marie 49/ April 2020

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Gratis Spenden erbeten

LIEBE marie-Leserin, LIEBER marie-Leser Außergewöhnliche ZEITEN erfordern außergewöhnliche MASSNAHMEN. Weil der Straßenverkauf wegen der Corona-Krise derzeit nicht möglich ist, erscheint die APRIL-AUSGABE der marie zum ersten Mal NUR ONLINE Und hoffentlich zum letzten Mal.

DIESE ENTSCHEIDUNG ist

Wir rufen deshalb unsere marieLeserInnen zu einer SPENDENAKTION auf. Das Geld soll vor allem UNSEREN MARIE-

VERKÄUFERINNEN ZUGUTE KOMMEN. Mit den Spenden können

wir sie bei der nächsten Print-Ausgabe mit einem GRATIS-ZEITUNGSPAKET unterstützen.

uns nicht leicht gefallen. Denn unter der Corona-Krise leiden nicht nur wir als Verein, sondern vor allem unsere

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Der Straßenverkauf ist für viele von ihnen die einzige Zuverdienstmöglichkeit.

BLEIBEN SIE GESUND und

MARIE-VERKÄUFERINNEN.

auf ein baldiges Wiedersehen auf Vorarlbergs Straßen. Die marie-Redaktion


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Schwanger. Sorgen? Wir sind fĂźr Sie da. Kostenlos und anonym. T 0810 00 33 44

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Inhalt

Editorial

4-7 „Ich frage mich, wann das aufhört“ Syrerin Rita Diab, 19, erzählt über Flucht und Neuanfang

Liebe Leserin, lieber Leser,

Vorarlberg for future anstatt die marie in Händen zu halten, lesen Sie diese Worte am Bildschirm. Erstmals – und, wir hoffen sehr, letztmals – Klimaschutz-Initiative für Wissen und Strategie wird unsere Straßenzeitung nur online erscheinen. Kein(e) 9 Denk mit, mach mit! marie-Verkäufer(in) steht als Mittler(in) zwischen Ihnen, Gitte Nenning über Essen und Verzicht in der Fastenzeit der Leserin, dem Leser, und uns, der Redaktion. Dennoch sollen unsere VerkäuferInnen nicht ausgelassen werden, es 9 Impressum trifft sie genauso wie uns alle, ja es trifft sie noch viel här10-11 „Heroin hat meinen Charakter verändert“ ter. Deshalb erbitten wir Sie um eine freiwillige Spende (die Interview mit Christian (44) über seine Drogensucht Angaben zum Spendenkonto finden Sie auf der Titelseite), damit wir unseren VerkäuferInnen, die nun ohne Einkom12 Rechenrätsel men sind, für die nächste Ausgabe ein Gratis-Paket mitge13 Das Corona-Virus und ich ben können und ihnen damit den Wiedereinstieg in den Eckart Drössler über das Virus und wie es das Klima ändert Verkauf erleichtern. 14-15 Humor, das Heilmittel Wir danken außerdem allen UnterstützerInnen, die uns und unseren VerkäuferInnen bereits jetzt mit einer finan Stefan Vögel und wie Humor auch in Krisenzeiten hilft ziellen Hilfe Solidarität erwiesen haben. Es ist schön, dass 16-18 An Tagen wie diesen die Mitmenschlichkeit nicht an der eigenen Wohnungstür marie-Redakteurin über ihren neuen Corona-Alltag aufhört, auch wenn wir nun die meiste Zeit hinter eben dieser verbringen. 19 Sudoku, Rätsellösungen In dieser Ausgabe haben wir einen bunten Themenmix 20 Ein Teller zum Durchhalten für Sie zusammengestellt, der Sie hoffentlich auch einmal Krisenerprobte Rezepte aus Dans Probelokal auf andere Gedanken bringt (etwa die Geschichte von der 22-24 Eine verdammt ehrliche Situation jungen Syrerin Rita Diab, Seiten 4 bis 7, einer neuen Kli Zwei Psychotherapeuten im Krisen-Interview maplattform in Vorarlberg, Seite 8, oder ein Interview mit dem Kabarettisten Stefan Vögel, Seiten 14/15 – Humor 26 Schachecke können wir jetzt wohl alle gebrauchen). Natürlich hat das 27 „Das Recht folgt der Krise“ Virus Covid-19 auch seinen Platz bekommen: Wie sich die Peter Bußjäger und die rechtlichen Folgen der Corona-Krise staatlichen Maßnahmen und das veränderte gesellschaftliche Leben auf unsere Psyche auswirken, lesen Sie im In28-29 Corona im Krieg terview mit zwei Psychotherapeuten (Seiten 22 bis 24), was Thomas Schmidinger und sein Blick auf Virus in Syrien das Herunterfahren von Wirtschaft und Mobilität fürs Klima bedeute lesen Sie in der Kolumne von Eckart Drössler 30-31 Glaub nicht alles, was du denkst! (Seite 13). Historisch macht Gerhard Thoma einen Ausflug Zehn Tipps für mentale Stärke trotz widriger Umstände in jene Zeit, als der „Schwarze Tod“, die Pest, in Europa 32-33 Der Schwarze Tod wütete (Seiten 32-33). Wie damals die Pest auch in Vorarlberg wütete Wir wünschen Ihnen natürlich wie immer viel Freude bei der Lektüre Ihrer Vorarlberger Straßenzeitung. Schön wäre es, wenn Sie den Link zu dieser Ausgabe mit Freunden teilen, die möglicherweise sonst nicht dazu kommen, unsere Straßenzeitung zu kaufen. Zeit zum Lesen gibt es nun allemal. 8

Herzlich, Christina Vaccaro, Redakteurin

Kontaktieren Sie uns marie ist Mitglied im Weltverband der Straßenzeitungen. www.insp.ngo

Sie haben Anregungen, Wünsche oder Beschwerden, dann schreiben Sie uns doch einfach. marie – Die Vorarlberger Straßenzeitung, Am Kehlerpark 5, Top 34, 6850 Dornbirn. E-Mail: redaktion@marie-strassenzeitung.at oder Sie rufen uns an unter 0677/61538640. Internet: www.marie-strassenzeitung.at. Wir freuen uns über Ihre Zuschriften!

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„ ICH FRAGE MICH, WANN DAS AUFHÖRT“ 4|

Rita Diab, 19, hat zwölf Jahre in einem Land gelebt, das ihr viele wunderbare Erinnerungen geschenkt hat. Bis der Bürgerkrieg ihre syrische Heimatstadt Homs erreichte und sie und ihre Familie zur Flucht zwang. Eine junge Frau zwischen verlorenem Glück, neuen Zukunftsperspektiven und der treibenden Kraft, anzupacken und zu verändern. Text: Simone Fürnschuß-Hofer Fotos: Petra Rainer

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as, wenn Krieg wäre? „Am Tag schalten sie dir den Strom ab und abends gehst du ins Bett ohne zu wissen, ob du morgens wieder aufwachst“, erzählt Rita Diab. Im Rahmen der youngCaritas-Ausstellung „Zuhause in mir“ verwebt sie ihre Erinnerungen zu einem eindrücklichen Erzählstrang: „Eines Tages war ich zuhause und habe wieder sehr laute Bomben gehört. Es war eine Autoexplosion neben der Schule meiner Freunde. Die machen das extra so, legen Bomben in Autos neben gut besuchten Schulen, damit sie die Gesellschaft da treffen, wo es weh tut. Eine Freundin von mir ist so gestorben. Wie kann ich erklären, wie traurig einen das macht?“

Modernes Frauenbild

Rita liebt Chemie. Immer schon sei das ihr Interessensgebiet gewesen. Apothekerin – ein Traumberuf, der bislang noch an der Kopfbedeckung scheitere. Aber diese trägt sie mit Stolz – und viel

Modegespür. „Mein Kopftuch ziehe ich an, weil ich es will, nicht um Angst zu provozieren. Es ist einfach ein Teil von mir“, greift sie einer möglichen nächsten Frage vor, sagt es ohne Trotz und ist dankbar, dass sie bislang mit keinen rassistischen Aussagen konfrontiert war. Kopftuch und modernes Frauenbild schließen sich für sie nicht aus: „Mein Opa mütterlicherseits hat fünf Töchter. Alle haben studiert. Mein Vater ist Elektrotechniker, meine Mutter Englischlehrerin, sie macht gerade den Führerschein. Gearbeitet hat sie immer. Sowohl hier als auch in jenem Jahr, als mein Vater auf der Flucht war.“ Die junge Frau räumt ein, dass es auf dem Land ein größeres Gefälle in der Geschlechtergleichstellung gebe.

Wunderschönes Syrien

Rita Diab tut es weh, dass ihr kleiner Bruder nie das Syrien kennen lernen durfte, das sie als inneres Bild in ihrem Herzen trägt. Immerhin habe sie bis zum Krieg eine wunderschöne Kindheit dort verbracht. Gerne denkt sie zurück an jene glückliche Zeit in ihrem Wohnblock, >>


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Zuhause in mir

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Zehn berührende Porträts von Frauen, die über die Familienzusammenführung nach Vorarlberg gekommen sind, stehen im Zentrum der Wanderausstellung „Zuhause in mir“. Mit dem Projekt stellt die youngCaritas die weibliche Sicht auf das Thema Flucht und Migration in den Mittelpunkt und macht diese für ein breites Publikum sichtbar. Porträtiert wurden die Frauen von Künstlerin Bianca Tschaikner. Weitere Infos: www.caritas-vorarlberg.at/zuhauseinmir

Die Künstlerin hat in jedes Porträt landestypische Motive einfließen lassen. Der Jasminzweig steht für Syrien, im Kleidungsstück findet sich außerdem ein typisch palästinensisches Teppichmuster.

umringt von Tanten, Onkel und Cousinen, die inzwischen selbst in alle Welt verstreut sind. Nur die Großeltern seien in der Heimatstadt Homs geblieben. „Alles ist anders geworden. Manchmal fühle ich mich selbst schon wie eine alte Frau.“ Vor sechs Jahren hatte sich ihr Vater auf den Weg gemacht. Noch gut kann sie sich an den tränenreichen Abschied erinnern: „Mein kleiner Bruder Ehab – damals vier – war noch zu jung, um zu verstehen, warum uns Papa verlassen musste. Er meinte, er ginge freiwillig. Und als er uns Bilder schickte, auf denen das Meer zu sehen war, dachte Ehab, er würde dort abchillen. Er weigerte sich deswegen, mit ihm zu telefonieren.“ Inzwischen habe er die Beweggründe aber verstanden.

Bewusstsein schaffen, Brücken bauen

Für Rita ist Sicherheit ein Luxusgut. Und damit etwas, das sie in Vorarlberg wiedergefunden hat. Dafür ist sie zutiefst dankbar. Ein Jahr nachdem ihr Vater aufgebrochen war, durfte die Familie nach Österreich nachkommen. Rita Diab mag ihre neue Heimat, insbesondere Lustenau, denn der Ort habe sie von Anfang an warmherzig aufgenommen. Sie mag die Menschen und die Menschen mögen sie. Wohl kann man ihre Familie als Musterbeispiel für gelungene Integration bezeichnen. Wieviel diese Familie dabei wohl von ihrer eigenen Kultur loslassen musste, wie oft sie über den Schatten ihrer lieb gewordenen Traditionen springen musste, um akzeptiert zu werden und einen Platz in der Gesellschaft zu bekommen? „Das Flüchten wünscht sich keiner“, wirbt Rita Diab jedenfalls für Verständnis gegenüber Menschen, die in ihrem Land in Lebensgefahr sind und keine andere Möglichkeit mehr sehen, als die Heimat zu verlassen. Die aktuelle Situation an der griechisch-türkischen Grenze und in den Lagern bestürzt sie sehr: „Die Leute müssen verstehen, dass wir nicht hierherkommen, um ihnen etwas zu nehmen.“ Gerne beteiligt sie sich im-

mer wieder an Projekten wie „Zuhause in mir“, um dieses Bewusstsein zu schärfen. So habe sie das Gefühl, etwas zum Positiven verändern zu können. „Sogar in der Wiener marie, dem Augustin, bin ich einmal mit einer Geschichte gelandet“, meint sie augenzwinkernd. Ob sie wohl weiß, welche Brücken sie allein durch ihre unbändige Lust an Gemeinschaft und Begegnung baut? O-Ton: „Ohne Freunde bist du ja nichts!“ Als jemand, der weder Deutsch noch Türkisch konnte, aber in der Schule mit Menschen beider Sprachen anbandeln wollte, hat sie angefangen, türkische Serien mit Untertiteln anzuschauen. Inzwischen spreche sie neben Arabisch, Englisch und Deutsch auch Türkisch. Zur Nachahmung empfohlen!

Kopf voller Träume

„Ich frage mich, wann das aufhört. Müssen meine Kinder wieder flüchten?“ zeigt sich die junge Frau nachdenklich. Rita Diab ist eigentlich Palästinenser­ in. Ihre Großeltern mussten bereits vor dem Krieg flüchten und wurden in Syrien sesshaft. Rita möchte nicht wieder umziehen müssen. In Vorarlberg fühlt sie sich heimisch. Hier hat sie neue Freunde gewonnen, ihre Seele ist voller Sehnsüchte, ihr Kopf voller Träume. Ihr Vater Yaser hat seine eigenen Lebensträume in Syrien gelassen, bis auf den einen: seinen Kindern eine Zukunft zu


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Nicht für mich von Yaser Diab

Sie sei glücklich in Lustenau, sagt die 19-jährige Rita Diab, gerne wolle sie für immer hier bleiben. In ihrer alten Heimat Homs sind nur die Großeltern und ein paar Freunde zurückgeblieben.

bieten. Fast hätte ihn seine Flucht das Leben gekostet. Für die Überfahrt übers Mittelmeer hat ihn das erste Boot nicht mehr mitgenommen, weil es übervoll war. Das Boot kenterte, alle sind gestorben, auch sein Freund. Auf dem nächsten Boot mit Sitzplatz neben dem Motor atmete er so viele Abgase ein, dass er kurz vor Italien von Mitinsassen wiederbelebt werden musste. Er hat es geschafft. Nicht nur, dass er selber seit vier Jahren einen Job hat, er kann seinen Kindern das bieten, wofür er all die Strapazen und Gefahren einer einjährigen Fluchtreise auf sich genommen hat: eine Zukunft. HINWEIS: Rita Diab und ihre Familie suchen ein neues Heim in Lustenau und bitten potenzielle VermieterInnen um Kontaktaufnahme!

Buchtipp „Krieg: Stell dir vor, er wäre hier“ der dänischen Autorin Janne Teller (2011). Eine Dystopie eines Europas, in dem demokratische Systeme gescheitert sind und faschistische Diktaturen die Macht übernommen haben. Der 14-jährige Protagonist des Buches flieht in den Nahen Osten und versucht, in einem ägyptischen Flüchtlingslager mit seiner Familie ein neues Leben zu beginnen.

Seit dem Moment, als ich sie verließ ... meine Stadt, meine Heimat, Homs, mein Haus, die Straßen, in denen ich lebte, Jahre meines Lebens, die schönsten Jahre meiner Kindheit, meiner Jugend ... wusste ich, dass meine Träume im Leben dort nie Wirklichkeit werden sollten. Meine Spuren, die ich hinter mir lassen musste, in denen ich zwischen Frieden und Leiden glücklich und traurig war und mein Leben erfüllt. Plötzlich ist alles vergebens, verstreut. Die Erinnerungen, die an meiner Heimat haften. ,,Lebe wohl" sage ich ihr. Diese Stadt zu verlassen, schwer fällt es mir. Schwer fällt es mir meine Füße vom Boden, von der Erde zu lösen. Wie ein Baum, dessen Zweige die Wolken umarmen, seine Wurzeln nicht lösen will um nicht zu sterben. Ich verließ, das Land von Homs und verließ all die Erinnerung, die eingeschrieben war an Wänden, Feldern, Höfen. Ich verließ all die Spuren auf Wegen, Straßen und Gassen. Den Blick zurück, im Gehen. Verrückt vor Verlust und vor flammendem Schmerz in meinem Inneren, in meinem Herz, verrückt vor Abschied von meinen Kindern, von meiner Frau, von Freunden und Nachbarn und meiner Heimat. Vor Wehmut und Sehnsucht weinten meine Augen. Mein Aufbruch entlang der Straße des Verrats an dieser Zeit. Mein Himmel ein langer Weg ohne Ende für eine winzige Hoffnung auf Frieden und Sicherheit. Doch der Aufbruch ist nicht für mich, er ist für die Träume meiner Kinder, nach mir ....

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Vorarlberg for Future Eine regionale Klimaschutz-Initiative als Plattform für Wissen und Strategie. Ein Interview mit Christof Drexel, Mitinitiator und Autor, Foto: privat

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marie: Wie sehen die Ziele des neuen Vereins Vorarlberg for Future aus? Christof Drexel: Wir wollen gezielte und wirkungsvolle Maßnahmen für den Schutz des Klimas und aller damit verbundenen Aufgaben auf den Weg bringen. Vorarlberg hat die Energieautonomie 2050 beschlossen, inzwischen ist die viel weiter gehende Klimaneutralität schon für 2040 im österreichischen Regierungsprogramm verankert. Für beides geschieht aber zu wenig. Zunächst setzen wir auf die Vernetzung heimischer Betriebe und Privatpersonen, wir sehen uns als Sprachrohr der Zivilgesellschaft und möchten diese zur Selbstermächtigung animieren. Unser Verein ist für die gesamte Bevölkerung offen und wir freuen uns über jede neue Mitgliedschaft – wir sind überzeugt davon, dass wir die anstehenden Herausforderungen nur auf ganz breiter Basis bewältigen können. Wie lassen sich diese Ziele umsetzen und in welcher Form? Im September fand eine Vernetzungsveranstaltung mit 34 Organisationen und Unternehmern statt. Daraus entstand ein Verein der Zivilgesellschaft, das heißt, auch Vertreterinnen und Vertreter von Organisationen sind nur als Privatpersonen Vereinsmitglieder. Unsere Unabhängigkeit ist uns sehr wichtig, deshalb finanzieren wir uns ausschließlich über Mitgliedsbeiträge und Spenden. Derzeit entsteht eine kontinuierlich wachsende Plattform, die informieren, beraten und begleiten soll. Wir werden laufend Strategien für alle gesellschaftlich relevanten Bereiche einbringen, allen voran für Politik, Wirtschaft, Landwirtschaft und Bildung. Unser Fokus liegt auf der Vermittlung eines „Big Picture“, denn die Themen sind verzahnt und müs-

sen gleichzeitig in Bewegung kommen. In unserer Organisation vereinen wir beträchtliches Know-how und bieten Dialoge und Mediation, aber auch die Vermittlung von klimarelevanten Produkten und Dienstleistungen an. Ihr Buch „Zwei Grad. Eine Tonne“ zeichnet das „Big Picture“ zum Klimaschutz auf – hat es schon genug Menschen erreicht? Sicher nicht, das allein wird auch nicht reichen. Wir müssen viele Möglichkeiten der Öffentlichkeitsarbeit ausschöpfen und das Interesse der Zivilbevölkerung wecken. Wir werden auch immer wieder offizielle Statements abgeben, um in der Öffentlichkeit präsent zu sein. Haben wir jetzt die Chance, angesichts der aktuellen, effizienten Krisenbewältigung in Österreich, auch das brennende Thema Klimaschutz so wissenschaftlich fundiert und entscheidungsfreudig anzugehen? Das ist zu hoffen – es gibt keine größere Bedrohung als die Erderwärmung, diese wird weit mehr Menschenleben fordern als ein Virus. Rational muss man es als unwahrscheinlich betrachten, aber die Menschheit ist doch für Überraschungen gut. Je mehr sich engagieren, desto höher die Wahrscheinlichkeit, dass das Schlimmste abgewendet werden kann. Jetzt muss alles gleichzeitig gehen, wir haben keine Zeit mehr, eines nach dem anderen anzugehen. Wir bilden Arbeitsgruppen, die sich um die einzelnen Bausteine kümmern. Um nur eines von vielen essentiellen Themen anzusprechen – über den Humusaufbau in unseren teilweise degenerierten Böden wird viel zu wenig berichtet. Die aktuellen Maßnahmen greifen nicht, solange wir noch kontraproduktiven Steuerungs-

mechanismen unterliegen. Auch wenn nicht alle Probleme in Vorarlberg gelöst werden: Es ist beispielsweise absurd, Massentierhaltung zu subventionieren und Arbeit so stark zu besteuern – biologische Lebensmittel basieren auf manueller Arbeit. Wir brauchen auch Gesetze, die klimaverträgliches Verhalten und Wirtschaften unterstützen – diese müssen jetzt dringend beschlossen werden, umfassend und sehr schnell. Vielen Dank für das Gespräch.

Zur Person Christof Drexel, Gründer und CEO bei drexel und weiss bis 2016. Nach einem Sabbatical Autor, Gründungsmitglied und Obmann des Vereins Vorarlberg for Future. Die Bücher: Zwei Grad. Eine Tonne. Wie wir das Klimaziel erreichen und damit die Welt verändern. ISBN 978-3-200-05606-0 Warum Meerschweinchen das Klima retten. ISBN-10: 3833871091


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MARIE-CAFÉ BLEIBT GESCHLOSSEN Eigentlich hätte am 27. März die Premiere des marie-Café im WirkRaum der Caritas in Dornbirn stattfinden sollen. Doch das Corona-Virus hat der Premiere einen Strich durch die Rechnung gemacht. Es ist derzeit völlig unklar, wann das marie-Café zum ersten Mal seine Pforten öffnen wird. Wir halten euch auf dem Laufenden.

Impressum

DENK MIT, MACH MIT! von Gitte Nenning

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er Nahrungsbedarf ändert sich im Laufe des Lebens. Für einen Menschen wie mich, dem Essen nicht nur Kraft gibt, sondern vor allem Genuss, ist das eine harte Erkenntnis. Nach einem Gespräch mit einer Freundin habe ich beschlossen, den Reistag, den ich zuletzt vor 20 Jahren ausprobiert hatte, wieder einmal durchzuziehen. Vor allem weil ich seit Jahren diese Form der Entschlackung meinen Patienten empfehle und stets behaupte, dass es echt leicht durchzuhalten ist. Dass dieser Entschluss gerade zu Beginn der Fastenzeit gefallen ist, war Zufall. Aber nun gab es kein Entkommen mehr. Am Abend kochte ich einen Topf mit Reis, der mich über den nächsten Tag bringen sollte. Natürlich habe ich ausreichend Kräutertee und Wasser dazu getrunken. Bis Mittag war ich voll motiviert. Ab dem frühen Nachmittag hat dann die mir wohlbekannte Müdigkeit und Schwäche des Unterzuckers begonnen. Dann kam auch noch Kopfweh dazu. Ein Spaziergang brachte zwar Linderung, aber die Bananen im Obstkorb grinsten mich frech an, als ich heimkam, und versuchten, mich zu verführen. Da half nur noch viel zu früh mit einer Wärm-

flasche ins Bett zu gehen und sich auf das Frühstück zu freuen. Interessanterweise war es nicht Hunger, der mich quälte, sondern Müdigkeit und Frust. Ich durfte schließlich gesalzenen Reis essen, so viel ich wollte. Obwohl ich ab dem späten Nachmittag lieber nichts als noch mehr Reis wollte. Ich möchte an dieser Stelle betonen, dass sich ganze Völker von fast nichts anderem ernähren und davon oft nicht genug haben. Meine Hochachtung gilt allen, die trotz Unterernährung die Kraft haben, ihren Alltag zu bewältigen. Gleichzeitig kann ich nur kopfschüttelnd unser Essverhalten betrachten. Wir diskutieren über Mischkost, vegetarisch oder vegan. Tatsächlich geht es darum zu verstehen, dass Nahrungsmittel wirkliche Lebensmittel sind und uns nähren und nicht nur ernähren. Wenn wir wieder die nötige Wertschätzung für sie entwickeln, dann wird es leicht fallen, den Überfluss aufzugeben. Vielleicht habt ihr die Fastenzeit genutzt und nehmt die gewonnenen Erkenntnisse mit ins restliche Jahr. Aber auch ohne Hungertag könnt ihr sicher wieder mitdenken und mitmachen!

Grundlegende Richtung Die Straßenzeitung marie versteht sich als Sprachrohr für die Anliegen von Randgruppen unserer Gesellschaft. marie ist ein Angebot zur Selbsthilfe für Menschen an oder unter der Armutsgrenze, die ihren Lebensmittelpunkt in Vorarlberg haben. Ziel ist die Förderung des Miteinanders von Menschen am Rande der Gesellschaft und der Mehrheitsgesellschaft. Die Hälfte des Verkaufspreises von 2,80 Euro verbleibt den Verkäufern. marie ist ein parteiunabhängiges, soziales und nicht auf Gewinn ausgerichtetes Projekt. Redaktion marie – Die Vorarlberger Straßenzeitung, Am Kehlerpark 5, Top 34, 6850 Dornbirn Telefon: 0677 61538640 eMail: redaktion@marie-strassenzeitung.at Internet: www.marie-strassenzeitung.at Redaktion: Frank Andres, Christina Vaccaro MitarbeiterInnen dieser Ausgabe: Daniela Egger, Eckart Drössler, Guntram Gärtner, Simone Fürnschuß-Hofer, Christine Mennel, Gitte Nenning, Thomas Schmidinger, Gerhard Thoma Zeitungsausgabestellen: Dornbirn: Kaplan Bonetti Sozialwerke Kaplan-Bonetti-Straße 1 Montag, Mittwoch und Freitag von 8 bis 9 Uhr Bregenz: dowas, Sandgrubenweg 4 Montag und Donnerstag 8.30 bis 10.30 Uhr Bludenz: do it yourself, Kasernplatz 5-7/3b Montag und Mittwoch 14 bis 16 Uhr Feldkirch: Caritas-Café, Wohlwendstraße 1 Dienstag und Freitag 10 bis 12 Uhr Anzeigen Kontakt: anzeigen@marie-strassenzeitung.at Medieninhaber und Herausgeber Verein zur Förderung einer Straßenzeitung in Vorarlberg, ZVR-Zahl 359044778 6833 Klaus eMail: redaktion@marie-strassenzeitung.at Externe Beiräte DSA Markus Hämmerle, DSA Heidi Lorenzi, Cornelia Matt, Mag. Peter Mayerhofer, Dr. Claudio Tedeschi Layout/DTP Alexander Grass Bankverbindung & Spendenkonto Raiffeisenbank im Rheintal IBAN: AT94 3742 0000 0648 3580 BIC: RVVGAT2B420 © 2020 marie. Alle Rechte vorbehalten.

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„ HEROIN HAT MEINEN CHARAKTER VERÄNDERT“ Zuerst trank er Alkohol, am Ende schnupfte er Heroin. Mit dramatischen Folgen. Christian (44) sprach mit der marie über Drogensucht, Jobverlust, echte Freunde und welchen Traum er sich noch gerne erfüllen würde.

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Interview und Foto: Frank Andres

marie: Wie geht es dir heute? Christian: Es geht mir insofern gut, weil ich nach jahrelanger Suche endlich eine Wohnung gefunden habe. Was bedeutet eine eigene Wohnung für dich? Das ist für mich essenziell. Ich habe davor 15 Monate in einem Zimmer eines Wohnungslosenprojektes gelebt. In dieser Zeit ging es mir wirklich nicht gut. Warum? Dort traf ich auf Menschen, die ich von früher gekannt habe. Menschen, die Alkohol und andere suchtmachende Substanzen konsumierten. Ich durfte auch tagsüber niemand mit aufs Zimmer einladen. Ich fühlte mich in meiner Intimsphäre eingeschränkt. Es war wie ein offener Vollzug für mich. Ich möchte aber betonen, dass solche Einrichtungen wie Kaplan Bonetti sehr wichtig sind.

Wann bist du zum ersten Mal mit Drogen in Kontakt gekommen? Das war mit 15, 16 Jahren. Was hast du konsumiert? Zuerst Alkohol. Am 1. Juli 1993 habe ich dann zum ersten Mal Ecstasy eingenommen. Das weiß ich deshalb so genau, weil an diesem Tag ein Freund von mir Geburtstag hatte. Es folgten Speed und Kokain, aber kein Heroin. Ich fühlte mich immun gegen diese Substanzen. Ich war zu diesem Zeitpunkt nicht süchtig. Und was war mit Alkohol? Den habe ich regelmäßig getrunken. Bis heute. Heroin habe ich erst mit 25 Jahren angefangen zu konsumieren. Wie kam es dazu? Die Kokainwelle ist im Jahr 2003, als der erste Irak-Krieg ausgebrochen ist, abgeebbt. Plötzlich ist Europa von Morphinen wie Heroin überschwemmt

worden. Die Droge war billig und hatte eine gute Qualität. Ich hatte mir aber geschworen, niemals Heroin zu nehmen. Weshalb? Als ich 15 Jahre alt war, hatte ich eine gleichaltrige Freundin. Sie hatte Heroin genommen. Ich habe mitbekommen, wie schlecht es ihr ging. Sie musste sich immer übergeben. Dieser Anblick war für mich erschreckend. Was ist mit ihr passiert? Sie hat sich umgebracht. Du hast dann aber doch Heroin probiert? Ja. Ich fühlte mich stark und glaubte, nicht süchtig werden zu können. Ich habe am Anfang ein Päckchen Heroin um 25 Euro gekauft. Damit bin ich eine Woche durchgekommen. Doch dabei blieb es nicht. Kurze Zeit später nahm ich zwei Päckchen pro Woche. Und der


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Konsum hat sich immer mehr gesteigert. Und wie hast du das Heroin konsumiert? Durch die Nase geschnupft. Wie war deine berufliche Situation zu diesem Zeitpunkt? Ich hatte einen gut bezahlten Job. Ich konnte mir teure Autos leisten. Trug geschneiderte Anzüge. Ich ging zwei Mal im Jahr nach Südostasien in Urlaub. Mir hat materiell nichts gefehlt. Trotzdem habe ich mit 25 Jahren mit Heroin angefangen. Hast du nicht am Anfang mit dir selbst gerungen? Doch. Das Teufelchen auf meiner linken Schulter hat zu mir gesagt: „Hol dir das Heroin!“ Und das Engelchen auf der rechten Seite wehrte sich dagegen. Am Ende hat sich das Teufelchen durchgesetzt. Was war die Folge deines Heroinkonsums? Diese Droge hat meinen Charakter verändert. Und zwar im negativen Sinn. Ich habe gelogen und betrogen. Ich hatte das Gefühl, nicht mehr ich selbst zu sein. Du tust alles, um an das Heroin zu kommen. Ich bin dann selbst in die Schweiz gefahren, um dort den Stoff zu holen. Bei einer dieser Fahrten wurde ich 2008 an der Grenze verhaftet. Was wurde dir vorgeworfen? Import, Export, Weitergabe, Verkauf und Konsum von Heroin. Weil ich alles vor Gericht zugegeben habe, wurde ich zu Therapie statt Strafe verurteilt. Das habe ich akzeptiert. Bis zum Gerichtsurteil saß ich aber zuvor fünf Monate in Untersuchungshaft. Ohne Ersatzdrogen? Ja, ich habe im Gefängnis einen kalten Entzug durchgemacht. Ich habe keine Mittel bekommen. Die ersten vierzehn Tage lag ich mit Schüttelfrost im Bett. Wie ging es danach weiter? Am 12. Dezember 2008 bekam ich einen Anruf von der Carina, dass sie einen stationären Platz für mich haben. Da war ich dann fünf Monate lang. In dieser Zeit war ich auch clean. Ich habe dann den Führerschein für alle Klassen, außer Busfahrer, gemacht. Ich fand auch einen Job als Lkw-Fahrer. Wie lange hast du da gearbeitet?

Genau ein Jahr und sechs Tage. Was ist dann passiert? Es war ein Freitag. Ich war mit meinem Klein-Lkw in Schruns unterwegs. Ein Autofahrer, der hinter mir gefahren ist, hat mich angezeigt. Warum? Er hatte gedacht, ich sei betrunken. Dann kam die Polizei und riss die Türe meines Lkw auf. Es hatte nach Eierlikör gerochen, weil eine Kiste umgefallen und dabei ein paar Flaschen kaputt gegangen waren. Ich hatte die kaputte Ware am Beifahrersitz gelegt. Wie hat die Polizei reagiert? Aufgrund des Geruches im Auto, fragte mich ein Polizist, ob er bei mir einen Alkoholtest machen dürfe. Ich habe mit „Ja“ geantwortet. Nichtsahnend steckte ich mir einen Kaugummi in den Mund. Das hat seine Kollegin mitbekommen und mich belehrt: „Das ist eine Verweigerung des Tests.“ Das ist gleichbedeutend mit einem Alkoholgehalt von 1,6 Promille. Ganz ehrlich: Warst du zum Zeitpunkt der Kontrolle nüchtern? Ja, zu hundert Prozent. Ich habe mir einen Anwalt genommen und versucht, meine Verurteilung zu einer Geldstrafe von 2490 Euro zu bekämpfen. Das ging bis zum Obersten Gerichtshof, aber ohne Erfolg. Der Führerschein wurde dir abgenommen. Was waren die Folgen für den Job? Ich wurde fristlos entlassen. Und hast du inzwischen wieder einen Führerschein? Nein, bis heute nicht. Und das sind inzwischen zehn Jahre. Ich habe damals gesagt: „Wenn ihr mir jetzt den Führerschein wegnehmt, dann will ich ihn nicht wieder zurück.“ Hast du danach wieder zu Drogen gegriffen? Ja, es kam unmittelbar danach zu einem großen Rückfall. Ich habe dann aber einen Psychiater gefunden, der mir Drogen­ ersatzmittel verschrieben hat. Seitdem bin ich im Ersatzprogramm und nehme keine anderen Drogen außer Alkohol mehr. Wie ging dein Leben weiter? Zuerst lebte ich noch bei meiner Mutter.

Danach wohnte ich in einer Sozialwohnung. Aus der musste ich wegen angeblicher massiver Lärmbelästigung wieder raus. Du bist heute 44 Jahre alt, nicht mehr arbeitsfähig und in Frühpension. Hast du Freunde, die sich um dich kümmern? Wenn du am Ende deines Lebens eine Handvoll Freunde aufzählen kannst, wenn du weißt, wann sie geboren wurden, wer ihre Eltern waren, was sie mögen, dann stirbst du als reicher Mensch. Auch ohne Geld. Ich habe in meinem Leben bisher zwei Freunde gefunden. Auch wenn wir manchmal ein halbes Jahr nichts voneinander hören, freuen sie sich über einen Anruf von mir. Was ist für dich heute ein guter Tag? Wenn ich normal aufstehen kann, ausgeschlafen bin und wegen der Medikamente nicht sofort zur Apotheke rennen muss. Wenn jemand neben dir liegt und ernsthaft zu dir sagt, dass er dich gern hat. Wenn ich eine eigene Wohnung habe, so klein sie auch sein mag. Wenn ich einmal einen Tag ohne Alkohol überstehen kann. Wenn meine Finanzen geregelt wären. Du bist ein Mensch, der die negativen Seiten des Drogenkonsums brutal zu spüren bekommen hat. Welche Tipps hast du für junge Menschen, die mit Drogen experimentieren? Ich habe nicht das Recht, anderen Tipps zu geben. Ich bin nicht deren Vater, Bruder oder Cousin. Ich kann anderen nur sagen, was mit meinem Körper passiert ist. Wenn jemand trotzdem seine Drogen weiter konsumieren will, dann soll er das tun. Aber was ich nicht mag, ist, wenn das jemand vor meinen Augen macht. Das vertrage ich nicht. Du hast jetzt eine eigene Wohnung gefunden. Welchen anderen Traum würdest du dir noch gerne erfüllen? Ich will noch einmal in meinen Leben am Sandstrand am Meer liegen. Und ich wünsche mir, dass es auch anderen Drogenabhängigen irgendwann wieder besser geht. Eines möchte ich zum Schluss noch sagen: „Mama, ich entschuldige mich bei dir und möchte mich gleichzeitig bei dir bedanken. Für alles, was du für mich getan hast.“

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Lernhilfen & Freizeittipps Der Landeselternverband hat auf seiner Website eine Reihe hilfreicher Angebote zusammengestellt, um gut durch die Zeit des häuslichen Unterrichts zu kommen – von Freizeitangeboten über Lernhilfen und Übungsmaterialien bis hin zu „Schule im Aufbruch“-Webinaren:

www.levv.at. Ebenso hier nachzulesen: Alle Updates zu den laufenden Aussendungen von Bildungsministerium und Bildungsdirektion Vorarlberg. Wer Fragen hat, Hilfe braucht oder einfach eine gute Idee teilen möchte, ist herzlich willkommen, sich telefonisch oder per Mail

beim Landeselternverband zu melden: 05572-206767, office@levv.at Mehrsprachige Informationen zu den Mitteilungen des Bildungsministeriums sowie zu vielen weiteren behördlichen Maßnahmen bietet außerdem okay.zusammen leben: www.okay-line.at

ZEITDOKUMENT VORARLBERG MUSEUM 12 |

Seit 11. März veröffentlich das vorarlberg museum tägliche Tagebuchnotizen der Schriftstellerin Daniela Egger, um später auf ein Zeitdokument für die Sammlung zurückgreifen zu können. Mitlesen unter: www.vorarlbergmuseum.at/sammlung/corona-tagebuch-von-daniela-egger

Lösen Sie es in 60 Sekunden Beginnen Sie die Kopfrechnung mit der Zahl im Feld ganz links. Rechnen Sie von links nach rechts. Die Lösung im leeren Feld rechts eintragen. Jede Rechnung unabhängig von der Schwierigkeit sollte in weniger als 60 Sekunden gelöst werden. Keinen Taschenrechner verwenden! Lösung

Für Anfänger

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Für Fortgeschrittene

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×5 Lösung

Für Genies

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der Summe

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zum Quadrat

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Lösungen auf Seite 19


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Dipl.-Ing. Dr. mont. Eckart Drössler

Bereichsleiter für „Bürgerservice & Information“ im Energieinstitut Vorarlberg und externer Lehrbeauftragter der FH Vorarlberg.

Das Corona-Virus und ich

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ch konnte mir nicht mehr vorstellen, dass die Menschheit die Kurve zur Nachhaltigkeit so eng kratzen wird, dass wir das 2-Grad-Ziel zum Ende des Jahrhunderts einhalten können. Ich konnte mir nicht mehr vorstellen, dass die Menschheit überhaupt eine Kurve kriegen wird, vor dem Ende aller fossilen Energieträger. Die einzige Prognose für eine Nicht-Wende, wie sie sich abzeichnet, fand ich bei Stephen Hawking, in seinem letzten Buch vor seinem Tod. Er schrieb, dass die Erde bei einer Atmosphärentemperatur von ungefähr 250 Grad Celsius landen wird, wenn alle CO2-speichernden Prozesse rückwärts laufen: die fossilen Lagerstätten alle weitgehend verbrannt werden, das Meer sein CO2 wieder freisetzt, weil wärmeres Wasser weniger und letztendlich kein CO2 speichern kann, die Regenwälder vertrocknen und alle abbrennen, wie zuletzt in Australien, in weiterer Folge die Torfböden abbrennen, weil sie auftauen und trocknen, wie es in Sibirien bereits begonnen hat. Alles polare Eis schmilzt, das temperaturstabilisierend wirkt, wie das Eis im Cocktail in der Sommersonne. Gier und Dummheit werden das Leben auf der Erde vernichten, schrieb er. Ich begann an die Version zu glauben, in der die Hälfte aller Menschen sterben wird, bis zum Ende des Jahrhunderts, in Folge von Klima-Eskapaden, Dürren mit Hunger, fortschreitender Boden­ unfruchtbarkeit, zunehmender Wasserknappheit, Unwetterkatastrophen, Hochwasser, Meeresspiegelanstieg, zu-

nehmenden Stürmen und im Krieg um Öl mit Flucht- und Migrationsfolgen, im Hass-Nationalismus, in weiterhin zunehmender Luftverschmutzung. Dann kam Greta und machte Hoffnung auf Vernunft und Veränderung, ein bisschen wenigstens. Die Hassproteste zeigten aber auch das Unverständnis in weiten Teilen der Bevölkerung und zeigten, wie wenig ausgeprägt das Problembewusstsein in der Allgemeinheit ist. Und dann kam Corona. Und dann ging alles ganz schnell und ganz einfach. Der CO2-Ausstoß wurde in eine Rasanz gesenkt, die niemals vorstellbar war. So schnell, als ob alle plötzlich begriffen hätten, was auf dem Spiel steht und was dringend nötig ist. Die Spaßgesellschaft wurde still. Keine Kondensstreifen mehr über dem Bodensee. Um 80 Prozent weniger Autoverkehr in Bergamo und Mailand, um 50 Prozent weniger in Berlin und München. Sogar die Kreuzfahrtschiffe wurden protestund kommentarlos festgesetzt. Die Natur erholt sich in einer Geschwindigkeit, die ich mir zuvor nicht hätte vorstellen können. In die Kanäle Venedigs sind die Fische zurückgekehrt. Die Kinder Pekings haben einen blauen Himmel bekommen. Inzwischen dürfen sie auch wieder die

Wohnungen verlassen, nur zwei Monate hat dieser Reinigungsprozess gedauert. Die Stickoxidkonzentrationen in den chinesischen Industriestädten ist so weit gesunken, dass die NASA sie aus dem Weltall nicht mehr messen kann. Klar, Corona hat auch Todesfälle hervorgebracht. Nur weltweit wesentlich weniger, als es die laufende und wachsende Umweltverschmutzung tut. Wir erinnern uns: in den drei Wochen nach 9/11, in denen alle Flugbewegungen über den USA untersagt waren, gingen die Aerosol-Belastungen in der Atemluft so weit zurück, dass sich die Zahl der Herz-Lungen-Toten sofort halbierte. Die Natur und die Menschheit überleben, nur das Menschgemachte, das dem Leben bereits die Schlinge um den Hals gelegt hat, das stirbt. Meine Theorie war immer: die Menschen fürchten sich lieber vor Mäusen und Schlangen und Ratten als vor Ungeheuern und Sauriern. Das gibt niedliche Ängste, während Saurier panische Existenzängste erzeugen könnten. Die will man nicht. Jetzt fürchten sie sich gemeinsam vor einem Virus – und wehren damit den Saurier ab. Ich mag das Virus inzwischen. Es zeigt uns, was alles geht. Und in welcher Geschwindigkeit und Konsequenz. Dafür bleib ich gerne zu Hause.

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Humor, das Heilmittel Gerade in Zeiten wie diesen sehnt sich der Mensch nach Lustigem, wie die derzeit zahllosen kursierenden Bilder und Videos zeigen. Wir fragten den Kabarettisten Stefan Vögel, warum der Mensch Humor braucht, wie er selbst mit der Situation umgeht und welche Tipps er für die Quarantäne-Zeit hat. Die Fragen stellte: Christina Vaccaro, Foto: privat

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Stefan Vögel, 50 Jahre Wohnort: derzeit Gurtis, verheiratet, 3 Kinder www.facebook.com/ stefan.vogel.562

marie: Ist dir noch zum Lachen zumute? Stefan Vögel: Ich bin als Optimist zur Welt gekommen, insofern kann ich auch jetzt noch lachen. Vor allem aber sind alle in meinem Umfeld gottlob noch gesund. Im Englischen gibt es einen schönen Ausdruck dafür, was wir jetzt alle machen sollten: „to rise to the occasion“, mit den Aufgaben wachsen, ihnen gewachsen sein. Und ich bin von Natur aus niemand, der den Kopf lange hängen lässt. Ich hoffe, das hält auch weiter an, je länger diese Ausnahmesituation dauert. „Humor ist der Knopf, der verhindert, dass uns der Kragen platzt“, sagte einmal der Kabarettist Joachim Ringelnatz. Warum braucht der Mensch die Komik, vielleicht gerade in Zeiten wie diesen? Den braucht man immer, und jetzt mehr denn je. Die Situation wird ja nicht besser, wenn alle ins Heulen verfallen, im Gegenteil. Darum braucht man sich nicht zu schämen, wenn man derzeit für bessere Laune sorgt, gerade in den Quarantä-

ne-Haushalten. Humor war immer schon die Waffe derer, die ansonsten wehrlos sind. Also, ziehen wir sie mit Genuss und Freude gegen diesen unsichtbaren Feind. Auf einen Schlag wurden alle deine Aufführungen abgesagt. Wie viele waren es denn und wie gehst du damit um? Über den Daumen gepeilt sind es jetzt sicher schon mehr als 100 abgesagte Aufführungen, dementsprechend ist der wirtschaftliche Schaden. Aber um mich muss sich niemand Sorgen machen; vor allem, weil ich bis zur Wiedereröffnung der Theater weiter arbeiten – also schreiben – kann. Im Gegensatz zu meinen Kollegen, die auf oder hinter der Bühne stehen. Die reißt es gerade voll rein, sie sind praktisch zur Untätigkeit verdammt. Das ist dann wirklich nicht mehr lustig. Der Autor dagegen hat gerade einen doppelten Vorteil: dass er nicht untätig sein muss und sich außerdem für ein paar Stunden im Kopf eine andere Welt begeben kann. Wann ist Humor unangebracht, wird zum Zynismus? Ich glaube, das hängt weniger von der Angebrachtheit ab als vom Charakter des Scherzenden. Sogar in extremis können manche noch scherzen. Als Voltaire auf dem Sterbebett lag und dazu aufgefordert wurde, dem Satan abzuschwören, meinte er: „Jetzt ist


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Ja,

ich werde Mitglied im marie-Freundeskreis. Damit unterstütze ich die Arbeit von marie.

„Man braucht sich nicht zu schämen, wenn man derzeit für bessere Laune sorgt, gerade in den Quarantäne-Haushalten.“

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nicht die Zeit, sich neue Feinde zu machen.“ Und meine absoluten Lieblings-Letzten-Worte stammen vom Schauspieler Edmund Kean: „Dying is easy, comedy is hard“ – Sterben ist leicht, Komödie ist schwer. Aber die allermeisten von uns leben ja gottseidank noch und sind lediglich gezwungen, das Haus zu hüten. Das sollten wir mit etwas Humor doch überstehen, oder? Tausende Künstler, Musiker und andere Selbstständige stehen plötzlich vor dem finanziellen Aus. Zum Lachen ist ihnen sicher nicht zumute. Was rätst du ihnen? Sich einen Tagesablauf schaffen, auch wenn dieser momentan künstlich scheinen mag. Irgendetwas vorzubereiten oder täglich tun, das – wenn’s geht – mit ihrem üblichen Job zu tun hat. Sich selbst ein gewisses Maß an Normalität und Routine zu schaffen, auch wenn diese anders aussieht als sonst. Und den Fernseher ruhig mal ausschalten. Und den Leuten, die sich gerade in Quarantäne befinden? Dasselbe. Sind doch eh so gut wie alle gefühlt in Quarantäne. Hat „Selbstisolation“ auch etwas Gutes? Also ich bin nicht zum Kartäusermönch geboren und als Autor auch sonst schon selbstisoliert genug. Was mit jedem Tag mehr wächst, das ist die Vorfreude auf die Gesellschaft anderer

und auf Normalität. Das ist tatsächlich das Gute an dieser Krise, ein Gefühl, das sogar Misanthropen erfasst. Wir lernen das bis dahin Selbstverständliche neu zu schätzen. Fragt sich, wie lange das danach anhalten wird. Der Mensch gewöhnt sich schnell wieder an bessere Umstände, und im Vergessen ist er Weltmeister. Du bewegst dich zurzeit viel in der Natur, abseits von Menschen und Nachrichten. Hilft‘s? Es ist Teil meiner täglichen Routine, die ich mir geschaffen habe und die mir gut tut, körperlich wie geistig. Das habe ich auch schon vor Corona getan, nur jetzt halt etwas häufiger. Wer immer nur sitzt und schreibt, muss das Hirn mitunter durchlüften, sonst beginnt es zu schimmeln. Hast du schon Ideen für „danach“? Wird sich für dich etwas langfristig ändern? Ich arbeite bereits an einem neuen Stück – aber nicht über Corona. Ich denke, das Thema will „danach“ eine Zeit lang niemand mehr hören. Aber vielleicht blüht ja der Heimatfilm wieder auf, wie nach dem Zweiten Weltkrieg. Wobei ich den jetzt nicht mit Corona vergleichen wollte und sollte. Und hoffentlich bleibt es dabei. Ob sich für mich langfristig was ändern wird? Fragt mich das, wenn dieser ganze Wahnsinn vorbei ist.

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AN TAGEN WIE DIESEN Damals vor nicht allzu langer Zeit ...

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Ende Februar lässt uns die zwischen Ländle und Lombardei pendelnde Cellolehrerin meiner Tochter wissen, die hiesige Musikschule habe aus Angst vor einer Corona-Ansteckung fürs Erste ihren Unterricht abgesagt. Ich finde dies, gelinde gesagt, ziemlich übertrieben. Nur eine Woche später, die Situation in Oberitalien wird immer verheerender, schleicht sich leise in mir ein Sinneswandel an. Wie war das nochmals mit der Sterblichkeitsrate? Und wer genau zählt zur Risikogruppe? Meine 15-jährige Tochter schaut irritiert. Ob ich jetzt etwa auch Panik schiebe? „Nein, eh nicht“, sag ich, „ich mein‘ ja nur“, google ein bisschen und gehe später auf eine größere Veranstaltung. Wir schreiben inzwischen den 6. März. Meine Begleitung sagt mir kurzfristig ab. Ihr Partner müsse in Quarantäne, weil der Chef das Virus habe. Sie wolle nicht riskieren, jemanden anzustecken, falls ... Also doch schon so nah. Dennoch umarme ich weiterhin unbekümmert Menschen. Als mir nur wenige Tage später zwei Personen entschieden den Händedruck zur Begrüßung verweigern, bin ich es, die irritiert schaut. Bin ich naiv oder sind sie überängstlich? Meinen Eltern, die auf Teneriffa sind, schreibe ich, sie sollen sich überlegen zu verlängern, hier werde es ungemütlich. Und revidiere nur 48 Stunden später: Ich finde, sie sollten schleunigst nach Hause kommen. Noch in derselben Woche spreche ich mich bei einem Meeting für eine Begrüßung ohne Handschlag aus. Komisch ist das. Lächerlich finde ich es eigentlich nicht mehr. Bin ich gehirngewaschen oder nur vernünftig? Ich weiß nicht, was ich von der ganzen Sache halten soll. Alles fängt an anders zu werden.

Freitag, der 13.

Statt Klopapier zu kaufen entscheide ich mich für Gelassenheit und gehe ins Yoga. Nicht ohne mir die Frage zu stellen, ob das noch angebracht ist. Die Ein-Meter-Abstandsregel wird hier jedenfalls bereits intuitiv eingehalten. Zuhause am Mittagstisch entfacht sich eine Diskussion: Darf die Jugend am Abend noch ausgehen? Ich argumentiere mit schwerem Geschütz, höre mich plötzlich Worte sagen wie „Krisensituation“ und „Solidarität“. Meine Tochter findet es sehr solidarisch, ihre Freunde zu treffen. Ich werfe ihr vor, die Freunde wichtiger zu nehmen als die Familie, „gerade jetzt in diesem

Leben auf Sicht – etwas anderes ist derzeit nicht möglich. Wie sich von heut‘ auf morgen Meinung und Verhalten ändern können, was eine schulische Zwangspause für eine Familie bedeutet und welche Gedankensprünge einem in verlangsamten Zeiten wie diesen auf Trab halten, versucht marie-Redakteurin Simone Fürnschuß-Hofer mittels Momentaufnahmen in eine XXLKolumne zu packen.

gesellschaftlichen Ausnahmezustand.“ Mein Mann straft mich mit Blicken und meint, ich solle mich bitte an meine Jugendzeit erinnern. Also gut. Verstimmt bin ich trotzdem. Ein Tag später, am Samstag, ist bereits allen die Ausgeh-Lust vergangen. Und am Sonntag, die Ausgangssperre ist beschlossen, hat sich die Welt verändert. Meine Freundin schreibt mir: „So schnell kann es gehen. Eine Bremse, eine Rückbesinnung. Mit Angst leider.“ Und ich werde mich die nächsten Wochen immer wieder fragen: Habe ich Vertrauen in die Regierung? Sind die geplanten Restriktionen angemessen? In welcher Relation stehen unsere Freiheitsrechte zur unsichtbaren aber bereits andernorts Katastrophenzustände erzeugenden Bedrohung? Wehe dem jedenfalls, der mir jetzt mit dem Hausverstand kommt. Denn der spuckt in den Kategorien „Pandemie“ und „Corona“ rein gar nichts aus. Was sind Quellen für seriöse Information? Wo bleibt meine Selbstermächtigung? Beim siebenstellig geteilten „Alles-halb-so-wild“-Video eines Arztes komme ich kurz ins Zweifeln, ob wir nicht doch einer Hysterie aufsitzen. Am Abend rückt die ZIB mit den Bildern aus Italien wieder in den Fokus, worum es geht: Menschen vor dem Tod zu schützen, das Gesundheitssystem nicht zum Kollabieren zu bringen. Gut, ich bin dabei, ich stelle mich auf Häuslichkeit ein. Aber das ist im Grunde schon längst nicht mehr meine Entscheidung. Die Regierung hat übernommen. Und mein Jüngster hat wunde Handrücken vom vielen Händewaschen.

Die schulische Zwangspause beginnt

Meine 15-jährige Tochter arbeitet komplett selbstständig. Sie ist in digitaler Dauer-Konferenz mit ihrer Klasse. Abgeschottet im Dachboden genießt sie die freie Zeiteinteilung. Blicken lässt sie sich meist nur zum Essen und dann klingt es manchmal, als würde sie soeben von der Schule heimkommen – wenn sie sich beispielsweise aufregt, trotz eigentlich schul­freiem Josefitag mit Aufgaben geflutet worden zu sein. Meine zwei Jungs sind in Woche eins auch noch topmotiviert. Das heißt aber nicht, dass sie leise arbeiten. Jede Aufgabe wird rauf und runter kommentiert – inklusive aller Unmutsbekundungen und Gedankengänge. Ich gehöre der Berufskategorie der Selbstständigen an, ein Schwerpunkt ist das Schreiben. Dafür braucht es vor allem eines: Ruhe. Ich war immer schon


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im Homeoffice tätig. Aber halt alleine. Nun kann ich keinen Satz mehr am Stück denken, geschweige denn schreiben. Natürlich fehlt mir das Alleinsein – welche Ambivalenz in Zeiten der Isolation. Aber alles kein Grund zum Jammern. Solange ich Sätze schreiben darf, bin ich wohl eine jener Privilegierten, die ihren Job noch machen dürfen. Eine Freundin ruft an und erzählt mir, sie und ihr Mann, beide Künstler, hätten für mindestens zwei Monate keine Aufträge mehr. Sprich: keine Einkünfte. Ich bin bestürzt. Wie soll das gehen?

Böser Bär, gutes Medium

Glück ist, ein Zuhause zu haben. Die Sonne scheint und kitzelt trotz der vielen Verbote ein Gefühl von Freiheit hervor. Die Jungs spielen viel draußen. Die Nachbargärten sind tabu – Ü 60-Zone und sowieso. Mein Jüngster schreibt Mitte Woche eine Geschichte über drei Datteln, die sich mit drei Nüssen auf den Weg machen. Der böse Bär steckt einen von ihnen mit Corona an. Die anderen fünf beten, dass er innerhalb einer Minute vom Virus befreit wird. Es klappt. Fast zeitgleich an meinem Handy ein Aufruf über WhatsApp zu einer Gemeinschaftsmeditation mit dem Medium „Christina von Dreien“: Eine Million TeilnehmerInnen werden gesucht, um das Coronavirus zu stoppen ... Weniger optimistisch aber vermutlich realistischer verlängert die Regierung die Ausgangssperre. Der Gesundheitsminister hat etwas Beruhigendes (kurzes Gedankenspiel: Wie es wohl wäre, wenn noch Hartinger-Klein das Amt ausführen würde?), der Innenminister (noch schaurigeres Gedankenspiel: „Kickl“) mit seinem streckenweise militärischen Sprech hingegen macht mich nervös. Wiewohl ich verstehe und befürworte, dass die Regelungen durchgezogen werden müssen. Bis nach Ostern also noch. Ich für meinen Teil bin bereits nach Woche eins erschöpft. Allen Terminstreichungen und Krise-als-Chancen-Geboten zum Trotz: Viel Innehalten war da nicht. Entschleunigter denn je ist bei mir lediglich der Haushalt. Das Putzen auf später zu verschieben, das beherrschte ich allerdings davor auch schon. Ich wundere mich, wie schnell diese Tage vergehen, wie müde ich jeden Abend bin und frage mich, ob meine Aufträge zu halten sind? Die Wirtschaft geht den Bach runter. Mein Vorstellungsvermögen ist überfordert:

Ein 38 Milliarden schwerer Rettungsschirm. Über 97.000 Arbeitslosen-Meldungen mehr in nur einer Woche. Die Gefahr der Zunahme häuslicher Gewalt ... Nichts wird so bleiben, wie es war. Das Wetter schlägt auch um.

Emotionale Achterbahn

Wochenende. Ich entscheide mich, eine Runde joggen zu gehen. Und merke, dort, durch das Gestrüpp, so mausgagelalleine in aller Herrgottsfrüh: Ich habe Angst. Aber nicht vor dem Virus, sondern vor der Spezies Mensch. Man weiß ja nie, wer aus dem nächsten Busch springt. Ich wechsle die Laufstrecke. Erschöpft kuschle ich mich zu Hause in eine Decke ein. Die Buben gesellen sich zu mir. Der erste fragt: „Bist du krank?“ Der zweite: „Hast du Husten?“ Sie halten mir den Fiebermesser ins Ohr. Der liegt seit Tagen griffbereit herum. Auch >>

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Mittendrin in V

so ein Phänomen: Wer kann schon noch im – selbst nebengeräuschfreien – Brustton der Überzeugung sagen, dass er das Virus nicht hat? Humorvolles und Hoffnungsfrohes trudelt via WhatsApp ein. Der Wandel wird als Rettung fürs Klima und die Menschheit beschworen. Gerne möchte ich das glauben, liebe den Gedanken an Delfine in Häfen, will keine Spielverderberin sein und schicke Daumen hoch und Herzen zum Dank. Bei allen aufmunternden Solidaritätsbekundungen melden sich aber auch leise Zweifel in mir, weil: Die Grenzen sind dicht, die Fürsorge konzentriert sich stark aufs Nationale. Wovon ist das der Anfang? Was passiert eigentlich gerade mit der europäischen Idee? Was, wenn der viel beschworene Zusammenhalt einem Patriotismus frönt, der über Heimatverbundenheit und Stärkung lokaler Produzenten hinaus vor allem nationalistische Tendenzen stärkt? Und denkt überhaupt noch jemand an die Zustände in den türkischen Flüchtlingslagern und an der griechischen Grenze? Ich will mir nicht vorstellen, was passiert, wenn dort das Virus grassiert. Und ich kann mir nicht vorstellen, dass es das nicht tun wird.

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Am Sonntag Familienausflug in die Natur. Am Parkplatz treffen wir – zufällig natürlich – eine befreundete Familie. Zusammen zählen wir verdächtige 11 Leute. Wir tauschen uns kurz unter Einhaltung von mindestens drei Metern Sicherheitsabstand aus. Normalerweise hätte man spätestens an dieser Stelle alle Pläne durchbrochen und wäre auf einen gemeinsamen Kaffee gegangen. Diesmal wünscht man sich das mehr als rhetorisch gemeinte „Gesund bleiben“ und geht schnell wieder getrennte Wege. Wege, die im Erholungsgebiet Alter Rhein üblicherweise im wahrsten Sinne des Wortes grenz­ überschreitend sind. Doch wo Grenze draufsteht ist ab sofort auch Grenze gemeint. Mehrfach stehen wir vor Absperrungen, der Rundweg funktioniert nicht mehr. Ich muss kurz an Marlen Haushofers „Die Wand“ denken.

Woche zwei

Ha. Ich wusste es. An mir ist wirklich keine Pädagogin verloren gegangen. Gäbe es einen Wettbewerb im Hausunterricht, ich würde nicht mal die Quali schaffen. Schon eher müsste man meinen Kinder Tapferkeitsmedaillen verleihen. Das Grundproblem: Ich werde ungeduldig, wenn nicht verstanden wird, was ich erkläre und muss so tun, als sei ich die Ruhe selbst. Das ist wie in eine Zitrone zu beißen und ein Gesicht zu machen, als wäre es Erdbeereis. Beherzt biete ich mich dennoch zum Rechnen-Üben an. Ein Aufschrei der Jungs. Bloß nicht. Sie fürchten um die gute Stimmung. Sie würden lieber auf den Papa warten. Das lass ich mir nicht zweimal sagen. Es gibt Phasen am Tag, da reden sie ohne Punkt und Komma, die Buben. Jeder noch so unwichtige, nicht fertig gedachte Gedankengang wird zur Diskussion freigegeben. Meine Aufträge dümpeln dahin. Ich komme zu nichts. Dafür aber auf Ideen: Wir könnten Fotos anschau‘n! Die Bilder wecken Erinnerungen. Zum Beispiel an die Moirs, eine Familie, die wir in Neuseeland kennen gelernt

haben. Ihre sechs Kinder wurden „homegeschoolt“, ich fand das bemerkenswert. Bei aller Hochachtung führt mir die neue Heim-Belagerung vor Augen, wie sehr mich Schule eigentlich entlastet. Systemkritik hin oder her. Heimlich stimme ich ein Loblied auf Maria Theresia an. Und glaube inzwischen nicht mehr, dass nach Ostern mein Homeoffice wieder mir gehört.

Shutdown

Zwischen Zeitwörter-Quiz und Rechtschreib-Lektionen checke ich an der viralen Front die Lage in Vorarlberg. Dieselbe Nachricht seit Anfang der Krise: Die Zahl der Infizierten steigt, die Betten auf der Intensiv sind vorbereitet. Ja, tief drin in mir bin ich dankbar, dass der Mensch, der Wert der Gesundheit, über das Kapitalistische gestellt wird. Und dass Österreich schnell und nicht im Lauwarm-Modus gehandelt hat. Auch nicht lau, vielmehr heiß-kalt ist mein persönliches Erleben dieser wandelnden Zeit. Dafür genügt ein Blick in den Posteingang: Da eine Ode an die neue Langsamkeit, dort ein Horx’scher Blick in die Glaskugel, hier ein Schreckensszenario Zukunft. Von einem Freund wird mir ein NZZ-Artikel ans Herz gelegt. Interessant: Autor Peter Weibel, ein Medientheoretiker, deutet die inzwischen fast weltweit praktizierte Extrem-Kampfansage an das Virus auch als Versuch, „das Versagen ökonomischer und politischer Regime zu vertuschen, das trotz allen Signalen über Jahrzehnte hinweg verschleiert werden konnte, von den wiederkehrenden Finanz- und Migrationskrisen bis zur Pflege- und Klimakrise.“ Den kompletten Shutdown des Systems schließt er nicht aus. Hm ... herunterfahren, abschalten. Ist das nun gut oder schlecht? Was bleibt vom Guten, was geht vom Schlechten? Und umgekehrt? Humor und Angst, Tiefe und Triviales, Einmaleins und Exponentialrechnung, Tod und Leben – alles so dicht beieinander, kumuliert in meinem kleinen Kosmos der neuen Häuslichkeit.

Ende in Sicht?

Glücksmomente. Natürlich gibt es sie. Vielleicht abseits aller Verkopferei mehr oder tiefer denn je. Dankbarkeit, dass die Eltern gesund sind. Spieleeinheiten mit den Kindern. Gute Gespräche am regelmäßig – und nun oft vollzählig – besetzten Esstisch. Keksebacken ohne Weihnachtsstress. Kuschelzeiten am Abend. Lange Telefonate, die sonst im eng getakteten Alltag untergehen. Die Freundin, die mir ein indisches Curry vor die Tür stellt. Schokoladekuchen mit Vanilleeis – einfach so, wochentags zum Nachtisch. Satte Geborgenheit inmitten des Saustalls. Ein Momentum im Leben, aus der Fülle geboren, eingefroren. Stillstand, der Veränderung verheißt. „An Tagen wie diesen ...“ plärren die Toten Hosen aus den Lautsprechern im Zimmer meines Ältesten „... wünscht man sich Unendlichkeit“. Ich muss Campino widersprechen, ein Ende in Sicht wär‘ mir dennoch grad lieber. Aber das Wünschen und Wollen ist derzeit nicht im Angebot. Viel eher ist dies wohl die Stunde jenes Gebots, das wir so gerne bemühen, wenn’s auch mal um weniger geht: Das Gebot vom Loslassen und Annehmen. Übung macht den Meister. Toi toi toi.


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Wem gehört das Bödele? Das Bödele ist wie ein Brennglas, das sozialen und historischen Wandel bündelt. Um 1900 erwarb der Dornbirner Fabrikant Otto Hämmerle Grundstücke und Vorsäßhütten von 13 Schwarzenberger Bauern und erfand das Tourismusziel Bödele. Er ließ die Hütten zu Ferienhäuschen umbauen, errichtete ein Luxushotel und einen landwirtschaftlichen Musterbetrieb. Überhaupt scheinen hier die Gegensätze prägend: Ferienhäuser und geschütztes Hochmoor, Girardelli-Hang und Familienskigebiet, Motorradrennen und Ashram. Die AutorInnen beschreiben das Bödele als Biotop und als Soziotop, als Ort der Interessenskonflikte und Verhandlungen. Sie erzählen dabei die Geschichte des Bödele zwischen Dornbirn und Schwarzenberg, Alpwirtschaft und Tourismus, Wintersport und Sommerfrische, Innovation und Tradition.

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Buchtipp: Nikola Langreiter, Petra Zudrell: Wem gehört das Bödele?, Mit zahlreichen Abbildungen. Mit Beiträgen von Markus Barnay, Kathrin Dünser, Peter Melichar, Alois Niederstätter u. a., 448 Seiten, Preis: 29 Euro, ISBN: 9783701735112

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Sudoku

So geht‘s: Füllen Sie die leeren Felder so aus, dass in jeder Reihe, in jeder Spalte und in jedem Block (= 3×3-Unterquadrat) die Ziffern 1 bis 9 genau einmal vorkommen. Viel Spaß!

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Schachecke 1 1.Da7! Die weiße Doppeldrohung 2.Da8# und 2.Txd7 kann nicht pariert werden. Schwarz gab sofort auf. 2 1.Sd2! Ld5 [1...f5 scheitert unter anderem an 2.Lxe6+.] 2.c4 und Weiß gewinnt eine Figur. 3 1...Sf3+ Auftakt zum entscheidenden Königsangriff. 2.Kh1 [2.Kg2 Dh5! 3.h4 Te4! 4.Sd2 Lh3+!! Nur dieser spektakulärer Zug gewinnt. Die entstehenden Varianten sind zwar kompliziert, allerdings ziemlich forciert. 5.Kh1 (5.Kxh3 Txh4+! 6.gxh4 Dxh4+ 7.Kg2 Dg4+ 8.Kh1 Dg1#) 5...Txh4! 6.gxh4 Lg2+! 7.Kxg2 (7.Lxg2 Dxh4+ 8.Lh3 Dxh3#) 7...Dg4+ 8.Kh1 Dg1#] 2...Dh5! 3.h4 Te4! [Gegen die Drohung 4...Txh4+ gibt es kein Mittel. In der Partie geschah schwächer 3...g5? und nach dem einzig spielbaren Zug 4.Sd2! stand Schwarz zwar deutlich besser, allerdings konnte Weiß noch Gegenwehr leisten.] 4.Sd2 Txh4+! 5.gxh4 Dxh4+ 6.Kg2 Dh3# Rechenrätsel Für Anfänger = 14, Für Fortgeschrittene = 180, Für Genies = 49 Sudoku 3

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Die Firma blum unterstützt die Berichterstattung über privat initiierte, gemeinnützige Projekte in Vorarlberg.

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Ein Teller zum Durchhalten Linsen, Gemüse-Pfannkuchen und Nick Cave helfen durch die Krise.

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Geschmorte Linsen aus dem Ofen

• 300 g Linsen (am besten Berg-, Puy- oder Beluga-Linsen) • 50 g Speck • 1 Zwiebel • 50 g gehacktes Gemüse (z.B. Sellerie, Karotten oder Fenchel) • 1 Knoblauchzehe • nach Belieben getrocknete oder frische Kräuter • 730 ml Suppe • 2 Esslöffel Olivenöl zum Anbraten und 2 weitere zum Abschmecken • 1 Esslöffel Balsamico-Essig, Salz und Pfeffer, zum Servieren evtl. ein paar Speckstreifen und Schnittlauch Gemüse – mit Zwiebel und Knoblauch – sowie Speck in kleine Würfel schneiden, in einem ofenfesten Topf in einem Schuss Olivenöl anbraten, Kräuter und Linsen dazu geben, durchrühren, mit Suppe aufgießen und aufkochen. Vom Herd nehmen, Deckel auflegen und bei 140 Grad Umluft im Backofen etwa eine Stunde garen. Herausnehmen, mit Olivenöl, Essig, Salz und Pfeffer abschmecken, durchrühren und mit den Gemüse-Pfannkuchen servieren.

Gemüse-Pfannkuchen • 1 Zwiebel • 1 Knoblauchzehe • 200 g Ihres Lieblingsgemüses (z.B. Fenchel, Paprika, Sellerie, Champignons) • Olivenöl • 300 g Dinkelmehl • 4 Eier • 400 ml Milch • 150 ml Rahm • Salz, Pfeffer, Muskatnuss, Butterschmalz

Gemüse fein hacken und in Olivenöl anschwitzen, salzen, pfeffern und zur Seite stellen. Eier mit Milch und Rahm, Salz, Pfeffer und etwas geriebener Muskatnuss mit einem Schneebesen verquirlen, über das Mehl gießen, Gemüsewürfel dazu geben und gut durchrühren. In einer beschichteten Pfanne etwas Butterschmalz zergehen lassen und kleine Pfannkuchen beidseitig herausbacken. Wer Unterhaltung in der Quarantäne sucht, wendet sie mit einem schwungvollen Wurf in die Luft. Die Pfannkuchen bis zum Servieren bei 70 Grad im Rohr warmhalten.

Von Daniel Mutschlechner

Ob wir wollen, oder nicht – die heurige Fastenzeit hat es in sich. Es geht derzeit nicht um lustvolles Einkaufen auf dem Markt, um saftigen Braten oder feine Dessert-Variationen. Vielmehr darum, eine schwierige Lebensphase in Würde und Solidarität zu meistern. Es sind une gewohnt knifflige Wochen für gesättigt . rger Wohlstandsbü Deshalb handelt es sich beim aktuellen Gericht im Probelokal um eine fast fleischlos gewordene Durchhalteparole. Sie ist einfach, aber sehr schmackhaft: Die Zutaten sind preiswert, krisenresistent und in vielen Vorratsschränken zu finden. Linsen, Gemüse und Dinkelmehl geben nicht nur Kraft, um die Situation zu meistern. Sondern auch, um bei allen Verordnungen das eigene, kritische Denken nicht zu verlieren. MUSIK: „Ghosteen“, das 17. Studios. album von Nick Cave and the Bad Seed ikMus und n Weitere Rezeptgeschichte tipps finden Sie auf www.probelokal. com


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„KERNJAHR“: CHANCE FÜR JUGENDLICHE

den eigenen Traum ein Stückweit auszuprobieren – inklusive der Lizenz zu scheitern. Es geht darum, Talente zu erkennen, Selbstvertrauen zu stärken und sich in selbstbestimmtem Handeln zu üben. Eine Potenzial-Entdeckungsreise also für alle, die berufliche Orientierung suchen – sei es nach abgeschlossener oder abgebrochener Ausbildung, Zivildienst oder Bundesheer, nach Stu-

dienwechsel oder -abbruch. Noch bis 15. Juli ist das Anmeldeportal für das Kernjahr 2020/21 offen. Nächster Open Day Infotag: Do, 16.04., 16-19 Uhr im Lochauer Büro Vielfeld. Träger des Projekts: Verein „Schule des Lebens“, Leitung KernJahr: Monika Wohlmuth-Schweizer, Kontakt unter: 0699 11037159, monika.wohlmuth@ kernjahr.at, www.kernjahr.at

HARTES JAHR? BRING´S AUF VORDERMANN.AT Bezahlte Anzeige

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Das Projekt „KernJahr“ geht in seine fünfte Runde! Jugendlichen ab 17 bietet sich damit von Oktober 2020 bis Mai 2021 die Chance, ein Orientierungsjahr zu absolvieren, um seiner Berufung auf die Spur zu kommen – mithilfe von Fragestellungen wie: Wer bin ich? Was kann ich? Was will ich? In einem selbstgewählten „Abenteuer“ bekommt jede*r Teilnehmer*in Raum,

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Psychotherapeutin Kerstin Vogg leitet den Bereich Psychotherapie Vorarlberg beim Institut für Sozialdienste. Wer psychosoziale Fragen und Probleme hat, kann sich auch weiterhin telefonisch an die ifs Beratungsstellen wenden (siehe Factbox).

Psychotherapeut und Psychoanalytiker Günther Rösel arbeitet in freier Praxis in Dornbirn: www. roesel-psychotherapie.at

„EINE VERDAMMT EHRLICHE SITUATION“ 22 |

Trotz Homeoffice und Distanzgebot stehen viele Psychotherapeut*innen über Telefon und Video-Tools in engem Kontakt zu ihren Klient*innen. Mit zwei von ihnen, Kerstin Vogg und Günther Rösel, haben wir uns online getroffen und dabei nicht nur psychologische Phänomene dieser Zeit betrachtet, sondern uns auch auf philosophische Streifzüge begeben. Interview Simone Fürnschuß-Hofer, Fotos: Petra Rainer, privat

marie: Therapiestunden via Telefon oder Video-Apps, das funktioniert? Kerstin Vogg: Durchaus. Ich bekomme ganz oft die Rückmeldung, dass es gut tut zu reden. Einen sicheren Termin zu haben gibt vielen ein Stück Normalität und Halt. Günther Rösel: Ich mache erstaunlich gute Erfahrungen mit dem Telefonieren, einfach nur von Stimme zu Stimme. Nur drei meiner Klienten möchten nicht telefonieren, sondern warten lieber, bis die Praxis wieder offen ist. Was gilt es jetzt zu vermitteln? Günther Rösel: So wie aktuell das körperliche Abstandhalten eine wichtige Devise ist, müssen wir auch auf der psychischen Ebene Abstand halten zu dem, was sich möglicherweise in uns zusammenbrodelt. Jeder hat in sich auch einen Anteil verunsichernder, paranoider bzw. infantiler Gefühle. Bis hin zu Weltver-

schwörungstheorien, die herumgeistern. Es gilt, diese leise Stimme der Vernunft zu entwickeln, wie Freud gesagt hat, und nicht gleich in blinde Affekte zu gehen. Dank Ibiza haben wir das Glück, keine spaltende Rechts-Regierung zu haben, sondern eine Koalition, die weitgehend Anerkennung hat. Wir haben ein gutes Gesundheitssystem, volle Supermärkte, eine wunderbare Natur. Die meisten Menschen sind hier in Österreich in einer immer noch komfortablen Situation. Das könnte uns schon eine gewisse Ruhe geben. Wie geht es wohl den Menschen an der griechischen Grenze oder etwa in Indien? Und speziell auf den therapeutischen Kontext bezogen: Was sind die Nöte? Günther Rösel: Wir alle müssen das, was gerade geschieht, psychisch „verstoffwechseln“. Das heißt, alles, was wir aktuell erleben, müssen wir irgendwie

psychisch verdauen, und es gibt Menschen, die können das nur sehr schwer. Wenn jemand innerlich sehr verwirrt ist, sich stark bedroht fühlt, hat er die größte Mühe damit, wenn sich im Äußeren gerade etwas derart Unheimliches, Ungewisses ereignet. Eine Klientin beispielsweise war in völliger Panik, weil sie ihr kleines Geschäft schließen musste. Sie war der Überzeugung, der Staat will sie und die kleinen Unternehmer vernichten und konnte nicht verstehen, dass die Pandemie eine massive Bedrohung des Gesundheitssystems ist und wir jetzt handeln müssen. Aber ist die Sorge um die finanzielle Situation nicht tatsächlich bei vielen aktuell größer als die Angst vor dem Virus? Kerstin Vogg: Ja, das nehme ich schon so wahr. Wie auch die Sorge, dass man schuld sein könnte an der Ansteckung


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eines anderen. Da wird ja auch mit viel Zeigefinger-Taktik gearbeitet, das erinnert mich fast schon an den Struwwelpeter, an die Zeit der Schwarzen Pädagogik, so unter dem Motto – vor allem an die jungen Menschen gerichtet –„Wenn ihr euch nicht daran haltet, seid ihr schuld“. Aber ich erlebe gleichzeitig ein großes Vertrauen in Richtung Politiker*innen. Es gibt viel Lob, wie schnell und wie radikal sie agiert haben im Unterschied zu anderen Ländern. Und viele erwähnen neben all dem Negativen den Entschleunigungsaspekt und freuen sich über das, was gerade alles möglich wird. Da frage ich mich schon, ob wir generell als Gesellschaft die Selbststeuerung verloren haben. Wenn jetzt, wo dieses Runterfahren per Regierung verordnet wird, so viele Menschen spüren, wie sehr sie eigentlich schon über ihre Grenzen gegangen sind und wie gut ihnen die Verlangsamung tut. Geht das soweit, dass du sagen würdest, es gibt einen Kreis oder Typus Klient*innen, dem diese Verordnung, dieser Ausnahmezustand, sogar guttut? Kerstin Vogg: Ja, durchaus. Zumindest im Moment noch und natürlich nur da, wo die finanzielle Angst nicht dominiert und innerer Reflexionsraum zur Verfügung steht. Dort werden die Tretmühlen sichtbar, es tut sich plötzlich Zeit auf für die Kinder, für Bücher, für Dinge, die immer aufgeschoben wurden. Hier liegt eine Chance für den Einzelnen. Aber es gibt genauso jene, denen dieser Innen- und Spürraum nicht zur Verfügung steht, sie spüren vor allem die Angst und die Not. Im Kollektiv tun wir uns wahrscheinlich viel leichter „nicht zu müssen“. Wie ist es mit dem Kollektiv „Angst haben“? Kerstin Vogg: Erstaunlicherweise beobachte ich bei manchen Angstpatienten das Phänomen, dass sie in eine Art kontraphobischen Zustands kommen, weil jetzt alle Angst haben und sie deshalb mit ihrer Angst nicht mehr alleine sind. Sie erleben es fast als eine Art der Verbundenheit, als Stärkung. Die sonst so quälende namenlose Angst bindet sich an eine reale und benennbare Angst und wird dadurch greifbarer. Günther Rösel: Ich kenne beide Reakti-

onen: Zum einen eben diese Anbindung an eine gesellschaftlich reale, anerkannte Angst, aber auch die Dekompensation (Anm. d. Red: Versagen aller Gegenregulations-Vorgänge). Zum Beispiel ein junger Mann, der bislang im Grunde viel zu gut funktioniert hat, und erst letzte Woche eine schwere Panikattacke erlebt hat, sodass er ins Krankenhaus eingeliefert werden musste. Freud entdeckte, dass es in unserem Unbewussten auch „Unheimliches“ gibt, das in Träumen und Phantasien auftaucht. Davon wollen wir Menschen aber eigentlich nichts wissen. Nun ist in Corona-Zeiten dieses Unheimliche plötzlich so real im Außen. Wir wissen so gut wie nichts über dieses Virus, wir wissen nicht, ob der andere vielleicht infiziert ist. Das kann zu Überreaktionen führen. Es kippt dann, was bislang mit Müh‘ und Not noch gehalten werden konnte. Da kippt’s aber doch mit Sicherheit gerade an vielen Fronten. Wenn ich nur an die vielen Ablenkungsmanöver denke, um das Leben auszuhalten und die jetzt wegfallen ... Günther Rösel: Ich finde es ja einen höchst interessanten Aspekt, dass jeder Mensch jetzt in genau der Lebenssituation ist, in der er wirklich ist. Derjenige, der alleine gelebt hat, ist jetzt alleine. Wer in Beziehung lebt, ist in genau dieser Beziehung. Familie ist jetzt genau diese, meine Familie. Eine verdammt ehrliche Situation … Davor stand eine Unsumme von Ablenkungsmöglichkeiten zur Verfügung, man konnte „es sich immer irgendwie richten“, irgendwie ein zweites, drittes Leben leben. Jetzt auf einmal gibt es nur noch dieses eine Leben und darin muss ich es mit mir aushalten. Ich bin auf mich selbst zurückgeworfen und auf die Menschen, mit denen ich unmittelbar zusammenlebe. Die Frage ist nun, wie geht es mir mit mir selbst wirklich. Wie geht es mir mit diesen unmittelbaren, primären Menschen um mich? Das ist eine zutiefst existenzialistische Situation. Jede und jeder ist jetzt dort, wo er ist. Kerstin Vogg: Aber auch darin liegt eine wahnsinnige Chance. Die Karten liegen jetzt auf dem Tisch. Es wird nicht nur sichtbar, mit wem lebe ich, sondern

auch, wie ich mit mir bin. Wie kann ich mich selber stabilisieren, meinen Tag strukturieren, was gibt mein Innenraum an Dialog her? Wir sind ja permanent im Dialog mit uns selber. Sind meine Dialoge eher ängstlich, verurteilend oder ermutigend? Alles was wir an Repräsentanzen in uns haben, an gewonnenen Beziehungserfahrungen, die wir verinnerlicht haben, zeigt sich jetzt. Je nachdem, was sich da festgelegt hat in uns, kann es uns jetzt in ein Desaster führen, Halt geben oder uns gar beflügeln. Günther Rösel: Genau. Hier kommt das psychische Abstandhalten wieder ins Spiel – als etwas, das wir in der Psychotherapie zu entwickeln versuchen: Blinde, taube, rasende Gefühle, Neid, Wut, Eifersucht, Rivalität, Gier usw. zu regulieren, Spiralen des Destruktiven zu durchbrechen. Zu lernen, „Stopp“ zu mir selbst zu sagen, indem ich lerne, durchzuatmen. Indem ich einfach einen Kaffee trinke oder rausgehe und eine Runde drehe … Der eine schafft es und der andere (noch) nicht ... Was macht den Unterschied? Kerstin Vogg: Diese Frage beschäftigt mich seit Langem. Entwicklungspsychologisch gibt es die Erklärung, dass du als Säugling erst mal nur körperlich bist, konfrontiert mit namenloser Spannung und Entspannung. Durch die Erfahrung mit den Bindungspersonen werden diese Zustände benannt und im besten Fall von diesen entsprechend beantwortet – es entsteht ein psychischer Innenraum. Sobald ich etwas benennen kann, bin ich dem nicht mehr ausgeliefert, kann ich darüber nachdenken, fühlen, es gestalten und auch eine Form von Distanz dazu schaffen. Mit der Konfrontation mit dem Corona-Thema zeigt sich dem Einzelnen nun, was früh angelegt ist und nun zutage tritt: Muss ich sofort alles, was ich spüre, nach außen geben oder kann ich es in mir abfedern? Habe ich die Fähigkeit, mich selber zu trösten? Das ist ja nicht nur ein Thema von psychisch Erkrankten, das betrifft uns alle. Im Alltag können wir uns ablenken, doch nun fordern uns die Umstände, den Innenraum zu betreten. Es kann unbequem sein, mich mir selber zu stellen. Dem >>

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sind wir jetzt aber ausgesetzt – egal ob erkrankt oder nicht erkrankt. Günther Rösel: Stell dir vor, du bist am See und um dich herum schwirren ganz viele Möwen. So wie mit diesen Möwen verhält es sich mit unseren Gefühlen: Sie kommen und gehen. Und je besser wir ins Kontemplative gehen können, einfach nur betrachten, was da alles in uns herumschwirrt, umso besser verstehen wir, ich bin nicht nur meine momentanen Gefühle, umso eher können wir Gefühle wie Angst oder Sorge auch vorbeiziehen lassen. Zwei Klienten von mir leben aufgrund schwerster Traumatisierungen alleine. Ihnen geht es interessanterweise gerade derzeit relativ gut, auch in dieser aktuellen Situation, denn sie haben durch ihre Lebensgeschichte, durch die langjährige therapeutische Arbeit gelernt, mit sich selbst sein zu können und das Alleinsein auch als etwas Wertvolles wahrzunehmen. Kerstin Vogg: Aktuell landen viele Medienanfragen bei mir mit dem Wunsch nach Patentrezepten. Auf die Frage „Was können Menschen jetzt tun?“ würde ich gerne auch mal sagen dürfen: Einfach mal gar nichts. Einfach mal sich dem Ganzen aussetzen und schauen, was passiert. Natürlich bin ich da zwiegespalten, denn jemandem, der Hilfe braucht, möchte ich etwas an die Hand geben, das ihm drüberhilft. Und natürlich spreche ich hier auch nicht von akuten krankheitsbedingten Leidenszuständen. Aber es gibt so einen Teil in mir, der fragt, was wäre eigentlich, wenn so eine Zeit ohne Ablenkung bzw. Hilfsmittel überbrückt würde und wir uns radikal selber begegnen würden. Günther Rösel: Freud hat vom „hysterischen Elend“ und vom „gemeinen Unglück“ gesprochen: Ersteres bezieht sich auf eine hysterische Aufgeregtheit. Wenn wir hysterisch reagieren, reagieren wir infantil. Der Begriff des „gemeinen Unglücks“ meint: Es ist allen gemein. Aktuell ist es ein Unglück, das wir alle aushalten und bewältigen müssen. Wir wissen nicht, wie sehr es an die Grenzen unseres Systems geht, ob wir in eine Weltwirtschaftskrise schlittern werden, was noch alles kommt. Dennoch leben wir nach wie vor in einer Gesellschaft, in der vie-

les gut ist, auch das gilt es zu sehen. Es gibt einen wichtigen ethischen Common Sense, der besagt, dass jetzt vor allem ältere und kranke Menschen geschützt werden müssen, dass unser Gesundheitssystem bewahrt werden muss. Kerstin Vogg: Ein Problem habe ich allerdings dort, wo die Solidarität verzweckt wird. Was heißt es denn, solidarisch zu sein, an welcher Supermarktkassa oder Grenze hört mein Solidaritätssinn auf? Es ist angebracht, wach zu bleiben, weil gern mit gleichem Solidaritätsanspruch auch vor Flüchtlingsaufnahmen gewarnt wird. Als Gesellschaft haben wir gerade Zeugnistag. Günther Rösel: Und es wäre gut, sich dieses Zeugnis auch persönlich anzuschauen! Wo bin ich mit meinem Leben? Inwieweit freut mich mein Dasein? Diese wunderbare deutsche Wort Da-Sein ... Was habe ich bisher aus meinem Leben gemacht, konnte ich destruktive Muster auflösen oder mache ich genau dasselbe, was etwa mein Vater mit mir gemacht hat? Ist es mir gelungen, freiere Kreise in meinem Leben zu entwickeln? Wo und wie bin ich in Beziehungen? Hier hinzuschauen, das wäre eine wirkliche Chance. Ist dies nicht auch der Zeitpunkt, uns mit Leid und Tod neu auseinanderzusetzen? Kerstin Vogg: Durchaus. Entgegen des Optimierungs- und Machbarkeitswahn wird uns ja durch die vielen Toten eine Brüchigkeit und Verletzlichkeit vor Augen geführt, die wohl auch eine Kränkung unserer Allmachtsphantasie ist. Günther Rösel: Der neuzeitliche Mensch lebt in der Illusion, er hätte alles im Griff. Die Viren und Seuchen hat es doch immer schon gegeben und die Menschen haben immer erst im Nachhinein Lösungen gefunden, die uns weitergebracht haben. Das Virus zeigt uns jetzt, wie fragil der Mensch, das soziale Gefüge, die Wirtschaft ist. Diese Erfahrung der Fragilität – ich glaube, die tut uns gut. Kerstin Vogg: Wir „sterben“ oft innerhalb eines Lebens, müssen Ideen, Lebensentwürfe und Bilder loslassen. Gesellschaftlich wird das so verhandelt, als wäre das nicht notwendig, als könne das sozusagen schmerzfrei überbrückt wer-

den. Meine persönliche Haltung ist das nicht. Meine Philosophie vielmehr ist: Je mehr man das übt im Leben, je mehr man diese kleinen Tode stirbt, Frustration und Schmerz als zum Leben gehörend annimmt, desto leichter wird vielleicht das letzte Loslassen am Ende sein. Günther Rösel: Die Erfahrung, die wir in der Psychotherapie machen, ist doch: Der Mensch will von Leid und vom ständigen Wandel des Lebens nichts wissen. Beides ist aber essentiell fürs ganze Leben. Genau da setzt unsere tägliche Arbeit an: Wo ist das Leid, wo ist die Abwehr des Menschen gegenüber der notwendigen Veränderung? Die Entwicklung einer Persönlichkeit reift je nachdem, wie ein Mensch Krisen durchsteht, wie er sich seinem Schatten, Leid und Schmerz stellt – all diesem Dunkeln des Lebens, das zu uns gehört, das uns letztlich weiterbringen kann. Kerstin Vogg: An dieser Stelle fällt mir ein Zitat des niederländischen Priesters und Poeten Joop Roeland ein: „Unsere Schwäche ist der Ort, wo die Zärtlichkeit wohnt.“ Ein schönes Schlusswort, vielen Dank für das Gespräch!

In Vorarlberg steht eine Reihe von psychologischen Diensten online wie telefonisch zur Verfügung: • ifs-Erstberatungsstellen (sechs Stellen im Land): www.ifs.at/ oeffnungszeiten.html • Sozialpsychiatrische Dienste auf Bezirksebene (SpDi): www.spdi.at/ kontakte • Telefonseelsorge: Hotline 142, www.telefonseelsorge.at, 24 Stunden täglich • Beratungsstelle Omnibus (für Betroffene von psychisch Erkrankten): www.verein-omnibus.org • Suizidprävention: www.bittelebe.at • Krisentelefon des Vorarlberger Landesverbandes für Psychotherapie: www.vlp.or.at täglich von 8 bis 20 Uhr, T 05572/21463 vlp@ psychotherapie.at


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Lesevergnügen portofrei bestellen!

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Das Corona-Virus macht einen Straßenverkauf derzeit unmöglich. Deshalb haben wir uns dazu entschlossen die restlichen Exemplare der buchmarie (inklusive Lesezeichen), Vorarlbergs erstes Straßenbuch, per Post zu versenden. Und das PORTOFREI IN GANZ ÖSTERREICH! Der Preis des Buches, das in Zusammenarbeit der marie mit dem literatur netzwerk:vorarlberg entstanden ist, beträgt 9,- Euro. DIE HÄLFTE DES GELDES BEKOMMEN DIE MARIE-VERKÄUFERINNEN! UND SO KÖNNEN SIE DAS BUCH BESTELLEN! Überweisen Sie 9,- Euro auf folgendes Konto: Raiffeisen im Rheintal: IBAN: AT94 3742 0000 0648 3580 BITTE NAMEN UND ADRESSE DAZUSCHREIBEN! ... oder schicken Sie uns eine E-Mail an redaktion@marie-strassenzeitung.at BITTE NAMEN UND ADRESSE dazuschreiben! Verwendungszweck: buchmarie

... oder rufen Sie an und bestellen telefonisch unter 0677 61538640 Übrigens: Die buchmarie hat einen Umfang von 104 Seiten und enthält ausschließlich EXKLUSIVE KURZGESCHICHTEN VON VORARLBERGER AUTORINNEN! Bleibt gesund und viel Spaß beim Lesen wünscht Euch die marie.


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1 Wie kann Weiß am Zug die sofortige Entscheidung herbeiführen?

2 Wie gewinnt Weiß am Zug entscheidendes Material?

3 Schwarz am Zug gewinnt im Königsangriff. Wie?

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„Das Recht folgt der Krise“ Firmen und Schulen haben geschlossen, es gibt Ausgehverbote, Großveranstaltungen sind abgesagt: Das Corona-Virus hat das öffentliche Leben der Menschen massiv verändert. Die marie sprach mit Universitätsprofessor Peter Bußjäger (56) über die Gefahren für den Rechtsstaat, über den Zusammenhalt in der Krise und wann er glaubt, dass wieder Normalität in unseren Alltag einkehren wird.

Peter Bußjäger, geboren 1963 in Bludenz, ist Verfassungs- und Verwaltungsjurist. Bußjäger ist zudem Universitätsprofessor an der Universität Innsbruck, Direktor des Instituts für Föderalismus sowie Verfassungsrichter am Liechtensteinischen Staatsgerichtshof.

Interview: Frank Andres, Foto: privat

marie: Wann haben Sie realisiert, dass das Corona-Virus nicht spurlos an Österreich vorbeigehen wird? Peter Bußjäger: Als ich Ende Februar in Wien war und die vielen Touristen sah, bei denen niemand irgendeine Kontrolle vorgenommen hatte. Wie sollte so etwas gut gehen? Wie sehr hat sich Ihr Leben als Universitätsprofessors durch das CoronaVirus geändert? Naja, ich arbeite im Homeoffice, mache meine Vorlesungen online. Das ist eine Art Notbetrieb. Langfristig funktioniert es nicht. Man hat nicht alle Unterlagen online zugänglich und der persönliche Austausch mit Studierenden und Kollegen leidet sehr. Ganz ehrlich, haben Sie bis zum Ausbruch des Virus gewusst, was im Epidemiegesetz von 1950 genau geregelt ist? Ich wusste, dass es dieses Gesetz gibt und den Behörden eine Handhabe gegen Epidemien gibt. Bundespräsident Alexander van der Bellen hat im Zusammenhang mit dem Ibiza-Video und den politischen Folgen von der Schönheit der Bundesverfassung geschwärmt. Bleibt diese auch in Zeiten des Corona-Virus bestehen? Ich halte wenig von dieser Zuschreibung einer schönen Verfassung, was gar nicht stimmt. Viel wichtiger ist die Funktionsfähigkeit der Verfassung und die stellt sie auch in der gegenwärtigen Situation noch unter Beweis.

Allein zur Bekämpfung des CoronaVirus mussten in Österreich dutzende Gesetze geändert werden. Und zwar einstimmig. Folgt das Recht der Politik? In Krisensituationen muss man zusammenstehen, das haben unsere Politiker mehr oder weniger verstanden. Ich würde eher sagen: Das Recht folgt der Krise. Je schlimmer eine bestimmte Situation, umso drastischere Maßnahmen müssen ergriffen werden. Wir können nur hoffen, dass das möglichst bald wieder zu Ende ist. Es gibt Ausgehverbote, ganze Dörfer bzw. Regionen stehen unter Quarantäne, Produktionsstätten mussten zwangsweise schließen, Kinos und Theater haben gesperrt, Fußballspiele und andere Sportveranstaltungen mussten abgesagt werden. Ist der Rechtsstaat in Gefahr? Noch nicht. Die Verfassung ist nicht angetastet worden. Aber je einschneidender die Maßnahmen werden, um so kritischer wird es. Die Freiheits- und Grundrechte sind massiv beschränkt. Manche Anwälte sehen den Rechtsstaat in Gefahr. Panikmache oder Notwendigkeit? Man sollte nicht unkritisch der Regierung Pauschalermächtigungen erteilen. Ich würde den Rechtsstaat im Augenblick noch nicht in Gefahr sehen. Man wird aber darauf achten müssen, dass die Maßnahmen wieder zurückgefahren werden, je mehr sich die Lage beruhigt.

Bundeskanzler Sebastian Kurz sprach von der größten Herausforderung seit dem Zweiten Weltkrieg. Wie herausfordernd ist diese Zeit für einen Verfassungsrechtler? Mir geht es ja im Vergleich zu vielen anderen Menschen gut. Die Herausforderung beschränkt sich darauf, mich mit immer neuen Rechtsvorschriften vertraut zu machen und meinen Studierenden ein möglichst gutes Service zu bieten. Insoweit bin ich geradezu privilegiert. Manche warnen in Zeiten von Corona von einem Machtrausch der Politik. Sind diese Bedenken gerechtfertigt? Ich habe Vertrauen in die Institutionen. Aber wie gesagt, man muss darauf achten, dass die Maßnahmen auch wieder zurückgefahren werden und nicht die einen oder anderen Überwachungsin­ strumente zurückbleiben. Es wird ein Leben nach Corona geben. Müssen dann jetzt beschlossene Gesetze wieder rückgängig gemacht werden? Teilweise wurden sie mit einer sogenannten „Sunset-Clause“ versehen, das heißt, sie haben ein automatisches Ablaufdatum, wenn sie nicht verlängert werden. Und ich bin froh, wenn sie wieder außer Kraft treten. Und wann glauben Sie wird sich wieder so etwas wie Normalität einstellen? Die Maßnahmen werden uns wohl länger begleiten. Ich bin froh, wenn ich im Herbst wieder im Hörsaal stehen darf.

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CORONA IM KRIEG Wie wirkt sich das Corona-Virus auf ein vom Bürgerkrieg zerrüttetes Land wie Syrien aus? Dramatisch, wie Thomas Schmidinger, Politikwissenschaftler und Kenner der Region, schildert. Text: Herr Schmidinger, Fotos: privat

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eit Sonntag gibt es die erste bestätigte Covid-19-Tote in Syrien. Das syrische Gesundheitsministerium teilte am 29. März mit, dass eine Frau, nachdem sie zur Notfallbehandlung ins Krankenhaus eingeliefert worden war, verstarb. Dabei handelt es sich um den ersten offiziell gemeldeten Tod einer mit dem Coronavirus infizierten Person in dem seit über acht Jahren von einem Bürgerkrieg zerrütteten Land. Die syrische Regierung erklärte zudem, dass die bestätigten Fälle von bisher fünf auf neun gestiegen wären. Mediziner und Augenzeugen vor Ort berichten allerdings seit Tagen, dass es noch viel mehr Fälle gibt. Die syrische Regierung bestreitet, die Fakten vertuschen zu wollen, hat jedoch zugleich drakonische Maßnahmen verhängt, zu der neben der Schließung von Schulen, Moscheen, Universitäten und Geschäften auch eine landesweite Ausgangssperre gehört. Dabei sind trotz der militärischen Erfolge des Regimes mit Unterstützung Russlands und des Irans, bis heute nur etwa zwei Drittel des Landes unter Regierungskontrolle und die Situation des Gesundheitssystems unterscheidet sich in den verschiedenen Teilen Syriens ebenso wie die politischen Systeme. Die Unterstützung durch iranische Milizen könnte das Virus auch eingeschleppt haben, schließlich ist im Iran die Situation mittlerweile völlig außer Kontrolle geraten. Während das Gesundheitssystem im vom Regime gehaltenen Teil des Landes allerdings noch vergleichsweise gut funktioniert und die offizielle Mitglieds­ organisation des IKRK, der Syrische Rote Halbmond, gute Voraussetzungen hat, das Regierungsgebiet zu versorgen, herrschen in den Teilen Syriens, die

Hunderttausende Vertriebene sind im Norden Syriens in Zeltlagern wie diesem untergebracht: Washukanni Camp, wo die von der Türkei Vertreibenen aus Serê Kaniyê untergebracht sind, Februar 2020.

nicht von der international anerkannten Regierung kontrolliert werden, wesentlich gravierendere Probleme. So ist die von KurdInnen und ihren Verbündeten kontrollierte Region in Nord- und Ostsyrien derzeit noch isolierter als sonst. Der einzige Grenzübergang in Semalka/Faysh Habur, der die von den Syrischen Demokratischen Kräften (SDF) kontrollierte selbstverwaltete Region mit der Außenwelt verbindet, ist seit drei Wochen geschlossen. Nur noch dienstags dürfen bestimmte Hilfsorganisationen, auf die man nicht verzichten kann, und wenige ausgewählte JournalistInnen über die Grenze. Vor einer Woche wurden nun auch die Schulen und Universitäten geschlossen. Seit 23. März dürfen nur noch Lebensmittelhandel und Apotheken öffnen. Die Fortbewegung zwischen den Städten ist untersagt. Zu groß ist die Angst, dass ein Ausbruch des Virus massive Folgen auf das ohnehin nur notdürftig aufrecht erhaltene Gesundheitssystem in der Region hätte. Hunderttausende leben in der Region zudem in Flüchtlingslagern mit eng aneinander gebauten Zelten oder wurden im Oktober 2019 bei der jüngsten türkischen Invasion notdürftig in Massenquartieren in Schulen untergebracht, wo große Gruppen an Vertriebenen in Klassenzimmern zusammenleben. Die medizinische Versorgung in den Vertriebenenlagern ist noch schlechter als in den anderen Regionen Nord- und Ostsyriens und wird nur notdürftig vom


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Chechpoint protürkischer islamistischer Milizen bei Azaz.

Kurdischen Roten Halbmond (Heyva Sor a Kurdistanê) aufrechterhalten. Bisher gibt es in Nord- und Ostsyrien noch keinen bestätigten Fall einer Infektion mit Covid-19. Dies dürfte allerdings an den fehlenden Testmethoden liegen. Bisherige Testmethoden für Covid-19 benötigen einen so genannten Thermocycler. Bis Oktober 2019 gab es genau ein solches Gerät in Nord- und Ostsyrien, nämlich in Serê Kaniyê, also jener Stadt, die im Oktober 2019 von der Türkei und protürkischen Milizen besetzt wurde. Damals wurde nicht nur die Bevölkerung vertrieben, sondern fiel auch der Thermocycler in türkische Hände. Wenn nun ein ernsthafter Verdachtsfall auf Covid-19 oder eine andere damit zu testende Vireninfektion existiert, besteht die einzige Möglichkeit der Testung darin, eine Blutprobe in die Hauptstadt Damaskus zu schicken und von dort auf Ergebnisse zu hoffen, die frühestens acht Tage später im Nordosten eintreffen. Weitgehend zusammengebrochen ist die medizinische Versorgung auch in Idlib, jener Region im Nordwesten Syriens, die von der jihadistischen Hayat Tahrir ash-Sham (HTS) kontrolliert wird, deren Vorgängerorganisation Jabhat an-Nusra bis 2016 noch offiziell Teil der al-Qaida war. Obwohl sich die militärische Situation in der Region seit dem Abkommen zwischen Putin und Erdoğan am 5. März wieder etwas beruhigt hat, weiß niemand, wie lange dies hält. In der Region wurden immer wieder Krankenhäuser angegriffen. Mittlerweile versorgen nur noch drei Krankenhäuser insgesamt rund 3,5 Millionen Menschen. Von den drei Krankenhäusern ist laut Till Küster, Syrien-Koordinator von Medico International, nur noch eines voll funktionsfähig. Die WHO spricht davon, dass in der Region knapp 150 Intensivbetten zur Verfügung stehen. Obwohl die Türkei während der Kämpfe Anfang März die HTS gegen das syrische Regime unterstützt hatte, stellt die seit dem November 2017 von HTS in der Region eingesetzte „Syrische Rettungsregierung“ unter Mohammed al-Sheikh ein rivali-

sierendes politisches Projekt zur protürkischen Syrischen Übergangsregierung unter dem Turkmenen Abdurrahman Mustafa dar und verfügt damit auch nicht über die finanzielle Unterstützung der protürkischen Verwaltung in den türkisch besetzten Gebieten Nordsyriens. Insbesondere die medizinische Versorgung in den Gebieten der „Rettungsregierung“ ist damit noch prekärer als in den türkisch besetzten Regionen. Aus diesen werden schwere Fälle auch immer wieder in die Türkei zur medizinischen Behandlung gebracht. Wie in anderen politischen Fragen auch ist für die türkisch besetzte Region Syriens überwiegend die Provinzverwaltung der türkischen Provinz Hatay zuständig, die hier seit dem 3. März Sensibilisierungskampagnen für Ärzte und Manager medizinischer Organisationen begonnen hat. Im Spital der Stadt al-Bab wurde ein Isolationsraum eingerichtet. An den Grenzen und Checkpoints wird Fieber gemessen. Auch hier wurden mittlerweile Schulen und viele andere öffentliche Einrichtungen geschlossen. Wie im Nordosten Syriens gehören auch hier die Vertriebenen zu den am stärksten gefährdeten Gruppen. Allein während der jüngsten Offensive Anfang 2020 gegen Idlib sind mehr als 900.000 Menschen – darunter eine halbe Million Kinder– an die türkische Grenze geflohen, die von der Türkei weiter blockiert wird. Die Grenzschließungen Europas hatten auf der anderen Seite weitere geschlossene Grenzen zur Folge und diese Menschen sitzen nun ebenso in der Falle wie jene in den überfüllten Lagern auf den griechischen Inseln.

Thomas Schmidinger ist Politikwissenschaftler und hat mehrere Bücher über Syrien und den Irak publiziert. Zuletzt hat er noch im Februar 2020 Syrien besucht.

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Glaub nicht alles, was du denkst! Wie wichtig es ist, in schwierigen Zeiten innere Stärke zu entwickeln bzw. aufrecht zu erhalten, wissen wir alle. Wir wissen auch, dass eine positive Haltung für unser Immunsystem förderlich ist. Aber wie entwickeln wir sie? Mentalcoachin Martina Thaler-Schönfeld (62, aus Wolfurt) gibt 10 Tipps für mentale Stärke trotz widriger Umstände Text: Martina Thaler-Schönfeld Foto: privat

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ber Gedanken und Bilder im Kopf können wir unmittelbar Einfluss nehmen auf unsere Gefühle und Stimmungen. Diese mentalen Werkzeuge stärken unsere Erfahrung, selbst etwas zu unserer psychischen Stabilität beitragen zu können. Und das kommt nicht nur uns selber zugute, falls wir alleine leben, sondern auch unseren Familienmitgliedern, mit denen wir derzeit teilweise rund um die Uhr zusammen sind. Hilfsmittel sind dafür keine nötig, höchstens ein paar Minuten Rückzug in ein Zimmer für sich allein.

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Belastende Gedanken stoppen

Stell dir einen großen, roten STOPP-Schalter vor und drück in deiner Vorstellung mit einem entschiedenen STOPP! darauf. Lass vor deinem inneren Auge eine positive Zukunftssituation auftauchen, wenn die belastete Zeit vorüber ist, und fokussiere deine Aufmerksamkeit auf dieses Bild. Tu so, als ob du die Erleichterung und Befreiung schon jetzt spüren könntest.

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Den inneren Text verändern

Achte bewusst auf die Gedanken, die dir durch den Kopf gehen. Verändere einen negativen inneren Text wie „Das schaff ich nicht, ich bin total überfordert…“ in einen aufbauenden, beispielsweise in „Ich bin gespannt, welche kreativen Ideen mir heute weiterhelfen!“

Ein mentales Schutzgerät aktivieren

Erschaff dir in deiner Vorstellung ein Schutzgerät, z.B. eine Schutzglocke, an der alles Belastende und Negative von außen abprallt. Innerhalb dieses Schutzgeräts hast du einen sicheren Ort, an dem du die Ruhe bewahren kannst. Familiäre Spannungen oder quengelnde Kinder, die dich im Homeoffice stören, können dir auf diese Weise weniger anhaben.

Die Kraft eines Rituals nützen

Schreib die Ängste und Sorgen, die du gerne loswerden möchtest, auf kleine Papierzettel und verbrenne die gesammelten Zettel zu einem Zeitpunkt deiner Wahl. Betrachte symbolisch die entstandene Asche als „Dünger“ für etwas Neues und spür bewusst die innere Befreiung.

Ressourcen stärken durch innere Bilder

„Ein Bild sagt mehr als tausend Worte!“ Innere Bilder beeinflussen unsere körperliche und psychische Verfassung unmittelbar. Deshalb sind Visualisierungen, die unsere inneren Ressourcen stärken, so wichtig in dieser Zeit. Innerlich immer wieder Licht, Kraft und Ruhe zu tanken ist ein Gebot der Stunde. Stell dir beispielsweise eine Lichtdusche an der Zimmerdecke vor, von der helles, warmes Licht auf dich herabfließt. Es hüllt dich ein wie eine warme Decke, es dringt auch durch die Poren deiner Haut und macht dein Inneres hell und warm. Und so kann auch der Kopf wieder lichtvolle Gedanken hervorbringen.


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Ruhe und Überblick bewahren: Der Leuchtturm

Ein sehr kraftvolles Symbol in turbulenten Zeiten ist der Leuchtturm. Er steht unerschütterlich in Sturm und Brandung, mit seiner Stabilität und seinem weithin strahlenden Licht gibt er den Schiffen nah und fern wichtige Orientierung. Versetz dich innerlich an eine stürmische Küste und stell dir vor, du wärst so ein Leuchtturm, der anderen Sicherheit und Orientierung bietet. Egal ob als geforderte(r) FamilienmanagerIn oder im Dauerstress befindliche MitarbeiterIn im Berufskontext, dieses innere Bild wirkt in jedem Fall stärkend.

Den Atem nutzen

Über den Atem können wir Einfluss nehmen auf unser vegetatives Nervensystem. Tiefes Atmen beruhigt und entspannt. So können wir uns vorstellen, dass wir beim Ausatmen Anspannung und Belastendes ausatmen und mit dem Einatmen innere Kraft und Stabilität einatmen. Die Vorstellung, so fest verwurzelt dazustehen wie ein Baum, der auch im Sturm nicht umzuwerfen ist, wirkt dabei zusätzlich unterstützend.

9)

10)

Speichertaste für gute Gefühle

Wir alle haben in unserem Leben schon schwierige Situationen erfolgreich gemeistert. Die Erinnerung daran lässt sich wachrufen und für die Gegenwart nützen: Wie hat sich das angefühlt? Lass dieses Gefühl in dir ganz stark werden, und wenn du es deutlich spüren kannst, dann drück eine bestimmte Körperstelle, z.B. an der Hand zwischen Daumen und Zeigefinger, und mach sie zur „Speichertaste“ für dieses gute Gefühl. Mit ein bisschen Üben wird die positive Emotion sozusagen „auf Knopfdruck“ abrufbar, sobald du auf diese Stelle drückst.

Tageshighlights festhalten

Achte bewusst auf die positiven Aspekte und Situationen, die der momentane Ausnahmezustand trotz allem bereithält. Blick am Abend zurück auf den Tag und halte die besten Momente des Tages in einer Notiz fest. Wenn du das über eine längeren Zeitraum machst, wirst du sehen, wie viel Positives es auch jetzt noch, oder aber gerade jetzt, in deinem Leben gibt.

Den eigenen Fokus bewusst lenken

Setz dir am Morgen bewusst gewisse Ziele, auf die du dich tagsüber immer wieder ausrichtest. Du kannst dir auch ein Blatt mit sechs solchen Aufgaben bereitlegen und morgens würfeln, was der Tagesschwerpunkt sein soll: Das könnte etwa so aussehen: 1) Heute sammle ich Lächeln 2) Heute stärke ich mein Immunsystem 3) Heute überrasche ich jemanden 4) Heute reaktiviere ich einen alten Kontakt 5) Heute lass ich mal fünf gerade sein 6) Heute probiere ich was Neues aus Der eigenen Fantasie sind dabei keine Grenzen gesetzt.

Martina Thaler-Schönfeld ist Akad. Mentalcoach im Schulbereich. An der Gratis-Servicestelle „ReStart“ der Vorarlberger Bildungsdirektion bietet sie Einzelcoaching für Lehrpersonen und SchülerInnen an AHS, BHS und Mittelschulen. Sie war selbst 20 Jahre lang als AHS-Lehrerin tätig. Heute ist Thaler-Schönfeld in ihrer Coachingpraxis in Wolfurt sowie als Lehrtrainerin und Supervisorin am MentalCollege Bregenz tätig. Kontakt unter mar.thaler@aon.at

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DER „SCHWARZE TOD“ Mit dem Einlaufen von zwölf pestverseuchten genuesischen Galeeren im Hafen von Messina (Sizilien), deren Besatzungen sich in der Stadt Kaffa (heute: Feodosija, südwestliche Krim) mit der Krankheit infiziert hatten, beginnt im Jahr 1347 die erste große europäische Pestwelle. Etwa 25 Millionen Menschen, ein Drittel der Bevölkerung Europas, sterben bis 1352. Die Epidemie wird in Europa mehr als 300 Jahre lang immer wieder aufflammen. Text: Gerhard Thoma Fotos: Archiv

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ie ersten Todesopfer in Vorarlberg gab es im Frühjahr 1349 in Feldkirch. Als sich die Seuche epidemieartig in der Stadt verbreitete, machte man die Juden für die Krankheit verantwortlich. Fast alle jüdischen Mitbürger, die in Feldkirch wohnten, wurden zusammengetrieben und verbrannt. „Bis 1689 lassen sich für Vorarlberg bislang mehr als 30 weitere Pestepidemien von unterschiedlicher Intensität nachweisen“, erklärt der Lustenauer Historiker Wolfgang Scheffknecht. „In Dornbirn starben 1584/85 so viele Menschen an der Pest, dass sich Land­ ammann und Gericht gezwungen sahen, den österreichischen Beamten in Feldkirch zu melden, dass die althergebrachten Bestimmungen des Erbrechts nicht mehr ausreichten, um alle Erbfälle zu regeln.“ 1613 gab es in Vandans 150 Pesttote.

Besonders verlustreich, so Scheffknecht, waren auch die Seuchenzüge des Dreißigjährigen Krieges von 1618 bis 1648, als die Krankheit durch einquartierte Soldaten mehrfach ins Land eingeschleppt wurde und zugleich auf eine meist ausgemergelte und wenig widerstandsfähige Bevölkerung traf.

Der Tod mit der Narrenkappe. Auch heute tötet das Bakterium ‚Yersinia pestis‘ noch. Etwa 2000 Menschen sterben jedes Jahr. Und: Seit dem ‚Schwarzen Tod‘ haben sich die gefährlichen Eigenschaften des Erregers kaum verändert. In den 800 Jahren Evolution als menschlicher Erreger gab es relativ wenige Veränderungen im Erbgut des uralten Bakteriums. Zum Glück gibt es heute aber Antibiotika.

1628/29 starben in Lauterach 55 Menschen an der Pest, im Hohenemser Ortsteil Reute waren 80 Pesttote zu beklagen. Besonders schlimm wurde Dornbirn getroffen: Hier überschritt die Zahl der Toten die 800. Im Ortsteil Hatlerdorf sollen nach dem Abklingen der Epidemie sogar rund 20 Häuser leer


#49 | April 2020

gestanden sein. Nicht minder reiche Ernte hielt der Schwarze Tod 1635. In Lauterach starben damals 223 Personen an der Pest, in Lustenau binnen zweier Monate 52, in Mellau 185, in Egg 250, in Feldkirch 400, in Bregenz und Hörbranz 181. Überträger des Pestbakteriums ist ein Floh, der normalerweise auf Ratten lebt. Sterben die Nagetiere an der Pestinfektion, sucht sich der Floh einen neuen Wirt. Da in Städten und auf Schiffen seit alters her Ratten und Menschen eng aufeinander sitzen, sind eben häufig Menschen das nächste Opfer. Schiffe trugen so die Pest von der Halbinsel Krim, auf der bereits 1345 erste Opfer starben, in die Mittelmeerhäfen. Von dort breitete sich die Epidemie

Pest angeblich nicht ansteckend Im Jahr 1819 erklärten die Abgeordneten des britschen Parlaments, dass die Pest nicht ansteckend sei. Sie hatten dadurch drohende Quarantäne-Maßnahmen verhindert, die den Übersee-Handel empfindlich getroffen hätten. Auch in Frankreich traf man fragwürdige Entscheidungen, um den Warenverkehr im eigenen Land nicht zu behindern: Durch eine Kampagne in der französischen Abgeordnetenkammer verhinderte der Arzt Nicolas Chervin den Aufbau von dringend nötigen Gelbfieber-Quarantänen in Frankreich: 1828 wird er dafür in Paris mit dem „Großen Preis der Medizin“ ausgezeichnet.

dann rasch über Europa aus. Besonders betroffen aber waren fast immer die Hafenstädte und die Ballungsgebiete. Stirbt ein Pest-Infizierter, kühlt sein Leichnam rasch aus. Die Flöhe verlassen dann sehr schnell ihren toten Wirt und suchen sich ein neues Opfer. Ärzte infizierten sich daher viel häufiger als Bestatter, die erst viel später mit den ausgekühlten Pestopfern in Berührung kamen. Für das Erscheinungsbild der Krankheit sind ein schwarzer Auswurf, schwärzliche Beulen oder schwarz verfärbte Zunge und Lippen typisch, weshalb sich im Laufe der Zeit auch die Bezeichnung ‚Schwarzer Tod‘ einbürgerte.

Kaum Überlebenschancen

Wer einmal infiziert war, hatte kaum eine Überlebenschance. Bei der Beulenpest starben rund 80 Prozent der Infizierten, bei der Lungenpest war der Prozentsatz noch höher. Den Zeitgenossen blieb die wahre Ursache der Krankheit verborgen. Der Pesterreger wurde erst 1894 entdeckt. Aktuelle genetische Forschungen ergaben, dass der Erreger „Yersinia pestis“ im 12. und 13. Jahrhundert vom Tier auf den Menschen übergesprungen sein dürfte. Die einzigen effizienten Maßnahmen gegen die Seuche waren – ähnlich wie in der gegenwärtigen Corona-Krise – die Abschottung einzelner Städte oder Regionen, um das Einschleppen des Krankheitserregers oder die Flucht aus einem bereits infizierten Ort zu verhindern. Besonders durch die Flucht aus betroffenen Regionen wurde die Verbreitung der Krankheit gefördert. Einen noblen Fluchtweg wählte Graf Kaspar von Hohenems, wie Scheffknecht zu berichten weiß: „Beim Ausbruch der Pest in Hohenems 1628 flüchtete

Quarantäne Wie heutzutage wurden auch schon damals Quarantäne-Maßnahmen verhängt. Die erste See-Quarantäne wurde 1377 in Ragusa, dem heutigen Dubrovnik in Kroatien, durchgeführt. Ankommende Schiffe mussten 30 Tage lang („Trentina“) samt Besatzung an Quarantänenplätzen ankern. In anderen Häfen wird die „Trentina“ um weitere zehn Tage („Quarantina“, von italienisch quaranta giorni) verlängert, wie etwa 1383 in Marseille. Man war der Meinung, dass akute Krankheiten höchstens 40 Tage lang dauern. Der Warenverkehr wurde dadurch nicht gänzlich unterbrochen, sondern nur verzögert. er nach Feldkirch und verschanzte sich neun Monate lang in der Schattenburg.“ Auch hygienische Maßnahmen – etwa das Reinigen befallener Häuser oder das Bedecken der Friedhöfe mit einer Sandschicht – sind vereinzelt bezeugt. „Ansonsten“, so Scheffknecht, „suchten die Menschen vor allem Zuflucht bei magisch-religiösen Vorkehrungen und Maßnahmen: Die Einrichtung besonderer Kulte wie die Verehrung der Pestheiligen Sebastian und Rochus, die Gründung von Gebetsbruderschaften, die Stiftung von Kapellen, die Einrichtung besonderer Wallfahrten – beispielsweise die Marienwallfahrt nach Bildstein – oder das Gelöbnis einer ganzen Gemeinde wie in Lustenau, sich fortan des Schwörens und Fluchens zu enthalten, und dergleichen sollten vor dem Ausbruch der Krankheit schützen.“

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ONLINE GEÖFFNET Wie Innenstädte aussehen würden, in denen es keinen Handel mehr gibt, haben uns in der Coronakrise die Bilder von leeren Gassen, Straßen und Plätzen gezeigt. Wie nie zuvor ist der lokale Handel derzeit der Konkurrenz der großen Online-Händler ausgesetzt. Bleiben Sie mit den lokalen Geschäften im Geschäft: Viele haben online für Sie geöffnet – und sind bald auch wieder offline für Sie da.

Eine gemeinsame Initiative der Vorarlberger Städte. Alle Geschäfte mit Online-Shops finden Sie auf der Website Ihrer Stadt.

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