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Höllenhitze und Giftgase

Zutritt zur verbotenen Zone

Auf der ganzen Welt erkundet der Forscher Peter Diethelm gefährliche Vulkane – aktuell auch auf der Kanareninsel La Palma. Feurige Krater und brodelnde Lava findet Diethelm nicht nur bedrohlich, sondern auch schön.

Text: Michael West

Es ist wie eine Lawine in Zeitlupe: Träge wälzt sich die rot glühende Masse die Westflanke des Vulkans Cumbre Vieja hinab. Schon über 2600 Häuser hat die Lava auf der kanarischen Insel La Palma auf ihrem Weg ins Tal zermalmt. Das flüssige Gestein ist 1200 Grad heiss, lässt eiserne Geländer und Fensterscheiben wie Wachs schmelzen. Die Schneise der Zerstörung führt durch drei Gemeinden; auch mehrere Bananenplantagen wurden inzwischen vernichtet. In der höllischen Hitze explodierten auf den Betrieben die Wassertanks.

Ein halbes Jahrhundert lang hatte der Feuerberg auf La Palma die Bevölkerung mit Katastrophen verschont. Doch am 19. September brach plötzlich eine Flut aus Lava aus der Westseite des Bergs. Das gewaltige Naturereignis ist noch immer im Gang. Menschen sind zum Glück nicht ums Leben gekommen, weil die Behörden das Gebiet sofort evakuierten und grossräumig absperrten.

Ein Schweizer bekam kürzlich auf La Palma Zutritt zur verbotenen Zone. Es ist der Schaffhauser Forscher Peter Diethelm, der seit Jahrzehnten auf der ganzen Welt aktive Vulkane erkundet.

Besuch in der Hölle Am Hang des Cumbre Vieja filmte er im Auftrag der ETH Zürich Lavatröme und nahm verschiedene Messungen vor. «Es ging zum Beispiel darum, welche Mineralien und Gase in die Lava eingeschlossen sind», erklärt der 52Jährige. Das lässt Rückschlüsse über das Innenleben des Vulkans zu: Wie verlaufen seine Kanäle? Wie gross ist sein Reservoir aus flüssigem Gestein, und wie tief liegt es? Der erfahrene Forscher kann daraus Prognosen ableiten. Für die Nachbarschaft des Cumbre Vieja sehen diese Voraussagen wenig erfreulich aus: Vieles deu

In der Gefahrenzone auf La Palma: Peter Diethelm untersuchte kürzlich die Lavaströme auf der Insel.

Bilder: Stefan Nimmesgern/laif, Keystone, Getty Images, zVg tet darauf hin, dass die Flut aus Lava nicht so schnell versiegen wird und dass der Ausbruch noch längere Zeit andauert.

Um in der Sperrzone arbeiten zu können, musste sich Diethelm sorgfältig vorbereiten und die Gefahren vor Ort immer im Auge behalten. Den Lavaströmen näherte er sich stets gebückt, um der aufsteigenden Höllenhitze zu entgehen. «Viel gefährlicher sind aber die giftigen Gase, die der Vulkan ausstösst», erklärt er. «Auf La Palma hatte ich es vor allem mit Schwefeldioxid (SO2) zu tun. Es hat einen beissenden, fauligen Geruch und eine bläuliche Farbe. Das ist ein Vorteil, weil man so rechtzeitig gewarnt ist. Schutz bietet dann eine Gasmaske mit speziellem Filter.»

Heimtückischer als Schwefeldioxid ist das geruchlose und unsichtbare Kohlendioxid (CO2), das ebenfalls oft aus Vulkanen entweicht. Weil es schwerer als Luft ist, sammelt es sich manchmal in Talsenken und bildet dort eine Art See. Wer ungeschützt in eine solche CO2Falle tappt, kann das Bewusstsein verlieren und dabei umkommen.

Plötzlich eine Flutwelle Trotz aller Vorbereitungen geht Diethelm immer ein gewisses Risiko ein, wenn er aus nächster Nähe einen aktiven Vulkan erforscht. Dass Feuerberge voller Überraschungen stecken, hat er vor einigen Jahren auf Sizilien erlebt: Der Spezialist filmte am Ätna einen Strom aus flüssigem Gestein, der von zwei Dämmen aus erstarrter Lava eingefasst wurde. Plötzlich hörte er ein seltsames, kratzendes Geräusch. Im nächsten Moment brach einer der Dämme; Diethelm musste sich vor einer Welle aus Lava retten. Zwar blieb er unverletzt, aber sein Rucksack samt Fotoausrüstung und Feldstecher wurde von der feurigen Flut verschlungen.

Seine Begeisterung für Vulkane können solche Erlebnisse nicht trüben. Er hat schon brodelnde Krater auf sechs Kontinenten besucht und plant noch viele weitere Forschungsreisen. «Meine Freunde wollen manchmal wissen, ob ich nicht langsam genug habe», sagt der Wissenschaftler mit einem Lächeln. «Für mich ist das so, als würde man mich fragen, warum ich noch neue Menschen kennenlernen will. Jeder Vulkan ist unverwechselbar und hat sozusagen seine eigene Persönlichkeit.»

Die Feuerberge findet Diethelm auch deshalb so faszinierend, weil sie einst zur Entstehung des Lebens beigetragen haben. So wurde beispielsweise die Uratmosphäre der Erde von Vulkanen ausgestossen.

Der Anblick der hoch aufragenden Feuersäule über einem Krater hat für den Forscher etwas Erhabenes: «Diese Naturgewalt zeigt uns unsere Winzigkeit, sie macht uns demütig.» Manche Politiker und Wirtschaftsbosse würde er am liebsten auf seine Forschungsreisen mitnehmen: «Wenn sie aus der Nähe brodelnde Lava erlebt hätten, würden sie sich nicht mehr so wichtig nehmen.» MM

Bei einem Ausbruch des Merapi 2010 rettet ein Bauer einen Teil seiner Ernte.

Neapel und der nahe Vesuv

Fünf besonders gefährliche Vulkane

Phlegräische Felder, bei Neapel

Alle kennen den Vulkan Vesuv, der sich neun Kilometer von Neapel entfernt erhebt. Viel gefährlicher sind jedoch die Phlegräischen Felder, ein 150 Quadratkilometer grosses Gebiet, das am Westrand der Stadt beginnt. Darunter verbirgt sich ein gigantischer Hohlraum, der sich mit flüssigem Gestein aus dem Erdinnern füllt. Ein Ausbruch könnte die Zerstörungskraft mehrerer Atombomben haben und Neapel samt den umliegenden Orten auslöschen.

Yellowstone, USA

Der Yellowstone im gleichnamigen Nationalpark des USStaates Wyoming gilt ebenfalls als Supervulkan, der eine enorme Explosionskraft entwickeln könnte. Mit einem Ausbruch würde er womöglich das Klima auf der ganzen Nordhalbkugel schlagartig abkühlen und Jahre ohne Sommer und schwere Missernten auslösen.

Merapi, Indonesien

Der Merapi auf der Insel Java zählt zu den aktivsten Vulkanen Indonesiens. Alle zehn bis 15 Jahre erschüttert er das Gebiet mit einem grösseren Ausbruch. Besonders gefährlich sind dann die bis zu 700 Grad heissen Aschewolken, die der Merapi ausstösst und die sich rasend schnell die Abhänge des Bergs hinunter bewegen. Vulkanforscher nennen dieses Phänomen «Pyroklastische Ströme».

Anak Krakatau, Indonesien

So heisst eine Vulkaninsel zwischen Java und Sumatra. Hier ereignete sich 1883 ein gigantischer Ausbruch, der mehr als 36000 Menschen das Leben kostete und weltweit das Wetter beeinflusste. Der Vulkan ist auch heute noch aktiv und gefährlich.

Taal, Philippinen

Dieser Feuerberg auf der philippinischen Insel Luzon hat mit seinen Ausbrüchen schon mehrfach Erdbeben und Überschwemmungen ausgelöst. Weil er nur 50 Kilometer von der Hauptstadt Manila entfernt liegt, bedroht er ein Ballungsgebiet, das von 21 Millionen Menschen bewohnt wird.

Der Vulkan Yellowstone sorgt im gleichnamigen Nationalpark für ein surreales Farbenspiel.

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