7 minute read

Ausbrecherkönig im Kino

Auf Kurve

Walter Stürm

Diese Woche kommt der Film über den Ausbrecherkönig Walter Stürm ins Kino. Wir schildern weitere spektakuläre Fluchten und präsentieren Fakten zu den Schweizer Gefängnissen.

Text: Ralf Kaminski, Monica Müller

Ganze acht Mal büxte Walter Stürm (1942–1999) aus Gefängnissen aus oder kehrte nach Hafturlauben nicht zurück. Letztmals 1995. Insgesamt befand er sich acht Jahre auf der Flucht. Mal sägte er Gitter oder Fensterriegel durch, mal bastelte er sich Leitern oder seilte sich ab, gelegentlich hatte er wohl Hilfe von aussen. Besondere Bekanntheit erreichte er durch seinen Ausbruch aus der Strafanstalt Regensdorf kurz vor Ostern 1981. Damals hinterliess er in seiner Zelle einen Zettel mit der Nachricht: «Bin beim Ostereiersuchen, Stürm». Und in Freiheit veränderte er jeweils sein Aussehen mit allen möglichen Verkleidungen. Erstmals wurde der Ostschweizer Industriellensohn mit 20 Jahren straffällig, wegen des Verkaufs gestohlener Autos. Später kamen Einbrüche, bandenmässiger Raub, Diebstähle und ein Banküberfall hinzu. Er sass nicht nur in Schweizer Strafanstalten, sondern auch in

Der Film In ihrem Kampf gegen das rückständige Rechtssystem der 1980er-Jahre findet Anwältin Barbara Hug (Marie Leuenberger) im Kriminellen Walter Stürm (Joel Basman) einen unerwarteten Verbündeten. Und je weniger Stürm sich ihrer Logik beugt, desto mehr verfällt sie seiner Faszination.

Italien, Frankreich und auf der kanarischen Insel Gomera ein. Stürm lehnte sich regelmässig mit Beschwerden gegen seine Haftbedingungen auf – der Kanton Jura musste wegen ihm 1991 gar eine neue Gefängnisverordnung erlassen. Linke Kreisen stilisierten ihn deshalb zu einer Symbolfigur hoch – es kam sogar zu Demonstrationen gegen seine Isolationshaft. Diese setzte ihm auch besonders zu. 1999 nahm er sich, erneut in Isolationshaft, im Kantonalgefängnis Frauenfeld TG das Leben.

6316

Personen waren am 31.Januar 2021 in der Schweiz inhaftiert – davon 5,7Prozent oder 357 Frauen. Das entspricht einer Belegungsrate von 85,4Prozent.

Der japanische Ausbrecherkönig Schon vor Walter Stürm glänzte der Japaner Yoshi Shiratori (1907–1979) als veritabler Ausbrecherkönig. Vier Mal in drei Jahren brach er aus dem Gefängnis aus und tat dies immer mit kreativen Mitteln. Einmal nutzte er Miso-Suppe, um seine Handschellen und ein Inspektionsloch in der Tür zu verrosten. Ein anderes Mal verwendete er ein Stück Blech, um die Holzdielen seiner Zelle durchzusägen, und mit einer Schüssel schaufelte er sich einen Tunnel. Er starb 1979 an einem Herzinfarkt, in Freiheit. Flucht aus Alcatraz

Frank Lee Morris, John und Clarence Anglin gelang 1962 mit der Flucht von der Gefängnisinsel Alcatraz in der Bucht von San Francisco der wohl berühmteste Gefängnisausbruch. Zwei Jahre hatten sie einen Tunnel gegraben und bauten zusätzlich ein Floss. Bis heute ist unklar, ob sie überlebt haben oder während der Überfahrt ertrunken sind.

390

Franken kostet ein Häftling in der Schweiz pro Tag im Schnitt

Auf Kurve

Diese Woche kommt der Film über den Ausbrecherkönig Walter Stürm ins Kino. Wir schildern weitere spektakuläre Fluchten und präsentieren Fakten zu den Schweizer Gefängnissen.

Warum sind uns erfolgreiche Ausbrecher sympathisch?

Bilder: Getty Images, Keystone, 2020 Ascot Elite Entertainment Group, SRF «Die Raffinesse und Cleverness ihres Ausbruchs oder gar ihrer Ausbruchsserie macht sie zu einer Art Gentleman-Verbrecher – selbst wenn sie zuvor bei ihren Taten mit einer gewissen Brutalität vorgingen, wie das auch bei Walter Stürm dokumentiert ist. Aber durch die Ausbrüche erhalten sie einen eigentümlichen Charme und wirken wie ein den leicht trotteligen Strafverfolgern überlegener Robin Hood oder gar Graf von Monte Christo. Dieser sass ja zu Unrecht verurteilt im Gefängnis und rächte sich später dafür. Es spielen da also Ausbrechermythen hinein – und vielleicht auch eine gewisse Bewunderung für Leute, die nun nicht mehr arbeiten müssen, sondern irgendwo in der Karibik mit dem erbeuteten Geld ihr Leben geniessen können. Im Fall von Stürm kam noch eine polizeikritische Idealisierung hinzu, die viel mit der politischen Stimmung der 1980er-Jahre zu tun hatte.

Es hängt jedoch schon von der Art der Tat ab, ob dieser Effekt spielt. Der Ausbruch eines Mörders oder Kinderschänders dürfte kaum so wahrgenommen werden. Das passiert nur bei Eigentumsdelikten. Und idealerweise war nicht eine arme alte Frau das Opfer, sondern eine reiche Bank.» Peter Schneider (64) Psychoanalytiker und Kolumnist

Neil Moore befahl seine eigene Entlassung Besonders kreativ war 2014 der Betrüger Neil Moore, der in einem Gefängnis südwestlich von London einfach seine eigene Freilassung anordnete. Mit einem in die Zelle geschmuggelten Smartphone erstellte er eine Website, die derjenigen der Justizbehörden ähnelte – und schickte von dieser Domain eine E-Mail ans Gefängnis. Dieses liess ihn daraufhin tatsächlich frei. Allerdings stellte er sich nach drei Tagen freiwillig der Polizei. Geradezu filmreif ist die Geschichte von Angela Magdici und Hassan Kiko. Sie war Aufseherin im Gefängnis Limmattal in Dietikon ZH, wo der gebürtige Syrer wegen Vergewaltigung einsass. Zwischen den beiden entwickelte sich eine Liebesbeziehung und in einer Februarnacht 2016 verhalf sie ihm zur Flucht. Das Paar flüchtete nach Italien, wurde nach fünf Wochen aber in der Lombardei geschnappt. 2017 haben sie geheiratet, doch Kiko sitzt noch immer im Gefängnis. Roland Zurkirchen (55) war 2016 Direktor des Gefängnis Limmattal. Die Flucht bescherte ihm einen Schock, er bezeichnet sie aber auch ein bisschen als Berufsrisiko. Roland Zurkirchen, wie war der Ausbruch für Sie persönlich? Wenn so etwas passiert, erschrickt man und macht sich Gedanken, was man übersehen hat. Aber letztlich sind die beiden die Leidtragenden – wir hingegen haben viel aus dem Fall gelernt. Für das Gefängnis Limmattal war ihr Ausbruch ein Schock, und er beschäftigt nach wie vor. In unseren Kursen zu Nähe und Distanz analysieren wir jeweils dieses Beispiel. Hatten Sie nach der filmreifen Flucht schlaflose Nächte? So etwas ist Teil des Berufsrisikos, und ich war froh, dass es auf der Flucht nicht zu weiteren gröberen Straftaten kam. Sehr zu schaffen machte mir, den Vorfall intern mit den Mitarbeitenden zu verarbeiten. Alle waren völlig durch den Wind. Laut Statistik ist es gar nicht so selten, dass jemand in der Schweiz ausbricht. Die meisten denken bei Gefängnisausbruch an zusammengeknüpfte Leintücher und eine Flucht aus dem Fenster, aber das sind Bilder aus Filmen. In der Realität bedeuten Ausbrüche meist, dass jemand vom Urlaub nicht zurückgekommen ist. Denn sperrt man jemanden ein, muss man ihn nach und nach in die Freiheit zurück-

12

Insassen brachen im Jahr 2020 aus Schweizer Gefängnissen aus. Zwei kehrten freiwillig innerhalb einer Woche zurück, acht wurden in der ersten Woche wieder verhaftet, einer bis Ende Jahr. Und einer war Ende Jahr noch auf der Flucht.

Kiko und Magdici

5

Kiko und Magdici: Fortsetzung von Seite 41

Haftanstalt in Orbe VD Eher eine rabiate Befreiung als ein klassischer Ausbruch ereignete sich 2013 in der Haftanstalt von Orbe VD: Zwei Komplizen eines Mitglieds der Juwelenräuberbande «Pink Panther» durchbrachen mit Autos ein Tor der Gefängnismauer und ermöglichten dem Häftling und einem Kollegen mithilfe von Leitern die Flucht über den Sicherheitszaun. Währenddessen hielten sie das Sicherheitspersonal mit Maschinengewehren in Schach. Anschliessend flüchteten sie in einem der Autos.

Texas Seven Legendär ist auch der Ausbruch der «Texas Seven». Sie flohen im Dezember 2000 aus einem Hochsicherheitsgefängnis in Texas. Zuerst gelang es ihnen, in der Gefängniswerkstatt elf Wärter zu überwältigen und einzusperren. Dann drangen sie als Elektriker verkleidet in ein Wachhaus ein und überwältigten das Personal. Von dort öffneten sie das Gefängnistor und flohen mit einem Lieferwagen und vielen gestohlenen Waffen. Alle konnten später wieder verhaftet werden. Plätze bietet das kleinste Schweizer Gefängnis in Appenzell AI. Die beiden grössten sind Champ-Dollon GE mit 398 und die Justizvollzugsanstalt Pöschwies ZH mit 397 Plätzen.

führen. Deshalb verläuft das erste Drittel einer Haftstrafe in der Regel im geschlossenen Bereich. Beim zweiten gibts Lockerungsschritte, etwa begleiteten Ausgang. Der dritte erfolgt meist auf Bewährung.

Der Abgang der Schmetterlinge Im Film «Papillon» wird der zu Unrecht für einen Mord verurteilte Franzose (in der Verfilmung von 1973 Steve McQueen, 2017 Charlie Hunnam) in eine Strafkolonie nach Französisch-Guyana deportiert. Nach diversen gescheiterten Fluchtversuchen riskiert er sein Leben, um es doch noch in die Freiheit zu schaffen. Verfilmt wurde der Roman von Henri Charrière (1906–1973), der darin seine eigene Geschichte verarbeitet hat.

Inwiefern ist es heute erwünscht, dass Aufseher und Aufseherinnen einen persönlichen Umgang mit den Gefangenen pflegen? Früher standen Aufseher in der Ecke und beaufsichtigten die Insassen. Heute verlangen wir von unseren Mitarbeitenden, dass sie eine professionelle Nähe eingehen. Dass sie die Gefangenen als Menschen wahrnehmen, mit ihnen sprechen, sie betreuen. Im Fall von Magdici und Kiko ist die Nähe zu weit gegangen. Unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter müssen wissen, an wen sie sich in einem solchen Fall wenden können. Es ist menschlich, Gefühle zu entwickeln. Die Frage ist, wie wir als Organisation damit umgehen. Angela Magdici hätte ihre Gefühle ihrem Vorgesetzten melden müssen. Dann hätte man Kiko wahrscheinlich versetzt. Und danach hätte sie Hassan Kiko offiziell besuchen können. 

92

Gefängnisse mit über 7397 Haftplätzen gibts in der Schweiz.

4504

Vollzeitstellen sind landesweit für das Gefängnispersonal eingeplant: 2794 für die Sicherheit, 465 in der Administration, 748 für Sozialarbeit und Bildung, 197 für den Gesundheitsbereich. Nur 449 entfallen auf externe Mitarbeitende. Mit dem Helikopter abgeholt Eine der spektakulärsten Fluchten gelang im Oktober 1973 drei IRA-Mitgliedern aus dem Mountjoy-Gefängnis in Dublin. Zwei andere IRA-Mitglieder entführten einen Helikopter samt Pilot und landeten im Gefängnishof. Die Aufseher schöpften zunächst keinen Verdacht, weil man eine Delegation des Verteidigungsministers erwartete. Während andere Gefangene im Hof eine Rauferei anzettelten, flogen die drei unbehelligt im Helikopter davon. Alle drei wurden jedoch später erneut festgenommen.

This article is from: