oora 47 • Cora: Gehörlos Hip Hop tanzen

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Cora Gehörlos Hip Hop tanzen

Text: Johanna Weiß • Fotos: Steve Stymest

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Die 24-jährige Cora Friebl ist Mediengestalterin, erfolgreiche Hip-Hop-Tänzerin und gehörlos. Unsere Redakteurin hat sie in München getroffen, bei einem Kaffee einiges aus ihrem Leben als Gehörlose erfahren und Cora und ihre Crew beim Training erlebt. // Hip-Hop-Klänge erfüllen den Raum, der Bass dröhnt ordentlich mit, die Tänzerinnen und Tänzer laufen über den hellen Parkettboden auf ihre Plätze. Die orange gestrichene Decke über ihnen macht den hell erleuchteten Tanzraum warm. Eine Längsseite des Raumes besteht aus Fenstern, am Rest der Wände hängen große Spiegel nebeneinander. Bald stehen die zwölf Tänzer in perfekter Körperhaltung in Position, blicken konzentriert nach vorne und warten auf ihren Einsatz. »Fünf, sechs, sieben, acht« zählt die Trainerin vor, ihre ausgestreckten Arme hält sie dazu nach oben und zählt gut sichtbar mit ihren Fingern mit. Bei jeder neu angezählten Zahl wippen ihre Arme deutlich nach vorne, so wie Hip-Hop-Fans auf einem Konzert, die ihre Arme zu den Bässen ihres performenden Stars bewegen. »Deutliche Bässe sind das wichtigste, wir brauchen immer ­große Subwoofer«, erklärt Cora Friebl »und natürlich einen Boden, der die Bässe weitergibt, am besten Holz. Einmal hatten wir einen geplanten Auftritt, wo es keine Subwoofer gab und die Lautsprecher noch dazu weit oben an der Decke hingen. Die Musik war nicht fühlbar und wir mussten wieder nach Hause fahren.« Die 24-Jährige ist Teil der Münchner

Tanzgruppe »Nikita«. Die Gruppe besteht aus hörenden und gehörlosen jungen Menschen zwischen 15 und 30 Jahren und trifft sich zweimal pro Woche zum Training. Cora selbst ist auch gehörlos und Tanzen ist ihre Leidenschaft. Als Fünfjährige hat sie zum ersten Mal eine Ballettaufführung gesehen und wollte danach unbedingt selbst tanzen. »Meine Eltern haben eine Ballettschule für mich ausgesucht, doch dort klappte die Kommunikation mit den anderen hörenden Mädchen leider nicht, ich fühlte mich ausgeschlossen.« Ein Grund, den Traum vom Tanzen hinzuwerfen war das für Cora nicht. Die Tanzlehrerin der Einrichtung war bereit, eine Gruppe für gehörlose Kinder und einige hörende Geschwister anzubieten. Daraus wurde mit der Zeit eine Ballettgruppe, die etwa drei Auftritte im Jahr hatte.

Die Sportler liegen im Trainingsraum verteilt auf dem Boden und wärmen sich auf. Die Trainerin klopft kräftig auf den Boden, alle spüren das Signal und drehen sich zu ihr um.

Die Münchner Tanzgruppe »Nikita«, eine integrative Hip-Hop-Gruppe mit gehörlosen und hörenden Tänzern. Quergedacht

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Cora tanzt seit ihrem fünften Lebensjahr – angefangen hat sie mit Ballett.

Vor dem Training sitzen Cora und ich zum Interview in der Filmwirtschaft in München und die hübsche junge Frau gibt Einblicke in ihr Leben als Gehörlose. Ihr Gesicht ist ausdrucksstark, Mimik und Gestik unterstreichen ihre Worte. Cora hat mittellange braune Haare, blaue Augen und ein offenes Lächeln. Zum Jeansrock trägt sie einen türkisfarbenen Pullover und einen grauen Schal. Um ihren Hals baumelt eine goldene Kette, die Steine daran schimmern blau und grün im Kneipenlicht. Vor ihr liegt ein Block, um notfalls auf schriftliche Kommunikation umsteigen zu können. Doch normalerweise liest sie von den Lippen ab und spricht auch selbst normale Lautsprache. Man hört dabei, dass sie gehörlos ist, versteht sie aber perfekt. Seit ihrem zwölften Lebensjahr kann sie verschiedene Geräusche hören. Damals bekam sie ein sogenanntes Cochlea-Implantat. »Eines der ersten Geräusche, das ich bewusst wahrgenommen habe und erstmal gar nicht zuordnen konnte, war das Ticken eines Reiseweckers. Ich bin dann auf Spurensuche gegangen, bis klar war, woher das Geräusch kam. Meine Mutter hatte Tränen in den Augen.« Auch sie selbst hat damals vor Freude geweint, erzählt Cora. Sehr fleißig sei sie dann gewesen und habe sich Stück 38

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für Stück immer neue Geräusche beigebracht oder wurde förmlich von ihnen überfallen. »Einen Riesenschreck bekam ich, als ich die WC-Spülung betätigt habe. Ich wäre beinahe rückwärts aus dem Waschraum gesprungen, weil es so extrem laut war!« Wie haben Coras Eltern reagiert, als sie erfuhren, dass ihre Tochter gehörlos war? »Sie waren entsetzt und sehr erschrocken. Danach haben sie Beratung gesucht, um zu erfahren, wie sie mich am besten unterstützen und fördern können.« So wurden die ersten starken Hörgeräte angepasst. Bereits mit einem halben Jahr besuchte sie einmal pro Woche die Frühförderung. Es folgte der Besuch der schulvorbereitenden Einrichtung, parallel Logopädie, Sprachtraining und spezielle Gehörlosenförderung. Ein Spaß sei das nicht gewesen, sondern harte Arbeit, die sie oft am liebsten hingeschmissen hätte. Ohne die Unterstützung durch ihre Familie stünde Cora wohl nicht da, wo sie heute steht. »Meine Eltern haben sich sehr für mich eingesetzt und mir viel beigebracht. Sie haben selbst lautbegleitende Gebärden gelernt und bei vielen Gelegenheiten einen Dolmetscher für mich und andere gehörlose Kinder engagiert.« Andererseits haben ihre Eltern sie immer auch herausgefordert und für so viel »normalen« Umgang wie möglich gesorgt. Dank der vielen Kontakte ihrer Eltern und ihres großen Bruders hat der Umgang mit Hörenden für sie von klein auf zum Alltag gehört. Seit dem Implantat hört Cora zwar – doch die Frequenzbreite ist wesentlich geringer, sodass die Leistung ihres Gehörs nicht mit der eines normal Hörenden mithalten kann. »Wenn mein Gesprächspartner laut und deutlich spricht und beim Sprechen die Zähne auseinander bringt, dann hilft das definitiv, aber ohne gleichzeitig Lippen zu lesen kann ich niemanden verstehen.« Das bedeutet auch, dass sie einem Gespräch von mehreren Hörenden nicht folgen kann. »Das ist manchmal schon schwierig, zum Beispiel im Familienkreis. Es wird überall geredet und wenn ich dann nachfrage, bekomme ich manchmal nur eine kurze Zusammenfassung des Gesprächs. Ich hätte aber gerne gewusst, was jeder Einzelne gesagt hat.« Nach einer Weile schiebt sie nach: »Natürlich ist es für die Leute auch anstrengend, wenn sie für mich immer alles wiederholen müssen.« Würden aber fünf Gehörlose miteinander am Tisch sitzen, sich in Gebärdensprache unterhalten und auch so wie Hörende manchmal durcheinanderreden, könnte Cora ihnen problemlos folgen. Während des Trainings wird das deutlich. Zu Beginn sitzen die Tänzerinnen und Tänzer im Kreis auf dem Boden, so dass jeder den anderen sehen kann. Bald ist Weihnachten und heute wird gewichtelt. Die Trainerin Kassandra reicht eine Mütze herum, in der Zettel mit den Namen der Crew stecken. Jeder im Kreis zieht einen, faltet ihn auf, viele lachen und kommentieren das Gezogene. Es geht heiter zu, mal zu zweit, mal in der ganzen Gruppe unterhalten sie sich in Gebärden. Jemand, der diese Sprache nicht spricht, kann das muntere Treiben nur fasziniert beobachten. Mittlerweile liegen die Sportler im Trainingsraum verteilt auf dem Boden und wärmen sich auf. Die Trainerin


Als Fünfjährige hat sie zum ersten Mal eine Ballettaufführung gesehen und wollte danach unbedingt selbst tanzen.

Am liebsten tanzt Cora auf Hip Hop. Den kann sie zwar nicht hören, aber besser als jede andere Musik fühlen. Quergedacht

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dem ich Ronja kennengelernt habe, war ich sehr traurig als wir nach Hause fuhren und wäre am liebsten gleich wieder zur Zeltstadt gefahren.« Ab da haben sich die beiden alle zwei Jahre wieder in der Zeltstadt getroffen und auch unter dem Jahr hatten sie Kontakt. Weil Ronja mehr mit Cora kommunizieren wollte, hat sie sogar selbst Gebärdensprache gelernt. »Ronja ...«, lächelt Cora »ja, das ist eine tolle Freundin. Ein Geschenk von Gott.« Mittlerweile macht Ronja eine Ausbildung als staatlich anerkannte Gebärdensprachdolmetscherin und beherrscht die Gebärdensprache perfekt. »So, als ob sie selbst gehörlos wäre.«

Cora mit ihrer Trainerin und Tanzpartnerin Kassandra Wedel. Die beiden wurden 2012 Weltmeister im Hip-Hop-Duo der ­Parameisterschaft.

In letzter Zeit haben immer mehr Gehörlose gesagt ›Wir können das auch‹ und sich für ihr Recht auf Verstehen eingesetzt. klopft kräftig auf den Boden, alle spüren das Signal und drehen sich zu ihr um. Kassandra zeigt eine neue Aufwärmübung. Während des Aufwärmens unterhält sich Cora mit ihrer Trainerin – vielleicht über den Ablauf der Stunde, denn Cora ist CoTrainerin. Ist Kassandra nicht da, übernimmt sie das Training. Abwechselnd zum Gespräch mit Kassandra spricht Cora mit anderen Tänzern und ihrem Freund, der heute auch beim Training zusieht. Er ist auch schwerhörig, kann wie Cora von den Lippen ablesen und Lautsprache sprechen. Er kommentiert das Geschehen und übersetzt die Gebärden der Tänzer für die Hörende neben sich. Zum Stichpunkt Interaktion zwischen Hörenden und Gehörlosen muss Cora lächelnd an ihre beste Freundin denken. Die beiden haben sich mit acht Jahren in der Zeltstadt kennengelernt, einem christlichen Familiencamp, zu dem Coras Eltern sie und ihren Bruder von klein auf mitgenommen haben. »Zeltstadt bedeutete für mich, eine Woche als einzige Gehörlose unter tausenden Hörenden zu sein. Ich habe mich jedes Jahr geärgert und wollte nie hin.« Bis zu dem Jahr, in dem Cora und Ronja sich kennenlernten. Ronja habe schon damals ein tolles Mundbild – also deutliche, akkurate Lippenbewegungen – gehabt und konnte das Fingeralphabet in Gebärden. Die beiden haben viel mit­ein­ander unternommen und waren bald unzertrennlich. »In dem Jahr, in 40

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Für die Gäste im Raum zeigen Kassandra und Cora nun ihre neueste Choreographie. Die beiden tragen weiße T-Shirts auf denen ein rotes Herz prangt. »I love Hip Hop« sagt der Schriftzug. Eine Liebeserklärung an den Hip Hop – der Musik, die sie zwar nicht hören, aber besser als jede andere Musik fühlen können. An der Choreographie »Liebe überwindet Mauern« arbeiten die beiden noch, an manchen Stellen müssen sie feilen und vor allen Dingen den für sie nicht hörbaren Text zu den jeweiligen Takten lernen. Damit sie ihre Gebärden zum Text passend einsetzen können, haben sie heute die Hörende in der Crew gebeten, den Text simultan zur Musik in Gebärden zu übersetzen. Die beiden tanzen also, bewegen ihre Körper energisch und geschmeidig, mal Nähe suchend, mal Distanz einfordernd zur Musik und blicken dabei immer wieder kurz zu Susanne, die vor dem Spiegel am Rand des Raumes sitzt und die Worte der Sängerin übersetzt. Vor großen Auftritten oder Turnieren trainieren Kassandra und Cora drei bis vier Mal in der Woche. Das passiert neben Arbeit und Studium. Kassandra studiert Theaterwissenschaft, Cora arbeitet als Mediengestalterin. So wie Kassandras Universität war auch Coras Berufsschule für Hörende. Ein Dolmetscher müsse da immer dabei sein, ohne ginge es nicht. »Früher war es für einen Gehörlosen gar nicht möglich, eine normale Ausbildung zu machen oder zu studieren«, sagt Cora. »Aber in letzter Zeit haben immer mehr Gehörlose gesagt ›Wir können das auch‹ und sich für ihr Recht auf Verstehen eingesetzt.« Nicht immer ist klar, wer die Kosten dafür übernimmt und so hat es auch bei Cora ein paar Monate gedauert, bis sie für die Berufsschule eine Dolmetscherin zur Seite gestellt bekam. Letzten Endes wurden die Kosten vom Schul- und Kultusreferat der Stadt München übernommen. Das Dranbleiben lohnte sich auch hier: Im November 2011 hat sie ihre Abschlussprüfung abgelegt, seit einigen Monaten ist sie südlich von München bei einem Lebensmittelhersteller im Online-Bereich als Mediengestalterin fest angestellt. ///

Johanna Weiß (27) schreibt, liest, fotografiert, geht gerne auf Reisen, mag Straßenmusik und hat viele Fragen über Gott und die Welt.


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