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Auf Fortunas Spuren
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WIESO MEIN GEHIRN GERNE GLÜCKLICH IST UND WARUM ICH PROBLEME BRAUCHE
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Zum Jahreswechsel wird manch eine nachdenklich. Manch einer sucht, heimlich, Antwort in einem Ratgeber der boomenden „Glücksratgeberindustrie“. Die Autorin dieser Zeilen, leicht philosophisch angehaucht, stößt zufällig auf einen Podcast des Hirnforschers Gerald Hüther. Anstelle von Tipps erfährt sie, was Glück neurobiologisch bedeutet und weshalb ihr Gehirn – ob sie will oder nicht – danach strebt.
Text: Christina Vaccaro, Foto: iStock
„GLÜCK IST KEIN GESCHENK DER GÖTTER, SONDERN DIE FRUCHT INNERER EINSTELLUNG.“
Erich Fromm, Psychoanalytiker Zuerst die schlechte Nachricht: „Solange wir lebendig sind, wird uns immer etwas stören.“ Dieser Satz stammt vom deutschen Hirnforscher Gerald Hüther, der sich intensiv mit dem Thema Glück beschäftigt. Diese Erkenntnis ist mir nicht neu und in zahlreichen Zitaten anderer Denker wiederzufinden. Dennoch schadet es nicht, sich diese Eigenheit des Menschen immer wieder herzuholen – nicht als abstrakte Denke, sondern ganz konkret. In meinem Fall zum Beispiel: Auch wenn mich Person X momentan auf die Palme bringt, werde ich nicht glücklicher sein, wenn ich von ihr Abstand gewinne. Denn garantiert findet mich jemand anderer, der mich nervt. Oder: Auch wenn mein letztes Feldexperiment im Rahmen meines Forschungsprojektes vorbei sein wird und ich mir erhoffe, dass mein Leben fortan entspannter sein wird, wartet ganz bestimmt die nächste fordernde Aufgabe auf mich.
Deprimierend? Nicht so vorschnell. Hüther definiert Glück als einen Zustand, „wo alles richtig gut zusammenpasst. Wo die Erwartungen mit den Realitäten übereinstimmen, wo das Denken, Fühlen und Handeln eine Einheit bilden.“ Diesen Zustand nennt der Neurobiologe, etwas sperrig, Kohärenz im Hirn. Er meint damit, dass in uns Ordnung zwischen dem Außen (Realität) und Innen (Erwartung) besteht und dass das, was wir tun, auch mit dem übereinstimmt, was wir denken und fühlen. Dieser Zustand ist günstig – es ist ein Zustand unseres Gehirns, der ganz wenig Energie verbraucht.
Gibt es Glück nur als Wimpernschlag zwischendurch? Die gute Nachricht: Nein, denn „es gibt Menschen, die sind im Leben glücklich – nicht nur im Augenblick“, also nicht nur dann, wenn gerade zufällig alles passt. Diese Menschen zeichnen sich darin aus, offen zu sein für alles, was an Problemen auf sie zukommt. Das tönt unsympathisch platt, ein bisschen zu einfach, ich weiß. Aber jedes Mal, wenn ich mir bewusst mache, dass „Probleme“ – Personen, die mich nerven, Arbeitstage, die (zu) lange, Aufgaben, die (zu) komplex sind – NICHT die Ursache meiner gefühlten Unzufriedenheit sind, sondern nur das Ergebnis meiner inneren Unstimmigkeit zwischen Realität und Erwartung, dann geht es mir tatsächlich jedes Mal besser.
„NICHT DIE GLÜCKLICHEN SIND DANKBAR. ES SIND DIE DANKBAREN, DIE GLÜCKLICH SIND.“
Sir Francis Bacon, englischer Philosoph
Das Durcheinander im Gehirn
Wenn ich mir etwas ganz anders vorgestellt habe, als es in Wirklichkeit ist, bewirkt das in meinem Gehirn einen unliebsamen Zustand des Durcheinanders, der viel Energie kostet. Es läuten die Alarmglocken. Und das mag mein Hirn nicht nur nicht, das fühlt sich auch ganz und gar nicht gut im Rest des Körpers an. Denn die Inkohärenz von Realität und Erwartung bringt auch andere Gehirnareale durcheinander und wirkt sich negativ auf die Regelung von Körperfunktionen aus – man bekommt deshalb ungute (Körper-)Gefühle, etwa im Magen, oder beispielsweise Verdauungsbeschwerden. Dasselbe Gehirn-Durcheinander entsteht, wenn ich mein Leben nicht mit meinem Denken und Fühlen in Einklang bringen kann und zum Beispiel einer Arbeit nachgehe, die ich nicht mag oder nicht als sinnstiftend empfinde, oder, in meinem Fall, wenn ich zu sehr auf meine Arbeit fokussiert bin und immer wieder einmal das unschöne Gefühl bekomme, mein Leben zu wenig zu genießen und den Menschen, die mir nahe sind, zu wenig Aufmerksamkeit schenke. Dann stimmt, was ich tue, nicht mit dem überein, was ich als wertvoll empfinde, und diesen Spagat versucht mein Gehirn irgendwie zu lösen.
Zur Neurobiologie des Gehirns gäbe es noch viel mehr zu sagen und zu schreiben, belassen wir es aber bei einem Zusatz: Mein erlebtes Glück ist umso größer, desto schlechter der vorherige Zustand war und desto mehr es mit meiner eigenen Leistung zu tun hat, dass ich dieses Durcheinander wieder in Ordnung gebracht habe. Ich denke, jeder kennt hier Beispiele aus seinem eigenen Leben und kann sich erinnern, wie er oder sie nach einem finsteren Tief die zurückgekehrte Lebensfreude besonders intensiv wahrnahm. Natürlich ist es keine Lösung, sich absichtlich in Gräben zu stürzen, um danach wieder mehr Fröhlichkeit empfinden zu können.
Das Glück, Probleme zu haben
Es gibt – zum Glück – Momente im Leben, in denen es gerade für uns stimmt. Ein neuer Job mit spannenden Aufgaben, das Kennenlernen eines netten Menschen, et cetera. Doch dieser Zustand ist meist von kurzer Dauer: Nach der ersten Einarbeitungszeit tritt das schlechte Arbeitsklima zutage oder die Freundin beziehungsweise der Partner, von dem man dachte, er wäre dieses und jenes, ist in Wahrheit ganz anders. Wir erkennen, dass wir uns einiges nur eingebildet, uns vorgemacht haben.
Einen Zustand, in dem man immerzu glücklich ist, kann es eigentlich nicht geben, „es sei denn, man hat das Glück im Leben, dass man genügend Probleme hatte – immer wieder, von klein an. Immer wieder neue Probleme, immer wieder andere Probleme, aber nur solche, die man auch lösen kann. Wenn man gelernt hat: Was auch immer kommen mag, das krieg ich jetzt auch noch hin“, so Gerald Hüther. Seine Botschaft heißt: Mit den Problemen glücklich sein (lernen), anstatt sich zu wünschen, keine Probleme zu haben. Das „Durcheinander“ im Gehirn ist normal, gehört zum Leben dazu. Ich finde es ziemlich wichtig, das nicht zu vergessen und aktiv umzusetzen. Ein „Problem“ – wie oft ist es eine Kleinigkeit, die uns stört und die Bezeichnung „Problem“ eigentlich gar nicht verdient – einfach einmal gut sein zu lassen, anstatt tagelang damit spazieren zu gehen, es immer wieder und wieder gedanklich wiederzukäuen. Sich aktiv zu sagen: Jetzt beschäftige ich mich nicht mehr damit, lasse mir davon nicht meinen Tag vermiesen. Das hat nichts mit Verleugnen zu tun, sondern mit kluger Lebensführung. Wenn ich mir überlege, wie oft ich mir sinnloserweise Tag um Tag Sorgen um etwas gemacht habe, muss ich mir an den Kopf greifen.
Handelt es sich WIRKLICH um ein Problem, das allerdings (momentan) nicht von einem selbst geändert werden kann, ist es ratsam, es zu akzeptieren. Freilich ist das keine Aufforderung, alles zu akzeptieren – viele Dinge können wir beeinflussen, verbessern. Aber wenn nicht – die Erwartung, dauernd glücklich zu sein, ist verwegen, und muss an sich schon zu Unglück führen.
Was bleibt? Man kann nicht permanent glücklich sein. Doch im Wissen, dass man das, womit man gerade zu kämpfen hat, auch wieder hinbekommt, kann man sich das Glück erarbeiten.
Gerald Hüther, Neurobiologe und Vorstand der „Akademie für Potentialentfaltung“. Mehr Infos auf: www.gerald-huether.de Link zum Podcast „Gerald Hüther: Wie werde ich glücklich? – Folge 054 – GedankenGut Podcast SPECIAL: https://www.youtube.com/watch?v=_XsI3m2GO2E