Alpmagazin ALMA Frühling 2019

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Sensen an der Hütte auf der Alp Obere Falz

dem manche Älplerinnen und Älpler über Jahrzehnte Sommer für Sommer nachgeben und nachgehen. Von daher auch die Kitschgefahr, der man gar nicht vehement genug entgegentreten kann. Da sitze ich also vor der Alphütte, weit außerhalb der Saison, bin ganz Auge und Ohr. Der Blick geht weit und weiter hinein in die Berge, in einen großen Kessel, auf steile Hänge und felsige Grate. Der Horizont ist recht nah, mächtig und eindeutig. Zu hören ist so gut wie nichts, das Rau­ schen der schütteren, zerzausten Tan­ nen höchstens. Eine gute Stunde bin ich gewandert vom großen Parkplatz aus, der zum Skigebiet gehört und zur Ferienhauskolonie. Ich hätte auch fahren können, bin aber nicht. Erstens müsste einen das Auto reuen und zwei­ tens ist der Weg zwar nicht das Ziel, gehört aber dazu. Kein künstlich ent­ schleunigtes Gehen war angesagt, son­ dern der Eintritt in die s­ achgemäße, der Sache gemäße Fortbewegung. ALP #1

Das Gehen durch die Landschaft und durch die Stille ist immer auch ein Sammeln, ein Auf- und Einsammeln. Steine sind die handfestesten Spuren dieses Gehens. Wo du hinkommst, ist nicht nur davon geprägt, von wo du herkommst, sondern ganz ent­ scheidend davon, wie du es tust. Die Träume ihrerseits hängen auch davon ab, wo und wie du einschläfst, habe ich mir sagen lassen, nein: gelesen habe ich es, recherchiert, sozusagen. Das sachte Zugehen auf ein Ziel fördert das sanfte Ankommen, das ganze An­ kommen, das Ankommen als Ganzer. Die Fahrerei, weil zu schnell, lässt Teile von dir zurück. Bis du dann wieder zusammengestückelt bist, ist der Schlaf vorbei, und wer weiß, was noch alles, womöglich das Leben. Wenn es schließlich um höheres Leben geht – auch so ein Thema! –, ist die Alp, auch diese hier, obwohl es noch höhere gibt, genau richtig gelegen. Zwar ist das höhere Leben ein heikles Kapitel, weil das Höhere

Diese Lebensform, uralt und selbst­ verständlich, eine echte Lebenswelt mithin, steht für sich. Sie erfüllt einen Zweck und sie ist ein Zweck. Man zieht nicht Jahr für Jahr mit Sack und Pack auf die Alp, um Käse zu produ­ zieren oder womöglich im Dienste des Tourismus die Landschaft zu pflegen (was für eine Idee: die Alpwirtschaft war Jahrhunderte vor und ist vielleicht auch nach jedem Tourismus!). So wie Kinder und junge Tiere nicht spielen, weil sie jung sind, sondern jung sind, damit sie spielen! Die Alp ruft nach den Älplern. Die Echten unter ihnen bestätigen das gern und regelmäßig: Sommer für Sommer. Ist sie auch ins Gerede gekommen: ins KraftfutterGerede, ins EU-Vorschriften-Gerede, ins Lügen-Gerede. Man will ihr nicht mehr glauben. Dem kann ich nichts abgewinnen. Ist nicht das Gerede die typische Ausdrucksform des Oberflächlichen, des Gschaftlhuberischen? Mit beidem hat das Älplerische wenig bis nichts zu tun. So wenig, wie der Ruf des Alplebens etwas zu tun hat mit dem Geschrei der Jahrmärkte und Rum­ melplätze und der Werbung oder mit dem Gebrüll der militärischen Kom­ mandos. So wenig auch wie die Arbeit auf der Alp, diese seit langer, langer Zeit fast unveränderten Handgriffe und Tätigkeiten mit dem oftmals so entfremdeten, aufgesetzten, unbefrie­ digenden, leeren Getue der modernen Betriebsam- und Geschäftigkeit. 58

Foto: Georg Alfare

Foto: Georg Alfare

i­ rgendwie immer schon besetzt ist: Das praktische Leben erhebt sich über das bloß Spielerisch-Müßige; das Hei­ lige erhebt sich über das nur PraktischProfane; oder das Ernste steht über dem Tändelnden; das Sakrale über dem Alltäglichen. Dass jedes auf seine Art selbstständig ist, muss einem zuerst einmal in den Sinn und in die Sinne kommen. Von dort gelangt es dann in die Psyche und ins Mentale. Darüber wissen die Philosophen Bescheid. Doch die lassen wir hier weg: Wir sind auf der Alp! Nicht dass das Denken da keinen Platz hätte, im Gegenteil: Es braucht kein Extra-Plätzchen im Stall oder im Käsekeller. Die Alp ist (eine) Philosophie. Weil Philosophie das ist, worauf man fast von selbst ge­ kommen wäre, wie einer ihrer größten ­Wortführer, Hans Blumenberg, schrieb.

Wiese auf der Alp Obere Falz

frühling

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