Lieselott Beschorner. Kunstbedürfnisanstalt

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Lieselott Beschorner. KunstbedĂźrfnisanstalt


„Es kommt immer aus mir heraus.“ Während der COVID-19-bedingten Beschränkungen fand im April 2020 ein Gespräch zwischen Lieselott Beschorner, Berthold Ecker und Christian Bauer als Telefonkonferenz statt. Lieselott Beschorner wertet die Corona-Krise als überaus bedrohlichen Einschnitt in die Menschheitsgeschichte, den sie als Teil einer neuen Schaffensphase in zahlreichen Zeichnungen reflektiert.

Lieselott Beschorner: Mir fällt die Welt am Kopf. Christian Bauer: Was fällt jetzt am Kopf? Wie kriegen Sie den Wahnsinn mit, der da läuft? LB:

Dieser Wahnsinn ist für mich äußerst belastend. Ich betrachte das schon als Weltuntergang. Jetzt hab ich einmal gehört, was der Nostradamus gesagt hat: „2020 wird über die Menschheit ein furchtbares Unglück kommen, und dann kommt die Hungersnot und die Trockenheit.“ Das ist alles nachvollziehbar. Trocken ist es, im Waldviertel gibt es schon keinen anständigen Wald mehr, weil den wegen der Trockenheit die Käfer gefressen haben. Und wo ich hinschaue, ist Unglück. Das belastet mich sehr. Ich hab auch nicht den Eindruck, dass wir aus dem raussteigen werden.

Berthold Ecker: Wir werden die Ausstellung auf deinen Wunsch hin Kunstbedürfnisanstalt nennen. LB:

Ja, das find ich auch großartig. Nur leider ist es in Hamburg einer Galerie auch eingefallen, und die haben das schon vorher gehabt. Ich war wie vom Schlag gerührt. Weil ich lege Wert darauf, dass das, was ich mache, niemand sonst macht. Niemandem soll das einfallen. Und dann muss ich hören, dass meine Bedürfnis­anstalt jetzt überhaupt sehr modern ist. Überall tauchen die Bedürfnisanstalten auf – im Gespräch oder man liest, hört darüber. Eine Kunstbedürfnisanstalt ist eben eine Bedürfnisanstalt. Der Künstler oder der Galerieleiter, oder wer immer es ist, hat das Bedürfnis, Kunst zu zeigen. Und die Kunstbetrachter haben das Bedürfnis, es anzuschauen. Irgendwo muss das geschehen, und das ist eben die Kunstbedürfnisanstalt – ein Kunstinstitut.

BE:

Ja, da sieht man aber wieder, wie du eigentlich ein feines Sensorium hast und den Entwicklungen voraus bist.

LB:

Mir ist es plötzlich aus dem Schlaf heraus eingefallen. Immer wenn ich aufwache, fallen mir solche Sachen ein. Ich sitze da seit Jahren, isoliert in meinem Häuschen, und höre und sehe nichts von der Welt, kann keine

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Lieselott Beschorner im Garten, o. D. SchwarzweiĂ&#x;foto Wien Museum MUSA 97


Lieselott Beschorner vor dem Lusthaus im Garten, o. D. Schwarzweißfoto Wien Museum MUSA

Zeitung lesen, zumal ich schon fast ganz blind bin. Ja, und was ist, kommt aus mir heraus. Jetzt zeichne ich auch noch dazu seit Tagen. BE:

Wird das ein neuer Zyklus?

LB:

Na ja, sagen wir sechs oder sieben hab ich bereits.

BE:

Aber das schaut so aus wie sonst auch bei dir. Da du ja sehr zyklisch arbeitest und eigentlich so lange weitermachst, wie etwas herauskommt. Schätzt du das so ein?

LB:

Ich arbeite immer aus den jeweiligen Lebensumständen heraus, die verschiedene Richtungen hervorgebracht haben. Die hab ich nicht vorher zusammengedacht oder -gereimt; das ist passiert, weil meine Lebensumstände es hervorgerufen haben.

CB: Frau Beschorner, denken wir einmal zurück. Sie sind 1927 geboren, haben eine Wirtschaftskrise erlebt, einen Krieg, und den Beschluss gefasst, Künstlerin zu werden. LB:

Also diese Dinge hab ich eigentlich nicht bewusst erlebt. Ich hab immer in meiner eigenen Welt gelebt. Ich weiß nichts von Wirtschaftskrise, nur am Rande, weil man halt gehört hat, dass die Leute auf der Straße mit einer Tafel gestanden sind: „Suche Arbeit.“ Und so weiter. Aber ich war

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noch in einem sehr jugendlichen Alter, da hat mich das nicht so ergriffen. Das hab ich also nicht so wahrgenommen, nur am Rande gehört. CB: Aber der Krieg war ja da, und Wien war in Trümmern, als Sie auf die Akademie gegangen sind. LB:

Den Krieg hab ich eigentlich ganz gut überstanden. Weil in Gersthof war weiter nichts los. Da hab ich nicht so außergewöhnliche Schrecknisse erlebt. Und in diesen Gegenden, wo die Bomben waren – das hab ich eigentlich auch nicht so gesehen. Das ist mir bewusst geworden, als ich auf die Akademie gegangen bin und die Straßenbahn nur stückweise gefahren ist. Dann war wieder [ein Teil] zerbombt, da ist man zu Fuß gegangen, danach wieder ein Stückl gefahren. Und dann war man endlich drinnen – mit einer Grießsuppe ohne Fett, einem Stückl Brot für den ganzen Tag. Wir haben die Aufgabe gehabt, Schutt zu räumen, bevor wir arbeiten haben dürfen. Also wir haben da Berge geschaufelt. Die Akademie war ja auch recht zerbombt, und nach dem halben Tag Schutt schaufeln, hat man in den Arbeitssaal kommen können – Akt zeichnen oder Stillleben oder was auch immer.

BE:

Du bist in die [Robin Christian] Andersen-Klasse gegangen?

LB: Ja. BE:

Und wie war das damals?

LB:

Als ich die Aufnahmeprüfung bestanden hatte, musste ich zum Rektor Herbert Boeckl gehen. Ich bin mit meinem Mapperl bei ihm erschienen, er hat das angeschaut und gefragt: „Sind Sie vom Sargfabrikanten Beschorner?“ Hab ich gesagt: „Nein, das leider nicht.“ Daraufhin hat er gesagt: „Das ist ein Kinderballett, gehen Sie wieder heim.“ Also hab ich andere gefragt, die auch die Aufnahmeprüfung gemacht haben, was die denn machen und wo sie hingehen, weil ich war von einer Unwissenheit sonder Zahl und -gleichen. Ich bin vom hintersten Dorf gekommen, hatte keine Ahnung. Na, und dann hab ich gehört, man geht halt zu den verschiedenen Professoren und versucht unterzukommen. Eine Studentin hat mir gesagt: „Der Andersen nimmt alle.“ Also bin ich zum Andersen geschritten, und der hat auch wirklich den größten Inhalt in seinem Lehrsaal gehabt. Man hat kaum Platz gehabt, also keine Staffelei oder ein Stockerl hinstellen können, weil so viele Leute da waren. Er hat alle genommen. Also ich bin dort gelandet, und das war ja sehr erfreulich, weil da waren immerhin auch der [Friedensreich] Hundertwasser, der [Anton] Lehmden, der [Giselbert] Hoke, der [Joannis] Avramidis und so weiter. Und der [Alfred] Karger und der [Alfred] Kornberger. Die waren zwar damals noch nichts, aber sind immerhin dann trotz Andersen-Schule etwas geworden, wie man gesehen hat. Dort hab ich mich eigentlich sehr wohl gefühlt, weil ich habe sehr gern nach Modell gezeichnet. Und das waren auch die ersten Jahre. Die Akademiezeit – vier Jahre, dann nachher noch zwei Jahre Freskoschule. Das hat sich ergeben, weil, wenn man wieder inskribiert hatte, konnte man dann natürlich billiger Straßenbahn fahren, und hie und da 99


ist auch irgendetwas zu essen gekommen aus Amerika. So ein weißes Schmalz, das hat uns recht gut geschmeckt, und ein Weißbrot. Also mit einem Wort: Ich hab weitere zwei Jahre angehängt. Und so hat sich das ergeben, dass ich daneben natürlich sehr viele Anregungen gehabt habe. Man hat nach Schönbrunn gehen müssen – Tiere zeichnen, Landschaften zeichnen. Und dann hat man diverse Reisen gemacht, und das hat eigentlich schon beeinflusst. Weil in Lappland hab ich nachher Bilder gemacht, die die Stimmung dort wunderbar einfangen. Also ich würde die Bilder, die ich dem sogenannten Kulturamt und Unterrichtsministerium verkauft habe, gerne zurückkaufen. Ich hätte sie nachher gern wieder um die 400 Schilling zurückgekauft, die ich damals gekriegt hab, weil die waren wirklich sehr gut. Zu der Zeit hab ich noch sehr nach der Natur gearbeitet, da war die Natur noch maßgeblich. Oder die Eindrücke in Marokko. Oder wo immer. Erst später hab ich angefangen, eigenständigere Sachen zu machen. Das war dann auch aus den Lebensumständen heraus. Als ich berufstätig geworden bin, war die Stimmung dort für mich auch nicht ganz angenehm. Aber ich war froh, dass ich wenigstens was verdient hab, somit meinen Eltern nicht immer im Sack hängen hab müssen. Weil mit 28 war es ja doch höchste Zeit, Geld zu verdienen, und anders war es nicht möglich. Ich habe gar keine Verbindungen gehabt oder Leute, die mich da weitergebracht hätten, dass ich irgendwo mit der Kunst was verdient hätte, weil ich viel zu schüchtern und eigenbrötlerisch war, dass ich mich wohin getraut hätte. Aber ich war trotzdem ja vorher schon in der Secession Mitglied und daher bei vielen Ausstellungen dabei. Daraus hat es sich ergeben, dass ich damals, in meinen jüngeren Jahren, einigermaßen viel ausgestellt hab. Was sich dann aufgelöst hat, leider, weil alle Umschichtungen in einen Verein ergeben auch, dass wieder andere Gruppierungen existieren, die sich ihre Möglichkeiten nehmen. Und nachdem ich nie irgendwo erschienen bin und mich hervorgetan hab, bin ich dann auch wieder nicht dabei gewesen. Das waren so die Jahre bis ins neue Jahrtausend, da hat sich eigentlich nichts mehr getan. Da war ich dann in der Versenkung. CB: Hat es ein Wir-Gefühl gegeben unter den Studierenden an der Akademie, einen Austausch? Und: Haben sich die Frauen nicht irgendwie besonders zusammengeschlossen? LB:

Ja, da hab ich ein paar Freundinnen gehabt unter den Kolleginnen. Eine der bedeutendsten, aus der wirklich was geworden wäre, war die Therese SchützLeinfellner [geb. Zwirschitz], die leider mit 42 gestorben ist. Die anderen sind nicht so hervorgetreten. Es hätte dann auch noch die Magda Hauer gegeben, die in meinen Augen ein viel originelleres und größeres Talent als ihre Cousine gehabt hat. Sie ist mit 22 oder 24 gestorben. Das waren also die Talente, aus diesen Frauen wäre wahrscheinlich was geworden. Sonst ist eigentlich keine drunter, wo ich sagen könnte, da ist nachher so einigermaßen ein Name daraus geworden.

CB: Na ja, die Maria Lassnig hat ja da auch schon ... 100


Im Uhrzeigersinn von links unten: Isolde Jurina, Irene Pribil, Gertraud Taschek und Lieselott Beschorner in ihrer Ausstellung in Anzing, 1956 Schwarzweißfoto Wien Museum MUSA

LB:

Ja, aber nicht in der Andersen-Klasse. Ich spreche jetzt von der AndersenKlasse. Und mit den anderen hab ich gar keine Verbindung gehabt.

CB: Hat es so etwas wie ein Sich-Ärgern gegeben, ein Aufbegehren gegen diese Männerwelt, gegen diese Benachteiligung von Frauen? LB:

Ja, das wird es sicher gegeben haben, aber nicht bei mir. Ich war weitab von diesen ganzen Dingen. Ich hab nur gearbeitet, gearbeitet, gearbeitet und hab mich außer um mich um nichts gekümmert. Wo ich dann schließlich und endlich auch betroffen war: Es gab den Füger-Preis, und man hat mir gesagt, ich hab ihn gemacht, und dann hat ihn mein Ex-Mann gekriegt. Ich hab den Professor gefragt: „Wie ist das möglich, mir ist ja gesagt worden, ich habe ihn gewonnen?“ Da hat er gesagt: „Ihr seid ja ein Ehepaar, haben wir ihn halt dem Mann gegeben.“ Also da hab ich echt einmal einen Nachteil bemerkt.

BE:

Dein Ehemann war Emil Toman?

LB: Ja. BE:

Ist er ein Studienkollege gewesen?

LB:

Ja. Von allem Anfang waren wir schon zusammen in der Andersen-Klasse.

BE:

Wie war denn überhaupt die Situation in der Klasse? War das eine hauptsächlich männliche Klasse? Oder wie kann man sich das vorstellen? Dass es zwanzig Prozent Frauen waren? 101


LB:

Vielleicht waren ein paar Männer mehr, aber da waren wir schon auch viele Frauen. Aber die sind irgendwo gelandet, entweder, sie haben Kunsterziehung gemacht oder sind dann, weil sie aus begüterten Häusern waren, wieder verschwunden. Die sind mir eigentlich nicht so in Erinnerung. Die Männer haben durchgehalten.

CB: Aber der Hundertwasser zum Beispiel, der ist ja immer wieder zum Strohkoffer gegangen. Es gab den Art Club und bei Ihnen gibt’s so ein total konsequentes Nicht-in-irgendeinem-Künstlerverbund-zu-sein ... LB:

Ich war gar nirgends dabei. Ich hab zu diesen Kollegen auch weiters keine Verbindung gehabt. Da hat schon mein Ehemann dafür gesorgt, dass ich ziemlich isoliert gelebt hab. Und dann war ich ja von Haus aus recht schüchtern und ängstlich. Wenn ich wo gegangen bin, haben sie immer gesagt: „Ah, da kommt wieder die fromme Helene.“

CB: Das heißt, Ihr Mann hat Sie eher gebremst als gefördert. LB:

Na ja, der war eigentlich sehr eifersüchtig. In der Kunst hat er mich nicht gebremst. Aber ich habe keine Kontakte zu den anderen Kollegen gehabt.

BE:

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Aber du hast doch erzählt, dass du Secessions-Mitglied geworden bist.


LB:

Ja. Da ist er auch dabei gewesen – und die Therese Schütz-Leinfellner.

BE:

Aber du warst ja eine der allerersten Frauen in der Secession.

LB:

Ja, angeblich die Siebte. Ich weiß das nicht so genau, aber irgendwer hat das herausgefunden.

CB: Wie ist die Aufnahme an die Secession abgelaufen? LB:

Ich war sicherlich eine der Lieblingsschülerinnen vom Andersen, der hat mich sehr geschätzt und an die Secession empfohlen. Dann ist man mit Arbeiten erschienen und ist halt aufgenommen worden.

BE:

Also dann kann man aber doch sagen, dass du einen recht erfolgreichen Start hingelegt hast.

LB:

Eigentlich ja. Die ersten Jahre schon. Da waren viele Ausstellungen, und es gab keine Ausstellung, wo ich in der Presse nicht erwähnt worden wäre. Deswegen war ich dann sehr überrascht, als das aufgehört hat, indem die Secession mich einfach nicht mehr zu den Ausstellungen eingeladen hat.

CB: Hatte das mit einem Vorstandswechsel zu tun? Oder warum war das so? LB:

Ja, warum war das so? Weil die Leute schließen sich zusammen, und ich bin nie wo aufgeschienen. Wo ein paar Leute waren, war ich ja nicht dabei. Ich war immer sehr schüchtern. Das hat sich erst gegeben, als ich das dann notgedrungen bei meiner Lehrtätigkeit ablegen musste. Weil, wenn man vor einer Klasse steht und 36 schauen einen an, dann muss einem irgendwas einfallen, dass man halt noch besteht. Und das hat sich dann total gegeben. Aber dann war die Sache eh schon zu spät. In der Kunst, hab ich gewusst, komm ich auf gar keinen Fall so weit, dass ich davon leben könnte. Weil da hat mir wirklich das Talent gefehlt, mich zu präsentieren, durchzusetzen, wo aufzuscheinen und sich zu zeigen. Das hab ich nie gemacht, und als das mit der Secession aufgehört hat, haben sich natürlich auch diese Ausstellungen sozusagen verdünnt.

BE:

Kannst du uns kurz, damit wir uns da orientieren können, sagen: Wann hast du in dieser Schule – und welche Schule war das – angefangen?

LB:

Das geschah wieder mal durch Vermittlung einer Kollegin, die auch beim Andersen war, und die war liiert mit dem Oberdirektor von der Berufsschule. Der hat einige von ihren Freundinnen untergebracht. Und dann hat man sich gedacht: Na gut, jetzt hab ich da mal sechs Stunden, ein bissel ein Geld ist es auch. Weil wir haben ja vorher im Musikverein und überall Putz geschliffen. Die Vergolder haben die Vergoldung gemacht, und wir sind am Gerüst herumgeklettert und haben den Putz geschliffen, mit was weiß ich – ich glaub mit Glaspapier. Danach haben wir das grundieren müssen, und der Vergolder war dann der große Künstler. Da war die Schultätigkeit ja sogar noch großartig, weil das war wenigstens eine saubere Arbeit, und im weitesten Sinn hat man halt doch mit Zeichnen oder irgendwas in der Richtung zu tun gehabt. 103


Lieselott Beschorner (Dritte von links) mit Studienkolleginnen (u.a. Margret Körber-Neuhauser) beim Restaurieren der Wiener Oper, 1955 Schwarzweißfoto Wien Museum MUSA

BE:

Und wann war das?

LB:

Von 1955 bis 1986, also über 30 Jahre. Ich habe es ­durchgestanden bis zur Pensionierung.

CB: Hat das für Sie auch künstlerisch was gebracht? LB:

Das hat meine vielen Richtungen gebracht, etwa meine Grotesken, die ich dann in Groteskerien und Emotionalien umbenannt habe. Das ist typisch entstanden durch die Umstände in der Schule mit Mobbing und mit allem Möglichen und Unmöglichen. So hab ich diese grotesken Sachen gemacht, um mich da irgendwie abzureagieren. Und das war dann eben diese Richtung für viele Jahre. Also daran war eigentlich meine Schultätigkeit schuld, und heute bin ich dankbar dafür, sonst hätte ich das wahrscheinlich nicht gemacht.

CB: Das heißt, die Grotesken sind auch in der Beobachtung von Abgründen der menschlichen Seele entstanden. LB:

So ist es. Dieses Gerangel, was dort war. Und wer halt gerechter, etwas höriger war, hat schon wieder einen besseren Stundenplan gehabt. Das sieht man natürlich alles, und das hat sich dann ausgewirkt. Vorher waren ruhigere Zeiten, oder ich weiß jetzt nicht der Reihe nach. Meine Schichtenbilder, das waren wieder

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ganz ruhige Zeiten in meinem Leben. Es ist in mir, glaube ich, sehr viel enthalten, was heraus muss, und einmal drängt es mich, irgendwie kreatürliche Sachen zu machen, und dann drängt es mich wieder, abstrakte Sachen zu machen. BE: Die Schichtenbilder, die sind ja eigentlich vor den Groteskerien entstanden. LB:

Am Anfang der Schulzeit ist es ja noch nicht so arg gewesen. Diese Schichtenbilder hab ich auch viel ausgestellt, mit denen bin ich damals eigentlich ein bissel bekannt geworden. Die sind irgendwie aufgefallen. Da hat es noch keine Galerie gegeben, sondern die Staatsdruckerei, und da hat mich der Kornberger hingebracht, weil mit dem war ich auch befreundet. Das war das einzige Mal, dass ein Kollege etwas für mich getan hat. Und das war ziemlich gut, eine sehr schöne Ausstellung, in drei Räumen, glaub ich. Da haben sie gleich den Bürgermeister, wer immer der damals war, geholt, dass er sich das anschaut. Also damals hab ich einigermaßen eine gute Zeit gehabt. Und darauf hat sich eben ergeben: Ich bin nicht gegangen und hab geschaut, wo ich weiter ausstellen kann, sondern aus den Ausstellungen haben sich wieder andere ergeben. Und dann war einmal diese Periode mit den Schichtenbildern zu Ende.

BE:

Aber du hast doch die Schichtenbilder auch in der Secession ausgestellt.

LB:

Ja! Auch.

BE:

Da war eine eigene Ausstellung.

LB:

In der Secession hab ich ja öfter, ein paar Mal eine Einzelausstellung gehabt.

BE:

Und da ist mir aufgefallen, diese Schichtenbilder haben eine gewisse Ähnlichkeit zu den Decollagen. Da hat es ja eine eigene Richtung von Künstlern gegeben, die von Plakatwänden Schichten abgerissen haben und dadurch bestimmte, effektische Wirkungen erreicht haben. Das ist fast zeitgleich.

LB:

Da hab ich nicht einmal gewusst, dass es das gibt.

BE:

Aha, interessant, weil es wirklich parallel läuft.

LB:

Bei allen Dingen, die ich gemacht habe, habe ich keine Vorbilder gehabt. Es kommt immer aus mir heraus, und nachher hab ich zu meinem Entsetzen feststellen müssen, dass andere das auch gemacht haben. Als ich mein Lusthaus dekoriert hab, mit dem alten Geschirr, hab ich gedacht, ich habe das erfunden. Schmarrn! Da hat man mir dann irgendeinen Katalog gezeigt; in Amerika hat das ein anderer auch schon gemacht gehabt. Ich war aber immer der Meinung, ich hab es erfunden. Das ist mein Pech. Ich weiß nicht, was die anderen machen, orientiere mich nicht danach, erfinde immer etwas, und dann haben es andere auch gemacht. Dann habe ich begonnen zu collagieren, in Zeichnungen, also die grotesken Sachen, Augen, Münder aus Zeitschriften ausgeschnitten und hineincollagiert. Und war wieder der Meinung, da hab ich was erfunden. Schmarrn! Wieder bin ich draufgekommen, dass das irgendwo auf der Welt ein anderer auch 105


gemacht hat. Und so ist das in bunter Folge gegangen. Dann hab ich Zeichnungen gemacht, wo die Köpfe ineinander übergehen und mit einem Mund für zwei Köpfe und so weiter, die sind ineinander verschmolzen. Ich denk wieder: Ah, da hast aber was erfunden. Zeigt mir nicht da jemand am Handy: Ein Lateinamerikaner, dort ein berühmter Künstler, macht aber haargenau das, nur groß und in Öl oder Acryl, während ich das gezeichnet hab oder mit Filzstiften gemacht hab. Da sieht man, das ist vernetzt wie beim Schwammerl das Myzel, da kommt eins zutage und woanders auch, und das zieht sich über den Erdball. Und jetzt gehen wir ein. BE:

Aber Lotte, irgendwie ist das für mich eher ein Indiz, dass du auf eine sehr tiefe, menschliche Schicht zugreifen kannst, aus der wir alle eigentlich kommen. Und deswegen gibt es diese Übereinstimmungen, zum Beispiel diese Verschmelzung von zwei Figuren – das gibt es bis in die Antike zurück.

LB:

Ich weiß das gar nicht, weil ich bin ungebildet bis zum Geht-nicht-mehr.

BE:

Das glaub ich dir nicht ganz.

LB:

Oja! Es sei denn, ich sehe das, und dann sag ich: Ah ja, natürlich, das hab ich gekannt. Aber so jetzt, plötzlich, weiß ich nicht, dass ich das in der Antike gesehen hätte. Wahrscheinlich hab ich es gesehen, aber ich weiß es jetzt nicht.

CB: Sie haben von dem Gartenhaus erzählt, und da komm ich jetzt zu Ihrem Haus in Gersthof, das Sie seit Ihrem 15. Lebensjahr bewohnen. Wann ist das so in einer künstlerischen Art von einem Eck bis zum anderen ausgestaltet worden? LB:

Na, das ist so. Meine Mutter hat dieses Haus von einer alten Tante geerbt. Als ich das gesehen hab, hab ich ja noch überhaupt nichts über gehabt für so alte Türen und so weiter. Ich hätte am liebsten alles niedergerissen und glatt gemacht und das krachmodern gehabt. Ich hab einen Antiquitätenhändler bestellt. Also was da Sachen waren! Die hab ich alle auf die Straße gebracht, zum Teil auch auf die Straße gestellt, und die Leute haben das alles mitgenommen. Dann bin ich draufgekommen: Dieses Haus kann man nicht umbauen, also auf einen modernen Bau hin, sondern ich muss schauen, dass ich aus dem etwas gestalte, was vorhanden ist. Das ist mir leider erst spät eingefallen, sonst hätte ich nicht so viel weggegeben – sehr originelle, altertümliche Dinge, die ich sicher wieder umgestaltet hätte. Und die Leute haben sich gefreut, es war recht lustig da. Ich hab immer etwas vor die Tür gestellt, und wenn ich mit dem nächsten Stück gekommen bin, war es schon wieder weg. Na ja, und so hat sich das dann allmählich gestaltet. Zuerst war der Garten ganz anders. Ich hab immer wieder begonnen, etwas zu ändern. Ich wollte einen Wald, also hab ich angefangen, aus der Natur im Rucksack Bäume mitzunehmen und hab immer „mein kleiner Wald“ gesagt – da waren sie alle erst 50 Zentimeter hoch, jetzt sind das Riesenbäume.

Na ja, und dann war das Lusthaus da. Es gab eine Frau, die in einem Nachbarhaus gewohnt hat und ausziehen hat müssen, weil die Hausbesitzerin das Haus verkaufen wollte. Die hat immer, wenn ich mit meiner Mutter zum Wochenende weggefahren

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Lusthaus im Garten, 2011 Farbfoto Wien Museum MUSA

bin, übers Gartentürl alles hineingeschmissen – da sind Sessel gekommen und ich weiß nicht was alles. Meine Mutter hat immer gesagt: „Um Gottes willen, machen Sie das nicht.“ Die ist dann gesessen und hat sortiert, und ich hab mit dem Auto das ganze Klumpert wieder wegführen müssen. Und das ist so gegangen, bis sie das Haus geräumt hat. Dann kam sie einmal und sagt, ihre alte Mutter ist gestorben, ich soll doch abholen, was dort in der Wohnung ist und auf einen Müllplatz bringen. Na, ich fahr dort hin und finde lauter altes Geschirr, diese altertümlichen Sachen. Ich hab mir gedacht, das ist aber interessant, hab im Garten sofort zwei Schrageln aufgestellt, eine Platte draufgegeben und alles aufgelegt. Und plötzlich denk ich mir: Jetzt brauch ich Hammer, Nagel und Leiter. Und schon hab ich das ganze Lusthaus mit dem alten Geschirr dekoriert. Als meine Mutter das gesehen hat, hat sie der Schlag getroffen. Sie hat gesagt: „Schau, dass du mit dem ganzen Zeug sofort wieder verschwindest.“ Aber ich war ganz versessen drauf. Und da hab ich immer wieder Dinge dazugegeben, da gab es ganz originelle Sachen: alte Fotos auf Blech, Ahnen von uns, die sind halt allmählich verrostet. Ich hab mir gedacht: Na ja, das ist der Zug der Zeit, lassen wir halt am Lusthaus die Sachen so naturgemäß verfallen. Und so ist es. Ich bin ein alter Wandervogel gewesen, jetzt bin ich eine Ruine, und hab jedes Mal von einer Wanderung 107


etwas mitgebracht: aus einem Bach eine alte Kanne mit Rostflecken oder sonstige Dinge. Die hab ich dann alle immer aufs Lusthaus gegeben. Und immer ist irgendetwas davon wieder verschwunden. Nachdem ich meine Mutter sehr bedrängt hab und gefragt hab, wieso immer etwas vom Lusthaus verschwindet, was mir heilig war, was ich den ganzen Tag im Rucksack getragen hab, da hat sie mir gestanden, dass sie jede Woche etwas in den Colonia-Mistkübel wirft, damit es weniger wird. Da hab ich einen furchtbaren Krach gemacht. Seither war Ruhe und ich habe weitergestaltet. So ist einmal das Lusthaus entstanden. Und dann ergibt sich, dass in Amerika das einer auch gemacht hat. Das Lusthaus ist immer sehr bewundert worden; wenn es jemand gesehen hat, hat er es immer sehr originell gefunden, und mir hat es auch gefallen. Heute ist es genauso verfallen wie ich. Altersgemäß ist halt auch nicht mehr alles da, was einmal war. Ja, und dann ergibt sich: Wir haben einen Papagei gehabt, und dann einen weiteren, und der hat auch im Garten gelebt, frei, mit verschiedenen Papageienhäusern. Und da war einmal eine Brunnenfigur, eine sehr kitschige Dame, so ein halber Akt. An dem Brunnen waren auch verschiedene Düsen dran, und es gab sehr schöne Wasserspiele. Nur leider Gottes ist das Wasser weggeflossen; das war ja nicht mit einer Pumpe, dass das immer wieder verwendet wird. Und so ist dieser 108


Installation Wand der Erinnerung, um 1965 Farbfoto Wien Museum MUSA

Lieselott Beschorner mit ihrem Papagei Schako (nach der Aussprache Jacquot), 1959 Schwarzweißfoto Wien Museum MUSA

Brunnen allmählich eingeschlafen. Ich hab mir dann gedacht: Na gut, stellen wir halt ein altes Gestell über das, und dann das Vogelhäusl. Und da hab ich dann das Papageienhaus draufgestellt und unten große Steine hingelegt – wieder eine Gestaltung.

Ich kann eigentlich am besten mit Material arbeiten, das mir geschenkt wird. Nicht aus dem Grund, weil ich es mir nicht kaufen hätte können, sondern die Anregung kommt bei mir aus dem Material. Einmal kam eine Verwandte, die war Kindergarteninspektorin und hat bei Backhausen – jetzt kommen wir auf die Puppen zurück – Wolle für die Kindergärten erbeten, dass die Kinder damit was machen können. Und sie bekam dann so viel Wolle und hat mich gefragt: „Willst du nicht so etwas haben?“ Hab ich gesagt: „Aber ja, lass es nur da, wird schon einmal etwas werden.“ Es sind Jahre vergangen, aber das Material war da, und plötzlich hab ich mir gedacht: Na schaust einmal, was man draus machen kann. Und dann ist das die Serie geworden: die Puppen und die Stickereien. Das ist alles aus der Backhausen-Wolle, die von den Motten nicht gefressen wird, weil es eine Kunstfaser ist. Also das hat sich aus geschenktem Material ergeben. Dann hab ich eine Kollegin gehabt, deren Mann war bei Waldheim-Eberle [Wiener Druck- und Verlagsanstalt] Direktor, und dort gab es ganze Stöße von Resten, die von Kartons und Papier runtergeschnitten wurden. 109


Knopfpuppen, 1970–1975 Draht, Plastikperlen, Holzperlen, Knöpfe Wien Museum MUSA-LB 1345

Da hat sie mir einmal gesagt: „Willst du nicht dieses Papier?“ Hab ich gesagt: „Ja, ja.“ Das ist auch wieder gelegen. Und plötzlich sind dann die Groteskerien entstanden. Da war mir dieser Karton grade das Richtige. Dann hat mir wieder jemand Kalender geschenkt. Die hab ich von der Caritas Socialis am Rennweg bezogen. Sie haben mir die Kalender immer zugestellt, und dann hab ich sehr viele Collagen draus gemacht. Ich glaube, einige davon sind recht schön geworden. Immer brauch ich Anregung durch Material, das mir zufällig zukommt. BE:

Bei den Collagen gibt es ja immer wieder die Augen. Das zieht sich bei dir ziemlich durch, von den Textilarbeiten ...

LB:

Die Augen sind ein Trauma, weil man hat mir mit 22 schon gesagt, ich werde erblinden, und so weit sind wir ja jetzt. Es ist schon fast so weit. Dadurch hab ich immer Augen gemacht. Ob das die Puppen sind oder die Köpfe, immer sind die Augen sehr wichtig.

BE:

Hat das vielleicht auch etwas mit dem Hundertwasser zu tun? Weil bei dem sind ja auch in den frühen Zeiten die Augen wichtig.

LB:

Das hat mit dem Hundertwasser gar nichts gemein.

BE:

Nicht? Du hast einmal erzählt, dass du neben ihm gesessen bist.

LB:

Ja, da hat er scheußlich gezeichnet. Ich hab mir auf meine Akte sehr viel eingebildet, weil ich der Meinung war, dass ich sehr gut zeichnen konnte. Das hat dann der

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Andersen auch gesagt, ich weiß nicht, mit wem er mich da verglichen hat. Und der Hundertwasser ist gesessen und war ja noch nicht der Hundertwasser. Der hat halt da Köpfe gezeichnet und ... nicht aufregend. So, dass ich das mit mehr oder weniger – na, ich will mich nicht ausdrücken – betrachtet habe. Der ist erst was geworden, als er ins Ausland gegangen ist. Und das war mein großer Fehler. Ich hätte vielleicht auch ins Ausland gehen sollen, dann wäre vielleicht aus mir was geworden – nicht künstlerisch, aber ich wäre gesehen worden. Aber ich habe als Kind immer schon das Gefühl gehabt: Wenn ich den Ort wechsle, geh ich verloren. Auch in Österreich. Ich kann nicht den Ort wechseln, an dem ich picke. Weil ich immer glaube, ich gehe verloren, wenn ich woanders bin. Daher bin ich nie allein ins Ausland gegangen, und dort hätte ich vielleicht sehr viel profitieren können. Das haben ja alle, die dann zu etwas gekommen sind, gemacht. Aber mit denen hab ich keinerlei Verbindung gehabt. CB: Ganz kurz zu den Augen. Wenn man Ihre Grotesken anschaut, dann denkt man sich, dass die Augen besonders viel über einen Menschen erzählen. Ist das etwas, das Sie so sehen würden? LB:

Die Augen sind das Wichtigste überhaupt in einem Gesicht. Und in meiner jetzigen Situation ist das Schrecklichste, dass ich nicht mehr die Augen von den Menschen sehe. Daher ist es mir sehr unangenehm, an Fremde zu geraten, mit denen man ein Gespräch führen soll, und ihre Augen nicht sehen kann. Die Augen sind das Allerwichtigste, das ist der ganze Mensch, der Ausdruck, alles.

Lieselott Beschorner in ihrer Ausstellung, 1980 Schwarzweißfoto Wien Museum MUSA 111


Lieselott Beschorner mit Puppas, 1980 Schwarzweißfoto Wien Museum MUSA-LB 216/0

BE:

Spiegelt das dann sozusagen deine eigene Sehproblematik auch wider?

LB:

Ja, immer! Die Augenproblematik hat sich ja schon ergeben, als ich ein Kleinkind war und Masern hatte. Da muss man in einem abgedunkelten Raum liegen. Mein Vater hat das in irgendeiner Weise nicht verstanden und immer wieder die Rollos hinaufgegeben. Ich habe dann schon in der Volkschule Brillen gebraucht, hab in der ersten Bank sitzen müssen und trotzdem nicht genau gesehen. Also das ist durch die Masern gekommen, weil in der ganzen Familie gab es solche Augenprobleme nicht, auch bei den Vorfahren nicht. Und mich hat es eben über die Masern getroffen. Ja, und die ganze Zeit waren die Augen meine Angst. Sie haben Gott sei Dank bis jetzt so weit gehalten, dass ich immer noch meine Viren zeichne. Aber nur mehr schwarzweiß, und da muss ich es ja nicht so genau sehen.

BE:

Können wir noch einmal zu den Puppen zurückkommen? Du hast erzählt, dass du das von der Wolle her angegangen bist. Du hast ja auch Bilder gestickt, so um 1970 herum, schon in den späten 1960er-Jahren, und dann hast du eigentlich mit den Puppen angefangen, oder? Das war Anfang der 1970er-Jahre. Stimmt das ungefähr?

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LB:

Ich kann überhaupt nichts mit einem Datum anfangen, weil ich mir das nicht merke. Das ist alles am Friedhof in der Kiste drinnen, aufgelistet, wann ich, und wo, was gemacht hab. Ich selber besitze nichts mehr und ich weiß es nicht.

BE: LB:

Aber du kannst dich vielleicht noch daran erinnern, wie du das entwickelt hast. Ja, ich hab angefangen, zuerst einmal spielerisch kleine Pupperl zu machen. Ich hab im Leben mehr verschenkt, als ich gemacht hab. Da hab ich immer kleine Pupperl aus der Wolle gemacht und sie dann in der Bekanntschaft hergeschenkt. Aus diesen kleinen Puppen sind dann die großen geworden. Zuerst waren das nur so spielerische Pupperl, die man wo aufhängt – sehr originell, aber klein. Richtige Geschenke. Für mich waren es halt Geschenke. Und ich hab ja mit allem gebastelt, mit Leder und so weiter. Ich hab auch ein kunstgewerbliches Talent. Aber dann haben sich halt die Puppen ergeben und das war, solange es halt möglich war, solange noch Wolle und Material und Strümpfe vorhanden waren.

CB: Bei den Puppen hat man ein bisschen den Eindruck, dass das Formen einer Selbstdarstellung oder einer Familie sind, das heißt, dass die Puppen sehr, sehr stark zu Ihnen gehören, oder vielleicht auch Seiten von Ihnen darstellen. LB:

Ja, sicher. Die Puppen – das sind meine Kinder.

BE:

Die sind aber ganz schön schlimm manchmal, oder?

LB:

Was sind sie?

BE:

Ich mein nur, es sind keine lieben Puppen.

LB:

Nein. Mir ist das ja egal, ob schön oder schiach. Wenn mich jemand über Kunst fragt, gibt es auch immer solche Fragestellungen. Es ist so: Für mich ist das Kunst, was einen ganz starken Eindruck auf mich macht. Sowohl negativ als positiv. Wenn sich nichts rührt bei mir, dann ist es keine Kunst für mich.

BE:

Also die Puppen haben für mich so richtig einen Fetischcharakter, wie so unheimliche Gestalten ...

LB:

Ja, das könnte man eigentlich schon so sagen. Obwohl ich nicht so gedacht hab bei der Arbeit.

BE:

Also wie Geister oder Götter ...

LB:

Nur gibt es da ja viel bessere und stärkere Sachen von den Naturvölkern, die mir natürlich wahnsinnig gut gefallen.

BE: LB:

Und die spielen da schon mit hinein, oder? Ich würde sagen, da dürfte eine große Verwandtschaft sein, eine innere, die ich nachher erst bemerkt habe. Ich habe das nicht nachgemacht, sondern diese Verwandtschaft hat sich ergeben. Nur, dass das halt bei mir keinen kultischen Charakter hat, und der kultische Charakter macht ja die Objekte noch viel stärker

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Lieselott Beschorner vor dem Lusthaus im Garten, o. D. Schwarzweißfoto Wien Museum MUSA

im Ausdruck. Das ist ja bei mir nicht der Fall. Weil das sind keine Kultgegenstände, diese Puppen, die sind zum Teil rein grotesk. Und keine Kultgegenstände. BE:

Ja, das nicht. Aber sie sind irgendwie schon so mit Geistern aufgeladen. Du hast ja selber einmal erzählt, dass du die Figuren im Haus brauchst, weil sie dich sozusagen auch beschützen.

LB:

Ja, ich brauche die, weil sie beleben mein Interieur. Es hat Leute gegeben – früher waren ja doch mehr Leute, die das angeschaut haben –, die gesagt haben, da könnten sie nicht leben, das ist derartig unheimlich. Weil da sind ja noch die ganzen Puppen hier gesessen, die jetzt alle schon hinten am Friedhof schlummern. Das Haus war voll mit Puppen. Und es gab sehr viele groteske Puppen – und unheimliche auch. Die Leute haben dann gesagt, sie könnten da nicht existieren. Und ich hab gesagt, mir macht das einen Riesenspaß, ich fürchte mich überhaupt nicht. Die haben gesagt, sie würden sich fürchten, in diesem Haus zu übernachten, mit diesen ganzen Geistern da.

BE: LB:

Zeitgleich zu den Puppen sind aber auch die grotesken Köpfe entstanden, oder? Na ja, das ist schon eine Richtung. Ob sie zeitgleich waren, weiß ich jetzt nicht, aber vielleicht hintereinander. Im Grunde mach ich mich selber bei den Köpfen. Einstens hab ich ein sehr volles Gesicht gehabt und, wie soll man sagen, sehr üppige Lippen, und diese Figuren haben das auch. Immer diese Münder mit den großen Lippen und ... ja, vielleicht hab ich mich da auch selber gemacht.

CB: Es geht ja auch in die Richtung, dass Sie häufig so das Abgründige, das von der Gesellschaft als hässlich stigmatisierte, darstellen, und das ist schon interessant. Sie haben erzählt, Sie waren ein schüchternes Mädel an der Akademie. Wann hat sich diese Hinwendung zum Abgründigen ergeben? LB:

Mit meiner Schultätigkeit bin ich eigentlich zu meinen grotesken und abgründigen Dingen gekommen. Vorher waren das schöne Bilder nach Reisen, Eindrücke

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Interieur, 2011 Farbfoto Wien Museum MUSA

von allen möglichen Ländern, wo man noch Bezüge zu diesen Ländern sieht, also das geht nicht so ins Abstrakte hin. Und als ich dann angefangen hab mit diesen Sachen, das war, als ich eben gesehen habe, wie sich das abspielt und was sich da alles tut. Dann ist das Abgründige gekommen. Und ich liebe das Abgründige! Das möchte ich schon sagen. Je abgründiger, desto besser. Ich schau zwar harmlos aus, aber – irgendwo schlummert was Abgründiges. CB: Etwas, was noch irgendwie ein Widerspruch ist. Sie haben erzählt, an der Schule haben Sie mit sozialen Fehlentwicklungen, mit Mobbing zu tun gehabt, also eigentlich mit sehr verabscheuenswerten Verhaltensweisen. Und dann haben Sie das Abartige dargestellt, aber mit einer großen Liebe, mit einer großen Hinwendung auch zu diesen Abgründen. Das ist ein interessantes Phänomen. 115


LB:

Das hat sich durch die Umstände ergeben – mein Frust und meine Abwendung, die ich gegen alles gehabt hab, was mir dort passiert ist. Weil mich haben sie einmal im ganzen Lehrerkollegium an den Pranger gestellt, ohne dass ich das im Detail mitbekommen habe. Das muss man sich vorstellen! Mit mir durfte niemand mehr reden und mich nicht grüßen. Und ich hab keine Ahnung gehabt, hab mich gewundert, wieso die Kollegenschaft so eigentümlich ist. Mir hat die Situation, die ich dort erlebt hab, gesundheitlich sehr geschadet. Aber ich hab mir gesagt: Ich habe niemanden, der mich erhalten wird, ich muss es durchstehen. Weil, um künstlerisch tätig sein zu können und frei zu sein von irgendwie verpflichtet zu sein, einer Richtung zu frönen und mich in irgendeiner Galerie anzuhängen, hab ich eben mein Geld auf eine andere Weise verdienen müssen. Und daher hab ich das durchgestanden. Mein Leben war nicht angenehm, aber es war wichtig für meine Kunst.

CB: Heute würde man das, was Sie erwähnt haben, institutionelles Mobbing nennen. LB:

Ja, das war damals ganz was Tolles. Wenn ich jemandem etwas von einem Femegericht sag, wissen die Leute gar nicht, was das ist. Ich hab das gelegentlich im Bekanntenkreis erzählt, und die wissen das nicht. Ich bin also verfemt worden. Na ja, das sind schon sehr originelle Erlebnisse. Die prägen dann auch, und dann kommen eben solche Dinge hervor, wie ich sie gemacht hab. So hab ich also machen können, was ich wollen hab, hab’s durchgestanden, und so ist es halt jetzt.

CB: Frau Beschorner, haben Sie Vorbilder gehabt? LB:

Ich habe von anderen nichts gewusst. Ich habe immer gelebt wie sozusagen: „Ach, wie gut, dass niemand weiß, dass ich Rumpelstilzchen heiß.“ Und immer so in der Einsicht in mir selber, ich habe mich nicht irgendwo orientiert. Und war dann immer erstaunt, wenn irgendwelche Ähnlichkeiten aufgetaucht sind. Nein, Vorbilder hab ich nicht gehabt. Ich finde mich stark genug, dass ich das nicht brauch.

BE:

Gute Ansage!

CB: Find ich auch. LB:

Ich schätze – bei aller Bescheidenheit, ich weiß, dass es natürlich unglaubliche Künstler gibt –, dass ich irgendwo in der Mittellage dahindümple. Aber auch das ist großartig, weil ich hätte nie gedacht, dass ich überhaupt jemals die Aufnahmeprüfung an der Akademie machen würde. Das war für mich wie das Himmelreich. Ich bin mir vorgekommen wie eine Königin. Ich hab die Aufnahmeprüfung bestanden, und das war ja kolossal. Ich meine, von meiner Herkunft her gab es keine Vorfahren in der Richtung. Und so bin ich mir schon großartig vorgekommen. Was ich an mir vielleicht schätze, oder anerkenne, ist, dass ich originell bin. Oder eigenständig. Und immer Einfälle hab. Alle Leute – also aus der früheren Freundschaft, das hat jetzt nichts mit Kunst zu tun –, wenn die irgendwo ein Schlamassel hatten oder irgendeinen Rat gebraucht haben, ist mir immer was eingefallen. Wenn irgendwas ist, fällt mir immer irgendwie ein, wie man

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Interieur, 2011 Farbfoto Wien Museum MUSA

das vielleicht lösen könnte. Jetzt nimmer, weil jetzt bin ich ein armer Wurm. Aber ich habe so viele Einfälle, dass ich glaube, ich brauche kein Vorbild. BE:

Können wir vielleicht noch über die Reliefbilder reden?

LB:

Ja, also wenn es um das Material geht bei den Reliefbildern, so ist das die Geschichte mit den Strümpfen und dem sogenannten Gatsch, den ich da gehabt habe. Da sind eben diese Reliefs entstanden, wo dann jemand gesagt hat: „Das schaut aus wie die Ursuppe, die Erschaffung der Welt. Es ist noch nichts Greifbares, es ist noch sozusagen der Urzustand.“ So sind die Titel entstanden. Also diese Reliefbilder, das war auch wieder was Urgewaltiges. Jeder Mensch ist ein Schöpfer, und er schafft mehr oder weniger etwas, es kommt darauf an, was er halt macht, aber es ist ein Schöpfungsakt, den man in der Kunst betreibt. Ich finde, es ist auch ein religiöser Akt, weil diese Abkehr zum Beispiel vom Weltlichen, und da zu wühlen in dem, wie das bei diesen Reliefbildern war, das war wirklich, wie wenn man als Schöpfer dasteht und die Welt erschafft. Also das ist schon ein Urgefühl. Das waren einmal diese Bilder. Das hat sich ergeben, und es wundert mich eigentlich selber, wie ich auf das mit den Strümpfen verfallen bin. Na ja, und das auch wieder – der Zufall. Da gibt einem jemand einen Berg Strümpfe, dann hab ich von irgendjemandem Platten gehabt, dann ist das entstanden.

Ich hab mit meiner Mutter in einer wunderbaren Beziehung gelebt. Wir waren verschieden und doch etwas Großartiges. Sie war für mich so wichtig, das kann ich überhaupt nicht schildern. Und als sie gestorben ist, war das für mich ein Weltuntergang. Da bin ich dann in eine religiöse Richtung hineingefallen und hab Meditationsbilder gemalt.

BE:

Du hast sie Streifenbilder genannt.

LB:

Die ich sehr stark finde. Sie sind natürlich irgendwie religiös angehaucht. Das war eine ganz wichtige Periode. Davon hab ich dann welche dieser kleinen, schwarzen, 117


Lieselott Beschorner in ihrer Ausstellung, 1980 Schwarzweißfoto Wien Museum MUSA

modernen Kirche geschenkt [Donaucity-Kirche im 22. Wiener Gemeindebezirk]. Die ist von dem Architekten, der auch das Essl-Museum gemacht hat. BE:

[Heinz] Tesar.

LB:

Ja. Und als die eröffnet wurde, ist ausgelegen, dass sie Blumenspenden, also Töpfe mit Pflanzen, oder Bilder oder irgendwas halt für den Saal brauchen. Jemand, der grade dort war, hat mir gesagt, ich hätte eh so viel, ich könnte was geben. Also hab ich mir das angeschaut und denen einen ganzen Saal ausgestattet. Das war eine wunderschöne Ausstellung, und da waren diese Meditationsbilder auch grade richtig. Nach ein paar Jahren meinten die, sie müssen Geld machen, und haben diesen Saal nicht so, wie er ausgestattet war, bestehen lassen, sondern Künstler eingeladen, auszustellen. Die haben dann Werke verkauft, und da konnten sie natürlich Geld ziehen. Und da hör ich plötzlich einmal, meine Sachen stehen irgendwo in einem Eck dort. Daraufhin ist die Frau Lerch, der ich unendlich viel zu verdanken habe, hingefahren, hat glatt alles abgehängt, ins Auto verladen und weggeführt. [Friederike Lerch ist seit Jahren die wichtigste Begleiterin von Frau Beschorner, kommuniziert mit Interessent/innen und organisiert Termine.]

Ich hab eigentlich alles, was ich gemacht hab, verschenkt – an Private bis Sammlungen von Bekannten, die auch von meinem Werk quer alles durch haben. Ich habe eigentlich gelebt, um alles zu verschenken, kein Geld daraus bezogen und mein bescheidenes Leben geführt. Ich hab auch keine größeren Ansprüche gehabt. Somit ist das Schenken eigentlich eine recht schöne Sache gewesen. Ich finde es nämlich unanständig, wenn ein Mensch, der eine besondere Gabe hat, Geld dafür verlangt. Das hab ich schon in jungen Jahren immer als sehr unanständig empfunden. Auf der anderen Seite hat natürlich auch der Künstler das Recht, dass er von etwas lebt.

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Lieselott Beschorner in ihrer Ausstellung, 1980 Schwarzweißfoto Wien Museum MUSA

In diesen Mediationsbildern, die das Beste aus dieser Serie sind, da ist der Schmerz drinnen über den Tod meiner Mutter. In den anderen ist der nicht drinnen, sondern die sind ästhetisch wunderschön, völlig abstrakt. Ein Meditationsbild muss einen inneren Gehalt haben. Da gibt es, glaub ich, sechs oder sieben davon.

CB: Frau Beschorner, in den letzten Jahren haben Sie ja immer gearbeitet, und jetzt komme ich auf zwei Werkgruppen, die vor nicht langer Zeit entstanden sind. Einmal diese collagierten Schaufensterpuppen und dann diese Abstraktionen, die in unglaublicher Anzahl einfach Strichfolgen auf Papier sind. LB:

Ja, das ist eine lange Periode gewesen.

CB: Erzählen Sie zuerst einmal zu den Schaufensterpuppen. LB:

Da gibt es, glaub ich, zehn Stück. Die nenne ich ja die Voyeure. Ich hätte gerne, dass sie das Geschehen betrachten. Die sind aus meinen Plakaten und Arbeiten entstanden. Aber natürlich ist es jetzt nicht original, sondern halt Drucke.

CB: Und diese Abstraktionen, diese unglaubliche Anzahl von Strichfolgen auf ganz, ganz vielen Bögen und Blöcken? LB:

Jössasmaria! Da gibt es ja Hunderte. Da kann man schon alles tapezieren damit. Und die werden immer mehr. Das ist wieder was anderes. Die kommen aus einem Impuls, aus einer Bewegung heraus. Ich mache mit der Hand eine Bewegung und dann sind sie da.

BE:

Das ist sozusagen auch der Ausdruck des Bedürfnisses, der ganz spontan kommt, oder?

LB:

Das ist auch ein Bedürfnis. Ich hab viele Bedürfnisse. Alle Richtungen, die ich gemacht hab, sind aus einem unglaublich starken Bedürfnis heraus gekommen. 119


Und da hab ich niemanden gebraucht, wo ich schauen muss, sondern das kommt aus mir heraus. Und ich weiß, dass immer wieder etwas gekommen ist, obwohl ich einmal eine Flaute von sieben Jahren gehabt habe. Da ist nichts gekommen. Das heißt: Wiederholungen. Wenn man sich einmal selber wiederholt, dann ist es Zeit, dass man aufhört. Weil dann ist es nur eine Wiederholung und kein Gehalt mehr drinnen. Aber jetzt, bei diesen Sachen, die ich noch mache, obwohl es schon Hunderte sind, hab ich immer noch nicht den Eindruck, dass ich schon fertig damit bin. Na ja, vielleicht kommt noch was. Ich weiß es nicht. Oder es ist jetzt überhaupt das Ende, weil ich denke nur mehr an den Weltuntergang. Ich glaub, wir gehen jetzt alle ein. CB: Frau Beschorner, wenn in 50 Jahren, wenn wir alle nicht mehr sind, eine große, große Ausstellung Ihres Werks stattfindet – wie würden Sie gerne in Erinnerung bleiben? LB:

Durch die Vielfalt. Die Notwendigkeit, so vielfältig arbeiten zu müssen. Weil ich mag alle meine Perioden. Das ist nicht so, dass mir jetzt eine wahnsinnig viel mehr wert ist. In jeder ist das, was ich leisten kann. Eine Spitzenleistung, aber nur für mich. Ich vergleich mich jetzt nicht mit irgendwelchen Größen. Spitzenleistungen, die ich hervorbringen hab können, sind in jeder dieser Perioden vorhanden. Vereinzelt. Und daher sind sie mir alle gleich viel wert, und das bin alles miteinander ich. Und ich würde von mir auch nicht ein Stückl wegschneiden.

BE:

Lotte, hervorragend bist du auf jeden Fall als Künstlerin – und als Mensch.

CB: Ja, total großartig! LB:

Aber ich habe jetzt die Angst, dass es mit diesem Coronavirus gar nicht zur Ausstellung kommen wird.

BE:

Aber ja!

CB: Die Ausstellung wird stattfinden. LB:

Ich hätte es halt so gern noch wenigstens erlebt. Ich kann es nicht erleben, indem ich dort hingehe. Aber es wäre mir gezeigt worden, am Laptop oder sonst wo, und ich hätte es noch mitgekriegt. Na ja, und beide Herren sind jetzt gesättigt von meiner Nachricht?

CB: Ja, wir sind sehr erfreut. Das war irrsinnig gut. LB:

Da kann man sagen: Es hat mich sehr gefreut, mir ist nichts erspart geblieben. Wenn ich rede, dann rede ich allein und sehr viel. Sonst sitz ich eh da, schweigend, allein im Haus, sehe und höre niemanden. Meine Mutter hat immer gesagt: „Dir wächst ja der Mund zu, wenn du die ganze Zeit daheim sitzt.“

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Lieselott Beschorner vor ihrer Installation Wand der Erinnerung, 2020 Farbfoto Wien Museum MUSA

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