Alma Alpmagazin Frühling 2024

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DAS MAGAZIN FÜR HÖHERES LEBEN O VORARLBERG! FRÜHLING ALP #1

Als Josef Rupp mit dem Vorschlag an uns herantrat, ein Alp-Magazin zu machen, waren wir sofort dabei. Es sollte die Dokumentation einer bäuerlichen Kulturform werden, und zwar auf anständigem Niveau. Eine Art kleiner Enzyklopädie des Alpwesens. Eine Publikation, welche die Besonderheit ihres Gegenstands nicht nur behauptet, sondern ihr auch gerecht wird. Das freute uns, weil uns gleich ein paar Parallelen zwischen Alpwirtschaft und gutem Journalismus auffielen. Beides ist nämlich überflüssig, wenn man die Dinge nur vom Standpunkt des maximalen Profits aus betrachtet. Wenn man aber das Leben als Maßstab nimmt, sieht es anders aus.

Es gibt Menschen, die hart dafür arbeiten, abgeschieden in den Bergen leben zu können, in einer stillen, bisweilen rauen, von ihnen selbst mitgeschaffenen Kulturlandschaft. Jede Gesellschaft braucht solche kulturellen Zonen, in denen sie noch bei sich sein kann. Das lässt sich von gutem Journalismus ebenfalls sagen. Auch er sollte eine Zone sein, in der die Gesellschaft nicht außer sich gerät, sondern zu sich kommt. In diesem ersten von vier Heften zum Thema Alp hoffen wir, die beiden Sphären auf eine für Sie interessante Weise zueinander gebracht zu haben.

Armin Thurnher

Herausgeber und Medieninhaber: Rupp AG, Krüzastraße 8, 6912 Hörbranz, T: +43 (0)5573 8080, E: cheese@rupp.at, www.rupp.at; Konzept, Redaktion und Produktion: Falter Verlagsgesellschaft m.b.H., Bereich Corporate Publishing, Chefredaktion: Christian Zillner, Marc-Aurel-Straße 9, 1011 Wien. T: +43 (0)1 53660-0. E: magazine@falter.at; Artdirektion/Grafik: GREAT (www.great.design) 4

42 30 22 14

2 ALP #1
LESERIN, LIEBER LESER
LIEBE
Coverfoto:
Rupp AG; Fotos: Georg Alfare (7),
Rupp AG,
Museum, Georg Bechter, aus dem Buch
der
auf den Teller“/Bildnachweis Franz Beer
Fotoarchiv
Fotoarchiv
Vorarlberg
„Von
Alp

Grün sind die Seiten im Magazin, auf denen wir einen Überblick über ein Thema geben, Fakten oder Zahlen bringen oder aus der Geschichte, etwa über die Käsegrafen, erzählen.

3 4 Hütten auf Alp und Vorsäss 12 Alplexikon 14 Josef Rupp über Alp und Käse 20 Alpzahlen 22 Vorarlberger Alpwirtschaft 29 Kommentar zur Braunviehzucht 30 Käseproduktion 34 Maisäss oder Vorsäss? 36 Lesen und Finden 38 Alpkreislauf 39 Käsekreislauf 40 Alpgerät 42 Käsegrafen 48 Kuh und Kunst 52 Alpwege und ihr Meister 56 Natters Alpträume im Frühling 62 Hexenkräuter und Alpwiible 64 Hoch leben. Weit sehen. Tief atmen 70 Alpenblumen 74 Feine Bücher und Speisen mit Käse oder anderen Alpprodukten 78 Japanisch auf der Alp mit Milena Broger 82 Rezept einer Älpler Miso-Suppe 83 Vorschau Sommer
INHALT 62 52 48 FRÜHLING 78 82 74
4 ALP #1 Alpmuseum
uf m Tannberg. Am Weg von Schröcken zum Körbersee liegt die alte Alp Batzen. Sie dient heute als Alpmuseum

HÜTTEN

einer Hochalp am Tannberg und am Vorsäss in Hopfreben

Ursprünglich ein Paarhof, wurde die „Walser Heimet“ ganzjährig bewohnt. Das Holz für den Bau

5 FRÜHLING
Foto:
schlug man 1602
Georg Alfare
6 ALP #1 Hütte am Vorsäss Hopfreben. Das Vorsäss liegt hinter Schoppernau auf einer Hochebene. Darüber liegt die Villa des britischen Bankiers John Oakley Maund aus den 1890er Jahren
7 FRÜHLING
eine Hütte
Am Vorsäss grasen im Mai die Kühe, bevor sie weiter auf die Hochalp ziehen. Hier hatte auch der Bregenzerwälder Dichter und Bauer Franz Michael Felder
Foto: Georg Alfare
8 ALP #1 Alpmuseum uf m
Einhof
vierzig
umgebaut und bis 1998 bewirtschaftet
Tannberg. 1802 wurde die Walser Heimet zum
einer Bregenzerwälder Sennalp mit Platz für
Kühe
9 FRÜHLING
Das Alpmuseum ist von Juni bis September jeden Dienstag und Sonntag von 13 bis 16 Uhr geöffnet Foto: Georg Alfare
10 ALP #1
Alpmuseum uf m Tannberg. Blick in den Sennraum mit einem Herd im Vordergrund und dem großen Sennkessel zur Käseherstellung Foto: Georg Alfare
11 FRÜHLING Auf einem Brett in der Hütte liegen die Formen für den Alpkäse. Darunter eine Bank, unter der die Holzschuhe, die „Hölzlar“, der Sennen stehen Foto: Georg Alfare
Die Alp in der Dreistufenwirtschaft

Die Dreistufenwirtschaft prägt die Vorarlberger Kulturlandschaft seit Jahrhunderten. Dank der althergebrachten Methode können die hiesigen Bauern ihr Vieh das gesamte Jahr mit erstklassigem, silofreiem Futter versorgen: im Tal, am Vorsäss und auf der Alp. Das ermöglicht ein periodischer Alpkreislauf sowie ein harmonisches Zusammenspiel von Mensch, Tier und Natur. Der Alpkreislauf bleibt auch bei sich ändernden Lebensumständen über Generationen hinweg gleich.

Die ALP

Im Jahreskreis

3 — ALP

Mitte Juni werden höhere Gefilde erreicht. Dort kommen die Tiere in den Genuss der saftigen und kräuterreichen Bergwiesen. Auch der Alpkäse wird in der Höhenlage hergestellt. Daher rührt sein charakteristischer, würziger Geschmack. Für die Kinder der Älpler folgt der Alpsommer dem Schuljahr. Im Herbst geht es dann wieder um zwei Stufen hinunter.

1 — TAL

Bauernfamilie und Vieh überwintern Jahr für Jahr im tief gelegenen Heimgut. Das Leben im Flachen wird von den Bräuchen des Alpabtriebs im Herbst und des Alpauftriebs im Frühling eingerahmt. Für die Tiere gibt es hier das Gras der Talweiden, das Heu des letzten Sommers und jenes der höheren Lagen zu fressen. Gehen die Vorräte im Frühjahr aus, führt der Weg nach oben.

2 — VORSÄSS/MAISÄSS

Im Spätfrühling ziehen Bauern und Vieh auf das Vorsäss, das auch Maisäss genannt wird. Diese Zwischenstation befindet sich auf einer Höhe von 1.000 bis 1.600 Metern. Nach dem Abzug auf die Alp, wenn das Vieh bereits auf den Alpweiden grast, werden die Wiesen am Vorsäss gemäht. Das Gras wird zu Heu und dieses im Winter an die hungrigen Stallbewohner verfüttert.

Von Joshua Köb 3 12 ALP #1 1 2

Der KÄSE

Kommt von der Alp auf den Teller

Wie ein Vorarlberger Alpkäse entsteht

Bis der Alpkäse auf Tafel, Teller oder Holzbrett landet, legt er einen weiten Weg zurück. Er kommt vom Berg ins Tal und ist zuvor durch Kuhmägen, Kessel und Käsekeller gegangen. Gras wird zu Milch, Milch wird zu Käse.

1 — Gras und Kräuter zirkulieren in den vier Mägen der Kühe. Es wird wiedergekäut, wozu sich die Tiere gemütlich hinlegen.

2 — Zweimal täglich wird gemolken. Eine Kuh gibt etwa 20 Liter Rohmilch. Die abends gewonnene Milch wird am nächsten Morgen entrahmt und mit der frisch gemolkenen Milch vermengt.

3 — Nun kommt die Milch in den Kupferkessel der Alpsennerei. Dort wird sie erhitzt. Hinzu kommen Milchsäurebakterien und etwas Lab, ein aus Kälbermägen gewonnenes Enzym, zur Verdickung.

4 — Die eingedickte Milch wird mit der Käseharfe zerteilt. Dabei trennt sich der Käsebruch von der Molke. Aus dem Käsebruch wird später Käse. Feiner Bruch wird zu Weichkäse, grober zu Hartkäse.

5 — Der für gut befundene Bruch landet in Formen, wo er ein paar Stunden lang gepresst und hin und wieder gewendet wird.

6 — Anschließend schwimmen die fast fertigen Käselaibe drei bis vier Tage lang im Salzbad. Das verleiht ihnen die Rinde.

7 — Im Käsekeller reifen die bis zu 35 Kilogramm schweren Laibe einige Monate lang bei konstanter Temperatur und Feuchtigkeit. Bis zum Ende des Sommers füllt sich der Keller.

8 — Der nicht direkt verkaufte Alpkäse wird bei der sogenannten Bonitierung begutachtet und klassifiziert (fast ausschließlich mit Bestnote).

9 — Im Tal werden die Käselaibe in handliche Stücke zerteilt, verpackt und in den Verkauf geliefert.

10 — Erst jetzt landet die typische Vorarlberger Spezialität an den Käsetheken im ganzen Land. Fein, sagen Käsekenner.

3 9 13 FRÜHLING

ALPSPITZ’N

050

Tausend Hektar beträgt die beweidete Alpfläche Vorarlbergs. Das sind rund 19,2 Prozent der Landesfläche. Die Bewirtschaftung und Bestoßung der Vorarlberger Alpen blieb in den letzten Jahrzehnten recht konstant. Rechnet man die nicht beweideten Flächen mit, beläuft sich das gesamte Alpgebiet Vorarlbergs auf 100.000 Hektar. Eine deutlich steigende Tendenz weisen biologisch bewirtschaftete Alpen auf. Allein von 2013 auf 2014 wuchs deren Fläche um fast 25 Prozent auf 5.194 Hektar an. Der Bio-Trend macht also auch vor der Alp nicht halt. Eigentlich kein Wunder, sind doch gesunde Freilandhaltung und Naturschutz seit jeher prägende Merkmale der Alpwirtschaft.

973

Personen standen 2014 für die Behirtung von 499 Vorarlberger Alpen zur Verfügung. Das macht nicht ganz zwei Hirten, Melker oder Senner pro Alp. Zu tun haben sie mehr als genug. Frühmorgens beginnt die Melkarbeit, anschließend wird das Vieh auf die Weide gebracht und die Milch zu Käse verarbeitet. Neben dem Hüten der Tier müssen die Hirten auch für die Weidenpflege sorgen. Knapp 29.000 Großvieheinheiten (GVE) gilt es zu versorgen. Doch kaum einer kann seine Herde mathematisch kühl in Einheiten überblicken. Wird zusammengetrieben, zählt jedes einzelne Tier. Insgesamt sind es etwas mehr als 42.000. Den Hauptanteil bilden die 35.000 Kühe. Davon sind 25.000 Jungtiere, beinahe der gesamte Jungviehbestand Vorarlbergs. Neben Kühen und Kälbern müssen die Hirten fast 1.000 Pferde, 4.700 Schafe und 1.700 Ziegen vor Gefahren bewahren.

013

Montafoner Alpen stellen Sura Kees her, eine spezielle Art Sauermilchkäse. Sura Kees ist ein Oldie unter den Käsesorten. Die Produktion des gesunden Magerkäses lässt sich bis ins Jahr 1240 zurückverfolgen. Darauf sind die traditionsbewussten Montafoner Senner stolz. Hoffentlich auch die etwa 800 Kühe, die dazu jährlich rund 725 Tonnen Milch beitragen.

130 Alpsennereien gibt es in Vorarlberg. Die Zahl ist leicht schwankend. Auf den Sennalpen dreht sich alles um Milch, Butter und Käse. Das Wort „Senn“ stammt aus dem Romanischen und bezeichnete ursprünglich den „Senior“, den Ältesten und Vorsteher der Alp. Heute meint „Senn“ den milchverarbeitenden Hirten. Die Anzahl der Sennalpen ist in den vergangenen Jahrzehnten deutlich gesunken. Früher musste man die Milch direkt auf der Alp verarbeiten. Heute schwören Alpsenner besonders auf die hohe Qualität und die würzige Note des auf der Alp gesennten Käses. Sehr gesund ist der handgemachte Alpkäse zweifellos (mehr Kalzium!). Wohlschmeckend ebenso. Und während die Zahl der Alpsennereien in den meisten Alpenregionen abnimmt, vertraut man in Vorarlberg noch immer stark auf die traditionelle Machart.

14 ALP #1

024

Mal wurde der beste Vorarlberger Berg- und Alpkäse bereits am Schwarzenberger Markt ausgezeichnet. Verkostung inklusive. Mit der alljährlichen Käseprämierung im September klingt der Alpsommer aus. Im vergangenen Jahr nahmen

68 Alpen und 22 Betriebe mit 167 Käseeinreichungen am Wettbewerb teil. Bewertet wird unter anderem die Lochung des Käses. Der Schwarzenberger Markt hat seit mehr als 400 Jahren Tradition.

525

Alpen werden in Vorarlberg in etwa jeden Sommer bewirtschaftet. Davon sind etwa 200 Galtalpen mit noch nicht milchgebendem Vieh. Hinzu kommen

150 Melkalpen und 150 gemischte Alpen. Es gibt auch einige rinderlose Pferde-, Ziegen- und Schafalpen.

2014 wurden 89 Alpen biologisch bewirtschaftet. Tendenz steigend. Alpen dienen nicht nur als Futterquelle und Freilandgebiet, sondern leisten darüber hinaus wichtige Beiträge zu Naturschutz und Artenvielfalt. Rechnet man Biotope und Großraumbiotope zusammen, dann liegen etwas mehr als 28.000 Hektar, circa 33 Prozent der Naturschutzfläche Vorarlbergs, auf den Alpen. Im Winter führt die Hälfte der Skipisten über sommerliche Alpweideflächen.

100

Weidetage dauert ein Alpsommer. Das sind hundert Nächte allein am Berg. So lange entziehen sich Hirten, Senner und Melker jedes Jahr dem zivilisatorischen Treiben der Täler. In höheren Gegenden widmen sie sich dann ganz der alpinen Natur und der Betreuung ihrer Tiere. Komfort gibt es wenig, Arbeit umso mehr. Reizvoll sind aber gerade die Abgeschiedenheit mancher Orte und der Kontakt mit der Wildnis. Wer dieses Leben liebt, dem vergeht die Sommerzeit wie im Flug. Gesellschaft erhält danach ebenfalls eine neue Bedeutung.

460

Tonnen Alpkäse werden pro Jahr auf den Alpsennereien produziert. Knapp 9.000 treue Milchkühe steuern dazu fünf Millionen Tonnen Milch aus ihren Eutern bei. Mittlerweile wird fast die Hälfte des Käses direkt vermarktet. Dabei lassen sich weit bessere Preise als über den Großhandel erzielen.

Der Rest wird für diesen bonitiert, der Großteil mit EUUrsprungsschutz als original „Vorarlberger Alpkäse“. Zur Stärkung des gemeinsamen Markenauftritts arbeiten die Senner zusammen. Kein Vergleich zu früher: Im Mittelalter mussten sie noch Käseabgaben an ihre jeweiligen Herrschaften entrichten. Käsesteuer sozusagen.

WISSENSWERTES
15 FRÜHLING VON JOSHUA KÖB
ÜBER VORARLBERGER ALPEN IN EIN PAAR ZAHLEN GEBRACHT

LITERATUR VOM HÖCHSTEN

So liest man die Alp: Einige Buchtipps zu Vorarlberger Alpen

Vorarlberger Alpgeschichten

Am liebsten möchte man gleich selbst hinauf. Im Laufe des Buchs werden 27 Alpstationen durchwandert. Dabei erfährt man jede in ihrer eigentümlichen Art ganz lebendig. Am meisten tragen dazu die von der Autorin angetroffenen Älpler bei. Sie schildern ihre Alp, deren Geschichte und Bräuche samt den umliegenden Bergen. Ergänzt werden die Storys mit Wander- und Verpflegungstipps sowie einer Reihe an Interviews mit Vorarlberger AlpPersönlichkeiten.

Irene Prugger: Vorarlberger Alpgeschichten

Löwenzahn Verlag, Innsbruck 2015, 240 S.

Alpen Blumen

Ein wunderbarer Bildband über den Reichtum der Alpenflora. Über 300 Aufnahmen gehen ebenso ins Detail, wie sie das große Ganze in Form von Bergpanoramen zeigen. Jedes Foto von Helmut Häusle offenbart seine Liebe zu den heimatlichen Bergen. Dem Einsatz des Fotografen ist es zu verdanken, dass auch schwer erreichbare Blumen ihren Weg ins Buch und damit vor die Augen eines weniger klettergeübten Betrachters finden. So kann auch er sich an manch gut verborgenem Schmuckstück erfreuen. Dem bergerprobten Fotografen Häusle steht der Biologe Georg Amann als Blumenexperte klassifizierend und erläuternd zur Seite.

Helmut Häusle, Georg Amann: Alpen Blumen. Faszination Naturfotografie Bucher Verlag, Hohenems 2013, 280 S.

Alpwandern in Vorarlberg

Wanderlust auf fast 500 Seiten. Neben umfassenden Hintergrundinformationen über Regionen und Alpen sowie präzisen Angaben zu den Wanderrouten, Gehzeiten und Anfahrtswegen werden auch Mountainbike-Strecken angeführt. Nötige Orientierung verschaffen die detailreichen Karten. Die Stärke des Wanderführers ist zugleich sein einziges Manko: Sein gewichtiger Umfang kann den Wanderrucksack zusätzlich belasten. So blättert man ihn besser zu Hause vor einer Wanderung durch. Dank seiner Fülle finden alle, auch Anfänger und Profis, immer die passende Tour.

Rudolf Mayerhofer: Alpwandern in Vorarlberg

Löwenzahn Verlag, Innsbruck 2015, 492 S.

Von der Alp auf den Teller

Der Schriftsteller Kurt Bracharz erzählt eine Kulturgeschichte der Vorarlberger Alpkäseproduktion. Man erfährt, was der Käse für die Menschen bedeutet und warum sich seine Herstellung über die Jahrhunderte hinweg kaum verändert hat. Diese „Traditionspflege“ ist mit wunderbaren Miniaturen alpiner Gebrauchsgegenstände, pittoresken Momentaufnahmen und appetitanregenden Fotos von feinen Speisen versehen. Die Rezepte stammen von den Sterneköchen Mike Schwarzenbacher und Florian Mairitsch.

Kurt Bracharz: Von der Alp auf den Teller. Käsekultur in Vorarlberg Löwenzahn Verlag, Innsbruck 2015, 220 S.

16 ALP #1
VON JOSHUA KÖB

DER KLICK ZUM GIPFEL

Mehr über die Alp und ihren Käse. Websites zu Älplerthemen

Alpwandern in Vorarlberg

Das offizielle Tourismusportal Vorarlbergs konzentriert sich beim Alpwandern besonders auf das leibliche Wohlergehen der Ausflügler. Vorgestellt werden 21 Genusswanderungen. Die Pfade führen von Alp zu Alp, an Orte wie den Nenzinger Himmel, nach Schönenbach oder zur Roten Wand.

Dazu gibt es detaillierte Wegbeschreibungen und Karten. Selbstverständlich wird auch auf alle Einkehrmöglichkeiten und die jeweiligen Alpspezialitäten hingewiesen.

www.vorarlberg.travel/aktivitaet/ alpwandern-genusswandern-alpenvorarlberg

Sagen aus Vorarlberg

Insgesamt zählt die Sammlung fast 1.200 Vorarlberger Sagen. Von den kurzen mythischen Erzählungen spielt eine beträchtliche Anzahl im Vorarlberger Alpgebiet. Die „Alpbützen“ sind vorwiegend im Bregenzerwald daheim, die „Windsbraut“ im Montafon und die „Alpmueter“ spukt im Großen Walsertal. 202 der zauberhaften Geschichten stammen aus dem Montafon, 141 aus dem Bregenzerwald, 62 aus dem Großen Walsertal, der Rest aus Brandner- und Klostertal. www.sagen.at/texte/sagen/oesterreich/ vorarlberg/sagen_vorarlberg.htm

ARGE ALP

Ein grenzüberschreitendes Projekt der Alpenstaaten Österreich, Deutschland, Italien und Schweiz mit jährlich wechselndem Vorsitz. Die ARGE ALP beschäftigt sich mit ökologischen, infrastrukturellen, politischen, touristischen

und kulturellen Anliegen. Neben einem Maßnahmenkatalog finden sich auf der Website Projekte und Studien zum Thema Alp und Älpler. www.argealp.org

Vorarlberg von oben

Wer die Alpen einmal aus einem anderen Blickwinkel erleben möchte, kann hier den von oben einnehmen. Aus der Vogelperspektive eröffnen sich neue Einsichten in die Landschaft. Ihre Schönheit weckt die Entdeckerlust. Mögliche Erkundungsziele gibt es genug, wie die Zahl der Luftaufnahmen beweist. Eine wahre Fundgrube alpiner Schätze.

wwww.vorarlbergvonoben.at

Alpenschutzverband

Der Fokus des österreichischen Alpenschutzverbands liegt nicht auf der Alpwirtschaft, sondern auf den

umliegenden Bergen. Die Website der Organisation vermittelt Hintergrundinformationen zur aktuellen Umweltschutzsituation, bietet Biotopexkursionen an und berichtet über Schutzinitiativen sowie Projekte wie die Aktion „Saubere Alpen“ oder Landschaftspflege. Wem die unberührte Natur am Herzen liegt, ist hier an der richtigen Adresse.

www.alpenschutzverband.at

Vorarlberger Käse

Hier dreht sich alles um den Käse. Das Portal der ARGE Milch Vorarlberg zeigt die Vorarlberger Käsevielfalt, den Herstellungsprozess der unterschiedlichen Sorten sowie die verarbeitenden Alpsennereien und die vermarktenden Unternehmen. So gewährt die Website einen sehr guten Überblick über den kulinarischen Reichtum der einzelnen Alpregionen.

www.vorarlbergkaese.at

17 FRÜHLING VON JOSHUA KÖB Bildunterschriften
Illustration der ungarischen Künstlerin Adrienn Dorsánszki. www.facebook.com/adrienn.dorsanszki

ALPGERÄTE

Einige Utensilien der Senner

18 ALP #1 Käseharfe ButterfassRunde Käseformen Melkstuhl
Sennkessel

Milchkannen

Buttermodel Sense

Buttermodel

19 FRÜHLING Kelle Käsepresse Axt und Scheitstock
Holzherd

ARMIN THURNHER

IM GESPRÄCH

MIT

JOSEF RUPP

ARMIN THURNHER

Was sind deine ersten Erinnerungen an die Alpen?

JOSEF RUPP

Jeden Sommer war man in unserer Familie eingeteilt, auf der Alp zu arbeiten, ich war das erste Mal mit zwölf Jahren oben. Da hat man Emmentaler gemacht, Hundert-Kilo-Laibe, und man ist auch als Kind nicht geschont worden.

AT Das ist ja Kinderarbeit!

JR (lacht) Das Gute war, nach so einem Sommer war ich so stark wie nie mehr im Leben. Wir haben zu zweit gearbeitet, und einmal ist uns so ein Laib ausgerutscht und wäre fast auf mich draufgefallen. Da habe ich gesehen, wie der verantwortliche Senn einen Schreck bekam, er schupfte den Laib gerade noch weg, ich lag am Boden und der Laib neben mir. Die Senner waren teilweise raue Kerle, die uns auch gleich erklärt haben, wo da im Wald die Mädchen mit den Buben hingehen.

AT Was hat dir am besten gefallen?

JR Nach den ersten zwei Stunden Arbeit gab es um sechs ein Frühstück mit frischer Butter, Milch und Käse, das war schon ganz toll.

» Dort hat meine Faszination für Alpen angefangen, im Bregenzerwald, aber auch im Walsertal. «

Über die Bedeutung der Alp und ihres Käses heute

Wir treffen uns zum Gespräch nach dem Älplerabend, der im Restaurant Ur-Alp in Au stattfand. Ein beeindruckendes Ereignis, an dem die Familie Rupp Älpler und ihre Familien, die Obmänner der Alpgemeinschaften und Politiker einlud. Der Abend ist eine Art Dankeschön an die Älpler und zugleich Motivation, die Bedeutung des eigenen Tuns zu verstehen. Auch das Alp-Magazin wurde dort zum ersten Mal vorgestellt. Josef Rupp erzählte dem Publikum von seinen Erfahrungen mit der Produktion; nicht immer, sagte er, sei es das Optimum, aus einer Produktion hundert Prozent herauszuquetschen; die Qualität sei wohl am besten, wenn man 90 Prozent erreicht. Über diesen und andere Denkanstöße wurde an den Tischen heftig diskutiert. Es versteht sich, dass unser Gespräch am nächsten Tag noch unter dem Eindruck dieses Abends stand.

JR Speziell im Walsertal war es in den siebziger Jahren noch so, dass unser Käseeinkäufer nach Buchboden fuhr und von Alp zu Alp wanderte, das dauerte drei bis vier Tage, man übernachtete dann auf den Alpen. Ich kann mich erinnern, dass ich auch manchmal mitging. Da gab es keine Touristen, der Besuch des Käseeinkäufers oder gar, wenn meine Mutter mitkam, der Firmenchefin bildete das Ereignis des Alpsommers.

AT Es gab keine befahrbaren Straßen?

JR Nein. Der Käse wurde mit Hornerschlitten über die Wiesen ins Tal heruntergebracht.

AT Was für eine Bedeutung hat der Alpkäse für Rupp geschäftlich?

JR Keine. Er war allerdings emotional immer sehr wichtig. Bis kurz vor dem EU-Eintritt waren Preis und Markt geregelt, in Vorarlberg dominierte die Genossenschaft Alma den Käsemarkt, die Dornbirner und die Feldkircher Molkereien beherrschten den Milchmarkt. Mein Großvater hatte noch von vor dem Krieg Verbindungen zu Käseherstellern, damals hatten wir auch Talsennereien.

20 ALP #1

D amals wurde auch gewichtsmäßig mehr Käse hergestellt. Zu dieser Zeit war das Walsertal für unsere Firma wichtiger, der Bregenzerwald war die Domäne der Alma. Wir von Rupp waren eher Außenseiter; wenn ein Käsehersteller ein Problem mit der Alma hatte, sprang der Großvater ein. Er war immer großzügig. Vor allem mit Vorauszahlungen, das schuf Vertrauen. Es gibt heute noch alte Älpler, die fasziniert erzählen, wie er dicke Geldbündel herauszog und ihnen vor dem Alpsommer die Hälfte des Preises hinlegte. Das kannten sie bei der Alma nicht. Heute würde man sagen, das war strategisch gehandelt.

AT Wie hoch ist der Alpkäseanteil an der Produktion insgesamt und an der von Rupp heute?

JR Bei uns landen 250 Tonnen von den 450 Tonnen, die insgesamt in Vorarlberg hergestellt werden. Aber wir produzieren bei Rupp 50.000 Tonnen Käse; umsatzmäßig liegt Alpkäse bei uns also unter einem Prozent. Dass der Alpkäse und der Bergkäse als Premiumprodukte gesehen werden, das hat sich erst in den letzten 20 Jahren ergeben.

AT In Vorarlberg ist Bergkäse doch immer noch eine Art Grundnahrungsmittel, oder?

JR Ja, da am Freitag kein Fleisch gegessen wurde, aß man Kässpätzle oder Kartoffeln mit Käs. Obwohl wir den See voller Fische haben, zogen die meisten den Käse einem Fischgericht vor.

AT Wie ging es bei dir persönlich mit deiner Beziehung zur Alp weiter?

JR Wie meine Leidenschaft wirklich entstanden ist, kann ich nicht genau sagen. Aber ich sehe die Alp heute als Wurzel des Unternehmens, und wir versuchen hier der Region etwa zurückzugeben.

» Die Bedeutung der Alpwirtschaft liegt heute weniger in der Produktion von Käse, sondern darin, dass wir die Natur in Ordnung halten, dass die Landschaft nicht verbuscht ist und es Wege gibt. Ohne bewirtschaftete Alpen hätten wir kein Naherholungsgebiet. «

AT Die Alpwirtschaft als kulturelles Symbol?

JR Genau, sie steht für Kultur und Geschichte, aber nicht in einem nostalgischen, sondern in einem modernen Sinn. Ich sage das den Industriellenkollegen im Land: Ihr seid abhängig von guten Leuten, viele von denen zieht es in die Großstadt, aber ein gewisser Prozentsatz möchte Naturschönheit haben. Die kommen dann in Vorarlberger Betriebe, weil sie biken und hiken gehen, da haben die Alpen ihren Wert. Ich spanne sogar den

Bogen zu den Festspielen, auch die bieten ja in einer Gegend, die eigentlich Provinz ist, ein kulturelles Mehr. Kultur und Natur werten das Land auf und machen es attraktiver.

AT Kann man die Alpen auch als ökologisches Projekt betrachten?

JR Die silofreie Zone kam ja aus der vorgeschriebenen Bewirtschaftung, welche die Bauern einfach in Zonen einteilte und ihnen die damit Wirtschaftsform vorschrieb. Was aber bei uns in Vorarlberg dazukommt, ist die unglaubliche Dichte der Bewirtschaftung. Die gibt es sonst nirgends. Nicht in Frankreich, der Schweiz und Tirol. Dort sind es oft Alpen, die als touristische Betriebe weiter existieren. Allein in Vorarlberg haben wir aber über 400 Alpbetriebe! Die leben nicht von Tourismus und Show, die sind gelebte Kultur. Anderswo, wo es ebenfalls die Drei-Stufen-Bewirtschaftung gab, ist es ja so, dass entweder gar nicht mehr bestoßen oder die Milch nicht oben verarbeitet, sondern ins Tal gebracht wird.

AT Bestoßen heißt?

JR Das heißt, dass Kühe auf die Alp gebracht werden. Das wird in Vorarlberg wirklich gelebt. Mir macht es Sorge, wie man das erhalten kann. Viele dumme Dinge passieren, wenn einzelne Betriebe versuchen, auf Menge zu machen. Ich habe schon beim EU-Beitritt gesagt, es wäre toll, würden wir eine ganze Region wie den Bregenzerwald zusammennehmen. Hätten wir damals eine geschlossene Bioregion geschaffen, wären wir weit voraus gewesen. Aber da war die Kirchturmpolitik Einzelner dagegen.

21 FRÜHLING
Josef Rupp, Geschäftsführer der Rupp AG Foto: Georg Alfare

Auch hat die Bio-Idee damals politisch zu stark polarisiert. Obwohl man selber biologisch wirtschaftete, wollte man nicht als grüner Spinner angesehen sein.

AT Das ist mehr als zwanzig Jahre her. Hat sich die Mentalität inzwischen geändert?

JR Leider nicht ganz. Im Rheintal haben wir große Betriebe, die erlaubterweise Kraftfutter zusetzen und auf Menge gehen. Vom Standpunkt einer Sennerei muss man auf Auslastung achten, da ist ja alles, was eine Schwankung ergibt, schlecht. Jetzt gehen die Kühe auf die Alp, die Talsennerei hat dadurch 20–30 Prozent weniger Milch und zahlt Prämien, damit der Bauer nicht mit den Kühen auf die Alp geht. Die sehen nicht, wie kurzfristig das gedacht ist. Auch die Bauern sind ja Miteigentümer der Sennerei. Am Alpkäse hängt die ganze Region, samt Käsestraße und allem. Aber das sehen sie nicht. Vielmehr konkurrenzieren einander die einzelnen Dorfkäsereien. Sie kriegen nicht einmal eine Preispolitik hin. Als würden Leute, die am Wochenende nach Hittisau oder Lingenau fahren, um Käse zu kaufen, das tun, weil er dort billiger ist! Würden sie gemeinsam um einen oder zwei Euro pro Kilo hinaufgehen, könnten sie alle ein besseres Geschäft machen. Das ist schade.

AT Ländliche und entlegene Bergregionen werden überall in Europa entvölkert. Droht so etwas auch der Alpwirtschaft?

JR Damit das nicht droht, braucht es eine vitale Alpwirtschaft. Das Wiederbeleben ist um ein Vielfaches teurer. Und das Alpleben ist eben wirklich Teil der dörflichen Kultur, bei uns viel stärker als anderswo.

AT Verlangt nicht die Würde des Bauern, dass er von seinem Produkt leben kann? Landschaftspfleger für Hiker und Biker gehört da vielleicht weniger dazu …

JR Der Bauer muss verstehen, dass es beides braucht, dass die Landschaftspflege ebenso eine Leistung ist wie die Produktion von Käse. Nur über die Milch und das Produkt kriegt man den Preis nicht. Es gibt in der Welt Gegenden, die ähnliche oder bessere Bedingungen für Milchproduktion haben als wir. Sie haben extensive Bewirtschaftung, eine reiche Flora, die nur zweimal abgegrast und nicht fünfmal gemäht wird. Das gibt es aber in Irland und Neuseeland auch. Die irische Butter ist sehr gut. Wenn ich die Förderungen für die Alpwirtschaft abziehe, müsste der Käse dreimal so viel kosten.

AT Was motiviert die Jungen, heute noch auf die Alp zu gehen?

JR Das sind oft Familien, die bringen eine Leidenschaft mit. Die sagen, ich bin schon mit meinem Vater hinaufgegangen, und ich möchte, dass meine Kinder hier oben groß werden. Das ruhige Leben, weg von der Stadt, ist für sie wichtig. Das ist schon unglaublich.

Es gibt da oben Leute, die kommen selten ins Land heraus!

AT Als wir beim Älplerabend das Magazin vorgestellt haben, hat mir ein Älpler erzählt, er freue sich schon darauf, weil er dann etwas über das Walsertal erfährt.

JR Ja. Einerseits findet in diesem Tal eine Schubertiade statt, gibt es zeitgenössische Architektur wie den Werkraum von Zumthor und die Bushaltestellen in Krumbach, und andererseits leben gleichzeitig viele Leute auch in einer anderen Zeit.

AT Der Bregenzerwald scheint eine sehr besondere Region zu sein.

JR Ja, da gibt es die Weltoffenen, aber es gibt auch die Beharrungskräftigen, um es höflich auszudrücken. Als ich beim Älplerabend sagte, man müsse bei der Produktion nicht immer hundert Prozent herausholen, oft seien achtzig oder neunzig Prozent besser, hat das auf manche wie eine Provokation gewirkt und wurde dann heftig debattiert. Dieser Älplerabend ist übrigens für mich auch aus einem anderen Grund sehr schön. Es ist der Luxus eines Familienbetriebs, so etwas machen zu können. Wären wir börsennotiert, dürften wir es nicht machen. Das ist ein großer Luxus.

AT Weil man fragen würde: Was bringt’s?

JR Ja. Nur Kosten. Es würde nicht stattfinden. Am Älplerabend hat mir unser langjähriger Käseeinkäufer Hans Kresser erzählt, er habe 1969 angefangen und noch ein Jahr mit meinem Vater gearbeitet.

» Der sei schon ein wenig ein Outlaw gewesen, als er anfing, der Alma Alpen abzujagen. «

E r sei damals mit dem Vater ins Walsertal gefahren, und der habe zu ihm gesagt: „Schauen Sie, Herr Kresser, wie diese Leute da schaffen müssen, wie hart die da leben. Das sag’ ich Ihnen, da herinnen möchten wir keinen Gewinn machen.“ Das kam mir unglaublich vor, denn ohne das ich davon wusste, scheint es mir doch genau das zu sein, was ich jetzt versuche.

AT Du warst sehr jung, als dein Vater starb, du konntest keine richtige Beziehung zu ihm haben, er kann dir das auch nicht vermittelt haben …

JR Nein. Das habe ich geerbt.

AT Die Alma-Genossenschaft war in den 1960er und 1970er Jahren ja übermächtig.

JR Das war nicht die Alma, das war Raiffeisen, und Alma war als Genossenschaft ein Teil von Raiffeisen.

AT Die Geschichte der Enteignung der Firma Rupp wird auf der Firmen-Website sehr diskret behandelt, aber

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diese Enteignung steckte stets in dem Verhältnis zur Alma drin.

JR Es wäre besser, diese Geschichte von einem Historiker erzählen zu lassen, Peter Melichar hat ja darüber gearbeitet.

» Die kalte Enteignung der Firma Rupp durch die Nazis war auch deswegen so interessant, weil sie sich als eine der wenigen nachweisen ließ. «

I ch habe das natürlich nicht mehr mitgekriegt. Aber als ich die Alma gekauft habe, sagten meine Tante Rosa, meine Mutter und mein Onkel Peter, das sei der schönste Tag in ihrem Leben. Sie gingen auf das Grab des Vaters und haben ihm erzählt, dass jetzt Gerechtigkeit eingetreten ist. Für mich war das nicht der Beweggrund, aber für ihre Generation war es von zentraler Bedeutung.

AT Zu den Molkereien gab es kein Konkurrenzverhältnis?

JR Nein, die haben Frischprodukte gemacht, die durften keinen Käse machen. Das hat damals der Milchwirtschaftsfonds bestimmt. Die Rivalität bestand beim

Käseeinkauf, Der Preis stand fest, man musste schauen, wo man den Käse herbekam. Deswegen hatte wir zuerst selbst Käsereien, denn die Alma hat versucht, uns den Käse wegzuschnappen. Wir haben auch außerhalb Vorarlbergs bei privaten, also nicht zu Raiffeisen gehörigen Käsereien Käse gekauft.

AT Das war Emmentaler für die Schmelzkäseproduktion?

JR Genau. Hauptsächlich.

AT Wie ging das dann weiter?

JR Wir haben unsererseits versucht, der Alma Alpen abzujagen. Hans Kresser hat versucht, auch bei den Talbetrieben, zwanzig Prozent der Produktion zu bekommen. Das war sein Geschäft, die alle zu besuchen, zu betreuen, ihnen Schokolade mitzubringen und so weiter. Über den Preis ging ja nichts. Kresser ist auf die Alpen gegangen, da gab es immer welche, die nicht gut betreut waren, die kamen dann zu uns …

AT Betreuen hieß?

JR Die Qualität betreuen, pünktlich oder im Voraus zahlen, den Käse trotzdem nehmen, wenn der Absatz schlecht ist. Im Walsertal hat mir ein Senn einmal erzählt, der Kilian auf Alp Oberüberlut, schon sein Vater habe gesagt, solange wir den Käse machen, geht

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Der Käsekeller liegt an der Ortseinfahrt von Lingenau. Er wurde 2002 von einer eigens dafür gegründeten Gesellschaft errichtet Foto: Ludwig Berchtold

der zum Rupp. Denn als es Anfang der 1950er Jahre einmal zu viel Käse gab, nahm die Alma ihm nichts mehr ab. In der großen Verzweiflung rief sein Vater den Herrn Rupp an, weil er gehört hatte, der würde auch Käse kaufen. Darauf sei mein Opa hineingefahren und habe ihm das Geld auf den Tisch gelegt. Seitdem geht der Käse von dort an uns. Das ist auch bei den Enkeln so geblieben.

AT Mit der Übernahme der Alma ist dieses Thema ja erledigt?

JR Ja. Es gibt schon andere Annehmer. Aber mir geht es nicht darum, möglichst viel Alpkäse zu horten. Mir ist lieber, die Alpen vermarkten ihn direkt und bekommen dadurch einen besseren Preis.

AT Wie steht es eigentlich mit der Marke Bergkäse?

JR Die ist leider generisch. Viel davon wird industriell hergestellt und heißt nur so.

AT Aber Alpkäse ist doch ein besonderes Produkt.

JR Ja, schon. Aber man muss zugeben, wir sind da nicht einzigartig.

» Ich sitze regelmäßig in Jurys von Käsepreisen und muss sagen, der Comté oder der Gruyère, die können schon was. «

A ber der Alpkäse ist eines der ganz wenigen österreichischen Käseprodukte, die international in der Spitze dabei sind. Wenn ich einen 12-monatigen Alpkäse mitnehme, sind Käsekenner in Italien oder Frankreich verblüfft. Sie wussten nicht, dass es so etwas gibt. Wir sind also vorne dabei, aber nicht einzigartig.

AT Woran liegt das?

JR Wie wir achten auch Schweizer, Italiener und Franzosen aufs richtige Futter, betreiben keine Massenproduktion, beherrschen Kultur und Reifung. Da kommt vieles zusammen.

AT Jetzt noch einmal zur Alma. Die war doch immer größer als Rupp.

JR Ja. Vor allem beim Naturkäse, und da wieder beim Emmentaler. Der Milchwirtschaftsfonds wollte, dass Emmentaler gemacht wird, und in den Export kam fast nur Emmentaler. Darin war die Alma groß. Ich hatte immer bessere Kontakte mit den Geschäftsführern als mit den Genossenschaftsvorständen. Diese Beziehung war immer noch emotional besetzt.

AT Weil Rupp den Betrieb zurückbekommen hat?

JR Ja. Wir waren immer noch die Bösen.

AT Bitte? Rupp wurde doch enteignet?

JR Ja, klar, aber das Gefühl war genau umgekehrt. Wir hatten einen schönen Betrieb, hieß es bei der Alma, und der Rupp, der Gauner, hat ihn uns weggenommen. Nach dem Urteil, das ihm den Betrieb wieder zusprach, sagte mein Großvater zur Alma: „Wir können euch nicht von heute auf morgen rauswerfen, dann seid ihr weg vom Markt. Ich biete euch an, dass ihr ein Jahr lang zwei Tage in unserem Betrieb Schmelzkäse machen könnt.“ In diesem Jahr konnte die Alma ihren Harder Betrieb neu bauen. Das war ein großes Zugeständnis, wurde später aber immer umgedreht. Es wurde nicht als Zugeständnis gesehen, es gab Hetzbriefe und alles Mögliche.

AT Aber auf der Geschäftsführerebene gab es immer eine Gesprächsbasis?

JR Ja, denn wir hatten ja gemeinsame Probleme, Exportförderungen, die paritätische Kommission, die die Preise festsetzt, und so weiter. Die hätte konsumentenfreundliche Preise durchsetzen sollen, und wir hatten eine wunderbare Ausrede, wenn wir bei denen eine Erhöhung durchsetzten. Wir konnten sagen: amtlich

24 ALP #1
Im Käsekeller lagern 11.000 Hartkäselaibe
Ludwig Berchtold
Foto:

festgesetzte Preiserhöhung! Ich war davon überzeugt, wenn wir zur EU kommen, wird der Emmentaler in kurzer Zeit in Österreich keine Bedeutung mehr haben. Unsere Produktionskosten sind so viel höher als in anderen europäischen Regionen wie dem Allgäu oder in Frankreich. Emmentaler ist ein generischer Begriff, das ist ein Käse mit großen Löchern. M an kriegt keinen Preis, nur weil man ihn hier herstellt. Wir haben also nicht auf Emmentaler gesetzt, die Alma aber schon. Das war der große Unterschied. Und wenn es in einer Genossenschaft nicht läuft und es keinen starken Obmann gibt, geht es drunter und drüber, man wechselt die Geschäftsführer, der neue ist immer der beste. Sie machten zehn Jahre lang Verluste; auch wir machten nach dem EU-Beitritt Verluste. Die Märkte wurden vor dem EU-Beitritt über Exportsubventionen erschlossen. Die Überschüsse wurden vor allem in die USA exportiert. In der EU waren die USA aber ein No-Go. Wir hatten 60 Prozent Export, in der EU kehrte sich das um, aber auch der Inlandmarkt kam durch Käseimporte unter Druck. Wir haben damals stark auf Schmelzkäse gesetzt.

AT Worüber hast du mit den Geschäftsführern der Alma geredet?

JR Wir hatten ein Konzept erstellt, im Bregenzerwald gemeinschaftlich etwas zu machen. Es gab vom St. Galler Professor Andreas Menzl moderierte Workshops zum Thema gemeinsame Region, aber es kam nichts dabei heraus.

I mmerhin kam als kleinster gemeinsamer Nenner ein Reifelager aufs Tapet. Aber auch das wollte die Alma nicht. Danach gab es eine Krisensitzung; ich selbst musste mich zurückziehen, weil ich als Rupp ein rotes Tuch war, unser Direktor Wolfgang Alge vertrat mich. Bei einer Nachtsitzung kam es so weit, dass Hugo Walder, die graue Eminenz im Wald, den Landesrat Erich Schwärzler anrief und sagte, Erich, wenn du dich jetzt nicht hinstellst, wird das nie etwas.

AT Hinstellen heißt?

JR Festzustellen, dass niemand eine Förderung für den Bau eines Käsekellers kriegt, außer man macht ihn gemeinsam. Schwärzler stellte sich tatsächlich hin. Dann schuf man einen Beirat, zwei Leute von Alma, zwei von Rupp und ein Neutraler. Der Neutrale war Hans-Peter Metzler, der jetzt Wirtschaftskammerpräsident ist. In dieser Gruppe habe ich dann die Führung übernommen. Zu klären war: Wo kommt das Lager hin? In welche Gemeinde? Welche Gesellschaftskonstruktion? Ich wollte keine Genossenschaft, sondern eine GmbH mit einem Beirat. In dem ging es dann völlig ohne Streit ab. Alle zwei Jahre sollte der Vorsitzende wechseln, einmal Rupp, einmal Alma, aber wegen Turbulenzen bei der Alma war ich dann acht Jahre Vorsitzender dieses Beirats und führte den Keller. Da sahen die von der Alma, dass wir von Rupp nicht so böse und unvernünftig sind. Dort wurde der Grundstein gelegt, dass sie dann doch an uns verkauft haben.

Zuvor hätten sie die Firma lieber verschenkt, als an Rupp zu verkaufen.

AT Der Käsekeller war also entscheidend. Und jetzt funkioniert’s?

JR Ja. Als wir die Alma kauften, haben wir alle Alpen übernommen, das waren mehr, als wir hatten, etwa 60. Wir sahen dann, dass wir ohnehin die Perlen gehabt hatten. Hans Kresser war es wirklich gelungen, dass alle an Menge und Qualität interessanten Alpen bei uns waren. Was wir auch sahen: Die Alma hatten etwas mehr Alpkäse als wir, aber sie haben nichts davon als Alpkäse verkauft. Es wurde alles als Bergkäse verkauft oder ging in den Schmelzkäse. Während wir schon lange begonnen hatten, Alpkäse als etwas Besonderes zu vermarkten. Die eigene Genossenschaft kümmerte sich gar nicht um ihre Alpen. Die erschienen ihnen mehr als Problem denn als Chance. Das zeigte auch, dass die Kultur dort nicht wirklich eine Bauernkultur war.

AT Klingt die alte Rivalität jetzt noch nach?

JR Zuerst war große Unsicherheit. Aber das hat sich ganz schnell geändert. Wir haben einen zusätzlichen Käseberater eingestellt, und die Bauern sahen, dass wir uns besser um sie kümmern. Dann waren sie wirklich zufrieden.

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Im Käsekeller in Lingenau Foto: Ludwig Berchtold

VORARLBERGER ALPWIRTSCHAFT

,,Das ist kein Weichspül-Programm“, meint die Tänzerin und Flüchtlingsbetreuerin Aleks Vohl. Sie arbeitet schon den sechsten Sommer auf einer Alp. Eine Reportage über Alpwirtschaft
14 bis 15 Stunden Arbeit auf der Alp, Tag für Tag und ohne Wochenende

Noch sind keine Kühe zu sehen. Aber zu hören: Das Gebimmel ihrer Glocken kommt mit jedem Schritt näher. Eine Dreiviertelstunde bin ich mit Wanderschuhen auf dem Weg zur Alp Unterhirschberg. Das Auto habe ich in Schnepfegg beim Berghaus Kanisfluh stehen lassen.

Auf der Alp mit Milchkühen, Ziegen, Eseln, Kälbern, Schweinen und einem Pony

Anfangs geht es durch dichten Wald, der sich immer wieder lichtet und den Blick auf die mächtige Kanisfluh gegenüber freigibt. Dann finde ich eine Alphütte und Kühe – doch wo ist mein Interviewpartner Tobias? „Der ist weiter oben“, verrät mir sein Vater und unterbricht kurz das Mähen der Alpwiese. „Einfach dem Güterweg folgen, bis auf der rechten Seite der Hof kommt.“ Eine halbe Stunde später bin ich am Ziel auf 1.450 Metern See-

höhe. Zur einen Seite die Bergstation der stillgelegten Hirschbergbahn, zur anderen die Kanisfluh und direkt vor mir das Alpgebäude. Ein Border Collie nähert sich mit lautem Gebell. Dann tönt es aus dem Stall: „Benny, gib a Ruah!“ Sofort beruhigt sich der Hund und schaltet auf Schmusemodus um.

Tobias und Katharina Flatz verbringen hier mit ihrem kleinen Sohn Jakob den Sommer – gemeinsam mit 41 Milchkühen, mit Ziegen, Eseln, Kälbern, Schweinen und einem Pony. An diesem Freitag im Frühling teilen sie sich noch auf die beiden Standorte auf.

Tags darauf ziehen Mensch und Vieh komplett in die „obere Etage“.

Dort bleiben sie bis Ende Juli und kehren dann nach einem zweiwöchigen Intermezzo in der unteren Hütte zurück auf die Höhe.

„Der Vorteil dieses Vorgehens ist, dass in der Zwischenzeit das Gras nachwächst“, sagt Tobias.

26 ALP #1
VON THORSTEN BAYER
27 FRÜHLING
Foto:
Rupp AG
,,Viele Touristen sind überrascht, dass die Milch nicht direkt aus dem Tetra Pak kommt.“ Josef Schwärzler
Fotoarchiv

1 Dietmar Nussbaumer, Hotelier

2 Erich Schwärzler, Landesrat

3 Irene Prugger, Schriftstellerin

4 Kurt Bracharz, Schriftsteller

5 Meinrad Pichler, Historiker

6 Hans Meusburger, Käseexperte

7 Aleks Vohl, Tänzerin

8 Andrea Schwarzmann, Bundesbäuerin

9 Christoph Freuis, Alpwirtschaftsverein

10 Familie Flatz, Älpler

11 Josef Schwärzler, Senn

28 ALP #1
6 7 8 9 11 10 13 5 4 2
Fotos: Adolf Bereuter, privat (5), Thomas Defner, R. Pichler, Mirjam Steinbock, LK Vorarlberg, Thorsten Bayer,

Warum auch junge Menschen wieder auf die Alp arbeiten gehen

Mit ihrer Tätigkeit erfüllen die Älpler wichtige Aufgaben, erklärt der zuständige Landesrat Erich Schwärzler: „Die Alpwirtschaft im Bregenzerwald ist durch die jahrhundertealte Dreistufenwirtschaft, Heimbetrieb – Vorsäss – Alp, sowie durch die Erzeugung hochwertiger Alpprodukte wie Alpbutter und Alpkäse geprägt. Neben dem Offenhalten der Kulturlandschaft und dem Schutz vor Bodenerosion ist die Alpung vor allem für den Tourismus und auch die Gesundheit der Tiere von großer Bedeutung.“ Entsprechend der Landwirtschaftsstrategie 2020 „Ökoland Vorarlberg – regional und fair“ sei dabei die Partnerschaft mit dem Tourismus, den Konsumentinnen und Konsumenten sowie eine klare Kennzeichnung der regionaltypischen Qualitätsprodukte entscheidend. Dazu meint der Bregenzer Historiker Meinrad Pichler im Gespräch mit Irene Prugger in ihrem Buch „Vorarlberger Alpgeschichten“: „‚Ehrlich‘ erzeugte Produkte werden geschätzt und die Vorarlberger Landesregierung hat viel für das gute Image der Alpwirtschaft getan. Unter anderem trägt sie die Sozialversicherung für das Alppersonal, hat in den Wegebau investiert und sorgt für Auftriebsprämien. Das wertet die Alpen im öffentlichen Bild auf und so sind auch wieder junge Menschen bereit, im Sommer auf die Alp zu gehen.“

Engelbert Mähr bereist im Sommer ganz Vorarlberg, um Talsennereien und Alpen zu besuchen. Zwei, drei Tage nimmt sich der Naturkäseeinkäufer und Leiter des Rupp-Bergkäselagers jede Woche dafür Zeit. „Die Älpler sind mit Herzblut dabei, sie leben dafür. Ich bewundere sie immer wieder für ihren Einsatz: 14 bis 15 Stunden Arbeit Tag für Tag, ohne Wochenende.“ Dieses Engagement spüre nicht nur er: „Es gibt immer mehr Käsekenner, die das Handwerk schätzen, das hinter dem Alpkäse steckt.“ Christoph Freuis, Geschäftsführer des Vorarlberger Alpwirtschaftsvereins, pflichtet ihm bei: „Die Qualität der Alpprodukte ist auf höchstem Niveau, auch international betrachtet. Kulturell ist aus meiner Sicht die Vorarlberger Alpwirtschaft identitätsstiftend für viele Vorarlberger.

Der hiesige Berg- und Alpkäse ist in Österreich bei vielen bekannt und hoch geschätzt.“ Den kulturellen Wert sieht er zudem in der Pflege der vor vielen Generationen geschaffenen Alpweiden und der enormen Biodiversität. Viele schöne und seltene Gräser, Kräuter, Blumen und Sträucher erhielten erst durch die Nutzung den reich strukturierten Lebensraum.

Als 16-Jähriger den ersten eigenen Käse auf der Alp gemacht

Hans Meusburger, Jahrgang 1947, ist geprüfter Molkerei- und Käsereimeister und als einer der Vorgänger von Engelbert Mähr ein einzigartiger Kenner der hiesigen Alplandschaft. Kaum ein Ort, zu dem ihm keine Geschichte einfällt. So berichtet er bildhaft von wilden Autofahrten, bei denen auf dem geplanten Rückweg die Straße abgeteert war oder sich bis zur Ankunft in Lingenau das komplette Getriebe verabschiedet hatte. Auch nach seiner Pensionierung bricht er von seinem Haus in Langen bei Bregenz zu den lieb gewonnenen Zielen und Menschen auf. In dieser Woche hat er einige Termine, von denen er sich trotz eines aufwendigen Umbaus seiner Küche nicht abbringen lässt. Weiterhin versteht er sich als Berater, wenn zum Beispiel Fragen zu den verwendeten Kulturen aufkommen. Ein Mann der Tat, wie man nicht nur an seinen kräftigen Händen ablesen kann. Als 16-jähriger Bursche machte er seinen ersten eigenen Käse selbst, nur unterstützt von einem Pfister, der noch zwei Jahre jünger war. „Auf der Alp Obere Falz bei Egg (siehe dazu auch ,Natters Alpträume‘, Seite 56) gab es damals noch keinen Strom, den Käse haben wir selbst gerührt. Kochen hat von uns beiden keiner können. Aber wir sind dennoch nicht verhungert“, erinnert er sich lachend, als wir in seiner Stube sitzen. Die Zeiten haben sich geändert. Doch an die Zukunft der Alpwirtschaft glaubt auch Andrea Schwarzmann weiterhin. „Schon mein Großvater hat oft seufzend gefragt: ‚Wer macht wohl nach uns noch weiter?‘ Und es war immer jemand da, der voll Begeisterung weitergemacht hat“, erzählt die Bundesbäuerin in Pruggers „Vorarlberger Alpgeschichten“. Sie führt nun selbst die Tradition weiter und ist jeden Sommer

auf der Alp Steris im Großen Walsertal. Dort hat sie an ihren eigenen Kindern die Alp als wichtigen Erfahrungsraum erlebt: „Sie entwickelten in der freien Natur viel Fantasie, brauchten kein Spielzeug wie im Tal.“ Diese Einschätzung teilt auch Tobias Flatz vom Unterhirschberg: „Man lernt hier oben etwas fürs Leben. Auch die Pfister kennen beispielsweise die Wildtiere und Baumarten genau.“ Statt eines Fernsehers gibt es hier nur Radio und Jasskarten.

Viele sind überrascht, dass die Milch hier oben nicht aus der Packung kommt

Auf der Strecke zwischen Hittisau und Balderschwang liegt die Alp Gerisgschwend. Es ist ein kühler Tag, 12 Grad, bewölkter Himmel. Immer wieder weht ein böiger Wind. Mit den 12-Uhr-Nachrichten auf Radio Vorarlberg tritt Josef Schwärzler in Sennschürze aus der Tür. Er ist schon seit sieben Stunden auf den Beinen, dazu sind in dieser Nacht zwölf Ferkel auf die Welt gekommen. An seiner guten Laune ändert das nichts.

Kaum haben wir uns an den Tisch mit der rot-weiß-karierten Tischdecke gesetzt, trifft ein Ehepaar mit Berliner Dialekt ein. Die beiden waren gestern schon da, um Alpkäse mitzunehmen. Heute soll es eine Packung frischer Butter sein.

Kein Problem, wenige Minuten später verlassen sie zufrieden wieder die Alp. Der 34-jährige Schwärzler hat jeden Sommer seines Lebens hier oben verbracht. Er lebt nach dem Motto: „Als Mensch sollst du sein wie eine Blume: mit der Erde verwurzelt, zur Sonne gerichtet – und strahlen.“ Schausennen bietet er täglich an und trifft dabei ein ums andere Mal auf ein erstauntes Publikum. „Viele sind überrascht, dass die Milch nicht direkt aus dem Tetra Pak kommt.“

Ein sympathischer Gesprächspartner und wohl ein klassischer Senn, wie ihn der Bregenzerwälder Bauer, Schriftsteller und Sozialreformer Franz Michael Felder vor 150 Jahren beschrieben hat: „Die Sennen sind sehr interessante Menschen. Bei ihrer Arbeit kommt es hauptsächlich auf Umsicht, Geduld und richtige Beurteilung der wirkenden Naturkräfte an. Das lebt sich schnell in ihr Wesen ein und gibt ihm Würde und Ruhe.“

29
FRÜHLING

130

Es gibt 130 Sennalpen. Rund die Hälfte von ihnen beliefert die Firma Rupp

525

Vorarlberg zählt 524 bewirtschaftete Alpen, der Bregenzerwald allein 288

1000

Rund 1.000 Älplerinnen und Älpler kümmern sich vorarlbergweit um 40.000 Stück Vieh – darunter 9.000 Kühe

11000

Der Käsekeller in Lingenau ist Europas größtes Berg- und Alpkäsereifezentrum. 11.000 Laibe, die meisten 30 Kilogramm schwer, lagern dort

7500

Zusammen mit den 7.500 Laiben in Hard macht das ein Gesamtgewicht von 500 Tonnen Rupp-Käse

Die Gemeinde Hittisau hat die meisten Alpen Österreichs

Die Alp Gerisgschwend ist eine von 127 bewirtschafteten Alpen in Hittisau. So hoch wie in dieser Gemeinde im Vorderen Bregenzerwald ist die Alpdichte nirgendwo sonst in Österreich. Hier gibt es sogar ein Alpsennereimuseum, in dem jeden Mittwoch ein geführter Exkurs in die Geschichte der regionalen Käseherstellung und Milchverarbeitung zu erleben ist. Wenige Meter vom Museum entfernt steht das Hotel Gasthof Krone. Inhaber Dietmar Nussbaumer weiß von seinen Gästen, dass sie gern das Alpgebiet erwandern. Die Sensibilität rund um dieses Thema sei gestiegen: „Die Gäste reagieren auf Werbung und auch Berichte in den Medien aller Art. Es ist in der letzten T-MONA-Gästebefragung deutlich erkennbar, dass sich die Gäste des Bregenzerwaldes in den letzten

Jahren zu höher gebildeten Schichten mit einem höheren Haushaltseinkommen gewandelt haben. Diesen Menschen kann man kaum etwas vorgaukeln. Sie suchen die ehrlichen und echten Urlaubserlebnisse.“ Über das Zusammenspiel von lokalem Leben mit dem Tourismus sagt er: „Wenn der Einheimische ein neues Angebot annimmt, dann ist der Gast zweimal zufrieden. Die Einheimischen sind unsere besten Kritiker. Der Tourismus ist aktiver Netzwerkpartner unseres Lebensraums in und um Hittisau: gemeinsam, offen und achtsam.“

„Wir sind der Meinung, dass Alpwirtschaft und Tourismus eng zusammenarbeiten müssen“, findet auch Andrea Metzler, geborene Egender. „Es ist immer ein Nehmen und ein Geben.“ Sie arbeitet im Jagdgasthaus Egender in Schönenbach. Das ist für seine Käsknöpfle im ganzen „Would“ bekannt. An Spitzentagen servieren die

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,,Alpwirtschaft und Tourismus müssen eng zusammenarbeiten.“ Andrea Metzler
Foto: Fotoarchiv Rupp AG
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AG
,,Kinder entwickelten in der freien Natur viel Fantasie, brauchten kein Spielzeug wie im Tal.“ Irene Prugger Foto: Fotoarchiv Rupp

Wirtsleute bis zu 200 Portionen. Die Grundlage dafür liefert der Bergkäse, der vor Ort, in der Gemeinschaftssennerei der malerischen Vorsässsiedlung, erzeugt wird.

Was schön ist, wird oben schöner, das Schlechtere schlechter

Eigentlich ist Aleks Vohl ausgebildete Tänzerin, die derzeit Flüchtlinge betreut. Immer wieder verbringt sie den Sommer auf der Alp, heuer ist es der sechste. Kurz vor ihrer Abfahrt auf die Alp Sera im Großen Walsertal, wo die Bregenzerin als Melkerin für 16 Milchkühe zuständig sein wird, erreiche ich sie noch am Telefon. Was gefällt ihr am Alpleben?

„Was schön ist, wird dort oben noch schöner, was schlecht ist, noch schlechter. Alles wird intensiver, die Kontraste werden klarer. Das ist kein Weichspül-Programm. Und simple Kartoffeln mit Butter verwandeln sich am Alptisch in ein Haubenmenü.“

Das „Pure der Situation“ reize sie –und: „Das Alpleben entlastet meinen Kopf. Man muss weniger Entscheidungen treffen.“ Andere Hinweise, was das Alpleben ausmacht, liefert der Schriftsteller Kurt Bracharz in seinem lesenswerten Buch „Von der Alp auf den Teller“: „Eine Teilerklärung ist wohl, dass der menschlichen Natur selbst harte Arbeit in der freien Natur grundsätzlich angemessener ist als die in der Werkhalle oder gar im Büro. Eine weitere, dass sich auf der Alp jeder als Teil eines Teams mit klaren Aufgaben und Zielstellungen empfindet und selbst dem jüngsten Hütebuben Verantwortung zukommt, die seinem Selbstbewusstsein gut tut. Außerdem hat man keinen Chef unmittelbar vor der Nase sitzen, und der Arbeitshorizont erstreckt sich nicht bis zur Pensionierung Jahrzehnte später, nach etwas mehr als drei Monaten kommt mit Sicherheit der feierliche Alpabtrieb.“ Dann schließt sich der Kreis. Und die geschmückten Kühe sind auf ihrem Weg ins Tal bereits lange zu hören, ehe man eine von ihnen sieht.

Zum Weiterlesen: Kurt Bracharz: Von der Alp auf den Teller.

2014

Franz Michael Felder: Aus meinem Leben, Libelle Verlag, Lengwil 2013

Irene Prugger: Vorarlberger Alpgeschichten, Löwenzahn Verlag, Innsbruck 2015

Käsekultur in Vorarlberg, Löwenzahn Verlag, Innsbruck ,,Der menschlichen Natur ist selbst harte Arbeit in der freien Natur grundsätzlich angemessener als die in der Werkhalle oder gar im Büro.“ Kurt Bracharz
Foto: Fotoarchiv Rupp AG 32 ALP #1

Die organisierte Zucht in Vorarlberg begann 1893 mit der Gründung der ersten Viehzuchtgenossenschaft und der Einrichtung des ersten Herdebuchs für Braunvieh. Es war das erste Herdebuch Österreichs.

Die Rassenvielfalt hat in den letzten dreißig Jahren enorm zugenommen. Parallel wird die Zahl der Züchter rapide kleiner. Über die künstliche Besamung sind derzeit rund 500 verschiedene Stiere von fünfzig verschiedenen Rassen im Angebot.

BRAUCHT ES NOCH

VERBÄNDE?

In Vorarlberg bringt ein Stier bis zu 2.000 Besamungen im Jahr. Weltweit können bis zu eine Million Samendosen von einem Stier über seine gesamte Lebensdauer hin produziert werden. Es gibt auch noch den „Natursprung“ – in Vorarlberg sind es maximal fünfzig Sprünge im Jahr.

Grundlage jeder Zucht ist die Erhebung der züchterischen Merkmale vor Ort: Milchleistung, Gesundheitsdaten, Melkbarkeit u. v. a. m. Genau hier sind die örtlichen Viehzuchtvereine gefordert, die zum Teil auf eine 120-jährige Tradition zurückblicken. Ihre wertvollste und wichtigste Aufgabe ist, vor Ort Kontrollen dieser Merkmale durch geeignete Probenehmer zu organisieren.

Derzeit ist noch ein Netz von 96 Viehzuchtvereinen vorhanden. Doch in Zukunft wird es notwendig sein, dass sich Viehzuchtvereine zu regionalen Einheiten zusammenschließen. Der Strukturwandel verringert die Zahl der Mitglieder stetig, eine gemeindeübergreifende Struktur macht demnach künftig Sinn.

In Vorarlberg sind derzeit vier Rassezuchtverbände tätig. Der Aufwand für Vermarktung, Besamung und Herdebuchführung wird für alle ständig größer. Aktuell laufen Gespräche, um ein Dienstleistungszentrum für alle Rinderzüchter des Landes zu gründen. Das soll ein optimales Service zu vernünftigen Preisen auch in Zukunft garantieren. Von Rinderzüchtern werden immer neue Anforderungen zur Dokumentation ihrer Tätigkeiten im Rahmen der Qualitätssicherung verlangt. Aufgabe des Dienstleistungszentrums wird es unter anderem sein, die Züchter hier bestmöglich zu unterstützen und aus dem weltweiten Samenangebot eine für Vorarlberg optimale Auswahl zu treffen. Nicht zuletzt von einer guten Vermarktung wird es abhängen, ob sich der Aufwand der Leistungskontrolle für Züchter in Zukunft noch rechnet. Zwischen Zuchtvieh und Nutzvieh muss ein deutlicher Preisunterschied bestehen.

VIEHZUCHT-
STANDPUNKT VON THOMAS JUTZ
Foto: privat 33 FRÜHLING
Thomas Jutz ist Geschäftsführer des Zuchtvereins Braunvieh Vorarlberg

MARKUS CURIN

MARKUS CURIN

Was waren die ersten Berührungspunkte mit dem Käse?

HANS MEUSBURGER

Ich bin in einer Landwirtschaft aufgewachsen. Und da wir auch ein Vorsäss besaßen, hatten wir bereits als Kinder mit der Käseherstellung zu tun. Wir halfen unserer Mutter, die dort zehn Tage lang Käse machte, bevor die Kühe weiter auf die Alpen zogen. Sie hat damals auch Sig hergestellt, den wir zum Schlecken bekommen haben. Als ich 13 Jahre alt war, nahm ich an einem Schnupperkurs bei einem Senn teil und übernahm dann auch schon die Käseproduktion im Vorsäss.

MC Mit 13 Jahren schon ein kleiner Senn?

HM Ja klar, Mutter hat die Arbeit an mich abgetreten. Die Herstellung war ja damals noch ziemlich bescheiden und rustikal. Vor 54 Jahren habe ich dann als 16-Jähriger mit meinem 14-jährigen Freund auch die Alp Ochsenhof übernommen und meinen ersten richtigen Käse produziert. Das war schon etwas Besonderes, als wir zwei Buben selbstständig die Alp mit all den Tieren bewirtschaftet haben. Danach habe ich auf der Alp Obere Falz drei weitere Sommer mit Sennen verbracht. Und parallel dazu bin ich in die Lehre gegangen, was schließlich zu meinem Käseberuf geführt hat.

MC Sie haben die bescheidenen Ursprünge der Käseherstellung angesprochen. Wie sah denn die Produktion zu Zeiten Ihrer Mutter aus?

HM Früher waren Fett und Butter für die Ernährung enorm wichtig. Der Käse war eigentlich fast ein Nebenprodukt der Milch. Man hat zu viel Rahm für die Butter entnommen, wodurch der Käse entsprechend mager wurde und eigentlich kaum genießbar war. Zu meiner Zeit konnte ich bereits mehr Rahm in der Milch lassen, wodurch auch der Käse immer besser wurde.

MC Experimentierten Sie auf eigene Faust?

Über Käseproduktion und Lagerung einst und jetzt

Intensives Feingefühl – das ist laut der 1947 geborenen Käsemeister-Legende Hans Meusburger das Wichtigste bei der Käseherstellung. In einem Alter, in dem andere Kinder noch fest in der Spielzeugwelt leben, produzierte Hans Meusburger bereits seinen eigenen Käse. Sein Gespür für Reifung und Qualität hat der Bregenzerwälder Käsemeister auch mit dem Pensionsantritt nicht verloren. Er sah Trends aufkommen und sterben, bekommt von Käse noch immer nicht genug und ist noch immer ein gefragter Mentor für Jungsenner im ganzen Land.

HM Nein, das hat sich unter uns Landwirten und Sennern herumgesprochen. Durch die jahrhundertealte Tradition gab es unterschiedliche Erfahrungswerte auf jeder Alp und somit Käse von ganz unterschiedlicher Qualität. Dieses Wissen tauschte man aus. So kam es auch stets zu deutlichen Verbesserungen beim Geschmack. Es gab noch keine fachlichen Qualitätskontrollen von Ausbildnern der Landwirtschaftskammer, wir waren auf gegenseitiges Vertrauen und eigene Experimentierfreude angewiesen.

MC Mit welchen Stationen ging es nach der Lehre für Sie weiter?

HM Nach der Lehre und schulischen Ausbildung in Großdorf konnte ich 1970 gleich in der Nähe als Untersenn in einer kleinen Sennerei beginnen. Als unser Chef dann im Jahr darauf zu einer Großmolkerei wechselte, wurde ich mit 24 Jahren Betriebsleiter.

34 ALP #1
KÄSEREILEGENDE HANS MEUSBURGER IM GESPRÄCH MIT

Foto: Thorsten Bayer

Wir verarbeiteten ca. 700.000 bis 800.000 Liter Milch im Jahr. In der umliegenden Bevölkerung suchten wir immer nach Mitarbeitern und so lernte ich auch meine Frau Rosa kennen. Sie war mehrere Jahre lang Untersenn und hat wie ihre männlichen Kollegen Käselaibe gestemmt, die hundert Kilo und mehr hatten.

MC Über den Käse die Liebe gefunden sozusagen.

HM Oh ja. Und das erzähle ich den jungen Leuten noch heute gern. Wir haben fünf Jahre lang Seite an Seite 365 Tage durchgearbeitet. In dieser Zeit brachte meine Frau auch zwei Kinder zur Welt, die dann bei uns in der Sennerei aufgewachsen sind. So war die Familie Tag und Nacht beieinander.

» Es war einfach unser Leben. Und eine unglaublich schöne Zeit obendrein, wenn man jeden Moment mit seinen Liebsten verbringen darf. «

HM Es folgte dann die Zeit der Zentralisierung. Kleinere Sennereien wie unsere wurden geschlossen bzw. verlegt. Es entstanden größere Dorfbetriebe. Unser Betrieb wechselte zur Gänze nach Reichgarten, wie es damals hieß. Zuvor konnte ich noch meine Meisterprüfung absolvieren, während meine Frau mit einem Gehilfen drei Monate lang die Sennerei führte.

MC Mit der Schließung der Sennerei in Langen begann wieder ein neues Kapitel …

HM In Reichgarten wurde ich stellvertretender Betriebsleiter und blieb bis 1996 in dieser Position. In den 1980er Jahren entstand dann allerdings eine Situation, die für uns das Aus bedeutete. Es wurde viel Milch aus Innerösterreich nach Vorarlberg geführt, als es noch Fördermittel dafür gab. Dann wurden die Förderungen abgeschafft und viel Milch musste umdisponiert werden, damit alle Betriebe produzieren konnten. Gesundschrumpfen war angesagt, was auch vom Land so beschlossen war. Betriebe schlossen, es sollte nur noch die Milch aus Vorarlberg verwertet werden. Und so wurde im Jänner 1996 unser Langener Betrieb geschlossen. Nach fast fünfzig Jahren in der Käseproduktion standen wir ohne Betrieb da. Es waren wahrlich keine guten Zeiten für unseren Berufszweig. Aber ich nahm Kontakt zur Firma Rupp auf, die schon damals ein Abnehmer unseres Käses war, und bekam ebenso rasch eine Zusage. Der Chef des Bergkäselagers stand vor der Pension und so begann erneut ein neues Kapitel für mich.

MC Eigentlich eine völlig neue Arbeit?

HM Ja, denn zuvor war ich hauptsächlich mit der Emmentaler-Produktion beschäftigt. Nun musste ich mich um die Käsequalität und -pflege kümmern. 2001 ging der Käseeinkäufer in Pension und ich bekam auch dieses Amt übertragen. Dadurch kam ich mit den ganzen Alpen und Genossenschaften in Kontakt, qualifizierte deren Produkte und konnte viel von meiner Erfahrung weitergeben. Durch die enge Zusammenarbeit mit dem Fachberater von der Landwirtschaftskammer konnten wir so vielen Alpen mit Rat und Tat behilflich sein.

» So hatten alle was davon: Die Alpen lernten dazu und wir profitierten von der höheren Käsequalität. «

HM Besonders schön war zu sehen, mit wie viel Leidenschaft und Liebe viele Senner auf der Alp arbeiteten. Als Rupp dann 2008 Alma übernommen hat, kamen noch mal 76 Alpen dazu. Und das vielleicht schönste Erlebnis: Am letzten Sonntag, als ich im Dienst war, durfte ich für die Firma im französischen Jura die Goldmedaille für eine Käseweltmeisterschaft entgegennehmen.

MC Jeder Senn hat seine Käse-Handschrift. Wie sah Ihre aus?

HM Oberste Priorität hat die Milch. Damit verbunden auch die Eutergesundheit. Sennen ist eine Gefühlsangelegenheit: Als Älpler muss man sich ganz auf seine Intuition und seine Erfahrung verlassen. Das beginnt beim Melken auf die Hand und dem Probieren der Milch. Auch bei der Weiterverarbeitung in der Gepse

35 FRÜHLING
Hans Meusburger: „Käse war früher fast nur ein Nebenprodukt“

muss man ein Gespür für den Reifegrad und die Behandlung bekommen. So etwas kann man nicht lernen, dazu braucht es Übung und intensives Feingefühl. Wenn ich heutzutage Alpen besuche, erfahre ich schon durch den Geruch und das Aussehen der Gepsen einiges über den Senn und sein Handwerk. Hier entstehen ja auch die Kulturen für eine natürliche Reifung. Früher konnten wir noch nicht mit gezüchteten Kulturen aus den Talbetrieben arbeiten, sondern übernahmen diese aus den gebrauchten Holzbehältern. Das machen heute nur noch die wenigsten Alpen. Die nächste entscheidende Phase ist das Entrahmen: Durch das Kosten vom Rahm erfuhr ich gleich, ob er etwa leicht übersäuert war, und konnte gleich reagieren. Dasselbe gilt fürs Bruchschneiden, Erhitzen und Ausrühren. Hier hat man direkten Einfluss auf den Geschmack und die Konsistenz des Käses. Als Älpler muss man aber auch ständig auf das Wetter bzw. die Temperatur achten und mitdenken: Das wirkt sich enorm auf die Reifung aus.

MC Stichwort Käsekulturen: Welchen Unterschied machen natürliche und gezüchtete Kulturen aus?

HM Schon aus Hygienegründen tun sich junge Senner mit fertigen Kulturen leichter. Denn nicht alle Alpen bieten auch die richtigen Voraussetzungen für eine natürliche Reifung.

MC Aber wenn die Milch nicht passt, nützt die beste Senntechnik nichts.

HM Genau. Deswegen ist auch das Futter für die Kühe so entscheidend. Auf jeder Alp wachsen verschiedene Gräser und Kräuter, die sich enorm auf das Aroma auswirken. Somit schmeckt jeder Alpkäse anders. Es gibt hier eine Alp, die von wildem Schnittlauch umgeben ist – der färbt natürlich auf die Milch und somit auch auf den Käse ab. Und wenn wir schon vom Futter reden: Deswegen kamen ja einige Alpbetriebe in den letzten Jahren in Verruf. Denn was die Rinder auf der Alp überhaupt nicht brauchen, ist Leistungsfutter. Das bekommen auch Besucher und Konsumenten mit, und das führt schließlich auch zu berechtigter Kritik.

MC Welche Veränderungen konnten Sie im Laufe Ihrer Arbeit erleben?

HM Früher wurde natürlich viel mehr von Hand erledigt. Ob das nun das Warm-Schlagen der Butter oder das Melken war. Wir haben sechzig Kühe gemolken, bevor es ans Käsemachen ging. Aber das gehörte eben zum Älpleralltag dazu. Durch die Modernisierung hat man sich in erster Linie viel Zeit erspart und musste somit auch die Produktion anpassen. Statt Gepsen aus Holz werden Milchtanks und Wannen verwendet, die dann natürlich auch fertige Kulturen voraussetzen. Außerdem kommt der Käse heutzutage viel früher, ab etwa zehn bis 14 Tagen, zur Reifung und Pflege in Käsekeller des jeweiligen Abnehmers. Natürlich hat sich auch beim Transport viel verändert: Früher brachten wir den Käse noch mit Hornerschlitten ins Tal. Viele der Alpen waren kaum erschlossen und konnten nur mit dem Ross erreicht werden.

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Hans Meusburger: „Früher wurde viel mehr von Hand erledigt – ob das das Warm-Schlagen der Butter oder das Melken war“ Foto: Fotoarchiv Rupp AG

HM Früher hätte der Käse auch nie diese Reifegrade wie heute erreichen können – etwa zwölf oder 18 Monate. Das funktioniert erst durch Errungenschaften wie höhere Qualitätsstandards, Kühlmöglichkeiten, reinere Kulturen und Pflegevorkehrungen. Der Käse war früher viel ungestümer und dadurch kurzlebiger. Heute verlassen sich die Älpler größtenteils auf den Schalmtest, während wir früher fast nur durch das Handmelken und Abtasten feststellen konnten, ob der Kuh etwas fehlt. Außerdem werden auf den Alpen mindestens zwei Mal im Sommer Proben gezogen, die im Labor geprüft werden.

MC Viele zukünftige Älpler stellen sich ja einen idyllischen Naturjob vor, stattdessen erwartet sie ein anstrengendes Vollprogramm. Wie zufrieden sind Sie denn mit dem Senner-Nachwuchs?

HM Der landwirtschaftliche Sektor bringt nur noch sehr wenige Senner hervor. Die meisten sind mittlerweile Quereinsteiger, die sich vielleicht im Leben neu orientieren, in und mit der Natur arbeiten wollen. Sie müssen mindestens einen einwöchigen Kurs machen. Es ist teilweise sehr amüsant zu sehen, dass die Teilnehmer aus aller Welt kommen. Ich kenne zum Beispiel eine frühere OP-Gehilfin, die nun schon im dritten Jahr als Aussteigerin auf einer Alp Käse macht. Diese Idealisten sind enorm wichtig. Sie betrachten die Käseherstellung aus ganz anderen Augen, stehen zu Beginn vielleicht etwas hilflos da, aber saugen alles Wissen von uns erfahrenen Sennern regelrecht auf. Spätestens wenn sie das erste Mal am Kessel stehen, ihr Herz flattert und sie sich alles Gelernte vor Augen führen, beginnt der eigentliche Lernprozess, durch den wir alle durchmussten.

MC Wie hat sich im Laufe der Zeit die Bedeutung des Käses verändert?

HM Wie gesagt war er früher eher ein Nebenprodukt. Durch die höhere Qualität, die verschiedenen Sorten und die immer besseren Aromen änderte sich das Image rasch. Gezielte Käsewerbung erreichte immer mehr Menschen und Käse wurde fast zu einem Massenprodukt. Mit dem Emmentaler-Hype wurde es zwar ziemlich einseitig, aber die Berg- und Schnittkäse haben ein willkommenes und verdientes Comeback gefeiert. Heute genießt wohl jede Familie eine größere Palette an Käsesorten.

MC Wenn Sie an Ihre Alpzeiten zurückdenken, welche Aspekte haben Ihnen am besten gefallen?

HM Ganz klar die Käseproduktion: Butter machen, erleben, wie die Masse dicker wird, wie die Schmiere wächst. Das Ganze in dieser Naturkulisse, in der jeder Tag völlig anders ist, auch wenn die Abläufe fast gleich bleiben. Das habe ich auch unseren Marketingleuten immer wieder ans Herz gelegt: Vermittelt in der Werbung auch immer die Natur, die Landschaft, das Handwerk. Käse ist mittlerweile ein großartiges Aushängeschild, auch für den Tourismus. Und ebenso sind unsere Alpwirtschaften auf den Tourismus angewiesen. Es ist ein gemeinnütziger Kreislauf.

MC Kann man nach all der Zeit überhaupt noch Käse riechen/schmecken?

HM Keine Mahlzeit ohne Käse! Ernsthaft. Wir haben immer eine Fülle an verschiedenen Käsesorten lagernd, auch besondere Spezialitäten. Ein gereifter Bergkäse ist und bleibt mein Favorit, aber auch ein gereifter Emmentaler schmeckt hervorragend. Käsknöpfle essen wir nur daheim – das sind einfach die besten!

MC Gab es schon damals Veredelungen wie Pfeffer, Heu, Weinblätter, Nüsse usw.?

HM Nein, das kam erst in den späten 1980er Jahren und vor dem EU-Beitritt auf. Vor allem mit der Rückkehr von Berg- und Schnittkäse sammelte man allerhand Erfahrungen, was schmeckt und was nicht. Es kamen Zutaten, äußere Behandlungen, früher oder später hatte fast jeder eine besondere Sorte im Repertoire. Die Franzosen waren hier schon immer Vorreiter, auch was die verschiedenen Weichkäse betrifft, ebenso die Schweizer. Die probiere ich auch immer gern, aber komme dann wieder zum Bergkäse zurück.

MC Wie wird man den Käse in zwanzig Jahren herstellen?

HM Ich bin überzeugt: Auch wenn es immer mehr Technik und Forschung in der Lebensmittelbranche gibt, muss und wird sich der Alpenraum durch die Qualität aus der traditionellen Herstellung immer durchsetzen und seinen Stellenwert behalten. Die natürliche Produktion wird zwar immer schwieriger, da viele große Industriebetriebe in der Lebensmittelbranche ihre Finger im Spiel haben, und mit diesen Mitteln kann die Landwirtschaft einfach nicht mithalten. Aber schlussendlich entscheidet ja der Konsument, und wenn ich da die Entwicklung ansehe, bin ich doch recht zuversichtlich, dass die Nachfrage bestehen bleibt.

MC Gab es schon immer nationale oder internationale Vergleiche von Käse?

HM Seit den 1960er Jahren gab es vom Milchwirtschaftsfonds Prüfungen in der Steiermark oder in Wien, zu denen wir unseren Emmentaler geschickt haben. Unsere Sorten aus Langen konnten bundesweit mithalten, wir haben auch einige Erfolge erringen können. In den 1990er Jahren ist der Emmentaler dann fast verschwunden. Kein Wunder, er kam auch immer viel zu früh und unreif in den Handel, was ihm den Namen Gummikäse einbrachte. Wir stellten auf Berg- und Schnittkäse um. Und mit den neuen Sortenprüfungen zeigte sich: Vorarlberger Berg- und Schnittkäse gehört zu den besten der Welt.

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Rudolf Berchtel erzählt über das Anlegen und Instandhalten von Alpwegen

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ALPWEGE
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Rudolf Berchtel im Hochgebirge w Foto: Georg Alfare

Rudolf Berchtel, Organist, Geograf, Musikschullehrer, Kirchenchorleiter, Herausgeber eines Wanderbuchs und Spezialist für Wanderwege, verrät, worauf es bei diesen ankommt

Es ist ein Leben, das sich liest wie mindestens zwei. Rudolf Berchtel, ein hagerer Mann mit dichtem, schwarz-grau meliertem Haar, das, kurzgeschnitten, widerspenstig in die Höhe ragt, vereint vieles in einer Person: „Ja, ich bin sehr vielseitig“, lacht er. „Sage ich, ich sei Geograf, erwidert man mir: Wieso, du bist doch Musiker. Und umgekehrt. Ich kann nichts brillant, ich mache nichts ,gschid‘, wie man in Vorarlberg sagt, aber vieles sehr gut.“ Berchtels offenem Lächeln und den dunkelbraunen Augen, die hinter einer Hornbrille mit kluger Gelassenheit leuchten, merkt man an, dass er sehr bewusst nichts „Gescheites“ macht: „Als Allrounder hat man ein breites Wissen und eine große Bandbreite. Man lernt Menschen aus vielen Bereichen kennen und das Leben wird nie langweilig.“

DER ORGELNDE

GEOGRAF:

ALL DIESE PFEIFEN …

Rudolf Berchtel wurde 1961 im Kleinen Walsertal geboren und ist in Bezau im Bregenzerwald aufgewachsen. Wenn er von seiner Familie erzählt, wird klar, dass ihm die Verbindung des musischen Lebens mit dem pragmatischen wohl im Blut liegt: Der Vater war Tierarzt und Leiter des Bezauer Kirchenchors, die Mutter nicht nur

Bezauer Dorforganistin, sondern auch Fotografin und Inhaberin des Fotogeschäfts Hiller, das ihr Vater Kaspar Hiller bereits in den 1920er Jahren gegründet hatte.

Am Beginn von Berchtels kurioser Karriere stand kein Plan – sondern Ratlosigkeit. Glücklicherweise habe er aber nach der Matura das Geografieinstitut der Universität Innsbruck entdeckt: „Alles dreht sich in diesem Fach um die Natur, die mich immer schon sehr interessiert hat, um den Aufbau der Welt und darum, wie die Landschaften entstanden sind und was man aus ihnen alles herauslesen kann.“

Gleichzeitig schrieb sich Berchtel auch für das Orgelstudium am Konservatorium ein: „Ein einmaliges Instrument“, sagt er schwärmerisch, mit einem Glitzern in den Augen. „All diese Pfeifen, diese Klänge, mal übermächtig laut, mal sanftmütig leise.“

IN DEN ALPEN UNTERWEGS:

GEHEN MACHT DEN

KOPF FREI

Schon als Kind sei er sehr gern in der Natur gewesen, erinnert sich Berchtel: „Mein Vater, der Tierarzt, musste oft zu weit abgelegenen Bregenzerwälder Alpen wandern, um kranke Kühe zu behandeln. Er hat diese Wanderungen sehr geliebt. Ich habe ihn oft begleitet.

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Rudolf Berchtel unterwegs im Gebiet des Diedamskopfes im Bregenzerwald Foto: Georg Alfare

Das Gehen macht den Kopf frei, man versinkt ganz in sich selbst und in die Natur.“

Sein Professor an der Uni bot Berchtel für seine Doktorarbeit eine Analyse der „Alpwirtschaft im Bregenzerwald“ an: „Das war mein Thema!“, grinst Berchtel. Zwei Jahre lang ist er für seine Arbeit fast alle Bregenzerwälder Alpen abgelaufen, manchmal mehrere pro Tag. Fakten sammeln, analysieren und in eine neue Struktur bringen: Schnell merkt man, wo Berchtels Leidenschaften liegen, wenn er davon erzählt. Mit den Fingern zeichnet er dann konzentriert schnurgerade Linien auf den Tisch, sieht seinen Händen nach, hält für einen kurzen Moment inne. „Aus meinen Forschungen ergaben sich interessante Strukturen“, sagt er dann, „aus denen ich einige bis heute gültige Erkenntnisse ableiten konnte.“

BÜRO,

Nach Studienabschluss erhielt er eine Anstellung für Gemeindeentwicklung beim Land Vorarlberg. Den Job been-

dete er schon nach kurzer Zeit: „Acht Stunden täglich in einem Büro, viel Papierkrieg, keine Kreativität, es war furchtbar.“

1992 wurde Berchtel Lehrer für Orgel und Klavier an der Musikschule Dornbirn. Wirklich glücklich sei er damit auch nicht gewesen, gesteht er: „Die Aussicht, nur noch Musiklehrer zu sein, behagte mir ebenso wenig wie die Büroarbeit. Aber dann kontaktierte mich Helmut Tiefenthaler aus der Raumplanungsabteilung des Landes Vorarlberg und fragte, ob ich mit ihm ein neues, einheitliches Gesamtkonzept für alle Wanderwege in Vorarlberg entwickeln möchte. Ein System nach Schweizer Vorbild, mit einheitlichen Wegweisern, standardisierten Wegkategorien und erprobten Angaben zu den Wanderzeiten. Ich habe sofort ‚Ja!‘ gesagt!“

Arbeit gab es genug: „Vorarlberg war Anfang der 1990er Jahre längst ein Tourismusland, aber die Beschilderung der Wanderwege war chaotisch“, schüttelt Berchtel den Kopf. „Oft waren viel zu viele Wege angeschrieben, jede Gemeinde hatte andere Schilder, niemand kannte sich aus. Und nicht jeder Weg, der irgendwo hinführt, ist ein Wanderweg. ,Aber alle diese vielen Wege führen zum Ziel‘, hat es dann seitens der Wegwarte der Gemeinden oft geheißen. Aber so funktioniert das nicht. Ein Wanderer will nicht alle Wege, sondern nur die besten oder schönsten. Am besten wählt man zwei Wege aus, richtet sie her und sorgt für gute Beschilderungen und Markierungen.“

PILOTPROJEKT IN DREI

GEMEINDEN: ALLE WEGE GELAUFEN

und wusste bald, welche ich auswählen würde und welche nicht.“ Aus Berchtels Aufzeichnungen ergaben sich all die Knotenpunkte, an denen Wegweiser nötig waren. Außerdem notierte er sich seine Gehzeiten für jeden Streckenabschnitt: „Aus diesen Zeiten kann ich dann die Gesamtwanderzeiten addieren: der zweite wichtige Punkt unseres Konzepts.“ Der dritte bedeutende Aspekt eines Wanderwegenetzes sei die Zuordnung der drei Wegkategorien.

„In ganz Vorarlberg gibt es heute gemäß unserem Konzept nur drei

Farben: Weiß-Gelb für Fußwege, WeißRot-Weiß für Bergwanderwege und Weiß-Blau-Weiß für alpine Steige.“

Heute werden die Wegwarte der Gemeinden für die Instandhaltung der Wege speziell eingeschult: „Alle Markierungen müssen so angebracht werden, dass man sie von Weitem sehen kann. Bäume dürfen nur bemalt werden. Beim Malen sollte keine Farbe herunterrinnen. Die Stangen für die Wegweiser dürfen auf gar keinen Fall drehbar sein – sonst ist der Sinn eines Wegweisers schnell dahin!“

Nach den Wanderwegen läuft unser Gespräch bald wieder in Richtung anderer Dinge, die Rudolf Berchtels Leben noch prägen. Samstägliche Orgelkonzerte während des Dornbirner Wochenmarkts etwa, die er ins Leben gerufen hat, oder die Digitalisierung des umfangreichen Fotoarchivs seines Großvaters.

Foto: Georg Alfare

Berchtel beim Wegweiser

Die ersten Gemeinden des Bregenzerwalds, die das Land Vorarlberg Mitte der 1990er Jahre um eine Neukonzipierung ihrer Wanderwege baten, waren Lingenau, Krumbach und Langenegg.

Die drei wurden für Berchtel zu einer Art Pilotprojekt: „Ich bin alle Wege in diesen drei Gemeinden selbst abgelaufen, habe sie auf Karten eingetragen

Und dann ist da noch sein „Wanderbuch Bregenzerwald“, das 2017 in 3. Auflage erschienen ist. Ein kleiner Band voller selbstgemachter Fotos und bemerkenswerter historischer Details: „Man sieht nur, was man weiß“, sagt Berchtel über sein Buch und lacht dann verschmitzt: „Wo man abbiegen muss, muss ich im Bregenzerwald niemandem mehr erklären: Denn es gibt dort ja eine hervorragende Beschilderung!“

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ALPLEXIKON

Auf der Alp und bei allem, was damit zusammenhängt, sind besondere Wörter im Gebrauch. Hier werden einige erklärt

ALPAUFTRIEB/

Alljährliche Zeremonien im Frühjahr und Herbst. Festlich geschmückt wird das Vieh der Bauern auf die höher gelegenen, saftigen Alpweiden getrieben. Geht alles gut und niemand kommt während des Sommers zu Schaden, dann wird auch der Alpabtrieb gebührend mit festlicher Musik und Tanz zelebriert. Heute verschwimmt mitunter die Grenze zwischen Brauchtum und Volksfest.

ALPENBART

Traditioneller Rasurverzicht der Älpler. Das Wuchern der Haare soll Glück bringen. Dementsprechend sieht man beim Alpabtrieb nicht selten eine ganze Menge bärtiger Gesellen. Die schönsten Rauschebärte werden bei Alpenbarttreffen gekürt.

ALPKÄSE

Don’t call it Bergkäse! Im Gegensatz zu diesem wird der äußerst würzige Alpkäse ausschließlich im Sommer auf der Alp erzeugt. Die Kräutervielfalt der Alpweiden verleiht dem traditionell handgeschöpften Produkt seinen intensiven Geschmack. Käsefreunde sollten den alljährlich stattfindenden Käsewettbewerb zum Abschluss des Alpsommers auf keinen Fall verpassen.

ALPSEGEN

Traditionelles Dank- und Bittgebet der Älpler. Auch Alpruf oder Betruf genannt. Nicht zu verwechseln mit dem Jodler. Zur höheren

Publikumswirksamkeit wurde der Sprechgesang früher vor dem Schlafengehen durch einen hölzernen Milchtrichter geschmettert. Erschallte von überallher ein Ruf, konnte man sich beruhigt hinlegen. Im Handyzeitalter fast nur noch Denkmalpflege.

ALPWEIDE

Seit Jahrtausenden genutzte kräuterreiche Kulturlandschaft. Die satten Wiesen liefern gut verdauliches, reichhaltiges Futter. Die Alpweide ist eine fruchtbare Mischung aus Grasland und Sträuchern. Das jährliche Abgrasen durch die Nutztiere verhindert die Verbrachung und Bewaldung der Landschaft und schützt zugleich die dort ansässige Flora. So hat jeder was davon.

BAUMGRENZE

Oberhalb der Grenze wachsen zwar noch Gras und auch einige Zwergsträucher, doch Bäume können

ihre Stämme nicht mehr verwurzeln. In diesen Regionen muss man selbst für Schatten sorgen. Den Kühen macht es weniger aus. Für Menschen gilt hohe Sonnenbrandgefahr!

BESTOSSUNG

Der Stoß ist eine altertümliche Maßeinheit. Während eine Kuh einem Stoß entspricht, braucht es Schafe derer fünf. Die Bestoßung bezeichnet demnach die Gesamtmenge des auf der Alp weidenden Viehs. Heute wird der Viehbesatz etwas arithmetischer in Großvieheinheiten (etwa 500 kg) berechnet.

GALTALP

Alp, auf der nur das sogenannte Galtvieh gehalten wird. Das sind jene Kühe, die dem Senner noch keine Milch spenden. Nach der Stationierung am Vorsäss wird das Jungvieh hierher gebracht, ausgewachsene Milchproduzenten landen hingegen auf den Melkalpen.

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VON JOSHUA KÖB DIE WICHTIGSTEN BEGRIFFE

Gehört zum Berg. Wird heute manchmal gefällt. Traditionell markiert das Kreuz die Spitze des Berges. Das religiöse Symbol soll den Wanderern Gottes Segen spenden. Am Kreuz befestigt befindet sich überdies meist ein Gipfelbuch, in dem auch säkulare Gipfelstürmer ihre Taten verewigen dürfen.

KÄSEHARFE

Dieses Instrument macht zwar keine Töne, ist aber dennoch an Nuancen reich. Die Käseharfe ist eines der wichtigsten Werkzeuge der Senner. Damit wird die eingedickte Milch im Kessel in Körner zerteilt. Aus dem entstehenden Käsebruch wird zukünftiger Käse. Je kleiner der Bruch, desto fester der Käse. Die Geschmackstöne kommen später.

ten ebenso gern gehört. Die Glocken sind jedoch nicht nur schön anzuschauen, sondern auch nützlich: Bei Nebel findet der Älpler seine Herde und die Kühe bewahrt es vor dem Einnicken.

MOLKE

Eigentlich Restprodukt der Käseherstellung. Seit einigen Jahren in Form von Molkedrinks mit zum Teil exotischen Geschmacksrichtungen aber auch ein urbanes Lifestyle-Getränk. Auf der Alp bleibt man vom Trend unberührt, hier wird die Molke noch in natura genossen.

MURMELTIER

Marmota marmota. Natürliche Ressource zur Fettgewinnung. Der daraus hergestellte Murmeltierbalsam eignet sich zur Schmerzlinderung seiner Anwender und ist besonders bei Sportlern beliebt. Die Salbe ist ein altes Hausmittel gegen Gliederschmerzen, weswegen die im Alpenraum weitverbreiteten Nager umfassende Höhlensysteme anlegen.

KUHFLADEN

Nicht zu verwechseln mit Käsefladen. Kuhfladen sind die duftenden Überreste einer mehrfach verdauten Alpweiden-Mahlzeit und zugleich üppiges Fliegenmahl. Es kommt vor, dass die Hinterlassenschaften die Wiesen beinahe wie Teppiche überziehen. Ausgebreitet für das wandernde Volk.

KUHGLOCKENLÄUTEN

Das Gebimmel verärgert im Tal so manchen Hotelier und Pensionisten. Auf der Alp bringt es niemanden um den Schlaf. Hier wird der Glockenschmuck der Kühe gern bestaunt und das Läu-

SAGE

An reale Orte gebundene übernatürliche Erzählung. Nicht selten hat der Leibhaftige selbst die Finger im Spiel. Der Sagenreichtum der Alpen liegt vermutlich an den extremen Lebensbedingungen und am freien Walten der Naturgewalten. Berggeister und Dämonen wie die Alpenbütze im Bregenzerwald oder Hexen als gespenstische Sennerinnen finden sich genauso wie verwunschene Plätze und verwüstete Alphütten. Einige heidnische Vorstellungen und Rituale konnten sich bis in die Gegenwart halten. Davon kann man sich bei Sagenfestspielen überzeugen.

SENNENHUND

Der Senn macht den Käse. Der Sennenhund gibt Obacht. Außerdem treibt er das störrische Vieh auf die Alpweiden und bewacht es dort vor Fressfeinden. Der Sennenhund ist ein naher Verwandter des Lawinenhundes.

SIG/GSIG

Wälder Schokolade. Gesunde, süß-salzige Alternative aus Michzucker und Mineralstoffen. Hergestellt wird die Bregenzerwälder Spezialität aus stundenlang eingekochter Molke, welche später über dem offenen Feuer karamellisiert. Den Sig kann man warm oder kalt als Brotaufstrich genießen.

SILBERDISTEL

Carlina acaulis. Im Volksmund auch Eberwurz oder Kraftwurz genannt. Die Silberdistel ist eine überaus ausdauernde Pflanze, die vorwiegend in trockenen Höhenlagen beheimatet ist. Bei Nacht und Regen schließt die Blume ihren silbern schimmernden Blütenkranz. Wie so vieles in den Alpen, kann auch die Distel mit Heilwirkung auftrumpfen.

SÖMMERUNG

Sommerlicher Gang auf die hoch gelegenen Alpweiden. Die Bewirtschaftung hält die Weiden in gutem Zustand und mindert die Gefahr von Naturkatastrophen. Dem Vieh verschafft sie viel Bewegung im Freien und frische Bergluft. Das kommt nicht nur der tierischen Ge-

sundheit zugute. Käse und Fleisch schmecken dann auch besser.

SONNENAUFGANG

Liegt im Tal noch Tau und Nebel und die Welt noch in den Kissen, kann sich der frühmorgendliche Älpler bereits an den ersten wohltuenden Sonnenstrahlen erfreuen. Doch Müßigkeit ist in der Höhe verpönt. Mit der Sonne kommt die Arbeit. Das bekommen gelegentlich auch romantisch verklärte Saisonarbeiter aus der Stadt am eigenen Leib zu spüren.

ST. WENDELIN

Schutzpatron der Bauern, Hirten und Schäfer. Aus königlichem Geschlecht stammend, wählte der heilige Wendelin die gottgefällige Einsamkeit des Hirtenlebens. Wendelin sorgt für den Schutz des Viehs und hilft gegen Viehseuchen und Unwetter. Dafür wird ihm viel gedankt. Auch heute beginnt noch so manch erstaunter Älpler-Ausruf mit „heiliger Wendelin“. Andere bekannte Schutzpatrone sind der heilige Martin oder der heilige Leonhard.

VORSÄSS

Zwischenstation der Dreistufenwirtschaft. Auch als Maisäss oder Maiensäss bekannt. Der Vorsäss wird im Frühling vor dem Übergang zur höher gelegenen Alpe genutzt. Während des Sommers wird hier gemäht. Das Heu dient wiederum als Futter für den Winter. Aufgrund der hohen touristischen Bedeutung werden Vorsässe oft mit den eigentlichen Alphütten verwechselt.

GIPFELKREUZ
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Foto: Vorarlberg Museum Gallus Moosbrugger, Käsegroßhändler und Adlerwirt aus Schnepfau

KÄSE, GRAFEN UND DER REBELL

Die Geschichte der Käsegrafen erzählt von Georg Sutterlütty

Käsehändler brachten es im 19. Jahrhundert im Bregenzerwald zu solcher Macht und solchem Reichtum, dass sie als »Käsgrafen« tituliert wurden.

Der Kleinbauer und Schriftsteller Franz Michael Felder stellte sich ihnen in den Weg

Die Geschichte nahm ihren Anfang Ende 1865, kurz vor Weihnachten. Der Schoppernauer Franz Michael Felder hatte gerade seine abendlichen Stallarbeiten beendet, die Kühe nochmals mit Heu gefüttert, als er schnurstracks vom Stall in die wohltemperierte Stube trabte, um dort seiner Leidenschaft, dem Schreiben, nachzugehen. Er holte den bereits fast voll gekritzelten Papierbogen hervor, das Tintenfass und die Feder. Der Brief war an seinen Schwager Kaspar Moosbrugger gerichtet. Sie schrieben sich regelmäßig alle paar Wochen. Felders Brief ist lang geworden. Er schweift immer wieder ab, kommt vom einen Thema zum anderen. Zuerst berichtet er von einer Verteidigungspredigt des Schoppernauer Pfarrers Rüscher, um sogleich auf eine Besprechung seines Buchs

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„Nümmamüllers“ einzugehen. Hier ein Schwank aus dem Schoppernauer Bauernalltag, dort ein Hinweis auf seine Leselektüre. Und mitten drin eine kurze Anmerkung: Der Milchhandel sei ein „wahres Elend“, schreibt er. Er habe sich in letzter Zeit Gedanken darüber gemacht – und warum nicht gegen das „wahre Elend“ etwas unternehmen? Wie und was, das verrät er noch nicht, nur dass er Gespräche darüber mit Freunden führe und vorhabe, eine Schrift aufzusetzen.

DER JAUKO-MICHEL ERZÄHLT

AUS DER WELT

Im Februar 1866 werden Felders Pläne konkreter: Er schreibt dem Schwager von der Absicht, eine Vereinigung für einen Käsehandel zu konstituieren. Das ganze Oberdorfer Sennhaus stehe zurzeit Kopf: „Wenn Du abends von 6 bis 8 Uhr in ein Oberdörfler Haus eintrittst, so siehst du die Hausmutter unwillig bei der kalten Suppe sitzen.

Fragst du nach dem Mann, so heißt’s: ‚Im Sennhaus hockt er jetzt alle Abende …, wo der Jauko-Michel (Franz Michael Felder) aus der Welt erzählt. Von Fürsten und Völkern, von der Not und von den Mitteln dagegen, von den Zünften, Handelsgesellschaften, Vereinen und allem möglichen‘.“ Felder spielt mit den Gedanken, gemeinsam mit Bauern und Mitstreitern aus Dorf und Tal eine Käse-

handel-Genossenschaft zu gründen. Heute klingt das wenig spektakulär, aber vor über 150 Jahren, als in Österreich noch keine Demokratie herrschte, die Versammlungsfreiheit sehr eingeschränkt und die Wirtschaft den sogenannten „Kapitalisten“ überlassen war, ist ein solcher Akt von unten kommend durchaus als revolutionär anzusehen. Felder haderte schon länger mit der Monopolstellung einzelner Käsehändler im Tal, die den Milchpreis diktierten und ihre Lieferanten in Abhängigkeit gebracht hatten. Im Hinteren Bregenzerwald verkörperte vor allem eine Person den mächtigen, alles beherrschenden Käsehändler: Gallus Moosbrugger aus Schnepfau. Seine Position war so bedeutend, dass er und seine Brüder als die „Käsgrafen“ bezeichnet wurden.

DER BREGENZERWALD WIRD ZUR KÄSEHOCHBURG

Hundert Jahre zuvor hätte sich wohl kaum ein Talbewohner vorstellen können, dass mit dem Handel von Käse so viel Besitz, Geld und Macht angehäuft werden kann, wie es Moosbrugger vorexerzierte. Käse war im Bregenzerwald bis ins 18. Jahrhundert ein Nebenprodukt, das hauptsächlich dem Eigenverzehr diente. Zudem wurde mehr Saurer Käse als Hartkäse produziert. Der Grund: bei der Erzeugung von Saurem Käse wird der gesamte Rahm abgeschöpft, der dann zu Butter verarbeitet wird. Die Regierung in Innsbruck war sehr darauf erpicht, dass die Wälder die von ihr vorgegebenen Mengen an Butter und Schmalz auch ablieferten. Sie verhängten damit indirekt der Erzeugung von größeren Mengen an Fett- bzw. Hartkäse ein Verbot. Aber die Bregenzerwälder interessierten sich immer mehr für die Produktion von Hartkäse. Der Vorteil lag auf der Hand: das Produkt war haltbarer und deshalb besser geeignet für den Export und Verkauf außerhalb des Tales als der Saure Käse. Als dann die restriktive Vorgabe der Regierung zu Beginn des 19. Jahrhunderts fiel, sollte sich der Bregenzerwald in wenigen Jahren in eine Käse-Hochburg verwandeln. Von nun war das Wirtschaften auf dem Berg und im Tal großteils auf dieses Produkt ausgelegt. In manchen Orten war die Produktion von Hartkäse so hoch, dass Butter importiert werden

musste. Der Käse sollte schließlich ein Markenzeichen der Talschaft werden.

EIN KÄSGRAF NAMENS

GALLUS AUS SCHNEPFAU

Gallus Moosbrugger reagierte sehr ungehalten, als ihm die Pläne Felders zu Ohr kamen. Er unkte: Was mischt sich ein Bäuerlein in Angelegenheiten ein, wovon er nichts versteht? Der Aufga-

benbereich war vielfältig, ging es doch nicht nur darum, Milch einzukaufen und Käse zu produzieren. Es musste zuerst ein Absatzmarkt aufgebaut und dieser dann ständig mit einer qualitativ hochwertigen Ware beliefert werden. Es galt den Transport zu organisieren. Dabei musste man stets darauf achten, dass der Käse durch Hitze oder Kälte keinen Schaden nahm. Gallus betrieb den Käsehandel zusammen mit seinen älteren Brüdern Leopold und Josef Ambros. Ihr Netz reichte hauptsächlich in die Lombardei nach Mailand. Dort belieferten sie ansässige Händler aus der Stadt und der Umgebung. Die Brüder waren ein gut eingespieltes Team. Jeder hatte sein

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Foto: Vorarlberger Landesbibliothek, Oliver Benvenuti Käsetransport von Auenfeld ins Tal

Foto: Sammlung Risch-Lau, Vorarlberger Landesbibliothek

Schoppernau mit Kanisfluh

Wirkungsfeld. Gallus war am Stammsitz in Schnepfau, im Gasthaus Adler, geblieben. Er kümmerte sich in erster Linie um die Milchlieferanten aus dem Bregenzerwald. Leopold wiederum war nach Thüringen gezogen und betreute dort den Kundenstock im Oberland. Josef Ambros hatte sich in

Mailand niedergelassen. Er sorgte sich um den Markt in Italien, war dort zudem auch als Käseproduzent tätig. Die Moosbruggers waren geschickt und innovativ, stets offen, sich an den Kundenwünschen zu orientieren. Im Bregenzerwald wurde in erster Linie nach Schweizerart gesennt, angeregt durch Appenzeller Zuwanderer, die insbesondere im 18. Jahrhundert als Senner angeheuert worden waren. Doch in Italien war vor allem der BattelmattKäse, ein Vollfettkäse, beliebt. Die Moosbrugger scheuten daher keine Mühen und holten um 1830 Fachleute aus dem Tessin in den Hinterwald, die sie in die Kunst der Herstellung dieser besonderen Käseart einweihten. Auch in der Sennerei in Mailand produzierten sie besonders in der Lombardei beliebte Sorten wie den Parmesan oder Gorgonzola.

DIE SENNEN KOMMEN VOM BERG INS TAL

Das Käsegeschäft florierte. „Diese wichtige Erwerbsquelle der Bregenzerwälder ist dermalen wirklich in

Foto: Vorarlberger Landesbibliothek, Oliver Benvenuti

Käsetransport Richtung Geißbach (Tirol)

einem blühenden Zustand“, notierte der Vorarlberger Kreishauptmann Johann Nepomuk Ebner 1834 in sein Tagebuch. Ein regelrechter Boom war ausgebrochen. Bisher hatte sich die Produktion auf die Sennalpen in den Bergen beschränkt. Um 1830 entstand in Au die erste Talsennerei, die nun während der kalten Jahreszeit die Milch der Bauern verarbeitete. Das brachte ihnen eine zusätzliche Einnahmequelle. Bald begannen im Bregenzerwald Sennstuben wie Pilze aus dem Boden zu schießen. 1869 zählte man im Tal bereits über 130 Sennereien: Die meisten von ihnen waren recht klein, eingerichtet in den Kellern von Bauernhäusern. Konkurrenz war gegeben, aber die einzelnen Händler im Wald kamen sich kaum in die Quere. In Bezau handelte Josef Anton Ratz mit dem Milchprodukt. Er vertrieb es in Norddeutschland und Belgien oder transportierte den Käse über die Salzstraße nach Hall. Von da ging er entweder in den Süden nach Bozen und Verona oder per Schiff über den Inn und die Donau nach Wien und Budapest. Im Gegenzug kaufte er in Hall Salz und in Bozen Wein ein, die dann Absatz in der Heimat fanden. In Egg waren der Löwenwirt, Josef Leo Simma, und dessen Sohn Kaspar besonders aktiv. Sie lieferten ihren Käse in den Osten der Habsburgermonarchie. Später war er auch in Polen und sogar in der Türkei zu bekommen. Im Vorderwald machte sich der Hittisauer Johann Konrad Bechter einen Namen. Nicht nur als Händler, sondern auch als aufgeschlossener Geist für neue Entwicklungen in der Milchwirtschaft. Er trieb die Erzeugung von Emmentaler Käse voran, machte sich stark für die Verwendung von Molke als Zusatzfutter für Schweine und nutzte neue Hilfsgeräte wie den Thermometer zur Qualitätssteigerung in der Produktion.

GALLUS, »GALLE« IM AUGE SEINES ERZFEINDES FELDER

Als Käsehändler konnte man gut verdienen, mancherorts für damalige Verhältnisse unvorstellbar hohe Summen. Die Moosbruggers dürften sich dabei ein gehöriges Stück vom üppigen Kuchen abgeschnitten haben – wahrscheinlich gehörten sie am Höhepunkt des Käsehandels im 19. Jahrhundert zu den Reichsten im Bregenzerwald. Das

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wird schon daraus ersichtlich, dass sich Gallus über 60 Pferde halten, Leopold im Großen Walsertal das Bad Rothenbrunnen kaufen und Josef Ambros sich eine Loge in der Mailänder Scala leisten konnte. Ihnen gehörten weite Teil des Großen Walsertals, auch besaßen sie bedeutenden Grundbesitz in den Blumenegggemeinden im Walgau. Gallus Moosbrugger war ein umtriebiger Geschäftsmann, dem es gelingen sollte, den Milchmarkt im Hinteren Bregenzerwald zu kontrollieren. Er hatte sich eine Monopolstellung aufgebaut, die er vehement verteidigte. Mit dem Argument, er übernehme dafür das Risiko am Käsemarkt. Die Bauern waren gezwungen, ihn zu beliefern. „Galle“, wie Felder ihn spöttisch nannte, zahlte im Voraus, diktierte aber den Preis. Laut Felder zahlte er schlecht. Viele Bauern steckten um die Mitte des 19. Jahrhunderts in großer Abhängigkeit. Etliche waren im Lechtal verschuldet. Der Katharinentag am 25.November galt als Lostag. Da kamen die Gläubiger aus dem Lechtal über den Tannberg in den Wald herunter, um ihren jährlichen Anteil zu holen. Kreishauptmann Ebner schätzte, dass da 50.000 bis 100.000 Gulden über die Wirtshaustische gingen. Hatte ein Bauer kein Geld, streckte ihm es Moosbrugger vor. Der Bauer lieferte ihm dafür über den Winter die Milch. Es gibt nicht viele Zeugnisse über Gallus Moosbrugger. Die wenigen Beschreibungen, die überliefert sind, stammen von einem Erzfeind: von Franz Michael Felder. Nach diesem war er ein Choleriker, aufbrausend und stürmisch, ein Machtmensch, der gegenteilige Meinungen mit Hohn und Spott bedachte. Auch skrupellos soll er gewesen sein und vor Gewalt nicht zurückschreckend. Mit süffisantem Unterton schrieb der Schoppernauer Felder einmal seinem Schwager, „Galle“ habe seine Frau „braun und blau geschlagen“. Moosbrugger mochte es gar nicht, wenn man seine Pläne durchkreuzte. Felder wiederum missfiel die Eitel- und Selbstgefälligkeit des Unternehmers. So unterschiedlich sie schienen, hatten sie doch auch ähnliche Wesenszüge. So verfolgten beide mit Sturheit, Ausdauer und Selbstbewusstsein die von ihnen gesetzten Ziele. Beide verkörperten auf ihre Art die Modernisierung der Talschaft. Während Moosbrugger durch sein ökonomisch-liberales Verständ-

nis alte Wirtschaftsweisen überwand, rüttelte Felder die Gesellschaft in sozialpolitischen Angelegenheiten auf. Der für das 19. Jahrhundert so typische ideologische Wettstreit zwischen Freiheit und Gerechtigkeit fand gerade im hintersten Winkel des Bregenzerwaldes seinen Ausdruck.

DAS ENDEDER GRAFENUND IHRES REBELLEN

Und wie endete schließlich die Geschichte? Felder sollte es nach mehrmonatiger Vorarbeit 1867 gelingen, eine Genossenschaft, den sogenannten „Käsehandlungs-Verein des Bregenzerwaldes“, zu gründen. Er hatte genügend Bauern, Unterstützer sowie Geldgeber aus dem ganzen Bregenzerwald überzeugen können. Allerdings agierte der Verein von Bezau aus. In Schoppernau war die Luft dafür womöglich noch zu dick. Die Genossenschaft wirtschaftete erfolgreich, sie konnte die Milchpreise heben. Gallus Moosbrugger musste zähneknirschend nachziehen. Trotzdem bemängelte Felder, dass die Bauern primär wirtschaftliche Interessen verfolgten und weniger ein Gespür für den idealistischen Hintergrund der Genossenschaft – der kleinbäuerlichen Emanzipation – entwickelten. Moosbruggers Handelsfirma war bald mit anderen, wesentlich weitläufigeren Problemen konfrontiert. Infolge des Risorgimento löste sich die Lombardei aus dem habsburgischen Staatenbund, womit sich wieder Mauern zwischen den beiden Ländern bildeten. In den 1870er Jahren folgte die nächste große Wirtschaftskrise, die auch dem Käsehandel zusetzte. Moosbrugger starb 1886. Felder war damals schon 17 Jahre tot. Die Nachfahren der Moosbruggers führten die Geschäfte weiter, aber längst nicht mehr mit der Intensität ihrer Väter. 1930 löste sich die Firma auf.

48 ALP #1

Foto: Sammlung Risch-Lau, Vorarlberger Landesbibliothek

Mellau im Bregenzerwald

Foto: Bregenzerwald Archiv, PK_SCHO_072

49 FRÜHLING
Franz Michael Felder

Von Reinhard Johler

MAISÄSS

ODER

VORSÄSS?

Was es über das Maisäss oder auch Vorsäss zu wissen gibt

DIE BEGRIFFE

Im Montafon sagt man „Maisäss“, im Bregenzerwald „Vorsäss“. Der Montafoner (Walser) Begriff gilt als älter.

MAISÄSSGEBIETE

Durch Rodungen dem Wald abgerungen. Private Maisässe unterschieden sich von geschlossenen und offenen Maisässen. Die Maisässgebäude waren zweckmäßig. Ihre Bauweise hat sich über die Jahrhunderte hinweg kaum verändert. War der Umwelt angepasst. Es gab eine Flurküche, eine rauchfreie Stube und die Schlafkammer. An zentraler Stelle des Maisäss stand oft eine kleine gemauerte Kapelle mit Schindeldach. Es gibt Gemeinschaftsarbeiten auf dem Maisäss, das „Gemeinwerk“.

TEILE DER ALPINEN DREISTUFENWIRTSCHAFT

Tal – Vorsäss/Maisäss – Alp. Begriff „Maisäss“ mittelalterlich (15. Jahrhundert) belegt. Am Maisäss (Haus samt Stall) oft mehrere Häuser nebeneinander. Zuweilen dörflicher Charakter mit eigener Kapelle. Unterhalb der Baumgrenze in 1.200 bis 1.600 Meter Höhe. Pfarrer war im Dorf. Freizügigere Sitten. Heutzutage Ferienhäuser. Kulturlandschaftliche Besonderheit: Dreistufenlandwirtschaft als eine Form der Transhumanz (Wanderweidewirtschaft). Sie ermöglicht es dem Bauern, mehr Vieh zu halten. Mehr dazu in: „Maisäß Valschaviel“ von Barbara Keiler, Klaus Pfeifer und Andreas Rudigier (Hg.), Montafoner Schriftenreihe 15.

HOCHALPINE WEIDEWIRTSCHAFT

Die Grünlandwirtschaft umfasst Viehhaltung und Milchwirtschaft. Dazu gehören intensive Heuwirtschaft und Stallhaltung. „Maisäss-Wirtschaft“ ist die Bezeichnung für Nebengüter auf etwa 1.200 bis 1.500 Metern Seehöhe. Rund zwei Gehstunden von der Dauersiedlung entfernt. Die Nutzungszeit beschränkt sich im Frühling auf drei bis vier Wochen und eine Herbstweide nach dem Alpabtrieb. Hier herauf

zogen Angehörige einer Bauernfamilie mit Kühen, Rindern und Schweinen zunächst für zwei bis drei Wochen. Die Tiere beweiden dort vorhandenes Grünfutter, bevor Kühe und Rinder in Richtung Hochalp weiterwandern. Ende des Sommers sind sie dann für zwei bis drei Wochen nochmals auf dem Maisäss. Danach Rückkehr ins Heimgut im Tal.

WOHNEN IM MAISÄSS

Sehr bescheidene Einrichtung. Im ersten Raum die Küche mit gemauertem Herd. Pfanne. Die Stube mit Bett und Tisch. Und der Stall. Oft waren zwei Parteien in den Maisässhäusern. Anfang der 1960er Jahre kamen Touristen. Die Kinder mussten im Stall schlafen. Es gab aber keine Touristen im Maisäss.

ERINNERUNGEN

Drei Woche im Mai und Juni im Maisäss. Im Herbst vom 15. September bis zum 5. Oktober. Am 15. Mai und am 15. Oktober bekamen Bauernkinder schulfrei. Und am ersten Maisässtag. Die Jüngeren zogen auf das Maisäss, die Eltern blieben meist im Tal. Auch die Frauen, nur die jungen unter ihnen, gingen aufs Maisäss. Die halbe Familie war also im Tal, ein, zwei Per-

50 ALP #1

sonen arbeiteten auf dem Maisäss. Die Maisässzeit beschränkte sich also auf wenige Wochen im Jahr. War nicht Alltag, sondern bedeutete Unterbrechung des Arbeitsjahres. Trotz harter körperlicher Arbeit eine schöne Zeit. Vor allem die dörfliche Jugend stand dort unter der Obhut älterer Personen oder der Großeltern. Sie waren da meist großzügiger. So gab es am Maisäss abseits des dörflichen Umfelds und seiner

Foto: Vorarlberger Landesbibliothek / Oliver Benvenuti

In der Sennschürze vor der Hütte

sozialen Kontrolle ein wenig Freiheit. Geschlechter fanden Kontakt. Es war auch ein Hineinwachsen in die Arbeitswelt der Erwachsenen. Die Arbeit auf dem Maisäss in guter Erinnerung: Salztragen und Laubsäcke mit Buchenlaub füllen. In der Früh die Kühe melken und Gras fürs Heu mähen. Kühe auf die Weide und wieder zurücktreiben. Melken. Käse und Butter machen. Die Molke war fürs Schwein. Das Essen war sehr einfach: Riebel, Kartoffelsuppe. Wasser musste vom Bach geholt werden. Kein Klo. Am Abend zuerst ein Rosenkranz, dann Kartenspiele und Musik. Das Leben war nicht so streng wie im Tal. Die Jugendlichen trauten sich am Maisäss mehr. Heute haben sie keine Lust mehr darauf.

Über das Vorsäss in seinem Werk „Aus meinem Leben“: „Man darf sich recht frohe glückliche Menschenkinder in den kleinen Hüttchen denken, die rechts und links neben der Ach in Gruppen beisammen stehen. Sie sind nicht immer bewohnt, aber doch wenigstens dreimal im Jahre. Im Frühlinge, bevor man diese verlassen muss, und dann wieder mit dem Beginn des Winters, wo das im Hochsommer gemachte Heu verfüttert wird. Fast jeder Bauer, welcher Alpenweide besitzt, hat auch so eine Voralpe, ein Vorsaß, und wohl jeder verlebte dort die schönsten Wochen. Auch mein Vater hatte im Hinterhopfreben, eine Stunde hinter meiner Heimat, eine Hütte gekauft mit zehn Weiderechten. Das ganze Vorsaß nährt im Frühling und im Herbst 130 Kühe. Die Weideplätze werden von allen berechteten Vorsaßmitgliedern auf gleiche Weise und gemeinsam benutzt. Ende Mai, wenn einmal die Dorfweide wie abgemäht aussahe, trieb ich alljährlich meine ganze Habe durch die Achschlucht hinein gegen Hopfreben. Auf den Hochalpen wird das Vieh meistens gedungenen Alpknechten übergeben, weil die Bauern im Sommer mit der Heuernte in Berg und Tal alle Hände voll zu tun haben. Im Vorsaß jedoch sieht

So kleidet sich ein echter Älpler

jeder selbst zu seinem Vieh und hat dabei die beste Zeit. Läßt doch der Handwerker seine Werkzeuge im Dorfe zurück und das lustige Mädchen seine keifende Base, die in einer elenden Vorsaßhütte, ohne Federbett und Dorfklatsch, gar nicht leben könnte. Der Mensch mit seiner Qual kommt gewöhnlich nicht ins Vorsaß; darum herrscht auch dort viel mehr Frohsinn und Ungebundenheit als im Dorfe, wo häufig die eine Hälfte der Bewohner die andere nieder zu halten pflegt.“

Foto: Vorarlberger Landesbibliothek / Oliver Benvenuti

Der Käse kommt in Form

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Foto: Vorarlberger Landesbibliothek / Oliver Benvenuti

UND

KUHKUNST

Werke von KünstlerInnen und ein Foto besonderer Kühe

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Irena Rosc: „Duchamp meets Rudolf Steiner“ im Schloss Oberhöflein im Waldviertel
Foto:
Irena Rosc
53 FRÜHLING
Barbara Anna Husar beim Malen einer Kuh an der Decke im Haus des Architekten Georg Bechter in Hittisau. www.husar.tk Foto: Georg Bechter
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Werner Lampert hat „Reisen zu den ursprünglichen Kühen der Welt“ unternommen. Hier ostafrikanische Ankole. www.wernerlampert.com/presse/kuhbuch Foto: Werner Lampert GmbH / Ramona Waldner
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Thomas Jutz ist von Kühen fasziniert. Hier ein Ausschnitt aus einem seiner zahlreichen Bilder mit Kuhmotiv. www.jutzmalerei.at Foto: Thomas Jutz

TRÄUMEN HEISST ARBEITEN

Der Philosoph Peter Natter begibt sich auf eine Alp, um dort zu träumen.

Diesmal: die Alp Obere Falz

Von Jean-Jacques Rousseau (1712–1778) kam, wenn auch auf Umwegen, der Slogan „Zurück zur Natur“ auf uns. Er passt gut zum Alpleben, oder? Doch meint er nicht viel mehr als jenes viel sprödere: „Zurück zur Eigentlichkeit“. Dann ist es dafür nicht mehr weit zur Alp als Metapher. Und ich bin schon am Ziel: gut 1.200 Meter ü. M., mutterseelenallein auf weiter grüner Flur, auf den gerade erst ausgeaperten Wiesen der Alp Obere Falz. Der Traum beginnt. Offene Augen sind kein Hindernis, denn: Diese Alpträume sind keine Albträume, so viel sei vorangestellt, so viel sei vorgegeben. Das ist nicht wenig, aber genug.

Frühling auf der Alp: Das heißt Frühling im Tal. Auf der Alp bin ich noch ganz nah am Schnee. Hier geht das Jahr, hier geht die Natur einen anderen Gang, einen kürzeren, hat einen längeren Atem und einen eigenen Rhythmus. Der Winter beansprucht hier heroben die meiste Zeit. Frühling, Sommer und Herbst sind gedrängter, dafür auch heftiger und intensiver: kostbarer, möchte ich es nennen.

Die Alpzeit verlangt einen andern Zugang als das Talleben, als das Dorfund noch mehr als das Stadtleben. Sie verlangt von den Älplerinnen und Älplern daher auch einen andern Umgang mit sich selbst: mit Ansprüchen und mit Selbstverständlichkeiten. Stimmt das so? Nicht ganz: Die Alpzeit verlangt diesen Zugang nicht. Sie gibt ihn vor, so und nicht anders. Noch mehr und noch schöner: Sie gewährt diesen anderen Zugang. Sie lässt nicht so viel mit sich machen, erst recht nicht: alles. Aber das, was sie machbar macht, ist umso exklusiver. Tal, Dorf

und Stadt in ihren globalisierten Varianten bieten vieles und davon vielerlei, keine Frage: Mondänes, Exotisches, Luxuriöses. Die Alp ist restriktiv und eben darin großzügig. Was sie hat, hat nur sie. Camembert können Kundige weitum auf der Welt produzieren. G’hörige Milch braucht man halt. Wenn es Probleme damit gibt, dann höchstens rechtliche. Die mögen noch so zäh sein und noch so klebrige Fäden ziehen, mit dem Käse selbst haben sie nichts zu tun. Das Exklusive, das Ausschließliche und Ausschließende, das Inkompatible, in dem sich Rückständigkeit und Zeitlosigkeit vermengen, könnte der Punkt sein, an dem es der Alp(wirtschaft) heute an den Kragen geht. Heute, wo Flexibilität Trumpf ist und selbstlose Anpassungsfähigkeit an Maßstäbe, die weiß Gott woher kommen und so auch weiß Gott wohin führen.

Wenn ich auf der Alp sitze, so wie jetzt, im Alpfrühling, vor der Hütte oder in der winzigen primitiven,

Natters Alpträume
56 ALP #1

gemütlichen Stube, als hätte ich soeben das älplerische Tagewerk erledigt, die karge Älplerkost verzehrt, die schmelzenden, aber hartnäckigen Schneefelder in Reichweite, das Grün der Täler in weiter Ferne, dann gerate ich ins Schwelgen und Träumen. Träumen heißt arbeiten, verarbeiten, Traumarbeit eben – da bin ich Freudianer. Wie es bei den Handwerkern auf die adäquate, gekonnte Verarbeitung des geeigneten Materials zum richtigen Zeitpunkt ankommt, so auch bei den Kopf-, Herz- und Sprachwerkern. Es ist eine rücksichtslosere Art der Arbeit als das Wachen und selbst das Rechnen. Sie praktizieren eine gradlinigere, schnörkellosere, zugleich jedoch eine um Welten geheimnis- und fantasievollere, eine magische, zauberische Anverwandlung der Welt, der Poesie ungleich näher als jedwedem Kalkül.

» Die Frau ist eine gute Quelle für Träume. Berühre sie nie. «
Fernando Pessoa

Wovon ich träume? Kann man das denn so einfach sagen? Ist es nicht schon viel, wenn einer weiß, dass er träumt, geträumt hat? Wozu sonst bräuchte es die gute alte Traumdeutung? Es braucht sie aber, will man halbwegs auf einen grünen Zweig kommen. Manche sprechen ja schon von Träumen, wenn sie ihre Sehnsüchte meinen. Da kann ich auch mithalten. Es ist etwas Spekulatives in diesen Alpträumereien, also wiederum etwas Rationales. Das Rationalisieren seinerseits hat durchaus verschiedene Bedeutungen zu tragen: In der Psychoanalyse, dem Königsweg zur Traumhoheit, meint es einen Abwehrmechanismus, durch den unliebsame und gefährliche Impulse verharmlost und entschärft werden. Anders gesagt: in der unliebsame Triebe domestiziert werden. In der Ökonomie ist das Rationalisieren

ein schnödes Verfahren zur Gewinnmaximierung durch Kostensenkung oder Steigerung der Erlöse, jeweils auf dem Rücken Dritter, wie und wo sonst.

Für das Alpleben, diese nur scheinbar romantische Mixtur aus harter körperlicher Arbeit und sozialem Freibeutertum, für das Alpleben sind beide Aspekte gleichermaßen fremdartig, extern, irrelevant. Rational meint hier vor allem: praktisch. Ich mag es nicht einmal vernünftig nennen, von Hausverstand gar nicht zu reden. Ich kenne kaum eine andere Einrichtung, die so zweckdienlich und doch so nüchtern ist wie das Älplerische: So heilignüchtern, um den wunderbaren Ausdruck aus Friedrich Hölderlins Gedicht „Hälfte des Lebens“ auszuleihen, dass es einem etwaige mitgebrachte Flausen mit Peitschenknallen austreibt. Ich habe es selbst erlebt. Zugleich und im selben Ausmaß ist es allerdings im besten Sinne abgehoben, enthoben, das heißt: Es ruht in sich selbst. Von daher kommt wohl die Verklärung, der Sog,

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Baumriese auf der Alp Obere Falz. Es handelt sich dabei um einen Bergahorn Foto: Georg Alfare

dem manche Älplerinnen und Älpler über Jahrzehnte Sommer für Sommer nachgeben und nachgehen. Von daher auch die Kitschgefahr, der man gar nicht vehement genug entgegentreten kann.

Da sitze ich also vor der Alphütte, weit außerhalb der Saison, bin ganz Auge und Ohr. Der Blick geht weit und weiter hinein in die Berge, in einen großen Kessel, auf steile Hänge und felsige Grate. Der Horizont ist recht nah, mächtig und eindeutig. Zu hören ist so gut wie nichts, das Rauschen der schütteren, zerzausten Tannen höchstens. Eine gute Stunde bin ich gewandert vom großen Parkplatz aus, der zum Skigebiet gehört und zur Ferienhauskolonie. Ich hätte auch fahren können, bin aber nicht. Erstens müsste einen das Auto reuen und zweitens ist der Weg zwar nicht das Ziel, gehört aber dazu. Kein künstlich entschleunigtes Gehen war angesagt, sondern der Eintritt in die sachgemäße, der Sache gemäße Fortbewegung.

Das Gehen durch die Landschaft und durch die Stille ist immer auch ein Sammeln, ein Auf- und Einsammeln. Steine sind die handfestesten Spuren dieses Gehens. Wo du hinkommst, ist nicht nur davon geprägt, von wo du herkommst, sondern ganz entscheidend davon, wie du es tust. Die Träume ihrerseits hängen auch davon ab, wo und wie du einschläfst, habe ich mir sagen lassen, nein: gelesen habe ich es, recherchiert, sozusagen. Das sachte Zugehen auf ein Ziel fördert das sanfte Ankommen, das ganze Ankommen, das Ankommen als Ganzer. Die Fahrerei, weil zu schnell, lässt Teile von dir zurück. Bis du dann wieder zusammengestückelt bist, ist der Schlaf vorbei, und wer weiß, was noch alles, womöglich das Leben.

Wenn es schließlich um höheres Leben geht – auch so ein Thema! –, ist die Alp, auch diese hier, obwohl es noch höhere gibt, genau richtig gelegen. Zwar ist das höhere Leben ein heikles Kapitel, weil das Höhere

irgendwie immer schon besetzt ist: Das praktische Leben erhebt sich über das bloß Spielerisch-Müßige; das Heilige erhebt sich über das nur PraktischProfane; oder das Ernste steht über dem Tändelnden; das Sakrale über dem Alltäglichen. Dass jedes auf seine Art selbstständig ist, muss einem zuerst einmal in den Sinn und in die Sinne kommen. Von dort gelangt es dann in die Psyche und ins Mentale. Darüber wissen die Philosophen Bescheid. Doch die lassen wir hier weg: Wir sind auf der Alp! Nicht dass das Denken da keinen Platz hätte, im Gegenteil: Es braucht kein Extra-Plätzchen im Stall oder im Käsekeller. Die Alp ist (eine) Philosophie. Weil Philosophie das ist, worauf man fast von selbst gekommen wäre, wie einer ihrer größten Wortführer, Hans Blumenberg, schrieb.

Diese Lebensform, uralt und selbstverständlich, eine echte Lebenswelt mithin, steht für sich. Sie erfüllt einen Zweck und sie ist ein Zweck. Man zieht nicht Jahr für Jahr mit Sack und Pack auf die Alp, um Käse zu produzieren oder womöglich im Dienste des Tourismus die Landschaft zu pflegen (was für eine Idee: die Alpwirtschaft war Jahrhunderte vor und ist vielleicht auch nach jedem Tourismus!). So wie Kinder und junge Tiere nicht spielen, weil sie jung sind, sondern jung sind, damit sie spielen! Die Alp ruft nach den Älplern. Die Echten unter ihnen bestätigen das gern und regelmäßig: Sommer für Sommer. Ist sie auch ins Gerede gekommen: ins KraftfutterGerede, ins EU-Vorschriften-Gerede, ins Lügen-Gerede. Man will ihr nicht mehr glauben.

Dem kann ich nichts abgewinnen. Ist nicht das Gerede die typische Ausdrucksform des Oberflächlichen, des Gschaftlhuberischen? Mit beidem hat das Älplerische wenig bis nichts zu tun. So wenig, wie der Ruf des Alplebens etwas zu tun hat mit dem Geschrei der Jahrmärkte und Rummelplätze und der Werbung oder mit dem Gebrüll der militärischen Kommandos. So wenig auch wie die Arbeit auf der Alp, diese seit langer, langer Zeit fast unveränderten Handgriffe und Tätigkeiten mit dem oftmals so entfremdeten, aufgesetzten, unbefriedigenden, leeren Getue der modernen Betriebsam- und Geschäftigkeit.

58 ALP #1
Sensen an der Hütte auf der Alp Obere Falz Foto: Georg Alfare
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auf der Alp Obere
Wiese
Falz
Foto: Georg Alfare
60 ALP #1 Käsetücher. In ihnen legen die Sennen den Käsebruch in die Form
Foto: Georg Alfare

Jetzt, wo in meinem Rücken die Sonne untergeht, was ein paar verwegene Singvögel auf den Plan ruft, die ihren Abendgesang anstimmen, wo von den Schneefeldern ein eisiger Hauch herunterzieht und das schwindende Licht meine Gedanken in eine Zentrifuge packt, merke ich, dass es sich gelohnt hat, hier herauf zu stapfen, Auto und Bücher und Telefon und alle dazugehörigen Beschäftigungen zu Hause, hinter mir zu lassen. Der Alp nämlich kann und muss man nichts vormachen, auch nichts vorgeben. Die leere Hütte, blitzblank aufgeräumt, mit ihren archaischen Gerätschaften (nebst dem unvermeidlichen technischen Rüstzeug, an dem kein Weg mehr vorbei führt, seit alle Alpen motorisiert zu erreichen sind, worüber es an dieser Stelle nichts zu lamentieren gibt) und ihrer schlichten, rein praktischen Architektur – obgleich mehr Natur als Architektur –, die scheinbar und tatsächlich alles dem einzigen Zweck der Unterbringung des Viehs und der Käseherstellung unterordnet, die Hütte

selbst ist der zu lesende Text. So wie sie mir den zu schreibenden Text diktiert.

So gilt der Alptraum, die Alpträumerei, einem zutiefst wesentlichen Teil des Lebens, bzw. einem Leben, das sich dem Wesentlichen widmet. Welchen Anteil dabei die Umgebung einnimmt, in der sich das abspielt, ist leicht ersichtlich. Schon die Stille erzeugt Erhabenheit, zeugt von sublimer Größe. Wie die Landschaft, in der bei aller Schönheit nicht wenige Gefahren lauern, Abgründe, schwere Gewitter, Blitzschlag, Temperaturstürze. Und die Alphütte, auch sie der Landschaft angepasst, oft als Schutz vor Lawinen an einen Hang geduckt, niedrig, robust, unauffällig, die sich so gründlich unterscheidet von all den auf Repräsentanz und damit wiederum auf Schein, auf Verführung abzielenden Prestigebauten, Firmensitzen, Banken. Die große Herausforderung, vor die das Älplerische heute gestellt ist, besteht darin, all die technischen Möglichkeiten zwar einzusetzen, sie

aber nicht zum Selbstzweck werden zu lassen. Hier wird das Träumen dann sehr schnell zum hochkonzentrierten Analysieren. Es ist kein romantisches Refugium zu verteidigen, erstens weil die Alp außer in der verkitschten Vorstellung der Städter nie eines war, und zweitens weil diese Verteidigung rasch scheitern würde. Ins Träumen gerate ich vielmehr genau dann, wenn ich überlege, wie Elektrizität, Mobilität, Medien und auch ökonomische Kriterien ins tradierte Alpleben integriert werden können, ohne ihm Zwang anzutun. Damit lande ich wieder bei dem, was in der Philosophie die Eigentlichkeit genannt wurde, und was in meinen Augen einfach ein Tun und ein Dasein bezeichnet, das sein Ziel und seine Wirkung, sein Leitbild und seinen Wert fast ganz in sich selbst hat. Fast, weil gelegentlich noch über den transzendentalen Aspekt des Älplerischen zu reden sein wird.

61
FRÜHLING
Die Sennhäuser auf der Alp Obere Falz Foto: Georg Alfare

HEXENKRÄUTER UND ALPWIIBLE

Sylvia Müllers liebstes Kraut ist die Gundelrebe. Was die junge Mutter und zwölf weitere Frauen aus dem Großen Walsertal sonst noch über Kräuter und deren Heilkraft wissen, erzählen sie in mythologischen Alpwanderungen oder packen es in Tinkturen

Wenn einst abends auf der Alp Gewitter wüteten und der Wind an den Fensterläden rüttelte, erzählte der Großvater den Kindern, in der Hütte auf der Ofenbank sitzend, vom Alpwiible. Dass sie es sei, die über die Alp wache und an Tür und Balken klopfe, wie um ihn zu fragen: „Hast du für heute alles recht getan? Hast du die Tiere, die Alp gut versorgt? Bist du auf dem rechten Weg?“

DER GROSSVATER,

DIE WELT DER ALP UND DAS ALPWIIBLE

Das laute, krachende Schauspiel draußen muss an diesen Abenden im deutlichen Gegensatz zur andächtigen Ruhe im Innern der Hütte gestanden sein, in der sich die kleine Sylvia und deren Geschwister um den Opa scharten. Um den Klopfgeräuschen und seinen Geschichten zu lauschen. Dass die Kinder sich nicht fürchteten, lag wohl an der vertraut-liebevollen Stimme des Großvaters, die sich, wenn er vom

Alpwiible, dem Nachtvolk und anderen durchaus auch beunruhigenden Sagengestalten berichtete, in nichts unterschied von jener Stimme, mit der er ihnen die wundersame Welt der Kräuter näherbrachte. Wundersam und doch selbstverständlich.

„Auf der Alp war die Welt für uns Kinder eine große ganze, eine, in der alles Platz hat. Die Gestalten aus den Sagen, die Kräfte der Natur, dass auch die Kräuter Wesen sind, genauso wie die Arbeit, das Vieh, die Entbehrungen. Unter der Woche gab es Riebel zu Mittag und am Sonntag wurden wir Kinder zum Kräutersammeln für die Suppe in die Wiesen geschickt. Damals habe ich den Opa oft als streng empfunden. Er sparte, wo es ging. Damit wir nicht mehr Strom verbrauchten als nötig, wurden wir bald nach der Abenddämmerung ins Bett geschickt.“ Heute sieht Sylvia Müller ihre Alperlebnisse in anderem Licht. Die junge Mutter von bald drei Kindern ist nach dem Studium der Erziehungswissenschaften mit ihrem Freund wieder

62 ALP #1
VON CARINA JIELG

ins Große Walsertal zurückgekehrt. Obwohl sie heute ähnlich wie damals ihr Großvater lebt, geschieht dies doch aus anderem Grund. Sein Sparen, sein Verzichten waren Notwendigkeit. Wie für alle anderen Bergbauern in diesem Tal zur Nachkriegszeit auch. Zusätzlich hatte sich die Lawinenkatastrophe von 1954 in Blons, als einhundert Menschen verschüttet sowie Häuser und Ställe in Stücke gerissen wurden, tief in die Biografien der Walser eingeschrieben.

EIN BUND VON

13 KRÄUTERFRAUEN, DIE WISSEN WEITERGEBEN

Wenn Sylvia Müller heute auf der Alp ihres vor einigen Jahren verstorbenen Großvaters Wildkräuter sammelt, im Garten hinterm Haus eigene wachsen lässt und gemeinsam mit den anderen Frauen von Alchemilla die Kräuterkunde pflegt, dann ist es eine bewusste Entscheidung. So, im Einklang mit der Natur, zu leben. Und auch ein bewusstes

Hochhalten des Erbes des ganzen Tals. 2006 hatte Susanne Türtscher Alchemilla gegründet. Warum? Weil sie, als sie einmal gefragt worden sei, was dieses Tal ausmache, was die Bergdörfer verbinde, geantwortet habe: „Kräuter.“ „Für mich ist diese Gruppe in vielfacher Hinsicht bereichernd“, sagt Sylvia Müller. „Ich lerne nicht nur sehr viel über Kräuter, ich lerne auch viel darüber, wie Austausch, Zusammenwirken funktionieren kann. Wir sind kein hierarchisch strukturierter Verein, wir organisieren uns durch Zusammenkünfte. Es gibt einen äußeren und einen inneren Zirkel, jede Frau nimmt dabei jeden Platz einmal ein.“ Nach dem ersten „Auftritt“ der Alchemilla-Frauen auf dem Kulturfestival Walserherbst sind durch das Zusammenwirken Salben, Tinkturen, Düfte, Seifen und Balsame entstanden. Es werden Kurse angeboten, Kräuterwanderungen abgehalten, wo Teilnehmende erfahren können, worum es den Alchemilla-Frauen geht: um den sinnlichen Zugang zur Natur. So wie

man früher glaubte, dass nicht nur wir die Pflanzen aussuchen, sondern vielmehr die Pflanze auch den findet, der sie gerade braucht, so hat auch jede Alchemilla-Frau ihr „eigenes“ Kraut.

DAS HEXENKRAUT

GUNDELREBE

UND SEINE WIRKUNG

Foto: Georg

Für Sylvia Müller ist „ihr“ Kraut die Gundelrebe, ein sogenanntes Hexenkraut. Es wirkt reinigend bei Erkältungen und anregend auf den Stoffwechsel. „Die gut verwurzelte Gundelrebe wird auch Erdefeu genannt. Ihre zarten, kleinen Blüten weisen aber auch in den Himmel, sind luftig, leicht. Kräuter sind für mich die direkte Verbindung zu dieser ganzen Welt meiner Alpkindheit. Ich will die Welt nicht teilen in eine, die real ist, weil sicht- und berechenbar, und eine, die man als unwirklich abtut. Jedes Kraut hat von sich aus eine Kraft, ist ein eigenes Wesen, das sich nicht nur über die chemische Zusammensetzung definiert. Wenn ich dieser originären Kraft der Natur und ihren Geheimnissen vertraue, dann kann ich auch mal etwas loslassen. Denn ein Kraut wird sich finden und das Alpwiible wird mich an meine Aufgaben erinnern.“

Buchempfehlung: Alchemilla. Die Kräuterfrauen und ihre Frauenheilkräuter aus dem Großen Walsertal, Druckerei Thurnher

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Kein Alpwiible (Alpweibchen), sondern eine Kräuterexpertin: Sylvia Müller im Großen Walsertal Alfare
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HOCH LEBEN. WEIT SEHEN. TIEF ATMEN.

Drei Bilder von Alpen, die uns an eine höhere Lebenswelt erinnern

Alp Ober Überlud im Großen Walsertal, Motiv des Covers dieses Magazins. Früher lebten auf einer Walser Alp Mensch und Vieh im selben Haus. Über den Häusern erhebt sich der Zitterklapfen 65 FRÜHLING Foto: Fotoarchiv Rupp AG
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Auf den Alpen um den Diedamskopf tummeln sich auch Ziegen. Der Hausberg von Schoppernau im Bregenzerwald hat nur ein befremdliches Merkmal: Er gehört zu den Allgäuer Alpen Foto: Georg Alfare

67 FRÜHLING
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Der Tannberg zwischen Schröcken und Warth ist alles andere als „betannt“. Ein einzigartiges Alpgebiet, eines der beeindruckendsten in ganz Vorarlberg Foto: Georg Alfare

Foto: aus dem Buch „Von der Alp auf den Teller“ / Franz Beer

70 ALP #1 Rauchküche, auch Schwarzküche genannt. Kochen am offenen Feuer, Rauch und Ruß färbten die Wände. Schwarzenberg, 1940

FEINES MIT KÄSE 0DER ANDEREN ALPPRODUKTEN

Über besondere Kochbücher

und was man darin zum Thema findet

Von Armin Thurnher neuseeländischer Käse eher selten seinen Weg zu uns findet. Die Angelsachsen sind uns in einem voraus: Einfaches einfach zu erklären. Vielleicht liegt es am Englischen, einer zum No-nonsense neigenden Sprache, während das Deutsche uns zu langen Perioden und zu einer verschwurbelten Schreibweise im Stil des deutschen Idealismus verführt. Getretner Quark wird breit, nicht stark, sagt dazu Goethe, auch bei Milchproduktmetaphern stets auf der Höhe.

Wenn wir von Kochen, Käse und Rezepten reden, sollten wir bedenken, dass die Zubereitung von Käse selbst schon einen Kochvorgang darstellt. Kochen ist eine der ältesten Formen von Kultur. Kochen ist Alchemie, die Kunst, Materialien von einem Zustand in einen anderen zu verwandeln, vorwiegend unter Zuhilfenahme von Feuer. Reden wir von der Zubereitung von Speisen mit Käse, reden wir von Kochen mit Gekochtem. Also können wir mit gutem Grund zuerst das Feuer weglassen. In diesem Zusammenhang fällt mir immer zuerst das Käsebrot ein, die tägliche Konstante beim Abendessen. Es gehörte zu meiner Kindheit wie die speckige, nur alle paar Jahre gewechselte kurze Lederhose. Bergkäs war mein Abendgebet. Ein gebürtiger Vorarlberger meiner Generation tat es nicht ohne Bergkäs auf dem Brot. Ein gut geschmiertes Butterbrot mit einem nicht zu kalten Bergkäs (ohne Abschluss-e!) war für hungrige Knaben, die gerade vom Fußball, vom Schwimmen im See oder vom Spiel in Wald und Wiese nach Hause zurückkamen, das Beste. Auch auf Bergtouren fehlte er nie, der Bergkäse, im Aluminium-Proviantbehälter mit den Löchern an den Ecken. Zwar kam auch er auf der Bergtour ins Schwitzen, und die Butter verflüssigte sich ein wenig, aber was gab es auf dem Gipfel Schöneres als ein Brot mit leicht transpirierendem Bergkäse? Solche Nostalgie soll uns nicht in Versuchung führen, den einfachen Genüssen nachzuhängen, denn Bergkäse ist nicht Bergkäse, und wie Josef Rupp richtig sagt, er ist nicht allein. Die Welt ist voller gutem Käse. Wir wollen also unseren Ausflug in die Welt des Kochens mit Käse ruhig mit einer Enzyklopädie beginnen, und wo sonst käme eine kompetente Enzyklopädie her, wenn nicht, nein, eben nicht aus Frankreich, sondern aus England.

Wie um aufzuzeigen, dass die Welt des Käses größer ist, als sie uns in Vorarlberg gemeinhin erscheint, kommt die Autorin aus Neuseeland. Ein Käseland par excellence, wenngleich

Frau Juliet Harbutt erklärt uns in einer einzigen Spalte ihres Buches, wie Käse gemacht wird. Erstens braucht es die Milch, zweitens die Gerinnung, drittens die Trennung von Bruch und Molke, viertens die Formgebung und das Salzen, fünftens die Reifung und die Pflege. Auch mit der 5.000 Jahre alten Geschichte des Käsemachens ist Frau Harbutt schnell, aber nichtsdestoweniger gründlich fertig. Käse ist die beste Art, das kostbare Nahrungsmittel Milch aufzubewahren. Ob es Jäger waren, die den Käse im Magen eines Tieres entdeckten, oder ob es Ledersäcke waren, in denen man Milch aufbewahrte – das entscheidende Enzym wurde vermutlich zufällig entdeckt.

Viel verdanken wir der Kultur der Griechen und Römer. Das kann man über Politik, Rhetorik, Philosophie und Dichtkunst sagen, ja über jeden Zweig unserer Zivilisation. Kein Wunder, dass sie es waren, die in ihren Provinzen das Knowhow der Käserei verbreiteten. Später waren es die Klöster, die Käserezepturen tradierten und bekannt machten. Heute wird Käse überall auf der Welt gemacht, ob aus Rentiermilch in Lappland, aus Yakmilch in Bhutan, aus Büffelmilch in Australien oder aus Kuhmilch auf der Wälder Alp.

Das Mikroklima und die Weidebedingungen der Tiere haben entscheidenden Einfluss auf die Qualität des Käses, auch soziale Umstände taten ihr Übriges, und so entwickelte

71 FRÜHLING

sich weltweit eine unglaubliche Vielfalt. Vielfalt in jeder Hinsicht, denn Camembert in der Normandie wird zum Beispiel von nur zehn Produzenten gemacht, während Parmigiano-Reggiano von rund 400 verschiedenen Produzenten hergestellt wird, wie auch der Vorarlberger Alpkäse. Österreich, Gott sei’s geklagt, sind in dem instruktiven Werk gerade einmal zwei Seiten gewidmet; der Bergkäse ist (leider nicht als Alpkäse) eine unter den sechs vertretenen Sorten. Die Schweiz bringt es auf sechs Seiten, wovon verständlicherweise eine Doppelseite dem Emmentaler gewidmet ist. Auf diesen Feature-Doppelseiten (auf Englisch „A Closer Look“) werden Herstellung, Besonderheiten, Verkostungsnotizen und Tipps zum Genießen beschrieben sowie Details der Produkte. Selbst ein Maßstab zur Einschätzung der Originalgröße der Laibe wird gegeben.

Um als Kontinentaleuropäer Bescheidenheit zu lernen, lese man den USA-Teil. Unsereiner neigt ja zur hochnäsigen Annahme, in den USA kenne man nur plastikartigen Blockkäse. Weit gefehlt: Über vierzig Seiten reicht die Sortenvielfalt, von Andante Dairy Piccolo bis Yerba Saints Dairy Fresca; das sind mehr Käsesorten, als sie das Käseland Italien aufweist. Nur Frankreich liegt mit 60 Seiten weit an der Spitze. Auch Australien und Neuseeland weisen 15 Seiten auf. Kurz, der Mann und die Frau von Käsewelt kommen schwer ohne dieses Buch aus.

Zwar fehlt es bei Frau Harbutt nicht an kleinen Kochtipps, aber die fallen eher kursorisch aus und werden nebenbei eingestreut. Das beste mir bekannte internationale Käsekochbuch ist 2015 unter dem Titel „A Year in Cheese“ in London erschienen; das und andere Bücher heben wir uns für kommende Folgen auf. Aber es gibt ein Vorarlberger Käse-Kochbuch, das den lokalpatriotischen Schmerz der schnöden einen Doppelseite wieder etwas kompensieren kann.

Der Autor Kurt Bracharz, ein enzyklopädisch gebildeter Kenner verschiedener Wissensgebiete, darunter die Gastronomie, hat das Buch „Von der Alp auf den Teller“ mit Texten versehen, die ebenfalls das Prädikat „No nonsense“ für sich reklamieren können. Josef J. Rupp III. hat die Publikation gefördert, die Spitzenköche Mike Schwarzenbacher und Florian Mairitsch haben Rezepte beigesteuert und zahlreiche Fotografen und Fotografinnen haben dazu beigetragen, dass das Buch wirklich schön wurde.

Die Texte von Bracharz führen einen so umfassend in die Materie ein, dass man selber schuld ist, wenn man nicht als Kenner des Vorarlberger Käsewesens aus diesem Buch herauskommt. Er hält zu einzelnen Gerichten tiefgehende Informationen ebenso bereit wie weise Überlegungen. Etwa jene, es sei gut, dass die Mischung der Käse bei Kässpätzle dem Koch überlassen bleibe, denn dadurch halten sich die Kässpätzle als Gesprächsthema an den Stammtischen. (Auch den Spätzle werden wir eine eigene Folge unserer Käsekochreflexionen widmen.)

Bracharz geizt auch nicht mit statistischen Informationen, etwa dass in Schweizer Gasthäusern jährlich 100 Millionen Stück Cordon Bleu verzehrt werden (bei einer Bevölkerung von über acht Millionen und mehr als vierzig Millionen

touristischer Übernachtungen vertilgt jeder Mensch auf Schweizer Boden zwei Cordon Bleu im Jahr, beachtlich!) dass es bei diesen Cordons keineswegs immer Kalbfleisch sein muss und Emmentaler; Schwein ist saftiger und Zigerschmelzchäsli schmackhafter.

Bracharz’ reich bebildertes Buch informiert aber auch über die Geschichte der Käserei in Vorarlberg und die Geschichte der Firma Rupp, über das Alpjahr und über den Käse in der Küche. Es ist mit zahlreichen Literaturzitaten aufgefettet und bleibt doch immer sachlich, wobei wie gesagt Bracharz’ trockener Ton erfreut. Lediglich die Folgen reichlichen Genusses von Sig, der Wälderschokolade, werden nur angedeutet. Diese legendäre Süßspeise aus eingekochter, karamellisierter Molke wirkt nämlich äußerst verdauungsfördernd.

Die Rezepte gliedern sich in drei Bereiche: Rezepte mit Milch, Rahm und Sauerrahm; Rezepte mit Joghurt, Buttermilch, Molke und Sig; Rezepte mit Sauerkäse, Topfen und Seagen (Schotten oder Ziger, der nach Aufkochen der Molke ausflockt); und schließlich Rezepte mit Alpkäse, Bergkäse, Emmentaler und Bachensteiner.

Die Molkesuppe mit Kräutern und Pfifferlingen würde ein leichtes Menü auf angenehme Weise eröffnen, die Topfennockerln mit Artischocken und Steinpilzen ergäben eine großartige Hauptspeise, und zum Nachtisch würde ich (außer vielleicht im Hochsommer) die Dukatenbuchteln servieren, die von köstlichem Milchkaramell begleitet werden. Milchkaramell ist eines meiner Lieblingsrezepte. Einfacher geht es kaum, 1 Liter Milch, 150 g Zucker, dazu eine Messerspitze Natron, unter Rühren sanft goldbraun kochen. Den Karamell hebt man in Marmeladegläsern gekühlt auf und hat einen delikaten Aufstrich für Weißbrot, Zöpfe und Briochegebäck.

Wie sagt Bracharz so teffend? „Früher haben sich Köche und Kochbuchautoren bei weitem nicht so für Käse interessiert, und wenn doch, dann nur für französischen.“ Die Zeiten haben sich geändert!

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Kurt Bracharz: Von der Alp auf den Teller. Käsekultur in Vorarlberg, Löwenzahn Verlag, 220 Seiten, € 19,95

Juliet Harbutt: Käse der Welt. Über 750 Sorten, Dorling-Kindersley Verlag, 352 Seiten, € 25,70

Alex und Leo Guarneri, Allessandro Grano: Käse – das saisonale Kochbuch, Jacoby & Stuart, 187 Seiten, € 24,70

Topfennockerln mit Artischocken und Herrenpilzen

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Aus dem Buck »Von der Alp auf den Teller« / Frigesch Lampelmayer

ALPSCHÖNE

Sie sind die Schönsten auf der Alp: die Blumen. Hier stellen wir ein paar von ihnen vor Illustration: Science Photo

BLAUER EISENHUT

Die Dosis macht das Gift, sagt Paracelsus. In diesem Fall sind zwei Gramm der Wurzel für einen Menschen tödlich. Damit ist der Eisenhut die giftigste Pflanze der Alpen. Schon die Berührung der Blüten kann besonders bei Kindern zu Hautreizungen führen. Der römische Kaiser Claudius und Papst Hadrian VI. wurden mit einem Extrakt aus Eisenhut vergiftet. Er dient aber nicht nur zum Giftmord, sondern auch als Arznei.

GELBER ENZIAN

Er wächst, damit wir ihn trinken – das Vieh will ihn ja nicht fressen. Zwar ist er geschützt, doch seine Wurzeln bieten den Grundstoff für den gleichnamigen Schnaps. Sie werden ausgegraben, fein geschnitten und dann beim Schnapsbrennen in einer zweiten Brennstufe der vorgebrannten ApfelBirne-Maische beigemischt. Beim erneuten Brennen entsteht dann der einzigartige, feinbittere Geschmack. Den besten Enzian in Vorarlberg macht Franz Rüscher in Andelsbuch. Dafür gab es 2017 endlich auch die Goldmedaille. Rüscher brennt noch andere preisgekrönte Schnäpse, aber der Enzian ist König. Auch auf der Alp.

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VON JOHANNES MOERTH
Library / picturedesk.com
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Illustration: / akg-images / picturedesk.com
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Illustration: akg-images / picturedesk.com

ALPENROSE

Es gibt sie in den Varianten „bewimpert“ und „rostblättrig“. Erstere nennt man auch Almrausch (Alm ist übrigens der ältere Begriff als Alp). Weil sie giftig ist, wenden wir uns lieber einem der beliebtesten Schweizer Mundartlieder zu: „Alpenrose“ von Polo Hofer und Hanery Amman: „Alperose chöme mir i Sinn | Alperose sy das gsy | denn Alperose müesse das gsy sy | Wo näben üs im Höi gläge sy.“ Deutsch: Alpenrosen kommen mir in den Sinn | Alpenrosen waren das damals | Alpenrosen müssen das gewesen sein | Die neben uns im Heu gelegen sind. Yeah.

ECHTE ARNIKA

Andere Name dafür sind „Bergwohlverleih“ oder „Donnerwurz“. Wir Österreicher könnten diesen wohl anderen verleihen, denn überall sonst ist er stark gefährdet. Auch giftig, dient Arnika doch als Heilmittel – allerdings ist die „innere Anwendung“ wie etwa beim Enzianschnaps nicht zugelassen. Allergiker sollten sich auch das Einreiben damit überlegen, denn Arnika ist sehr scharf und kann zu Ekzemen und Juckreiz führen. Goethe braute sich daraus einen Tee. Er hätte aber wohl besser den Enzian von Rüscher getrunken.

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akg-images
Illustration: bilwissedition /
/ picturedesk.com
78 ALP #1 J A P A N E R U N D T R A D I T I O N E L L E S A L P E S S E N M I T J A P A N I S C H E M E I N S C H L A G Ä L P L E R Ü B E R M I L ENA BROGER

Es ist sechs Uhr morgens, der Nebel hängt tief und verzieht sich nur langsam, die ersten Sonnenstrahlen kämpfen sich durch, es wird ein warmer Tag. Die Wiesen glänzen sattgrün und nass vom Tau. Die Älpler melken ihre Kühe, ihre Helfer, die Pfister säubern den Stall. Es ist sechs Uhr morgens und schon schwül, die Hitze steht in der großen Stadt. Büroleute, Fabrikarbeiter, Schüler, bunt gemischte Menschenmassen beleben die Stadt am frühen Morgen. Im Minutentakt fahren Züge in alle Richtungen, Arbeitswege

Unsere Autorin gilt als eine der großen Hoffnungen der heimischen Kochkünstler. Sie trainiert immer wieder auch in Japan und kocht im Sommer in einem der letzten uralten Walserhäuser in Lech-Zürs, dem Klösterle. Sie stellt

uns ein Rezept für eine Älpler Miso-Suppe vor

von bis zu zwei Stunden sind in Japan keine Seltenheit. In sich gekehrt, aber wach, fast wie Roboter, ziehen die vielen Menschen durch die Stadt.

Im Stall auf der Alp ist es still. Nur die Kühe, die noch nicht gemolken sind, jammern. Gesprochen wird kaum. Jeder weiß, was zu tun ist, jeder hat seine Aufgaben. Die Sonne setzt sich durch, der Nebel hat sich aufgelöst. In sich gekehrt, aber wach, fast wie Roboter, erledigen die Älplerfamilien ihre täglichen Arbeiten. In den klima-

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Milena Broger beim Kochen in Klösterle Foto: Georg Alfare
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Gelinaz ist ein jährliches Zusammenkommen und -kochen von Spitzenköchen aus aller Welt. 2017 fand es im Mühltalhof der Rachingers statt Milena kocht dort mit drei anderen Chefs im Team des vierfachen Kochs des Jahres René Redzept Foto: Georg Alfare

tisierten Zügen ist es angenehm kühl. Draußen trotz der frühen Stunde erdrückend heiß. Gepflegt, die Krawatten zurechtgerückt, die Lackschuhe poliert, sitzen die Japaner aufgereiht in den langen, schnellen Zügen. Manche sind eingeschlafen, andere lesen, viele sind ins Internet vertieft.

Der Milchtank ist fast voll, die Melkmaschinen brummen. Teilweise kommt die Milch in große Sennkessel. Auf vielen Alpen wird sie automatisch gekühlt und dann von großen Milchwägen abgeholt und in größere Sennereien gebracht, während die Älpler ihr Frühstück zu sich nehmen. Alles nimmt seinen gewohnten Gang, Takaya steigt aus dem Zug. Nach 1,5 Stunden ist er in Kyoto angekommen. Der Bahnhof ist voll, trotzdem herrscht Ordnung. Markierungen auf dem Boden zeichnen die Ausgänge an, niemand steht dem anderen im Weg. Takaya hat noch 20 Minuten Zeit, bis er eine halbe Stunde vor Arbeitsbeginn am Schreibtisch sitzen muss. Zeit für eine kräftigende Miso-Suppe. Er setzt sich auf eine Bank nur vier Gehminuten vom Bürokomplex entfernt und öffnet die Thermoskanne. Es entweicht ein süßlich-fischiger Duft. Takaya läuft das Wasser im Mund zusammen. Er nimmt den ersten Löffel mit einem Stück Fisch, einem Stück Seidentofu und Algen, schlürft die Suppe aus dem Löffel, kaut langsam und schluckt. Ein wohliges, starkes Gefühl zieht durch seinen Körper, bis in die Fingerspitzen. Schnell, aber nicht hastig löffelt er die Thermoskanne leer. Genug Kraft für den Vormittag.

Tone sitzt am Tisch. Es riecht nach frisch gekochtem Filterkaffee. Die letzten Tropfen fließen in die Kanne. Seine Frau reicht ihm eine Tasse, es dampft heiß. Er gießt einen Schluck Milch dazu, die er frisch aus dem Stall mitgebracht hat, während er die Schlagzeilen der Zeitung liest. Auf dem Tisch: Roggenbrot, Butter, Honig und frischer Kuhkäse. Mit Genuss und wohlverdientem Hunger beißt er vom Brot mit Käse. Kraft tanken für den langen Tag. Heute müssen Zäune gelegt und die Wiesen im Tal gemäht werden. Nach dem Frühstück wäscht er sich Hände und Gesicht am Brunnen und fährt im Traktor talabwärts.

Takaya sitzt im Gemeinschaftsbüro. Mit 83 anderen Japanern. Er arbeitet seine Aufgaben Punkt für Punkt ab, genau wie Tone. Jeder weiß, was zu tun ist, im Kopf herrschen Ruhe und Ordnung. Platz zu denken, Platz zu sein.

Zwei Welten mit vielen Gemeinsamkeiten. Obwohl sich alles laufend verändert, Arbeiten von Maschinen und Computern übernommen werden und vieles leichter fällt. Die Einstellung bleibt. Das Bauernleben in Vorarlberg hat verblüffende Ähnlichkeiten mit dem Leben der Japaner. Die Ernährung ist gegenteilig: Ein Japaner muss beim kräftigen Milchgeruch die Nase verschließen. Ein Älpler würde in Japan die beißenden Fischgerüche meiden. Schrift und Sprache sind gegenteilig. Das Denken und Leben sind ähnlich. Gewohnte, sich immer wiederholende Abläufe bringen Ordnung in Japan und auf der Alp. Jeder weiß, was zu tun ist. Es ist viel zu tun. Aber Stress und Hektik sind Fremdwörter.

21 Uhr. Tone kehrt von den Melkarbeiten zurück. Nach einer heißen Dusche liegt er ruhig im Bett und weiß, was morgen zu tun ist. Takaya ist aus dem Zug ausgestiegen, geht die letzten Schritte in seine kleine Wohnung. Morgen wird alles seinen gewohnten Gang nehmen. Beide schlafen sofort ein. In den Köpfen herrscht Ruhe. Sind wir in Japan oder auf der Alp?

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Die Älpler Miso-Suppe ist im Entstehen Foto: Georg Alfare

MISO-SUPPE ÄLPLER

Zutaten

für 4 Personen

1 Forelle fangfrisch, ausgenommen

1 Räucherforellenfilet, oder noch besser: von zwei Räucherforellenfilets die Haut

1 Zwiebel

1 Karotte

1 l Wasser

2 Esslöffel weiße Miso-Paste

2 Stück sehr frischer Rohmilch-Kuhkäse

Wildkräuter (zum Beispiel: Löwenzahn, Schafgarbe, Spitzwegerich, Guter Heinrich …)

8 Radieschen

Schnittlauch und Schnittlauchblüten

Salz, Zucker

Frisch geriebener schwarzer Pfeffer nach Geschmack

Zubereitung

Die Forelle filetieren und die Filets häuten, die Fischkarkassen mit Wasser kalt ansetzen, aufkochen, abseihen und noch einmal mit kaltem Wasser ansetzen. Etwa 30 min sieden, dann die Zwiebel, Karotte sowie die Haut der Räucherfilets beigeben und nochmals etwa 30 min sieden (nicht kochen), abseihen, aufkochen, salzen und mit einer Prise Zucker abrunden. Die Miso-Paste durch ein Sieb in den Fond streichen und nochmals abschmecken. Die Suppe darf würzig sein, das Fischfleisch sowie der Käse sind sehr mild. Nun die Forellenfilets in feine Streifen schneiden, die Kuhkäsle in mundgerechte Stücke schneiden und die Wildkräuter zupfen. Die Radieschen in feine Scheiben schneiden. Den Schnittlauch fein schneiden und die Blüten abzupfen. Fisch, Käse, Radieschen und Kräuter auf vier warme Teller aufteilen und mit der Miso-Suppe aufgießen, mit einer Prise frischem Pfeffer verfeinern.

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Fotos: Georg Alfare

DIE AUTORINNNEN UND AUTOREN DER FRÜHLINGSAUSGABE VON ALP

Thorsten Bayer Journalist und Autor u. a. für FAZ und NZZ in Vorarlberg

Markus Curin Journalist und Kulinarikexperte in Vorarlberg

Reinhard Johler Universitäts Professor in Tübingen

Johannes Moerth Schreiber und Enziantrinker im Bregenzerwald

Peter Natter Philosoph und Schrift steller in Vorarlberg

Milena Broger Köchin und Autorin im Bregenzerwald

Carina Jielg Kulturredakteurin beim ORF Vorarlberg

Joshua Köb Journalist in Vorarlberg und Wien

Georg Sutterlüty Historiker und Autor im Bregenzerwald

Armin Thurnher Herausgeber der Wochenzeitschrift „Falter“ in Wien

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O VORARLBERG, DEIN KÄSEWERK SAGT MUH DAZU!
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