06-07.2012

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74 • Juni 2012 www.leibnitzaktuell.at

epilog

Der Stadtstreicher Reif für/durch die Anstalt? Tatort Schule. Ein laut grölender 18-Jähriger hindert eine Elfjährige am Betreten des Gymnasiums, weil sie sich weigert, das ihr von dem offensichtlich sturzbesoffenen jungen Mann angebotene Bier zu trinken. Als sie kopfschüttelnd die volle Dose weglegt, stellt sich ihr der Randalierer unter dem anfeuernden Gejohle von etwa einem Dutzend seiner Kumpanen in den Weg, reißt den Verschluss auf und verpasst der verdutzten Schülerin eine Bierdusche, dass sie am ganzen Körper nass ist. Eine Szene an irgendeiner amerikanischen „GettoSchule“? Irrtum. Urheber dieses unrühmlichen Schauspiels waren – nicht zum ersten Mal – frischgebackene Maturanten vor einer sogenannten „höheren“ Schule in Leibnitz. Selbst nachdem das Mädchen die Flucht antritt, versucht der „Herr Maturant“ noch, mehr hinterhertorkelnd als -laufend, den Rest des Getränks über sie zu schütten. Als er merkt, dass er die Kleine nicht mehr erreicht, wirft er ihr das halbvolle Blech nach, glücklicherweise ohne sie zu treffen. Damit richtet sich die Aufmerksamkeit der mit Wasser-, Bierflaschen und sogar einem Gartenschlauch bewaffneten Leibnitzer „GymnasialHooligans“ wieder auf die anderen Schüler, die es ebenfalls nicht schaf-

fen, trockenen Fußes, aber immerhin unverletzt, in die Umkleiden zu gelangen. Lediglich das Lehrpersonal bleibt von solchen Weihen verschont, scheint aber das Ganze eher amüsiert zur Kenntnis zu nehmen. Weil es „nun einmal an dieser Schule so der Brauch ist“, wenn die Achtklässler nach einem zugegebenermaßen stressigen Jahr unmittelbar nach bestandener „Reife“-Prüfung halt „etwas Dampf ablassen wollen“, wie es ein Pädagoge wohlwollend formuliert. Oder

den Anstaltsleiter telefonisch auf diese Vorkommnisse anspreche, signalisiert mir dieser zwar durchaus Verständnis für meinen Ärger, er sei aber außerstande, irgendetwas dagegen zu unternehmen. Er habe mehrmals versucht, die angehenden Maturanten (bezeichnenderweise ist „maturus“ das lateinische Wort für „reif“) darauf anzusprechen, aber mit endenwollendem Erfolg: „Alles, was ich konnte, habe ich im Vorfeld getan, der Rest ist Sache der Polizei.“ Die,

ein anderer, von seinen jüngeren, sichtlich verschreckten Schülern auf die Vorkommnisse vor dem Schulhof angesprochen, der wenig erfolgreich versucht, witzig zu wirken: „Was habt’s gegen a Gratisbier? Ist ja nicht das schlechteste Getränk.“ Bei solchen Reaktionen unserer Pädagogen bekommt das Wort Lehr„Anstalt“ plötzlich eine gänzlich neue Bedeutung. Endgültig aus allen Wolken gefallen bin ich, als mir meine Erstgeborene kundtat, dass sie sich wohlweislich vor Unterrichtsbeginn eine Regenjacke übergezogen hatte, weil sie im Vorjahr bereits schon unangenehme Erfahrungen mit diesem „Schulbrauch“ gemacht hatte. Meine jüngere Tochter, erstmals in den „Genuss“ von Nötigung (spitzfindige Juristen würden hier vielleicht sogar den Tatbestand der Freiheitsberaubung ausmachen können) durch ihre Nicht-mehr-Mitschüler/inn/en gekommen, überlegt sogar ernsthaft, ihre durch besondere schulische Leistung mühevoll erworbenen „FreiTage“ zu opfern, um sich diesem ganzen unwürdigen Spektakel in Zukunft zu entziehen. Das kann es wohl nicht sein. Als ich

scheinbar nicht das erste Mal mit solchen Vorfällen konfrontiert, hat zwar an diesem Tag vor der Bildungsstätte vorsorglich Stellung bezogen, ohne allerdings eingreifen zu können (oder zu wollen?). Solange nur der Alkohol fließt anstatt Blut, scheinen auch unseren Ordnungshütern die Hände gebunden. Na klass‘, die ganze Situation ist also gottgegeben und Eltern wie Schüler müssen sich einfach damit abfinden, dass einmal jährlich ein paar besoffene Randalierer ihre jüngeren Mitmenschen terrorisieren? Wäre doch eine günstige Gelegenheit, dass einmal der Elternverein nützlich in Erscheinung tritt: in Form einer privaten „Bürgerwehr“, die ihren Schützlingen im wahrsten Sinne des Wortes „die Mauer macht“, um sie vor Übergriffen der Spätpubertierenden zu schützen, wenn schon Schule und Exekutive dazu nicht in der Lage sind. Manche der Neo-Maturanten werden mir vielleicht Spießigkeit und Intoleranz vorwerfen. Ich weiß, auch meine Klassenkameraden und ich waren keine Waisenknaben und -mädchen. Auch wir haben nach bestandener Reifeprüfung einmal ordentlich „die Sau rausgelassen“. Ich habe auch

nicht vergessen, dass wir nächtelang abgefeiert haben. Nichts dagegen einzuwenden. Verpasst euch Sektduschen, sauft euch ins Koma, wenn ihr meint, dass das einer ausgelassenen Feier erst den richtigen Kick gibt. Aber bitte macht das in geschlossener Gesellschaft! Wir haben damals bei unserer offiziellen Abschlussfeier sogar das Sakrileg begangen, unseren Lehrern Zeugnisse auszustellen. Skandal! Was uns einen bis heute dauernden (immerhin schon drei Jahrzehnte währenden) Boykott unserer Maturatreffen durch die Mehrzahl unserer pädagogischen Mimöschen eingebracht hat (scheinbar sind wir mit unseren Bewertungen nicht ganz falsch gelegen, wie sonst wäre ein solches Verhalten erklärbar?). Sei’s drum. Aber wir wären nie auf die Idee gekommen, unsere Euphorie und den in den Jahren zuvor aufgestauten Druck gegen Schwächere zu richten und schon gar nicht gegen solche, die sich in keinster Weise dagegen wehren können. Wir hatten immerhin begriffen, dass die Freiheit des einen dort aufhört, wo die des anderen anfängt. Zumindest dieses Maß an geistiger und sozialer Reife haben uns unsere Lehrer fürs Leben mitgegeben. Vielleicht schaffen es unsere heutigen Pädagogen, das künftigen Generationen von Maturant/inn/en in der Anstalt ebenfalls beizubringen, anstatt ihre Verantwortung nach dem Schlussgong außerhalb des Schultores abzugeben oder an die Polizei zu delegieren. Schließlich ist der ungehinderte Zugang zur Bildung (und damit auch Charakterbildung) ein (lebens-)wichtiges Grundrecht, das auch unseren Kleinsten – sogar in Leibnitzer „höheren“ Schulen – nicht verwehrt werden darf. Falls man optimistischer Weise davon ausgeht, dass nach acht Jahren Anstalt hier nicht nur ausschließlich unreife Hohlköpfe „produziert“ werden. Wolfgang Polz


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