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Deutschland Die Wirtschaft wird den Projektionen zufolge 2022 um 1,9 % und 2023 um 1,7 % wachsen, der Krieg in der Ukraine und das Ölembargo gegen Russland beeinträchtigen ihre Erholung. Der Inflationsanstieg schwächt die Kaufkraft der privaten Haushalte, wodurch die Belebung des privaten Verbrauchs gedämpft wird. Das Anleger- und Verbrauchervertrauen ist eingebrochen und die Lieferkettenengpässe haben sich verschärft. Dadurch verzögert sich die Erholung der Industrieproduktion und der Exporte trotz eines hohen Auftragsbestands bis Ende 2022. Die Erholung könnte durch einen plötzlichen Stopp der Gasimporte aus Russland oder länger andauernde Lockdowns in China noch stärker ins Stocken geraten. Die Förderprogramme zur Abfederung der steigenden Energie- und Nahrungsmittelpreise müssen zielgenau auf vulnerable Haushalte und Unternehmen ausgerichtet sein. Höhere Infrastrukturinvestitionen und bessere Planungs- und Genehmigungsverfahren und -kapazitäten, insbesondere auf kommunaler Ebene, würden die Digitalisierung und die Energiewende beschleunigen, ein entscheidender Faktor, um die Abhängigkeit von Energieimporten zu verringern. Um dem Fachkräftemangel entgegenzuwirken, sollte die Erwerbsbeteiligung von Frauen sowie älteren und geringqualifizierten Arbeitskräften erhöht und die Ausbildung und Erwachsenenbildung verbessert werden. Außerdem sollten die Berufszulassungsanforderungen gelockert werden, um den Wechsel in stark nachgefragte Berufe zu erleichtern. Als weitere Maßnahme sollte die Anerkennung der Qualifikationen von Zugewanderten und Geflüchteten erleichtert werden. Unsicherheit, Lieferkettenengpässe und hohe Inflation belasten die Wirtschaft Im ersten Quartal 2022 wuchs das reale BIP um 0,2 % (saisonbereinigte vierteljährliche Rate). Im Januar und Februar führten die Entspannung der Lieferketten und milde Witterungsbedingungen zu einer Belebung im Verarbeitenden Gewerbe und in der Bauwirtschaft sowie bei den privaten Investitionen und den Exporten. Im Einzelhandel und Gastgewerbe begannen die Umsätze aufgrund der Ersparnisüberschüsse und der Aufhebung der Coronabeschränkungen im März wieder zu steigen. Der Krieg hat diesen positiven Ausblick jedoch verändert. Die hohe Inflation und der Einbruch des Verbrauchervertrauens belasten den privaten Konsum. Die erhöhte Unsicherheit, der starke Anstieg der Energiepreise und neue Materialengpässe beeinträchtigen das Verarbeitende Gewerbe und die Bauwirtschaft sowie Privatinvestitionen und Exporte. Das ifo Geschäftsklima brach im März um mehr als 13 % ein, stabilisierte sich aber im April und Mai. Die Industrieproduktion und der Warenexport gingen im März um 3,9 % bzw. 3,3 % zurück (im Monatsvergleich). Die Jahresrate der Gesamtinflation stieg im Mai auf 8,7 %. Mehr als 40 % der Preissteigerung war nicht direkt auf Energieprodukte zurückzuführen, sondern auf die Weitergabe hoher Erzeugerpreise, die im April im Jahresvergleich um 33,5 % anstiegen. Die Großhandelspreise haben sich im April im Jahresvergleich um 23,8 % und gegenüber März 2022 um 2,1 % erhöht. Der Arbeitsmarkt blieb angesichts eines Beschäftigungswachstums von 0,2 % im März robust, und die Arbeitskräfteengpässe verschärfen sich. Nach einem moderaten Lohnwachstum während der Pandemie stiegen die Tariflöhne im ersten Quartal 2022 stark an (um 4 % im Jahresvergleich).
OECD-WIRTSCHAFTSAUSBLICK, AUSGABE 2022/1: LÄNDERNOTIZ DEUTSCHLAND © OECD 2022