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Unterschätzte Mafia
Polizisten nach einer koordinierten Aktion in der Schweiz gegen die Mafiaorganisation ‘Ndrangheta im Sommer 2020
Bilder: Fedpol
«Wir wollen der Mafia das Leben unbequem machen»
Nicoletta della Valle, Chefin des Bundesamts für Polizei (Fedpol), versucht, die organisierte Kriminalität zurückzudrängen. Aber es ist ein Kampf gegen Windmühlen: Zieht man eine Bande aus dem Verkehr, übernimmt bald die nächste.
Nicoletta della Valle, welche Themen beschäftigen Sie derzeit besonders? Ein Schwerpunkt sind die verschiedenen Mafiaorganisationen, die hierzulande aktiv sind. Im Vordergrund stehen dabei die italienische Mafia sowie die organisierte Kriminalität aus dem Balkan und den Staaten der früheren Sowjetunion. Wie unterscheiden sich diese Organisationen voneinander? Die italienische Mafia ist am längsten hier, sie kam schon mit den ersten Einwanderern in den 1960er-Jahren ins Land. Sie schätzt die Diskretion in der Schweiz und verhält sich entsprechend unauffällig, ist aber in sämtliche illegalen Geschäfte involviert: Drogen, Waffen, Menschenhandel, Geldwäscherei. Sie funktioniert in Familienstrukturen, die meisten Leute werden hineingeboren. Bei der organisierten Kriminalität aus der ehemaligen Sowjetunion stehen Oligarchen im Vordergrund, die mit ihrem teils durch Korruption erworbenen Geld in die Schweiz kommen, es hier waschen und von hier aus ihre Geschäfte machen. Aber nicht alle Oligarchen, die hier leben, sind kriminell. Und Banden aus dem Balkan? Die sprengen oft Bancomaten oder überfallen Geldtransporter, Waffen- und Schmuckläden. Bei ihnen gibt es keine vergleichbare strenge hierarchische Struktur wie bei der italienischen Mafia. Aber es gibt Kooperationen. Im Drogenhandel etwa arbeiten die albanische und italienische Mafia eng zusammen. Was war Ihr letzter grosser Fahndungserfolg? Im November 2021 konnten wir in einer koordinierten Aktion mit Italien 104 Personen in den Kantonen Tessin, Graubünden, St. Gallen und Zürich sowie in Kalabrien festnehmen, im Zusammenhang mit dem Handel von Kokain, Heroin und Waffen.
Die FedpolChefin
Nicoletta della Valle (60) ist seit 2014 Direktorin des Bundesamts für Polizei (Fedpol). Sie hat rund 1000 Mitarbeitende unter sich. Die Juristin wohnt in Bern und hat früher mehrere Kampfsportarten trainiert – mit Judo hat sie kürzlich wieder angefangen.
Darunter waren sechs mutmassliche Mitglieder der Mafiaorganisation ’Ndrangheta in der Schweiz. Dieser Erfolg gelang dank enger Zusammenarbeit zwischen den schweizerischen und den italienischen Strafverfolgungsbehörden. Wie lange ermittelt man für so etwas? Manchmal Monate, manchmal Jahre. Die ’Ndrangheta infiltriert unsere Wirtschaft und Gesellschaft. Informationsaustausch und Kooperation sind die Basis, um dies aufzudecken. Wie tief geht denn diese Infiltration? Wir wissen längst nicht alles. Klar ist aber, dass die kriminellen Organisationen nicht nur dreckiges Geld in die Schweiz bringen, um es etwa über den Kauf von Immobilien zu waschen. Sie versuchen auch, mit bereits gewaschenem Geld in die legale Wirtschaft reinzukommen. Wenn ein junger Italiener, der seit Kurzem im Land ist und kaum seine Handyrechnung zahlen kann, plötzlich ein Haus kauft, läuten bei uns die Alarmglocken. Vorausgesetzt, wir kriegen es mit. Information ist also Ihre schärfste Waffe? Sie ist die Grundvoraussetzung für unsere Arbeit. Wenn KanWieso ist es bei uns anders? Schwer zu sagen. Vielleicht auch, weil wir bisher Glück hatten. Es sind dort zum Teil andere Organisationen aktiv, in Holland etwa die marokkanische Mafia. Vielleicht haben diese Länder die Situation auch lange unterschätzt. Ich würde nicht wagen zu behaupten, dass wir vor solchen Entwicklungen gefeit sind. Man kennt die Drogenrouten und teils die Leute dahinter. Wieso fällts dennoch so schwer, den Handel zu bekämpfen? Man zieht die Leute bei Kontrollen schon immer wieder aus dem Verkehr, aber der Anbau und die Produktion der Drogen finden fast ausschliesslich im Ausland statt. Um Anbau und Konsum erfolgreich zu bekämpfen, braucht es mehr als den Einsatz der Polizei. Wir sind nur der Besenwagen und kommen erst am Schluss des Problems. Solange in vielen Ländern so viele Leute nur vom Anbau leben können – und hier auf genügend Nachfrage stossen –, wird es auch Drogenhandel geben. Auch der Menschenhandel beschäftigt Sie. Wen betrifft dies? Da geht es meist um Menschen aus armen Ländern, die unter einem Vorwand in die Schweiz gelockt werden. Etwa junge Frauen, denen man einen Job in einer Bar verspricht – und kaum sind sie da, nimmt man ihnen den Pass ab und zwingt sie mit Gewalt zur Prostitution. Und Männer zwingt man auf die gleiche Weise, auf dem Bau zu arbeiten. Solche Ausbeutung gibt es bei uns auch in der Altenpflege, wo Frauen aus Osteuropa für einen Hungerlohn fast rund um die Uhr arbeiten.
tonspolizisten jemanden wegen Drogenhandels verhaften, sehen sie meist nur das einzelne Delikt, das zu verfolgen in ihrer Kompetenz liegt. Unsere Aufgabe ist es hingegen, die Zusammenhänge, die Netzwerke und die Strukturen zu sehen – etwa den Cousin in einem anderen Kanton, der in ein Verfahren aus Italien involviert ist. Wichtig ist darum, dass die Kantone mit uns und untereinander kooperieren, aber auch der internationale Informationsaustausch. Und wie läuft der? Recht gut. Wir tauschen uns mit den Nachbarn aus, mit Europol und Interpol, Grossbritannien und den USA. Ab und zu gibt es Nachteile, weil wir nicht in der EU sind. Aber wir sitzen im Herzen Europas, die Kriminalität kommt immer bei uns vorbei. Deshalb liegt es eigentlich im Interesse unserer Nachbarn, dass wir eng angebunden sind. Hat die Schweiz in diesem Bereich einen guten Ruf? Italien hat uns lang vorgeworfen, dass wir zu wenig machen – durchaus berechtigt. Während alle Angst vor dem Terrorismus haben, fühlen sich die meisten hier von der Mafia nicht betroffen. Da herrscht in der Öffentlichkeit weitherum grosses Staunen, wenn der Betreiber einer Pizzeria verhaftet wird, der doch immer so nett war und bei dem man so gut gegessen hat. Und die kantonalen Behörden? Auch da fehlt teils die Sensibilität – bei Polizei, Migrationsbehörden und Grundbuchämtern, Handelsregistern oder Lebensmittelinspektoraten. Die Mafia in der Schweiz lebt von Diskretion – ihr ist es am liebsten, wenn man nicht über sie redet. Genau das sollten wir also tun. Wie kommt man als Bürgerin oder Bürger mit der Mafia in Berührung? Vielleicht isst man in einem Restaurant Produkte, die der Betreiber zu überteuerten Preisen kaufen musste. Oder man zieht in einen Neubau, für den der Bauherr zu Dumpinglöhnen Leute beschäftigte, die irgendwo in einem Keller schlafen mussten. Es sind immer indirekte, versteckte Kontakte. Die Mafia überfällt hier niemanden auf offener Strasse. Sie sagten im vergangenen Jahr, die Schweiz müsse verhindern, neuer Rückzugsort der Mafia zu werden. Was gilt es, noch mehr zu machen? Mit Strafverfolgung allein kommen wir nicht weiter. Immerhin gibts seit Sommer 2021 für organisierte Kriminalität eine Gesetzesverschärfung: statt fünf Jahren Gefängnis können nun zehn oder 20 gesprochen werden. Un-
«Die Mafia in der Schweiz lebt von Diskretion. Genau des- halb sollten wir über sie reden.»
ser Ziel ist es, der Mafia in der Schweiz das Leben so ungemütlich wie möglich zu machen. Dabei setzen wir neben Sensibilisierung und Prävention auch auf Ausweisungen und Einreiseverbote von bis zu 20 Jahren. Das tut Verurteilten weh, denn häufig haben diese hier Häuser und Familie, zu denen sie dann keinen Zugang mehr haben. Andere europäische Länder wie Holland oder Schweden haben bereits blutige Bandenkriege im Drogenmilieu. Das gibt es hier so nicht … … zum Glück. Gleicht das nicht dem Kampf gegen Windmühlen? Kaum hat man irgendwen aus dem Verkehr gezogen, übernimmt ein anderer das Geschäft? Das ist so. Das Bild der Hydra trifft es perfekt: Schlägt man einen Kopf ab, wachsen zwei
neue nach. Damit müssen wir leben. Deshalb ist es auch nicht unser Ziel, die Mafia auszurotten, sondern ihr das Leben unbequem zu machen. Aber es wird immer Menschen geben, die nicht durch legale Arbeit Geld verdienen wollen oder können.
Es ist also eine Sisyphusarbeit. Ja, die Vision einer friedlichen Welt ohne Kriminalität bleibt wahrscheinlich leider unerreichbar. Bestenfalls können wir uns den Ruf erarbeiten, dass es in der Schweiz für Kriminelle ungemütlich ist. Dafür ist es zuletzt um den islamistischen Terror ruhiger geworden. Wie schätzen Sie die Bedrohungslage hier ein? Laut Nachrichtendienst des Bundes ist die Bedrohungslage weiterhin erhöht, wie überall in Europa. Sicherlich sind die Polizeibehörden aller Länder heute besser aufgestellt, haben gelernt, rasch zu reagieren und Informationen auszutauschen. Dadurch liessen sich in Europa zahlreiche Attentate verhindern. Aber die Radikalisierten sind immer noch hier. Und von den zwei Attacken in der Schweiz wurde nicht viel geredet. Welche meinen Sie? Zuerst eine Messerattacke in Morges VD im September 2020, bei der ein junger Mann starb, dann eine weitere in Lugano TI im November 2020, bei der zwei junge Frauen schwer verletzt wurden. Beide Vorfälle hatten mutmasslich dschihadistische Motive, die Strafverfahren laufen noch. In den jeweiligen Kantonen hat das grosse Beachtung gefunden, in nationalen Medien jedoch kaum. Gleichzeitig scheint rechts und links im politischen Spektrum eine Radikalisierung stattzufinden. Wie nehmen Sie die Entwicklung wahr? Die Rechtsextremen mit ihrem Gewaltpotenzial machen der Polizei in ganz Europa sehr grosse Sorgen. Und während




Bilder: Reuters, Getty Images
Vier zentrale Einsatzgebiete der Bundespolizei: Menschenhandel, Waffenhandel, Geldwäscherei und Drogenhandel der Pandemie gab es Drohungen gegen Regierungs- und auch Parlamentsmitglieder, wie wir sie in der Schweiz zuvor nie gesehen haben. Nach dem Sturm aufs Capitol in Washington im Januar 2021 gab es hier Leute, die das Gefühl hatten, sie müssten das imitieren – was ihnen allerdings nicht gelungen ist. Und die sozialen Medien erleichtern es ihnen, sich zu organisieren. Das alles beschäftigt uns sehr, weil das Fedpol für den Schutz von Bundesrat, Parlament, Bundesrichtern und Verwaltungsangestellten verantwortlich ist.
Wie gehen Sie dabei vor? Wir beobachten unter anderem die sozialen Medien, und was wir da alles sehen, ist schon sehr übel. Besonders beunruhigend ist, wie schnell Leute anfangen
zu drohen. Zudem: Den Drohbrief auf Papier an einen Bundesrat sehen vielleicht drei Leute. Aber wer seine Morddrohung online im Corona-RebellenChat platziert, erreicht damit ein Publikum von Tausenden. Und es ist nicht unbedingt der, der schreibt, der zur Tat schreitet. Aber wenn wir jemanden identifizieren können, gehen wir bei dem vorbei.
Immer? Seit der Pandemie systematisch. Zuerst versuchen wir abzuschätzen, ob wir es mit einem «Wutbürger» zu tun haben oder
«Während der Pandemie gab es Drohungen, wie wir sie zuvor nie gesehen haben.»
mit jemandem, der zur Tat schreiten könnte, weil er zum Beispiel eine gewalttätige Vorgeschichte hat. Dann machen wir mit der Kantonspolizei einen Hausbesuch, eine sogenannte Gefährderansprache. Was erleben Sie da? Etwa die Hälfte der Leute erschrickt, denn sie dachten, dass sie so etwas online ohne Konsequenzen machen können. Das sind Leute, die eine Drohung jemandem nicht direkt ins Gesicht sagen würden. Die hören nach einem solchen Besuch tendenziell auch auf. Und dann hat man die anderen, die ihre Drohungen ernst meinen und tatsächlich gefährlich sind.
«Wir haben keine Befehlsgewalt, alles läuft über Dialog – und auch mal etwas Druck.»
Was passiert mit denen? Bei ernsthaften Aufrufen zu Gewalt senden wir einen Bericht an die Bundesanwaltschaft, die ein Verfahren eröffnet. Das führt dann zu Strafbefehlen und in der Regel zu Bussen. Sie sind nun seit bald acht Jahren im Amt. Was sehen Sie als Ihre wichtigsten Erfolge? Die Zusammenarbeit zwischen uns und den Kantonen funktioniert heute gut. Wir haben Taskforces gegründet, bei denen alle Akteure am Tisch sitzen – das Modell haben wir von den Kanadiern kopiert und verwenden es gleichermassen für Terrorismus und organisierte Kriminalität. Gibt es noch mehr? Auch die internationale Kooperation ist inzwischen viel besser, so haben wir heute zum Beispiel fünf Leute bei der Europol stationiert. Fedpol ist allerdings noch eine relativ junge Behörde, es gibt sie in dieser Form erst seit 20 Jahren. Und wir haben keinerlei Befehlsgewalt im Land; es läuft alles über Dialog, Überzeugen und manchmal auch etwas Druck. Letztlich versuchen wir, unsere Existenz über gute Arbeit zu legitimieren. Sind Sie auch schon kriminell geworden? Haben etwas geklaut, zum Beispiel? (lacht) Einen Ladendiebstahl habe ich nie gemacht. Aber als Jugendliche sind wir mal zu viert auf einem Velo gefahren – und wurden sofort erwischt. Ich sehe noch vor mir, wie wir den Hügel runterfuhren, unten stand ein Polizist, der uns gestoppt und uns die Leviten gelesen hat. Und damit war Ihre kriminelle Karriere bereits vorbei … Genau! Ich habe realisiert, dass man eben doch schnell erwischt wird. MM
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