marie Spezial 2 August 2018

Ausgabe 2 / 2018

Bild: Alexander Grass

SPEZIAL

Wie wir wohnen

4,60 Euro 2,70 davon 1,35 2,30 Euro für die Verkäuferin/ den Verkäufer

Leistbarer Wohnraum ist im Ländle rar und für viele unerschwinglich geworden, das Einfamilienhüsle hat als Zukunftsmodell ausgedient, der Trend geht hin zu gemeinschaftlichen Wohnideen.

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Das Vorarlberger StraĂ&#x;enmagazin

Bezahlte Anzeige

Inhalt Zukunft Rheintalstadt?

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Unser Wohnverhalten früher, heute und in der Zukunft aus der Sicht von Verena Konrad, Direktorin des vai Vorarlberger Architektur Institut.

Große marie-Umfrage

Was bedeutet Wohnen für dich?

Über Wohnungslosigkeit, Leerstand, die Mangelware „leistbarer Wohnraum“ und das Auskommen mit dem Einkommen

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Großer Überblick über die Lage in Vorarlberg mit Zahlen und Fakten, dazu die Analysen aus Sicht der Interessensvertreter von Sozialeinrichtungen und Eigentümern.

Wohnen United: Gemeinschaftliches Wohnen als Trend von Morgen

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Vorarlberger Initiativen zeigen, wie das soziale Miteinander gelingen kann.

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So geht’s auch!

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Klimaverträgliches Bauen und Wohnen

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Nachbarn sind zum Teilen da

Lokalaugenschein bei drei echten Wegbereitern, die alternative Wohnformen für sich geschaffen haben.

marie im Interview mit Energie-Experte und Autor Christof Drexel

Wie Mangel die Gemeinschaft stärken kann

Liebe Leserin, lieber Leser!

Eines gleich vorweg: Eine „Schöner Wohnen“-Ausgabe ist das keine! Auch wenn das Ländle einiges an sehenswerter Architektur und schickem Interieur bieten würde: Wir wären nicht die marie, würden wir nicht vor allem hinter das Vordergründige blicken. Auch in unseren Breitengraden gibt es Menschen ohne eigene Wohnung. Um sie vor der Obdachlosigkeit zu schützen, bieten unsere Sozialeinrichtungen überbrückend Unterschlupf. Mittels Notschlafplätzen und Krisenwohnungen. Doch menschenwürdiges Wohnen geht anders.

Wer keinen eigenen Raum zum Sein hat, wer sich schämt für seine Wohnsituation, wer sein Morgen nicht kennt, dem entgleitet mit Sicherheit eines: sein soziales Leben. Würdevolles Wohnen braucht Raum für Privatsphäre und Zusammensein, Platz für persönlichen Nippes und Pasta all’dente mit Freunden. So zu wohnen wär’ ja eigentlich auch Menschenrecht.

Wir haben uns im Ländle umgesehen, zugehört, hingeschaut. Haben Leidensdruck und Schaffensmut gespürt, sind Nöten und Engpässen, Lernfeldern und Leuchttürmen begegnet. Und wir haben unseren Blick mehrfach auf das Unkonventionelle und Visionäre gelenkt. Eines haben die Recherchen klar aufgezeigt: Leistbarer Wohnraum ist im Ländle zur Mangelware geworden. Die Anschaffung von Wohneigentum gilt inzwischen als Privileg glücklicher Erben. Mietoptionen sind entweder teuer oder, wenn erschwinglich, schnell vergeben. Gleichzeitig lösen sich klassische Wohnformen auf, „Schaffa schaffa, Hüsle baua“ war gestern, „gemeinsam statt einsam“ gilt als Credo von morgen. Das Wie-Wir-Wohnen definiert jedenfalls entschieden unser Wie-Wir-Leben. Oder ist es vielmehr umgekehrt? Wir freuen uns, wenn Sie sich, liebe Leserinnen und Leser, auf diesen Streifzug mit uns einlassen.

Simone Fürnschuß-Hofer, marie-Redakteurin

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Das Vorarlberger Straßenmagazin

Wenn es nicht mehr die Gemeindegrenzen sind, die meinen Bezugsraum definieren, was dann?

Einen Blick auf Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft des Wohnens in Vorarlberg wirft die marie gemeinsam mit vai-Direktorin Verena Konrad.

Zuhause in der Rheintalstadt?

Text: Simone Fürnschuß-Hofer, Foto: Martin Mischkulnig

Wie und wo wir wohnen bestimmt zu einem Großteil unser Leben, unser Gefühl von Sicherheit und Geborgenheit, unsere sozialen Beziehungen, mitunter unsere beruflichen Chancen. Vorarlberg ist dabei kein Heile-Welt-Refugium, der Häuslbau hat ein Ablaufdatum, der Wohlstandsanspruch spaltet. Auch hierzulande fordern Urbanisierung, ungleiche Lebensentwürfe und der Mangel an Bauland überfällige Antworten auf völlig neue Ausgangslagen.

ie Rheintalstadt – eine Vision, deren Verwirklichung bereits im Gange ist? „Unaufhaltsam“, nickt Verena Konrad, Direktorin vom vai Vorarlberger Architektur Institut: „Hierbei gilt es, neue Maßstäbe im Denken zu finden. Die Zukunft ist gestaltbar.“ Wenn es nicht mehr die Gemeindegrenzen sind, die meinen Bezugsraum definieren, was dann? Verena Konrad verweist auf den Quartiersmaßstab: Quartiere im Sinne von sozialen Nachbarschaften mit gemeinsam genutzten Einheiten. So werden dort nicht nur die Waschküche und der Spielplatz geteilt, sondern möglicherweise auch Autos, Fahrräder, Aufenthaltsräume, Gästezimmer und Bibliotheken. Altersgerechtes Wohnen und Kinderbetreuung inklusive. „Im Quartiersmaßstab zu denken heißt, über Grundstücks- und Gemeindegrenzen hinweg zu kooperieren, heißt, sich bürgerschaftlich zu engagieren, sich auch für die Gemeinschaft einzusetzen“, so die vai-Direktorin. Zukunftsmusik? Entwicklungspotenziale jedenfalls, die mit adrettem Eigenheim und Jägerzaundenken wenig gemein haben. Es sei sowieso ein Irrglaube, wir hätten hier im Ländle eine lang gehegte Tradition im Bau von Einfamilienhäusern. Da

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gäbe es Bundesländer mit einem durchaus höheren Anteil im privaten Hausbau und das habe eben auch negative Auswirkungen, gibt Konrad zu bedenken. „In Vorarlberg baut man im Grunde erst seit wenigen Generationen Einfamilienhäuser, also Häuser mit nur einer Nutzungseinheit. Davor dominierten Gebäude mit Mischnutzungen und ein Zusammenleben mehrerer Generationen das Wohnen. Das Einfamilienhaus ist in diesem Sinn das Resultat einer Wohlstandsentwicklung und gilt daher nach wie vor als erstrebenswert, weil es mit Wohlstand gleichgesetzt wird.

Dazu gibt es heute und gab es schon in den 1960er Jahren gemeinschaftlich orientierte, innovative Siedlungsinitiativen wie etwa die ‚Halde’ in Bludenz oder später in den 1980er Jahren die Siedlung Nachtgärtle in Fußach“. Liegt das einzige Glück also gar nicht im „Schaffa schaffa, Hüsle baua“?

Konservativen Geistern mag das Unbehagen bereiten, aber wir kommen nicht dran vorbei: Die Vielheit an unterschiedlichen Lebensentwürfen und Ansprüchen schreit nach mutigen, alternativen und sozialpolitisch überzeugenden Lösungen.

Macht der Architektur

Bei allem Bemühen um erste Versuche an verdichteter und sozial designter Stadtplanung: An der bislang recht mager befüllten Chronik innovativer Projekte in Vorarlberg ist erkennbar, wie langsam ein Umdenken im großen Stil vonstattengeht. Oft genug wird ja erst wenn „der Hut brennt“

– gerade auch auf politischer Ebene – dem Neuen die Tür geöffnet, wird Veränderung willkommen geheißen. Und damit auch das Risiko möglicher Anfängerfehler in Kauf genommen. Nur so jedoch können jene wesentlichen Lernfelder entstehen, durch die das Neue, das Erstmalige wachsen, gedeihen und sich vervielfältigen kann. „Innovative Projekte dürfen nicht als Schönwetterprogramme verstanden werden. Gesellschaftlich äußerst wertvolle Wohnbeispiele wie die VinziRast mit angeschlossenem Café in Wien zeigen immer vor allem eines: die pure Lebensrealität. Genau solche Projekte braucht es. Sie bringen Menschen am Rande wieder in die Mitte der Gesellschaft. Wir müssen wegkommen von reinen Versorgungseinheiten“, redet die vai Direktorin den Anliegen vieler Sozialeinrichtungen das Wort. Um den Ballungsraum Vorarl­berg zukunftsfit zu machen, ist es unabdingbar, Bauprogramme sozialpolitisch aufzusetzen und der Architektur ihren gestaltenden Einfluss zuzugestehen. Vielen Menschen mag das vielleicht nicht bewusst sein, solange Nachbarschaft funktioniert.

Schlussendlich hängt es immer entscheidend von der Planung ab, wie sich das Zusammenleben fügt. Und das gilt insbesondere auch für zugewanderte Menschen. Sowohl von Seiten der Wohnungsloseneinrichtungen als auch in der Architekturszene wird die Flüchtlingskrise als jener Punkt genannt, der die Notwendigkeit nach entsprechend durchdachter sozialer Wohnraumplanung erst sichtbar gemacht hat. Wie kann es also gelingen, gute Orte des Ankommens und Weiterkommens, lebendige Orte der Interaktion und des Miteinanders zu schaffen?

Vorarlberger Pionierarbeit

„Transfer Wohnraum Vorarlberg“ gibt als beispielhaftes zivilgesellschaftliches Engagement eine Antwort auf den Mangel an leistbarer und inklusiver Unterbringung für Flüchtlinge und Ortsansässige (mehr dazu auf Seiten 22 bis 24). „nenaV, Verein zur Erforschung und Förderung nachhaltiger Nachbarschaften“ (Seite 29) stellt in Frage, ob das Ideal von 43 Quadratmetern Wohnfläche pro Person noch zeitgemäß ist und setzt auf weniger Standards zugunsten bedarfsorientierter Wohnformen. Die Inititative „vau hoch drei“ hat sich die nachhaltige Entwicklung von Vorarlbergs Gemeinden und Landschaftsräumen zum Programm gemacht. Im April 2017 haben die Initiatoren eine Petition für „eine gemeinwohlorientierte Raumentwicklung“ an den Vorarlberger Landtag übergeben. „Einige Forderungen daraus werden in der neuen Raumplanungsnovelle erfüllt sein. Vor allem wird neues Bauland in Zukunft ein Ablaufdatum haben. An weiteren Maßnahmen, speziell gegen die Baulandhortung bleiben wir dran“, so vau hoch drei-Initiativmitglied Josef Mathis. Es gibt sie also auch hier im Ländle: Pionierinnen und Pioniere, die sich an das Unerprobte wagen, die sich mit neuen Lösungsansätzen ihren Kritikern stellen und den Diskurs einfordern. Und ihre Konzepte auf Attribute wie „leistbar“, „mikro“, „selbstbestimmt“, „gemeinschaftlich“, „altersgerecht“, „generationenübergreifend, „bedürfnisorientiert“ etc. abstimmen. Zusammengefasst lässt sich sagen: Ja, Vorarlberg wird urban, die Bevölkerung immer bunter, älter und vor allem auch mehr. Mit Heile-Welt-Gedudel und dem Ignorieren des Städtischen werden wir den Herausforderungen nicht gewachsen sein.

Dem Abschied von bislang Beständigem steht aber die Hoffnung auf Beständigkeit durch bedarfsgerechten Wandel gegenüber.

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Das Vorarlberger Straßenmagazin

Fragen:

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Was bedeutet Wohnen für dich?

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Trautes Heim, Glück allein?

Wohnst du schon?

Martina Nachbaur, 28 Lustenau/Wien, Jugendarbeiterin

Protokolliert und fotografiert von Sara Bonetti

„Zuhause ist der Ort, an dem ich sein möchte, wenn ich zwei Tage am Stück wach war“, sagt Lukas, 19. Wie viel Sehnsucht stecken wir in unsere persönlichen vier Wände? Welchen Stellenwert hat das Wohnen überhaupt? Sara Bonetti hat sich auf Vorarlbergs Straßen umgehört und dabei festgestellt: Wohnen hat auch hierzulande viele Gesichter.

1 Aktuell habe ich keine fixe Wohnung.

Ich wohne eigentlich in Wien, bin jedoch projektbezogen viel unterwegs. Ich bin „Couchsurferin“, nur ohne die Plattform und mit Freunden. Ich ziehe von Schlafplatz zu Schlafplatz. Für zwei Monate war es okay, eine besondere Erfahrung, dennoch ist es nach einer gewissen Zeit als Gast gut, wieder ein bisschen mehr vom Eigenen zu haben. Gleichzeitig ist es schwierig, zwei Wohnungen oder mehr zu halten. Deswegen wohne ich in Vorarlberg bei Freunden, zahle und helfe mit.

2 Derzeit wohne ich nicht so, wie ich es mir optimal vorstelle. Für mich ist ein Balkon wichtig. Und eine Wohlfühlzone ist für mich von sehr großem Wert. Wohlfühlzone kann vieles sein. Es ist dabei weniger die Einrichtung, sondern mehr die Situation mit den Mitmenschen. Ich weiß jetzt aus der Erfahrung der letzten Wochen, dass ein eigener Raum sehr wichtig ist und ich mag viel Licht und Begrünung.

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Sabrina Sohm, 30 Hard, Mutter Silke Glüsenkamp, 47 Schwarzenberg, HR Managerin

Luca Meusburger, 19 Dornbirn, Schüler

1 Wohnen bedeutet einen Ort zu haben, an dem ich mich zurückziehen kann, Privatsphäre habe und mein Wohlfühldrumherum gestalten kann. Für das Wohlfühlen ist mir wichtig, einen Raum nur für mich zu haben. Dieser muss nichts Großes sein. Ich kann sogar in einem Zelt „wohnen“. Zum Wohlfühlen brauche ich ich es nur warm. Meine Lieblingskuscheldecke.

Etwas zum Lesen und zum Schreiben. Trocken soll es sein. Mir fällt ein, wenn ich darüber nachdenke, dass Zelten im Dauerregen vielleicht doch uncool ist.

2 Ich habe mein Traumwohnen und Traumleben gefunden. Ich lebe mit meinem Mann ganz ländlich, in Schwarzenberg. Ich bin ein bekennendes „Landei“.

Wir wohnen in einem Haus am Berg. Die Aussicht ist fantastisch: weite Blicke in den Bregenzerwald mit freier Aussicht auf die wundervollen Berge. Drumherum gibt es nicht viele Häuser. Es ist sehr ruhig und ich fühle mich sehr verbunden mit der Natur.

Wahrscheinlich leben mehr Tiere als Menschen in der Nachbarschaft. In unserem Wohnluxus haben wir so viel Platz, dass jeder sein „eigenes Reich“ hat: getrennte Arbeitszimmer, die reichlich Privatssphäre und Rückzugsmöglichkeiten bieten.

1 Zuhause ist der Ort, an dem ich sein möchte, wenn ich zwei Tage am Stück wach war. Oder wenn im Urlaub das Wasser aus dem Wasserhahn einfach nicht trinkbar war. Wo ich ausschlafe und mich am liebsten dusche. Dort wohne ich und das ist für mich zuhause.

2 Träume hat man viele. Eine Villa in der Karibik ist eine Überlegung oder ein Schloss in Neuseeland. Ein kleines Haus im Bregenzerwald wäre auch nett oder eine Penthouse Loft in London, das stelle ich mir auch ziemlich geil vor. An Träumen mangelt es mir nicht, doch es wird sich zeigen, was mein Budget, ich persönlich und die Zukunft tatsächlich wollen.

1 Wohnen ist für mich von großer Bedeutung. Es ist zuhause für mich, für meine Familie und der Ort, an dem wir sein können. Es ist Wohlfühlort und Rückzugsmöglichkeit. Besonders und gerade weil ich Mama bin, was wunderschön ist und ein Zuhause auf der einen Seite noch wohnlicher und besonderer macht. Auf der anderen Seite ist es manchmal auch schwierig. Denn Wohnraum in Vorarlberg wird nicht nur ständig teurer, es grenzt an die Leistbarkeit für den Mittelstand und wird mehr und mehr zur Herausforderung im Alltag.

2 Wir wohnen in Hard zur Miete und speziell die Bodensee- und Hofsteigregion scheint keine Grenzen mehr hinsichtlich Finanzierbarkeit zu kennen. Geschweige von Bauplätzen und dem Bauen selbst.

Was früher irgendwie normal war, ist heute ein Wettrennen mit großen Baufirmen, gegen die man in der Regel einfach keine Chance hat, wenn man nicht geerbt oder sonst Glück hatte. Und obwohl wir jetzt wirklich ein schönes Zuhause haben, so ist da dennoch der Traum vom Eigentum. Ein Reihenhaus, ein Häuschen, halt ein Platz, der uns gehört und von uns so gestaltet wird, wie wir möchten. Und das, ohne dafür eine lebenslange und generationenüberschreitende Finanzverantwortung auf uns zu laden.

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Das Vorarlberger Straßenmagazin

Jim van Hazendonk, 42 Meiningen, 3D Design & Beratung

Herlinde Grabher-Mayer, 52 Höchst, Gemeindeangestellte

Aktas Zülfikal, 51 Rankweil, Montage und Schlosser

1 Wohnen bedeutet Zuhause, bedeutet Wohlfühlen genau dort, wo ich gerade bin. Es bedeutet Leben und Genießen. Um mich wohlzufühlen brauche ich eine Heimat, einen Ort mit Freunden und sozialen Strukturen. Wo die Umstände passen.

Ich komme ursprünglich aus Belgien, bin zugezogen und manchmal fühle ich mich hier noch immer fremd. Es war wichtig, die Sprache zu lernen, früher, da war die Sprachbarriere stärker. Heute fühle ich mich in Vorarlberg zuhause, ich mag die Natur und die Landschaft.

1 Wohnen bedeutet für mich ein Zuhause. Zuhause sein bedeutet für mich, zur Ruhe zu kommen, einfach im Alltag innezuhalten und die Seele baumeln zu lassen. Es ist von großem Wert, nach Hause kommen zu können, einen Ort zu haben, wo man Freiraum hat, um zu sein. Es bedeutet gleichzeitig für mich, dass ich mich kümmere. Gemeinsam mit meinem Mann wohne ich in einem Einfamilienhaus mit Garten. Es ist mehr Platz und ruhiger seit die Kinder ausgezogen sind.

2 Ich wohne so, wie ich es mir vorstelle.

Habe meinen Freiraum und einen Ort, den ich gemeinsam mit meinem Mann belebe.

Die Natur, das Grüne sind mir wichtig, entsprechend wertvoll ist der Garten für mich. Dieser ist von einem Zaun eingerahmt, über den wir viel Kontakt zu unseren Nachbarn pflegen. Ein Zaun bedeutet nicht gleich, dass man eingesperrt ist. Viel mehr kann es auch Verbindung und positiv für eine gute Nachbarschaft sein.

1 Wohnen ist für mich Gefangenschaft.

Es ist ein gesetzlich organisiertes System, das mich dazu zwingt, ein organisiertes Leben zu führen. Man kann sich nicht frei entwickeln, sondern ist gebunden und verhaftet. Viele Menschen setzen Leben mit Wohnen gleich, mit dem Schönen und Zwischenmenschlichen. Doch ich denke dabei mehr an Meldebescheinigung und daran, dass man dann nicht mehr frei dahin gehen kann, wohin man möchte.

2 Ich mag es frei und ungebunden, habe früher in Bochum gewohnt, aber Vorarlberg ist schöner. Mit der Freiheit und dem Freiraum, den die Natur einem gibt. Hier ist es nicht so in Beton eingesperrt.

2 Ich wohne heute beinahe so, wie ich es mir vorstelle. Das einzige, was noch ein bisschen fehlt, ist Eigentum. Aber nicht, um zu besitzen und zu sagen „das ist meines“. Vielmehr um zu gestalten und es so zu ergänzen, wie es zu uns passt. Denn das bedeutet Freiheit für mich: in Symbiose mit einem Haus zu sein und meine Wohlfühlzone über ein Haus zu erweitern.

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Miguel Schwartz, 41 Reisender

Lu Heimbach, 38 Hard, Stadtbücheristin

Pascal Hefti, 25 Bludenz, Fotograf 1 Seit zwei Jahren bin ich unterwegs und habe viele Wohnräume und Umgebungen gesehen. Viele Orte. Ich brauche nicht viel Platz. Nur das Essen, das muss passen und Frieden muss sein. Ich könnte mir nicht vorstellen, an einem Ort zu wohnen, an dem zum Beispiel Musik verboten wird oder die Menschen hungern müssen.

1 Man muss sich wohlfühlen in seinem Zuhause. Es muss fein sein und man muss gerne dort sein wollen. Ich mag es nicht, wenn alles mit Dingen und Gegenständen vollgestellt ist. Und was bringt es mir, zehn Stühle zu besitzen, wenn ich nur auf einem gleichzeitig sitzen kann? Einrichtung ist mir generell nicht so wichtig, mir kommt es auf das Licht und das Ambiente an. So muss die Musik stimmen und je nach Situation möchte ich den Raum an mich anpassen können.

2 Ich wohne zurzeit in einer Mietwohnung, was für mich voll und ganz passt.

Aber ich glaube, dass es schon anders wäre, wären es meine eigenen vier Wände. Mehr Gestaltungsraum und so. Wichtiger ist mir allerdings mein Büro, das mit einem Fotostudio kombiniert ist. Dort verbringe ich mehr Zeit, meinen Alltag und lege Wert darauf, dort nicht nur Büroraum, sondern auch Wohnraum zu haben. Also das Büro so einzurichten, dass ich mich heimisch fühle. Und das ist mir geglückt.

2 Ich mag Europa, würde gerne hier leben, besonders die Schweiz und Österreich finde ich schön und super lebenswert. Es ist grün, sicher und das Gesundheitssystem passt. Ich glaube auch, dass die Korruption niedriger ist. Nur wird es für mich als Musiker einfach zu schwer sein, offiziell und mit Status hier zu sein. Ich meine, auch wenn Kunst bezahlt wird, aber hier sein zu dürfen, anerkannt zu werden, das könnte kompliziert werden, weil man ja ein wirtschaftliches Risiko darstellt für die Steuerzahler. Auch die Kaufpreise sind sehr hoch – zu hoch für mich. Ich müsste schon mein Leben hart umstellen, um hier bleiben zu können. Was ich jedoch vermisse und vermissen würde ist die Herzlichkeit. Also Menschen, die sich nicht aufregen, nur weil es halt mal nicht klappt, oder man etwas später kommt oder etwas nicht so effizient ist.

1 Wohnen bedeutet Leben für mich, in allen verschiedenen Formen. Es bedeutet auch stete Veränderung, denn mal entsteht etwas Neues, manchmal ist das Drumherum und mal das Mittendrin konstant. Es tut gut, eine gute Umgebung zu haben, Menschen, die sich mit Respekt begegnen, die gemeinsam miteinander nebeneinander leben. Aktuell wohne ich in einem 70er Jahre Wohnblock mit vier Zimmern und es gefällt uns gut. Nicht zuletzt, weil unsere Nachbarschaft fantastisch ist.

2 Ich sehe immer mehr Vorteile im Wohnen in einem Wohnblock. Man hat seinen eigenen Raum, der auch wichtig ist, aber man teilt sich auch vieles. Den Fahrradraum, den Keller, es braucht nicht jeder sein ganz Eigenes. Man kann sich mal die Baumschere ausborgen, denn schließlich ist man ja eine Gemeinschaft. Sharing ist hier Caring und hat aus meiner Sicht immer mehr Zukunft. Ressourcen werden weniger und das Bewusstsein dafür wächst immer mehr. Ich glaube nicht, dass alle Menschen alles brauchen, sondern dass man mit Bescheidenheit auch gut leben kann. Man braucht auch nicht den Besitz von etwas, es reicht, wenn man Zugang hat.

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Das Vorarlberger Straßenmagazin

(Das) Wohnungslos Text: Simone Fürnschuß-Hofer, Fotos: Frank Andres

Längst vorbei die Zeiten, in denen Fleiß, Sparsamkeit und idealerweise ein geerbter Boden der Garant für ein Eigenheim waren. Heute steigen auch im Ländle die Mieten schneller als die Löhne. Viele Menschen haben trotz anständiger Jobs Existenzängste. Wen wundert’s, wenn bis zur Hälfte des Einkommens in die Wohnkosten fließen.

Leistbares Wohnen ist in Vorarlberg zum knappen Sozialgut geworden.

ird die Frage, wie man wohnt, immer mehr zum Lotteriespiel? Klassische Wohnungslosen-Einrichtungen sind heute jedenfalls Beratungsstellen mit einem umfassenden und differenzierten Angebot, deren Klientel sich massiv erweitert hat: „Zu uns kommen Leute zur Beratung, deren Nachbarn das nicht vermuten würden“, sagt Michael Diettrich, Geschäftsführer von dowas, einer Einrichtung in Bregenz, die schnelle Hilfe in Form von Notschlafstellen oder aber längerfristige Beratungsdienste zur Existenzsicherung anbietet. Wo man früher eher den suchtkranken Mann ohne Bleibe vermutete, deutet inzwischen die Spielecke im Wartezimmer unmissverständlich darauf hin, dass auch viele Familien von unhaltbaren Wohnsituationen oder

W

der Gefahr eines Delogierungsverfahrens betroffen sind. Nein, das sind keine Randgruppen mehr, das sind auch nicht nur „die Flüchtlinge“. Wohnen ist im Ländle zu einer gesellschaftspolitischen Herausforderung geworden, an der sich zeigen wird, wie ernst Volk und Regierung Solidarität und sozialen Auftrag nehmen.

Mangel an gemeinnützigen Wohnungen

Halten wir fest: Das erste und größte Problem bei Existenzgefährdung sind immer die Wohnkosten. Der Zugang zu leistbarem Wohnraum hat sich die letzten drei Jahre massiv verschärft. Immer wieder hört man, dass Vorarlberg im Bundesländer-Vergleich die höchsten Zuschüsse bei der Wohnbeihilfe gewähre. Mit Blick auf die Mietpreise relativieren sich die Zahlen jedoch schnell.

Die Tabelle rechts „Wohnbeihilfe“ zeigt: Einem Durchschnittswert an Wohnbeihilfe

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Notschlafstellen wie sie das dowas anbietet, können Menschen in Krisenzeiten als Überbrückung dienen.

von 242 Euro im Monat stehen dem Vorarlberger durchschnittliche 565 Euro an monatlichen Mietkosten gegenüber. Macht eine Differenz von 323 Euro, was wiederum im österreichweiten Vergleich zeigt: Wir liegen im Durchschnitt, aber nicht im Vorteil. Auch Heidi Lorenzi, Leiterin des ifs Fachbereichs Wohnen, hat tagtäglich mit Menschen zu tun, die mit ihren Wohnkosten überfordert sind und denen aus diesem Grund Delogierungsverfahren drohen: „Wenn du mehr als ein Drittel fürs Wohnen ausgibst, muss nur ein Faktor dazukommen und es kippt. Sobald du mit einem Jobverlust, einer Krankheit oder Scheidung zu kämpfen hast, kannst du die Wohnung nicht mehr halten.“ Hilfe und Beratung bei der Wohnungssuche oder einen Krisenplatz zur Verfügung zu stellen, ist Aufgabe der Wohnungslosenhilfe, genauso wie frühzeitig Maßnahmen zu setzen zum Schutz vor Wohnraumverlust. Leistbare gemeinnützi-

ge Unterkünfte seien allerdings Mangelware und am privaten Markt verursache schon allein der Einstieg in den Mietvertrag horrende Kosten. Nicht selten müsse eine Sum-

Durchschnittliche Wohnbeihilfe (2015)

Durchschnittl.

Wohnbeihilfe*

me von fünf bis sieben Wohnungsmieten (Maklerprovisionen, Einrichtungskosten, Kaution, ausstehende alte Wohnungsmieten) kalkuliert werden, noch bevor >> Durchschnittl. Mietkosten Differenz = durchschnittl. inkl. BK** (Durchschnitt Eigenanteil MieterIn aller Wohnungstypen)

Österreich-Durchschnitt

€

151,-

€

474,-

€

323,-

Vorarlberg

€

242,-

€

565,-

€

323,-

Burgenland

€

107,-

€

415,-

€

308,-

Kärnten

€

141,-

€

386,-

€

245,-

Niederösterreich

€

149,-

€

460,-

€

311,-

Oberösterreich

€

167,-

€

451,-

€

284,-

Salzburg

€

134,-

€

549,-

€

415,-

Steiermark

€

144,-

€

427,-

€

283,-

Tirol

€

173,-

€

513,-

€

340,-

Wien

€

122,-

€

487,-

€

365,-

*IIBW (Wolfgang Amann), Wohnen im Ländle - Performance der Vorarlberger Wohnbauförderung, 2.2.2017 ** Statistik Austria, Mikrozensus – durchschnittl. Wohnkosten von Hauptmietwohnungen nach Rechtsverhältnis und Bundesland (2009-2016)

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Das Vorarlberger Straßenmagazin

Heidi Lorenzi, ifs Wohnen: „Trotz den Verschlechterungen ist es die letzten Jahre immer irgendwie gegangen, aber wenn die Pläne der neuen Bundesregierung zur massiven Kürzung der Mindestsicherung durchgehen, ist sie nicht mehr das letzte Auffangnetz. Armut und Wohnungslosigkeit werden stark zunehmen. Diese Ausrichtung darf es in einem modernen Sozialstaat nicht geben.“ Ein Bett zum Schlafen und eine Möglichkeit zum Duschen: Auch in Vorarlberg nicht für alle Menschen eine Selbstverständlichkeit.

man überhaupt eingezogen sei. Und was gemeinnützige Wohnungen betrifft: Die Listen in den Gemeinden führen derzeit über 4.000 Wohnungsbewerberinnen, mindestens 1.200 werden als dringlich eingestuft. Auf die Frage, wie sich die Lage derart zuspitzen konnte, hat Michael Diettrich nur eine Erklärung: Die Politik habe eine wichtige Entwicklung verschlafen. Seine Analyse dazu im Interview auf den Seiten 14/15.

„Soziales Netzwerk Wohnen“

Immerhin ein respektabler Tropfen auf den heißen Stein: Bereits 2006 wurde das Projekt „Soziales Netzwerk Wohnen“ im Verbund mit sämtlichen Wohnungslosen-Einrichtungen im Ländle ins Leben gerufen.

Dabei stellen Gemeinden den Projektpartnern Wohnungen zur Verfügung, die diese an wohnungslose Menschen vergeben können. Zusätzlich zum Hauptmietvertrag sind die Mieter verpflichtet, sich drei Jahre betreuen zu lassen, wobei der Mietvertrag unabhängig davon gilt. Natürlich kann auch dieses Projekt nur einen Bruchteil an Wohnungssuchenden bedienen, diese aber höchst zielgerichtet. „Wir nützen diese Wohnungen für Menschen mit extrem hohem Betreuungsbedarf und erleben dabei kleine Wunder“, spricht Heidi Lorenzi einen wichtigen Punkt an: Das warme Bett in der Notschlafstelle mit WC am Gang erfüllt bei Weitem nicht das Bedürfnis nach einer stabilen, würdevollen Wohnsituation.

Sie erzählt von einem älteren, ehemals al-

koholkranken Herrn mit recht vernachlässigtem Aussehen. Fast hätten sie sich nicht „drübergetraut“, ihm eine eigene Wohnung zuzuweisen und es dann doch gewagt. Mit Erfolg. „In kürzester Zeit hat er eine Aufgabe gefunden und ist zum informellen Hausmeister geworden. Ein Glück für die vielen alleinerziehenden und alleinstehende Frauen in dieser Wohnanlage“, freut sich Heidi Lorenzi über das, was sich auftun kann, wenn der Mensch eine eigene Tür zum Abschließen hat.

Die Lösung liegt mittendrin

Wohnen in Würde bedeutet also weit mehr als die Befriedigung der körperlichen Grundbedürfnisse. Es geht um Sicherheit und soziale Teilhabe. Heidi Lorenzi sieht es als große Mission ihres Fachbereichs, Menschen in Vorarlberg ein gesundes Wohnumfeld zu ermöglichen: Sich sicher und geborgen zu fühlen, nicht sozial abgeschnitten zu sein, eine Einladung aussprechen zu können, Rückzugsräume zu haben, sich einzurichten, wie es einem gefällt. Denn eines

bedingt das andere: Eine stabile und Halt gebende Wohnsituation wirkt sich schließlich auch stark auf das Arbeitsverhalten aus.

Und dieses wiederum auf den langfristigen Wohnungserhalt.

Bis Ende der Legislaturperiode sollen im Ländle 3.000 gemeinnützige Wohnungen geschaffen werden. Das sei gut, meint Michael Diettrich, aber nicht genug. Experten wie er sehen außerdem die Gefahr der Ghettoisierung, wenn an den Rändern Wohnblocks fürs Prekariat hochgezogen werden statt kleinteilige, gemeinschaftlich ausgerichtete Wohnformate inmitten der Ortschaften zu favorisieren. Kurzfristig mögen Notschlafstellen Auffangnetz sein.

Doch als reine Versorgungseinrichtung können sie eines nicht: Den Menschen wieder in das gute Gefühl bringen, dazuzugehören, gesehen zu werden, etwas beitragen zu dürfen. Doch nur das erzeugt Perspektive, nur so kommt der Mensch wieder auf die eigenen Beine. Dafür braucht es Antworten, die größer sind als Hochhäuser an den Siedlungsrändern.

Beratungsdienste und Hilfe bieten: • ifs WOHNEN, Interpark Focus 40, Röthis, T 05-1755-500, wohnen@ifs.at • DOWAS Beratungsstelle, Sandgrubenweg 4, Bregenz, T 05574-9090220, beratungsstelle@dowas.at • Beratungsstelle Kaplan Bonetti, Klaudiastraße 6, Dornbirn, T 05572-205226, beratung@kaplanbonetti.at • Caritas Existenz & Wohnen, Reichsstraße 173/2, Feldkirch, T 05522-2001700, beratung@caritas.at

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Wohnungslosigkeit oft weiblich Nicht selten ist es die Frau, die nach einer Trennung vor dem Nichts steht. Und damit am Anfang eines Leidensweges, der meist mehrerer Auffangnetze bedarf, um wieder Fuß fassen zu können. äufig lautet der Mietvertrag bzw. Grundbucheintrag auf den Ehemann und so ist es meist die Ehefrau, die nach einer Trennung ohne Bleibe ist. Lohndiskrepanzen, die Pflege Angehöriger, Teilzeitanstellungen und eine womöglich geringere Ausbildung machen es den Frauen umso schwerer, wieder in eine dauerhaft tragfähige Wohnsituation zu finden. Weibliche Wohnungslosigkeit sei inzwischen ein Problem quer durch alle Schichten und Nationalitäten, betont ifs Sozialarbeiterin Stefanie Wutzl. Hiesige Frauen und Akademikerinnen miteingeschlossen. Die Dunkelziffer sei hoch und wer zu ihnen käme, habe oft schon viele Stationen durchgemacht. „Manchmal klappt es eben erst nach zwei, drei Anläufen.“ Ebenso für Frauen, die von familiärer Gewalt betroffen sind und als erste Anlaufstelle die Frauennotwohnung aufsuchen, kann das ifs in der Folge Überbrückung anbieten. Auch wenn keine Gefährdung mehr vorliegt, ist ein Zurückkehren ins ehemalige Zuhause für viele keine Lösung. Mit Kindern bei Freunden unterzukommen spielt sich langfristig ebenso wenig und für eine eigene Wohnung braucht es erst einen Finanzierungsplan und dann Geduld. „Wenn Frauen in einer unserer Wohngemeinschaften Unterschlupf finden, dann geht es allerdings vom ersten Tag an darum, eine eigene Wohnung für sie zu finden. Unsere Wohneinheiten sollen immer nur als Brücke ins selbstständige Wohnen verstanden werden“, plädiert Stefanie Wutzl in Richtung „Housing First“*. Ein Ansatz, der statt der Aufnahme in Krisenwohnungen die sofortige Zuteilung eigener Unterkünfte verfolgt, sich in Vorarlberg aber als Programm noch nicht etablieren konnte.

H

Wohnungen treffsicher zuweisen

Neben mehr Wohnungsangebot würden sich Vertreter der Sozialeinrichtungen ein treffsichereres Wohnungsvergabesystem für Gemeindewohnungen wünschen. Sowie zielgerichtete Information: „Derzeit muss die Frau der Gemeinde vorweisen können, dass sie die Scheidung bereits eingereicht hat bevor sie einen Antrag auf eine gemeinnützige Wohnung stellen kann. Frauen müssen gut informiert sein, damit sie all diese Stufen schnell durchlaufen. Hier können wir weiterhelfen“, so Stefanie Wutzl und fügt hinzu: „Unser Ziel ist erreicht, wenn es unsere Krisenwohnungen nicht mehr braucht.“ *„Housing First“ ist ein Programm, das Obdachlosigkeit nicht über Krisenwohnungen entgegenwirkt, sondern bedürftige Personen bedarfsgerecht und ohne sie in ihrer „Wohnfähigkeit“ erst zu qualifizieren eine eigene Wohnung zuweist. Unter dem Motto: „Jeder kann wohnen“ und mit entsprechender sozialpädagogischer Betreuung kann mit diesem Programm eine Stabilisierung der Teilnehmer erreicht werden: Verbesserung des Gesundheitszustandes, erhöhte Bereitschaft für Therapieangebote, insgesamt signifikante Kostenreduktion für Gemeinden bzw. Sozialeinrichtungen.

Stefanie Wutzl, ifs Sozialarbeiterin: „Gründe, warum Menschen wohnungslos werden, werden gerne auf individueller Ebene gesucht, dabei handelt es sich vielmehr um ein strukturelles Problem. Die Pläne der Mindestsicherung Neu und die geplante Abschaffung der Notstandshilfe werden keineswegs dazu beitragen, dieses strukturelle Problem zu lösen.“

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Das Vorarlberger Straßenmagazin

„ Das Dilemma hat man sich selber eingebrockt“ Text: Simone Fürnschuß-Hofer Foto: Frank Andres

Michael Diettrich, dowas-Geschäftsführer und Sprecher der Vorarlberger Armutskonferenz, gehört zu denen, die Tacheles reden. Die marie hat sich mit ihm über die aktuelle Lage in Bezug auf leistbares Wohnen unterhalten und eine interessante Analyse erhalten.

marie: Wie kommt es, dass leistbares Wohnen sich derart verknappen konnte?

Michael Diettrich: Vorarlberg hatte nie viel mit Mietwohnungen am Hut, man hat jahrzehntelang den Häuslbau favorisiert. Und Armut gab es ja offiziell ganz lange nicht.

Ein Tabuthema, ungefähr so, als würdest du den Papst fragen, wie es seinen Enkelkindern geht. So konzentrierte sich die Wohnbauförderung sehr auf Eigentumsschaffung zur Altersvorsorge. Nach der Finanzkrise 2008 hat sich das kolossal geändert: Der Platzmangel im Rheintal wurde spürbar, die Grundstückspreise sind massiv gestiegen, das Geld hat man in Betongold umgeschichtet. Die Anzahl an Leuten, die sich kein „Hüsle“ mehr leisten können, ist seitdem stark gestiegen, gleichzeitig sind genau diese Menschen mit einem Mangel an Mietwohnungen konfrontiert. Denn Fakt ist, dass der gemeinnützige Wohnbau in Vorarlberg immer ein Schattendasein geführt hat. Erst mit der aktuellen Landesregierung hat man sich zugestanden, dass man im Wohnbau nicht nur Eigentumsförderung braucht, sondern günstigen Wohnraum. Diese Entwicklung hat man schlicht und einfach verschlafen.

Heißt verschlafen in diesem Fall nicht nachholbar?

Natürlich baut man jetzt deutlich mehr. Es ist auch gerechtfertigt zu sagen, dass es derzeit schwierig ist, noch mehr zu bauen. Man betrachte nur den Baumarkt: Als kleines Land wird seit Jahrzehnten immer nur die eigene Bauwirtschaft bedient, alle sind voll ausgelastet, die Preise entsprechend hoch. Von außen bewerben sich wenige, denn sie müssten erst eine Infrastruktur aufbauen und dafür sind wiederum die Projekte zu klein. Solange man nicht Projekte in ganz großem Umfang ausschreibt, rentiert sich das nicht. Und dennoch, ja, man gibt Gas und hat sich 3.000 Wohnungen bis zum

M

Ende der Legislaturperiode zum Ziel gesetzt. Das ist gut und schön, aber leider zu wenig. 2012 wäre es auch finanziell eindeutig günstiger gewesen. Insofern: Ja, man hat zu spät umgeschaltet von der Eigentumsförderung, die natürlich der Vorarlberger Mentalität entspricht, hin zur Einsicht, dass Vorarlberg raumplanerisch als Ballungsraum gedacht werden muss. Das Dilemma hat man sich schon selber eingebrockt.

Wer macht es besser?

Wien. Das ist aber im Grunde auch die einzige Großstadt, die Österreich hat, und deshalb hinkt der Vergleich. Dennoch: Dorthin pilgern alle Stadtplaner, weil der gemeinnützige Bestand Wiens nicht privatisiert wurde. Raum und Stadtplanung sind wahrlich keine Vorarlberger Spezialität. Ich bin sehr dafür, dass verdichtet wird.

Aber bitte nicht genauso planlos wie man das bisher mit den Einfamilienhäusern gemacht hat! Jetzt einfach an den Rändern Bauten hochziehen, außen hoch und innen niedrig, das kann es wohl nicht sein.

Ein weiterer Lösungsansatz zur Gewinnung leistbaren Wohnraums wäre in der Aktivierung des Leerstands zu finden. Da hat sich das Land mit dem Projekt „Sicheres Wohnen“ doch mächtig ins Zeug gelegt ...

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15

Michael Diettrich stellt u.a. in Frage, ob die Wohnbeihilfe derzeit ihren Zweck erfüllt.

Derweil hat man dabei nur unmerklich Wohnungen zusammenbekommen. Das ist aus meiner Sicht in die Hosen gegangen.

Die Eigentümervereinigung sieht als größten Hinderungsgrund das Mietrecht. Die Forderung nach befristeten Mietverträgen sehe ich allerdings kritisch. Ich bin der Meinung, da gilt es gut abzuwägen. Wohnen ist nun mal ein Menschenrecht, am Wohnen hängen soziale Beziehungen, Wohnen ist keine Ware und wenn du nur für drei Jahre einen Mietvertrag hast, ist das ein Problem.

Inwiefern ließe sich am Rädchen Wohnbeihilfe drehen?

Wir sehen an den Zahlen, dass sie in Relation zu den Mietkosten in Vorarlberg gar nicht so hoch ist wie allgemein angenommen. Die Zahl von derzeit zehn, elf Tausend Wohnbeihilfe-BezieherInnen steigt aktuell deshalb nicht, weil sie ihre Funktion nicht mehr erfüllt und neu ausgerichtet werden muss. Die Wohnbeihilfe ist eine Sozialleistung für Menschen mit eigenem Einkommen und wenn man einen Abstand von Mindestsicherung zu niedrigen Erwerbseinkommen will, kann man das darüber gewährleisten. Natürlich bergen Großzügigkeiten in der Wohnbeihilfe die Gefahr, dass auch die Mieten in die Höhe

schnellen. Und trotzdem: Das Land sollte die Wohnbeihilfe jetzt drastisch erhöhen bzw. die Einkommensgrenzen, damit sich die Leute Wohnen wieder leisten können. Die Angst vor Wohnungslosigkeit geht ja schon bis in die mittleren Einkommen hinein.

In Bregenz bezahlst du 12 bis 15 Euro pro Quadratmeter für eine Wohnung – und noch mehr, je näher du dem Stadtkern kommst.

Das können sich viele nicht mehr leisten.

Was genau meinen Sie mit „Abstand zwischen Mindestsicherung und niedrigem Erwerbseinkommen“?

Das verfügbare Einkommen aus Erwerbsarbeit sollte mindestens 300 Euro über der Mindestsicherung liegen und sich diese wiederum an den Referenzbudgets orientieren. (Anm. d. Red.: siehe Seite 17). 2008 betreute das dowas 235 Menschen, die die Mindestsicherung bezogen, im Vergleich dazu waren es 2016 12.026 Menschen.

Die wirtschaftliche Erholung 2017 bewirkte einen leichten Rückgang. Das zeigt, dass das Argument, eine zu hohe Mindestsicherung gelte als Einladung in die soziale Hängematte, Quatsch ist.

Die Menschen wollen arbeiten.

Kommen wir noch zum Flüchtlingsthema bzw. zu oft zitierter Stammtischparole, sie würden am Wohnungsmarkt den hier Ansässigen noch die letzten Wohnungen wegnehmen. Was dran?

Nein. Die Flüchtlinge waren nur noch das „Sahnehäubchen“. Insgesamt ist die Klientenanzahl im dowas seit 2008 um 181 Prozent gestiegen – der größte Anstieg war aber schon vor der sogenannten Flüchtlingskrise. In Wahrheit ist es so: Erst durch die Flüchtlingskrise ist die Aufmerksamkeit auf die lang zuvor entstandene Wohnungsproblematik gelenkt worden und das hat einiges angekurbelt.

Herzlichen Dank für das Gespräch.

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Das Vorarlberger Straßenmagazin

Übers Auskommen mit dem Einkommen Was ist Ihr Monatsbudget?

Reicht es für ein gutes Leben?

Und wie definiert die Statistik ein einfaches, aber gutes Leben?

tatistik Austria hat das Äquivalenzeinkommen*, also das tatsächlich verfügbare Einkommen, auf Bundesebene berechnet. Für den Einzelnen gilt zu beachten: Diese Zahlen sind nicht isoliert mit der Summe auf dem monatlichen Lohnzettel zu vergleichen, da darauf das 13. und 14. Gehalt ebensowenig wie etwaige Sozialleistungen berücksichtigt sind.

Der Dachverband der österreichischen Schuldenberatungen hat für verschiedenste Haushaltstypen außerdem Referenzbudgets errechnet (siehe Infografik rechts), die eine Orientierung geben, was einem bestimmten Haushalt einkommensseitig mindestens zur Verfügung stehen sollte. Der Vergleich zeigt, dass die maximale Einkommenshöhe fast aller „Einkommenstypen“ des unteren Viertels unter den Referenzbudgets liegt.

Fazit: Es mögen komplizierte Berechnungen sein, die einer gewissen Schwankungsbreite unterliegen und dennoch machen sie sichtbar, dass trotz Sozialleistungen für viele Menschen das Auskommen mit dem Einkommen ein knappes ist. Schaut man sich dann noch die Pläne zur neuen Mindestsicherung an, wird offensichtlich, das sich mit dem vorgesehenen Maximalbetrag von 863 Euro Wohnen und Leben kaum ausgehen werden.

S

Verfügbare Einkommen nach Haushaltstypen

max. verfügbares Einkommen* inkl.

Sozialleistungen im Monatsdurchschnitt unterste 10%

alleinlebender Mann ohne Pension

€

807,-

€

1.277,-

€

1.921,-

€

848,-

€

1.183,-

€

1.659,-

1.126,-

€

1.621,-

€

2.009,-

977,-

€

1.271,-

€

1.763,-

€

alleinlebende Pensionistin

Michael M. Natter, Caritas: „Anstatt bei der Transferleistung der Mindestsicherung die Wohnkostenrichtsätze mehrmalig zu kürzen, gilt es den gemeinnützigen Wohnungsbau mit einem leistbaren Mietzins weiter voll und regional aufgeteilt anzukurbeln.“

untere Hälfte

alleinlebende Frau ohne Pension alleinlebender Pensionist

Foto: Caritas

unteres Viertel

€

Paar mit 1 Kind

€

2.147,-

€

3.032,-

€

3.827,-

Paar mit 2 Kindern

€

2.275,-

€

2.660,-

€

3.576,-

*Äquivalenzeinkommen: das tatsächlich verfügbare Einkommen eines Haushaltes, das über bestimmte Anrechnungsfaktoren für die einzelnen Haushalts-Mitglieder so hochgerechnet wird, als gäbe es in dem Haushalt nur ein Mitglied. (Um zu kalkulieren, wie viel eine Familie mit beispielsweise zwei Kindern maximal an Einkommen hat, muss das Äquivalenzeinkommen wieder mit den Umrechnungsfaktoren pro Haushaltsmitglied multipliziert werden.)

Quelle: Statistik Austria, EU-SILC-Erhebung 2017. Hinweis: Erhebung auf Bundesebene. Die verfügbaren Einkommen liegen in Vorarlberg für die unteren 50% der Haushalte grundsätzlich unter dem Bundesschnitt.

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Cornelia Matt, Kaplan Bonetti Sozialwerke: „Es muss alles erdenklich Mögliche getan werden, dass Menschen ihre Wohnung gar nicht erst verlieren.

Gerade in Zeiten eines so angespannten und teuren Wohnungsmarktes ist die Prävention ein ganz wesentliches Mittel. Wer einmal seine Wohnung verloren hat, findet nur schwer aus der Wohnungslosigkeit wieder zurück in ein eigenständiges Leben."

Wieviel Geld braucht es für ein einfaches Leben?

Foto: Kaplan Bonetti Sozialwerke

2017 hat das Webportal „Staatlich anerkannter Schuldenberatung“ Referenzbudgets für unterschiedliche Haushaltstypen errechnet. Sie sind als Orientierungshilfe zu verstehen und beziehen sich auf Annahmen, die vereinfacht wurden bzw. für die Mehrheit der ÖsterreicherInnen relevant sind.

Die jeweiligen Budgets sollen widerspiegeln, was ein Mensch zum Leben und zur sozialen Teilhabe braucht – ohne Auto und Urlaubsreisen. Regionale Unterschiede bleiben dabei unberücksichtigt.

Ein-PersonenHaushalt

1.393,-

Ein-Eltern-Haushalt, 2 Kinder

€

Fixkosten1: € 729,Unregelmäßige Ausgaben2: Nahrungsmittel3: € 383,-

Haushalt mit einem Paar €

Haushalt mit Paar, 1 Kind

Fixkosten1: € 944,Unregelmäßige Ausgaben2: € 498,Nahrungsmittel3: € 690,-

2.952,-

Fixkosten1: € 1.336,Unregelmäßige Ausgaben2: Nahrungsmittel3: € 941,-

€

675,-

(7 Jahre)

€

2.885,-

Fixkosten : € 1.277,Unregelmäßige Ausgaben2: € 690,Nahrungsmittel3: € 918,1

(7 + 14 Jahre)

€

(7 + 14 Jahre)

281,-

€

2.132,-

Haushalt mit Paar, 2 Kinder

€

3.508,-

Fixkosten1: € 1.540,Unregelmäßige Ausgaben2: € 892,Nahrungsmittel3: € 1.076,-

Miete (inkl. BK, Strom, Heizung); Mobilität; Telefon, Internet, Rundfunk; Haushaltsversicherung; Haushalt mit Kindern (Schulkosten, Nachmittagsbetreuung) 2| Kleidung, Möbel, Gesundheit, Soziale und kulturelle Teilhabe 3| inkl. Putzmittel und Hygieneartikel 1|

Quelle: Dachverband der österreichischen Schuldenberatung 2017.

Referenzbudgets im Detail: www.schuldenberatung.at

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Das Vorarlberger Straßenmagazin

Rechtsanwalt Markus Hagen ist Präsident der Vorarlberger Eigentümervereinigung und pocht auf eine weniger emotionale Diskussion.

Die Umstände mit dem Leerstand Text: Simone Fürnschuß-Hofer Foto: VEV/Gmeiner

„Eigentlich eine Win-win-win Situation“, meint Rechtsanwalt Markus Hagen, der als Präsident der Eigentümervereinigung das Projekt „Sicher Vermieten“ federführend vorangetrieben hat: weniger Bauten für die öffentliche Hand, leistbare Mieten für Wohnungssuchende, Sicherheit für den Vermieter.

Dennoch lässt die Resonanz (noch) zu wünschen übrig.

Ausgabe 2 / 2018

aut der im Frühjahr veröffentlichten Erhebung zum Leerstand Vorarlbergs (Studie des Wiener Instituts für Immobilien, Bauen und Wohnen, Wolfgang Amann) sind 29.300 Wohnungen „ohne Meldung“.

Zieht man davon rund 50 Prozent an nicht deklarierten Ferienwohnungen ab, weitere zehn Prozent an ungenutzten Einliegerwohnungen sowie fünf Prozent „Schwund“ kann man in Vorarlberg von 8.500 leerstehenden Wohnungen ausgehen. Davon wären kurzfristig 2.000 nutzbar, weitere 2.000 bis 4.000 nach Änderungen von Mietrecht oder Sanierungen. Mit dem Projekt „Sicher Vermieten“* als „Rundum-Sorglos-Paket“ wollte man potenzielle Vermieter mobilisieren, ihre Objekte zur Miete anzubieten.

Warum das Projekt bislang nicht den gewünschten Response erzeugt hat, wieso wir alle mit unserem Anspruch nach hohem Wohnkomfort eine Mitschuld tragen an der allgemeinen Preismisere und dass Vorarlberg unbedingt ein zentrales Institut für Wohnfragen bräuchte, erklärt RA Markus Hagen, Präsident der Vorarlberger Eigentümervereinigung, im Interview. marie: Konserviert der Wohlstand seinen Leerstand oder warum konnte „Sicher Vermieten“ noch nicht den gewünschten Effekt erzeugen?

Markus Hagen: Die Gründe sind vielschichtig. Der vereinbarte Mietzins war ursprünglich auf die Peripherie ausgerichtet und an jenem von Altbauten orientiert.

Dann sind wir mit Dornbirn als erstem Gemeindepartner gleich im hochpreisigsten Markt gelandet. Dort ist „Sicher Vermieten“ für die wenigsten ein reizvolles Angebot.

Da wird nun nachgebessert. Außerdem ist das Vertrauen in die Wohnrechtsituation derart kaputt, dass viele – selbst bei einem Rundum-Sorglos-Angebot wie „Sicher Vermieten“ – schlicht und einfach nicht mehr vermieten wollen. Vor allem, wenn sie bereits schlechte Erfahrungen gemacht haben. Man braucht für dieses Projekt un-

L

bedingt einen Verantwortlichen, der den Weg des persönlichen Gesprächs sucht und Überzeugungsarbeit leistet.

Könnte man auch sagen, der Leidensdruck für die Vermieter ist nicht groß genug?

Dagegen wehre ich mich. Es sind nicht die Vermieter, die auf fetten Braten hocken. Du brauchst einen Steuerberater, musst dir eine Zukunftsprognose erstellen lassen, Steuern bezahlen, dazu kommen Reparaturzahlungen von versteuertem Geld. Es bleibt unterm Strich wenig übrig. Viele sagen sich, den Ärger tu’ ich mir nicht an – gerade angesichts des aktuellen Mieterschutzes, der in meinen Augen dem Mieter schadet, weil er zu solchen Reaktionen führt.

Wenn nun aber der sozial denkende Mensch sagt, Eigentum bringt auch Pflichten mit sich ...

Dann sage ich, dann muss die Pflichterfüllung ermöglicht und nicht erschwert werden. Seit zwanzig Jahren beschäftige ich mich mit dem Mietrecht und erlebe dabei, was passiert, wenn du einen Fehler im Mietrechtsvertrag machst. Ein Beispiel: Eine Vermieterin, 80 Jahre alt, wohnt im 3.

Stock eines Altbaus. Sie ist altersgebrechlich, Lift gibt es keinen. Ebenerdig gehört ihr ein Objekt, das sie an einen internationalen Großkonzern vermietet hat. Dorthin möchte sie umsiedeln. Weil sie aber den Mietvertrag falsch abgeschlossen hat, sitzt der Konzern im Kündigungsschutz und sie hat keine Chance, den Mieter rauszubekommen. Vermutlich ist sie inzwischen im Altersheim gelandet.

Ein Extrembeispiel ...

Ja, aber ich spreche das Risiko an. Wenn jemand das mitgemacht hat, sich vom Recht im Stich gelassen fühlt, dann redet sich das herum.

Halten wir fest: Am privaten Wohnmarkt haben die Preise in den Ballungsgebieten Höchststände erreicht, auch, weil das Angebot begrenzt ist. Wer nicht unbedingt muss, vermietet nicht, viele Menschen sind auf der Suche nach leistbarem Wohnraum.

Was tun?

19

Warum gehen die Preise so rauf? Das ist alles hausgemacht. Seit 2012 sind die Hauspreise um 30 Prozent gestiegen, weil sich der Staat 30 Prozent vom Kaufpreis bzw. Erlös holt. Die Bösen sind nicht die Vermieter. Bauwirtschaft und Ökologisierung wurden gefördert, das hat die Preise raufrauschen lassen, mögliche Nachwirkungen wurden nicht bedacht. Nun darf die Frage nach leistbarem Wohnraum nicht auf die Privaten abgewälzt werden, man muss in dieser Diskussion unbedingt zwischen privatem und gemeinnützigem Wohnbau unterscheiden. Auch der Mieter ist selber nicht ganz unschuldig: Er hat extreme Anforderungen an die Wohnqualität.

Heute kommen junge Paare, die wollen alles sofort und pipifein. Die Wohnbauförderung hat nicht nur die Bauwirtschaft angekurbelt, sondern auch Preisniveau und Anspruchshaltung.

Dennoch bestätigen alle, dass für eine gelingende Zukunft ein Umdenken in Bezug aufs Wohnverhalten stattfinden muss. Wie sehen Sie das?

Ja, wir stehen an der Kippe: Einerseits Kirchturmdenken, andererseits moderne, internationale Tendenzen: Weg vom Einfamilienhaus hin zu neuen Wohnformen, die nicht als Hasenställe konzipiert werden, sondern als soziale Gemeinschaften. Konkret: Mit dem Geld aus der Wohnbauförderung könnte man Plattformen schaffen, die es ermöglichen durch Bürgerbeteiligungen und mit Hilfe eines Koordinators ein Grundstück zu kaufen und gemeinsam zu planen. Insgesamt brauchen wir in Vorarlberg eine geänderte Wohnpolitik, idealerweise vertreten durch ein Wohn- und Immobilieninstitut, das Wohnen als komplexes Thema erfasst und auf dieser Plattform Projekte startet, den Förderungsdschungel lichtet, den Wohnungsmarkt auf wirkliche Bedürfnisse hin anpasst. Da passiert aktuell null und Nüsse.

Herzlichen Dank für das Gespräch. *Projekt „Sicher Vermieten“: Das Land Vorarlberg, die VOGEWOSI und die Eigentümervereinigung haben ein Modell ausgearbeitet, das WohnungseigentümerInnen laufende Mieteinnahmen garantiert und den Mietern ein erhöhtes Wohn-Angebot zu vernünftigen Preisen – ohne Risiken und Aufwand.

Die Projektpartner sorgen für eine gute Betreuung von MieterInnen und EigentümerInnen. Weitere Infos und welche Gemeinden sich am Projekt beteiligen finden Sie unter www.vorarlberg.at/sichervermieten oder www.vev.or.at/sicher-vermieten

20

Das Vorarlberger Straßenmagazin

WOHNEN Text: Simone Fürnschuß-Hofer

Wer Wohnmodelle vom Typ „getrennt, aber unter einem Dach“ anstrebt, braucht hierzulande eine große Portion Mut und Eigeninitiative. Gemeinschaftliche Wohnkonzepte fristen im Ländle noch ein Nischendasein.

Gleichzeitig dienen sie als Leuchttürme und Lernfelder für die Zukunft. as sich abzeichnende, neue Wohnverhalten ist vom demografischen Wandel und dessen Notwendigkeiten geprägt. Vorarlbergs Bevölkerung wird einerseits wachsen und gleichzeitig stark altern. Viele rüstige und sozial aktive Pensionisten sehen 150 Quadratmeter Wohnfläche eher als Bürde denn als Entfaltungsraum. No na ist das Altersheim keine Option, es fehlen attraktive Wohn-Alternativen, die einen Umzug überhaupt in Betracht ziehen lassen. Und so nimmt die Zahl an überdimensionierten Zwei- und Einpersonenhaushalten zu.

Wenn dann auch noch die Barrierefreiheit fehlt oder den Bewohnern der – viel zu gro-

D

ße – Haushalt über den Kopf wächst, ist die Gefahr der Vereinsamung und Überlastung groß. „Mehrgenerationenwohnen“ und andere gemeinschaftliche Wohnmodelle könnten diese „Wohntyp-Lücke“ schließen.

Zeit reif für Neues

Auch junge Paare, Alleinstehende, Zugewanderte, Auszubildende, Menschen mit Behinderungen sowie Familien in unterschiedlichsten Konstellationen suchen attraktive, leistbare Wohnformate und viele von ihnen nähmen dafür auch gerne Lösungen abseits des Konventionellen in Kauf. Wohnkonzepte, die die Grenzen zwischen Wohnen und Arbeiten durchlässiger gestalten. Wohnsituationen, die Rückzug in die Privatheit bieten und gleichzeitig soziale Treffpunkte sind. Genossenschaftliche Ideen, Tauschgeschäfte oder das Einbringen eigener Ressourcen im Bauprozess könnten dabei eine Renaissance erfahren. Bis hin zu Kooperationsmodellen, in denen Men-

schen, die ihren Alltag nur schwer alleine bewältigen können, von Mitbewohnern betreut werden.

Schnittstellen statt Trennlinien

Offeneres, weniger grenzdefiniertes Wohnen, bedürfnis- statt standardorientiert, geprägt von einer Haltung der Selbst- und Mitbestimmung: Das kurbelt Inklusionsprozesse an und lässt den hehren Wert der Solidarität neu entdecken. Es gibt in Vorarl­ berg Initiativen, die auf Schnittstellensuche gegangen sind und neue Wege aufzeigen, um alte Trennlinien zu überwinden. Sie eröffnen Experimentier-Spielräume, die uns zu Lernfeldern werden. Die marie hat sich auf die Suche nach Engagements begeben, die in Zukunft Geschichte schreiben könnten. Foto: Shutterstock

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UNITED Bevölkerungsentwicklung Vorarlberg nach Altersgruppen 1985-2075 2075

13,9

52,7

33,4

2050

13,9

52,8

33,3

2030

15,1

2015

16,0

2010

16,9

29,4

55,5

1995

20,6

1985

22,0 0%

10%

20,5

62,5

63,0

18,4

2005

22,1

61,8

18,6

63,9

15,5

63,7 20%

0 bis 14 Jahre

30%

40% 15 bis 59 Jahre

Die Bevölkerungsentwicklung Vorarlbergs wird in den nächsten Jahrzehnten bis 2075 von zwei Trends geprägt sein: Einerseits wird die Einwohnerzahl auf über 400.000 Personen anwachsen, andererseits wird die Bevölkerung insgesamt altern. Gründe dafür sind einerseits die hohe Geburtenrate in Vorarlberg in den 90er Jahren, vor allem aber die geringere Sterblichkeitsrate. Der Faktor Migration wird in den kommenden Jahren maßgeblich die Bevölkerungsentwicklung beeinflussen. Während die unter 15-Jährigen 2010 noch 16,9% der

50%

14,3 60%

70%

80%

90%

60 Jahre und älter

Vorarlberger Bevölkerung stellten, werden sie 2075 nur noch 13,9 Prozent repräsentieren. Umgekehrt wird sich der Anteil der Gruppe der über 60-Jährigen von derzeit 20,5% auf 33,4% im Jahr 2075 erhöhen.

Quelle: www.okay-line.at, Statistik Austria, Demografisches Jahrbuch 2010, Statistik Austria, Bevölkerung im Jahresdurchschnitt, interaktive Datenbank

100%

21

22

Das Vorarlberger Straßenmagazin

Gegen die „ Katastrophenarchitektur“ Text: Simone Fürnschuß-Hofer Fotos: Petra Rainer

Transfer Wohnraum Vorarlberg: Ein Bauprogramm, das anerkannte Flüchtlinge und Ortsansässige unter einem Dach vereint. Und das mitten in den Gemeindegebieten. ereits lange vor dem September 2015 realisierten viele Beobachter des Weltgeschehens, dass der Zustrom an Geflüchteten nicht ausbleiben würde. „Wir haben gewusst, es sind Hundertausende auf der Flucht und um das aufzufangen fehlen in Österreich die baulichen Voraussetzungen“, so Andreas Postner, der rund um Weihnachten 2014 gemeinsam mit den befreundeten Architekten Konrad Duelli und Herrmann Kaufmann beschloss „etwas zu tun“. Und zwar ganz konkret. Oberste Prämisse sei von Anfang an gewesen, keine Ghettos und keine großen Dichten zu erzeugen, einheimische Wohnungssuchende mitzudenken und durch Gegenbeweise die Vorbehalte der Bevölkerung gegenüber Flüchtlingen sachlich zu entkräften. „Ich selber habe einen Sommer lang in Südfrankreich in einem arabischen Ghetto gelebt und weiß, warum die französische Integrationspolitik dort gelandet ist, wo sie jetzt steht. Das konnte so gar nicht funktionieren“, war Postner durch seine einschlägigen Erfahrungen in der Migrations- und Entwicklungspolitik sofort klar, „einen kleinteiligeren Maßstab finden zu müssen“. Ein Jahr lang haben sich die drei Akteure mit rund 80 Personen zu ihrem Vorhaben ausgetauscht, im Land eine Bedarfserhebung angestoßen und weitere Expertinnen aus den Bereichen Bauen, Soziales, Integration und Bildung sowie die gemeinnützigen Wohnbauträger mit ins Boot geholt. Ein besonderer Coup konnte mit Bischof Benno Elbs und der Diözese bzw. aktiven Pfarreien gelandet werden: Als Projektpartner stellen sie Grund und Boden zur Verfügung, der über Baurechtsverträge potenziell bebaut werden kann. Sprich: Nach 50 Jahren Nutzung fallen die Gebäude und das Nutzungsrecht an die Grundstücks-Eigentümer und Baurechtsgeber zurück. >>

B

Das beste Argument gegen Vorurteile? Lösungen, die beispielhaft funktionieren.

Im Bild: Das Transfer Wohnraum Projekt in Götzis.

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23

Michael M. Natter, Fachbereich Sozial-Beratung/Begleitung, Caritas

Bei der Vermittlung von leistbarem Wohnraum dürfen die verschiedensten sozialen Nutzergruppen nicht „parteipolitisch gegeneinander ausgespielt“ werden. Diese Herausforderungen können nur durch einen gemeinsamen, kooperativen und lösungsorientierten „Masterplan“ zwischen dem Land und den Gemeinden gemeistert werden.

24

Das Vorarlberger Straßenmagazin

Die insgesamt kleineren Wohnflächen, das Weglassen von Tiefgarage und Unterkellerung, das hat Kosten reduziert“, erklärt Konrad Duelli wie Mieten zwischen acht und neun Euro pro Quadratmeter zu schaffen sind.

Irrationale Bedenken

Die Architekten Andreas Postner (links) und Konrad Duelli

Für Ortsansässige und anerkannte Flüchtlinge

Nach unzähligen Gesprächen und Verhandlungen ist dabei das Programm „Transfer Wohnraum Vorarlberg“ entstanden, das nach wie vor die klare Handschrift des Trios Duelli/Kaufmann/Postner trägt und über die Wohnbauselbsthilfe abgewickelt wird. Natürlich nicht ohne den einen oder anderen Kompromiss: „Wir hatten ja noch viel radikaler konzipiert. Hätten nicht nur anerkannten Flüchtlingen, sondern auch Flüchtlingen im Asylverfahren sogenannte Starterwohnungen inklusive der Möglichkeit zur Bau-Mithilfe gestellt, hätten die Wohnungen gerne als Passivhäuser konzipiert und die ganze Siedlung zur autofreien Zone erklärt“, so die visionären Protagonisten, die nichtsdestotrotz voll und ganz hinter der jetzigen Realisierung stehen: Drei Wohnprojekte in Götzis, Rankweil und Feldkirch sind bereits umgesetzt, eines wird aktuell in Meiningen errichtet, ein weiteres ist in Dornbirn in Planung. Allen gemein: Die zentrale Lage mit öffentlicher Verkehrsanbindung, ein sozial ausgewogenes Verhältnis zwischen Ortsansässigen und zugewanderten Menschen, Betreuung vor Ort und ein hochwertiger, aber einfacher Ausbau. „Die Einsparungen im letzten Zehntel des Innenausbaus fallen kaum mehr ins Gewicht, deshalb gibt es in diesen Wohnungen auch Holzfenster und Holzböden statt Kunststoffvarianten.

Die Initiatoren sind sich einig: „Für eine gute Integration braucht es mehr als nur zu bauen.“ Von Anfang ging es ihnen vor allem auch um die sozialpolitische Dimension. Das Verhältnis zwischen neu im Land angekommenen und ortsansässigen Bewohnern muss stimmen. Und die Nachbarn? „Da gab es durchaus gemischte Reaktionen, natürlich haben wir auch viele Irritationen bis hin zu Irrationalem erlebt.“ Jedenfalls wurden mögliche Vorurteile von Anfang an mitgedacht, aufgegriffen und so gut es ging, umgewandelt. Ganz wichtig ist den Architekten die Integrationsbegleitung durch Sozialeinrichtungen wie dem ifs. Nutzgärten sollen den Flüchtlingen sinnvolle Betätigung bieten und insgesamt den Integrationsprozess stärken, genauso wie Spielflächen, ein kleiner Gemeinschaftsraum oder Freiräume, die von den Nachbarn mitbenutzt werden können. „Wir wussten: Wir wollen und brauchen keine abgeschottete Katastrophenarchitektur, keine Baracken. Wertvoller Wohnraum kann nachhaltig für alle in kürzester Zeit zentral in Holzbauweise umgesetzt werden. Das beste Argument, um Konflikt schürenden Parolen von rechts zu begegnen, ist sowieso, sich die kleinen Ensembles anzusehen und zu realisieren: Es gibt Lösungen, die funktionieren.“

Transfer Wohnraum Vorarlberg Bauträger und Partner: Wohnbauselbsthilfe, jeweilige Gemeinde, Diözese Feldkirch, Caritas Vorarlberg, ifs, Land Vorarlberg, Rhomberg Bau, Sohm Holzbautechnik Wesentliche Faktoren für erfolgreiche Integrationsprozesse: Gemeinschaftsflächen und Begleitung von Sozialarbeitern vor Ort.

Zuweisung der Einwohner: 2/3 durch Gemeinde, 1/3 über Caritas in Absprache mit der Gemeinde.

Wohnungsgrößen: 30 bis 90 m² Architekten: Konrad Duelli, Hermann Kaufmann ZT GmbH, Andreas Postner

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Das Vorarlberger Straßenmagazin

Altersversorgung von morgen Text: Simone Fürnschuß-Hofer Fotos: Petra Rainer

Oberste Prämisse des Hauses „miteinander füreinander“: Den betagten oder bedürftigen Menschen in seiner Selbstständigkeit so lange es geht zu unterstützen.

Ein Modell, das sich an neue Wohnformen wagt.

Ein schwerer Schritt, den Maria Nieland nicht bereut: Mit 85 Jahren hat sie nochmals einen Umzug gewagt!

rst im April dieses Jahres hat das Haus „miteinander füreinander“ in Andelsbuch eröffnet. Als neues Modell, das den Fokus auf Selbstbestimmung in der Altersversorgung legt, deckt es unterschiedlichste Bedarfslagen ab und verortet mehrere soziale Dienstleistungen an einer Adresse. Die Gemeinde hat dafür eines von vier Siedlungsgebäuden im Rohbau übernommen und ihrem Anliegen angepasst. Den Bewohnern von Haus Nr. 816, das sich optisch nicht von seinen „Geschwisterhäusern“ unterscheidet, stehen somit nicht nur innovative Wohnformate zur Verfügung, sie sind gleichzeitig auch in eine große Siedlungsgemeinschaft integriert.

Allen zugänglich ist das Gemeinschaftshaus inklusive Pizzaofen, Werkraum, Kinderbereich, Terrasse, Acker und Hochbeeten fürs lustvolle Gärtnern. „Man spürt, dass sich die Leute ganz bewusst für dieses Konzept entschieden haben. Es entsteht dabei ein echtes Zusammengehörigkeitsgefühl“, freut sich Verena Marxgut, die „miteinander füreinander“-Koordinatorin.

Noch sei ihr Haus nicht voll besetzt. „Obwohl die Angebote auf die ältere Andelsbucher Bevölkerung ausgerichtet sind, versuchen wir flexibel und bedarfsorientiert zu bleiben und niemanden auszuschließen.“ So leben aktuell auch jüngere Personen im Haus, die Unterstützung im Alltag brauchen und ein sozial stabiles Umfeld gesucht haben. Insgesamt bieten sich folgende Wohnformate an: Eine WG mit sechs Plätzen inklusive eines Betreuungsdienstes, eine Etage höher vier Wohnungen mit jeweils 55 m2 oder – im dritten Stock – 70 m2-WGs für jeweils zwei Personen sowie eine Mansarde zur flexiblen Nutzung. Pflege- und Betreuungsdienste übernehmen Krankenpflegeverein und Mohi, die Seniorenbörse ist ebenso involviert.

E

Umzug mit 85 Jahren

Zeitgemäße Antworten auf Wohnbedürfnisse zu finden wird in Andelsbuch nicht nur mit betreutem, sondern vor allem auch mit eigenständigem Wohnen übersetzt. Obgleich die Realität zeigt, dass Umziehen mit zunehmendem Alter immer schwerer fällt. Maria Nieland mag dabei eine Ausnahme sein. Sie wagte den Schritt mit 85 Jahren und zog dieses Frühjahr vom Eigenheim in eine „miteinander füreinander“-Mietwohnung. Lange habe sie gehadert

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Ausgabe 2 / 2018

Lebendigkeit und ein freudvolles Miteinander charakterisieren die Siedlungsgemeinschaft in Andelsbuch.

und sei heute froh, sich durchgerungen zu haben. Es sei doch schon „boda spät“ für sie gewesen, zehn Jahre früher wäre es leichter gegangen, meint die rüstige Pensionistin. Gleichzeitig höre sie manche ihrer Besucherinnen seufzen: „Wenn es das bloß damals schon gegeben hätte, dann wäre ich mit meinem Mann in so eine Wohnung gezogen. Aber jetzt ist es zu spät.“ Maria hat ihren Ehemann vor drei Jahren verloren und kann das nur zu gut nachvollziehen. Die vielen Erinnerungen an die glückliche Zeit in ihrem gemeinsamen Heim haben ihr den Abschied schwergemacht. Und doch: Da war der Rasen im Sommer, der Schnee im Winter und zwischendurch die Einsamkeit. Der Wunsch nach dem „Versorgtsein“, wenn man plötzlich auf Hilfe angewiesen ist, sei immer stärker geworden. Gepaart mit der Angst davor, einfach irgendwohin gebracht zu werden. Überlegungen wie diese haben sie, die zwar viele Geschwister, aber keine Kinder hat, schlussendlich dazu bewogen, umzuziehen. In ihrer sehr persönlich eingerichteten neuen Wohnung bewegt sie sich völlig selbstbestimmt. „Meine Privatsphäre ist mir wichtig“, sagt die leidenschaftliche Jasserin und genießt dann und wann die Freiheit, nicht zu kochen. Dann meldet sie sich ganz einfach zum Mittagstisch im Erdgeschoss an und erfreut sich an der Gemeinschaft. Dort, wo sowohl Mittagsversorgung für Schulklassen geboten wird als auch Tagesbetreuung vorwiegend für ältere – auch demente – Menschen. Maria Nieland sieht ihr neues Zuhause als visionäres Modell: „Meine Generation traut sich vielleicht noch nicht drüber, das wird in der nächsten aber schon anders aussehen.“

ifs Regionale Sozialberatung

Sie haben Probleme, Fragen, suchen Orientierung und wünschen sich ein klärendes Gespräch?

Die regionalen Sozialbe­ ratungsstellen des ifs sind zentrale Anlaufstellen für alle Menschen in Vorarlberg, die psychosoziale Fragen oder Probleme haben. Wir widmen uns Ihren konkre­ ten, aber auch den noch unklaren Anliegen, bieten Unterstützung bei der Klärung sowie Beratung.

Wir helfen Ihnen in Krisen­ situationen und vermitteln nach Wunsch und Bedarf zu weiterführenden Angeboten.

Sie erreichen uns ohne Voranmeldung. ifs Sozialberatungsstellen Bregenz Mo – Fr 8 – 12 und 13 – 17 Uhr St.-Anna-Straße 2 Tel. 05-1755-510 Bregenzerwald Mo – Fr 9 – 11 Uhr Impulszentrum | Egg Tel. 05-1755-520 Dornbirn Mo – Fr 8 – 12 und 13 – 17 Uhr Kirchgasse 4b Tel. 05-1755-530

Hohenems Mo – Fr 8 – 12 Uhr F.-M.-Felder-Str. 6 Tel. 05-1755-540 Feldkirch Mo – Fr 8 – 12 und 13 – 17 Uhr Ganahl-Areal, Schießstätte 14 Tel. 05-1755-550 Bludenz Mo – Fr 8 – 12 und 13 – 17 Uhr Klarenbrunnstr. 12 Tel. 05-1755-560

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nenaV: Neue Nachbarschaft in Vorarlberg Text: Daniela Egger, Fotos: Daniela Egger, Paul Stampfl

nenaV verfolgt einen Traum, der durchaus realistisch ist. Der 2016 gegründete Verein hat sich in zahlreichen Exkursionen, Vorträgen und Diskussionen ein inzwischen sehr konkretes Bild erarbeitet, wie das Zusammenleben der Zukunft aussehen kann. Und welche Schritte notwendig sind, um es in den nächsten fünf Jahren zu realisieren. aul Stampfl, der Obmann des Vereins nenaV, und Stellvertreter Wilfried Flatz sind sich einig: Die klassische Einzelhaussiedlung im Rheintal wird ein natürliches Ende nehmen, einfach weil sie nicht mehr nachhaltig ist. Nach dem Anstieg der Grundstückspreise und den Entwicklungen der gesellschaftlichen Bedürfnisse wollen die Menschen zunehmend kreativere Wege gehen, um etwas Zukunftstaugliches zu errichten. In der nahen Schweiz oder in Deutschland gibt es bereits gelingende Beispiele, wie eine innovative und gemeinwohlorientierte Nutzung von Bauland aussehen kann. Eine dörfliche Struktur mit gemeinsam genutzter Infrastruktur und

P

Ein Leuchtturmprojekt: Kalkbreite, Zürich, www.kalkbreite.net

ausreichend Privatsphäre soll entstehen, wenn nach der Planungsphase das erste Bauprojekt unter dem Namen „nenaV“ in die Umsetzung geht. 200 Wohneinheiten sind angedacht, etwa 500 Bewohner und Bewohnerinnen jeden Alters finden darin durchdachte Wohnungstypologien und einen multifunktionellen Lebensraum. Die Zusammensetzung der Bewohner und Bewohnerinnen soll in etwa die Gesellschaft des Landes widerspiegeln. Vieles, was Lebensqualität fördert, macht erst ab einer gewissen Größe Sinn. Bäckerei und Kaffee oder Kinderbetreuung lassen sich in kleinen Wohnanlagen nicht integrieren und nachhaltig betreiben. Gemeinsam genutzte Räumlichkeiten, Geräte und Freiflächen

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Wilfried Flatz und Paul Stampfl im Gespräch.

sind ressourcenschonend, sparsam im Betrieb und fördern die Kommunikation und soziale Teilhabe.

Ein geeignetes Grundstück in dieser Größe zu finden, das die erforderlichen Kriterien erfüllt, ist ein langwieriger Prozess. Zur idealen Lage gehören beispielsweise eine Vertragslandwirtschaft im Umkreis von 50 Kilometern, die den Bedarf an Lebensmitteln abdecken kann, Kindergärten und Schulen in Gehdistanzen, und die Anbindung an öffentliche Verkehrsmittel, die es möglich machen weitgehend auf das Auto verzichten zu können. Die Aufteilung der Privaträume ist ausgelegt auf die Haushaltsgröße, ausgelagerte Gästezimmer, Co-Working space, eine eigene Bibliothek, Werkstätten, Waschküche, Lebensmittellager und ähnlicher Raumbedarf entsprechen in nenaV eher einem Hotelbetrieb als einer Privatwohnung. Sie werden professionell betreut, ebenso wie auch ältere Mitbewohner bei Bedarf betreut werden können. Der Einsamkeit wird vorgebeugt, Konflikte werden begleitet und durch die Größe kann man sich aber auch in gewissem Maß aus dem Weg gehen. Beteiligungsprozesse und Arbeitskreise arbeiten derzeit die zahlreichen Fragen ab und parallel wird nach einem oder mehreren Grundstücken gesucht.

Das alles nimmt viel ehrenamtliche Zeit in Anspruch und demnächst soll eine Genossenschaft gegründet werden, um ernsthaft interessierten zukünftigen Bewohnern und Bewohnerinnen ein Mitspracherecht zu sichern. Wer sich also näher mit dem Bau-Projekt beschäftigen möchte, ist willkommen – engagierte und visionär denkende Menschen werden immer gebraucht.

KONTAKT: Dr. Paul Stampfl M +43 660 485 25 04, stampfl@nena-v.at www.nena-v.at

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Das Vorarlberger Straßenmagazin

Bau mit!

Text und Fotos: Frank Andres

„Gemeinsam statt einsam“, so lautet das Motto des Architekten Wolfgang Juen, wenn es darum geht, auch in Zukunft leistbaren Wohnraum zu schaffen. Der 65-Jährige weiß, wovon er spricht. Der gebürtige Tiroler hat selbst mehrere Siedlungs-Projekte in Vorarlberg umgesetzt. Die marie hat sich ein solches Zukunftsmodell in Dornbirn Rohrmoos angesehen.

Natürliche Materialien, ohne viel Schnickschnack: das Siedlungsprojekt in Dornbirn Rohrbach.

Eberle und Norbert Mittersteiner gründet er

ie würde Wolfgang Juen einen typischen Vorarlberger charakterisieren? „Er ist knausrig“, sagt er. Das klingt im ersten Moment wenig schmeichelhaft. Doch der Architekt, der in Innsbruck aufgewachsen ist und in Wien an der Akademie der Bildenden Künste studiert hat, meint das als Kompliment. Zumindest wenn es um den Wohnbau geht. „Einem Vorarlberger muss ich nicht erklären, dass leistbares Wohnen ein Gebot der Stunde ist. Er ist von Natur aus sparsam. Das entspricht seiner Mentalität, trifft seinen Nerv“, offenbart sich der gebürtige Tiroler als wahrer Kenner der Vorarlberger Seele. Eine zentrale Frage bleibt dabei aber offen: Wie können sich Singles, Paare oder Familien, trotz stark steigender Grundstücks- und Immobilienpreise im Ländle, den Wunsch von leistbarem Wohnraum heute noch erfüllen? Die marie hat Wolfgang Juens Wohnvorbild, ein von ihm realisiertes Siedlungs-Projekt im Dornbirner Stadtteil Rohrbach unter die Lupe genommen.

die Planungsgesellschaft „Cooperative“. Ab

Ein Grundstück, zwölf Besitzer

Wolfgang Juen, 65, wächst in Innsbruck auf. Nach der HTL geht er nach Wien, um an der Akademie der Bildenden Künste zu studieren. Gemeinsam mit Markus Koch, Dieter

1983 hat Wolfgang Juen ein eigenes Büro in Dornbirn. Er ist auch Mitglied der „Gruppe Vorarlberger Baukünstler“. Wolfgang Juens Spezialgebiet ist der Holzbau. Er legt bei seinen Projekten besonders viel Wert auf Nachhaltigkeit und regionale Baustoffe.

W

Ein Blick zurück in die 90er Jahre. Zwölf Personen sind auf der Suche nach einem Grundstück. Sie wollen für ihre vorwiegend jungen Familien bzw. gemeinsam mit ihren Partnern ein Häuschen, eine Wohnung bauen. Zwischen 50 und 130 Quadratmeter sollen die Wohneinheiten sein. Das passende Grundstück in Dornbirn – 2.000 Quadratmeter groß – ist rasch gefunden. Doch ein Generalunternehmen mit dem Bau zu beauftragen, kommt für die neuen Grundstücksbesitzer nicht in Frage. Denn der Bau soll für alle Eigentümer leistbar sein und in Holzbauweise ausgeführt werden. Da sind sich alle einig. Noch ist aber die Frage offen, wer das planen soll. Am Ende wird Wolfgang Juen, ein erfahrener Holzbauer, als Architekt engagiert. Er gibt nur die Holzkonstruktion vor. Ohne viel Schnickschnack, mit natürlichen Materialien, reduziert auf das Wesentliche. Knapp ein Jahr nach Baubeginn können die ersten Bewohner

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in der Siedlung einziehen. Es bleibt nicht bei dem einen Projekt. Im Jahr 2000 plant Juen nach demselben Muster eine weitere Siedlung im Rohrmoos. Diesmal mit insgesamt sechs Wohneinheiten.

Kosten- und ressourcensparend

Für Wolfgang Juen ist der Siedlungsbau ein Modell für die Zukunft. Er ist kostensparend und ressourcensparend, wie er betont. Der 65-Jährige verdeutlicht das an mehreren Beispielen. Wenn ein Grundstück als Siedlung und nicht als Einfamilienhaus bebaut werde, könne eine Wohneinheit mehr errichtet werden. „Das macht im Schnitt einen Unterschied von 300.000 Euro aus“, rechnet er vor. Zudem brauche es statt zwei Parkplätzen nur 1,3.

Des weiteren würden sich die anteiligen Anschlussgebühren deutlich reduzieren. „Bei einer Siedlung braucht es nur einen Kanal und eine zentrale Heizung“, erklärt der Wahl-Vorarlberger, der seit den 80er Jahren im Ländle lebt und arbeitet. Und noch einen Vorteil hat eine Siedlung gegenüber dem Einfamilienhaus. „Solaranlagen rentieren sich mehr, weil die Nutzungsdauer schlichtweg höher ist.“ Und wer dann zusätzlich die Siedlung in Eigenregie verwaltet, Reparaturen selbst er-

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ledigt oder Fensterdichtungen selbst ersetzt, der schont seine Geldtasche zusätzlich.

Eigenleistung gefragt

Ein großes Thema beim leistbaren Wohnbau ist für Juen aber auch die Erbringung von Eigenleistung. Das Spektrum reiche von der Isolierung, der Außen- und Innenverkleidung, der Verlegung von Fußböden über Verputzarbeiten bis zum Selbsteinbau von Küche und Bad. Damit werde bares Geld gespart. „Wenn man sich bei der Materialauswahl einschränkt und dafür gemeinsam größere Mengen bestellt, bringt das einen Preisnachlass von zwanzig Prozent. Zählt man noch seine eigene Arbeit dazu, kommen wir unter dem Strich auf vierzig Prozent Ersparnis.“ Apropos Eigenleistung: Beim Siedlungsprojekt Rohrmoos hatten sich die Eigentümer auf einen einheitlichen Berechnungsschlüssel geeinigt.

Egal ob Kinder hüten oder Parkett verlegen, jede Stunde Arbeit war gleich viel wert. Ganz ohne die Hilfe von Profis geht es beim Wohnungsbau dann aber doch nicht, betont Juen. Von Erd-, Baumeister-, Dachdecker- und Zimmermannsarbeiten, bei Sanitär, Heizung und Elektrik sollten Heimwerker die Finger lassen. Da sind Experten gefragt.

Pachten statt kaufen

Eines ist für den Architekten klar: Sich künftig ein Grundstück zwecks Eigenheimbau zu kaufen, davon wird man sich in Vorarlberg verabschieden müssen.

Schlichtweg deshalb, weil Grund und Boden nicht leistbar bzw. am Markt überhaupt nicht mehr verfügbar ist. Künftig werden Grundstücke maximal gepachtet.

Ein Modell, das zum Beispiel in Holland schon längst praktiziert wird. ÜBRIGENS: Wie wohnt der Architekt Juen selbst? Ganz zukunftsbewusst in einer Siedlungswohnung im Rohrmoos.

So lässt es sich leben: Wolfgang Juen sitzt barfuß, in legerer Freizeitkleidung vor seiner Wohnung in einem Stuhl.

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Das Vorarlberger Straßenmagazin

So geht's

auch

einhe des Gem n Wohnfläc er et ch tm au ra rt Quad n gehö Zu den 300 von Dornbir t ihn s am Rande kort“, nenn an uft „A schaftshause h. ic Te it m n arte ein großer G Susanne.

Bewohnerin

1

Text: Christina Vaccaro, Fotos: Bettina Bohne, Susanne Flatz, Andreas Haller, Darko Todorovic, Christina Vaccaro

Angesichts veränderter Lebens-, Arbeits- und Familienkonzepte, die oft ganz andere Bedürfnisse mit sich bringen, entstehen auch andere – alternative – Wohnformen. marie-Redakteurin Christina Vaccaro hat drei Menschen besucht, die einen ungewöhnlichen Weg eingeschlagen haben.

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SUSANNE, DIE GEMEINSCHAFTLICHE 1

Ein Holzhaus mit sieben Zimmern, drei Bädern, zwei Küchen, einem 50 Quadratmeter großen Wohn- und Essbereich, einem geräumigen Seminarraum, einem Therapiezimmer und einem wohnlichen Wintergarten. Eine kleine Sauna. Ein Schwimmteich, ein Baumhaus, ein Gewächshaus mit Tomaten und zwei Hochbeete mit Gemüse und Kräutern. Eine Garage voller Fahrräder. Eine Photovoltaikzelle am Dach, ein Holzofen im Haus und eine Erdwärmepumpe nebendran.

Es geht darum, sich einzubringen für ein gelingendes Miteinander.

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Dachboden und Etagen, ein großer Zwei bewohnbare che. Das Haus, in Stall, viel Grünflä Keller, Stadel und ngen­egg wohnt, ist La n vo Waldrand dem Deborah am re alt. mindestens 90 Jah

Inmitten sein es Permakul turgartens st Häuschen: A eht sein kleine ndreas lebt oh s ne fließende bezieht er vo s Wasser, Stro n einer Sola m rzelle, gebade Winter auch t wird im Bac mal am Cam h, im pingplatz.

Im Garten plätschert unentwegt ein Wasserstrahl aus einem alten Holzfass in den Teich. Die Zeit verrinnt hier langsamer, scheint es. Vier Erwachsene, zwei Kinder und zwei Hunde wohnen zurzeit an diesem Platz, an dem sich das „Leben in Gemeinschaft“ abspielt. Eine davon ist Susanne Flatz. Mit ihrem sechsjährigen Sohn wohnt die 40-jährige, in Schwarzach aufgewachsene Mutter seit gut einem Jahr mit einem Musiker, einem Lehrer und einer älteren Frau, deren Kinder bereits außer Haus sind, am Ortsrand von Dornbirn zusammen. Es lebten auch schon ein pensionierter Handwerker, eine andere alleinerziehendene Mutter und eine Heilmasseurin im Haus.

Erfahrungen mit Lebensgemeinschaften, die den Anspruch stellen, keine ZweckWG, sondern eine zweite Familie zu sein, hat Susanne bereits in Portugal, Indien und auch schon in Vorarlberg gesammelt. „Jeder fünfte Österreicher leidet an Depressionen“, sagt die derzeit als Berufs- und Sozialpädagogin tätige Frau. „Viele Menschen

vereinsamen, insbesondere ältere. Andere finden keine Wohnung, weil der Immobilienmarkt es lukrativ macht, Wohnräume leerstehen zu lassen. Und jungen Eltern fehlt es an adäquaten Kinderbetreuungsmöglichkeiten.“ Das Leben in Gemeinschaft als Mehrgenerationenhaushalt mit ausgeprägtem Kommunencharakter ist für Susanne eine Antwort auf viele Fragen der modernen Gesellschaft. Gegenseitige Unterstützung und Mitbetreuung anstatt Individualismus und Vereinsamung.

Soziales Win-win

Was die divers zusammengesetzte Gemeinschaft verbindet, ist „die Idee des größeren Miteinanders“: das Interesse am Menschen, an verschiedenen Lebensentwürfen und an Achtsamkeit und Bewusstsein. Einmal wöchentlich finden Hausbesprechungen statt, wo neben Organisatorischem (Putzund Pflanzengießplan und Co) auch das aktuelle Miteinander besprochen wird. In unregelmäßigen Abständen, etwa an Fei-

ertagen oder Wochenenden, gibt es ausgedehntere Visionstreffen, in denen es um Gemeinschaftsbildung und gemeinsame Werte geht. Die meisten Bewohner besitzen einen spirituellen Zugang, der frei ist: „Wir brauchen keine Dogmen – uns geht es um Bewusstsein und einen nachhaltigen, enkeltauglichen Lebensstil“, erklärt Susanne.

Wer Lust hat, praktiziert Yoga oder meditiert mit.

Den eigenen Bedürfnissen gerecht zu werden und sich auch Zeit für sich alleine zu nehmen, ist mitunter eine Herausforderung – wie in anderen Familienkonstellationen – und auch ein Lernprozess, weiß die Sozialberaterin. Und dennoch: „Es geht darum, sich einzubringen für ein gelingendes Miteinander. Es geht auch darum, füreinander zu sorgen, und seinen Platz im gesamten Gefüge zu finden. Ein grundlegender Gedanke von einem solchen Zusammenleben ist das mit- und aneinander Wachsen und Entfalten unserer Potentiale, die wir dann zum Wohle aller leben dürfen.“

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Das Vorarlberger Straßenmagazin

ANDREAS, DER AUSSTEIGER

„Jetzt reicht’s“, dachte sich Andreas Haller. „Ich mach’s allein.“ Es war das Jahr 2011, der Kleinwalsertaler lag mit einem Wirbelbruch auf dem Sofa und sah die Bilder von Fukushima im Fernsehen. Was aber hatte eine Nuklearkatastrophe in Japan mit seiner persönlichen Wohnsituation zu tun? „Fukushima hat mich wachgerüttelt. Die Empathie für die Menschen und das Verantwortungsbewusstsein für die Umwelt hatte ich zwar schon als Kind. Doch bis zu diesem Punkt hatte ich immer geglaubt, als Einzelner nichts bewirken zu können“, sagt der heutige Permakulturpraktiker. 20 Jahre lang habe ihm die Überzeugung gefehlt, dass Großes verändert werden kann, wenn jeder viele kleine Dinge tut. Zu mächtig schienen ihm die großen Konzerne und Marketingtricks. Seit der 39-Jährige sich für ein anderes Leben entschieden hat, ist er genau davon überzeugt.

Und weil Ernährung und Wohnen in Andreas’ Augen das Fundament unseres Lebensstils und der damit verbundenen Folgen für zukünftige Generationen sind,

hat er diese zwei Säulen gleich vereint: Mehr als ökologisches Gärtnern ist Permakultur ein Lebenskonzept, das auch Bereiche wie Bildung, Gesellschaft und eben Wohnen umfasst. Immer geht es darum, dauerhaft funktionierende, nachhaltige Kreisläufe zu schaffen. So begann Andreas vor sieben Jahren auf etwa 20 Quadratmetern einen Permakulturgarten anzulegen. Seitdem ist viel Gemüse gewachsen, hat der einstige Schulabbrecher viele Bücher über Permakultur gelesen und Seminare besucht, und ist der Permakulturgarten auf mittlerweile 7.000 Quadratmeter angewachsen. „Die meisten Dinge im Leben haben Vorund Nachteile. Im Grunde alle. Doch Pflanzen zu pflanzen ist einfach nur sinnvoll“, sagt der Lebenskünstler und zählt gleich auf, dass Pflanzen Sauerstoff produzieren, das Wasser reinigen und wertvollen Humus aufbauen.

Heute wohnt Andreas in einer kleinen ehemaligen Skihütte, die er renoviert und wohnlich gemacht hat. Auf 28 Quadratmetern finden ein Tisch mit Eckbank, ein Kleiderschrank, eine Kommode, ein Es-

sensschrank, eine schmale Küchenzeile, ein Holzherd, ein Sofa, ein winziger Schreibtisch und ein Bett ihren Platz.

Kein fließendes Wasser

Die Wände sind mit schönem Holz ausgekleidet, es gibt auch ein Spülbecken in der Küchenzeile. Doch Wasser fließt da keines, das will vom 150 Meter entfernten Überlauf einer Quelle geholt werden. In einem 20-Liter-Kanister. Das Geschirr wäscht Andreas im Freien ab, zur Reinigung benutzt er Asche. Sich selbst wäscht er im kalten Wildbach, im Winter benutzt er die Duschen eines nahe gelegenen Campingplatzes. Das WC befindet sich zehn Meter vom Häuschen entfernt: In der Trenntoilette werden Stuhlgang und Urin separat verrichtet, um der Geruchsbildung vorzubeugen.

Mit einer Photovoltaikzelle produziert Andreas Strom – an wolkenarmen Tagen.

Im Sommer funktioniert das gut, er hat sogar Überschüsse. Im Herbst dagegen reicht der Strom manchmal gerade noch, um das Handy aufzuladen. Im Winter muss er dann

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Die Natur hat mir geholfen, zu mir selbst zu finden.

rn, 33

uemer-Ko Deborah H

DEBORAH, DIE EINSAME

Wo sich Fuchs und Hase „Gute Nacht“ sagen – und wo der Fuchs schon am hellichten Tage ein Huhn gestohlen hat – da wohnt Deborah Huemer-Korn. Deborah ist 33 Jahre jung, hat zwei Kinder, die Halbwaisen sind. Witwe ist sie keine. Der suchtkranke Vater der Kinder starb nach der Scheidung. Der Grund für ihre Wohnwahl in Abgeschiedenheit hat aber mit alledem nichts zu tun.

Deborah lebt fern dichter Wohnviertel, denn Deborah züchtet Hunde. Österreichische Pinscher bellen gerne, sind wachsam und gehören von Natur aus aufs Land. Das Haus, in dem vier Hunde, eine Katze, vier Rennmäuse und drei Menschen wohnen, gehört eigentlich zur Gemeinde Langen­ egg. Weil es aber teurer gewesen wäre, von Langenegg aus eine Straße herauf zu bauen, führt die Zufahrt über Krumbach, wie die ursprüngliche Wolfurterin schmunzelnd

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abends auch einmal Kerzen aufstellen. Insgesamt besitzt Andreas nur eine Handvoll Elektrogeräte: neben dem Handy eine Lampe, ein Laptop und ein paar Werkzeuge.

Das Leben abseits von materiellem Wohlstand, der inzwischen Standard geworden ist, lernte Andreas erstmals als Schäfer in den Bergen kennen. Fünf Sommer verbrachte er auf Alpen und in teils sehr rustikalen Schlafstätten. „Dort habe ich erfahren, wie glücklich ich bin, wie glücklich mich ein einfaches Leben macht: Ich habe die schönsten Sonnenuntergänge erlebt, und die gibt es jeden Tag und kosten nichts.

Man muss nur die Augen öffnen.“ Andreas spricht davon, dass mit einem begrenzten „Ereignishorizont“, also mit einer kleinen Summe und Breite von Aktivitäten wie etwa auf einer Alpe oder in einem Permakulturgarten, die Lebensqualität wesentlich höher ist. Der Zukunft sieht er inzwischen optimistisch entgegen: „Ich bin wirklich überzeugt davon, dass wir vieles zum Positiven verändern können, wenn jeder bei sich anfängt.“

erzählt. Eine halbe Stunde zügiges Gehen trennen Mutter, Sohnemann Jeremias (14) und Tochter Zoe (7) vom Dorfzentrum, sowohl nach Krumbach als auch nach Langenegg.

Als Nachteil empfindet die Alleinerzieherin die einsame Lage nicht: „Im Sommer ist der Garten meine Stube und ich bin mehr drinnen als draußen. Vier Wände und ein Dach über dem Kopf braucht man nur zum Schlafen.“ Die Frage, ob sie sich vorstellen könne, einmal in einer großen Stadt zu wohnen, verneint die gelernte Landschaftsgärtnerin, die derzeit als Küchengehilfin arbeitet, entschieden. Lachend fügt sie hinzu: „Es ist wie Urlaub, außer dass man viel Arbeit hat.“ Der Handyempfang ist bescheiden, je nach Wetter muss man auch einmal vor die Türe treten, um zu telefonieren.

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Die meisten Dinge im Leben haben Vor- und Nachteile. Im Grunde alle.

Doch Pflanzen zu pflanzen ist einfach nur sinnvoll.

Andreas’ Vision ist, nicht langfristig als Einzelkämpfer Lösungen aufzuzeigen, sondern sich mit gleichgesinnten Menschen zusammenzutun. Inzwischen gibt der Permakultur-Praktiker und Mentaltrainer auch Vorträge und leitet Seminare. Und da ist noch Sohnemann Levi, der es liebt, bei seinem Papa im Permakultur-Häuschen zu schlafen und schon beim Spielen mit Wasser lernt, es nicht wild drauf los zu verschütten. Schließlich müsste man dann wieder neues holen.

Deborah weiß, in der Stadt wäre es einfacher. Bis vor einem Jahr hatte sie noch kein Auto und ging sämtliche Wege zu Fuß, mit dem Rad oder dem Bus. Lange Gänge zum und vom Kindergarten miteingeschlossen.

Nachbarskinder gibt es keine, manchmal besucht die kleine Zoe einen Schulfreund in Dornbirn. Doch auch die Siebenjährige sagt, sie wolle nicht in der Stadt wohnen: „Ich mag die Sonne und die Luft hier, und das Spielen draußen.“

Unruhe in den Städten

Zugegeben, von November bis Februar gibt es „Im Fahl“, wie die einsame Straße heißt, kein Licht. Deborah spricht gar von einer Permafrostzone. Dann heißt es: viel Heizen. Steigen die Temperaturen im Frühjahr, kommt aber Leben ins Haus: Spinnen, Fliegen, Ameisen, Nachtfalter, Fledermäuse, Siebenschläfer – wer kein Kleingetier mag, ist hier fehl am Platz. „In den Wänden ist

Andreas

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manchmal Party“, sagt Deborah und meint vor allem Mäuse. Zoe wollte sich auch schon einmal eine als Haustier fangen.

Wer keine Insekten mag, sollte den Waldrand meiden. Deborah stört das Geflatter und Gekrieche nicht. Für sie gibt es keine Nachteile: „Das Stadtleben macht die Leute unruhig und scheuklappenblind.“ In der Stadt gehe jeder stur seines eigenen Weges, sehe nur sich selbst. Sie selbst merke das auch, wenn sie wieder mal ins vergleichsweise städtische Rheintal kommt. In der Natur dagegen lebe man die Kreisläufe von Geburt und Tod in den Jahreszeiten mit.

Genau das schätzt das ehemalige Kinderdorf-Kind Deborah, das einen bewegten Start ins Leben hatte, an ihrer heutigen Wohnsituation. „Die Natur hat mir geholfen, zu mir selbst zu finden.“

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Das Vorarlberger Straßenmagazin

So wohnt man klimaverträglich Text: Gernot Hämmerle, Foto: Privat

Der Wolfurter Energie-Experte Christof Drexel, Autor des Klimaschutz-Buches "Zwei Grad. Eine Tonne" (www.zwei-grad-eine-tonne. at), spricht mit der marie darüber, wie man möglichst klimaverträglich bauen und wohnen kann.

Foto: Shutterstock

enn es um den Hausbau geht, ist immer eine der ersten Fragen: "Was für eine Heizung soll das Haus haben?" Was würden Sie empfehlen?

Christof Drexel: Die Heizung ist im Bewusstsein der Menschen sehr wichtig. Dabei ist die Heizung selbst fast das Unwichtigste. Die Zahlen sprechen für sich: Wenn man das Gebäude so weit bringt, dass der Energieverbrauch anstatt 100 Kilowattstunden (Durchschnittswert in Vorarlberg) nur 15 kWh/m2 pro Jahr beträgt, wird es auch um diesen Faktor unwichtiger, womit ich diese Energie überhaupt einbringe. Ketzerisch gesprochen: Eine Ölheizung in einem 15 kWh-Haus ist besser als eine gute Wärmepumpe in einem 100 kWh-Haus.

Das heißt, eine hochwärmegedämmte Gebäudehülle ist sehr viel wichtiger als die Art der Heizung.

Ja. Schlecht gedämmte Gebäude liegen bei einem Energieverbrauch von 150 bis 200 kWh/m2 pro Jahr. Mit einer Sanierung kann man auf 30 kWh herunterkommen. Mit einem Passivhaus (also mit Komfortlüftungsanlage) bis auf 15 kWh. Wenn Leute zu mir kommen und mich fragen, welche Wärmepumpe ich anstelle der alten Ölheizung empfehlen würde, frag ich zunächst mal nach: Wie sieht’s mit dem Gebäude aus?

Dann kommt man meistens zum Schluss: Wenn deine Ölheizung funktionstüchtig ist, dann lass sie noch drin, aber dämm deine Fassade und setze Fenster mit bester

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Qualität ein, sobald diese Bauteile erneuert werden müssen. Da bewirkst du mehr, als wenn du in einem schlechten Gebäude eine leistungsstarke Wärmepumpe einsetzt.

Es geht einfach darum, zunächst einmal den Energiebedarf des Gebäudes so gut wie möglich zu verringern und dann mit einer kosteneffizienten Haustechnik zu arbeiten.

Aber natürlich wird im Idealfall das Gute kumuliert. Das bedeutet, wir brauchen einen niedrigen Energiebedarf und dann auch eine entsprechende Heizung und das ist heute die Wärmepumpe. Nur ist der Anspruch an die Effizienz der Wärmepumpe nicht mehr so hoch, wenn das Gebäude schon entsprechend gut ist.

Wie kann man am besten klimaverträglich bauen? Wo gibt’s am meisten Potential?

Grundsätzlich ist ein Mehrfamilienhaus klimaverträglicher als ein Einfamilienhaus auf der grünen Wiese. Bei mir war es vor 20 Jahren zum Beispiel so: Da stand ein altes Einfamilienhaus ziemlich ungünstig auf einem 2.700 m2 großen Grundstück. Der Architekt, der mit uns zusammen gebaut hat, ist auf die Idee gekommen, komm, lass uns das Haus abtragen und eine Wohnsituation für acht Familien schaffen. Mit dem Effekt, dass in der Wohnanlage insgesamt halb so viel Energie verbraucht wird, wie vorher in diesem Einfamilienhaus, aber acht mal so viele Familien drin wohnen. Da reden wir dann schon vom Faktor 16, was den Energieverbrauch pro Person betrifft.

Und die Leitungen, Abwasser, Stromanschlüsse etc. müssen nicht acht mal errichtet werden …

Das ist ja, was man allzu gerne vernachlässigt: Die Wohnnutzfläche, die wir uns pro Person leisten. Sowohl die Ressourcen für

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Energie-Experte und Autor Christof Drexel spürt in seinem Buch „Zwei Grad. Eine Tonne.“ mögliche Energie-Einsparpotentiale einzelner Lebensbereiche auf.

das Bauen als auch die Heizenergie beziehen wir in der Regel auf den Quadratmeter. Auf die Klimaverträglichkeit (CO2-Äquivalente-Emission pro Person pro Jahr) bezogen ist es aber natürlich ein riesengroßer Unterschied, ob man auf 150 m2 Wohnfläche alleine wohnt oder mit einer 4-köpfigen Familie. Wenn ich zum Beispiel in einem Passivhaus mit 150 m2 alleine wohne, ist meine CO2-Bilanz (trotz Passivhaus) schlechter, als wenn – im anderen Extremfall – eine Flüchtlingsfamilie zu viert in einer schlecht isolierten Wohnung auf 60 m2 lebt.

Das heißt, ich kann meine Klimaverträglichkeits-Bilanz radikal verbessern, wenn ich in einem Haus anstatt allein zu zweit oder noch besser zu dritt oder zu viert wohne. (Grinsend) Ein Plädoyer für Ehe und viele Kinder?! … für die Ehe, für Wohngemeinschaften, für das Generationen-Wohnen – was immer man will. Und auch ein Plädoyer gegen den Leerstand, das muss man ja auch sagen.

Wie viele Häuser mit 150-200 m2 werden nur noch von einer Person bewohnt? Oder gar nicht mehr bewohnt? Das ist dann natürlich das Ungünstigste, diesen Leerstand einfach so zu akzeptieren und stattdessen neue Gebäude zu errichten.

Zurück konkret zum Bauen. Gibt es von Ihnen eine Empfehlung bezüglich Materialien?

Materialien wie Beton, gebrannte Ziegel, Glas und Stahl sind deutlich ressourcenintensiver als Holz. Da liegt in etwa der Faktor Drei dazwischen. Also wenn man einen Holzleichtbau errichtet, kann man schon um etwa zwei Drittel weniger Ressourcen

einsetzen als das bei einem massiven Bau der Fall ist.

In Ihrem Buch „Zwei Grad. Eine Tonne“ ist nachzulesen, dass der durchschnittliche CO2-Verbrauch im Leben eines Mitteleuropäers zu rund einem Sechstel durch das Bauen und Wohnen zustande kommt.

Wenn ich jetzt an meiner Wohnsituation nicht mehr viel ändern kann oder will, wo sonst kann ich meine CO2-Bilanz relevant verbessern?

Kommt darauf an, welchen Lebensstil Sie pflegen. Wenn Sie viel fliegen, dann ist dort der größte Hebel drinnen. Wenn man nicht fliegt, dann ist – wohl für manche überraschend – über die Ernährung relativ viel zu machen. Die Ernährung nimmt mittlerweile dieselbe Größenordnung ein wie das gesamte Thema Bauen und Wohnen. Bei der Ernährung ist der Fleischkonsum die relevanteste Größe – und danach gleich die Milchprodukte. Das heißt aber nicht, dass man auf Fleisch- und Milchprodukte verzichten und zwingend vegan leben muss.

Es gibt viele Möglichkeiten. Alleine durch eine Ernährungsweise, wie sie etwa von der Weltgesundheitsorganisation WHO als das „gesunde Maß“ empfohlen wird, kommt man von 1,8 Tonnen CO2 im Jahr auf 0,8 runter. Also zum Beispiel nur einmal in der Woche Fleisch essen, die Milchprodukte reduzieren, auf biologische Qualität achten sowie regionale und saisonale Aspekte berücksichtigen.

Vielen Dank für das Gespräch!

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Das Vorarlberger Straßenmagazin

Den Mangel kultivieren Text: Daniela Egger

Nachbarschaftsinitiativen sind hip, ausleihen auch.

Zumindest wenn man liest, welche Arten von Gemeinschaft entstehen, weil überall vernetzt wird und weil immer weniger Menschen Lust haben, unnützes Zeug zu horten. emeinschaft entsteht immer aus ganz bestimmten Gründen und gehört definitiv zu den wesentlichen Faktoren einer guten Lebensqualität. Vieles lässt sich einfacher bewältigen, wenn man es gemeinsam angeht. Im Dorfleben von früher war es üblich, dass man Geräte und Arbeitskräfte zusammentrommelte, um etwa die Heuernte oder einen Hausbau zu bewerkstelligen. Das Ausleihen und Mithelfen war in den Städten zunächst einfach keine Notwendigkeit mehr, ihr Verschwinden erzeugte eine schleichende Vereinsamung, vor allem bei älteren und alleinstehenden Menschen. Die neue sharing economy, die im Grunde überhaupt nicht neu ist, befindet sich auch deshalb im Aufwind – es ist eine Gegenbewegung zur Vereinzelung in den Quartieren, es ist Umweltbewusstsein und Raumnutzung, es ist Kontakt zu Menschen in der Nachbarschaft und im Idealfall ist es auch ein gutes Miteinander. Neue Medien und Apps helfen dabei, die Nachfrage und die Angebote im engeren Umkreis zu vergleichen. Wer früher nebenan klingeln ging, um ein paar Eier auszuleihen oder frisch geerntete Äpfel zu bringen, wirft heute einen Blick auf das Smartphone und erfährt so, wann die auf der Online-Plattform angebotene Leiter zur Verfügung steht oder bucht die nächste Autofahrt im Car-sharing-Pool. Es gibt einige gut funktionierende Apps, die sich bewähren, beispielsweise das Amsterdamer Startup Peerby, auf dessen Homepage zu lesen ist: „Peerby liebt Menschen. Peerby liebt Nachbarschaften. Peerby liebt die Erde. Wir glauben, dass teilen die Zukunft ist und wir wollen es einfach und spaßig machen.“ Einfach und spaßig sollen auch die Bibliotheken für Dinge sein, die von Wien bis Berlin an vielen Orten aufpoppen und tausen-

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de Menschen anziehen. Es funktioniert genau wie eine Bibliothek: Mit einem jährlichen Mitgliedsbeitrag stehen den Mitgliedern Geräte und Gegenstände zur Verfügung, die man nicht täglich braucht. Man bringt eigene Geräte hin, um sie anderen zur Verfügung zu stellen und leiht sich beispielsweise fürs Gartenfest den Rasenmäher, die Bierbankgarnitur, ausreichend Gläser und den teuren Profi-Smoker aus. Oder man holt sich für ein Wochenende zu zweit das blitzend rote Tandem, das ab Montag wieder in der Bibliothek auf den nächsten Einsatz wartet. Das alles hat immer auch mit Begegnung zu tun, etwa wenn die neue Nachbarin mit einer Schubkarre im Garten arbeitet, die man kürzlich gerade selbst in die Bibliothek gebracht hat, dann ist ein kleiner Austausch über den Gartenzaun sehr einfach. Und wenn der Nachbar mit der Leiter ein bezauberndes Lächeln hatte, dann kann es vorkommen, dass genau diese Leiter kurzzeitig ganz oft gebraucht wird und daraus eine Freundschaft oder mehr wird. Willkommen im echten Begegnungsraum. So gesehen hat es enorm viele Vorteile, wenn nicht jedes Gerät zu Hause im Keller steht, sondern wenn eine gewisse Art von Mangel herrscht. Dieser sorgt für Bewegung und Kommunikation und das hat am Ende zur Folge, dass sich die Nachbarschaft kennt, Schönes und Erfreuliches miteinander teilt und sich gegenseitig unterstützt. Vielleicht wird sie auch aufmerksamer, wenn etwa die ältere Dame aus dem zweiten Stock seit Tagen nicht mehr aus dem Haus geht – einfach weil man wieder aufeinander schaut. Das klingt natürlich alles ein bisschen sozialromantisch, aber zumindest in Vorarlberg gibt es einen bewährten und längst etablierten Beweis, dass genau solche Dinge eintreten, wenn die Strukturen stimmen.

Der Talente-Tauschkreis in Vorarlberg bildet seit 22 Jahren ein erfolgreiches Netzwerk, in dem intensiv repariert, ausgeholfen, geteilt und ausgeliehen wird. Die Szene ist sehr aktiv, die über 1.800 Tauschkreismitglieder sind in diversen Regionalverbänden organisiert und bilden für sich eine Art Nachbarschaftsnetzwerk – auch wenn diese teilweise räumlich weit auseinander liegen. Der kooperative Geist sollte sich auch hierzulande in den nächsten Jahren noch weiter vernetzen lassen, denn er entspricht einem Grundbedürfnis des Menschen. Den Lebensraum teilen wir, ob wir wollen oder nicht – es liegt an uns, ihn zu gestalten und ihn mit einer solidarischen Haltung zu beleben. Wir können Hecken pflanzen und Zäune errichten, oder stattdessen einen Gemeinschaftsgarten mit Obst und Gemüse anlegen. Davon gibt es inzwischen auch eine große Anzahl in Vorarlberg, viele Gärtner und Gärtnerinnen machen die erstaunliche Erfahrung, dass die Ernte immer größer ausfällt als der Gemüse-Bedarf der Beteiligten. Es scheint einem Naturgesetz zu entsprechen, dass aus der Großzügigkeit auch die Fülle entsteht – jedenfalls sobald ausreichend Menschen mit dieser Haltung miteinander ins Tun kommen. Foto: Shutterstock

SPEZIAL

Fundstücke der Redaktion Filmtipp

Buchtipp

Impressum

Wohne lieber ungewöhnlich

Home Not Shelter!

Gemeinsam leben statt getrennt wohnen

Grundlegende Richtung Die Straßenzeitung marie versteht sich als Sprachrohr für die Anliegen von Randgruppen unserer Gesellschaft. marie ist ein Angebot zur Selbsthilfe für Menschen an oder unter der Armutsgrenze, die ihren Lebensmittelpunkt in Vorarlberg haben. Ziel ist die Förderung des Miteinanders von Menschen am Rande der Gesellschaft und der Mehrheitsgesellschaft. Die Hälfte des Verkaufspreises von 2,70 Euro verbleibt den Verkäufern. marie ist ein unabhängiges, soziales und nicht auf Gewinn ausgerichtetes Zeitungsprojekt.

Der 13-jährige Bastien ist Teil einer riesigen Patchwork-Familie mit der stolzen Anzahl von acht (!) Elternteilen.

Um dem Chaos rund ums Umziehen, Freizeitgestaltung und Sorgerecht ein Ende zu bereiten, beschließt der Nachwuchs, eine eigene WG zu gründen und bezieht eine große Altbauwohnung. Anhand eines ausgeklügelten Betreuungsplans sollen die Elternteile abwechselnd ihrer Sorgeverantwortung nachkommen. Da ist das Chaos natürlich vorprogrammiert ...

Belgisch-französische Komödie, 2016, ab Mitte August als DVD im Handel

Zitate "Allein schlafen fördert die Wohnungsnot."

Deutsches Sprichwort

"Wie Menschen denken und leben, so bauen und wohnen sie."

Johann Gottfried von Herder (1744 - 1803)

Ralf Pasel/Alexander Hagner/ Hans Drexler/Ralph Boch Guten Wohnraum für Menschen zu schaffen sieht der österreichische Architekt Alexander Hagner (gaupenraub+/-) als die ureigenste Aufgabe von Architektur und Städebau.

Hagner ist Mitbegründer von „Home Not Shelter“, einer grenzüberschreitenden Initiative, die sich vor allem der Aufgabe integrativer Wohnlösungen für Migranten und Studierende stellt.

Weitere Infos: homenotshelter.com

Workshops für Schulen Unit Architektur: Baukultur im Unterricht Damit zukünftige Generationen Siedlungsräume kompetent, verantwortungsbewusst und engagiert entwickeln können, hilft Unit Architektur Baukultur als fächerübergreifendes Thema an Schulen zu vermitteln.

Unit Architektur ist dabei ein lernendes System, initiiert und begleitet durch das vai Vorarlberger Architektur Institut. Jede Unit/Lerneinheit wird in Zusammenarbeit mit ExpertInnen aus Pädagogik und Architektur entwickelt, aufbereitet und veröffentlicht. Lerneinheiten werden kontinuierlich verbessert und das Angebot verbreitert.

Das Architektur-Vermittlungsprogramm ist mit unterschiedlichsten Bausteinen auf alle Schulstufen, Fächer und Schwierigkeitsstufen ausgerichtet. Das Vorarlberger Architektur Institut hilft bei der Umsetzung. www.unitarchitektur.at

Redaktion marie – Die Vorarlberger Straßenzeitung, Am Kehlerpark 5, Top 34, 6850 Dornbirn Telefon: 0677 61538640 eMail: redaktion@marie-strassenzeitung.at Internet: www.marie-strassenzeitung.at Redaktion dieser Sonderausgabe: Simone FürnschußHofer (Leitung), Frank Andres, Bettina Bohne, Sara Bonetti, Daniela Egger, Gernot Hämmerle, Petra Rainer, Darko Todorovic, Christina Vaccaro.

Zeitungsausgabestellen: Dornbirn Kaplan Bonetti Sozialwerke Kaplan-Bonetti-Straße 1 Montag und Mittwoch 14 bis 15 Uhr und Freitag von 8 bis 9 Uhr Anzeigen Kontakt: anzeigen@marie-strassenzeitung.at Medieninhaber und Herausgeber Verein zur Förderung einer Straßenzeitung in Vorarlberg, ZVR-Zahl 359044778 6833 Klaus eMail: redaktion@marie-strassenzeitung.at Externe Beiräte DSA Markus Hämmerle, DSA Heidi Lorenzi, Cornelia Matt, Mag. Peter Mayerhofer, Dr. Claudio Tedeschi Druck: Russmedia Verlag GmbH, Schwarzach Auflage 12.000 Exemplare Erscheinungsweise: Das marie Spezial ist eine Sonderausgabe der Monatszeitschrift marie.

Gestaltung/Layout/DTP Alexander Grass Bildbearbeitung Fitz Feingrafik Illustrationen Christoph Abbrederis Bankverbindung & Spendenkonto Raiffeisenbank im Rheintal IBAN: AT94 3742 0000 0648 3580 BIC: RVVGAT2B420 © 2018 marie. Alle Rechte vorbehalten.