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Die ökologische Zukunft des Planeten

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Wie sieht es im Jahr 2050 aus?

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Welchen Unterschied wird es machen, wenn wir uns an die Emissionsziele halten? Während der COP26 im November in Glasgow, reiste The Big Issue in die Zukunft, um basierend auf wissenschaftlichen Modellen und Expertenmeinungen die besten und schlechtesten Szenarien herauszufinden.

Von Sarah Wilson

SZENARIO MIT GERINGER ERDERWÄRMUNG

2050: Die Welt hält an ihren Klimazielen fest und hat die Treibhausgasemissionen ab 2020 erfolgreich gesenkt. Die meisten Länder, einschließlich des Vereinigten Königreichs, erreichten Netto-Null-Emissionen, aber historische Treibhausgase bedeuten, dass die Erde jetzt um 1.3°C wärmer im Vergleich zu vorindustriellen Temperaturen ist.

Es ist 6 Uhr morgens, als dich dein Schlafassistent weckt, indem er das Radio einschaltet und die Helligkeit deiner Nachttischlampe allmählich hochdreht. Der Verkäufer hatte dir versprochen, dass das Gerät deinen Schlafrhythmus überwachen und dich im optimalen Moment wecken würde, aber nach deiner morgendlichen Müdigkeit zu urteilen, wurdest du abgezockt.

Es ist Anfang Dezember und die Luft ist kühl, also greifst du zum Bedienfeld über deinem Bett und schaltest die Heizung ein. Zwei Stockwerke unter dir hörst du die Wärmepumpe surren, und dein gut isoliertes Zimmer füllt sich schnell mit warmer Luft. Der DJ spielt ein Teaser-Track zu Adeles kommendem Album, 60, während du dir einen Bademantel überwirfst und dich über ihre Ausdauer wunderst.

Als du die Vorhänge zurückziehst, stellst du erleichtert fest, dass der seit zwei Wochen andauernde Regen endlich der Sonne gewichen ist, die durch eine dünne graue Wolke hindurchscheint. In den Radionachrichten heißt es, dass die Überschwemmungen der letzten Woche in York und Teilen Londons fast die Barrieren durchbrochen hätten, und du denkst an Susan, die vor zehn Jahren in den Wohnkomplex zog, nachdem ihr Haus in Fairbourne, Wales, vom Meer überflutet wurde. Du kannst dich glücklich schätzen, dass du dich entschieden hast, hier zu leben. Die meisten deiner Mitbewohner erlebten ähnliche Geschichten: Wirbelstürme, Waldbrände, Überschwemmungen und Taifune zwangen sie, ihre Häuser zu verlassen.

„Fake-on“ und Wohngemeinschaften

Deine Gedanken werden durch den Geruch von Speck unterbrochen, der aus der Küche hereinweht und dich daran erinnert, dass der beste Koch des Hauses für das Frühstück zuständig ist. Die heutige Mahlzeit besteht aus einem Teller mit Toast, „Fake-on“, Spinat und ein paar Eiern aus dem Hühnerstall im Gemeinschaftsgarten des Gebäudes. Fleisch ist heutzutage ein seltener Leckerbissen, und wenn man es bekommt, wird es meist im Labor hergestellt und mit alternativen Proteinen gemischt. Das Brot ist selbst gebacken, und zwar von den Rentnern, die in deinem Gebäude wohnen und deren Begeisterung für das Backen die Sehnsucht nach der guten alten Zeit des Schnees zu Weihnachten und der Dieselautos gerade so wettmacht.

Du wohnst jetzt seit fünf Jahren hier und bis auf einen seltsamen Mitbewohner, der immer nur nachts auftaucht, kommst du mit allen gut aus. Wohnkomplexe mit Gemeinschaftseinrichtungen entstanden erstmals in den 2030er Jahren, als die Klimakrise Millionen von Menschen zu vertreiben begann und die Bauträger gezwungen waren, neue Wege zu gehen. Zunächst ging es um zusätzlichen Platz, doch im Laufe der Zeit trugen die Baukomplexe dazu bei, Einsamkeit, Spannungen in der Gesellschaft und, dank staatlich subventionierter Mieten, soziale Ungerechtigkeit zu verringern.

Deine Mitbewohner verweilen nach dem Frühstück in der Küche. Da heute Freitag ist, haben die meisten ihre Vier-Tage-Woche beendet und machen sich im Laufe des Tages auf den Weg zu verschiedenen Freiwilligenprojekten.

Vier-Tage-Woche

Für die meisten ist die Fünftagewoche nur mehr eine weit zurückliegende Erinnerung. Als die Vier-Tage-Woche zum ersten Mal eingeführt wurde, handelte es sich um eine Notmaßnahme zur Verringerung des CO2-Ausstoßes, aber heute genießen 80 Prozent der Arbeitnehmer ein dreitägiges Wochenende. Ursprünglich wurde bei der Masseneinführung versucht, die Freiwilligenarbeit am freien Tag zu fördern, obwohl du persönlich deinen freien Montag gerne dafür nutzt, um auf dem Sofa zu liegen.

Der ständige Regen war zwar lästig, aber er bedeutet auch, dass man sich nicht mehr mit der Wasserversorgung für die Dusche herumärgern muss. Das Badewasser, das aus einem Regenwassertank auf dem Dach kommt, tröpfelt durch die Rohre, wird erwärmt und aufbereitet, bevor es aus dem Duschkopf kommt.

Unter Zeitdruck machst du dich fertig, eilst zurück in dein Zimmer und ziehst dir etwas an. Deine Jeans ist eine „Lifetime“-Jeans aus dem Jahr 2030, die mit Lasern statt mit den wasserintensiven Methoden aus den frühen 2000er Jahren hergestellt wurde. Das Shirt, das du dir über den Kopf ziehst, besteht aus recycelten Orangenschalen, und dein Anorak ist aus zweiter Hand und mit Vlies aus alten Plastikflaschen gefüttert. Deine Stiefel sind aus altem Leder, die du in einer Tauschbörse am Ende der Straße gegen ein Paar Brogues getauscht hast.

Du besitzt nicht mehr so viele Kleidungsstücke wie früher. Der Markt wird von Vintage-, Secondhand- und unabhängigen Einzelhändlern beherrscht und es gibt enorme Preisnachlässe auf neue Kleidung, wenn man nicht mehr benötigte Kleidungsstücke an Bekleidungsgeschäfte zurückgibt, die diese entweder weiterverkaufen oder zu neuem Leben erwecken. Dank des Erfolgs einer großen öffentlichen Kampagne vor einigen Jahren ist die alte Mentalität des Wiederverwendens,

– Die besten und die schlechtesten Szenarien für die ökologische Zukunft des Planeten

Reparierens und Recycelns zurückgekehrt und die Schulen machen Nachhaltigkeit und Handarbeit zu einem zentralen Bestandteil des Lehrplans.

Carsharing und schnelle, billige Züge

Nachdem du dich angezogen hast, überlegst du kurz, ob du mit dem Fahrrad zur Arbeit fahren sollst, aber das Risiko, hinter dem „Fahrradbus“ der Schule stecken zu bleiben, ist es nicht wert, und du öffnest stattdessen deine Ryder-App. In fast jeder größeren Stadt gibt es inzwischen eine Variante dieser App, mit der man sich mit anderen, die in die gleiche Richtung fahren, zusammentun kann, was Millionen von Autos von der Straße fernhält. Es gibt drei Leute, die in deine Richtung fahren, also tippst du auf denjenigen mit dem normalsten Profilbild (tut mir leid, Herr Lycra) und machst dich auf den Weg, um an den Ladestationen des Gebäudes zu warten.

Du wirst von einer gesprächigen Frau aus der Gegend abgeholt, die dir von ihrem letzten Urlaub mit einem Hochgeschwindigkeits-Interrail-Ticket erzählt. Seit der Beschleunigung des Eisenbahnbaus in den späten 2020er Jahren sind die internationalen Züge schnell, billig und attraktiv. Der Flugverkehr hat noch nicht aufgehört, aber er ist drastisch zurückgegangen, da die meisten Flüge nun mit Wasserstoff betrieben werden und Inlandsflüge verboten sind. Wie fast jedes Auto auf der Straße wird auch das, in dem du heute unterwegs bist, elektrisch betrieben.

Du saust an der Hauptstraße vorbei und beobachtest, wie die Besitzer der örtlichen Cafés zum ersten Mal seit Wochen die Abdeckungen ihrer Außenbestuhlung zurückklappen. Hier wimmelt es bereits von Familien, Spaziergängern mit Hunden und Joggern, die alle viel mehr Platz haben, seitdem die Straße für Fußgänger und Radfahrer erheblich erweitert wurde.

Die „15-Minuten-Stadt“ hat sich nicht überall perfekt entwickelt, aber Annehmlichkeiten, Geschäfte und Unterhaltungsangebote sind für die meisten Menschen auch ohne Auto erreichbar, sodass die lokale Wirtschaft boomt. In Stadtzentren, in denen die Besucherzahlen später zurückgingen, wurden leer stehende Geschäfte an Kunst- und Wohltätigkeitsorganisationen übergeben, um zusätzlichen Raum für Kultur, Freizeit und kommunale Dienste zu schaffen.

Städtische Wälder = saubere Luft

Dank der städtischen Wälder, die vor langer Zeit gepflanzt wurden, um Kohlenstoff zu binden und die hohen Sommertemperaturen, die jedes Jahr in den Städten herrschen, abzukühlen, gibt es heute überall Grünflächen. Die Luft ist sauberer. Längst verschwundene Wildtiere kehren zurück und es wurde ein komplexes System von Zäunen und Sensoren entwickelt, um möglichst viele Tiere von den Straßen fernzuhalten, wo die leisen Motoren von Elektroautos oft tödlich sein können.

Nach einer kurzen Fahrt wirst du von einem Shuttle-Boot abgesetzt, das dich zu dem Offshore-Windpark bringt, in dem du die letzten Jahrzehnte als Turbineningenieur gearbeitet hast. Als vor Jahren die ersten Windparks in großer Zahl vor den britischen Küsten entstanden, beschwerten sich Nein-Sager, sie würden die Aussicht verderben. Als die Gasverknappung diese Haushalte in Bedrängnis brachte, verstummten sie bald.

Dein Arbeitstag ist gegen 18 Uhr zu Ende. Du fährst mit dem Bus nach Hause, wo der örtliche Bauernhof eine Gemüsekiste an deine Haustür geliefert hat. Aufgrund von Dürren und Ernteausfällen auf der ganzen Welt sind Engpässe in den Supermärkten keine Seltenheit, aber die zunehmende Verwendung saisonaler britischer Produkte sorgt für eine gewisse Stabilität in der Lebensmittelversorgung.

Du nimmst die Kiste an dich und denkst ungläubig an die Zeit zurück, als Obst noch einzeln in Plastik verpackt war. Die Ozeane sind auch heute noch voll davon, aber Einwegplastik wurde fast vollständig aus den Produktionsprozessen entfernt, und es werden große Säuberungsaktionen durchgeführt, um so viel wie möglich aus der weltweiten Wasserversorgung zu entfernen.

Ein Glas englischer Wein

Du willst am Abend mit einem Freund in einer Bar etwas trinken gehen. Seitdem die Fußgänger weite Teile der Städte zurückerobert haben, ist die Straßenbeleuchtung stark verbessert worden, und der Fußabdruck ist auch in der Nacht hoch. Du kennst deine Nachbarn und fühlst dich sicher, als du allein zur Bar gehst, wo du dich mit deinem Freund hinsetzt und zwei Gläser 2040er englischen Wein bestellst. Du fühlst dich ein wenig schuldig, als die Getränke ankommen, weil du dich daran erinnerst, dass Teile Englands durch die Klimakrise bessere Bedingungen für den Weinanbau hatten, während Teile Südeuropas verbrannten. Wie immer wendet sich das Gespräch bald diesen unglücklicheren Teilen der Welt und den Nationen zu, die ungerechterweise den Preis für die von den wohlhabenderen Ländern verursachten Emissionen zahlen.

Die Dinge sind keineswegs perfekt, aber die Welt ist ein weitaus besserer Ort, als sie es gewesen wäre, wenn die Staats- und Regierungschefs in den 2020er Jahren nicht auf die Emissionsbremse getreten wären. Gott sei Dank wurde auf dem COP26 in Glasgow vor all diesen Jahren eine Einigung erzielt. Nach und nach wird die Erde sauberer und grüner, und die Wissenschaftler sagen, dass die Temperaturen allmählich wieder sinken werden. >>

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SZENARIO MIT STARKER ERDERWÄRMUNG

2050: Die Länder der Welt haben ihre Klimaziele nicht erreicht, und die Treibhausgasemissionen steigen ab 2020 weiter an. Die Erde ist jetzt 2,4 °C wärmer als vor der Industrialisierung, was sich verheerend auf das Klima und die Umwelt auswirkt.

Du weißt nicht mehr, ob es der Wind war, der an deinem Fenster gerüttelt hat, oder der Husten aus dem Nebenzimmer, der dich zuerst geweckt hat, jedenfalls sitzt du schon seit einer halben Stunde aufrecht im Bett.

Deine Freundin Layla und ihr Sohn Daniel wohnen in deiner Wohnung, seit ihr Haus in Hull überflutet wurde. Sie hatte das Haus vor 20 Jahren gekauft und dem Versprechen eines Bauträgers vertraut, dass das Wohnen in einem Überschwemmungsgebiet nur ein „minimales Schadensrisiko“ darstelle, wenn man die Hochwasserschutzwände berücksichtige.

Vor ein paar Wochen wurden diese Schutzwände über Nacht durchbrochen. Laylas Versicherungsgesellschaft wurde mit Schadensersatzansprüchen überhäuft und knickte ein, sodass sie nirgendwo hin konnte. Daniels Asthma ist seit dem Vorfall wieder aufgeflammt und die hohe Luftverschmutzung in ihrer Straße hilft seinem Husten nicht.

Trotzdem, denkst du, könnte es schlimmer sein. Die vom Vereinigten Königreich vermasselte Umstellung auf Elektrofahrzeuge war zumindest ein Versuch. In den USA hat sich die Autofahrerlobby stur gestellt (danke, Trump 2024), wodurch das Fahren von benzinbetriebenen Autos zur nächsten Zielscheibe des Kulturkampfes wurde. Amerikaner, die sich einst darüber beschwerten, dass sie wegen des Coronavirus Masken tragen mussten, bedecken nun ihr Gesicht aus Angst, ihre Lungen zu zerstören.

Während du daran denkst, klingelt dein Telefon mit dem heutigen Verschmutzungsalarm: „Medium". So gut wie schon lange nicht mehr, denkst du optimistisch, als du die Nachrichten einschaltest.

Brände, Überflutungen und Wirbelstürme

Du bist nicht ganz sicher, warum du das tust – vielleicht weil du dich dazu verpflichtet fühlst. Oder vielleicht, um dich daran zu erinnern, wie viel schlimmer die Dinge sein könnten. Jeden Tag eine neue Katastrophe, jeden Tag Menschen, die durch Brände, Überflutungen und Wirbelstürme aus ihrem Zuhause vertrieben werden. Die Hilfsorganisationen tun ihr Bestes, aber der unaufhörliche Ansturm von Krisen macht es schwierig, schnell genug zu reagieren. Dich plagt ein schlechtes Gewissen, als du dich daran erinnerst, dass du letzte Woche deine Lastschrift an einen Katastrophenhilfsfonds storniert hast. Nachdem du deinen Job verloren hast, konntest du es dir einfach nicht mehr leisten.

Als ob das nicht schon schlimm genug wäre, schaltet der Nachrichtensprecher zu einem kurzen Beitrag über die Prominenten, die sich zusammengetan haben, um „Lean On Me“ zu singen, in der Hoffnung, den Opfern des jüngsten Wirbelsturms auf den Philippinen etwas Hoffnung zu signalisieren. Du denkst verbittert über die millionenschweren Bunker nach, die diese Menschen unter der Erde besitzen, wenn es wirklich schlimm wird. Obwohl du dich fragst, ob es das wert wäre, mit ihnen dort eingesperrt zu sein.

Deine Wohnung, ein umgebautes viktorianisches Stadthaus, wurde nach dem Zusammenbruch des Regierungsprogramms „Build Back Blazing“ im Jahr 2023 nie richtig isoliert. An Wintertagen wie heute kriecht die kalte Luft durch die Bodendielen nach oben und macht deine Zehen taub. Dein Dach wurde vor Jahren mit Solarzellen ausgestattet, aber der Hersteller sparte an allen Ecken und Enden und entschied sich für billige, minderwertige Materialien, die den immer extremer werdenden Wetterbedingungen im Vereinigten Königreich nicht gerecht werden: Winter mit extremen Regenfällen und Sommer mit extremer Hitze. Du schaltest den Heizkessel ein, der immer noch mit Gas betrieben wird, und ziehst die Jalousien hoch. Die Straße ist mit Plakaten übersät und das Schaufenster gegenüber zerbrochen. Du wunderst dich, dass du von dem Aufruhr nicht wach geworden bist. Es ist schwer, sich an eine Zeit zu erinnern, in der die Menschen nicht protestiert haben und noch schwerer, sich genau zu erinnern, wogegen sie protestieren – es gibt so viel, worüber man wütend sein kann. Du für deinen Teil bist einfach nur erschöpft.

Wenig Auswahl und eine Beschäftigungskrise

Du denkst an deine Gäste und streckst deinen Kopf ins Wohnzimmer, bietest ihnen Frühstück an, während du verlegen darauf hinweist, dass die Auswahl etwas begrenzt sein könnte.

Bestimmte Obst- und Gemüsesorten, die früher im Vereinigten Königreich üblich waren, sind heute nur noch schwer zu bekommen. Bananen sind eine Rarität. Die Fischbestände sind bis an den Rand des Aussterbens dezimiert, Fleisch ist oft unerschwinglich teuer, obwohl die Preise aufgrund der globalen Instabilität zu oft schwanken, um den Überblick zu behalten.

Weite Teile des einst bewohnbaren Ackerlandes in Afrika, Südamerika und Australien sind Agrarwüsten und jeden Tag stehen weitere Regionen am Rand des Abgrunds. Infolgedessen sind die Regale in den Supermärkten regelmäßig leer, obwohl lokale Gemeinschaftsgärten, die vor Jahren im Geiste der Selbstversorgung gegründet wurden, zu helfen versuchen, wo sie können.

Du kratzt den Inhalt deines Kühlschranks und der Vorratskammer zusammen, um Bohnen auf Toast und Kaffee zu kredenzen, die du unter Entschuldigungen servierst. Neulich hast du in den Nachrichten gehört, dass sich in Grönland und der Antarktis nach dem Schmelzen des Eises neue Möglichkeiten für die Landwirtschaft eröffnen, auch wenn du dich

zynisch fragst, wer den nächsten Krieg anzetteln wird, um sie für sich zu beanspruchen.

Beim Frühstück unterhältst du dich über die anhaltende Beschäftigungskrise. Das Vereinigte Königreich wurde zwar vor den schlimmsten klimabedingten Auswirkungen der globalen Erwärmung bewahrt, doch die weltweite Instabilität hat die Wirtschaft wiederholt in den Abgrund gestürzt. Während der letzten Rezession hörtest du Geschichten von Leuten, die ihre Banking-App öffneten und feststellten, dass die Bank über Nacht zusammengebrochen war – und die Ersparnisse gleich mit.

Da du wenig zu tun hast seit du deinen Job verloren hast, bietest du an, Daniel zum Hausarzt zu bringen, während Layla von zu Hause aus arbeitet und sich am seidenen Faden ihrer eigenen Karriere festhält. Wie bei vielen Medikamenten sind auch bei Daniels chronischem Asthma die Arzneimittel, auf die er sich früher verlassen konnte, knapp geworden. Regelmäßige Überflutungen der Straßen verlangsamen die Lieferung von fast allem - und, was noch alarmierender ist, die natürlichen Ressourcen, aus denen viele Chemikalien gewonnen wurden, sind ganz oder teilweise zerstört.

Billige Klamotten

Dein Kleiderschrank ist das, was er schon immer war: ein Sammelsurium von billig hergestellter, preiswerter Kleidung. Selbst als Ghana und Pakistan sich nicht mehr bereit erklärten, die ausrangierten Kleidungsstücke Großbritanniens anzunehmen und diese sich auf den heimischen Mülldeponien zu stapeln begannen, hielt das die Modegiganten nicht davon ab, Kleider für ein Pfund anzubieten, die man nur einmal tragen kann. Du ziehst dir einen Pullover und eine Jeans an und gehst zum Auto.

Elektroautos sind jetzt Standard, obwohl Tausende von frustrierten Autofahrern wieder zum Benzin zurückkehrten, weil zu Beginn der Umstellung nicht genügend Ladestationen installiert wurden. Vielleicht noch schlimmer als die Benziner sind jedoch die wohlhabenden Fahrer von Elektro-SUVs, die schneller, weiter und gefährlicher fahren als je zuvor. Schlecht platzierte Ladestationen haben den Raum für Fußgänger weiter eingeengt, sodass einige Gehwege nicht mehr begehbar sind. Die veraltete Infrastruktur führt dazu, dass Busse und Bahnen ständig Verspätung haben oder ausfallen.

Der Gang zum Arzt ist zwecklos. Die Mediziner sind heutzutage mit neuen Krankheiten und psychischen Krisen so überfordert, dass sie zwei Termine in fünfminütige Zeitfenster quetschen. Der Hausarzt stellt Daniel ein Rezept aus, wenngleich er weiß, dass die örtliche Apotheke es nicht vorrätig hat.

Jedoch regnet es nicht, als du nach draußen gehst, und so fährst du durch das Stadtzentrum zum nächstgelegenen Wald. Du kommst an der einst pulsierenden Hauptstraße vorbei, die jetzt zu zig Wohnungen mit Kaninchenställen umgebaut wurde. Du erinnerst dich, dass du dort einmal einen Freund besucht hast, der ohne Tageslicht unter Hunderten von anderen lebte, die nirgendwo anders hin konnten.

Der Spaziergang durch den Wald ist ganz angenehm und du gehst zu dem Baum, den du vor Jahrzehnten selbst gepflanzt hast. Damals gaukelten Fluggesellschaften und Großunternehmen dem Land vor, jegliche Menge Kohlenstoff sei akzeptabel, wenn zum Ausgleich ein Wald gepflanzt würde. Was sie nicht bedacht hatten waren die Waldbrände, die mit der Erwärmung der Sommer und der fortgesetzten Torfverbrennung in Großbritannien entstanden.

Der stille Wald

Der Wald ist unheimlich still, denkst du dir, während du zwischen den Bäumen umherwanderst. Einst wimmelte es in dieser Gegend von Tieren. Als die Insekten zu verschwinden begannen, kümmerte sich niemand darum, aber es dauerte nicht lange, bis die Auswirkungen kaskadenartig die Nahrungskette durchliefen und Vögel und Säugetiere töteten.

So war es jedes Mal, wenn ein Meilenstein überschritten wurde, denkt man und versucht, den Finger auf den Punkt zu legen, an dem es kein Zurück mehr gibt. Es ist ja nicht so, dass es keine Warnungen gegeben hätte. In den frühen 2000er Jahren starben ganze Tierarten aus, der Amazonas wurde abgeholzt, Korallenriffe verschwanden und die Eiskappen schmolzen. Die Empörung war kurz und flüchtig, die Politiker schüttelten den Kopf und gingen wieder zur Tagesordnung über. Die Öffentlichkeit wollte es nicht erkennen, oder es war ihr egal oder eine Kombination aus beidem.

Vielleicht ahnt Daniel, was du denkst, und dreht sich um und fragt, wie der Wald früher aussah, während du zum Auto zurückgehst. Du antwortest mit vagen Worten, redest von Vögeln, Picknicks und Baumpflanzungen. Wenn nur die COP26 vor all den Jahren nicht eine verpasste Gelegenheit gewesen wäre. Auf dem Heimweg quält dich der Gedanke, dass nichts davon unvermeidlich war.

Mit Dank an die COP26-Sponsoren UK Research and Innovation und Professor Jane Harris, Professor Jeremy Till, Professor Glen Lyons, Dr. Christian Reynolds und Professor Dan Lunt für ihre Beiträge und Einblicke.

Übersetzt aus dem Englischen ins Deutsche von Translators Without Borders

Mit freundlicher Genehmigung von International Network of Street papers / The Big Issue bigissue.com @BigIssue

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