligenz eröffnet neue Welten und bringt mit technologischer Innovationskraft greifbaren Mehrwert für Geschäftsprozesse. Ein Beispiel dafür ist die automatische Textgenerierung. Abacus Intelligence verwandelt einzelne Stichwörter wie von Zauberhand in einen Fliesstext. Für Anwaltskanzleien bietet diese Funktion insbesondere bei der Erstellung von Abrechnungstexten, bei der Rapportierung oder bei der Berichterstattung über die erfolgten Leistungen eine wesentliche Entlastung. Abacus Intelligence erstellt professionelle Texte in Sekundenschnelle. Auch bei Fragen rund um die Abacus Software steht Abacus Intelligence mit Rat und Tat zur Seite. Ein integrierter Chat liefert strukturierte Informationen zu Fragen und gibt wertvolle Tipps rund

Digitale Transformation

Wie die Software AbaLaw die Zukunft von Kanzleien gestaltet

Fortschreitende Digitalisierung, veränderte Arbeitsweisen oder die Verarbeitung von grossen Datenmengen – Anwaltskanzleien stehen vor zahlreichen Herausforderungen im Arbeitsalltag.

um die Nutzung der Abacus Software. Mit DeepLaw steht Ihnen eine virtuelle Assistentin mit Erfahrung im Schweizer Recht zur Seite.

Die App AbaClik AI gewährleistet, dass Anwältinnen und Anwälte jederzeit und von überall auf ihre Mandantendossiers zugreifen können. Zusätzlich kann die App für Zeit- und Leistungserfassung eingesetzt werden. Das Beste daran: Die Steuerung per Spracheingabe! AbaClik AI bucht Leistungen direkt per Spracheingabe auf ein Mandat– und erkennt dabei jede erdenkliche Sprache. Sogar Schweizerdeutsch funktioniert problemlos.

Auch die Plattform justitia.swiss für den elektronischen Rechtsverkehr ist ins Ökosystem integriert. Zukünftig wird der Briefpost-Weg sowie auch der Mailverkehr ersetzt und die finalen gültigen Dokumente können zentral über AbaPlato digital mit dem Gericht ausgetauscht werden. Dank der Schnittstelle zu Octoiur können Rechtsschriften und Beweismittel einfach und schnell zusammengefasst und für das Gericht aufbereitet werden. AbaLaw umfasst auch Werkzeuge für die einfache und qualifizierte digitale Signatur. Dazu kommen verschiedene weitere Bausteine für spezifische Aufgaben wie etwa Hoop für voll digitalisierte Firmengründungen und Mutationen. Und vielleicht das

Wichtigste: AbaLaw ist wirklich einfach zu bedienen, überzeugt durch modernes Design und integriert die verschiedenen Lösungen optimal, sodass eine Gesamtlösung wie aus einem Guss entsteht.

Zukunft Anwaltsportal

Mit dem Anwaltsportal treten Anwaltskanzleien in einen direkten und digitalen Dialog mit den Mandanten. Das Portal ermöglicht einen sicheren, unkomplizierten digitalen Datenaustausch mit KI-gestützter Dokumentenerkennung. Die Klientschaft sieht auf einen Blick, welche Dokumente dem Anwalt oder der Anwältin für eine erfolgreiche Bearbeitung des Falls noch fehlen, und kann diese direkt digital im Portal hochladen. Dokumente können zusätzlich direkt über das Portal signiert werden. Das Anwaltsportal kann im Corporate Design des Anwalts ausgestaltet und orts- und zeitunabhängig aufgerufen werden.

Hoher Nutzen garantiert AbaLaw ist ein digitales Anwaltsuniversum, das Mandanten, Anwaltskanzleien und Behörden vernetzt und Prozesse durch digitale Kommunikation einfacher, schneller und sicherer macht. AbaLaw hat sich in der Praxis bereits bewährt. In der Administration fallen viele früher zeit- und ressourcenintensive

Steckbrief

Das Schweizer Software-Unternehmen Abacus Research AG entwickelt integrierte betriebswirtschaftliche Standardsoftware für KMU – darunter auch die Software AbaLaw für Anwaltskanzleien. Mit über 65‘000 Kunden ist es Marktführer in der Schweiz. Die Abacus Gruppe beschäftigt rund 800 Mitarbeitende. Der Hauptsitz befindet sich in Wittenbach/St.Gallen, weitere Schweizer Niederlassungen sind in Biel, Genf, Lugano, Thalwil, Winterthur und St.Fiden/St.Gallen.

Mehr Informationen unter abacus.ch

manuelle Prozesse weg, Vorgänge laufen automatisiert ab oder werden durch Abacus Intelligence unterstützt. Darüber hinaus unterstützt AbaLaw als Browser- und Mobile-Lösung moderne Arbeitsformen und ermöglicht ein sicheres, effizientes Arbeiten von überall. Mit Justitia 4.0 dürfte es in der Schweiz einen Digitalisierungsschub geben, denn für die elektronische Einreichung der Dokumente müssen diese digital vorliegen und verwaltet werden. Die Digitalisierung bietet Anwaltskanzleien enorme Chancen, effizienter zu arbeiten und Mandanten besser zu

bedienen. Gleichzeitig müssen Kanzleien in Technologie investieren, ihre Arbeitsweise anpassen und sich auf veränderte Mandantenbedürfnisse einstellen. Anwältinnen und Anwälte, die diesen Wandel aktiv gestalten, werden langfristig profitieren, während diejenigen, die sich dem Fortschritt verschliessen, Gefahr laufen, den Anschluss zu verlieren. Möchten Sie mehr über die Softwarelösung AbaLaw erfahren? Dann kontaktieren Sie unser AbaLaw-Team für ein unverbindliches Gespräch: abalaw@abacus.ch

Valmira Saiti Lead of Business Development Anwaltskanzleien

Intellectual Property

« Risikomanagement und mehr Awareness im Bereich des geistigen Eigentums»

Besteht heute noch ein Bewusstsein bei Schweizer Unternehmen für den Schutz von geistigem Eigentum?

Peter Widmer, Rechtsanwalt und Partner der Kanzlei FMP Fuhrer Marbach & Partner, über aktuelle Herausforderungen im Immaterialgüterrecht.

Herr Widmer, Sie sind seit drei Jahrzehnten Experte für Immaterialgüterrecht. Wie wichtig sind Immaterialgüterrechte heute?

Immaterialgüterrechte sind natürlich immer noch wichtig, sie sind aber heute auf der Agenda von Unternehmen in viel härterer Konkurrenz mit anderen rechtlichen Herausforderungen. Wir sprechen ja hier über IP, also geistiges Eigentum, welches bei den meisten KMU und grösseren Unternehmen einen wesentlichen Teil des immateriellen Werts ihres Unternehmens ausmacht. IP ist insbesondere deshalb wertvoll, weil es gesetzlich mit weitreichenden Ausschliesslichkeits-, Nutzungs- und Abwehrrechten ausgestattet ist. Wenn wir also von IP sprechen, sind vor allem diese sogenannten Immaterialgüterrechte wie Marken, Designs, Patente oder Urheberrechte von besonderem Interesse.

Was spricht denn für die von Ihnen erwähnte Relevanz?

Ich darf auf einen vom eidgenössischen Institut für geistiges Eigentum (IGE) anfangs 2024 veröffentlichten Artikel verweisen, wonach die Schweiz «als weiterhin führende Innovationskraft» bezeichnet wird, dies insbesondere wegen der Anzahl von Patentanmeldungen von Schweizer Unternehmen. Also ja, IP ist auch heute noch wichtig, auch wenn sich der Stellenwert über die Jahre gemäss meinen Beobachtungen verändert hat.

Was hat sich geändert? Eben, die Konkurrenz mit «anderen rechtlichen Herausforderungen». Je nach Branche stehen in rechtlichen Belangen strenge regulatorische Vorgaben im Vordergrund – hier ist «Compliance» das Zauberwort. Geht es hingegen um «kreative» Vertriebsstrukturen oder Fragen einer möglicherweise marktbeherrschenden Stellung bei einem Unternehmen, haben kartellrechtliche Überlegungen schnell einmal Priorität. Bearbeitet das Unternehmen «big data», stellen sich komplexe datenschutzrechtliche Fragen. In all diesen Bereichen bestehen unmittelbare und hohe Sanktionsrisiken, welche ein Unternehmen finanziell schmerzhaft treffen können. Diese risikofokussierten Überlegungen sind natürlich auch für die Mittelallokation für die Bearbeitung juristischer Fragen in einem Unternehmen zentral. Die grössten Risiken werden gewöhnlich auch mit dem grössten Budget für möglich Rechtsfälle abgedeckt.

Kommt das Immaterialgüterrecht in Unternehmen aufgrund all dieser konkurrierenden Risiken unter die Räder?

Nein, überhaupt nicht. Vielmehr hat die Digitalisierung in den letzten dreissig Jahren zu einer dramatischen Transformation ganzer Industrien und Lebensbereiche geführt: Die Einführung immer effizienterer Datenverarbeitungssysteme, die Ablösung von analogen Text-, Bild- und Tonformaten durch digitale Dateien und das Aufkommen von PCs bzw. danach von Smartphones sind nur einige Beispiele. Und in all diesen Bereichen sind Immaterialgüterrechte ein zentraler Treiber der Innovation, indem sie etwa den technologischen Vorsprung schützen und auch den inneren Wert eines Unternehmens bestimmen. So ist die Frage, ob und wie ein Unternehmen seine IP-Assets schützt, bei allfälligen Transaktionen und Unternehmensbewertungen ein ganz entscheidender Faktor. Immaterialgüterrechte sind aber auch im Bereich des Steuerrechts relevant. Zu denken ist etwa an das Instrument der sog. Patentbox, welche Forschung und Entwicklung fördern soll und im Gegenzug steuerliche Vorteile bietet. Fragen zu IP können sich auch im Beschaffungs- oder Personalwesen stellen. So ist zentral, dass Arbeits- oder Beschaffungsverträge u.a. den Erwerb und die Nutzung von Immaterialgüterrechten regeln, welche im Rahmen eines Arbeitsverhältnisses oder eines Outsourcing-Vertrags für ein Unternehmen geschaffen werden. Aber auch die tägliche Arbeit bringt zahllose IP-relevante Fragenstellungen mit sich: Darf eine Fotografie eines Dritten im Internet kopiert und z.B. auf der eigenen Webseite zu Illustrationszwecken verwendet werden? Software wird täglich

und in allen Bereichen des Unternehmens eingesetzt. Auch hier spielen IPFragen eine entscheidende Rolle, so das Urheberrecht beim Schutz von Computerprogrammen, das Patentrecht bei computerimplementierten Erfindungen oder das Vertragsrecht z.B. bei OpenSource-Lizenzen. Schliesslich ist auch generative künstliche Intelligenz aufs Engste mit IP-Fragen verknüpft. Es ergibt sich also eine immer komplexere IP-Landschaft.

Welche Faktoren bestimmen in einem Unternehmen denn die Mittelallokation für IP-Belange? Das hängt stark von der Branche ab. Entscheidend sind Risiko-basierte Überlegungen. So gehören zum IP-Risikomanagement nicht nur reaktive Massnahmen wie z.B. bei der Verteidigung gegen eine Markenverletzungsklage. Ebenso wichtig sind proaktive Massnahmen zum Schutze der eigenen IPAssets, angefangen bei einem systematischen weitsichtigen Markenschutz bis hin zu einer umfassenden Patent- und Designstrategie zur Absicherung der eigenen Innovationen. Dazu kommen Risiko-mindernde Massnahmen wie «Freedom-to-Operate»-Abklärungen vor der Lancierung neuer Marken oder einer neuen Technologie. Aber auch die kritische Auseinandersetzung mit immaterialgüterrechtlichen Vertragsbestimmungen ist Teil dieser proaktiven Massnahmen: Werden z.B. dem Unternehmen in einem bestimmten Vertrag die erforderlichen Immaterialgüterrechte in dem Umfang eingeräumt, für welche teuer bezahlt wurde?

Steckbrief

FMP Fuhrer Marbach & Partner: One-Stop-Shop-Konzept im Bereich von IP Die Berner Kanzlei FMP Fuhrer Marbach & Partner ist eine international vernetzte Anwaltskanzlei mit Schwergewicht im Wirtschaftsrecht, insbesondere in den Bereichen Immaterialgüter-, Informationstechnologie-, Firmen- und Lauterkeitsrecht sowie im Medien- und Werberecht. FMP berät ihre nationale und internationale Mandantschaft in all diesen Bereichen und vertritt sie vor Gericht, einschliesslich vor dem Bundespatentgericht, dem Bundesverwaltungsgericht und dem Bundesgericht.

Mehr Informationen unter fmp-law.ch

Peter Widmer Rechtsanwalt / Partner

Erkennen Unternehmen diese reaktive und proaktive Dimension des IP-Riskmanagements? Ja, in den überwiegenden Fällen verstehen unsere Mandanten diese Zusammenhänge. Proaktive und mitigierende Massnahmen im Bereich von IP sind plan- und budgtierbar. Dies gilt auch für laufende oder anstehende Rechtshändel gegen Dritte. Demgegenüber gibt es im Immaterialgüterrecht immer wieder unvorhersehbare Streitigkeiten, insbesondere wenn es um die Verteidigung gegen Klagen von Drittparteien wegen angeblicher Verletzung von IP geht. Zur «Top-Priorität» wird IP gewöhnlich dann, wenn aufgrund einer angeblichen Verletzung von Immaterialgüterrechten eines Konkurrenten mit einem «show-stopper» zu rechnen

ist. Dabei geht es um sog. vorsorgliche Massnahmen oder einstweilige Verfügungen. So kann ein Gericht im Falle der Verletzung von Immaterialgüterrechten das betroffene Unternehmen zur sofortigen Einstellung gewisser Geschäftsaktivitäten verpflichten. Deshalb braucht es für diese Risiken durchdachte interne Prozesse, um für solche Vorfälle gewappnet zu sein.

Muss denn in Rechtsfällen des Immaterialgüterrechts auch mit strafrechtlichen Konsequenzen gerechnet werden? Sie bringen hier einen wichtigen und oft unterschätzen Punkt auf: Die Verletzung von Immaterialgüterrechten Dritter ist auch strafrechtlich sanktioniert. Strafverfahren haben einen erheblichen «nuissance-factor» für die betroffene Partei: So kann es z.B. bei Markenpiraterie zu Hausdurchsuchungen sowie der Beschlagnahme von Ware mit gefälschten Marken kommen. Schliesslich darf der unternehmensseitige Eskalationsfaktor von Strafverfahren nicht unterschätzt werden: Denn nicht nur das Unternehmen kann in solchen Fällen bestraft werden, sondern auch Mitglieder der Geschäftsleitung oder des Verwaltungsrats.

Ich kann mir zuletzt die Frage nicht verkneifen: Ist guter Rat teuer? Ja, guter Rat ist teuer, aber ein Verzicht auf eine angemessene IP-Strategie kostet erfahrungsgemäss ein Vielfaches. Denn IP-Konflikte sind regelmässig komplex, oft mit internationalem Bezug. Natürlich kann sich ein Unternehmen auch im Bereich von IP auf das «Prinzip Hoffnung» verlassen und die Kosten für proaktive IP-Strategien sparen. Aber wenn diese Rechnung nicht aufgeht und es zum Konflikt mit Dritten in IP-Fragen kommt, wird es oft so richtig teuer und kann im Extremfall für das betroffene Unternehmen existentielle Folgen haben. Kurz: Aufgrund der immer komplexeren IP-Landschaft ist Risikomanagement und entsprechend erhöhte Awareness im Bereich von IP wichtiger denn je.

Tatiana

Erbfall wird

Streitfall

Laut eines CEPR-Diskussionspapiers des Lausanner Wirtschaftsprofessors Marius Brülhart hat sich das Schweizer Erbschaftsvolumen in den letzten drei Jahrzehnten verfünffacht. Nicht nur bei Liegenschaften kommt es deshalb immer öfter zu Streitigkeiten, die im schlimmsten Fall Unternehmen lahmlegen oder einen Weiterbetrieb unmöglich machen. Was hilft dagegen?

VON RÜDIGER SCHMIDT-SODINGEN

Das Unternehmen wird zwischen den Erben aufgeteilt. «Die Betriebsstätte geht auf eine Erbengemeinschaft über.» Bei diesen zwei Sätzen klingeln nicht nur in den jeweils betroffenen Chefetagen die Ohren und dann Alarmglocken. Auch Mitarbeitenden schwant schnell, dass ein Nachlass, der Liegenschaften oder Unternehmen einschliesst, von heute auf morgen alles verändern kann – bis zur Geschäftsschliessung und Aufteilung unter den Erbinnen und Erben. Besonders heikel wird es, wenn die vererbten Betriebe oder Immobilien Schulden hatten und Restrukturierungen, die Zeit und Geld brauchen, kurzerhand abgelehnt oder nicht fachmännisch angegangen werden.

Rechtsabteilungen und beratende Kanzleien pochen deshalb auf eine bessere Verständigung im Vorfeld. Grundsätzlich wird die Kommunikation zwischen allen Beteiligten oder Betroffenen eines Nachlasses umso schwieriger, je weniger Kommunikation zuvor, also noch zu Lebzeiten der Erblasserin oder des Erblassers, stattgefunden hat. Fehlende Nachfolgeregelungen oder Notfallpläne für eine ungeplante Nachfolge tragen ausserdem dazu bei, dass sich Familien nicht mit dem Unternehmen, das sie erben werden, auseinandersetzen können oder wollen. Dass sich eingesetzte Erbinnen und Erben viel zu selten persönlich treffen und eine tiefere Verständigung oder Mediation entsprechend nie oder zu spät stattfindet, erschwert die Zukunftspläne von Menschen oder werthaltigen Unternehmungen, die direkt mit dem Erbe in Verbindung stehen, erheblich. Auch der menschliche Charakterzug, durch ein Erbe «schnell Geld sehen» zu wollen, verhindert den Weiterbetrieb von Unternehmen, wenn im Vorfeld nicht rechtzeitig Geschäftsgrundlagen

und Finanzierungen oder Weiterfinanzierungen offen auf den Tisch gelegt und mit den rechtlichen Möglichkeiten und Erwartungen der Erben abgeglichen wurden.

Kein Plan, keine Sicherheit

Liegt kein gültiges Testament vor oder wurde kein Willensvollstrecker benannt, muss sich die Erbengemeinschaft allein auf die Teilung des Erbes einigen. Besonders heikel kann diese eigenverantwortliche Teilung werden, wenn zwar einerseits die Zeit drängt, vor allem innerhalb der «Erbmasse», um Planungssicherheit für die vererbten Immobilien oder Unternehmen zu bekommen, andererseits aber kein Zeitdruck besteht, wann eine solche Teilung und entsprechende Einigung vorgenommen werden muss. Erbengemeinschaften, die sich nicht schnell einigen, sondern bewusst auf Zeit spielen, können entsprechend viel Unsicherheit auslösen, die wortwörtlich an Unternehmen und Gebäuden nagt. Wie soll es weitergehen? Wie wird eine Lösung aussehen? Beide Fragen können, noch bevor es überhaupt zu einer Einigung der Erbinnen und Erben gekommen ist, manches Unternehmen gewaltig unter Druck setzen. Mitarbeitende fühlen sich unwohl, Gerüchte werden kolportiert, einige suchen nach neuen Jobs. Aufteilungen, die sich frühzeitig in einem Erbteilungsvertrag festlegen lassen, verhindern Streitigkeiten und können mithilfe erfahrener, auf Erbrecht spezialisierter Anwälte vertraglich geregelt werden. Auch hier gilt: Je früher ein solcher Vertrag aufgesetzt wird, umso besser. So lassen sich rechtliche Fragen oder auch Ungenauigkeiten noch nacharbeiten, während kurzfristig aufgesetzte Verträge in der «heissen Phase» einer Erbschaft grundsätzlich zu ersten Streitigkeiten und Anfechtungen führen. Eine Notarin oder ein

Notar stellt dazu im Vorfeld den Wert des Nachlasses fest, inklusive des Vermögens, das sich auch auf gesonderte

Verträge, Versicherungsabschlüsse und Wertanlagen erstreckt, und aller Verbindlichkeiten oder auch Schulden.

Liegt kein gültiges

Testament vor oder wurde kein Willensvollstrecker benannt, muss sich die Erbengemeinschaft allein auf die Teilung des Erbes einigen.

Werte feststellen, Werte steigern Bereits bei dieser notariellen Feststellung kann eine gemeinsame Sitzung der begünstigten Personen oder deren Vertreterinnen und Vertreter ratsam sein, um laufende Kosten oder Verbindlichkeiten eindeutig zu lokalisieren, aber auch um entsprechende Privatvermögen von Betriebswerten oder Anteilen am Unternehmen trennen zu können. Auf Basis dieser Werte können Anwältinnen und Anwälte oder involvierte Rechtsabteilungen betroffener Unternehmen zeitnah über Gewinnaussichten und mögliche Wertsteigerungen bei einem Weiterbetrieb des Unternehmens berichten – und so vorschnelle Verkaufs- oder Ausstiegsabsichten, die dann auftreten, wenn Nachfolgen oder Notfälle zu Lebzeiten der Erblassenden zu kurz oder gar nicht fixiert wurden, zerstreuen.

Vor allem können auch Grundstücke und Immobilien schon zu Lebzeiten überschrieben oder verschenkt werden, so dass diese im Nachlass nicht zerteilt oder verkauft werden müssen, um sämtliche Mitglieder einer Erbengemeinschaft zu berücksichtigen. Das revidierte Erbrecht wird Erblasserinnen und Erblassern in den nächsten Jahren

noch mehr Möglichkeit einräumen, abseits der Pflichtanteile eigene Akzente zu setzen, um so nicht nur im Sinne erweiterter Familienkreise, sondern auch im Sinne vererbter Immobilien oder Unternehmen Werte weiterzugeben. In der «Schweizer Erbschaftsstudie 2023» der Zürcher Kantonalbank, die von der ZHAW School of Management and Law durchgeführt wurde, bekräftigt Stefan Reinhard, Leiter Erbschaften und Stiftungen, den Sinn des neuen Erbrechts, das zukünftig auch die «familieninterne Unternehmensnachfolge erleichtern» soll. «Damit soll die Zerstückelung oder die Auflösung von Unternehmen verhindert werden.» Der Bundesrat wolle «die erbrechtliche Unternehmensnachfolge mit zusätzlichen Massnahmen weiter erleichtern», um Nachfolgeprozesse zu erleichtern und speziell KMU samt den dortigen Arbeitsplätzen zu stabilisieren.

(K)ein Grund zur Klage Auch wenn die zweite Revision des Erbrechts zugunsten einer familieninternen Unternehmensnachfolge Anfang des Jahres im Ständerat noch scheiterte, wird die unkomplizierte, familieninterne Übertragung eines Unternehmens weiter diskutiert. Inhaberinnen und Inhaber von Unternehmen sollten sich von den aktuellen Diskussionen ermutigt fühlen – und frühzeitig mit

fachlicher Beratung ihre Perspektiven formulieren. Soll das Unternehmen innerhalb der Familie im Sinne einer Nachfolgeregelung weitergegeben werden? Lohnt es sich andererseits vielleicht eher, einen Ausstieg aus dem Unternehmen zu skizzieren, samt Verkauf und einer entsprechenden Planung mit Finanz- und Rechtsberatern? Wer Klarheit möchte und neben den klassischen Geld- und Vermögenswerten auch sein Verantwortungsbewusstsein gegenüber der Gesellschaft oder den Mitarbeitenden als eigenen Wert begreift, kann nicht früh genug mit der Nachfolgeplanung beginnen. So kann der sorgfältig geplante Verkauf an einen geeigneten Mitbewerber sinnvoller sein als ein Weiterbetrieb in der Familie. Andererseits sollten KMU leichter auf eine Nachfolge innerhalb der Familie pochen können, wenn sie ihre Tätigkeit und ihren Unternehmenszweck langfristig als sinnvoll und sinnstiftend ansehen und damit ebenso langfristig im Sinne einer starken nationalen Wirtschaft vor Ort wirken wollen.

Inwiefern eine weitere Revision des Erbrechts die klassischen Ungültigkeitsklagen wegen inhaltlicher oder formaler Mängel oder Herabsetzungsklagen zur Durchsetzung von Pflichtteilsansprüchen reduziert, wird man abwarten müssen. Neben Erbschaftsklagen zur Herausgabe einer Erbschaft von Seiten eines Nichterben und Vermächtnisklagen könnten vor allem die Erbteilungsklagen weiter aktuell bleiben. Wenn Erbengemeinschaften oder Miterben nicht rechtzeitig teilen wollen, könnte die zeitnahe Durchführung einer Teilung der Erbschaft, die dann fast sämtliche rechtlichen Fragen eines Nachlasses betrifft, von der Wertefeststellung bis zur Erbenanerkennung und dem konkreten Termin, weiterhin einklagbar sein. Hier hilft im Vorfeld tatsächlich nur der andere Klassiker jeder guten und umfassenden Rechtsberatung: Kommunikation.

«Liegenschaften im Nachlass können einige Stolpersteine vorweisen»

Nachfolgeregelungen und Erbverträge erfordern viel Fingerspitzengefühl, ein vorausschauendes Konfliktmanagement und rechtlich einwandfreie Lösungen.

Christian Winzeler, Rechtsanwalt und Partner von Winzeler Steffen Rechtsanwälte, erläutert im Interview, wie Nachlässe besser aufgeteilt und Unternehmen problemlos weiterlaufen können.

Herr Winzeler, wo hakt es besonders, wenn es im Nachlass um Liegenschaften geht?

Je nachdem, welche Regelungen die verstorbene Person getroffen hat, kann eine Liegenschaft im Nachlass einige Stolpersteine mit sich bringen. Problematisch kann es besonders dann werden, wenn die Liegenschaft den mit Abstand grössten Vermögenswert im Nachlass darstellt. Oft kann dies die Erben in die Zwangslage bringen, die Liegenschaft unter Druck verkaufen zu müssen, damit die Erbschaft überhaupt geteilt werden kann. Zudem sind oftmals die Preisvorstellungen der Erben aufgrund der gegenteiligen Interessen diametral entgegengesetzt.

Oftmals haben Immobilien für die Erbinnen und Erben einen hohen emotionalen Wert. Andererseits gibt es den Verkehrswert. Welcher Wert ist der richtige?

Einen «richtigen» Wert gibt es nicht bzw. der richtige Wert ist leider immer nur der, der auf dem freien Markt erzielt wird. Wir versuchen unseren Klienten in den Beratungen jeweils aufzuzeigen, dass der emotionale Wert zwar wichtig, jedoch insbesondere im Hinblick auf einen Verkauf an Dritte in der Regel nicht realistisch ist.

Inwiefern vereinfachen klare Abmachungen unter den Erbinnen und Erben die Preisfindung und damit das weitere Vorgehen?

In einer Erbengemeinschaft herrscht das Einstimmigkeitsprinzip. Dies bedeutet, dass alle Handlungen im Namen der Erbengemeinschaft nur mit Zustimmung aller Erben und Erbinnen vorgenommen werden können. Klare Abmachungen über das Vorgehen sind daher unerlässlich, um überhaupt Vorkehrungen im Hinblick auf einen möglichen Verkauf, bspw. die Beauftragung zur Erstellung einer Schätzung, treffen zu können. Zudem sollte im Vorfeld vereinbart werden, wie die Parteien mit den Schätzungen umgehen.

Mitunter existieren mehrere Schätzungen für ein und dieselbe Liegenschaft. Was machen Sie dann? Wir raten unseren Klienten bei Möglichkeit immer dazu, mindestens zwei unabhängige Schätzungen der Liegenschaft erstellen zu lassen. Im Sinne einer gütlichen Lösungsfindung empfehlen wir, sich zur Preisfestlegung am Mittelwert dieser beiden Schätzungen zu orientieren. So kann sich jede Partei nach einem Schätzer seines Vertrauens umsehen und diesen beauftragen.

Was haben Uneinigkeiten unter den Erbinnen und Erben für Folgen? Wie können Sie diesen Uneinigkeiten begegnen?

Das Einstimmigkeitsprinzip in einer Erbengemeinschaft bedeutet auch, dass schon nur ein einzelner Erbe oder eine Erbin sämtliche Handlungen der Gemeinschaft blockieren kann. Dass eine komplett einseitige Blockade vorkommt, ist jedoch eher selten der Fall. Oftmals braucht es aber Zeit, alle Parteien wieder an einen Tisch bringen zu können und dann gilt es, klare Regeln zu definieren, wie die Parteien kommunizieren und miteinander umgehen. In den meisten Fällen ist es so, dass früher oder später alle eine abschliessende Lösung bevorzugen und auch bereit zu Kompromissen sind. Wichtig ist, dass alle bereit sind, einen Schritt aufeinander zuzugehen.

Bei Liegenschaften im Ausland kann es zusätzliche Probleme geben. Welche?

Liegenschaften im Ausland bringen einige rechtliche Herausforderungen mit sich. Oftmals gestaltet sich eine Überschreibung der Liegenschaften im Ausland als schwierig und zeitaufwändig, etwa wenn die Schweizer Erbbescheinigung von den ausländischen Behörden nicht akzeptiert wird. Auch muss man sich die immensen Erbschaftssteuern im Ausland, welche unter Umständen mehr als die Hälfte

Winzeler Steffen Rechtsanwälte

Winzeler Steffen ist eine aufstrebende Anwaltskanzlei mit Standort an attraktiver Lage in der Stadt Zürich. Alle Anwält:innen sind sowohl beratend als auch prozessierend tätig und betreuen ihre in- und ausländische Klientschaft in allen Rechtsgebieten. Eine besondere Spezialisierung der Kanzlei liegt in den Bereichen des Arbeits- und Erbrechts. Per 1. Januar 2025 werden zwei weitere, ausgewiesene PartnerInnen mit Fachanwaltstitel sowie zusätzliches juristisches Personal zur Kanzlei hinzustossen, um die stark wachsende

des Liegenschaftenwertes betragen, bewusst sein.

Wir empfehlen bei solchen Vermögenswerten grundsätzlich immer, diese möglichst zu Lebzeiten bereits an seine Erben zu verkaufen oder im Sinne eines Erbvorbezugs zu übergeben. Hier ist es auch wichtig, dass mit Spezialisten vor Ort zusammengearbeitet wird, um insbesondere steuerliche Überraschungen zu vermeiden.

Wenn es um die Verwaltung von Liegenschaften und Gesellschaften im Nachlass geht, geht es auch um den Faktor Zeit. Wie gehen Sie vor, damit Unternehmen weiterarbeiten können?

Als Unternehmer ist es dringend notwendig, sich bereits zu Lebzeiten um die Unternehmensnachfolge zu kümmern. Die Übertragung eines

Klientschaft kompetent und zielführend zu unterstützen. Winzeler Steffen stellen ihr ausgewiesenes Fachwissen sowohl Unternehmen als auch Privatpersonen zur Verfügung und können im Bedarfsfall auf ein bestehendes Netzwerk an SpezialistInnen, z.B. in Fragen des Steuerrechts, zurückgreifen. Winzeler Steffen zeichnet sich durch effiziente und effektive Lösungen aus, wobei stets die Klientschaft im Mittelpunkt steht.

Mehr Informationen unter winzelersteffen.ch

Unternehmens erfordert eine ausführliche und genaue Planung, im Rahmen welcher eine Vielzahl an unterschiedlichen Aspekten zu berücksichtigen sind.

Sofern der Unternehmer zu Lebzeiten keine Regelungen im Hinblick auf die Unternehmensnachfolge getroffen hat, gelten die gesetzlichen Bestimmungen. Als direkte Nachfolger werden die gesetzlichen Erben Inhaber des Unternehmens. Unklare Regelungen können zu Unsicherheiten und Verzögerungen in der Geschäftsführung und Unternehmensleitung führen.

Im Gegensatz zu Liegenschaften lassen sich Gesellschaften schwerer bewerten. Wie finden Sie dort die entsprechenden Werte, wenn einzelne

Einen richtigen Wert gibt es nicht bzw. der richtige Wert ist leider immer nur der, der auf dem freien Markt erzielt wird.

Erbinnen oder Erben etwa ausbezahlt werden wollen?

Gesellschaften im Nachlass können zu ähnlichen Schwierigkeiten wie Liegenschaften im Nachlass führen. Dies insbesondere dann, wenn das Unternehmen – wie dies in Familienbetrieben, die bereits über Generationen geführt werden, oftmals der Fall ist – den mit Abstand grössten Vermögenswert im Nachlass darstellt. Mit Blick auf die Unternehmensbewertung werden in der Praxis verschiedene Methoden angewendet. Dabei ist es wichtig, dass sowohl die vergangenen Geschäftsjahre und der erzielte Gewinn sowie die zukünftigen Geldströme und der zu erwartende Gesellschaftsertrag berücksichtigt werden. Regelmässig sind auch hier Liegenschaften involviert, was zu zusätzlichen Herausforderungen und Bewertungsthemen führen kann. Alles in allem lässt sich sagen: Nachlässe sind dann erfolgreich, wenn sie frühzeitig mit allen Beteiligten analysiert und besprochen werden. Je früher und umsichtiger dies geschieht, desto besser wirken sie in die Zukunft.

Steckbrief
Christian Winzeler Partner
Fotocredit
Tiberius Gracchus –stock.adobe.com

Viel Arbeit neben der Arbeit: Datenschutzbestimmungen und Regulierungen erfordern immer mehr Manpower.

VON RÜDIGER SCHMIDT-SODINGEN

Das Unternehmen hat wieder einmal Post. Diesmal via Einschreiben und E-Mail an die Geschäftsführung gleichzeitig. Eine Kanzlei aus Paris weist im Namen ihres Mandanten daraufhin, dass die Unternehmenswebsite ein Bild verwendet, an dem der Mandant das Urheberrecht besitze. Der Mandant habe das Bild selbst entdeckt und bitte nun um Aufklärung, wie das Bild auf die Website gelangt ist. Binnen zehn Tagen erwarte man eine schriftliche Einlassung, um dann Unterlassungsklagen und Schadensersatzforderungen zu prüfen.

Schreiben wie diese landen immer öfter auf den Tischen und in den E-Mail-Fächern von Unternehmen, die Bilder verwenden und oft gar nicht genau wissen, woher diese stammen. Selbst das altehrwürdige Pressebild, das in Verbindung mit der Besprechung eines Produkts, Films oder Buches ursprünglich einmal lizenzfrei war, mutiert über die Jahre plötzlich zum teuren Souvenir, weil Lizenzen ausgelaufen oder übertragen wurden – und Fotografinnen und Fotografen doch noch ein Stück vom Verwertungskuchen abhaben möchten.

Missachtung von Urheberrechten Für Unternehmen können solche Schreiben teuer werden, wenn sich herausstellt, dass das urheberrechtlich geschützte Bild zu Marketingzwecken seit Jahren auf der Website steht – und nachweislich nicht rechtmässig lizensiert wurde. Ähnliche Probleme ergeben sich neuerdings auch in vermeintlich harmlosen BlogBeiträgen, die fröhlich in den sozialen Medien geteilt werden. Bloggerinnen und Blogger berichten über Veranstaltungen mit verschiedenen Menschen, schreiben Namen auf und machen Bilder. Hier kommen plötzlich E-Mails an die Datenschutzbeauftragten des Unternehmens ins Haus, um Namen oder bestimmte Fotos «bitte umgehend zu löschen», da man «der Veröffentlichung zu keinem Zeitpunkt zugestimmt» habe. In seinem Buch «Unternehmensinterne Rechtsberatung» (SchäfferPoeschel Stuttgart, 2022) weist Dr. Christian Herles auf die zunehmend kniffligeren rechtlichen Fragen hin, denen sich Unternehmen mit ihren Rechtsabteilungen aktuell stellen müssen. Juristisches Denken, so Herles, gehöre mehr denn je zum unternehmerischen Handeln. Allerdings müsse eine gute Rechtsberatung im Haus auf das genaue Gegenteil abzielen: «Sie schafft Verständnis und zeigt Möglichkeiten auf. Und ja, sie weist auch auf Risiken hin. Damit bewahrt sie aber das Unternehmen ebenso wie die entscheidenden Personen vor Schäden.»

Rechtsabteilungen brauchen

Durchblick

Die interne Rechtsberatung müsse folglich als Generalist und Kommunikator fungieren, fest verankert im

«Dürfen wir das?»

Rechtliche Fragen beeinflussen zunehmend den Arbeitsalltag von Unternehmen. Denn praktisch jeder Mitarbeitende hat mit Datenschutz, Compliance-Regeln und Lizenzvereinbarungen zu tun – und nimmt sensible Interna auch mit ins Home-Office.

Team, «optimal verzahnt» mit den anderen Berufsgruppen im Unternehmen, um Chancen und auch Risiken zu benennen und einzuschätzen – und entsprechend ein gutes Management auf allen Ebenen zu ermöglichen. Besieht man sich die vielen unterschiedlichen Felder, auf denen Mitarbeitende alltäglich mit anderen Stakeholdern umgehen, Produkte nutzen oder verkaufen, Kunden ansprechen, Antworten schreiben, Software nutzen, Daten weiterleiten, werden die möglichen Rechtsverletzungen, zumindest für Juristinnen und Juristen, schnell sichtbar. Die Rechtsabteilung, so Herles, müsse «also zu jeder Zeit einen strukturierten Überblick über rechtliche Risiken, Strukturen und Streitigkeiten mit den jeweiligen Sach- und Verfahrensständen geben können». Und: «In der organisatorischen und mithin räumlichen Nähe zu internen Stakeholdern liegt gerade ein Vorteil unternehmensinterner Rechtsberatung.»

Während einerseits Geschäftspraktiken durchleuchtet oder anhand ihrer Risiken abgewogen werden sollen, müssen Rechtsabteilungen mit aussergerichtlichen Durchsetzungen wie Mahn- und Verteidigungsschreiben umgehen, Verträge ausformulieren oder umschreiben,

Rechtsschutzpolicen anpassen oder Patenteinträge vorbereiten können. Kurzfristig eingeführte neue Produkte, mehr Social-Media-Aktivitäten und ausgelagerte IT-Strukturen sorgen ebenfalls für Klärungsbedarf, um Compliance- und Datenschutzregeln nicht auszuhebeln.

Schnelle Kommunikation, schnelle Rechtsverletzung? Zeit kann zum entscheidenden Faktor werden, um interne Rechtsabteilungen richtig zu nutzen. Wie genau sollten rechtliche Anforderungen bei neuen Projekten oder Geschäften geprüft werden, wenn andererseits Verträge geändert oder adaptiert werden müssen? Jede Rechtsberatung muss damit umgehen können, dass es eine hundertprozentige Sicherheit nicht gibt. Hier kommt noch einmal die Eigenschaft des Generalisten ins Spiel, die Herles in seinem Buch anspricht. Den Überblick über alles zu behalten, wenn ständig neues hinzukommt, kann zur Herkulesaufgabe werden, die Priorisierungen aber auch interne wie externe Kooperation, etwa mit den Mitarbeitenden oder mit Kanzleien oder Rechtsschutzexperten, verlangt.

Risiken lauern mittlerweile in fast allen Bereichen. Beim Arbeitsrecht geht es um rechtskonforme

Bewerbungen, die niemanden benachteiligen dürfen, um strenge Datenschutzvorschriften, klare Home-Office-Bestimmungen und auch juristisch einwandfreie Kündigungsmodelle. Bestimmte Gesellschaftsformen müssen sich dezidiert mit Haftungsfragen, geänderten Geschäftsordnungen oder auch der Durchführung von Gesellschafterversammlungen beschäftigen. Selbst bei den Klassikern Vertragsrecht, Vertrieb und Marketing und Produktrecht spielen seit einigen Jahren Sicherheits- und Datenschutzaspekte eine Rolle, wenn es um geistiges Eigentum der Firma oder Patente von Mitarbeitenden geht, die plötzlich zum Streitfall werden können oder in andere Unternehmen getragen werden. Schon das Arbeiten im HomeOffice oder im Zug kann ein rechtliches Problem darstellen, wenn auf dem Laptop Firmeninterna, Zahlen oder gar Kundendaten auftauchen und von Nicht-Mitarbeitenden eingesehen werden.

Achtung: Kundenkontaktierung Auch der Aufbau und die Erweiterung des Kundenstammes können rechtliche Probleme aufwerfen. «Wohl in kaum einem Unternehmensbereich wie im Vertrieb», so Herles, herrsche «ein vergleichbarer alltäglicher und vor allem messbarer Erfolgsdruck. Um Absatzziele zu erreichen – ob durch das Unternehmen, Vorgesetzte oder durch eigene Ansprüche auferlegt – werden mitunter alle erdenklichen Mittel ausgeschöpft, was mit wettbewerbs- und wirtschaftsstrafrechtlichen Risiken verbunden sein kann.»

Wie findet die Kundenkontaktierung statt? Welche rechtlichen Probleme ergeben sich im Hinblick auf den Datenschutz, wenn Adressensammlungen entstehen oder genutzt werden, Daten an andere Unternehmen weitergegeben oder spezielle Kunden mit Geschenken oder Rabatten bedacht werden? Je grösser die Kundschaft, etwa in den Weiten des Internets, desto herausfordernder wird es, rein digitale Produkte in ein Produkt-Compliance-Management einzubetten. Datenschutz- und Urheberrechtsbestimmungen müssen geklärt, eventuelle Verletzungen des Jugendschutzes beachtet werden. Bereits das durch wenige Klicks vorgenommene Einbetten eines YouTube-Videos kann zu Problemen führen, da Daten des Nutzers an die Videoplattform gehen oder spezielle, jugendgefährdende Inhalte tagsüber nicht gezeigt werden dürfen.

Zwischen Lösung und Risiko Dass Mitarbeitende die Komplexität ihres Tuns erkennen, zumal in einer Zeit, die mehr denn je Transparenz aber eben auch minütlich Statements oder Entertainment für die Kundschaft einfordert, skizziert schön den Rahmen der Rechtsberatung «zwischen Lösungsorientierung einerseits und Risikovermeidung andererseits». Vor allem, so Herles, müsse die rechtliche Situation von den internen Adressaten der Beratung verstanden werden, um dann ein Weiterarbeiten mit den entsprechenden Lösungen zu ermöglichen.

Die zunehmende Digitalisierung verändert alle Geschäftsmodelle –auch die derjenigen, die meinen «ganz normal» weiterarbeiten zu können. Es ist deshalb ratsam, frühzeitig Datenbestände, Geschäftspraktiken und Alltagsrisiken zu durchleuchten, um unangenehme Störungen oder gar komplette Produktionsausfälle zu vermeiden. Denn egal, wie sehr die Arbeitszeit der Mitarbeitenden in den nächsten Jahren auch schrumpfen mag, Unternehmen bleiben 24/7 gegenüber der Welt und allen möglichen Risiken geöffnet.

Denken, gehört mehr denn je zum unternehmerischen

Rechtsschutz für Unternehmen

«Sich rechtlich nicht wehren zu können, kann schnell zur

Existenzfrage

werden»

Unternehmen stehen heute vor immer komplexeren rechtlichen Herausforderungen. Sie müssen in der Lage sein, Risiken zu erkennen und Chancen realistisch einzuschätzen, um das Unternehmen und seine Entscheidungsträger vor Schaden zu bewahren. Eine Rechtsschutzversicherung kann helfen.

Eine Rechtsschutzversicherung kann eine sinnvolle Lösung sein, insbesondere für Unternehmen, die keine eigene Rechtsabteilung unterhalten wollen oder dies aus finanziellen Gründen nicht können. Eine Rechtsschutzversicherung bietet einen kostengünstigen Zugang zum Recht. Mit einem breit diversifizierten und qualifizierten Team von Juristinnen und Juristen stellt sie zudem sicher, dass Unternehmen in Rechtsfragen schnell und kompetent unterstützt werden. So sind Unternehmen gut abgesichert und haben eine verlässliche Anlaufstelle für die Klärung rechtlicher Fragen, ohne ihre internen Ressourcen übermässig zu belasten. Doch wie kann umfassender Rechtsschutz funktionieren, wenn die rechtlichen Fragen einerseits komplexer werden, die entsprechenden Lösungen aber möglichst einfach sein sollen? Ein Gespräch mit Michael Romer, CEO der Coop Rechtsschutz.

Herr Romer, wie haben sich die Bedürfnisse der Unternehmen hinsichtlich rechtlicher Fragen in den letzten Jahren verändert? Die rechtlichen Bedürfnisse sind im Wesentlichen ähnlich geblieben. Was sich geändert hat, ist zum einen das Wettbewerbsumfeld. Die Wirtschaft agiert internationaler und in Beziehungen mit Grosskonzernen haben es Unternehmen mit umfassenden Vertragswerken zu tun. Gleichzeitig führt die fortschreitende Technologisierung dazu, dass immer mehr Verträge online abgeschlossen werden. Zum anderen sind Unternehmen heute viel schneller bereit, ihre Rechte oder ihre Ansprüche rechtlich durchzusetzen. Insgesamt

sind Unternehmen in punkto Risiken zwar bewusster unterwegs, gleichzeitig werden grosse Risiken, etwa im Bereich der Cyber Security, unterschätzt. Hier sind die rechtlichen Möglichkeiten begrenzt, Prävention ist hier viel effektiver.

Wie einfach ist es denn, die immer komplexeren Rechtsfragen und möglichen Rechtsverstösse abzusichern? Rechtsschutz bietet ja die Möglichkeit, Beratungen auf rechtliche Fragen mit einer Versicherung und damit einer Art «Flatrate» abzusichern. Der Komplexität der Fragen können wir dadurch begegnen, dass wir die Kunden beim Verständnis der rechtlichen Themen unterstützen und eine Prävention bieten, damit Probleme erst gar nicht entstehen. Dadurch, dass unser Unternehmen mit 80 Juristinnen und Juristen sehr breit aufgestellt ist, haben wir viel Erfahrung- und Spezialwissen und für jede Frage einen einfachen Entry Point. Vor allem bei Geschäftsbeziehungen, die trotz rechtlicher Differenzen nicht enden, sondern weiterlaufen sollen, hilft unser Netzwerk an Mediatoren. Oft schaffen wir es so, schneller ans Ziel zu kommen und nachhaltige Lösungen für unsere Kundinnen und Kunden zu finden.

Wie schnell sollten sich Unternehmen denn an ihre Versicherung wenden, wenn es ein Problem oder eine Frage gibt?

Je früher uns eine Kundin oder ein Kunde in einer schwierigen Situation kontaktiert, desto besser können wir den rechtlichen Rahmen abstecken, entsprechend beraten und eine Lösung finden. Ein frühzeitiges Kümmern

hat für das Unternehmen nur Vorteile, denn je grösser ein rechtliches Problem wird, desto mehr hält es das Unternehmen von seinen Kernaufgaben ab.

Neu ist Ihre Basis-Rechtberatung für KMU. Wie funktioniert sie?

Diese erlaubt den versicherten Unternehmen einen einfachen Zugang zum Recht. Die Prämie ist als Flatrate ausgestaltet und bietet quasi eine AllRisk-Deckung. Konkret sind sämtliche Rechtsbereiche versichert, und zwar bis zu 5‘000 Franken pro Fall, ausgenommen M&A. Keine andere Versicherung bietet Leistungen in dieser Form an. Das brauchte etwas Mut – und macht uns heute auch etwas stolz.

Was leistet Ihr KMU-Produkt in sehr grossen Rechtsfällen?

Tatsächlich geht es in Rechtsfällen oft auch um hohe Streitwerte mit mehreren hunderttausend Franken. Dies wird bei KMU schnell existenzgefährdend. Da kommt unser erweiterter VertragsRechtsschutz, mit Versicherungssummen von bis zu 500‘000 Franken pro Fall, zu tragen. Die Versicherung ist à la carte abschliessbar, also modular. Wir diskutieren mit den Unternehmen deren Risken und legen gemeinsam fest, wie sich das Unternehmen am besten absichern kann.

Eine Rechtsschutzversicherung ist kein Anwaltsbüro. Was macht die Versicherung und wann kommt der Anwalt ins Spiel?

Wir machen grundsätzlich alles, was eine Anwaltskanzlei macht. Wir treten nach aussen auf und setzen Ansprüche durch. Im Unterschied zu einer Kanzlei vertreten unsere Mitarbeitenden

Steckbrief

Coop Rechtsschutz AG Die Coop Rechtsschutz AG ist eine unabhängige Rechtsschutzversicherung. Die Gesellschaft entwickelt und verkauft Rechtsschutzlösungen für Privatpersonen, Organisationen und KMU. Die angemeldeten Rechtsfälle werden von den eigenen Mitarbeitenden im Rechtsdienst bearbeitet. Partnergesellschaften sind namhafte Gewerkschaften und Krankenversicherer, die Helvetia und der Beobachter. Für Geschäftskunden bietet die Coop Rechtsschutz AG massgeschneiderte Betriebs-Rechtsschutzversicherungen an. Dieses Produkt kombiniert Prävention, Rechtsberatung und Vertretung im Rechtsfall in einem Produkt.

Mehr Informationen unter cooprecht.ch

Michael Romer CEO
Oft schaffen wir es, schneller ans Ziel zu kommen und nachhaltige Lösungen zu finden.

jedoch die Kunden nicht selbst vor Gericht. Ist eine Vertretung vor Gericht notwendig, steht unseren Versicherten unser grosses Netzwerk von externen Anwältinnen und Anwälten zur Verfügung. Wir fragen uns dabei immer: Welche Anwältin oder welcher Anwalt ist am besten qualifiziert, so dass unsere Kunden möglichst effektiv zu seinem Recht kommen?

Insbesondere KMU erkennen die Vorteile einer Rechtsschutzversicherung zu wenig. Woran liegt das? Oftmals geht es bei KMU oder auch Start-ups zunächst um Versicherungsthemen wie Haftpflicht oder Betriebsausfall. Für Rechtsschutz fehlt da oft das Bewusstsein oder die Zeit in der Beratung. Sich rechtlich nicht wehren zu können, kann für kleine KMU allerdings schnell zur Existenzfrage werden. Sie sprechen das Bewusstsein an. Wie kann das Thema Rechtsschutz vermittelt, sprich besser kommuniziert werden?

Das Bewusstsein für rechtliche Risiken im eigenen Unternehmen und den Umgang damit muss in der Führung bzw. im Management verankert sein. Man muss sich konkret fragen: Welche rechtlichen Risiken sind es denn genau, die sich aus unserem Kerngeschäft ergeben können? Wie bekomme ich die rechtlichen Risiken in den Griff? Wie erhalte ich rasch und einfach Zugriff auf rechtliche Beratung und eine passende Rechtsvertretung? Der Rechtsschutz ist oft auch eine Art Kriegskasse, um das zu schützen, wofür man als Unternehmen mit seinen Mitarbeitenden hart gearbeitet hat.

Gibt es Rechtsschutzthemen, die in den nächsten Jahren wichtiger werden? Ich denke, dass unsere Basis-Rechtsberatung das beste Beispiel für eine einfache Rechtsschutzversicherung der Zukunft ist. Sie können sich als Kunde darauf verlassen, dass sämtliche Bereiche rechtlich abgedeckt sind. Als Zukunftsthemen sehe ich die neuen rechtlichen Herausforderungen aufgrund der rasch fortschreitenden Technologisierung, insbesondere der KI, und dann als Megatrend neue Fragen rund um Ethik. Dies wird uns als Rechtsschutzversicherer in Zukunft sicher noch stark beschäftigen.

K.o. durch KI?

KI-generierte Inhalte und Anwendungen stellen Unternehmen vor völlig neue Herausforderungen – auch bei Haftungsfragen und Urheberrechten. Das gerade erschienene Buch «KI und Recht» gibt Einblicke, wie sich KI-Tools richtig einsetzen lassen –und welche Fragen die Gerichte beschäftigen werden.

VON RÜDIGER SCHMIDT-SODINGEN

KI wird genutzt, egal ob es dafür im Unternehmen eine Regelung gibt, ob die Beschäftigten mit den technischen und rechtlichen Grundlagen vertraut sind oder ob der KI-Einsatz gänzlich verboten wird», konstatiert der Rechtsanwalt und Dozent Michael Rohrlich gleich zu Beginn seines Buches «KI und Recht. Der Leitfaden für rechtliche Herausforderungen beim Einsatz von KI-Anwendungen» (Hanser München 2024).

Tatsächlich laufen heute schon einige Anwendungen oder sogar Unternehmensbereiche mit KI-Systemen, die sich von den computergestützten, klar eingegrenzten Roboter-Tätigkeiten der Vergangenheit unterscheiden. Wirklich bemerkens- und bedenkenswert ist die Tatsache, dass KI zwar auch nach dem EVA-Prinzip der Datenverarbeitung funktioniere, also Eingabe, Verarbeitung, Ausgabe, – nur mit dem gewichtigen Unterschied, dass die Verarbeitung bei KI im Grunde eine Blackbox darstelle, die nicht nachvollziehbar sei.

Chatbot ausser Kontrolle Einen ersten Schwachpunkt skizziert Rohrlich, wenn er seinen eigenen Namen bei ChatGPT eingibt und fast 50 Zeilen an Daten herausbekommt, von denen mehr als die Hälfte schlicht falsch sind. Die populärste KI-Anwendung verhält sich also wie ein sprachgewandter Schüler, der nach dem Aufrufen sein Nichtwissen mit möglichst vielen Worten verschleiert und deshalb munter drauflosplappert. Was auf den ersten Blick komisch und fast menschlich anmutet, kann allerdings in Unternehmen zu Problemen führen. Der Autor verweist auf die beliebten Chatbots, die auf vielen Websites verwendet werden, um kurze Fragen von Kunden oder Interessierten schnell, aber doch im Sinne des Unternehmens zu beantworten. Hier bestehe durch «beabsichtigte oder

auch unbeabsichtigte Prompt-Eingaben (Prompt Injections)» die Gefahr, dass der «Chatbot für interne Zwecke gedachte Informationen preisgibt oder gar Geschäftsgeheimnisse verrät». Was, wenn der Chatbot Fragen wie «Was verdient eigentlich dein Chef» oder «An welchem Produkt arbeitet ihr gerade» serviert bekommt und ebenfalls nicht schweigen möchte oder kann? Umgekehrt können «bewusst oder unabsichtlich fehlerhafte Trainingsdaten (Data Poisoning) zu falschen Auskünften durch den Chatbot führen». Wie antwortet das Website-Helferlein, wenn Fragen wie «Was weisst du denn» das sechzehnte «Das weiss ich nicht» verscheuchen sollen?

Der KI-Verwender haftet

In diesem Zusammenhang sei wichtig, dass «sich die Haftung für etwaige Rechtsverstösse durch KI-Erzeugnisse nach den jeweils allgemeinen Regelungen in den einzelnen Rechtsgebieten» richte. Wer in KI-Bildern bekannte Marken abbilde, personenbezogene Daten verwerte oder fremde Texte verändern lasse, verstosse gegen weiterhin geltende Marken-, Datenschutz- und Urheberrechte. «Verantwortlich», so Rohrlich, «ist stets die Person, die das KI-Ergebnis verwendet, nicht sein Arbeitgeber, nicht der KI-Hersteller oder gar die KI selbst». Besonders schwierig wird es im Bereich des Urheberrechts, weil KIErzeugnisse per se als gemeinfreie Werke angesehen werden. Niemand, so Rohrlich, werde «bei durch KI erzeugtem Content Urheber, wodurch diese Erzeugnisse gemeinfrei werden. Das wiederum bedeutet, dass jedermann diese Erzeugnisse nutzen darf, und zwar sowohl zu privaten als auch zu geschäftlichen Zwecken und auch ohne irgendwen um Erlaubnis fragen zu müssen.» Ein KI-generiertes Bild falle somit nicht unters Urheberrecht. Was aber ist mit der von Menschen arrangierten Zusammenstellung mehrerer KI-Bilder oder einem individuellen,

weil sehr ausführlichen Prompt zur Generierung eines KI-Bildes?

KI liefert nichtexklusiv

Die Abwandlung von KI-Erzeugnissen, etwa von Texten, dürfte bald die Gerichte beschäftigen, denn stark von Menschen überarbeitete KI-Texte könnten plötzlich wieder unter das Urheberrecht fallen, während die Überarbeitung eines urheberrechtlich geschützten Textes durch KI ab einem gewissen Überarbeitungsgrad als gemeinfreies KI-Erzeugnis gelten könnte. Allein dieser Punkt macht klar, was in den nächsten Jahren noch an Abmahnungen auf Unternehmen zukommen könnte, wenn sich klassische menschliche Urheber, egal ob «freie Künstler» oder ehemalige Mitarbeitende, Tantiemen oder Schadenersatz erstreiten wollen. Ähnele von KI erzeugter Content einem bestehenden menschlichen und urheberrechtlich geschützten Werk, könnte eine Urheberrechtsverletzung bestehen, welche nur dem «Nutzer des betreffenden KI-Erzeugnisses» in Rechnung gestellt werden könne. Umgekehrt müsse man akzeptieren, dass jeder KI-Content automatisch teilbar und eben nicht exklusiv sei. Individuelle Überarbeitungen, die nach Logik des Urheberrechts erheblich sein müssen, um sie als menschliches Werk zu begreifen, werden über kurz oder lang also zur Kür und Pflicht werden.

Datenschutz und «Fake News» Dass das Training von KI riesige Datenmengen erfordert, greift automatisch auch in den Datenschutz und die Persönlichkeitsrechte. Hier, so Rohrlich, müssen Risiken und mögliche Datenpannen eingeschätzt und entsprechende Schulungen angeboten werden, die klare Richtlinien zur Datennutzung und regelmässige Überprüfungen der Datenverarbeitung anmahnen und einüben. Besonders hoch erscheint das Risiko derzeit im Bereich einer «unzureichenden

Pseudonymisierung», so dass Pseudonymisierungstechniken implementiert werden müssten, und unbefugten Zugriffen von aussen, denen mit entsprechenden Zugangskontrollen und ebenfalls regelmässigen Sicherheitschecks begegnet werden müsse. Rohrlich erläutert auch, wie seht das «Es wird schon nichts passieren»Denken der Vergangenheit passé ist und einem aktiven Risikomanagement weichen muss, das «Deep Learning» auch von der menschlichen Intelligenz verlangt, als Gegenpol einer sorglosen «Technik einfach laufen lassen»-Euphorie. Besonders deutlich wird die neue Beobachter-Funktion der menschlichen Betreiber beim Einsatz von manipulierten Bildern oder Texten, die Neutralität vorgaukeln und eigentlich «Fake News» sind. Der Jurist und Autor verweist in dem Zusammenhang auf das EU-KI-Gesetz, das die «Betreiber eines KI-Systems, das Text erzeugt oder manipuliert, der veröffentlicht wird, um die Öffentlichkeit über Angelegenheiten von öffentlichem Interesse zu informieren» zur Offenlegung der Erzeugung und Manipulation verpflichtet.

Kompetenz-Teams sind nötig Spätestens diese Stelle verdeutlicht, wie sehr sich Unternehmen der breiten Streuung von Inhalten bewusst

sein müssen – auch hinsichtlich einer immer schnelleren Weiterverwertung, die Achtlosigkeit ebenso schnell bestraft. Dass einzelne Bilder oder Texte über die sozialen Medien missbraucht werden, um emotionale Debatten anzufeuern oder spezielle Sichtweisen oder gar Menschen zu diskreditieren oder zu beeinflussen, lässt die Auswirkungen spielerisch erscheinender KI-Erzeugnisse, denen jede Empathie oder jedes Taktgefühl erst an- und jeder Wahnsinn abtrainiert werden muss, erahnen. Rohrlich plädiert dafür, das nötige KI-Fachwissen mittels geeigneter Personen oder Teams im Unternehmen zu verankern, «sowohl aus technischer und Anwender-, als auch aus juristischer Sicht». Idealerweise gebe es ein interdisziplinäres «KI-Kompetenz-Team», das regelmässig «realistische Anwendungsfälle» durchgeht. Rohrlichs Buch kann dabei ein guter Startpunkt sein. Denn allein die Passagen zum Urheberrecht und zum Datenschutz - und damit zur drohenden Vermassung von Content, der endlos geteilt werden kann und damit auch die Markenwelt und deren Werte auflöst – machen «KI und Recht» zur Pflichtlektüre für jedes Unternehmen, das jetzt oder zukünftig mit KI arbeiten wird. Und wegen KI nicht K.o. gehen möchte.

Die Abwandlung von KIErzeugnissen, etwa von Texten, dürfte bald die Gerichte beschäftigen, denn stark von Menschen überarbeitete KITexte könnten plötzlich wieder unter das Urheberrecht fallen.

AGON PARTNERS: Spitzenleistung in Recht, Compliance und Legal Tech Bei den Unternehmen von AGON PARTNERS verbinden wir juristische Expertise, effiziente Compliance sowie adressantengerechte Kommunikation. Wir setzen dabei Legal Tech, in Kooperation mit unserer Schwester AGON INNOVATION massgeschneidert rund um die Uhr ein. Unser Ziel: Innovationsfähigkeit, Reputation und Glaubwürdigkeit unserer Klienten nachhaltig stärken.

Patrick L. Krauskopf, Präsident diverser Verwaltungsräte und Professor für Wirtschafts- und Wettbewerbsrecht, bringt eine einzigartige Mischung aus akademischer Exzellenz und praktischer Erfahrung mit. Auf seine Vernetzung mit renommierten Bildungsinstitutionen, seine Anwaltstägigkeit in der Schweiz und New York sowie seine Gerichts- und Behördenerfahrung kann sich die Klientschaft verlassen.

Tobias Gurtner, CEO der AGON INNOVATION, vereint über 15 Jahre an Erfahrung in der Cybersecurity. Als MSc in Software Engineering spezialisiert er sich auf die Bereiche Kryptologie, Zero-Trust, IAM, sichere Kommunikation und KI, um innovative Sicherheitslösungen voranzutreiben.

«KI fordert unser Rechtsverständnis heraus»

Der Einsatz von Künstlicher Intelligenz bedeutet Chancen aber auch Risiken. Wie können sich Unternehmen mit ihren Teams auf die neue KI-Welt einstellen und maximal von ihr profitieren?

Antworten von Prof. Dr. Patrick Krauskopf, Chairman der AGON Gruppe, Präsident diverser Verwaltungsräte und Professor für Wirtschafts- und Wettbewerbsrecht.

Herr Prof. Krauskopf, KI-Erzeugnisse verändern das Verständnis und die Bedeutung bisheriger Urheberrechte, Lizenzvereinbarungen oder Persönlichkeitsrechte. Was bedeutet das für die tägliche Arbeit und Kommunikation in Unternehmen?

KI bringt den Unternehmen der AGON Gruppe sowie unseren Kunden nicht nur technologische, sondern auch rechtliche und ethische Herausforderungen. Das Urheberrecht ist ein zentraler Bereich, da KI-generierte Inhalte derzeit noch über weite Strecken auf bestehenden Daten basieren und diese transformieren. Um rechtliche Konflikte zu vermeiden, stellen wir präventiv Transparenz in der Datenverarbeitung sicher und dokumentieren die Herkunft genutzter Inhalte. Datengetriebene Lösungen, die Anomalien oder potenziell rechtswidrige Muster in der Nutzung von Urheberrechten erkennen können, stellen für uns und unsere Kundschaft eine grosse Unterstützung dar.

Der Einsatz von KI und besonders die daraus entstehenden Erzeugnisse werfen viele rechtliche Fragen auf. Sind Unternehmen Ihrer Meinung nach darauf vorbereitet?

Die meisten Unternehmen, zunehmen auch KMU, sind sich der rechtlichen Risiken durch KI bewusst. Es fehlt aber zumeist an konkreten und finanzierbaren Lösungen. Dis trifft vor allem auf komplexe Sachverhalte zu, etwa im Kartell- oder Vergaberecht, aber auch wenn es z.B. im Finanzsektor um die Einhaltung von Sanktionslisten geht. «Customized» Technologien, die nicht nur überwachen, sondern auch analysieren und vorausschauend agieren können, sind nicht von der Stange zu

haben. AGON INNOVATION unter der Leitung unseres CEOs, entwickelt mit seinen IT-Mitarbeitenden KI-Ansätze, die mit präventiven Analysen und fortschrittlichen Datenmodellen Unternehmen bei der Einhaltung von Compliance-Vorgaben unterstützen.

Schon bei kleineren Prozessen oder dem Einsatz eines einfachen Chatbots kann es zu Datenschutzproblemen, Falschinformationen oder einer Verletzung von internen Geschäftsgeheimnissen kommen. Wie können sich Unternehmen schützen?

Datenschutz und die Sicherung von Geschäftsgeheimnissen stellen auch bei vermeintlich einfachen KI-Anwendungen erhebliche Herausforderungen dar. Hier setzen wir Technologien ein, die Anomalien erkennen und Datenflüsse analysieren können, um potenzielle Probleme frühzeitig aufzudecken. Solche Technologien basieren auf Konzepten wie digitalem Fingerprinting, das eine klare Zuordnung und Nachvollziehbarkeit von Datenflüssen ermöglicht. In den ersten praktischen Anwendungen hat sich dieser Ansatz doch als effektiv erwiesen.

KI-Erzeugnisse sind per se nicht urheberrechtlich geschützt. Trotzdem kann es zu rechtlichen Problemen kommen, wenn bestimmte Vorlagen oder Werke, die von Menschen gemacht wurden, sichtbar sind. Was gilt es zu bedenken? Wir befinden uns hier derzeit global in einer Grauzone. Jedes Unternehmen, jeder Mitarbeitende, jeder in der Schweiz, muss sich dieser Problematik bewusst sein, wenn ein Werk einen geschützten digitalen Raum verlässt. Es lohnt sich hier, proaktive Massnahmen zu ergreifen. Die Realität zeigt aber, dass man hier noch sehr naiv ist. Reaktive Massnahmen, die sich auf die Rückverfolgbarkeit von Daten und deren Transformation konzentrieren, können eine solide Grundlage bringen. Mit solchen Technologien kann eine rechtliche oder

faktisch-technische Durchsetzung des Schutzes eines Urheberrechts erleichtert werden, auch wenn eine 100-prozentige Rückgängigmachung einer Verletzung des Urheberrechts durch eine KI in der Praxis kaum erreicht werden kann.

Auf welchen Feldern rechnen Sie für KIAnwendungen noch mit massiven rechtlichen Problemen?

Überall dort, wo KI in einem B2B- oder B2C-Verhältnis unreflektiert zum Einsatz gebracht wird, z.B. in den Gesundheitsmärkten im Verhältnis Leistungserbringer – Patient oder im Finanzsektor im Verhältnis zu Kunden. Die Fähigkeit von KI-Systemen, grosse Datenmengen

Tobias

zu analysieren und daraus intransparente Handlungsempfehlungen abzuleiten, kann umfassende gesellschaftspolitische Meinungsbildungsprozesse beeinflussen. KI-gestützte «Gegen»Technologien können solchen Risiken erkennen: Hier ist es essenziell, dass die Technologien die Daten in Echtzeit nutzen. Es braucht eine Kombination von technischer Präzision und rechtlicher Expertise.

Es dürfte mittelfristig kaum einen Arbeitsplatz geben, an dem nicht irgendeine KI-Anwendung läuft oder entsprechende KI-Erzeugnisse zur Kommunikation eingesetzt werden. Was bedeutet das für eine gute KI-Compliance?

AGON PARTNERS LEGAL AG steht für Spitzenleistung in der Verbindung von Recht und strategischer Voraussicht –ein zuverlässiger Partner an Ihrer Seite.

Mehr Informationen unter agon-partners.com

Eine wirksame KI-Compliance erfordert mehr als nur die Einhaltung gesetzlicher Mindeststandards. Unternehmen müssen in der Lage sein, ihre Systeme dynamisch anzupassen und auf neue Risiken zu reagieren. Dies gelingt durch fortschrittliche Technologien, die Anomalien nicht nur erkennen, sondern auch kontextualisieren können. Das Team von AGON INNOVATION unterstützt Unternehmen dabei, «auffällige» Verhaltensweisen von Personen mittels KI rechtzeitig zu identifizieren und Massnahmen zu ergreifen.

Müssen in Ihren Augen auf das jeweilige Unternehmen zugeschnittene AI Acts zum Einsatz kommen, die alle Datennutzungen klar Regeln? Individuelle Regelwerke sind notwendig, um den spezifischen Anforderungen des Unternehmens gerecht zu werden. Allgemeine Vorgaben bieten eine Grundlage, reichen jedoch oft nicht aus, um branchenspezifische Herausforderungen, etwa im Umgang mit sensiblen Daten, abzudecken. Technologien, die flexible Compliance-Lösungen ermöglichen, haben sich hier als besonders wertvoll erwiesen.

KI verspricht eine menschliche Entlastung und fliessendere Jobbeschreibungen. Inwiefern verändert das auch die rechtlichen Gefahren, wenn Mitarbeitende mehrere verschiedene Dinge als früher tun?

Die Flexibilität, die durch KI ermöglicht wird, kann auch zu einer Vermischung von Verantwortlichkeiten führen, was rechtliche Risiken erhöht. Verwaltungsräte sind hier aufgefordert, ein Risiko-Mapping kontinuierlich à jour zu halten und die entsprechenden Massnahmen, die wiederum KI-gestützt sein können, anzuordnen. Als VRP von zahlreichen (auch börsennotierten) Unternehmen ist dies eine der wesentlichen, neueren Pflichten in den kommenden Jahren.

«Die Vorbildfunktion des Managements ist für eine gute Governance essenziell»

Unternehmen müssen ihre Governance-Modelle an die neuen technischen und regulatorischen Herausforderungen anpassen. Was das konkret bedeutet, erläutert Anuschka Küng, Geschäftsführerin und Inhaberin der Acons Governance & Audit AG.

Küng nimmt operative Funktionen im Risiko- und Compliance Management oder in der Internen Revision im Mandatsverhältnis im KMU-Umfeld wahr. Sie ist zudem Verwaltungsrätin in der Finanzindustrie und im Beirat eines führenden GRC-Tool-Anbieters.

Frau Küng, Sie unterstützen vielfach kleine und mittelgrosse regulierte Organisationen, die erhöhte GovernanceAnforderungen erfüllen müssen. Wie haben sich die Themen Governance, Risikomanagement und Compliance in den letzten Jahren verändert?

In den letzten Jahren hat sich die Umsetzung der Governance-Strukturen aufgrund unterschiedlicher Faktoren erheblich weiterentwickelt resp. sind die Anforderungen klar gestiegen. Einerseits durch die vielen Veränderungen rechtlicher Rahmenbedingungen, häufig verursacht durch Unternehmenskrisen, andererseits durch den technologischen Fortschritt oder die gestiegenen Erwartungen der Stakeholder. Bei Finanzinstituten hat sich dies spürbar verschärft, indem heute auch die Kompetenzanforderungen der Unternehmensleitung/Organe eingefordert werden. Aber auch weniger regulierte Organisationen sind mit Erwartungen an eine «Good Governance» konfrontiert. Unternehmer und Aufsichtsorgane haben heute doch ein geschärftes Grundverständnis dieses Begriffs, was aber nicht bedeutet, dass Good Governance gelebt wird. Zugenommen haben ganz klar auch die Bedeutung des Risiko- und Compliance Managements und der internen Kontrolle.

Wie einfach ist es denn, bestehende Governance-Modelle an die neuen Gegebenheiten anzupassen? Die neuen Gegebenheiten, oder anders formuliert die «VUCA-Rahmenbedingungen (Volatility, Uncertainty, Complexity, Ambiguity)», erfordern eine viel raschere Überprüfung der Unternehmensstrategie und der Organisationsstrukturen. Die geforderte Stabilität, Sicherheit und Widerstandsfähigkeit von Organisationen in VUCA-Zeiten begründen u.a. die hohen Kapitalanforderungen in der Finanzindustrie. Um Kapitalgeber zu gewinnen, sind Governance-Strukturen eine Grundvoraussetzung. Nachhaltigkeit und Resilienz gekoppelt mit Agilität im unternehmerischen Denken und Handeln sind gefordert. Die VUCA-Rahmenbedingungen erfordern heute eine hohe Flexibilität auch in der Struktur der

In den letzten Jahren hat sich die Umsetzung der GovernanceStrukturen aufgrund unterschiedlicher Faktoren erheblich weiterentwickelt.

Leitungs- und Überwachungsgremien. Um ihre Frage zusammenfassend zu beantworten: Moderne Governance ist für viele Organisationen ein Spagat und benötigt cleveren und nicht zu unterschätzenden Ressourceneinsatz.

Wie sehr spielen das Verständnis und die Verständigung der Mitarbeitenden dabei eine Rolle?

Ohne qualifizierte Mitarbeiter können diese umfassenden und komplexen Anforderungen nicht mehr umgesetzt werden. Die klare Kommunikation der Unternehmensleitung darüber, was die Erwartungshaltung an die Unternehmenskultur anbelangt, ist eine weitere wesentliche Voraussetzung zur Bereitschaft zur «Good Governance».

Das umfasst eine wirksame Unternehmensführung mit nachhaltigen und ethischen Führungspraktiken und einer

konstruktiven rechenschaftspflichtigen Führungskultur, eine transparente Entscheidungsfindung und Berichterstattung, eine verlässliche Steuerung und Überwachung sowie eine verantwortungsbewusste Organisation. Wie Governance vorgelebt wird, ist aus meiner Sicht entscheidend. Unternehmensleitungen dürfen nicht über Nachlässigkeit, Fehler und Missbrauch überrascht sein, wenn Integrität, Redlichkeit und Loyalität nicht durch sie praktiziert wird. Die Unternehmenskultur ist in VUCA-Zeiten ein ausschlaggebender Bestanteil einer funktionierenden Governance.

Was ist hinsichtlich interner Weisungen und Reglemente zu beachten? Genau dieser Aspekt treibt den gerade erwähnten hohen Ressourceneinsatz. Hier können moderne Lösungen,

Die Erstellung von Kontrollplänen und Richtlinien benötigt ein tiefes Verständnis von Prozessen, Qualitätsmanagement und regulatorischen Anforderungen, ergänzt durch konzeptionelle und agile Arbeitsmethoden. Oft fehlen die regulatorischen Kenntnisse oder das Verständnis relevanter Rahmenwerke. Da braucht es Wissen und eine methodische und konzeptionelle Unterstützung von aussen. Zudem können Berater eine objektive, d.h. nicht innenpolitisch beeinflusste Sichtweise, kombiniert mit vernetztem Denken, sowie umfassende Erfahrungen aus diversen Organisationen («Benchmark») einbringen.

Steckbrief

Acons Governance & Audit Als spezialisiertes Beratungs- und Prüfungsunternehmen kennt Acons Governance & Audit die hohen Anforderungen an eine schlanke und effiziente Organisation. Es unterstützt Unternehmensleitungen bei der Ausgestaltung wie auch der Führung der dafür notwendigen Prozesse. Das Team übernimmt auch Funktionen im Mandatsverhältnis und leistet damit einen Beitrag, damit die Geschäftsleitung und der Verwaltungsrat ihre Aufsichtspflichten wahrnehmen können.

Mehr Informationen unter acons.ch

Anuschka Küng Inhaberin

sog. GRC-Lösungen, wesentlich helfen, denn Good Governance heisst, ein Regelwerk zu erstellen und aktuell zu halten. Es muss auf die Proportionalität, also die Unternehmensgrösse, sowie die Rahmenbedingungen ausgerichtet sein. Die Digitalisierung hat in diesem Bereich einen grossen Fortschritt erzielt. Nichtsdestotrotz darf sie nicht als Allheilmittel verstanden werden. Die dafür benötigten Investitionen und Ressourcen werden zu oft massiv unterschätzt.

Digitale GRC- Lösungen liefern in vielen Fällen zwar Prozessautomatisierung, aber nicht die Governance der Unternehmung!

Kontrollpläne und Richtlinienerstellungen dürften einige KMU gelinde gesagt fordern. Wie können Sie da helfen?

In der Tat sind KMU aufgrund begrenzter Ressourcen sehr gefordert!

In einigen Unternehmen hat sich ein Klima der Vorsicht oder auch Ängstlichkeit breitgemacht, weil man nur noch reagiert, wenn etwas nicht stimmt. Wie kommen Unternehmen ins Agieren und vorausschauende Planen, um eine einwandfreie Geschäftspraxis transparent einzuhalten oder auch erstmals wirklich zu leben? Wir sind überzeugt, dass der «Tone of the Top» den Unterschied macht. Die bereits ausgeführte Vorbildfunktion des Managements ist essenziell für die Glaubwürdigkeit einer gelebten guten Governance. Eine Angstkultur geht oft einher mit einer ungenügenden Fehlerkultur. Letztere kann gefördert werden, indem auch Vorgesetzte ihre Fehler eingestehen und in der Folge den Fokus darauf legen, diesen Fehler nicht zu wiederholen. Das schafft Vertrauen und baut etwaige Ängste ab. Gleichzeitig sind Unternehmen gefordert, langjährigen Mitarbeitenden die Ängste zu nehmen, die mit der Digitalisierung einhergehen, damit die technologischen, notwendigen Veränderungen antizipiert werden können. Veränderung darf kein Projekt sein, sondern Kultur und damit ein Kernelement guter Governance. Wenn Governance ab sofort zum Kerngeschäft gehört – was heisst das für das Risikomanagement und entsprechende Schulungen? In vielen KMU bestehen informell diverse Governance-Bestrebungen, aber diese sind oft nicht als geltende Prinzipien in die Prozesse integriert. Was bedeutet beispielsweise der Anspruch auf Integrität in Beschaffungsprozessen und wie beeinflusst dieser Anspruch die Prozessgestaltung? Welche Kontrollanforderungen müssen folglich bestehen? Die Ausprägung der GovernanceStrukturen muss das damit verbundene Risiko adressieren, das durchaus existenzbedrohend sein kann. Das heisst, es benötigt im Kerngeschäft die Verankerung relevanter Governance-Prinzipien, geregelte «AKV», die Schulung, das Monitoring sowie die Sanktionierung bei Verfehlungen. Risikomanagement muss ein wesentlicher Bestandteil der Unternehmenssteuerung und Unternehmenskultur sein, denn Risiken verändern sich kontinuierlich. Stichwort: Risikokultur!

Wie wichtig sind integrierte Managementsysteme, die einerseits Umweltund Arbeitsziele definieren, andererseits aber auch konkrete Kennzahlen erheben und analysieren sollen? Ein integriertes Managementsystem bündelt diverse Anforderungen, für deren Erfüllung umfangreiche Strukturen geschaffen sowie Weisungen und Richtlinien definiert werden müssen. Integrierte Managementsysteme helfen dabei, den Überblick zu bewahren, Wechselwirkungen und Synergien zu kennen und zu nutzen sowie Massnahmen richtig zu priorisieren. Die Kunst hierbei ist es, nicht zahnlose Papiertiger zu kreieren, sondern die Vorteile von Managementsystemen in die Governance-Strukturen einfliessen zu lassen: Ganzheitlichkeit, Messbarkeit, Nachhaltigkeit, kontinuierliche Verbesserung und Resilienz.

vchalup

«Von Transparenzvorschriften bis Greenwashing-Verbot: Unternehmen sind gefordert!»

Neue Transparenz- und Sorgfaltsvorschriften, verschiedene Berichterstattungsstandards, striktere ESG-Ratings sowie «Greenwashing»Regulierungen: Unternehmen müssen ihre Bemühungen um mehr Nachhaltigkeit nicht nur leben, sondern auch regelmässig überprüfen und berichten.

Dr. Martin Eckert und Adrian Peyer, Partners und Co-Heads ESG Practice bei MME, erläutern, wie ein modernes Risikomanagement und die dafür nötigen Strukturen Unternehmen und Umwelt stärken.

Herr Peyer, wie wichtig sind klare und transparente Governance-Strukturen, um Unternehmen und auch deren Impact wachsen zu lassen?

In der heutigen globalisierten und vernetzten Welt sind Umwelt-, Sozial- und Governance-Überlegungen (ESG) zu grundlegenden Faktoren für die Entscheidungsfindung von Unternehmen geworden. ESG umfasst ein breites Spektrum an Themen, vom Klimawandel über Menschenrechte bis hin zu ethischen Geschäftspraktiken. Klare und transparente Governance-Strukturen sind das Fundament für Unternehmen: Während die Geschäftsleitung unter ständigem Druck steht, kurz- und mittelfristig eine starke finanzielle Leistung zu erbringen, haben Verwaltungsratsmitglieder einen anderen Zeithorizont. Verwaltungsräte spielen eine entscheidende Rolle bei der langfristigen Steuerung von Unternehmen. Und die ESG-Herausforderungen, mit denen Unternehmen heute konfrontiert sind, erfordern nachhaltige, langfristige Massnahmen und Strategien.

Herr Dr. Eckert, die EU möchte ESGRatings regulieren und damit verlässlicher machen. Was bedeutet das für das Risikomanagement der Unternehmen? Durch ESG-Ratings wird eine Stellungnahme zum Nachhaltigkeitsprofil eines Unternehmens oder eines Finanzinstruments abgegeben, indem die Nachhaltigkeitsrisiken und deren Auswirkungen auf die Gesellschaft und die Umwelt bewertet werden. ESG-Ratings werden immer wichtiger für das Funktionieren der Kapitalmärkte und das Vertrauen der Anleger in nachhaltige Produkte. Das EU-Parlament hat kürzlich einen Verordnungsvorschlag verabschiedet, mit dem ESG-Ratings verlässlicher und vergleichbarer gemacht werden sollen. Ziel ist es, das Anlegervertrauen in nachhaltige Produkte zu stärken. Die Verordnung stellt erstmalig Transparenz- und Integritätsanforderungen an Rating-Tätigkeiten im Bereich ESG. Rating-Firmen werden

verpflichtet, die bei den ESG-Ratings verwendeten Methoden offenzulegen. Offenzulegen ist auch, ob für ein Rating Feldforschung vorgenommen wurde. Verstärkt wird auch der Rechtsschutz für Unternehmen, die aus ihrer Sicht «unfair» beurteilt werden.

Die Anpassung des CO2-Gesetzes bedeutet nun auch ein Verbot von falschen oder irreführenden «Greenwashing»-Aussagen. Welche Unternehmensbereiche sind davon tangiert?

Mit der erneuten Anpassung des CO2Gesetzes hat das schweizerische Parlament auch das UWG (Bundesgesetz gegen den unlauteren Wettbewerb) angepasst. Unlauter handelt neu, wer Angaben über sich, seine Werke oder Leistungen in Bezug auf die verursachte Klimabelastung macht, die nicht durch objektive und überprüfbare Grundlagen belegt werden können (Art. 3 Bst. x UWG). Als Angaben in Bezug auf die Klimabelastung kommen diverse Informationen in Frage: qualitative Aussagen («nachhaltig», «klimaneutral», «grün», «CO2-frei», etc.); quantitative Angaben (KPIs, CO2-Verbrauch in Tonnen, Kompensationen, Zahlen zu Scope 1, 2 und 3, Fortschrittsmessung, Erreichung quantitativer Ziele, Aussagen zu klimabedingten finanziellen Risiken, etc.); prozessuale Informationen (Beschreibung der ergriffenen Massnahmen zur Reduktion der Klimabelastung, Erfolgsstorys, Interviews, etc.). Das Greenwashing-Verbot betrifft grundsätzlich alle Tätigkeiten und Unternehmensbereiche. Wir raten Unternehmen die «Awareness» für das Thema Greenwashing zu schärfen und angemessene Massnahmen zu ergreifen, z.B. Integration in Risikomanagement und IKS, interne Weisungen und Schulungen der relevanten Mitarbeitenden.

Herr Peyer, wie muss eine klare Corporate Social Responsibility (CSR) im Unternehmen verankert sein, damit sowohl die Beschäftigten als auch die Kundinnen und Kunden um diese Verantwortung wissen und sie entsprechend verstehen, umsetzen oder honorieren?

Wichtig ist, wie erwähnt, die Governance Struktur und die Dokumentation der Grundsätze und Prozesse (Code of Conduct; Supply Chain Policy; Supplier

Dr. Martin Eckert: Als einer der drei Gründungspartner von MME ist Dr. Martin Eckert ein Generalist. Er verfügt über eine umfassende Erfahrung in der Beratung von international orientierten Daten-, Technologie- und Handelsunternehmen - inklusive M&A. Er ist ein Klimarecht- und ESG-Pionier.

Adrian Peyer: Erfahrener Berater in den Bereichen Recht, Compliance, Ethik, VRSekretariat sowie Umwelt, Soziales und Governance (ESG). Mit seinem einzigartigen Hintergrund als langjähriger General Counsel eines börsenkotierten Unternehmens, VR-Sekretär und Start-up-Unternehmer, berät er Unternehmen jeder Grösse auf ihrem ESG-Weg – von der Strategie bis zur pragmatischen Umsetzung und von

der Governance bis zur regulatorischen Berichterstattung.

Für die nächste Generation: MME hilft beim Aufbau einer nachhaltigen Zukunft Wir beraten umfassend und interdisziplinär in den Bereichen Recht, Steuern und Compliance. Als innovatives Beratungsunternehmen unterstützen und vertreten wir Unternehmen und Privatpersonen in allen wirtschaftlichen und zukunftsweisenden Angelegenheiten. Wir betreuen unsere Klienten persönlich und setzen uns für sie ein: unkompliziert und beharrlich - in der Schweiz und international.

Mehr Informationen unter mme.ch

(CHF 25 Mio. Bilanzsumme, CHF 50 Mio. Umsatzerlös und 250 Vollzeitstellen im Jahresdurchschnitt) Bericht über «Transparenz über Nachhaltigkeitsaspekte», wie dies neu betitelt wird, erstatten müssen. Wir empfehlen Unternehmen, frühzeitig zu prüfen und zu dokumentieren, ob sie zukünftig unter die Berichterstattungspflicht fallen werden. Die Vorbereitungszeit für die Erstellung des Berichts ist nicht zu unterschätzen. Zudem ist der Bericht nur das Endprodukt. Wichtig ist, dass die Governance-Strukturen, Prozesse und Daten so erstellt werden, dass sie «prüffest» sind.

Dr. Martin Eckert

Legal Partner Rechtsanwalt

Adrian Peyer

Legal Partner

Rechtsanwalt

Wir raten Unternehmen die Awareness für das Thema Greenwashing zu schärfen und angemessene Massnahmen zu ergreifen.

Code of Conduct etc). CSR muss durch den Verwaltungsrat sowie die Geschäftsleitung vorgelebt und getragen werden. Der sogenannten «tone at the top» ist ausschlaggebend, ob die CSRBemühungen eines Unternehmens glaubwürdig sind und die Mitarbeitenden sowie Kunden das Vertrauen in das ethische Verhalten des Unternehmens haben. Ebenso sollte die Vergütung der Geschäftsleitung an Kriterien der CSR gebunden sein. So kann sichergestellt werden, dass die langfristen Ziele in die Entscheidungen der GL einfliessen und auch honoriert werden

Nach den vorgeschlagenen Änderungen des Obligationenrechts werden Nachhaltigkeitsberichte bald nicht nur für börsenkotierte Unternehmen zwingend sein. Auf was müssen neu betroffene Unternehmen nun achten? Gemäss den vom Bundesrat in die Vernehmlassung geschickten Änderungen des ORs würden neu etwa 3‘500 Unternehmen von der erweiterten Anwendung der Berichterstattungspflicht erfasst. Heute sind es ca. 300! Neu würden Unternehmen, die zwei von drei relevanten Grössen in zwei aufeinander folgenden Geschäftsjahren überschreiten

Herr Dr. Eckert, Herr Peyer, Sie beraten Unternehmen schon lange bei der Organisation, Führung und Aufsicht von ESG-Themen. Welche Bereiche werden in den nächsten Jahren noch an Bedeutung gewinnen? Wo sollten Unternehmen jetzt schon tätig werden, um Verträge oder Dokumentationen anzupassen oder ESG-Vorschriften schneller umsetzen zu können?

Dr. Martin Eckert: Die Regulierung im Bereich «ESG» wird insbesondere von der EU und dem sogenannten «Green Deal» getrieben. Die Fragmentierung der Regulierung auf internationaler Ebene ist sehr gross, insbesondere in den USA. Daher müssen international tätige Unternehmen die regulatorischen Entwicklungen global verfolgen. Oft werden Schweizer Unternehmen nicht direkt von den entsprechenden Regulierungen betroffen sein, aber indirekt als Teil der Lieferkette. Schnell besteht das Risiko, dass ein Unternehmen aus der Lieferkette «entfernt» wird, falls sich ein Unternehmen nicht an die erforderlichen Vorschriften hält und entsprechende Nachweise erbringen kann.

Adrian Peyer: Wichtig scheint uns, dass Unternehmen jetzt beginnen ihre Prozesse zu optimieren, Daten zu sammeln und zu verifizieren, so dass die Governance-Struktur als Fundament der ESGAnforderungen steht und zukunftsfähig ist. Darauf aufbauend können agil und zeitnah spezifische Anforderungen von neuen Regularien oder Lieferanten abgebildet werden. In der Optimierung der Prozesse und Governance liegt auch die Chance für ein Unternehmen: Es kann effizienter und agiler werden und sich damit einen Wettbewerbsvorteil erarbeiten.

Steckbrief

Russlandsanktionen, Geldwäscherei, Kanzleiwechsel –ein Themenspiegel des SAV

Sehr geehrte Leserinnen und Leser,

Sie haben die zweite Ausgabe von Legal Success vor sich. Darin finden sich Beiträge zu wichtigen und zukunftsorientierten Themen. Die erfolgreiche Gestaltung der Zukunft ist uns allen ein Anliegen, so insbesondere auch dem Schweizerischen Anwaltsverband („SAV“), als dessen derzeitiger Vizepräsident, jedoch aus eigener Anschauung, ich dieses Schlusswort an Sie richten darf. Dass in der Schweiz erstklassige Unterstützung durch Juristen viel Geld sparen kann und für die Absicherung von unternehmerischen und privaten Werten sinnvoll, manchmal zwingend ist, wird man anerkennen. Solche Unterstützung bieten u.a. unabhängige Anwältinnen und Anwälte. Sie haben ein Juristenstudium absolviert, sich zur Erlangung des Anwaltspatents in die wesentlichen Rechtsmaterien durch Praktika bei Gerichten oder Anwaltskanzleien vertieft und anspruchsvolle Prüfungen durch ausgewiesene Experten bestanden. Das befähigt sie zur Ausübung des unabhängigen Anwaltsberufs. Unabhängig, das ist wichtig und bedeutet die Garantie der Prozessvertretung und der rechtlichen Beratung ohne jeden Dritteinfluss, also einzig dem Interesse der Klientschaft verpflichtet.

Unabhängige Anwältinnen und Anwälte sind überwiegend auch Mitglieder eines kantonalen Anwaltsverbands und damit eo ipso Mitglieder des SAV. Er vertritt die Interessen der unabhängigen Anwaltschaft, trägt zur Stärkung ihres Ansehens bei und unterstützt die grundlegenden Werte einer rechtsstaatlichen Ordnung. Das sind hohe Ziele, deren Umsetzung angesichts der Vielfalt der etwa 13‘000 Mitglieder nicht immer einfach ist. Wesentlich aber ist der Kompass, mit dem im Einzelfall vorgegangen wird. Und dieser Kompass ist auf die Garantie der Rechtsstaatlichkeit und das einwandfreie Funktionieren des Anwaltsmarktes eingestellt. Ich

gebe Ihnen drei Beispiele von Themen, mit denen sich der SAV aktuell befasst hat oder noch befasst:

1. Im Moment zieht die Umsetzung der in der EU erlassenen Sanktionspakete im Zusammenhang mit dem Ukrainekonflikt Interesse auf sich. Die schweizerische Politik nimmt die Position ein, die EU-Sanktionen auch in unserem Land zumindest weitgehend zu übernehmen. Dazu hat der Bundesrat eine Sanktionsverordnung erlassen, die er den in der EU verabschiedeten (inzwischen 14) Sanktionspaketen laufend anpasst. Am 1. Februar 2024 trat eine ergänzte Fassung von Artikel 28e der Sanktionsverordnung in Kraft. Danach ist neu u.a die direkte und indirekte Erbringung von Dienstleistungen der Rechtsberatung für den russischen Staat und für dort niedergelassene juristische Personen, Unternehmen und Organisationen verboten. Das gilt unabhängig davon, ob sich die betreffenden Subjekte auf der Sanktionsliste befinden, die ohnehin beachtet werden muss. Eine Motion von Ständerat Beat Rieder verlangt, dieses Verbot wieder aufzuheben. Der SAV unterstützt die Motion. Dies tut er nicht, um Anwältinnen und Anwälten einen Geschäftsbereich zu sichern. Das Recht auf Zugang zu qualifizierter Rechtsberatung ist vielmehr ein geschütztes Grundrecht unserer Verfassung. Einschränkungen bedürfen einer gesetzlichen Grundlage,

und sie müssen höher gewichtete öffentliche Interessen schützen und verhältnismässig sein. Ob die Sanktionsverordnung, die der Bundesrat gestützt auf eine allgemeine Delegation der Kompetenz für Zwangsmassnahmen im Embargogesetzes erlassen hat, eine ausreichende gesetzliche Grundlage ist, wird teilweise bestritten. Ob es im öffentlichen Interesse liegt, die Rechtsberatung ausländischer Klienten allein aufgrund ihres Sitzes in einem fremden Staat zu verwehren, bedarf zumindest der Klärung. Damit hängt auch die Frage der Verhältnismässigkeit zusammen, wo es darum geht, die Notwendigkeit eines Ausschlusses der Rechtsberatung für Klienten zu beurteilen, die sich nicht auf einer Sanktionsliste befinden. Der SAV begrüsst es, dass sich das Parlament bei der Behandlung der Motion Rieder mit diesen Grundsatzfragen befasst, die in der Schweiz übrigens unabhängig vom kürzlich ergangenen Entscheid des Europäischen Gerichtshofs zum EU-Sanktionspaket zu beurteilen sind. Der SAV räumt dem Grundrecht auf Rechtsberatung und dem Legalitätsprinzip für Einschränkungen von Grundrechten hohe Bedeutung ein, und er hat seine Position mit Blick darauf entwickelt.

2. Der Bundesrat hat im Mai 2024 seine Botschaft vorgelegt, mit welcher zur Verstärkung des Dispositivs zur Bekämpfung der Geldwäscherei

Wesentlich aber ist der Kompass, mit dem im Einzelfall vorgegangen wird. Und dieser Kompass ist auf die Garantie der Rechtsstaatlichkeit und das einwandfreie Funktionieren des Anwaltsmarktes eingestellt.

Georg Rauber Partner Homburger AG, Vizepräsident Schweizerischer Anwaltsverband

und Terrorismusfinanzierung in der Schweiz ein Transparenzregister für juristische Personen geschaffen und die Berater, einschliesslich der rechtsberatend tätigen Anwältinnen und Anwälte, den qualifizierten Sorgfaltspflichten des Geldwäschereigesetzes („GwG“) unterstellt werden sollen. Der SAV hatte sich bereits in seiner Vernehmlassung zum Vorentwurf geäussert. Die bundesrätliche Botschaft kommt den damals vorgetragenen Bedenken teilweise entgegen, was der SAV begrüsst. Inzwischen hat der Ständerat Eintreten auf die Vorlage beschlossen, jedoch den Teil über die Unterstellung der Beraterinnen und Berater zur Nachbesserung im Dialog mit den betroffenen Berufsverbänden zurückgewiesen. An diesem Dialog beteiligt sich der SAV. Inhaltlich geht es ihm um eine risikogerechte Eingrenzung der Unterstellung von beratenden Anwältinnen und Anwälten unter das GwG, um den kompromisslosen Schutz des im Rechtsstaat unverzichtbaren anwaltlichen Berufsgeheimnisses und um das Legalitätsprinzip, das verlangt, die Vorgaben auf Gesetzesstufe festzulegen und nicht an den Verordnungsgeber zu delegieren. Der SAV wird alles daran setzen, um konstruktiv daran mitzuwirken, eine sachlich wirksame und rechtsstaatlich einwandfreie Vorlage für die parlamentarische Detailberatung bereitzustellen.

3. Anwältinnen und Anwälte dürfen, wie schon gesagt, nur Mandate annehmen und führen, wenn sichergestellt ist, dass sie sich nicht in Konflikt mit Interessen begeben, die jenen der Klientschaft zuwiderlaufen. Dabei gilt

bei Anwaltskanzleien der Grundsatz, dass bereits der Konflikt eines einzigen Mitglieds die gesamte Kanzlei kontaminiert. Basierend darauf hat das Bundesgericht entschieden, dass eine Kanzlei ein Mandat nicht weiterführen kann, wenn sie eine Anwältin oder einen Anwalt bei sich aufnimmt, die vorher in einer anderen Kanzlei für die Gegenseite tätig waren. Das kann zu erheblichen Störungen auf dem für die Anwaltschaft zentralen Markt für Talente führen. Der SAV hat mit der am 1. Juli 2023 in Kraft getretenen neuen gesamtschweizerischen Standesordnung versucht, solche Störungen abzumildern. Deren Artikel 23 Absatz 2 und 3 bestimmt: „Bei Kanzleiwechseln und bei Zusammenschlüssen von Anwaltskanzleien treffen die Beteiligten alle unter den Umständen des Einzelfalls erforderlichen Vorkehren zur Wahrung des Berufsgeheimnisses und zur Vermeidung von Interessenkonflikten. Insbesondere ist sicherzustellen, dass bei einem Kanzleiwechsel die Anwältin oder der Anwalt in der aufnehmenden Kanzlei nicht in Mandaten tätig wird, in welchen sie oder er zuvor für die Gegenpartei eingesetzt war.“ Das würde es erlauben, Mandate fortzuführen, wenn durch geeignete Massnahmen sichergestellt ist, dass die vorbefasste Anwältin, der vorbefasste Anwalt vom Mandat in der aufnehmenden Kanzlei wirksam ausgeschlossen wird. Es bleibt allerdings abzuwarten, ob diese standesrechtliche Lösung den mit Interessenkonflikten befassten Aufsichtsbehörden und Gerichten bei der Weiterentwicklung der Praxis zur Regulierung der Anwaltstätigkeit als Anstoss dient. Es wäre aus Sicht des SAV zu begrüssen und würde der Zielsetzung der Reform des Standesrechts entsprechen. Das sind in der gebotenen Kurzfassung nur drei aktuelle Themen. Sie mögen dazu beitragen zu verstehen, wie sich der SAV für die Anliegen einer rechtsstaatlichen Ordnung und eines bestmöglich funktionierenden Marktes für die Anwaltstätigkeit einsetzt.

Praxisorientierte Weiterbildung im Bereich Compliance & Law

Compliance- und TransformationsHerausforderungen konstruktiv wahrnehmen und angehen: Die Hochschule für Wirtschaft Zürich (HWZ) bildet Mitarbeitende von Unternehmen gezielt für die Herausforderungen der Gegenwart und Zukunft aus.

Unsicherheiten torpedieren jeden Unternehmenserfolg. Speziell in den Bereichen Compliance und Transformation sind jedoch die Unsicherheiten derzeit besonders gross. Welche regulatorischen Vorgaben kommen in den nächsten Jahren noch auf Unternehmen zu? Wie lassen sich diese praktisch in den Arbeitsalltag integrieren? Wie können Mitarbeitende ihre Teams führen oder sensibilisieren?

Die Hochschule für Wirtschaft Zürich (HWZ), nur wenige Minuten vom Zürcher Hauptbahnhof entfernt, bietet im Bereich «Compliance & Law» derzeit acht Weiterbildungen an, die Mitarbeitende und deren Unternehmen fit für die Zukunft machen und dabei die Regeln der Finanzmärkte, der juristischen Arbeitsprozesse und einer besseren Kommunikation beleuchten und trainieren.

Dass alle Dozierenden direkt aus der Praxis kommen und aktuelles Wissen vermitteln, hat für die Absolvierenden unschlagbare Vorteile. Die Weiterbildungen sind berufsbegleitend und auch mit einem 100-Prozent-Pensum machbar. Ein CAS dauert in der Regel 6 Monate. Das Absolvieren von 3 CASStudiengängen und der Masterarbeit führt zu einem «MAS Master of Advanced Studies».

«Aktiv handeln statt reagieren»

Dr. iur. David Wicki-Birchler ist Leiter der Studiengänge «CAS Financial Compliance International» & «Switzerland», die beide zum «MAS Financial Markets Compliance» gehören. Er ist Attorneyat-Law (Zulassung in Wisconsin, USA) und Head of Compliance bei der Sygnum Bank AG.

Herr Dr. Wicki-Birchler, wie wichtig ist es für Mitarbeitende von Finanzoder Produktionsunternehmen, sich mit den zunehmenden regulatorischen Vorgaben der EU oder USA auszukennen?

Die EU und die USA sind traditionell bedeutsame Handelspartner und Absatzmärkte für unsere exportorientierte

Wirtschaft. Entsprechend ist es unabdingbar, die gesetzlichen Rahmenbedingen für den grenzüberschreitenden Handel wie auch den Angebotsregeln vor Ort zu kennen.

Wo liegen die Schwerpunkte des internationalen und Schweizer Studiengangs «CAS Financial Compliance»?

Beim «CAS Financial Markets International» liegt der Fokus auf der Finanzmarktregulierung in den USA wie auch der EU. Welche SEC-Regeln haben allenfalls (in-)direkte Auswirkungen auf Schweizer Finanzinstitute? Inwiefern sind die Verhaltensregeln der europäischen MiFID II für Schweizer Bank relevant? Zudem betrachten wir das regulatorische Umfeld von China, Singapur und UAE an, alles Finanzmärkte, welche eine direkte Konkurrenz zum Schweizer Finanzplan darstellen. Beim «CAS Financial Markets Switzerland» schauen wir ganzheitlich alle relevanten Schweizer Finanzmarktgesetze an und setzen sie in Kontext zu Compliance. Damit decken wir die drei Säulen des Schweizer Finanzplatzes - Private Banking, Investmentbanking und Asset Management – umfassend ab.

Wie sehr können Ihre praxisorientierten Studiengänge die Managementfähigkeiten in einem Wirtschaftsumfeld erhöhen, das zunehmend von Compliance-Regeln und auch Sanktionen betroffen ist?

Das Verständnis von Compliance war bisweilen geprägt von einer defensiven Wahrnehmung. In unseren Kursen setzen wir uns zum Ziel, die Compliance-Funktion als aktiven Contributor zu sehen. Weg vom Image der internen Kontrolleure und Polizei hin zu Business-Lotsen, welche aufzeigen, wo die Schiffe durchfahren können, und wo gefährliche Untiefen sind. Die

Die Hochschule für Wirtschaft Zürich (HWZ), bietet im Bereich «Compliance & Law» derzeit acht Weiterbildungen an

zunehmende Regulierungsdichte erfordert ein aktives Bewirtschaften der regulatorischen Vorgaben. Dies beginnt beim systematischen Erfassen und Auswerten der neuen Gesetze und Verordnungen (national und international) hinsichtlich Relevanz und Einfluss auf das eigene Geschäftsmodell und geht über die sinnvolle Adaption von Geschäftsvorgängen bis hin zur Schulung der Mitarbeitenden hinsichtlich der sich stetig ändernden Vorgaben. Aus meiner Sicht ist eine der grössten Herausforderungen die Kommunikation mit den Mitarbeitenden. Je besser die Compliance-Empfehlungen nachvollzogen werden können, desto konstruktiver wird Compliance wahrgenommen! «Kombination aus fachlicher Expertise und Kundenorientierung»

Steckbrief

Die HWZ – Hochschule für Wirtschaft Zürich Mit über 2‘500 Studierenden und rund 800 Dozierenden aus der Praxis ist die HWZ die grösste Hochschule mit ausschliesslich berufsbegleitenden Studiengängen im Bereich Wirtschaft der Schweiz. Sie offeriert ein breites Angebot an Studiengängen auf Bachelor- und Master-Stufe sowie über 120 Diplom- und Zertifikatslehrgänge, die Möglichkeit zum Doktorat sowie massgeschneiderte Firmentrainings. Die HWZ ist institutionell akkreditiert durch den Schweizerischen Akkreditierungsrat.

Mehr Informationen unter fh-hwz.ch

Situation der Kundinnen und Kunden eingehen können. Diese Kombination aus fachlicher Expertise und Kundenorientierung ist entscheidend für eine qualifizierte Beratung, den Aufbau von Kundenvertrauen, eine effiziente Schadenregulierung und langfristige Kundenbindung.

Wo liegen in Ihrem anderen Studiengang «CAS Legal Tech» die besonderen Schwerpunkte?

Der «CAS Legal Tech» an der HWZ konzentriert sich auf drei Kernbereiche: die digitale Transformation im Rechtswesen, den Einsatz moderner Technologien in juristischen Arbeitsprozessen und das Projektmanagement für die Implementierung digitaler Lösungen. Besonderer Wert wird auf praxisnahe Anwendungsfälle und die Verbindung von rechtlichem und technologischem Wissen gelegt. Die Teilnehmenden lernen, wie Legal-Tech-Tools die Rechtsarbeit effizienter gestalten können und wie diese in bestehende Arbeitsabläufe integriert werden. Im Fokus steht jedoch nicht die Technologie an und für sich, sondern die Möglichkeiten, die sich durch deren Einsatz ergeben. Nach dem Motto: «Technology is the tool, innovation is the goal.»

Ioannis Martinis ist Studiengangsleiter «CAS Legal Tech» & «CAS Rechtsschutz Management». Er ist Head of Innovation & LegalTech und Mitglied des Kaders der Coop Rechtsschutz AG sowie Präsident der Digital Minds Society.

Herr Martinis, wie sehr sollten Mitarbeitende von Rechtsschutzversicherungen sowohl die Arbeit in der Versicherung als auch die besonderen Bedürfnisse der Kundinnen und Kunden verstehen? Mitarbeitende von Rechtsschutzversicherungen benötigen ein tiefgreifendes Verständnis sowohl für die versicherungstechnische Seite ihrer Arbeit als auch für die spezifischen Bedürfnisse ihrer Kundschaft. Die versicherungsfachliche Kompetenz ist unerlässlich für die präzise Risikoeinschätzung, das Verständnis des Deckungsumfangs und der rechtlichen Rahmenbedingungen sowie die korrekte Bearbeitung von Versicherungsfällen. Zudem ist im Rechtsdienst natürlich noch rechtliche Expertise gefragt. Gleichzeitig erfordert der direkte Kundenkontakt aber auch ausgeprägte kommunikative Fähigkeiten, da Rechtssuchende oft in Stresssituationen schnelle und verständliche Hilfe benötigen. Die Mitarbeitenden müssen komplexe rechtliche Sachverhalte klar erläutern und dabei einfühlsam auf die persönliche

Beim Stichwort «Veränderung», das speziell den Bereich Legal Tech, aber auch die zunehmenden Fragen beim Rechtsschutz betrifft, werden einige Menschen nervös oder auch ängstlich. Lässt sich die Bereitschaft zur Veränderung und die effektive Begleitung von Veränderung denn einüben? Die Bereitschaft zur Veränderung und deren effektive Begleitung lässt sich durchaus einüben. Der Schlüssel liegt in einer schrittweisen, strukturierten Heranführung an neue Technologien und Prozesse, kombiniert mit praxisnahen Beispielen, die einen direkten Bezug zum Arbeitsalltag herstellen. Durch das Aufzeigen konkreter Vorteile für die eigene Arbeit können Ängste oder Bedenken abgebaut werden. Entscheidend ist dabei die Grundhaltung, Veränderungen nicht als Bedrohung, sondern als Chance zur persönlichen und beruflichen Weiterentwicklung zu begreifen. Das richtige Mindset ist auch von Anfang an Thema im CAS Legal Tech wie auch im CAS Rechtsschutz Management. Es hat sich indessen gezeigt, dass sich tendenziell eher Leute mit einer offenen Denkweise für die Lehrgänge interessieren. Menschen, denen bereits bewusst ist, dass sich die Art und Weise, wie Rechtsdienstleistungen erbracht werden, gerade signifikant verändert. Und dass man diesen Veränderungen am besten begegnet, indem man sich weiterbildet und besser versteht, was heute möglich ist und wohin die Reise geht.

Dr. iur. David Wicki-Birchler
Ioannis Martinis

XANIA real estate Zurich Exklusives Wohnen neu definiert

XANIA real estate Zurich ist ein renommierter Immobilienentwickler, der sich auf exklusive Wohnprojekte in und um Zürich spezialisiert hat. Das Unternehmen steht für hochwertige Wohnimmobilien an exklusiven Toplagen. Mit der erfolgreichen Umsetzung von Premium-Projekten hat sich XANIA real estate Zurich als führendes Unternehmen im Bereich Immobilien-Investments etabliert und plant derzeit über 600 hochwertige Wohnungen auf 67 erstklassigen Grundstücken vorwiegend im Grossraum Zürich. Der Immobilienentwickler

setzt auf hochwertige Ersatzneubauten in urbaner und dennoch naturnaher Umgebung und arbeitet eng mit renommierten Architekturbüros zusammen. Im Showroom am Pelikanplatz in Zürich erleben Kundinnen und Kunden unter dem Motto „World of XANIA“ innovative Wohnkonzepte und eine Auswahl an vielfältigem, exklusivem Interior Design für die zukünftige Wohnoase.

Weitere Informationen finden Sie unter xania.ch

Steckbrief

In der Seestadt am linken Zürichsee-Ufer ist das Leben urban geprägt. Alles ist nah, vieles in Gehdistanz: Schulen, Kitas, Einkaufsmöglichkeiten, Cafés und Restaurants, aber auch diverse Fachgeschäfte.

Willkommen in Thalwil, der bezaubernden Stadt zwischen Wald und See. Hier finden Sie eine Vielzahl attraktiver Vorzüge: von zahlreichen Freizeitmöglichkeiten über direkten Seezugang bis hin zu hervorragenden Einkaufsmöglichkeiten und der Nähe zur Stadt Zürich. Im Lake Ville erleben Sie eine ruhige Wohnlage, die jedoch alles bietet, was das Leben einfach und genussreich macht. Erleben Sie eine Fülle von Möglichkeiten für verschiedene Outdoor-Aktivitäten. Geniessen Sie Rudern, Segeln, Schwimmen im See oder erkunden Sie den einzigartigen Wildnispark des nahegelegenen Sihlwaldes bei Wanderungen, Jogging oder Biking. Hier finden Sie die perfekte Balance zwischen Naturerlebnis und urbanem Komfort.

Mehr Informationen unter lakeville.ch

Steckbrief

Philipp Röthlisberger CEO der XANIA-Gruppe. Als Group CEO von XANIA verantwortet Philipp Röthlisberger die strategische und operative Führung des Unternehmens. Er treibt die Weiterentwicklung der Gruppe voran und steuert gezielt deren Wachstum. Er ist massgeblich für den Aufbau und die Pflege strategischer Partnerschaften verantwortlich, um Netzwerke zu stärken, neue Geschäftsmöglichkeiten zu erschliessen und eine hohe Kundenzufriedenheit sicherzustellen.

Philipp Röthlisberger verfügt über umfassende Erfahrung und Expertise im Bereich Real Estate Management. Zuletzt war er als Leiter

Projektentwicklung bei einem der führenden Totalunternehmer tätig. Zuvor bekleidete er Positionen als Geschäftsführer bei international agierenden Architekturunternehmungen sowie in leitenden Positionen bei institutionellen Investoren, mit der Verantwortung für die Immobilienentwicklung und das Führen von Portfolios mit anspruchsvollen Grossprojekten.

Durch ein Nachdiplom in Betriebswirtschaft an der Universität St. Gallen sowie diverse Weiterbildungen im Bereich Real Estate Management mit einem MAS-Abschluss an der Hochschule Luzern hat er seine Kompetenzen komplementiert.

Hochwertiges Wohneigentum in der kleinen Stadt am See.

Thalwil - In Ruhe das Leben geniessen.

Prozessfinanzierung Erfolgsorientiert

Zivilprozessuale Auseinandersetzungen sind häufig kostspielige Angelegenheiten, die sich über Jahre hinziehen können. Damit Kläger, die im Recht sind, dieses Recht auch durchsetzen können, benötigen sie ein grosses finanzielles Durchhaltevermögen.

Mit einer Prozessfinanzierung unterstützt JuraPlus AG den rechtsgleichen Zugang zur Justiz – gerade in jenen Fällen, in denen die Gerichte keine unentgeltliche Prozessführung oder Rechtsschutzversicherungen keine Deckung gewähren.

Turn static files into dynamic content formats.

Create a flipbook
Issuu converts static files into: digital portfolios, online yearbooks, online catalogs, digital photo albums and more. Sign up and create your flipbook.