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Aus Syrien in den Denner

«Der Laden war mein Schulzimmer»

Raparen Mohammad ist unter Lebensgefahr aus Syrien geflohen. Heute arbeitet sie im Denner Rapperswil und geht der Filialleiterin tatkräftig zur Hand.

Text: Michael West Bild: Daniel Winkler

Die junge Frau in der leuchtend roten Denner-Jacke schliesst noch rasch eine Bestellung von frischen Tomaten, Kartoffeln und Gurken ab. Dann nimmt sie sich Zeit, um im kleinen Büro ihrer Filiale aus ihrem Leben zu erzählen. Raparen Mohammad (29) spricht makelloses Hochdeutsch und versteht sehr gut Mundart. Dabei hat sie erst vor sieben Jahren Zuflucht in der Schweiz gefunden. Den grössten Teil ihres Lebens hat sie im Nordosten Syriens verbracht.

Aufgewachsen ist sie in der multikulturellen Stadt Qamischli nahe der Grenze zur Türkei. Ihre Eltern sind Kurden; der Vater arbeitete als Bäcker. «Beide wollten immer nur das Beste für mich und meine sechs Geschwister», sagt Raparen Mohammad. «Wir sollten in Freiheit leben und unseren eigenen Weg gehen.» Weil sie gute Noten hatte, konnte sie nach der Schule ein Studium anfangen. Sie träumte davon, Psychologin zu werden.

Von Extremisten bedroht Als im Frühling 2011 der Bürgerkrieg in Syrien ausbrach, wurden alle Pläne hinfällig. Mohammads Eltern fürchteten, Qamischli zuerst nach Bulgarien. «Dort gerieten wir in Lebensgefahr», berichtet sie. «Zusammen mit etwa 50 anderen Flüchtlingen wurden wir in einem Lastwagen zusammengepfercht. Die Fahrt sollte nach Wien gehen, doch unterwegs wurde die Luft knapp. Ich hatte immer wieder Angst zu ersticken. Die Türen des Lastwagens waren verriegelt, es gab kein Entkommen.»

Mohammad sucht kurz nach Worten und sagt dann: «Es ist eine Erfahrung, die ich niemandem wünsche. Doch im Vergleich zu all den Flüchtlingen, die im Meer ertrunken sind, hatte ich grosses Glück.»

Nach der Ankunft in Österreich traten die beiden völlig entkräfteten Frauen die letzte Etappe ihrer Reise an: Sie fuhren in die Schweiz und stellten hier einen Asylantrag. Sie und die Schwester besitzen inzwischen einen Ausweis F. Sie gelten also als vorläufig aufgenommene Ausländerinnen. Die übrige Familie hat in Deutschland Asyl erhalten und lebt heute im Bundesland Niedersachsen.

könnte von der Terrormiliz IS erobert werden, und hatten entsprechend Angst um das Leben und die Freiheit ihrer Kinder. 2012 flüchtete darum die ganze Familie über die nahe Grenze. Ihr Ziel war Westeuropa, doch die Eltern und ihre sieben Kinder mussten zuerst ein Jahr lang unter schwierigen Bedingungen in der Türkei ausharren. Um etwas zum Lebensunterhalt beizutragen, schuftete Raparen Mohammad dort in einer Kleiderfabrik. Schliesslich vertrauten die Familienmitglieder ihr Leben einer Schlepperbande an und mussten danach auf getrennten Wegen weiterreisen.

Zusammen mit einer Schwester gelangte Raparen Mohammad

«Im Vergleich zu all den Flüchtlingen, die im Meer ertrunken sind, hatte ich grosses Glück.»

Im Laden viel gelernt Schon in den ersten Tagen nach ihrer Ankunft prägte sich Raparen Mohammad möglichst viele deutsche Wörter ein. Und

TÜRKEI

Aleppo Qamischli

SYRIEN

LIBANON

Damaskus IRAK

JORDANIEN

Raparen Mohammad stammt aus der Stadt Qamischli im äussersten Nordosten von Syrien.

später besuchte sie mehrere Sprachkurse. «Doch viel gelernt habe ich dort nicht», meint sie rückblickend. «Mein Wortschatz wuchs viel schneller, als ich vor fünf Jahren für Denner zu arbeiten begann. Der Laden war mein bestes Schulzimmer.»

Heute ist die Denner-Filiale im Rapperswiler Einkaufszentrum Sonnenhof für sie auch ein Stück Heimat. Sie kennt alle Stammkundinnen und -kunden, grüsst sie immer mit ihren Namen und schenkt ihnen ein strahlendes Lächeln. Raparen Mohammad wickelt täglich Bezahlungen und Bestellungen ab und geht der Filialleiterin so tatkräftig zur Hand, dass sie nun ihre Assistentin ist. Später einmal möchte sie selber ein Team leiten.

Von der Schweiz ist Raparen Mohammad hell begeistert: «Die Menschen hier habe ich vom ersten Tag an als freundlich, offen und enorm hilfsbereit erlebt. Und ich staune noch immer darüber, wie sauber und sicher das Land ist.» Nur ab und zu ist die Denner-Mitarbeiterin traurig darüber, dass sie laut ihrem Ausweis nur als vorläufig aufgenommen gilt: «Ich möchte auch auf dem Papier richtig dazugehören. Die Schweiz ist doch längst meine Heimat.» MM

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