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Der Feind heißt Putin, nicht Puschkin
Das Zitat stammt von PEN (deutsche Schriftstellervereinigung)-Präsident Deniz Yücel, und Stephanie Gräve, Intendantin des Vorarlberger Landestheaters nennt es gleich zu Beginn des Gesprächs mit der marie über die Situation russischer Künstler*innen inmitten des Krieges.
Interview: Daniela Egger, Foto: Anja Köhler
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marie: Wie geht man in der Kunst- und Kulturwelt damit um, dass sich manche von ihnen sofort deutlich distanzieren, während andere ihre Nähe zu Putin aufrechterhalten? Stephanie Gräve: Es kann nicht darum gehen, jetzt Menschen und Künstler*innen aus Russland zu verdammen. Was zum Teil gerade geschieht ist eine Überreaktion – etwa wenn ich höre, dass sich Kolleg*innen dafür rechtfertigen müssen, ein Tschaikowsky-Konzert nicht abzusagen. Auch die russische Kultur hat uns geprägt, große Meisterwerke kommen aus Russland, diese Kunst war oft sehr mutig und kritisch. Jetzt alles in Bausch und Bogen zu verdammen ist nicht akzeptabel. „Es ist eine Anmaßung von unserer Seite, in unseren bequemen Sesseln sitzend zu fordern, die gegenwärtigen Künstler*innen müssten sich positionieren. Wir können gar nicht absehen, was eine Positionierung gegen Putin für sie bedeutet.“
Als hätten wir keine Wagner-Opern auf unseren Bühnen ... Ja, da müssten wir einiges aus unseren Regalen räumen, wenn wir so konsequent sein wollten. Es ist eine Anmaßung von unserer Seite, in unseren bequemen Sesseln sitzend zu fordern, die gegenwärtigen Künstler*innen müssten sich positionieren. Es ist großartig, wenn sich einzelne trauen und ich bewundere jede Frau und jeden Mann, die jetzt ihre Stimmen erheben oder ihre Stellen niederlegen. Auch vor Kyrill Petrenko habe ich großen Respekt, weil er sich sofort klar geäußert hat. Aber ich möchte niemanden verurteilen, der das nicht tun kann. Wenn wir als Kulturschaffende jetzt Druck auf Künstler*innen ausüben, können wir gar nicht absehen, was eine Positionierung gegen Putin für sie bedeutet. Diese Menschen haben dann nicht mehr die Möglichkeit in Russland einzureisen, um die eigenen Eltern zu besuchen. Die Gefahr, verhaftet zu werden, ist groß. Es gibt auch berühmte Beispiele mit erklärter Treue zum Kreml, etwa Valery Gergiev. Findest du es richtig, ihn zu kündigen? Der Chef-Dirigent der Münchner Philharmonie Valery Gergiev ist ja regelrecht rausgeworfen worden, und das finde ich wiederum nachvollziehbar. Jemand, der so exponiert ist wie er und sich ausdrücklich zu seiner Nähe zu Putin und dem Regime bekennt, ist nicht tragbar. Da muss man angesichts der Situation schon erwarten können, dass er sich distanziert. Ich würde auch von gewissen Politiker*innen erwarten, dass sie sich jetzt deutlich distanzieren, auch in Österreich. Die Situation in Russland ist allerdings sehr komplex – Freunde von mir arbeiten mit dem griechischen Dirigenten Teodor Currentzis, der schon in St. Petersburg studierte und seither in Russland arbeitet. Er ist ein mutiger Künstler, der sich auch schon kritisch zu Putin geäußert hat. Er hält sich aber derzeit zurück mit Äußerungen, obwohl er persönlich weniger zu befürchten hat, er hat einen griechischen Pass und könnte jederzeit ausreisen. Aber natürlich hat er als Leiter eines Theaters in Perm eine Verantwortung gegenüber seinen Mitarbeiter*innen übernommen. Soll er die gemeinsame Arbeit, all diese Menschen sich selbst überlassen? Ein fürchterliches Dilemma, das ich mir gar nicht ausmalen möchte. Wir befinden uns hier in großer Sicherheit und erwarten, dass sich Menschen innerhalb eines höchst brutalen Systems äußern? Unter welchem Druck sie stehen, können wir gar nicht einschätzen. Ich denke, wir sollten uns da zurückhalten.
Die prominenteste Primaballerina des Bolschoi Theaters, Olga Smirnova, hat das Land verlassen und tanzt jetzt in Amsterdam. Kann sie damit ein Zeichen setzen? Ja, das ist bewundernswert, und zum Glück haben solche Künstler*innen es auch leicht, sofort einen neuen Vertrag zu bekommen. Sie sendet ein wichtiges Signal und gibt dabei sicher auch vieles auf. Ich hatte ein Gespräch mit einem Dirigenten aus Finnland, der berichtet hat, wie viele russische Flüchtende derzeit in sein Land kommen. Künstler*innen, aber auch alle möglichen Leute, die diesen Krieg nicht unterstützen wollen. Junge Männer, die nicht in der Ukraine kämpfen wollen ...
Du hast eine Lesung in deinem Haus veranstaltet mit Texten ukrainischer Autorinnen – planst du die Einbeziehung ukrainischer Künstler*innen und können Kulturhäuser so unterstützend wirken?
Es gibt Anfragen, Residenzen für ukrainischer Künstler*innen bereit zu stellen. Ich bin unsicher – natürlich finde ich es wichtig, etwas zu machen. Aber die Frage ist, was wir wirklich realisieren können. Ob es Publikum dafür gibt. Ich bin immer noch erschüttert, dass unsere Lesung so schlecht besucht war – wir hatten vielleicht 40 Leute im Publikum. Ein Berliner Kollege von mir hat ähnliches erzählt. Ich frage mich, was wir ukrainischen Künstler*innen jetzt anbieten können. Der Markt bei uns ist schwierig, wir sind ein winziges Theater und deshalb unbeweglich, die Planung ist bis Sommer 2023 fixiert. Aber diese Frage darf ja auch noch etwas Zeit beanspruchen, ich glaube sowieso, dass oft viel zu schnell reagiert wird, wie man an der aktuellen Cancel Culture (Absagekultur) sehen kann. Früh übt sich, was ein Meister werden will.
F. Schiller
Wer an das Gute im Menschen glaubt, bewirkt das Gute im Menschen.
J. Paul
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