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Face to Face: Marineschiffbau

Zwei Menschen, zwei Sichtweisen: Thomas Röwekamp (56), CDU-Bundestagsabgeordneter aus Bremen, und Johannes Arlt (39), SPD-Bundestagsabgeordneter aus Neustrelitz, diskutierten auf Einladung von NORDMETALL die Lage des Marineschiffbaus in Deutschland.

Standpunkte: Die maritime Wirtschaft Deutschlands erzielt mit rund 190.000 Beschäftigten einen Jahresumsatz von knapp 48 Milliarden, fast ein Drittel davon im Marine-Schiffbau. Warum sind trotz dieser hohen Relevanz die Aussichten der Branche durchwachsen?

Röwekamp: Der militärische Schiffbau in Deutschland ist zurzeit Restriktionen ausgesetzt, wie wir sie international, aber auch im europäischen Rahmen nicht kennen. Wir müssen beim Thema Rüstungsexporte, aber auch bei der Beschaffung von eigenen militärischen Systemen Geschwindigkeit und Fahrt aufnehmen, um unsere technologische und wirtschaftliche Leistungsfähigkeit in Wirtschaftsleistung und Beschäftigung umzusetzen.

Arlt: Die Geschwindigkeit der Beschaffung haben wir – dankenswerterweise auch mit der CDU – im letzten Jahr bereits erhöht. Zudem hat der Verteidigungsminister im April mit der Aufhebung aller Erlasse und Vorschriften zur militärischen Beschaffung weiter beschleunigt. Aber wir können noch besser werden. In diesem Jahr geben wir insgesamt 50 Mrd. EUR für Ausrüstung aus – ein gigantischer Betrag. Für die maritime Wirtschaft sind die Zukunftsaussichten so düster nicht: Durch den Spezialschiffbau und den Bau von Konverterplattformen können wir Wertschöpfung in Deutschland generieren.

Standpunkte: Bleiben wir mal bei den Exporten. Die Neufassung des Rüstungsexportkontrollgesetzes steht bevor. Welche Chancen und Risiken sehen Sie da?

Röwekamp: Die CDU-/CSU-Fraktion sieht keinen Grund für eine Veränderung der bewährten Regelungen zur Rüstungsexportkontrolle durch ein neues eigenständiges Gesetz. Seit der Bundestagswahl ist das erklärte Absicht der Ampel, aber bis heute fehlt eine Vorlage. Dadurch ist ein Vakuum entstanden, das der maritimen Rüstungsindustrie schadet: Dringend benötigte Exportgenehmigungen werden nicht erteilt, das Bundeswirtschaftsministerium trifft zurzeit keine Entscheidungen. International verlieren wir so Aufträge und Ansehen. Das muss sich rasch ändern. Wenn wir schon ein neues Gesetz bekommen, dann darf es keine zusätzlichen Restriktionen enthalten, sondern muss Rüstungsexporte erleichtern. Die brauchen wir nach dem Überfall Russlands auf die Ukraine und im Wettbewerb mit unseren europäischen Partnern.

Thomas Röwekamp
… wurde 1966 in Bremerhaven geboren, studierte nach einer Lehre zum Bankkaufmann und abgeleistetem Grundwehrdienst Jura in Bremen und arbeitet dort als selbstständiger Rechtsanwalt und Notar. Seit 1991 war er Mitglied der Bremischen Bürgerschaft, 2003 bis 2007 Senator für Inneres und Sport und von 2007 bis 2021 Vorsitzender der CDU-Bürgerschaftsfraktion. Bei der Bundestagswahl 2021 zog der Vater von drei erwachsenen Kindern für die CDU in den Deutschen Bundestag ein und ist dort Mitglied im Verteidigungsausschuss.

Standpunkte: Warum diese Hängepartie mit der Vorlage des Gesetzes?

Arlt: Uns ist eine starke deutsche Sicherheits- und Verteidigungsindustrie wichtig. Hier gab es auch in der SPD einen Paradigmenwechsel. Gerade unsere Industrie ist vor dem Hintergrund ihrer mittelständischen Struktur besonders leistungs- und innovationsfähig, sie ist aber auch Risiken ausgesetzt, etwa bei Finanzierungsfragen oder unkalkulierbaren Export-Entscheidungen. Der SPD wäre eine gemeinsame europäische Regelung hier am liebsten, jedoch haben wir ein entsprechendes Rüstungsexportkontrollgesetz im Koalitionsvertrag verankert. Für uns hat die Planungssicherheit der Unternehmen in diesem Gesetz die höchste Priorität. Dies muss und darf nicht zu Lasten des Menschenrechtsschutzes gehen. Eine Diskussion über komplette Post-Shipment-Kontrollen von Großgerät, aber auch eine grundsätzliche Genehmigungsfiktion für den Export in NATO-, EU- und gleichgestellte Staaten sollten wir führen.

Röwekamp: Na ja, im Koalitionsvertrag ist ein solches Gesetz vorgesehen, im letzten Jahr wurden Leitlinien vorgestellt. Seitdem folgen nur Ankündigungen. Offenbar kann die Ampel zwei Konfliktpunkte nicht lösen: Das eine ist das Verbandsklagerecht. Dürfen bestimmte Verbände gegen Rüstungsexportentscheidungen der Bundesregierung den Rechtsweg einschlagen? Das wollen Grüne und Nichtregierungsorganisationen. Wir als CDU/CSU sehen keinen Sinn in einem Verbandsklagerecht gegen Einzelentscheidungen. Es ist reines Regierungshandeln, zu entscheiden, ob und welche Rüstungsgüter wir an andere Länder liefern. Und es gibt eine gute parlamentarische Kontrolle.

Standpunkte: Und der zweite Punkt?

Röwekamp: Der zweite Ampel-Streitpunkt, dreht sich um die Beteiligungen der deutschen Rüstungsindustrie an internationalen, insbesondere europäischen Projekten. Die Grünen wollen hier ein Vetorecht Deutschlands, bezogen auf die internationale Verwendung gemeinschaftlich produzierter Rüstungsgüter. Das würde praktisch zum Ausschluss Deutschlands führen, den bösen Begriff „German-free“ als Siegel für Restriktionsfreie Rüstungsgüter gibt es ja längst. Wir werben dafür, dass Deutschland die gleichen Rüstungsexportbedingungen hat, wie andere europäische Länder. Wer europäische Leitlinien für Rüstungsexporte ändern will, der soll das auf europäischer Ebene tun.

Arlt: Wir sprechen derzeit nicht mehr über ein Verbandsklagerecht. Das würde ich auch für falsch halten. Und Herr Röwekamp hat einen Punkt: Deutschland muss ein zuverlässiger Partner sein und seinen Share in multinationalen Projekten auch zuverlässig liefern.

Standpunkte: Wie passt denn ein neues deutsches wertebasiertes Rüstungsexportkontrollgesetz zur EU-Taxonomie, die Rüstung ja generell als schädlich einstuft?

Arlt: Meiner Kenntnis nach ist diese Debatte derzeit vom Tisch. Wir müssen und werden dafür sorgen, dass dies so bleibt und sich die Auffassung durchsetzt, dass die Sicherheits- und Verteidigungsindustrie einen wichtigen Beitrag zur Sicherheit in Europa liefert.

Röwekamp: Ich glaube, dass Taxonomie ungeeignet ist, bei den Fragen der Rüstungsexportkontrolle zu helfen. Ich bin für transparente, klare Regeln – die kann man in Europa und in Deutschland schaffen.

Standpunkte: Verändert denn die „Zeitenwende“ aus Ihrer Sicht auch das Ansehen und die Akzeptanz der deutschen Rüstungsindustrie im Allgemeinen und des Marine-Schiffbaus im Besonderen?

Arlt: Zeitenwende umfasst für mich zweierlei: Erstens muss ein Bewusstseinswandel einsetzen. Sicherheit hat einen Preis, dieser Einsicht dürfen wir uns aus Bequemlichkeit nicht verschließen. Der angesprochene Bewusstseinswandel fängt beim Minister an und endet bei der Beamtin im Beschaffungsamt, wo mutige Entscheidungen honoriert werden müssen. Zeitenwende heißt zweitens, schnell und auf den Punkt liefern zu können. Die Beziehungen zwischen Bundeswehr und Industrie werden sich verändern; das Forderungsmanagement wird sich verbessern. Hoffentlich bald wird es auch mehr europäische Rüstungsprojekte im Common Design geben. Die starke maritime Industrie und der „graue“ Schiffbau können eine Vorreiterrolle in Europa spielen.

Röwekamp: Teil der Zeitenwende darf nicht nur sein, einmalig der Bundeswehr 100 Milliarden Euro Sondervermögen zur Verfügung zu stellen, sondern Zeitenwende bedeutet auch ein klares Bekenntnis zur deutschen Rüstungsindustrie. Verteidigung braucht Rüstungsgüter, die die Industrie liefert. Die Schmuddelecke, in die die Wehrtechnik von Teilen der Politik und pazifistischen Gruppen lange gestellt worden ist, gehört nun geschlossen. Die Ukraine lehrt: Rüstung kann auch bedeuten, Menschenleben zu retten. Unsere Abwehrwaffen schützen dort vor russischen Angriffswaffen.

Standpunkte: Der ursprüngliche 100 Milliarden-Plan sah 41 Milliarden für die 17 fürs Heer und 19 für die Marine, 23 für Digitalisierung, Bekleidung, Forschung vor. Davon ist wohl nicht mehr viel übrig, oder?

Arlt: Der Plan ist, das Sondervermögen im Wesentlichen bis Ende des Jahres 2023 ausgegeben, sprich: kontraktiert zu haben. Eine gemeinsame beachtenswerte Leistung der wehrtechnischen Industrie und des Beschaffungsamts der Bundeswehr.

Röwekamp: Da gerät gerade alles durcheinander. Das liegt daran, das Projekte aus dem Sondervermögen in den regulären Verteidigungshaushalt – den Einzelplan 14 – verschoben wurden und anders herum. Teilweise gibt es dafür gute Gründe, weil etwa Verbrauchsgüter wie Munition nicht aus dem Sondervermögen finanziert werden dürfen, teilweise aber auch nicht. Es fehlt zurzeit die Transparenz. Wir wissen nicht genau: Was ist bei der Marine finanziert? Was passiert mit weiteren Korvetten, was ist mit dem Nachfolgeprojekt bei der Fregatte? Was ist mit unbemannten Systemen, die im Zielbild der Marine für 2035 angestrebt werden? Im Übrigen gilt: Die Ankündigung des Bundesverteidigungsministers, er bräuchte zusätzlich zu den 100 Milliarden Sondervermögen jährlich zehn Milliarden mehr, um das NATO-Ziel zu erreichen, halten wir für begründet.

Standpunkte: Verteidigungsminister Pistorius erreicht ungeahnte Beliebtheitswerte, wohl auch, weil er stets einen entschlossenen Eindruck macht – trifft das aus Ihrer Sicht zu?

Röwekamp: Teils, teils. Er hebt sich wohltuend von seiner Vorgängerin ab, nicht nur in Stil oder Tempo. Wir Abgeordnete erhalten jetzt endlich klare Vorlagen, etwa zur Lieferung von Verteidigungswaffen an die Ukraine. Auch bei der Beschaffung treibt er die Dinge an. Der neue Grundsatz, marktverfügbare Systeme schnell zu beschaffen, anstatt langwierige Entwicklungsprojekte zu führen, findet unsere volle Unterstützung.

Arlt: Wenn sogar die Opposition unseren Minister lobt… Boris Pistorius führt das Ministerium mutig und entschlossen und setzt die notwendigen organisatorischen Veränderungen Stück für Stück planvoll und gut kommuniziert um. Das sollten wir uns alle zum Vorbild nehmen.

Johannes Arlt
… wurde 1984 in Berlin geboren, diente nach seinem Grundwehrdienst seit 2003 als Soldat, davon 15 Jahre lang als Offizier bei der Luftwaffe. Nebenberuflich baute er sein eigenes Unternehmen auf, war von 2009 bis 2015 Geschäftsführer einer Eventmanagement-Firma. Von 2019 bis 2021 war er deutscher Repräsentant an der Swedish Defence University und schloss im Juni 2021 sein Masterstudium im Rahmen des schwedischen nationalen Generalstabslehrgangs an der Försvarshögskolan in Stockholm mit Auszeichnung ab. Seit der Bundestagswahl 2021 vertritt der SPD-Politiker den Wahlkreis 17 in Mecklenburg-Vorpommern und ist Mitglied im Verteidigungs- und Wirtschaftsausschuss, unter anderem zuständig für maritime Wirtschaft.

Standpunkte: In der ersten Kabinettsvorlage für den Haushaltsentwurf 2023 ist der Titel „Wehrtechnische Forschung und Technologie“ von 530 auf 330 Millionen Euro zusammengeschmolzen. Darf das so bleiben?

Arlt: Wir müssen sehen, dass wir hier unseren Wettbewerbsvorteil erhalten. Ich würde mir noch mehr die Nutzung europäischer Programme wie etwa den EDF wünschen. Da haben wir noch Potenzial.

Röwekamp: Wir müssen unseren Vorsprung in Innovation, Technologie und Effizienz erhalten, auch im Bau und in der Bewaffnung der Marine. Deshalb halte ich es für extrem schädlich, an der Stelle zu sparen, im Gegenteil: Hier muss aufgestockt werden.

Standpunkte: Braucht es für die Wehrtechnikindustrie und auch für den Marineschiffbau nicht dringend eine europäische Struktur, befördert durch die Politik, um im Wettbewerb mit Asien und den USA mithalten zu können?

Röwekamp: Wir müssen vernetzter denken, in Bündnis- und nicht nur Landesverteidigung. Das gilt auch für die Rüstungsprojekte. Ich bekomme zum Beispiel sehr gute Sachstandsberichte über das deutsch-norwegische U-BootProjekt. Am Anfang gab es da große Bedenken, jetzt klappt es offenbar trotz höchst unterschiedlicher Anforderungsprofile – auf deutscher Seite bis hin zur Berücksichtigung der Sportstättenverordnung.

Arlt: Vernetzung ist ein gutes Stichwort. Ja, wir sollten mehr europäisch beschaffen. Ja, wir sollten mehr im Common Design beschaffen. Aber dafür muss es auch innerhalb der EU ein Level playing field geben.

Standpunkte: Was erwarten Sie von Boris Pistorius bis zum Jahresende?

Arlt: Ich bin sicher, dass Boris Pistorius den eingeschlagenen Weg konsequent fortsetzt: Reform des Beschaffungswesens, Umbau des Ministeriums, die Zeitenwende – auch verstanden als Bewusstseinswandel – voranzutreiben. Wenn diese erste Mission erfolgreich ist, dann wird auch die Herausforderung gelingen, genügend qualifiziertes Personal für die Streitkräfte zu werben.

Röwekamp: Ich erwarte, dass wir einen Verteidigungshaushalt erleben, der die Erfordernisse abbildet – inklusive des Wunsches, zehn Milliarden mehr zu erhalten. Ich hoffe, dass der Minister Widerstand leistet gegen die Plünderung des Sondervermögens. Und ich habe die Erwartung, dass er das Zwei-Prozent-Ziel für künftige Einzelpläne 14 in den kommenden Jahren erreicht, damit die Zeitenwende keine Episode bleibt.

Standpunkte: Wir danken Ihnen für das Gespräch.

Aufgezeichnet von Alexander Luckow

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