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Klug wie eine Erbse
Monica Gagliano
forscht im Bereich Evolutionäre Ökologie an der Southern Cross University in Australien. Die gebürtige Italienerin war ursprünglich Meeresbiologin, sattelte jedoch 2008 auf die Erforschung von Pflanzen um, weil sie für ihre Forschung Fischen nicht mehr schaden wollte. Sie lebt seit 20 Jahren in Australien und besitzt die italienische und die australische Staatsbürgerschaft. Eigentlich hätte Gagliano im Januar an der 14. Schweizer Biennale zu Wissenschaft, Technik und Ästhetik in Luzern auftreten sollen, die wegen Corona auf den 22.Oktober verschoben wurde. Ob sie dort dabei sein kann, ist noch offen.
monicagagliano.com, neugalu.ch
nach dem Windstoss eine Lichtquelle aus derselben Richtung erschien, fing die Pflanze an, sich darauf einzustellen. Das ging sogar so weit, dass sie sich in Erwartung von Licht Richtung Wind ausrichtete, obwohl das Licht beim vorherigen Mal aus der entgegengesetzten Richtung gekommen war. Und unter normalen Umständen richtet sie sich dorthin aus, wo das Licht das letzte Mal war. Dass sie stattdessen der Windrichtung folgte, ist eine klare, auf Erfahrung basierte Verhaltensänderung. Wie der Glockenklang beim Hund. Haben Sie ähnliche Effekte auch bei anderen Pflanzen beobachtet? Ja, zum Beispiel bei den extrem empfindlichen Mimosen. Wenn man sie berührt, rollen sie ihre Blätter zusammen und machen sich klein und hässlich, mutmasslich um sich vor Fressfeinden zu schützen. Ich habe nun eine Anlage eingerichtet, bei der die Pflanzen aus 15 Zentimetern Höhe kontrolliert zu Boden fallen – eine ziemlich schockierende Erfahrung für so ein empfindliches Gewächs. Was passierte? Zu Beginn haben sie ihre Blätter sofort eingerollt. Damit jedoch reduzieren sie ihre Fähigkeit zur lebenswichtigen Fotosynthese. Machen sie das zu oft, schaden sie sich. Sie mussten also abschätzen, was gefährlicher ist: Fallen oder der Nahrungsverzicht. Und mit der Zeit liessen sie die Blätter trotz des Fallens offen, weil die Pflanzen realisierten, dass nichts weiter Schlimmes passierte. Erstaunlicherweise taten sie dasselbe einen Monat später noch immer, nicht einmal beim ersten Fallen rollten sie sich zusammen. Sie haben also nicht nur etwas gelernt, sondern sich später auch daran erinnert.
Menschen und Tiere haben ein Gehirn – was nutzen Pflanzen, um zu lernen? Es gibt bei Pflanzen tatsächlich nichts Vergleichbares. Aber dass Gehirne und Nervensysteme nötig sind zum Lernen, ist eher eine Annahme als eine wissenschaftliche Tatsache. Bei uns Menschen funktioniert es halt so. Aber schon bei einigen Tieren ist es anders – und bei Pflanzen offensichtlich ebenso. Es muss also auch andere Wege zum Ziel geben. Was käme denn da infrage? Schaut man sich an, was unser Gehirn und unser Nervensystem tun, geht es letztlich darum, elektrochemische Informationen auszutauschen und weiterzuleiten. Wie alle Lebewesen tun das auch Pflanzen, wir verstehen einfach noch nicht ganz, wie genau. Klar ist, dass sie dabei als dezentrale Systeme funktionieren: Wurzeln, Blätter und Blüten sind unabhängig am Werk, aber miteinander verbunden und brauchen sich. Mein aktuelles Forschungsprojekt beschäftigt sich mit Intelligenz ohne Gehirn anhand von Schwämmen; das sind Tiere, die oft für Pflanzen gehalten werden. Übrigens lernen auch Menschen nicht nur mit dem Gehirn, sondern mit dem ganzen Körper. So erklärt sich auch, dass jemand einen amputierten Arm weiterhin spürt, obwohl er nicht mehr da ist. Diese Körpererinnerung stammt nicht ausschliesslich vom Gehirn.
Sie sagen, Pflanzen können kommunizieren, sich erinnern, sich verteidigen, einander gar helfen. Heisst das, Pflanzen sind näher an der Tierwelt, als wir das bisher dachten? Ich denke eher, es gibt unterschiedliche Systeme – und dasjenige der Tierwelt, zu der auch wir gehören, ist nicht einfach der Goldstandard, an dem sich alles andere messen lassen muss. Evolutionsbiologisch betrachtet, überleben nur Spezies, die in irgendeiner Form in der Lage sind zu lernen. Wer seine Umgebung nicht wahrnehmen und interpretieren kann, nicht darauf reagiert, der stirbt. Pflanzen sind ein Beispiel, wie erstaunlich und wunderbar Leben ist – es nutzt verschiedene Verfahren, um dasselbe zu erreichen.
Menschen haben ein Bewusstsein, Tieren wird das heute zumindest teilweise auch zugesprochen, Pflanzen hingegen nicht. Wie sehen Sie das?
Das ist eine knifflige Frage. Was, wenn Bewusstsein nicht so sehr eine Eigenschaft ist, die man besitzt, sondern ein Prozess? Und aus diesem Prozess entstehen unterschiedliche Dinge – beim Menschen etwa das Gehirn, bei anderen Lebewesen etwas anderes? Vielleicht zeichnet sich jede Form von Leben durch Bewusstsein aus, das sich jedoch in unterschiedlicher Weise manifestiert. Wir Menschen neigen dazu, uns als höchste Form des Bewusstseins anzusehen, aber möglicherweise sind wir nur eine Variante von vielen.
Sie werden in der Wissenschaftswelt auch heftig kritisiert. Man akzeptiert zwar Ihre Beobachtungen, nicht aber Ihre Schlussfolgerungen. Was antworten Sie darauf? Meist gar nichts. Die Kritik ist oft nicht sonderlich fundiert – es sind meist eher Meinungen, die auf traditionelleren Vorstellungen von Pflanzenbiologie beruhen. Wissenschaft aber basiert auf Daten. Ich habe solche Daten, und solange sie nicht durch andere widerlegt sind, bleibe ich bei meiner Position. Ich bin etwas enttäuscht, wie unwissenschaftlich die Kritik und die Debatte sind.
Aber an der University of California hat man versucht, Ihr Experiment mit den Erbsen zu wiederholen und erhielt nicht dieselben Resultate. Richtig, aber das war ein mit Mängeln behafteter Versuch, der nicht das Gleiche getestet hat wie ich. Es hatte zudem den Anschein, als wäre das Experiment geradezu mit dem Ziel durchgeführt worden, mich zu widerlegen. Idealerweise geht man neutral an so etwas heran und schaut, was dabei herauskommt. Ich warte noch auf einen seriösen Anlauf, meine Ergebnisse zu überprüfen – und bin durchaus offen, widerlegt zu werden. Aber bisher ist das nicht passiert. Ein Argument Ihrer Kritiker ist, dass Ihre Schlussfolgerun
gen über Ihre Daten hinausgehen. Dass, was Sie beobachten, letztlich normale Anpassungen an die Umgebung sind, die im Rahmen von Evolution und natürlicher Selektion stattfinden. Warum denken Sie, dass es mehr ist als das? Anpassungen im Rahmen von natürlicher Selektion brauchen Zeit und passieren über mindestens zwei Generationen und nicht innert Tagen bei einzelnen Individuen. Auf der anderen Seite ist Lernen natürlich Teil des evolutionären Anpassungsprozesses. Ich sehe das also nicht eigentlich als Kritik. Vielmehr scheint mir, dass ich als jüngere Forscherin mit meinen Erkenntnissen den Status quo der älteren Forschergeneration störe. Als Neuling bin ich da mit einem Verteidigungsmechanismus konfrontiert, der recht typisch ist für die akademische Welt.
Gibt es denn andere Forscherinnen und Forscher, die in einem ähnlichen Bereich aktiv sind wie Sie? Die gibt es, aber sie sind auch eher jünger und haben deshalb weniger Gewicht als die alte Garde. Und es gehört zur Wissenschaft, dass neue Erkenntnisse zunächst kritisch beobachtet und angezweifelt werden. Doch wenn mehr Menschen beginnen, an einem Thema zu forschen, und sich die Erkenntnisse als korrekt erweisen, verbreiten sie sich dann auch rasch. Aber das braucht eben Zeit. Hinzu kommt noch etwas anderes.
Nämlich? Es ist ein typischer Aspekt von Forschung zu vermeiden, zu früh zu viel über die eigenen Projekte zu sprechen. Alle sorgen sich immer, jemand könnte die Idee klauen und schneller zum Ziel kommen.
Während die etablierte Wissenschaft skeptisch bleibt, stossen Sie in esoterischen Kreisen auf grossen Anklang. Macht dieser Zuspruch es schwieriger, als Wissenschaftlerin respektiert zu werden? Das hat schon was. Es ist ein schmaler Grat, und ich muss aufpassen, dass meine Glaubwürdigkeit als Forscherin dadurch nicht untergraben wird. Auf der anderen Seite bin ich mit einigen Vorstellungen aus dieser Szene durchaus einverstanden.
Zum Beispiel? Hinter Pflanzen steckt mehr, als es auf den ersten Blick scheint – und wir sollten ihnen Sorge tragen. Denn unser Wohlergehen hängt vom Wohlergehen unserer Umwelt ab, die zu einem grossen Teil aus Pflanzen besteht. Das ist eine wissenschaftliche Tatsache. Gleichzeitig gefällt mir auch, die Grenzen hier ein wenig zu verschieben. Und ich denke, dass es Aspekte gibt, wo man voneinander lernen kann. Wissenschaft ist nicht die einzige Stimme, die etwas zu sagen hat – und manchmal sind andere Stimmen weiser. Dennoch stehe ich mit meiner Arbeit fest auf wissenschaftlichem Boden.
Wenn Ihre Erkenntnisse korrekt sind, hätte das Folgen für den Umgang mit der Pflanzenwelt, nicht? Dürfen wir Pflanzen überhaupt noch essen? Es stellen sich da tatsächlich zusätzliche ethischmoralische Fragen. Ich ernähre mich schon seit Jahren vegan. Aber nicht, weil ich grundsätzlich Vorbehalte habe, tierische Produkte zu konsumieren, sondern weil diese Produkte in der heutigen Zeit in einer Art auf meinem Teller landen, die ich nicht gutheissen kann. Kämen diese Produkte so zu mir, dass ich den Eindruck hätte, das Leben dieser Tiere sei geehrt und respektiert worden, wäre die Lage anders. Und es gäbe für mich keinen Unterschied, ob ein Stück Fleisch oder eine Tomate auf meinem Teller landet. Aber wenn etwas sein Leben gibt, um mich als Leben zu nähren, muss das auf respektvolle Weise passieren. Wie ehren Sie die Tomate, die auf Ihrem Teller landet? Ich bin immer dankbar. Und ich baue vieles im eigenen Garten an, ich säe, wässere, kümmere mich, beobachte genau alle Fortschritte, entwickle sozusagen eine Beziehung. Bis zum Zeitpunkt, an dem ich die Tomate ernte und sie auf meinem Teller landet, haben wir viel miteinander geteilt, und ich habe mich intensiv um sie gekümmert. Genau das fehlt in unserer Gesellschaft: Ehrfurcht und Güte gegenüber anderen Formen des Lebens. Wir haben uns so weit von diesen distanziert, dass es uns nicht kümmert, was wie auf unseren Tellern landet. Wäre es anders, würden wir nur essen, was uns guttut, und würden nichts verschwenden.
Das heisst, Sie bauen alles selbst an, was Sie essen? Vieles. Und den Rest kaufe ich auf dem Markt, direkt von Bauern, die ich kenne und denen ich vertraue.
Haben Sie vor dem Hintergrund Ihrer Forschung Tipps für Menschen mit Garten– oder Balkonpflanzen? Viele haben während der Coronazeit ihre Liebe zu Pflanzen entdeckt und realisiert, wie gut sie tun und wie wichtig ihre Präsenz in unserem Leben ist. Und wie alle Lebewesen brauchen auch Pflanzen Liebe, damit sie gut gedeihen. Geben Sie Ihnen also eine Extraportion Zuneigung, wann immer Sie können.
Manche Leute sprechen ja auch mit ihren Pflanzen … Pflanzen bekommen die Geräusche in ihrer Umgebung durchaus mit und reagieren auch auf sie. Also nur zu! MM