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Schläge auf den Schädel
Fussball ohne Kopfbälle?
Die achte Gehirnerschütterung beendete 2015 die Karriere von Philippe Montandon. Der frühere Captain des FC St. Gallen spricht über die Folgen und ein mögliches Kopfballverbot.
Text: Dario Aeberli Bilder: Anna Tina Eberhard
Philippe Montandon, Sie mussten Ihre Karriere vor sieben Jahren beenden. Schuld war ein Zusammenprall mit dem Kopf eines Mitspielers. Woran erinnern Sie sich noch? Ich kann mich nur noch erinnern, wie ich vom Physiotherapeuten gestützt vom Rasen lief. Mein Kopf hing runter, ich dachte: Das wars. Wie es zum Zusammenstoss gekommen ist, weiss ich nur vom TV. Der Therapeut musste Sie nicht zur Auswechslung überreden? Nein. Ich und mein ganzes Umfeld waren darauf sensibilisiert. In den 14 Monaten zuvor hatte ich schon zwei Gehirnerschütterungen gehabt. Ich war schon in Behandlung und trug während den Spielen zum Schutz ein gepolstertes Stirnband. Darum war es kein Thema, dass ich versuchen könnte weiterzuspielen. Das Stirnband nützte nichts? Für mich war das Stirnband ein psychologischer Schutz. Mein Arzt sagte mir: Kopfverletzungen passieren, wenn man nicht gefasst ist, einen Schlag auf den Kopf zu kriegen. Setzt man bewusst zum Kopfball an, kann man den Schlag mit der Nackenmuskulatur absorbieren. Bei mir war es aber ein Schlag, der einen Bruchteil zu früh kam. Der Ball war in der Luft, der Torhüter rannte raus, ich kam von hinten, und plötzlich stieg der Mitspieler vor mir hoch und unsere Köpfe stiessen zusammen. Der Schlag traf mich unter dem rechten Auge. Sie fühlten sich sicherer. Ja, es gab mir nach der sechsten Gehirnerschütterung die Sicherheit weiterzuspielen. Ich ging aber nicht mit der Einstellung ins Spiel: Jetzt kann mir nichts mehr passieren. Wie geht es Ihnen heute? Eigentlich gut. Ich habe immer gesagt, wenn ich meinen Alltag so bestreiten kann, wie ich will, dann ist das super. Und das kann ich. Nach einem Arbeitstag vor dem Computer habe ich oft Kopfschmerzen. Ob ich die jetzt mehr oder weniger oft habe, das kann ich nicht messen. Ich weiss nicht, wie es wäre, hätte ich diese Verletzung nicht gehabt. Verfluchen Sie manchmal den Moment des Zusammenpralls? Nein, überhaupt nicht. Ich hatte das Privileg, dass ich mein Hobby zum Beruf machen konnte. Es gibt viele, die das wollen, aber in den entscheidenden Momenten kein Glück hatten. Ich hatte das Glück. Ich war beim Rücktritt 32 Jahre alt, habe nicht mehr mit mir gehadert. Werden Fussballer zu wenig auf Kopfverletzungen hin sensibilisiert? Ja, das stört mich. Es gibt Zweikämpfe, bei denen zu rücksichtslos mit dem Gegner umgegangen wird. Eine Gehirnerschütterung hatte ich, weil ich einen Ellbogenschlag kassiert habe. Aktuell diskutieren die Regelhüter gar darüber, ob Kopfbälle verboten werden sollen. In Eng-
land dürfen Profis nur noch zehn Kopfbälle pro Training machen. Ist das die Lösung? Der Kopfball gehört zum Fussball. Ohne ist es ein komplett anderes Spiel. Ein Restrisiko besteht immer. Ich finde solche Vorstösse aber super. Manchmal braucht es Extreme, damit sich eine abgeschwächte Form durchsetzt. Ich finde nicht, dass der Kopfball an und für sich ein Problem ist. Ich habe die Hälfte der Tore mit dem Kopf gemacht – es wäre schade, hätte ich das nicht erlebt. Eine Studie mit 8000 Teilnehmenden in Schottland zeigt, dass das Demenzrisiko bei Fussballern im Vergleich zur übrigen Bevölkerung deutlich erhöht ist – fünfmal höher bei Verteidigern wie Ihnen mit vielen Kopfbällen. Ich habe davon gehört. In den 50er- und 60er-Jahren spielte man auf der Insel mit Lederbällen, die sich bei Regen vollsogen und bis zu drei Kilo schwer waren. Die heutigen Bälle sind deutlich leichter.

Macht die Studie nicht doch Angst? Doch. Ich habe ehrlich Respekt vor der Zukunft, weil ich nicht weiss, was auf mich zukommt. Wie schlimm hat es mich erwischt? Ich bin 39 und hoffe, ich habe noch das eine oder andere gute Jahr. Aber mein Risiko ist sicher erhöht; dieser Gedanke schwirrt im Hinterkopf umher. Sie sind Verkaufsleiter bei einer Immobilienfirma in Amriswil TG – nach der Ausbildung zum Betriebswirtschafter. War das ein Test, ob Ihr Gehirn noch richtig funktioniert? Nein. Ich habe das gemacht, um mich beruflich weiterzubilden. Ich habe Kaufmann auf der Gemeinde Brüttisellen ZH gelernt. Nach 15 Jahren Spitzensport musste ich einen Weg zurückfinden. In der Schweiz verdienst du als Profi nicht so viel Geld, dass du sagen kannst, jetzt mach ich mal ein halbes Jahr lang nichts. Aber erleichtert waren Sie schon, als das mit dem Lernen klappte? Ich habe mir mehr Gedanken gemacht, wie es nach 15 Jahren wieder in der Schule sein wird. Aber klar: Du merkst, es funktioniert, dein Hirn arbeitet, wie es sollte. Das gibt dir ein gutes Gefühl. Welche abgeschwächte Variante des Kopfballverbots unterstützen Sie? Ich habe noch keine gefunden. Vielleicht spielen wir in zehn Jahren Fussball ganz ohne Kopfbälle. Wer weiss? Wichtig ist, dass man die Thematik diskutiert und mit medizinischen Fachleuten nach Lösungen sucht. Es gibt heute schon Checklisten, die das medizinische Team bei Kopfverletzung durchgehen muss, bevor man weiterspielen darf. Der Sportler auf dem Platz ist vollgepumpt mit Adrenalin, die Fans
Bild: Keystone
Voller Einsatz im Luftduell: Der St.Galler Philippe Montandon (links) 2013 in einem Spiel gegen den FCBasel
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Philippe Montandon
wurde 1982 geboren. Sein Debüt als Profifussballer gab er 1999 beim FC Winterthur. Danach hinterliess der Verteidiger vor allem in der Ostschweiz seine Spuren: Mit dem FC Wil gewann er 2004 den Schweizer Cup. Danach spielte er während insgesamt sechs Jahren für den FC St. Gallen. Dort wurde er Captain und zum Publikumsliebling, bis er im Januar 2015 nach seiner achten Gehirnerschütterung den Rücktritt aus dem Profifussball bekannt gab.
Heute arbeitet Philippe Montandon als Verkaufsleiter bei einer Immobilienfirma und als Experte für den Fussballsender Blue Sport. Er wohnt mit seiner Frau und seinen zwei Kindern in Zuzwil SG.
Anzeige machen Stimmung, da geht niemand freiwillig raus. Darauf müssen die Mediziner sensibilisiert sein und den Spieler trotzdem vom Feld nehmen, um ihn zu schützen. Das bekannteste Beispiel ist Christoph Kramer. Der Deutsche erhielt im WM-Final 2014 einen Schlag gegen den Kopf, wurde untersucht und spielte noch zehn Minuten weiter. Ein paar Tage später konnte er sich nicht ans Spiel erinnern. Ich glaube, wenn das heute passiert, würde man ihn sofort rausnehmen. Wobei: Christian Fassnacht von den Young Boys erlitt gerade eine Kopfverletzung und spielte kurz danach wieder. Was denken Sie, wenn Sie sehen, wie zwei Spieler mit dem Kopf zusammenprallen? Das sehe ich nicht gern. Ganz ehrlich: Bei solchen TV-Szenen zucke ich zusammen. Wenn man weiss, welche Kräfte da wirken … Sie wurden kurz nach Ihrer achten Gehirnerschütterung Vater. Sind Sie deshalb danach zurückgetreten? Nein, es ging einfach nicht mehr. Der Zusammenprall war im August. Im November hatte ich immer noch Probleme wie Schwindel oder Übelkeit, sobald ich mich intensiver bewegte. Dann habe ich bis zur Vorbereitung im Januar pausiert und musste am ersten Trainingstag erneut abbrechen. Mir wurde wieder schwindlig. Ich verlor die Orientierung. Was hat Ihnen Ihr Arzt geraten? Der Fall war klar, wir mussten nicht lange diskutieren. Aus medizinischer Sicht machte es keinen Sinn weiterzuspielen. Dann mussten Sie nicht lange um den Entschied ringen? Nein. Sicher, geholfen hat schon, dass ich gerade Vater geworden war. Was der Fussball einem gibt, sind wahnsinnig viele Emotionen. Dank meines Kindes konnte ich ganz andere starke Emotionen erleben und mich somit vom Fussball abnabeln. Dennoch haben Sie vier Jahre nach dem Rücktritt wieder angefangen, Fussball zu spielen. Heute spielen Sie bei den Senioren des FC Zuzwil. Ja, es hat mich wieder gereizt. Ich wollte nochmals tschutten. Ein sehr guter Freund hat mich ins Boot geholt. Kopfbälle mache ich aber keine mehr. Gar keine? Also im äussersten Notfall, wenn fünf Meter rundherum niemand sonst ist, kann es schon sein, dass ich den Kopf hinhalte. MM
DEBATTE Soll man Kopfbälle verbieten?
Am 26. September hat in England, dem Mutterland des Fussballs, das erste Spiel ohne Kopfbälle stattgefunden. Zuvor hatte eine Studie der Universität Glasgow mit rund 8000 Teilnehmenden gezeigt, dass Fussballer deutlich häufiger an Demenz, Alzheimer oder Parkinson erkranken als die Durchschnittsbevölkerung.
Grund sind wohl die vielen Kopfbälle. Denn Torhüter, die praktisch keine Kopfballduelle führen, erkranken gleich häufig wie Menschen, die keinen Fussball spielten. Der Europäische Fussballverband empfiehlt, im Kinderfussball so weit wie möglich auf Kopfbälle zu verzichten.
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