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„Vom Weggehen & Ankommen“
Seit es den Menschen gibt, ist er auch unterwegs. Aufbrechen und Wurzeln schlagen gehören gleichermaßen zur menschlichen Natur. Aber nicht jeder, der seine Heimat verlässt, tut das freiwillig. Und: nicht jeder, der ankommt, hat eine neue Heimat gefunden.
Ausstellung
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Journalistin und Autorin Ulla Wolanewitz hat mit Menschen gesprochen, die aus unterschiedlichen Gründen ganz unterschiedliche Sichtweisen auf einen Heimatbegriff haben. Geflüchtete, Vertriebene, Zurückgekehrte erzählen in „Sie sprechen aber gut Deutsch“ von ihren Wegen und erklären, was es für sie bedeutet, anzukommen.
Die Wanderausstellung „Vom Weggehen und Ankommen“ sowie der gleichnamige Film der preisgekrönten Filmemacherin Susanna Wüstneck geben dem Buch eine besondere Tiefe und machen die Einzelschicksale der Protagonisten noch einmal erlebbarer. Entstanden ist die Ausstellung unter Federführung des Kreisheimatvereins Coesfeld e.V., der auch Herausgeber des Buches ist.
In diesem Frühjahr kommt die Ausstellung auch auf den Mühlenhof. Im Webers Kotten werden die zehn beeindruckenden Geschichten, die bisweilen unter die Haut gehen, bis zum Sommer anschaulich präsentiert. Wie die Geschichten von Petra Becker aus Syrien und Habib Rezai aus Afghanistan…
„Mit dem arabischen Frühling Anfang 2011 herrschte eine Aufbruchstimmung. Wir glaubten an die Möglichkeit, dass das syrische Regime gestürzt werde und es einen politischen Neuanfang geben könne“, so die Politikund Islamwissenschaftlerin, die als Chefdolmetscherin der Deutschen Botschaft in Damaskus arbeitete. Aber die Lage in Syrien verschlechterte sich zunehmend, so dass ihr Arbeitgeber ihr Anfang 2012 die Ausreise empfahl.
„Wir hatten gehofft, das rausschieben zu können, damit meine Älteste im April das Abitur noch abschließen konnte“. Aber Anfang Februar 2012 musste es plötzlich schnell gehen.
Die Deutsche Botschaft in Damaskus war schon geschlossen. Für die letzten bürokratischen und organisatorischen Arbeiten war ein Hotelzimmer angemietet worden. Bei der Arbeit, in der Stadt und überall gab es im TV-Nachrichten über die Gefechte zu sehen. „Ich nahm schon einen anderen Weg zur Arbeit, über die Stadtautobahn statt den über die Landstraße, der bereits zu gefährlich war. Eines Tages, als ich auf dem Rückweg war, wurde auch dort gekämpft. Ich konnte nicht nach Hause. Die Telefonverbindung war gekappt. Ich habe nur gedacht, wenn es mir gelingt nach Hause zu kommen, dann war es das hier. Dann fliegen wir so schnell wie möglich nach Deutschland. Als ich zuhause ankam, sagten meine beiden Töchter: „Mama, wir fahren jetzt zu Oma und Opa, oder?“
Ihr Abschied von Syrien und der Verwandtschaft war schwer und traurig. Bei ihren Eltern in Schapdettenfand die Familie gute Aufnahme und alle erdenkliche Unter- stützung. Trotzdem war dieser Übergang „vor allem für meine Töchter sehr hart. Den Großteil ihres Lebens hatten sie in Syrien verbracht. Das Land, die Kultur und die Mentalität waren ihnen emotional näher als Deutschland“. Beide konnten zunächst an der Friedensschule in Münster als Gasthörerinnen am Unterricht teilnehmen. „Es beeindruckte sie sehr zu erleben, was Schule alles sein kann: Ein Ort der Kreativität und der Eigeninitiative. In Syrien sind diese Strukturen militaristisch geprägt. Disziplin und Gehorsam stehen da an erster Stelle.“
Manchmal nervt es ihre Töchter, dass die deutschen Freunde ihren syrischen Anteil nicht so wahrnehmen. Es sei si schwer, anderen zu vermitteln, dass Syrien einen erheblichen Teil ihrer Identität geprägt hat. „Viele können diesen Anteil nicht sehen, ihn nicht verstehen oder wollen es nicht“, beklagte sich unlängst eine der beiden bei ihr. Sie wünschten sich mehr Anteilnahme, mehr Interesse, Offenheit, die Bereitschaft zuzuhören und sie vermissen die syrische Großfamilie. „Es tut einfach gut, Menschen um sich zu haben, mit denen man den gleichen kulturellen Hintergrund teilt, damit man nicht ständig alles erklären muss. Ich hatte das in Syrien, weil ich in der Botschaft mit deutschen Kollegen gearbeitet habe.
Im Mai 2016 gründete Petra Becker in Berlin den Verein „Back on Track“, den sie als Geschäftsführerin organisiert und begleitet. Er unterstützt geflüchtete Kinder beim Lernen und bildet syrische Lehrer und Akademiker weiter, damit sie Kindern einen Zugang zur Bildung verschaffen.
