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CYCLING CITY KIEL
from my Boo Mag #3
Im Gespr Ch Mit Kiels Oberb Rgermeister Ulf K Mpfer
Wie sich in Kiel eine nachhaltige Mobilitätswende gestalten lässt, haben wir vom Kieler Oberbürgermeister erfahren.
Die Stadt Kiel hat 2021 den Deutschen Nachhaltigkeitspreis gewonnen, inwiefern versuchen Sie, diesem Titel auch weiterhin gerecht zu werden?
Ein wichtiger Teil von Nachhaltigkeit ist Klimaneutralität, da sind wir hier in Kiel sehr ehrgeizig. Wir streben an, unser Küstenkraftwerk, was bisher auf Gas läuft, bis Anfang der 30er Jahre klimaneutral zu betreiben.
Dann haben wir seit letztem Jahr das große Projekt „Stadtbahn”, welches die Mobilität richtig verändern wird! Beim Thema Fahrradfreundlichkeit wollen wir natürlich zu Städten wie Kopenhagen und Utrecht aufschließen. Wir haben die Investitionen in die Fahrradinfrastruktur verdoppelt, sodass das nächste große Projekt in Kiel nach der Velo Route 10 die Velo Route 1 wird. Diese soll einmal um die ganze Kieler Förde gehen. Auch bei anderen Themen möchten wir vorbildlich sein, wir sind zum Beispiel die erste „Zero Waste“ Stadt gewesen. Diese Bandbreite an Themen wird uns nicht nur die nächsten Jahre, sondern die nächsten Jahrzehnte intensiv beschäftigen.
Welche Projekte im Rahmen nachhaltiger Mobilität sind für die Region Kiel, also auch das Umland, geplant? Einerseits sollen die Radschnellwege ausgeweitet werden, die eben auch in das Kieler Umland reichen. Das ist leider sehr langsam, weil viele Akteure daran beteiligt sind. Andererseits würden wir die Stadtbahn gerne so bauen, dass sie auch in das Kieler Umland verlängert werden kann. Zudem soll ein S-Bahn-Ring das Umland von Kiel verknüpfen, um gleichzeitig in schnelleren Taktungen viele Pendler*innen tagtäglich auf eine umweltfreundliche Weise in die Hauptstadt zu bringen.
Um einen Blick in die Zukunft zu werfen: Was sind die größten Herausforderungen, die uns im Themenfeld nachhaltige Mobilität in den nächsten 10 Jahren begleiten werden?
Auf jeden Fall das Tempo, wir sprechen ja neuerdings vom „Deutschlandtempo“. Wir haben bei den LNG-Terminals gesehen, dass wir schnell sein können. Aber die Mobilitätsthemen dauern nach wie vor unglaublich lange. Die Stadtbahn ist ein Generationsprojekt, aber selbst so ein Fahrradweg um die Förde dauert mehrere Jahre. So etwas ärgert mich. Man sieht aber auch, dass es manchmal schnell gehen kann: Bei der Hafenmobilität haben wir in wenigen Jahren sechs neue Fähren bestellt und bekommen. Aber nicht nur Schnelligkeit, sondern auch Akzeptanz stellt eine Herausforderung dar: Wir haben nur einen begrenzten Straßenraum, den wir verteilen können. Keine Frage, das Auto wird weiterhin eine wichtige Rolle spielen, aber wenn wir sagen „Niemand soll ein Auto haben müssen, um mobil zu sein” und dieses auch jedem Menschen ermöglichen, wäre das schon ein großer Schritt. Es gibt besonders in Städten einen gewissen Verteilungskonflikt, besonders wenn man mehr Platz für Fahrräder, Stadtbahn und Busse schaffen möchte und dadurch Parkplätze begrenzt werden. Da würde ich mir von allen Seiten ein bisschen mehr Offenheit und pragmatisches Denken wünschen.
Darüber hinaus besagt eine Zukunftsthese, dass sich das Auto immer mehr aus der Stadt zurückziehen wird beziehungsweise soll und gleichzeitig das Fahrrad den Mobilitätsalltag noch stärker prägt. Was meinen Sie dazu?
Ich denke, dass es immer Anlässe geben wird, bei denen man das Auto braucht, weshalb es auch in unseren Mobilitätsszenarien für 2050 immer noch ein Viertel des Mobilitätsgeschehens ausmacht. Das ist aber nicht schlimm, denn die Autos sind zukünftig leiser und emissionsfreier und hoffentlich auch weniger. Dafür werden zunehmend Möglichkeiten wie Carsharing und andere Mobilitätsangebote sorgen. Wichtig dabei ist, dass wir Alternativen stärken. Es ist zudem auch ein soziales Thema: Ein Auto zu kaufen und zu unterhalten, kostet eine Menge Geld. Deswegen sind sowohl ein attraktives Angebot als auch gute Preise, wie zum Beispiel das Deutschlandticket oder ein Sozialticket in Kiel, wesentliche Komponenten. Da geht es eben nicht nur um nachhaltige Mobilität und Klimafreundlichkeit, sondern auch um Lebensqualität und Gerechtigkeit in der Stadt, weil Mobilität ein Menschenrecht ist und für jeden zugänglich sein muss. Im Moment passiert noch das Gegenteil: Jahr für Jahr wächst die Zahl der Autos in Kiel um ein Prozent und die Zahl der Einpendler mit dem Auto steigt. Das ist aber kein regionales Phänomen: Selbst in Kopenhagen, in einer Stadt mit einer tollen U-Bahn und guten Radwegen, wächst die Zahl der PKWs. Also immer, wenn man sich über Stau oder fehlende Parkplätze beschwert, sollte man sich einen Moment klar machen, dass jede Person selbst ein Stück Verantwortung trägt.
Inwiefern sehen Sie Unternehmen wie my Boo in der Rolle, die nachhaltige Mobilitätswende mitzugestalten?
Was mir allgemein an my Boo gefällt, außer dass es ein Kieler Unternehmen ist, ist die Nachhaltigkeit, die quasi auf drei „Schultern” liegt: Erstens, Fahrradmobilität ist per se bereits nachhaltig. Zweitens wird durch das Rahmenmaterial Bambus auch Nachhaltigkeit und Ressourcenschonung eingebunden. Der dritte Aspekt ist die Kooperation mit Ghana, dass man da eine nachhaltige Entwicklung im globalen Süden mit kleinem, aber doch sehr effektivem Maße hat. Es gibt wenig Unternehmen, die so breit Nachhaltigkeitsthemen überzeugend integrieren. Attraktive Alternativen sind für nachhaltige Mobilität notwendig. Das ist kein Greenwashing wie bei vielen anderen Sachen, sondern das finde ich sehr authentisch. Zudem ist die Sparte E-Bikes zukunftsweisend und ebenso ein wichtiger Schlüssel für nachhaltige Mobilität.
Was können unsere Leser*innen tun, um sich für ein nachhaltiges Mobilitätsgeschehen einzusetzen?
Jede Person kann sich privat fragen, wie ist meine Mobilität und ist diese vorbildlich. Zudem kann man sich in politischen Diskussionen einbringen. Das beginnt bei der Wahlurne, führt über den Leserbrief bis hin zur eigenen politischen Tätigkeit. Es braucht einfach überzeugte Kämpfer*innen für eine Mobilitätswende. Außerdem muss man sich bei allem Ehrgeiz und Idealismus manchmal in die Schuhe der anderen stellen, die eben heute noch auf das Auto angewiesen sind und damit ihren Alltag organisieren müssen. Das ist leider für manche mit dem aktuellen ÖPNV eine große Herausforderung. Am Ende setzen wir eine nachhaltige Mobilitätswende nur um, wenn wir eine breite gesellschaftliche Mehrheit haben. Das müssen wir bei der Art und Weise, wie wir über Verkehrswende reden, auch berücksichtigen. Solche Themen sollten nicht weiter so konfliktartig diskutiert werden, denn das wird die Verkehrswende eher verlangsamen als beschleunigen. Deshalb: Idealismus und Ehrgeiz – ja gerne, gleichzeitig müssen alle Seiten in einer Debatte verbal ein bisschen abrüsten und einander zuhören.
Zum Abschluss: Inwiefern ist Kiel eine Fahrrad-Stadt?
In gewisser Weise sind wir nicht nur Kiel.Sailing.City, sondern auch Kiel.Cycling.City: Viele Menschen, über 20 Prozent, nutzen das Fahrrad in unserem Mobilitätsmix. Wir wollen aber, dass es noch mehr werden und dafür brauchen wir auch noch mehr ordentliche Fahrradradwege sowie Infrastruktur. Dann sind wir irgendwann wirklich die Cycling City, wie es Kopenhagen oder Utrecht längst sind. Da ist noch ein bisschen was zu tun, aber wir sind auf einem sehr guten Weg hier in Kiel.