8 minute read
Wie umgehen mit Rachebewertungen?
Job-Plattformen wie Kununu, auf denen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter Urteile über ihren Arbeitgeber fällen können, werden beim Kampf um die besten Köpfe immer wichtiger. Doch dies lockt auch Beschäftigte an, die ihren Frust herauslassen. Aber gegen falsche Tatsachenbehauptungen gibt es Mittel und Wege.
Wer die Bewertungen der Norderstedter Firma Dinse auf dem Portal Kununu las, konnte das Schweißtechnikunternehmen für den Vorhof zur Hölle halten. „Ich war teils fassungslos, wie seitens der Geschäftsleitung Mitarbeiter vorgeführt und verhöhnt wurden“, heißt es in einem Kommentar. Homeoffice gebe es „0,0“. In einer anderen Bewertung ist zu lesen, dass „toxische Männlichkeit an der Tagesordnung“ sei: „Dessen sind sie sich auch bewusst und feiern sich dafür. Es war ein Graus, jeden Tag zur Arbeit zu gehen.“ Aufstiegschancen gebe es nicht. Und die Firma sei eh ohne Perspektive: „Es ist ein altes Produktionsunternehmen, was es schwer haben wird, in 10 Jahren noch am Markt zu sein. Dafür müsste man eigentlich alles ändern.“
Inzwischen sind die Kommentare nicht mehr im Netz. Torsten Lischke, Geschäftsführender Gesellschafter bei Dinse, schaltete mit Erfolg einen Anwalt ein. „Die Bewertungen enthielten eine Fülle falscher Tatsachenbehauptungen, etwa bei den angeblich fehlenden Aufstiegschancen. Wir unterstützen unsere Mitarbeitenden bei Fortbildungen finanziell und zeitlich. Mehrere leitende Angestellte bzw. Vorgesetzte haben als Mitarbeiter in der Produktion oder in der Verwaltung bei uns begonnen und später Verantwortung als Führungskraft übernommen.“ Gegen das angeblich katastrophale Betriebsklima führt Lischke Weihnachtsfeiern und Sommerfeste sowie die jahrzehntelange Zugehörigkeit vieler Beschäftigter ins Feld. Lischke weiter: „Immer wieder bekomme ich positive Rückmeldungen von Kunden, Lieferanten und Besuchern, dass bei uns die gute Atmosphäre und Stimmung besonders auffällt.“ Dass die Verfasser es mit der Wahrheit nicht so genau nahmen, zeigt in der Tat das simple Beispiel des angeblich verwehrten Homeoffice: „Der gesamte Außendienst arbeitet zum Beispiel im Homeoffice, wenn er nicht auf Reisen ist. Auch im Innendienst oder in der Entwicklung wurde im Homeoffice gearbeitet.“ Lischke ist überzeugt, dass es sich um Rachebewertungen handelt, verfasst von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, die im Unfrieden das Unternehmen verlassen haben.
Bewertungen wichtig für die Jobsuche
Dinse hat dieses Problem keineswegs exklusiv. Alle Branchen werden zunehmend mit diesem Phänomen konfrontiert: Ehemalige oder frustrierte aktuelle Beschäftigte lassen im Schutz der Anonymität im Netz ihre Wut auf ein Unternehmen aus. Dies kann die Bewerberlage gerade im Zeichen des Fachkräftemangels weiter verschärfen. Nach einer aktuellen Studie eines interuniversitären österreichischen Forscherteams greifen knapp drei Viertel der Jobsuchenden in Deutschland (73,6 Prozent) auf Arbeitgeberbewertungsportale wie etwa Kununu zurück, um sich über infrage kommende Unternehmen zu informieren. Ein Fünftel (20,1 Prozent) nutzt diese Portale immer, rund ein Drittel (32,8 Prozent) häufig und drei von zehn Bewerberinnen und Bewerbern (29,8 Prozent) informieren sich dort gelegentlich.
Kununu – der Begriff kommt aus der afrikanischen Sprache Suaheli und bedeutet „unbeschriebenes Blatt“ – gilt mit aktuell mehr als 5,2 Millionen Bewertungen zu über 565.000 Firmen im deutschsprachigen Sprachraum als klarer Marktführer bei den Job-Bewertungsportalen. Ähnlich wie beim Internetgiganten Amazon oder Reiseplattformen wie booking.com können Nutzerinnen und Nutzer einen bis fünf Sterne für Kategorien wie Karriere und Gehalt, Unternehmenskultur und Arbeitsumgebung vergeben. Daraus errechnet Kununu einen Mittelwert, den sogenannten Score. Klar ist: Bei mittelständischen Unternehmen wie Dinse können schon wenige besonders schlechte Bewertungen diesen Wert nach unten ziehen.
Unternehmen sollten mehr kommentieren
Kununu verweist auf ein internes Regelwerk. Jede Bewertung werde automatisch kontrolliert und bei Verstoß gegen diese Regeln deaktiviert. Diskriminierende, beleidigende, rufschädigende, rassistische und vulgäre Aussagen seien nicht erlaubt. Doch zur Wahrheit gehört eben auch, dass Verfasser von Bewertungen nicht einmal nachweisen müssen, dass sie bei dieser Firma aktuell arbeiten oder gearbeitet haben – eine Kategorie analog zu Amazon („Verifizierter Kauf“) gibt es bei Kununu nicht. Theoretisch könnte also ein Beschäftigter seinen Freundeskreis bitten, schlechte Bewertungen zu platzieren.
„Plattformen wie Kununu pressen Unternehmen in ein Vergleichsportal“, sagt Gunther Wolf, einer der renommiertesten deutschen Management-Trainer. Der Diplom-Ökonom und -Psychologe sieht zwar einen entscheidenden Unterschied zu Hotel- und Restaurantportalen: „Wer in einer fremden Stadt essen gehen möchte, orientiert sich oft an den Google-Bewertungen. Bei Kununu ist das anders. Wer einen Job sucht, informiert sich zunächst generell, bei welchen Unternehmen eine Bewerbung Sinn machen könnte. Erst im zweiten Schritt schaut er sich dann die Bewertungen an. Und wenn die eher negativ sind, bewirbt er sich lieber woanders.“ Plattformen wie Kununu sind für Wolf daher „Bewerbungsverhinderungsportale“.
Dies bestätigt die aktuelle Studie aus Österreich. Demnach verzichten 86,9 Prozent der Kununu-Nutzer bei einem Wert von unter 2,5 auf der Skala von eins bis fünf auf eine Bewerbung. „Bewertungsportale sind zum Ort der Wahrheit für Kandidatinnen und Kandidaten geworden“, sagt Professor Wolfgang Mayrhofer von der Wirtschaftsuniversität Wien, Mitautor der Studie.
Doch was können Unternehmen tun, um ihren Score zu verbessern? Und vor allem: Welche Mittel sind sinnvoll gegen Rachebewertungen?
Wolf ist immer wieder überrascht, wie wenige Unternehmen sich mit der Suche nach Antworten beschäftigen: „Manche kennen diese Plattformen kaum.“ Dabei gehe es um die richtige Strategie. So hält es Wolf für einen Fehler, wenn die HR-Abteilungen nur negative Urteile bei Kununu kommentieren: „Wer sich entscheidet, auf Bewertungen zu reagieren, muss dies durchhalten können. Dazu gehört auch der Dank für eine positive Bewertung.“ Fatal sei es, wenn man auf Rachebewertungen emotional reagiere. Kommentare wie „Wie wir ja beide wissen, waren Sie ja auch nicht ganz ohne“ würden alles noch schlimmer machen: „Das fällt aus Bewerbersicht auf das Unternehmen zurück.“
Stattdessen sollten die HR-Abteilungen ihre Führungskräfte sensibilisieren, alles zu versuchen, sich von Beschäftigten im Guten zu trennen: „Das mindert die Gefahr von Rachebewertungen.“
Um den Score bei Kununu anzuheben, empfiehlt Wolf Appelle an die Belegschaft, Bewertungen abzugeben: „Das darf aber nicht aufgesetzt wirken, so nach dem Motto, jetzt vergibt hier jeder mal fünf Punkte für den eigenen Laden.“ Viel besser seien passende Anlässe –etwa die Pause in einer Fortbildung. Oder wenn die Abteilung über zu große Belastung klagt: „Dann kann die Führungskraft sagen, dass ein besserer Score bei Kununu zu einer besseren Bewerberlage führt.“
Individuelle rechtliche Beratung suchen
Den juristischen Weg sieht Wolf dann als richtig an, wenn das Renommee des Unternehmens durch falsche Tatsachenbehauptungen leide – oder ganze Abteilungen diskriminiert würden. So verstieg sich bei Dinse ein Verfasser zu der Behauptung, der Haustechniker mache nur noch das Nötigste, weil er sich nach der Rente sehne. „Diese Beleidigung eines geschätzten Mitarbeiters konnten wir nicht akzeptieren“, sagt Lischke.
Der rechtliche Kampf gegen Rachebewertungen hat sich inzwischen zu einem Markt entwickelt. Über Google werben Kanzleien mit Slogans wie „Aufgepasst – für nur 79 Euro Kununu-Bewertungen löschen lassen“ für ihre Dienste.
Der Jurist Thomas Feil, der sich mit seiner Hannoveraner Kanzlei „recht-freundlich“ seit Jahren intensiv mit dieser Materie beschäftigt, ist bei diesen Dumping-Angeboten skeptisch: „Dahinter stecken auf Massenverfahren spezialisierte Kanzleien, die auf Standardanschreiben an Kununu setzen. Die haben oft fünf Seiten, sehen beeindruckend aus, aber bestehen aus vorgefertigten Textbausteinen. Kununu schaut sich solche Schreiben genau an. Und wenn sie feststellen, dass die Briefe sich gar nicht konkret mit den schlechten Bewertungen auseinandersetzen, lehnen sie die gewünschte Löschung ab.“
Wer den Schriftsatz der von Dinse beauftragten Kanzlei studiert, begreift schnell, wie intensiv sich Juristen mit der Materie auseinandergesetzt haben. Punkt für Punkt werden die Behauptungen in den Kommentaren widerlegt. Zwar schreibt Kununu, dass man die Negativbewertungen nur vorübergehend deaktiviert habe. Man werde die Verfasser nun per Mail kontaktieren und Nachweise für ihre Tatsachenbehauptungen anfordern. In aller Regel gibt es auf diese Mails keine Reaktion, sodass es bei der Löschung bleibt. Allerdings ist mitnichten jede aus Arbeitgebersicht unerfreuliche Bewertung anfechtbar. „Gegen reine Meinungsäußerungen gibt es kaum eine Chance“, sagt Feil. Eine Bewertung wie „Ich empfand die Arbeitsatmosphäre als sehr belastend“, bleibe unangreifbar. Anders sei es jedoch, wenn – wie im Fall Dinse – behauptet wird, im gesamten Unternehmen herrsche „toxische Männlichkeit“. Dann müsse der Verfasser nachweisen, dass männliche Führungskräfte etwa herumbrüllen: „Wenn das nicht vorkommt, handelt es sich um eine falsche Tatsachenbehauptung.“
Allerdings bleiben die Unternehmen auch in solch klaren Fällen auf den Anwaltshonoraren sitzen. Kununu löscht nur – und beteiligt sich an den Kosten mit keinem Cent. „Die einzige Chance wäre, dass die Unternehmen im Kampf gegen Rachebewertungen die Verfasserin oder den Verfasser ausfindig machen und dann zivilrechtlich angehen“, sagt Feil. Diese Möglichkeit sei allerdings eher theoretischer Natur: „Selbst wenn das Unternehmen einen konkreten Verdacht hat, wer das geschrieben haben könnte, müsste der Betroffene dies schon selbst zugeben. Kununu wird den Namen nicht preisgeben.“
Dennoch scheint eine Investition in juristische Expertise, um eine Rachebewertung löschen zu lassen, deutlich interessanter als das Buchen eines kostenpflichtigen Firmenprofils bei Kununu, wo Unternehmen PR in eigener Sache machen können. Management-Experte Wolf ist skeptisch, ob sich diese Ausgaben mit Blick auf den Kampf um die besten Köpfe auszahlen: „Wer auf Kununu geht, will Bewertungen lesen.“ Peter Wenig