lie:zeit Ausgabe #11

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Heuchelei der Grossstaaten Von Bryan Jeeves

In Europa ist Deutschland, sei es in der so genannten Euro-Krise oder in der Haltung gegenüber der Schweiz und Liechtenstein in fiskalischen Angelegenheiten, ein hervorragendes Beispiel für die Macht, die ein grosser Staat kleineren Ländern gegenüber ausüben kann. Das Problem ist jedoch nicht auf Europa beschränkt. Wenn man sich anschaut, wie die USA allgemein gegenüber Drittstaaten auftreten, sieht man, dass sie grundsätzlich eine Politik mit kolonialen Verhaltensweisen der schlimmsten Art betreiben. In der Karibik verfolgt die US amerikanische Politik unbarmherzig ihre eigenen Interessen auf Kosten vieler kleinerer Nationen. Die Heuchelei der US amerikanischen Selbstbedienungspolitik offenbart sich in der Tatsache, dass der US Handelsvertreter eine Beschwerde bei der Welthandelsorganisation (WTO) eingereicht und beanstandet hat, dass die Volksrepublik China «erhebliche staatliche Unterstützung»» für chinesische Unternehmen geleistet hätte, die Fahrzeuge und Fahrzeugteile für den Export produzieren. Dieselbe US Regierung griff nicht nur der amerikanischen Fahrzeugindustrie unter die Arme, sondern förderte effektiv die Rumproduktion in zwei ihrer US-karibischen Gebiete zum Nachteil von Rumherstellern aus nicht-amerikanischen karibischen Staaten, und das obwohl der amerikanische Präsident Barack Obama in einem Schreiben des Premierministers von St. Lucia, Dr. Kenny Anthony, in seiner Eigenschaft als Chairman der 15 Mitgliedsstaaten der Caribbean Community (CARICOM) auf dieses einseitige Verhalten hingewiesen wurde.

: In Liechtenstein sehen wir heute, wie ein kleiner Staat dem Druck von grösseren Ländern ausgesetzt ist, bei sehr geringen Aussichten auf Verteidigung. In der Schweiz ist der Niedergang des Bankhauses Wegelin aufgrund des Drucks der USA ein klassisches Beispiel für dieses Syndrom.

Präsident Obama äussert sich lautstark über die Chinesen, da die amerikanischen Exporte der Fahrzeughersteller aus China günstiger sind als ihre amerikanischen Gegenstücke. Präsident Obamas Behauptung, dass die chinesischen Staatshilfen «direkt Arbeitern und Arbeiterinnen an den Montagebändern in Ohio und Michigan sowie im mittleren Westen schaden», sollte den Wählern demonstrieren, dass er für sie eintritt. Ausserdem sollte damit die Kritik seines republikanischen Rivalen Mitt Romney entkräftet werden, der zusammen mit der republikanischen Partei die Vorgehensweise von Präsident Obama im Handelsstreit mit China rügte.

US-Heuchelei ist bemerkenswert

Diese Heuchelei ist bemerkens-

wert, wenn die US Politik ihre eigene allgemein mangelnde Fairness bei dem Verhalten ihrer Regierung in Bezug auf Staatshilfen für amerikanische Hersteller nicht zugeben möchte. Zum Beispiel haben massive Unterstützungen der Regierung mit insgesamt zehn Milliarden Dollar allein im letzten Jahr den amerikanischen Landwirten einen erheblichen Vorteil gegenüber ausländischen Landwirten verschafft, die auf dem Weltmarkt nicht konkurrieren können, und gegenüber anderen, die von ihren heimischen Märkten verdrängt werden, da die amerikanischen subventionierten Agrarprodukte billiger sind. Auf dem Bananenmarkt, zuvor ein wichtiger Exportsektor für die Karibik nach Europa, verschlechterte sich die Lage erheblich, als die USA WTO-Bestimmungen für die

EU und EWR durchsetzten und damit billiger produzierte Bananen von US-Firmen den Vorzug erhielten. Die gleiche Beobachtung lässt sich nun bei starken Subventionen für die Rumproduktion und Marketing in Höhe von 500 Millionen Dollar jährlich anstellen, die an private Gesellschaften in Puerto Rico und US/BVI gezahlt werden, sodass Rumhersteller in nicht-amerikanischen karibischen Staaten wie Barbados, Guyana und Jamaika in eine erheblich schlechtere Lage geraten.

Welche Chance hat Liechtenstein?

Während die USA andere Staaten schnell in ein Streitschlichtungsverfahren der WTO hineinziehen und Strafmassnahmen anwenden, wenn sie gewinnen, findet sich ein schwarzer Fleck


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