Köln kann KI. Wie Wirtschaft und Wissenschaft die digitale Revolution vorantreiben
Dr. Melanie von der Wiesche Leiterin der Standorte West des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt
Kölner Immobilien
Art-Invest-Geschäftsführer Arne Hilbert
Etablierte Institutionen und spannende Neuansiedlungen
Das Startup foodforecast unterstützt Bäckereien im Bestellprozess
KI in der Redaktion und auf dem Bauernhof
Kölner Gastronom*innen setzen neue Maßstäbe
KölnBusiness-Geschäftsführer
Ohne
Drei Beratungsstellen für Unternehmen
Dr. Cédric Reuter, Innovationsmanager bei KölnBusiness
Architektur und Design bei der Koelnmesse
Koelnmesse-Chef Gerald Böse
Dr.
Wie
Jörg
Wie das Institut für KI-Sicherheit die Zukunft unserer Mobilität gestaltet
Neue Hoffnung für das Indie-Games-Studio Critical Rabbit
Zeitreise mit ART-COLOGNE-Leiter Daniel Hug
Der Schreibtisch von Deiters-Inhaber Herbert Geiss
Vincent Moissonnier empfiehlt: Ristorante Alfredo
AKTUELLES
NEUE STARTUPS IM ERSTEN HALBJAHR 2024 IN KÖLN
KÖLNER PLANEN EXPO-PAVILLON
Unter dem Motto „Designing Future Society for Our Lives” treffen sich die Nationen der Welt von April bis Oktober zur Expo 2025 in Osaka. Im Mittelpunkt der Weltausstellung steht die Frage, wie die globalen Nachhaltigkeitsziele der Vereinten Nationen erreicht werden können. Der deutsche Pavillon wird von der Koelnmesse organisiert und betrieben. Die Ausstellungsund Mediengestaltung hat die Kölner Agentur facts and fiction übernommen. Der Pavillon ermöglicht emotionale Reflexionen zum Thema zirkuläre Kreislaufwirtschaft. Von den Materialien bis zur Architektur ist alles darauf abgestimmt – fluffige Fabelwesen, die „Circulars”, nehmen die Besucher*innen an die Hand und dürften damit in Japan für Freude sorgen.
STARTUP-GRÜNDUNGEN IN KÖLN ZIEHEN WIEDER AN
Im ersten Halbjahr 2024 sind in Köln 38 junge Unternehmen an den Start gegangen – und damit rund 20 Prozent mehr als im Vorjahreszeitraum. Bei der Zahl der Startup-Gründungen liegt die Stadt auf Platz eins in Nordrhein-Westfalen. Insgesamt gibt es in Köln derzeit rund 750 Jungunternehmen.
FACHKRÄFTEMANGEL –NEUER GUIDE FÜR FILMUND FERNSEHWIRTSCHAFT
KölnBusiness hat gemeinsam mit Goldmedia einen Leitfaden für die Kölner Film- und Fernsehbranche entwickelt, um dem Fachkräftemangel zu begegnen. Der Leitfaden richtet sich an die gesamte Branche und hat den kompletten Wertschöpfungsprozess im Fokus. Ziel ist es, die Arbeitsbedingungen zu verbessern und die Branche für Nachwuchskräfte, Quereinsteiger*innen und Rückkehrer*innen attraktiver zu machen.
Weitere Infos im KölnBusiness-Newsletter KölnKreativ: koeln.business/newsletter
NEUES CAMPUSGELÄNDE IN KÖLN-RODENKIRCHEN
In Köln-Rodenkirchen ist der neue Klett Campus eröffnet worden. Zwischen der Bahnstraße und der Konrad-AdenauerStraße sind die Cologne Business School (CBS) und die Europäische Fachhochschule (EUFH) eingezogen. Die CBS hat damit die bisherigen Standorte in Brühl und der Kölner Südstadt zusammengelegt. Mit der offiziellen Eröffnung des Campus sind die Lehrangebote der EUFH von Brühl nach Rodenkirchen verlagert worden.
STADT IM WANDEL
NACHHALTIG SMART
Moderne Immobilienprojekte zeichnen sich durch Nachhaltigkeit und den Einsatz smarter Technologien aus. Drei Kölner Vorhaben zeigen, wie das Wohnen und Arbeiten der Zukunft aussehen kann.
KITELOFT KÖLN
KLIMANEUTRAL MIT INNOVATIVEM BÜROKONZEPT
Nachhaltigkeit und Hightech gingen schon bei der Planung des Büroprojekts der Landmarken AG Hand in Hand. So wurde beispielsweise simuliert, wie viel Energie das Gebäude je nach Wetterlage verbraucht, um das kiteLoft von Anfang an besonders energieeffizient zu planen. Durch das Zusammenspiel von Geothermie, Ökostrom und modernsten Mess- und Steuerungskomponenten kann das Gebäude heute klimaneutral betrieben werden. Mit dem kiteLoft kommt auch ein innovatives Bürokonzept nach Köln: „Spirit Offices”. Realisiert wird das Konzept in einem mitdenkenden digitalen Haus, das durch Sportmöglichkeiten die Gesundheit fördert und mit gesunden Materialien unser Klima schützt. So motivieren Kalorienzähler in den Treppenhäusern zur Bewegung. Die große Dachterrasse mit Blick auf den Dom und ein Café im Erdgeschoss fördern die Gemeinschaft. Das kiteLoft ist der finale Baustein des Projekts der Landmarken AG am Butzweilerhof.
Bruttogrundfläche: 6.100 Quadratmeter
Verfügbare Mietflächen: ab 500 Quadratmeter
FRIEDRICH UND KARL
WEGWEISER IM HOLZ-HYBRID-BAU
In Köln-Niehl entwickelt die Bauwens Unternehmensgruppe ein klimagerechtes Quartier: Auf Höhe der Friedrich-Karl-Straße entsteht in prominenter Lage das Projekt Friedrich und Karl, das künftig den neuen Stadteingang im Kölner Norden markieren wird. Durch den Einsatz einer Holz-Hybrid-Bauweise wird CO2 gespeichert – Geothermie und Fotovoltaik auf allen Dächern liefern die notwendige Energie aus regenerativen Quellen. Dank effizienter Wärmepumpen können die Gebäude nahezu autark geheizt und gekühlt werden. Zusätzlich wird die Abwärme der Serverräume genutzt. Über Rigolen, unterirdische Speicher zur Regenwasserversickerung, und begrünte Dächer wird ein Großteil des Niederschlagswassers in den natürlichen Wasserkreislauf zurückgeführt. Auch im Bereich Mobilität verfolgt das Quartier einen nachhaltigen Ansatz: Mehr als 1.000 Fahrradstellplätze ermöglichen eine umweltfreundliche Anreise.
Bruttogrundfläche: 66.300 Quadratmeter
I/D COLOGNE
VOM INDUSTRIESTANDORT ZUM NACHHALTIGEN QUARTIER
Hocheffiziente Lichttechnik, Tausende Quadratmeter Grünfläche, eine eigene Carsharing-Flotte: Einst ein Güterbahnhof, ist das von Art-Invest Real Estate und OSMAB Holding AG entwickelte I/D Cologne im Mülheimer Schanzenviertel ein Meilenstein moderner Quartiersentwicklung. Zum Nachhaltigkeitskonzept gehört neben einer E-Ladeinfrastruktur und Fahrradstellplätzen ein 5.000 Quadratmeter großes Habitat für das Reptil des Jahres 2021: die Zauneidechse. Darüber hinaus verfügt das Parkhaus des Stadtquartiers über eine der größten begrünten Fassaden Deutschlands. Rund 5.000 zum Teil immergrüne Schlingund Kletterpflanzen zieren die rund 2.000 Quadratmeter große Fläche. Der Gebäudebetrieb wird über eine KI-basierte Cloudplattform gesteuert und überwacht. Das spart Energie und schont Ressourcen.
Bruttogrundfläche: 160.000 Quadratmeter
NACHGEFRAGT
„PROPTECHS TREIBEN DEN WANDEL DER BRANCHE VORAN”
Arne Hilbert ist Geschäftsführer des Projektentwicklers Art-Invest Real Estate Management GmbH. Bei der Planung des Quartiers I/D Cologne kommt die Lösung des Kölner Proptechs aedifion zum Einsatz.
Herr Hilbert, junge, technologiegetriebene Unternehmen, sogenannte Proptechs, sind angetreten, die Immobilienwirtschaft zu modernisieren. Können sie die Branche verändern?
Davon bin ich fest überzeugt. Denn am Ende steigern sie die Wertschöpfung. Deshalb haben wir bei Art-Invest Real Estate Management über unser Venture Bitstone Capital bereits drei Fonds aufgelegt, um in entsprechende Startups zu investieren. Es gibt einige junge Technologieunternehmen, die den Wandel der Branche aktiv vorantreiben.
Beim I/D Cologne im Mülheimer Schanzenviertel haben Sie zum Beispiel auf die Lösung des Kölner Proptechs aedifion gesetzt. Was hat das gebracht?
aedifion unterstützt uns an der Schnittstelle zwischen Gebäudeautomation und Facility Management bei der kontinuierlichen Überwachung und Optimierung des Gebäudebetriebs. Bei der Kombination von trägen Systemen wie einer Betonkernaktivierung und dynamischen Lüftungssystemen sorgt aedifion mithilfe von künstlicher Intelligenz für einen optimal abgestimmten Betrieb. Das spart nicht nur Energiekosten in Höhe von rund 31.500 Euro pro Jahr, sondern auch rund 300 Megawattstunden Energie und rund 100 Tonnen CO2
Welche große Proptech-Innovation könnte Ihrer Meinung nach die Immobilienbranche nachhaltig verändern?
Die Hebelwirkung, die Proptechs haben, ist groß. Die Immobilienbranche ist noch immer sehr traditionell geprägt, und es gibt viele sinnvolle Anknüpfungspunkte für innovative Lösungen entlang unserer Wertschöpfungskette. Vor allem durch den steigenden Reifegrad von Anwendungen künstlicher Intelligenz sehen wir viel Potenzial, unsere Prozesse, die unserer Dienstleister und die unserer Projektbeteiligten zu optimieren. Ein gutes Beispiel ist unsere Beteiligung am Startup alcemy, das mithilfe künstlicher Intelligenz bereits bei der Betonherstellung ansetzt, die Produktionsqualität steigert und gleichzeitig den CO2-Fußabdruck des Baustoffs erheblich reduziert. Tragen Proptechs am Ende zu einem werthaltigen, nachhaltigen Immobilienprodukt bei, können sie die Branche wirklich unterstützen.
Proptech aedifion: KI-Plattform
für Energieeffizienz
Das Kölner Proptech aedifion hat eine KI-basierte Cloudplattform entwickelt, mit der sich Daten aus Gebäuden in Echtzeit erfassen und auswerten lassen. Es erkennt so Schwachstellen im Gebäudebetrieb und macht Vorschläge, um Betriebskosten, den Energieverbrauch und den CO2-Ausstoß zu senken. Im Schnitt, so wirbt das Proptech, können mit der in Deutschland führenden Software Einsparungen von durchschnittlich 22 Prozent erzielt werden. In der Vergangenheit wurde die Lösung bereits erfolgreich von Kunden wie dem Projektentwickler ECE oder im Quartier I/D Cologne eingesetzt.
Arne Hilbert
CITY DER ZUKUNFT
ERLEBNISSE UND DRINKS
Trotz Herausforderungen bleibt Köln kulinarisch innovativ und widerstandsfähig – damit setzt die Stadt ganz neue Maßstäbe.
DIE ZAPPIES
SO GEHT COMMUNITY-BUILDING
Maximilian Koeser und Nico Lutz gründeten 2020 mitten in der Coronakrise die Kneipe Zappes Broi in der Roonstraße – und kreierten ein eigenes Biopils. Zusätzlich übernahmen die Gründer im Sommer die Gastronomie im Bürgerhaus Stollwerck. Sie setzen nicht nur erfolgreich auf eigene Produkte, sondern bieten auch Yoga- und Fitnesskurse sowie Skitouren, Fußballturniere, Radevents und Festivals für alle an. Gäste waren gestern, im Zappes geht es um Community-Building: So erobern die Zappies Köln.
HALLMACKENREUTHER
FEINSTE POP-UP-EVENTS
Das Hallmackenreuther ist seit 1990 eine Institution im Belgischen Viertel. Die Bar am Brüsseler Platz ist nicht nur für Drinks, Essen, Musik- und Kinoevents bekannt, sondern auch ein wunderbarer Ort für Kunst und Design. So überrascht sie immer wieder mit Pop-up-Events: Bei der PASSAGEN Interior Design Week wird die Bar selbst zum hypermodernen Ausstellungsraum, im Sommer 2022 – zum Erscheinen der vierten Staffel „Stranger Things” – verwandelten Künstler*innen und Designer*innen das Hallmackenreuther radikal in die Achtzigerjahre-„Upside-DownWelt” der Netflixserie und zogen so staunende Fans und Influencer*innen an.
SCHEUES REH
INNOVATIVE MITARBEITER*INNEN-BINDUNG
Philipp Treudt ist Inhaber der Bars Zum scheuen Reh am Hans-Böckler-Platz und Im Schnörres in der Kölner Südstadt sowie Veranstalter der Tour Belgique. Sein Antrieb in einem Wort zusammengefasst: „Gemeinschaft”. Nicht nur unter den Gästen. Auch hinter der Theke lebt der Gastronom diese Vision und schafft dort Zusammenhalt der Mitarbeiter*innen untereinander und mit ihm als Arbeitgeber. Dafür setzt Treudt zum einen auf Mitsprache und Gestaltung, Schulungen und Teamaktivitäten, zum anderen auf faire Bezahlung und Benefits wie die Mitgliedschaft bei einem Sportklub.
NACHGEFRAGT
„WIR
FÖRDERN
GASTRONOMISCHE INNOVATIONEN”
Dr. Manfred Janssen, Geschäftsführer der KölnBusiness Wirtschaftsförderung, über aktuelle Herausforderungen der Gastronomie
Herr Dr. Janssen, welche wirtschaftliche Bedeutung hat die Gastronomie in Köln?
In der Kölner Gastronomie arbeiten rund 16.500 Menschen in sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnissen, hinzu kommen zahlreiche Aushilfen und Minijobber. Die Gastronomie ist wichtig für den Tourismus, im Jahr 2023 waren 3,8 Millionen Menschen zu Gast in Köln. Besonders in der Innenstadt werden Dienstleistungen und Gastronomie immer beliebter. Nach einer von uns beauftragten Umfrage aus dem Jahr 2022 ist die Gastronomie der zweithäufigste Grund für einen Besuch in der Innenstadt. 47 Prozent der Befragten gaben an, wegen des gastronomischen Angebots dorthin zu gehen.
Trotz dieser Bedeutung steht die Gastronomie vor großen Herausforderungen. Welche sind das?
Steigende Preise und die Rückkehr zum Mehrwertsteuersatz von 19 Prozent belasten Gastronominnen und Gastronomen. Insgesamt verzeichnen sie weniger Gäste und einen gerin-
geren Konsum, was die Lage zusätzlich verschärft. Die Coronajahre haben tiefe Spuren hinterlassen, und Personalmangel und höhere Kosten zwingen oft zu verkürzten Öffnungszeiten.
Wie unterstützt KölnBusiness Gastronom*innen?
Wir haben unsere Services für die Gastronomie erweitert und eine neue Ansprechpartnerin bei KölnBusiness: Nadine Voß. Sie ist Teil eines fünfköpfigen Teams, das die Handelslagen in der Innenstadt und den Veedeln weiterentwickelt. Das Team unterstützt Unternehmen bei der Gründung und Standortveränderungen, vernetzt sie mit relevanten Behörden und Akteuren und initiiert Aktionen zugunsten der Branche. Ein besonderes Event ist das „Matchmaking”, das die Kölner Veedel und die GastroSzene insgesamt attraktiver machen soll. Durch Unternehmenskooperationen entstehen neue Geschäftsideen und -chancen. Mit der Stadt Köln und Partnern werden gezielt Aktionen und Projekte unterstützt. KölnBusiness hat 2023 rund 400.000 Euro zur Stärkung der Innenstadt und Veedel bereitgestellt.
Dr. Manfred Janssen
LEVEL
[Niveau, Rang, den etwas erreicht hat, auf dem sich etwas bewegt] Duden
OHNE DIE MENSCHEN SCHEITERT KI
Künstliche Intelligenz revolutioniert unsere Welt und schafft große Potenziale für Unternehmer*innen. Allerdings nur, wenn die Mitarbeiter*innen mitziehen. Dafür müssen Unternehmen einen grundlegenden Kulturwandel einläuten.
Künstliche Intelligenz ist eine bedeutende Errungenschaft, die die Welt nachhaltig verändern wird. Obwohl der Begriff der KI schon seit den 1950er-Jahren existiert, haben die jüngsten technologischen Fortschritte, insbesondere in den Bereichen der tiefen neuronalen Netze, des maschinellen Lernens und der erhöhten Rechenleistung, das Potenzial der KI exponentiell gesteigert. Seit November 2022 ist die generative KI für jedermann verfügbar und wird zum digitalen Werkzeug in allen Branchen und Berufen. Kurzum: KI ist der Innovationstreiber, die Schlüsseltechnologie unserer Zeit. Aber ihr Potenzial auszuschöpfen wird für Unternehmen kein Selbstläufer.
ÄNGSTE ERNST NEHMEN
Wer KI effektiv nutzen möchte, kommt nicht ohne menschliche Intelligenz aus, und zwar die der eigenen Mitarbeiter*innen. Sie sind es, die am Ende die Anwendungen identifizieren, mitentwickeln und gezielt einsetzen müssen. Aktuell sehen aber viele von ihnen KI noch mit Sorge, fürchten den Verlust ihres Arbeitsplatzes oder die Degradierung zum Erfüllungsgehilfen der Algorithmen. Ihnen diese Ängste zu nehmen und sie davon zu überzeugen, dass KI ihre Arbeit nicht nur erleichtert, sondern auch bereichert, das ist der Schlüssel. Wie also wird die KI-Implementierung zum Teamprojekt?
Zunächst brauchen Unternehmer*innen, die die neuen digitalen Werkzeuge nutzen wollen, ein erhöhtes Maß an Empathie. Sie müssen sich die Frage stellen, wie es ihren Mitarbeiter*innen mit den Veränderungen geht. Besonders unter den Älteren ist die Angst um den Arbeitsplatz real. Dies hemmt die Akzeptanz und den Einsatz von KI enorm. Dabei sollten wir in Zeiten des Fachkräftemangels keine Angst vor Arbeitslosigkeit haben. Wir sollten dankbar sein für jede Möglichkeit, unsere Arbeitsprozesse effizienter zu gestalten, damit wir uns auf die wirklich wichtigen Tätigkeiten konzentrieren können, die Wettbewerbsvorteile schaffen. Die Mitarbeiter*innen davon zu überzeugen erfordert ein hohes Level an Transparenz und auch die Geduld, Akzeptanz über längere Zeiträume zu fördern. Dafür ist eine Unternehmenskultur vonnöten, in der KI nicht als Bedrohung, sondern als Chance für persönliches und unternehmerisches Wachstum wahrgenommen wird.
MOTIVATION STATT ABLEHNUNG
Offenheit für Veränderungen, Schulungen, Wissenstransfer, Fehlerkultur und Motivation sollten von nun an höchste Priorität haben. Nur wer ausprobieren und dabei Fehler machen darf, wird Neues lernen und Erfolge erzielen. Kurze Pilotprojekte, die einen praxisnahen Zugang zu KI ermöglichen, generieren schnell greifbare Erfolge und verfestigen das Verständnis von KI als nützliches digitales Werkzeug. In meinen Trainings beobachte ich regelmäßig, wie schnell Ablehnung in Motivation umschlagen kann, wenn erste Prompts geschrieben werden –oder wenn ein Grundverständnis für das Training von KI sowie für ihre Grenzen und Herausforderungen entsteht.
Die Erfahrung zeigt, dass Wissen am effektivsten und inspirierendsten vermittelt wird, wenn man es von Mensch zu Mensch weiterträgt. Jetzt ist die Zeit dazu! Mut und Neugierde können ansteckend sein – der Wert von Mitarbeiter*innen, die offen und technikaffin sind, ist für das gesamte Unternehmen relevant und kann kaum hoch genug eingeschätzt werden.
Die Vorteile eines solchen Kulturwandels gehen weit über die einer KI-Implementierung hinaus.
KI verändert unsere Welt – Unternehmer*innen sollten ihre strategischen Entscheidungen darauf ausrichten. Dann kann die Transformation nicht nur ihre Effizienz und Innovationskraft stärken, sondern auch zu einer positiven Unternehmenskultur beitragen.
Prof. Dr. Beate Gleitsmann ist Professorin an der Rheinischen Hochschule Köln und leitet dort den Fachbereich Medien, Marketing und Innovation. Sie hält seit vielen Jahren Vorträge über die Chancen von KI und berät Firmen, wie sich KI etablieren lässt.
VORSPRUNG DURCH TECHNIK
Künstliche Intelligenz ist viel mehr als ein Hype, sie ist die nächste Stufe der wirtschaftlichen Revolution. Die Versprechen für eine bessere Zukunft sind zwar oft noch schwammig. Doch viele Kölner Unternehmen und Startups zeigen schon heute, was möglich ist – vom Einzelhändler bis zum Versicherungskonzern.
Die Zukunft des Einkaufens liegt nicht im Silicon Valley, sondern an einer viel befahrenen Straße in der Kölner Innenstadt. Genauer gesagt: in einem REWE-Supermarkt. An einem gewöhnlichen Wochentag bewegen sich dort Menschen durch die Regalreihen. Und während die einen sich mit vollem Einkaufskorb an die Kasse stellen, stecken andere die Ware direkt in die Tasche und sind auf und davon.
Was wie dreister Diebstahl aussieht, ist genau so gewollt. Und eine Revolution. Pick & Go heißt das Konzept. Die Idee: Mithilfe Hunderter Kameras an den Decken und versteckter Sensoren in den Regalen erstellt eine künstliche Intelligenz ein einzigartiges 3D-Modell des Marktes und der Kund*innen – während sie einkaufen. So weiß das System zu jeder Zeit, wo welches der 13.000 Produkte steht, wer danach greift,
ob die Kund*innen es woanders wieder ablegen und welche Früchte, Nudeln, Getränke oder Gewürze schließlich in der Einkaufstasche landen. Gehen die Kund*innen, die am Eingang über die Pick&Go-App eingecheckt haben, mit der Ware aus dem Markt, rechnet die KI automatisch über ein hinterlegtes Zahlungsmittel ab. In der Schlange an der Kasse stehen? Den Einkauf am Selbstbedienungsterminal scannen? All das ist für die Nutzer*innen von Pick & Go nicht mehr nötig.
Was sich im REWE-Markt exemplarisch zeigt, ist der Durchbruch der künstlichen Intelligenz ins echte Leben. In den Alltag, in den wöchentlichen Einkauf, in die eigenen vier Wände. Damit gilt REWE als Vorreiter in der Branche. Doch der Weg dorthin war lang. Seit Jahren tüfteln die Kölner an KI-Lösungen, die Lieferrouten, Lagerbestände und Onlineeinkäufe erfassen, berechnen und antizipieren. Das alles geschieht im Hintergrund. In den bundesweit sechs Pick&Go-Testmärkten, außer in Köln gibt es sie auch in Berlin, Hamburg, München und Düsseldorf, wird die KI sichtbar. Denn diese hat REWE gemeinsam mit dem israelischen Startup Trigo Vision mit Technik nur so vollgestopft.
Hunderte Kameras, versteckte Sensoren: REWE SETZT AUF HIGHTECH
Hunderte Kameras hängen an der Decke, millimetergenau ausgerichtet. Sie scannen die schematische Darstellung der Kund*innen und ordnen ihnen fortlaufende Nummern zu. „Die KI scannt keine Gesichter, und wir erstellen auch keine Einkaufsprofile”, betont Jana Sanktjohanser, die das Projekt bei REWE leitet. „In unserem Computer-Vision-System ist alles anonym. Wer zweimal einkauft, wird auch nicht wiedererkannt.” Dank viel Training schaffen es die Algorithmen mühelos, die Menschen durch den Markt zu begleiten, auch wenn diese auf andere Kund*innen zugehen. In den vergangenen Monaten hat das System gelernt, Dosen oder Flaschen, die nahezu identisch aussehen, zu unterscheiden und richtig zuzuordnen. Neben den Kameras arbeitet die KI mit einem Sensorboden in den Regalen. Der registriert grammgenau, ob und was die Kund*innen herausnehmen. Dass das so reibungslos funktioniert, hat viel mit Ausdauer zu tun. Begonnen hat das Experiment bereits 2018, sechs Jahre später ist die Testphase beendet, und Kund*innen können es live erleben – im REWE an der Luxemburger Straße.
Das Potenzial von KI hat nicht nur REWE erkannt, sondern mittlerweile auch ein Großteil der Kölner Unternehmerschaft. 16 von 20 Kölner Großunternehmen arbeiten bereits mit KI. Jedes zehnte der rund 700 in Köln ansässigen Startups hat einen KI-Fokus, mit DeepL sitzt sogar das wertvollste KIStartup Deutschlands in der Innenstadt. Expert*innen wie der Vorstandsvorsitzende des KI-Bundesverbandes, Jörg Bienert,
Jana Sanktjohanser, Projektleiterin bei REWE
sprechen von der Region Köln als einem zentralen KIStandort in Deutschland und Europa (siehe Seite 19). Das Besondere an vielen Kölner Beispielen: Sie experimentieren nicht nur mit KI, sondern haben brauchbare Lösungen, die den Alltag von Menschen und Unternehmen bereichern können. Dazu zählt auch das Startup Xaver.
XAVER will mit KI die Altersvorsorge revolutionieren
Erst 2023 gegründet, konnte das Startup von Max Bachem und Ole Beulmann in diesem Jahr mehr als fünf Millionen Euro einsammeln. Damit hat es eine der größten deutschen Pre-SeedFinanzierungsrunden dieses Jahres hingelegt und prominente Gesichter wie Ex-Commerzbank-Chef Martin Blessing, Fußballstar Mario Götze, ehemalige Unicorn-Gründer*innen und Ex-Vorstände von Allianz sowie der Gothaer von sich überzeugen können. Sie alle glauben an die Vision der Gründer, die Altersarmut in Europa mithilfe von KI zu bekämpfen.
Dafür hat Xaver eine Software für Banken und Versicherungen entwickelt, die Privatkund*innen eine KI-basierte Einschätzung und Empfehlung zur Verbesserung ihrer persönlichen Vorsorgesituation gibt. Diese beantworten dazu Fragen, und die KI berechnet, welche Produkte für sie geeignet sind, um eine mögliche Rentenlücke zu schließen. „Da viele Kund*innen solche wichtigen Entscheidungen heute jedoch noch mit einem Menschen validieren wollen, können sie jederzeit zu einem persönlichen Beratungsgespräch wechseln”, sagt Gründer Bachem. „So sorgt unsere Software für ein effizienteres Kundenerlebnis – digital und persönlich.” Die KI, die den Kunden oder die Kundin zuvor beraten hat und daher bereits kennt, fungiert als Co-Pilot. Sie kann zum Beispiel das Beratungsgespräch transkribieren. Nach Angaben von Xaver können Vertriebler*innen mithilfe der Software bis zu 50 Prozent Zeit einsparen.
Gefüttert werden die Algorithmen mit Millionen von Daten, Vertriebshandbüchern, früheren Kundengesprächen und vielen wichtigen Regularien im Finanzvertrieb, die die KI beachten muss. „Unsere Plattform orchestriert eine Vielzahl unterschiedlicher KI-Modelle, um für jede Aufgabe das Beste
Xaver-Gründer Max Bachem
zu nutzen”, sagt Bachem. „Die Beratung und Empfehlungen zur individuellen Finanzsituation sind objektiv und datenbasiert, die Beratungsqualität ist bereits sehr hoch. Die Modelle lernen ständig dazu, und wir stehen erst am Anfang der Möglichkeiten von KI.”
Für diese innovative Geschäftsidee wurde Xaver im Frühjahr beim bundesweiten Pitch „Startup Champs” zum Regionalsieger Köln gekürt. Und in Zukunft? Mittelfristig will das Startup eigene Finanzprodukte für Finanzinstitute anbieten und in Köln weiter wachsen. „Xaver in Köln aufzubauen war eine unserer besten Entscheidungen”, sagt Bachem. Als einen Grund nennt er die Verfügbarkeit von Toptalenten, insbesondere im Bereich KI und Programmierung. Zudem vereint Köln als Versicherungshub viele potenzielle Kund*innen des Startups an einem Ort, und Frankfurt als Bankenzentrum ist ebenfalls nicht weit entfernt. „Köln ist für uns als KI-Fintech-Startup der ideale Standort”, sagt Bachem.
Diese KI-Startups bringen Mehrwert für jede Firma
PIXIT:
Firmenfotos aus dem Urlaub Unternehmen brauchen sie für Präsentationen, den Onlineauftritt oder Pitches: professionelle Fotos ihrer Mitarbeiter*innen. Die fehlen aber häufig, weil Kolleg*innen neu oder die Büros quer über den Globus verteilt sind. Pixit hat dafür eine KI-basierte Lösung gebaut. Diese macht aus Urlaubsfotos in kurzer Zeit professionelle und einheitliche Firmenfotos.
EVY SOLUTIONS:
Dokumente clever sortiert
E-Mails, Rechnungen, Auftragsbestätigungen: Wer ein Firmenpostfach hat, weiß, dass es schnell chaotisch werden kann. Die KI des bereits 2017 gegründeten Startups Evy Solutions sorgt für Ordnung. Denn sie kann Dokumente wie PDFs und E-Mails einfach lesen, auswerten und sortieren.
Thomas Heindl, Gothaer-Marketingleiter
Vertragskündigung im Verzug?
DIE GOTHAER-KI
WEISS ES ALS ERSTE
Wie weit KI bereits in die Versicherungsbranche vorgedrungen ist, zeigt auch das Beispiel der Gothaer. Der Versicherungskonzern mit Sitz in Köln nutzt unter Marketingleiter Thomas Heindl beispielsweise ein Inhouse-ChatGPT für seine selbstständigen Außendienstler*innen. Diese können damit in wenigen Sekunden LinkedIn-Posts für ihr individuelles Marketing generieren. „Das kann im besten Fall 50 Prozent und mehr der Zeit einsparen, die man sonst für das Texten benötigt”, sagt Heindl.
In der Abteilung Data Analytics wird wiederum berechnet, wie hoch die Wahrscheinlichkeit ist, dass Kund*innen oder ganze Haushalte einen Vertrag kündigen. Einfache Faktoren in dieser Berechnung sind beispielsweise, dass nur ein Vertrag besteht oder andere Verträge schon gekündigt wurden. „Das ist noch für jeden Laien nachvollziehbar, dass die Kündigungswahrscheinlichkeit hier potenziell höher ist”, sagt Heindl. „Mit der künstlichen Intelligenz können wir nun viel mehr Faktoren schneller berücksichtigen, zum Beispiel den Umzug von Vermittlerinnen und Vermittlern.”
Perspektivisch möchte die Gothaer auch sogenannte Sentiment-Analysen durchführen, um beispielsweise die Tonalität von E-Mails zu entschlüsseln – mit dem Ziel, messen zu können, ob jemand unzufrieden ist. Früher konnten die Berater*innen Unzufriedenheit spüren, heute droht dies durch die Digitalisierung der Kundenbeziehung unterzugehen. „Zu erkennen, wie es unseren Kundinnen und Kunden geht, wird eine wichtige Aufgabe von KI sein”, sagt Heindl.
Intern sorgen manche KI-Berechnungen noch für Unsicherheit, da ist Thomas Heindl ehrlich. Doch er ist sicher, dass sich diese Skepsis mit der Zeit legen wird. „Das ist wie damals, als das Navigationsgerät erfunden wurde”, sagt er. „Da sind auch alle gefahren, wie sie es für richtig hielten. Heute macht das kaum noch wer – einfach weil das Vertrauen da ist.”
NACHGEFRAGT
EIN ZENTRALER KI-STANDORT „DIE REGION KÖLN
IST IN DEUTSCHLAND UND EUROPA”
Jörg Bienert ist Vorstandsvorsitzender des KI-Bundesverbands. Im Interview erklärt er, warum Deutschland gar nicht so abgehängt ist, wie viele glauben – und warum Köln zur Spinne im Netz des KI-Clusters im Rheinland werden könnte.
Herr Bienert, wenn wir über künstliche Intelligenz sprechen, geht es häufig um Firmen aus dem Ausland. Wird Deutschland abgehängt?
Das würde ich so nicht sagen. Deutschland ist in der Forschung sehr weit vorn, wenn es um das Thema künstliche Intelligenz geht. Wir haben exzellente Universitäten und Städtecluster in Deutschland, die bei dem Thema europaweit und auch weltweit locker mithalten können. Was uns die großen US-Firmen voraushaben: Sie schaffen es, die Forschung in ein Geschäftsmodell umzumünzen. Teilweise fließen Milliardensummen in Startups, die Deutschland nicht aufbringen kann oder will – weder öffentlich noch privat. Da müssen wir besser werden, damit uns andere Länder nicht davonlaufen.
Das Rennen um künstliche Intelligenz wird auch regional entschieden. Welche Rolle spielt Köln dabei?
Köln ist bereits auf einem guten Weg. Anders als München oder Berlin hat Köln traditionell keine starke Ausprägung in der Informatik, aber daran wird gerade gearbeitet. Gleichzeitig gibt es in Köln mit DeepL das wertvollste KI-Unternehmen Deutschlands. Generell beobachten wir im KI-Bundesverband: Die Voraussetzungen für die Gründung eines Startups im Bereich künstliche Intelligenz sind in Köln hervorragend. Die umliegenden Hochschulen bringen Talente mit, es gibt genug Büroräume, und auch die Förderungen sind auf einem sehr guten Niveau. Köln könnte mittelfristig zur Spinne im Netz werden und sich als Stadt im KI-Cluster Rheinland etablieren, die junge Talente aus der ganzen Welt anzieht.
Das KI-Cluster Rheinland – was zählt für Sie alles dazu?
In NRW und im Kölner Raum gibt es sehr vielfältige Aktivitäten, die auf das Thema KI einzahlen. In Sankt Augustin bauen
sie aktuell am OpenGPT-X, einem Open-Source-Sprachmodell, das noch dieses Jahr Ergebnisse präsentieren wird. Ebenfalls in Sankt Augustin sitzt WestAI, ein KI-Servicezentrum unter der Leitung der Uni Bonn. In Jülich haben wir bald den größten Supercomputer Europas und einen der größten der Welt, der sich hervorragend für KI-Anwendungen nutzen lässt. Und in Hürth gibt es mit dem AI Village einen wichtigen Anlaufpunkt für junge Unternehmen und Mittelständler. Hinzu kommt die großartige Forschung in der Region: Die RWTH Aachen beispielsweise ist auf diesem Gebiet ganz vorn mit dabei. Und mit dem Lamarr-Institut haben wir ein Zentrum für Spitzenforschung im Bereich der künstlichen Intelligenz und des maschinellen Lernens. Die Region um Köln ist wahrlich ein zentraler KI-Standort in Deutschland und Europa.
Nun will Microsoft Milliarden investieren und hochmoderne Rechenzentren bauen, nur 30 Autominuten von Köln entfernt. Bringt das einen Vorteil?
Diese Investition zeigt meiner Meinung nach, wie gut die Ansiedlungspolitik im KI-Cluster rund um Köln funktioniert. Das wird uns auf jeden Fall voranbringen. Nicht nur, weil es den KIStandort stärkt, sondern auch, weil es internationale Aufmerksamkeit erregt. Die Menschen weltweit kennen diese Region jetzt, das wird wie ein Katalysator wirken.
Seit ChatGPT sprechen alle von Large Language Models. Was ist Ihrer Meinung nach der nächste große Schritt, auf den alle schauen werden?
Ich denke, das Thema Robotik wird nun in den Fokus rücken. Die technischen Möglichkeiten sind längst da, Roboter können sich frei bewegen, ohne umzufallen, sind aktive Helfer in Fabriken. Mit künstlicher Intelligenz können wir ihnen beibringen, Sprache und Bilder zu verstehen, und dann bewegen wir uns schon in Richtung eines humanoiden Roboters. Ich denke, das wird das nächste große Ding.
Jörg Bienert ist Mitgründer und Vorstandsvorsitzender des KI-Bundesverbands. Darüber hinaus ist er Partner und CCO bei der Alexander Thamm GmbH mit Sitz in Köln. Die Firma gilt als eines der führenden Data-Science- und KIUnternehmen in Deutschland.
INTERVIEW
VON ANFANG AN” „WIR DENKEN SICHERHEIT BEI KI MIT –
Dr. Melanie von der Wiesche leitet seit 2022 die Standorte West des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt. Sie plant, das DLR zum Vorreiter der KI-Forschung zu machen.
Hätte die US-Serie „Akte X” irgendwann mal eine Folge in Deutschland gedreht, wäre Wahnheide der ideale Ort gewesen. Militärische Sperrgebiete, Raumfahrtforschung, gigantische Testanlagen: Mulder und Scully hätten ihre Freude gehabt. Hier, zwischen Flughafen und Kaserne Wahn, hat das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) seinen Hauptsitz. Wir treffen Standortleiterin Melanie von der Wiesche im :envihab, der medizinischen Forschungseinrichtung des DLR-Instituts für Luft- und Raumfahrtmedizin.
Frau Dr. von der Wiesche, Sie sind seit zwei Jahren Leiterin der Standorte West des DLR. Was hat Sie an dieser Aufgabe gereizt?
Ich arbeite seit 2005 am DLR-Standort Köln. Als promovierte Biologin war ich seit 2012 Leiterin der Studienteams am Institut für Luft- und Raumfahrtmedizin, dann wurde ich angesprochen, ob ich mich nicht auf die ausgeschriebene Leitung der DLR-Standorte in der Region West bewerben möchte. Nun bin ich seit knapp zwei Jahren in dieser Position, die mir sehr viel Freude bereitet. Neben dem DLR Köln fallen die Institute und Einrichtungen in Aachen, Bonn, Jülich, Rheinbach und Sankt Augustin darunter. Dort arbeiten etwa 4.000 der knapp 11.000 Mitarbeiter*innen, die das Zentrum insgesamt hat. Die Aufgabe ist so reizvoll, weil das DLR trotz seines Namens mehr als Luft- und Raumfahrtforschung betreibt. Wir haben insgesamt vier Kernbereiche, neben den beiden namensgebenden sind das noch Energie und Verkehr, dazu kommen die wichtigen Querschnittsthemen Digitalisierung und Sicherheit.
Das sind Bereiche, an denen sich die ganz großen Fragen unserer Zeit entscheiden: Krieg, Energiewende, KI, E-Mobilität. Besteht da nicht die Gefahr, dass man sich verzettelt?
Nein, denn wir konzentrieren uns auf unser wichtigstes Alleinstellungsmerkmal: anwendungsbezogene Forschung. Wir wollen, dass das, was wir hier entwickeln, dabei hilft, die Probleme der Gesellschaft zu lösen. Um herauszufinden, was das ist, sind wir im ständigen Austausch mit Politik und Wirtschaft.
Wie können wir uns den Austausch mit der Wirtschaft vorstellen? Gibt es Aufträge von Unternehmensseite, oder gehen Sie mit Ihren Ideen auf die Firmen zu?
Reine Auftragsforschung machen wir eher nicht. Trotzdem sind es in erster Linie die Unternehmen, die auf uns zukommen und um Zusammenarbeit bitten. Das liegt auch daran, dass wir eine Vielzahl großer Forschungs- und Testanlagen haben, die einzigartig sind. Ein Beispiel: Gerade erst haben wir eine neue Methode der optischen Diagnostik bei der Wasserstoffverbrennung getestet, in Zusammenarbeit mit Rolls-Royce. Das Ziel ist es, wasserstoffbetriebene Luftfahrttriebwerke zu bauen, ein wichtiger Schritt hin zum klimafreundlichen Fliegen. Für das Unternehmen ist unser technologisches Know-how interessant, aber auch die Prüfstände, die wir haben und die Rolls-Royce selbst nicht besitzt.
„KI-SYSTEME WERDEN BALD TEIL DER KRITISCHEN INFRASTRUKTUR SEIN”
Viele gesellschaftliche Fragen drehen sich derzeit um KI. Unter Ihre Leitung fällt auch das Institut für KI-Sicherheit in Sankt Augustin. An was wird hier gearbeitet?
Sicherheit ist eines unserer Kernthemen, natürlich auch bei Luft- und Raumfahrt. Von den rapiden Fortschritten im Bereich künstlicher Intelligenz geht aber auch eine gewisse Gefahr aus. Unser Team in Sankt Augustin soll Fragen der Sicherheit, der Transparenz und der Ethik von Anfang an mitdenken bei der Entwicklung solcher Systeme, also genau das, was man in der Luftfahrt bereits macht. KI-Systeme werden bald Teil der kritischen Infrastruktur sein, diese von Anfang an zu schützen ist gerade in den heutigen Zeiten wichtig.
Das Institut ist Ihrer Verkehrsabteilung zugeordnet. Warum?
Das hat zwei Gründe. Zum Ersten gibt es im Bereich Verkehr Anwendungsfälle von KI, bei denen Sicherheit essenziell ist. Nehmen Sie etwa das autonome Fahren: Wenn das selbstfahrende Auto ein Stoppschild nicht erkennt oder verwechselt, kann das lebensgefährlich sein. Wir arbeiten auch
an ersten Pilotprojekten im Verkehrsbereich, aktuell etwa in Hamburg, wo wir die Einsatzmöglichkeiten von KI in der Verkehrssteuerung analysieren. Zum Zweiten ist das Personal aus dieser Abteilung hervorragend für die Arbeit mit KI geeignet. Verkehrsforscher*innen haben viel Erfahrung mit komplexen Systemen und deren Analyse. Aktuell haben wir etwa 80 Personen am Institut, mittelfristig soll es auf 120 Mitarbeiter*innen wachsen.
Wo bekommen Sie die zusätzlichen Leute her, die Sie am Institut für KI-Sicherheit einstellen möchten?
Der Fachkräftemangel macht uns zwar wie allen anderen Arbeitgebern auch zu schaffen, aber wir haben einen großen Standortvorteil: Die Menschen – gerade jüngere – wollen gerne in Köln und der Region wohnen. Das weiß ich aus persönlicher Erfahrung, meine Tochter ist nach dem Studium aus Regensburg zurück nach Köln gezogen. Auch ich bin nach dem Studium aus Hessen hierhergekommen, um zu arbeiten. Dazu kommen die vielen hervorragenden Universitäten und technischen Hochschulen, deren Absolvent*innen wir überzeugen wollen und oft auch können. Das ist einer der Gründe, warum dieses Zentrum bei uns angesiedelt wurde und nicht an einem anderen DLR-Standort.
Welche Standortvorteile sehen Sie für das DLR in Köln außer dem Fachkräfteangebot?
Wir finden hier in Wahnheide ideale Bedingungen vor. Neben den Fachkräften sind da die gute Anbindung und die zentrale Lage mitten in Europa. Hinzu kommen unsere Nachbarn: Die Zusammenarbeit mit dem Flughafen Köln-Bonn haben wir seit 2021 deutlich verstärkt, und wir wollen hier vor Ort ein Kompetenzzentrum für die Luft- und Raumfahrt schaffen. Auch die Luftwaffe ist nur einen Steinwurf entfernt, in der Kaserne Wahn. Dort befindet sich deren Zentrum für Luft- und Raumfahrtmedizin, mit dem wir ebenfalls kooperieren. Gerade der militärische Bereich ist in den vergangenen zwei Jahren wichtiger für uns geworden. Wenn man DLR, Flughafen, Luftwaffe und ESA zusammenzählt, arbeiten 23.000 Leute aus den Bereichen Luft- und Raumfahrt am Standort Köln. Das ist einzigartig in Europa.
„WICHTIG
IST UNS, DASS LÖSUNGEN EUROPÄISCH SIND”
In vielen für Sie wichtigen Bereichen ringt Deutschland um strategische Unabhängigkeit. Was tragen Sie hierzu bei?
Sehr viel, in all unseren Forschungsbereichen! Gleichzeitig sind wir im Bereich Trägersysteme in der Raumfahrt derzeit weltweit im Rückstand, arbeiten jedoch intensiv an Lösungen. Besonders wichtig ist uns dabei, dass diese Lösungen europäisch sind. Dies gilt auch für andere Herausforderungen. Beispielsweise ist unsere Erdbeobachtung durch Satelliten unerlässlich für den Kampf gegen den Klimawandel. Diese Beobachtungen nützen jedoch wenig, wenn sie nur auf Deutschland beschränkt bleiben. Daher ist es für uns von großer Bedeutung, mit Institutionen wie der Europäischen Weltraumorganisation ESA und internationalen Partnern wie Japan und den USA zusammenzuarbeiten, also mit den Ländern, die unsere grundlegenden Werte teilen.
Ein neues ESA-DLR-Projekt ist die LUNA-Trainingshalle am Standort Köln. Was passiert dort?
Auf einer Fläche von rund 1.000 Quadratmetern simuliert die ESA die Mondlandschaft, damit die Bedingungen so realistisch wie möglich erkundet werden können. Ein Beispiel: In der Halle wird Spezialsand verwendet, der extrem fein ist. Er kommt aus der Vulkaneifel. Anhand des Sandes können wir gemeinsam mit der ESA testen, wie die Technik standhält. Die LUNA-Halle ist einzigartig auf der Welt. Zwar plant auch die NASA ein Mond-Trainingscenter, aber wir sind die Ersten und wahrscheinlich auch ein gutes Stück besser. Örtliche, aber auch internationale Wissenschaftler*innen und Unternehmen können die LUNA-Halle ebenfalls zu Forschungszwecken nutzen, sodass im Idealfall der gesamte Wirtschaftsstandort Köln profitiert.
AUTO UND VERKEHR –
NUR SMARTER
Im Institut für KI-Sicherheit des DLR arbeiten
Forscher*innen an der Zukunft von Verkehrssteuerung und Autoindustrie. Es geht auch um Europas digitale Souveränität.
Das Herz des gesamten Organismus des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR) mag im Kölner Südosten schlagen. Seine KI-Aktivitäten bündelt es aber gut 15 Kilometer weiter südlich, im Institut für KI-Sicherheit in Sankt Augustin. An diesem Ort werden aus theoretischen Ideen konkrete Projekte, die mithilfe von künstlicher Intelligenz den Alltag von Bevölkerung und Unternehmen vereinfachen sollen.
Vieles kreist dabei um eines der ambitioniertesten Projekte Europas: „Gaia-X”. Es soll in einer europäischen Dateninfrastruktur münden, die unabhängig von US-amerikanischen Konzernen wie Amazon oder Microsoft ist und alles mitbringen soll, was die Europäer als ihre Trumpfkarte im globalen Digital-Wettrüsten sehen: Sicherheit, Vertrauenswürdigkeit und Datenautonomie. Vorangetrieben wird Gaia-X vor allem von Frankreich und Deutschland. Ein Einblick in zwei Schlüsselprojekte, die jetzt auf die Zielgerade gehen.
Future Mobility: alle an einem Tisch
In kaum einem Bereich fallen so viele Daten an wie im Verkehr. Autofahrer*innen, Fußgänger*innen, Busse, Ampeln –an all diesen und noch viel mehr Stellen werden Datenpunkte generiert. Im Prinzip warten diese nur darauf, dass jemand sie analysiert, verknüpft und so Verkehrsflüsse effizienter gestaltet – oder vielleicht sogar automatisiert.
Daran arbeitet Maximilian Stäbler täglich. Er koordiniert im Institut für KI-Sicherheit das Projekt „Gaia-X 4 Future Mobility”. Dahinter verbergen sich wiederum sechs einzelne Förderprojekte.
Unter Koordination des Instituts wird ein dezentrales Datenund-Dienste-Ökosystem geschaffen, auf dessen Basis Unternehmen, Kommunen und andere Interessierte dann KI-basierte Lösungen für Verkehrsprobleme entwickeln können. Mehr als 80 Partner hat das DLR gewinnen können. Auch die deutschen Techkonzerne sind dabei, obwohl Gaia-X unabhängig von ihnen sein möchte. „Die Beziehung zwischen Gaia-X und den Hyperscalern ist komplex und basiert sowohl auf Zusammenarbeit als auch auf Wettbewerb”, sagt Stäbler. Hyperscaler sind riesige Rechenzentren, die Clouddienste für Kunden betreiben und entwickeln können. Gaia-X nutzt die Dienste und Technologien dieser Zentren, um sicherzustellen, dass seine Infrastrukturen nutzbar angeboten werden können.
Entscheidend für Stäbler und seine Kolleg*innen im Institut für KI-Sicherheit ist es, dass die Programme, die entwickelt werden, für jeden gut zu bedienen sind. „Vielen Kommunen fehlen IT-Expert*innen”, sagt er. Also müssen die Anwendungen zur Verkehrssteuerung möglichst simpel sein.
Wie aber sieht ein Einsatz von KI im Verkehr praktisch aus? Einige Beispiele stellte das Gaia-X-4-Future-Mobility-Team jüngst auf der Hannover Messe vor. Darunter: die Erfassung von Straßenschäden durch Müllwagen. „Diese fahren ohnehin die gesamte Stadt ab. Wenn sie mit Kameras ausgestattet sind, finden sie die meisten Schlaglöcher”, so Stäbler. Die KI hilft dann, die Aufnahmen auszuwerten und einen Reparaturplan zu erstellen. Im Idealfall geht das unter Einbeziehung weiterer Faktoren: Welche Straßen werden besonders viel genutzt? Wo in der Stadt findet gerade ein Großereignis statt, das durch Baustellen behindert werden würde?
Nun geht es darum, die entstandene Community zu erhalten und für weitere Unternehmen und Forschungseinrichtungen offen zu gestalten, auch internationale. Stäbler ist sehr optimistisch, dass dies gelingt: „Die Teilnehmer haben nach der anfänglichen Orientierungsphase erkannt, dass es sich lohnt, zu kooperieren und Daten zu teilen.” Für das DLR sei das Ganze in jedem Fall schon ein Erfolg: „Dank dieses Projekts konnten wir gemeinsam mit den beteiligten Unternehmen und Einrichtungen essenzielles Wissen aufbauen und erste konkrete Technologiebausteine umsetzen, die für eine zukünftige Wertschöpfung im Bereich der Mobilität unverzichtbar sind.”
Catena-X: das Rad neu erfinden
Partner an einen Tisch zu bringen – auch solche, die sich sonst nicht grün sind – war auch die Aufgabe von Steffen Turnbull. Er leitete das Teilprojekt „Internationalisierung” innerhalb des Projekts „Catena-X”, das ebenfalls Teil des Gaia-X-Kosmos ist. Das Projekt hat jüngst sein Projekt-Abschlussevent durchge-
führt und ist ebenfalls auf einem sehr guten Weg in die Nachprojektphase.
Hinter dem abstrakten Begriff verbirgt sich eine Plattform, über die die Autoindustrie Daten austauschen und gemeinsam Anwendungen entwickeln kann. Nicht nur die Hersteller sind dabei, auch Zulieferer, Softwarekonzerne und sogar der ADAC machen mit. Catena-X soll den Austausch einfacher und sicherer machen. „Ein wichtiger Teil unserer Arbeit war es deshalb, ein robustes digitales Daten-und-Dienste-Ökosystem zu schaffen, an das sich jeder andocken kann”, erklärt Turnbull.
Dank Catena-X kann die Autoindustrie nun zum Beispiel Anwendungen entwickeln, um die eigene Lieferkette auf Nachhaltigkeitskriterien abzuklopfen. „Gerade das Thema Emissionen entlang der Lieferkette ist für viele Unternehmen eine riesige Herausforderung, auch weil der Datenaustausch so schwierig ist.”
Mit dem Ergebnis ist der DLR-Mann zufrieden. „Zwischendurch habe ich die hochambitionierten Ziele des Projekts als sehr herausfordernd empfunden.” Gerade Fahrzeughersteller und mittelständische Zulieferer hätten zunächst Vorbehalte gegen den Datenaustausch entlang der Lieferkette gehabt, hier Vertrauen herzustellen, sei eine Herausforderung gewesen. „Durch die konstruktive Zusammenarbeit im Projekt ist klar geworden, dass die globalen Aufgaben nur kooperativ in gegenseitigem Vertrauen zu lösen sind”, meint Turnbull. Dank dieser Erkenntnis hat Catena-X die Projektziele erreicht. Die Ergebnisse werden im Catena-X e. V. und in der Entwickler-Community verstetigt. „Diese Erfahrung ist in dieser Form bisher einzigartig und lässt sich nicht mit anderen Projekten vergleichen”, freut sich Turnbull.
FOKUS FORSCHUNG
BLEIBT BEIM MENSCHEN” „DIE VERANTWORTUNG
Ein TÜV für künstliche Intelligenz: Daran arbeitet die Rechtsethikerin Prof. Dr. Dr. Frauke Rostalski von der Universität zu Köln im Rahmen des Projekts „Zertifizierte KI”. Kein leichtes Unterfangen. Doch wenn es gelingt, könnte der KI-TÜV made in Germany weltweit Maßstäbe setzen.
Frau Prof. Rostalski, wir lassen uns im Alltag immer häufiger von künstlicher Intelligenz helfen. Sie schreibt E-Mails für uns oder unterstützt Unternehmen im Produktionsprozess. Angenommen, die KI macht einen Fehler: Welche Folgen könnte das haben?
Eine echte Verantwortungsdelegation gibt es nicht. Der Mensch bleibt in der Schuld, weil die KI rechtlich keine Entität ist, die selbst Verantwortung übernehmen kann, zum Beispiel bei einer fehlerhaften Banküberweisung oder einem Produktionsfehler. Die KI-Technologie hat vermeintlich die Kontrolle, aber sie bleibt nur ein Werkzeug, das der Mensch für sich nutzt – wie einen Schraubenzieher. Den stellt bei einem Fehler auch keiner vor Gericht.
Genau deshalb arbeiten Sie im Projekt „Zertifizierte KI” daran, KI-Systeme sicher und vertrauenswürdig zu gestalten.
Genau. Unser Ziel ist es, dass beide Seiten – also die anbietenden Unternehmen sowie die Nutzerinnen und Nutzer einer Anwendung – sicher sein können, dass diese technisch zuverlässig und verantwortungsvoll zum Einsatz gebracht wird.
Was bedeutet eine solche Zertifizierung konkret für Unternehmen, die künstliche Intelligenz entwickeln – für andere oder den eigenen Einsatz?
Wir entwickeln in dem Projekt allgemeine Standards, um KI-Systeme auf der ganzen Welt nach verschiedenen Kriterien testen zu können. Dazu arbeiten die RWTH Aachen, das DINInstitut, die Universität zu Köln mit ihren Projektpartnern und viele DAX-30-Konzerne aus der Chemie-, Versicherungs- oder Telekommunikationsbranche gemeinsam an realistischen, praxistauglichen und dennoch ethischen und rechtlichen Maßstäben. Grundlage dafür ist der AI Act der Europäischen Kommission, der im März vorgelegt wurde und noch in diesem Jahr in Kraft treten soll. Die EU-Verordnung regelt, unter welchen Voraussetzungen eine KI in Europa überhaupt an den Start gehen darf, sie legt sozusagen die Rahmenbedingungen fest. Daneben gibt die KI-Zertifizierung den Unternehmen ein brauchbares Tool an die Hand, um sicherzustellen, dass ihre KI dem AI Act entspricht. Dadurch erhalten sie Rechtssicherheit. In einem ersten Schritt haben wir 2023 bereits sechs Kriterien für KI-Prüfungen definiert und wollen bald auch in erste Pilotprüfungen mit Unternehmen einsteigen.
Welche Vorteile ergeben sich daraus für Nutzer*innen?
KI-Systeme bringen eine gewisse Intransparenz mit sich, das liegt in der Natur der Sache. Das fängt im Kleinen bei ChatGPT an und zieht sich durch Anwendungen bis hin zu Naturkatastrophen-Warnsystemen oder etwa Control€xpert, einer Anwendung, die viele Versicherungen bereits nutzen, um Schadensfälle automatisch zu erfassen und zu bewerten. Haben wir eine Zertifizierung, können wir genau solche
Systeme strukturiert nach objektiven Kriterien prüfen. Das gibt Nutzerinnen und Nutzern Orientierung hinsichtlich der Qualität und Sicherheit einer Anwendung. Aber auch für die anbietenden Unternehmen ergeben sich Vorteile. So können sie rechtlich relevante Mängel ihrer Systeme identifizieren und beheben.
Für welche Unternehmen wird das Thema Zertifizierung in den nächsten Jahren relevant?
Eine Zertifizierung hilft allen, wird aber nur für bestimmte Einsatzszenarien verpflichtend. Das sind solche, bei denen der Gesetzgeber ein besonders hohes Risiko für den Menschen sieht, etwa wenn es um Systeme zur Gesichtserkennung geht oder solche, die für kritische Infrastrukturen zum Einsatz kommen, beispielsweise im Energie- oder Verkehrssektor. Diese Unternehmen müssen sich auf jeden Fall zertifizieren lassen, und zwar nach hohen Auflagen. Das kann man sich wie einen KI-TÜV vorstellen, dessen Prüfstandards wir hier in Köln entwickeln.
Anbieterinnen und Anbieter, die weniger riskante Systeme haben und nicht der Auflage unterliegen, können sich zudem freiwillig von Zertifizierungsstellen prüfen lassen. Auch hierfür entwickeln wir Standards. Sie erhalten dann ein Zertifikat, das ihrem System ein gewisses Maß an Sicherheit und Qualität bescheinigt. Es kann dann, vergleichbar mit einem „Bio-Siegel”, für die Vermarktung genutzt werden und schafft Rechtssicherheit in der Anwendung.
Der Einsatz von KI durchdringt alle Branchen. Wie gelingt es da, einheitliche Zertifizierungsverfahren zu entwickeln?
Es gibt immer wieder Parallelen, gerade bei den Grundfragen der rechtskonformen Anwendung. Die EU hat zudem ein Gremium beauftragt, um zu definieren, was eine KI schon in der frühesten Entwicklungsphase berücksichtigen muss. Dazu gehören zum Beispiel Nichtdiskriminierung, die Achtung der menschlichen Autonomie, Schutz der Privatsphäre und die Transparenz der Systeme. Im Rahmen einer Zertifizierung kann genau das überprüft werden. Wahrt die KI die Privatsphäre? Oder: Wie transparent ist sie? Daraus lassen sich dann die Standards entwickeln. Ähnlich wie beim Auto, wo der TÜV prüft, ob Licht und Hupe so funktionieren, wie es der Gesetzgeber vorsieht.
Solche Vorgaben können sehr kleinteilig werden. Wie groß ist die Gefahr der Überregulierung?
Im besten Fall bremst der AI Act Innovationen nicht aus, sondern sorgt für einen Interessenausgleich. Die Angst vor Überregulierung ist nachvollziehbar, das Sicherheitsbedürfnis der Nutzerinnen und Nutzer aber auch. Die Regulierung sollte die anbietenden Unternehmen nur so weit einschränken, wie es zum Schutz der Nutzerinnen und Nutzer erforderlich ist. Außerdem darf die Rechtssicherheit nicht vergessen werden, die die Regulierung bietet. EU-Maßnahmen, das haben Beispiele wie die Datenschutzgrundverordnung in der Vergangenheit gezeigt, haben eine Ausstrahlungswirkung. In der Politikwissenschaft wird dies als „Brüssel-Effekt” bezeichnet, der hauptsächlich auf der Qualität der rechtlichen Regelung und ihrer Umsetzung beruht. Oft dauert es nicht lange, bis auch Nicht-EU-Staaten dem Beispiel folgen. Da unser Projekt auf der Regulierung basiert, könnte es also übergreifend Maßstäbe setzen – made in Germany.
Prof. Dr. Dr. Frauke Rostalski ist Inhaberin des Lehrstuhls für Strafrecht, Strafprozessrecht, Rechtsphilosophie und Rechtsvergleichung an der Universität zu Köln. Seit Januar 2019 leitet sie das von der Landesregierung NRW geförderte Zertifizierungsprojekt KI.NRW.
KI-REGION KÖLN
Rund um Köln finden sich hoch innovative KI-Forschungszentren, -Initiativen und -Unternehmen. Dabei profitiert der Standort von den etablierten Einrichtungen der Region – aber auch von Neuansiedlungen.
Forschungszentrum Jülich
Gründung: 1956
Mitarbeiter*innen: ca. 7.000
Das FZ unterstützt deutsche und europäische KI-Projekte auf mehreren Ebenen. So sind Forscher*innen des Zentrums auch an der Entwicklung von OpenGPT-X beteiligt. Vor allem aber verfügt das FZ über eine Reihe sogenannter Supercomputer, deren monumentale Rechenleistung die Nutzung komplexer KI-Modelle überhaupt erst ermöglicht. Mit anderen Mitgliedern der Helmholtz-Gemeinschaft arbeitet man außerdem an KI-Grundlagemodellen, etwa zur Klimadatenanalyse.
AACHEN
JÜLICH
BEDBURG + BERGHEIM
Microsoft Hyperscaler
Gründung: 2024
Investitionsvolumen: 3,2 Milliarden Euro Im Rhein-Erft-Kreis baut der US-Konzern ein Hyperscaler-Rechenzentrum. Datengetriebene Firmen wie Microsoft brauchen diese gigantischen Serverfarmen für ihren täglichen Betrieb und die Entwicklung neuer Anwendungen. Der Rhein-Erft-Kreis bietet sich als Standort an, da sich ganz in der Nähe die wichtigsten europäischen Datenleitungen kreuzen. Teil des Investitionspakets ist eine große KI-Qualifizierungsoffensive für die Menschen der Region.
RWTH
Gründung: 1870
Studierende: ca. 10.000
An Deutschlands wichtigster Technischer Hochschule spielt KI mittlerweile in fast allen Bereichen eine Rolle. Zur Bündelung und Koordinierung dieser Aktivitäten hat die RWTH ein eigenes KI-Center eingerichtet, das die Forscher*innen der Uni sowohl miteinander als auch mit externen Projektpartnern verknüpft – aus der Wissenschaft und der Industrie.
AI Village
Gründung: 2023
Fläche: 120.000 Quadratmeter
Das AI Village ist ein vom Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz gefördertes Verbundprojekt von der Rheinischen Fachhochschule, dem Fraunhofer IAIS, dem KI-Verband und der Stadt Hürth. Im AI Village sollen Startups Ideen entwickeln, Bürger*innen sich weiterbilden und Unternehmen Unterstützung bei der Projektarbeit bekommen. Der Campus wird der traditionell vom Bergbau lebenden Stadt auch dabei helfen, den Strukturwandel im Rheinischen Kohlerevier zu meistern.
DeepL
Gründung: 2009
Mitarbeiter*innen: ca. 900
Das Unternehmen gilt mit einer Milliardenbewertung als wertvollstes KI-Startup Deutschlands (Stand: Juni 2024). Bekannt ist es für seinen Online-Übersetzungsdienst, der mittlerweile Angebote in über 20 Sprachen umfasst. DeepL nutzt speziell trainierte neuronale Netze. Die zugrunde liegende Architektur ist nach Unterehmensangaben speziell angepasst, Details nennt die Firma nicht.
Rheinische Hochschule
Gründung: 1971
Studierende: 6.000
Die staatlich anerkannte Hochschule hat sich selbst einen KI-Schwerpunkt gesetzt. Sie bietet ein eigenes KI-Labor sowie entsprechende Wahlmodule für Studierende. Außerdem ist die Schule einer der Projektpartner des AI Village in Hürth. Dort übernimmt sie die akademische Aus- und Weiterbildung, die einen wichtigen Teil des Projekts ausmachen soll.
DLR
Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt
Gründung: 1907
Mitarbeiter*innen: ca. 4.000 am Standort West
Das DLR hat ein Institut für KI-Sicherheit eingerichtet. Es soll transparente und robuste KI-Systeme entwickeln und vor allem sicherstellen, dass KI, die in der kritischen Infrastruktur zum Einsatz kommt, gegen Bedrohungen wie Cyberangriffe geschützt ist. Auch die Sicherheit des Menschen, etwa beim Einsatz von KI in der Verkehrssteuerung und im autonomen Fahren, spielt eine Rolle.
Fraunhofer FIT
Fraunhofer-Institut für angewandte Informationstechnik
Gründung: 1968
Mitarbeiter*innen: ca. 400
Lamarr-Institut
Gründung: 2022
Mitarbeiter*innen: ca. 100 Das Institut ist eines von fünf KI-Kompetenzzentren, die die Bundesregierung im Rahmen ihrer KI-Strategie fördert. Ein Schwerpunkt ist die Arbeit an ressourcenschonenden KI-Modellen, vor allem der Energieverbrauch soll gesenkt werden. Gemeinsam mit Partnern arbeitet das Lamarr-Institut seit diesem Jahr auch an der KI-gestützten Entwicklung von Arzneimitteln.
Fraunhofer IAIS
Das Fraunhofer FIT teilt sich die Räumlichkeiten mit dem Fraunhofer IAIS und dem Lamarr-Institut. Im Generative AI Lab entwickeln die Forscher*innen eigene Prototypen, vor allem von Large Language Models. Darunter versteht man KI-Systeme, die mit großen Textmengen trainiert werden, um Aufgaben zu lösen. Die Ergebnisse des Labs werden als Open-Source-Lösung der Öffentlichkeit zugänglich gemacht.
Fraunhofer-Institut für intelligente Analyse- und Informationssysteme
Gründung: 2006
Mitarbeiter*innen: ca. 380 Wie das benachbarte FIT befasst sich das Fraunhofer IAIS mit KI-Systemen. Unter anderem ist es führend an der Entwicklung von OpenGPT-X beteiligt. Das Projekt ist eng verknüpft mit dem europäischen Cloud-Projekt Gaia-X, das eine vertrauenswürdige Dateninfrastruktur für Europa bieten soll.
GASTBEITRAG
PERSONALMANGEL ADE: MIT KI UND WEITERBILDUNGEN ZUR WUNSCHBELEGSCHAFT
Der Personalmangel trifft viele Firmen hart. Doch das muss nicht sein.
Kluge Konzepte können Talente anlocken und langfristig binden, dank KI-basierter Personalplanungs- und Schulungstools heute einfacher denn je.
Jens Bergstein
Dr. Achim Hecker
Jens Bergstein ist Berater und Personalexperte bei Kienbaum, einer der wichtigsten HR-Beratungen Deutschlands mit Sitz in Köln. Ende 2023 hat sie die Digital Business University of Applied Sciences (DBU) übernommen, um damit eine Brücke zwischen Unternehmen und Talenten zu schlagen. Dr. Achim Hecker ist Professor für Digital Leadership und Gründer der DBU.
Wer früher einen Job suchte, musste bangen: Kriege ich ihn oder nicht? Dieses Zeitalter ist vorbei. Heute stehen Arbeitgeber im zunehmenden Wettbewerb um selbst durchschnittlich gut ausgebildete Menschen. Fast alle Branchen kämpfen aufgrund des demografischen Wandels mit heftigem Personalmangel – von der IT bis zur Gastronomie. Aus einem Arbeitgebermarkt ist ein Arbeitnehmermarkt geworden.
Unternehmen, die das nicht erkennen, werden in einigen Jahren große Probleme haben, wenn ihnen ITler*innen, Techniker*innen, Servicemitarbeiter*innen oder Assistenzkräfte fehlen. Neue Zahlen des IW Köln zeigen: In Deutschland fehlen eine halbe Million qualifizierte Arbeitskräfte, wodurch der deutschen Wirtschaft Produktionskapazitäten in Höhe von 40 Milliarden Euro fehlen. Das bedeutet im Umkehrschluss: Wer es schafft, Personal zu finden und zu binden, hat einen enormen ökonomischen Vorteil – und das ist weniger kompliziert, als man denkt.
„Im Re- und Upskilling liegt für Unternehmen der größere Hebel”
Unternehmen, die das Thema angehen wollen, müssen zunächst eine Bestandsaufnahme machen: Welche Positionen sind besetzt, welche werden offen sein – und welche neuen Jobs entstehen durch die Digitalisierung? Anschließend wird analysiert, welche Mitarbeiter*innen welche Fähigkeiten und Kompetenzen mitbringen und wo Lücken sind. Hier kommt die Technologie ins Spiel. Mitarbeiter*innen können
sich über Schulungssysteme, Weiterbildungsprogramme und Trainings die notwendigen Kompetenzen aneignen. Moderne Talent-Management-Tools, unterstützt von künstlicher Intelligenz, helfen dabei, den Personalbedarf zu analysieren und mögliche Entwicklungsschritte von Mitarbeiter*innen vorauszuplanen. Sie ermöglichen es auch, diese Entwicklungen zu verfolgen und die Personalabteilung auf Nachbesserungs- oder Redebedarf hinzuweisen. Wo eine Weiterentwicklung nicht möglich ist, kann KI bei der Neubesetzung von außen helfen. Sie kann die nötigen Qualifikationen zusammenstellen und in Form einer Ausschreibung aufbereiten. So wird sichergestellt, dass nur Personen mit den richtigen Skills eingestellt werden.
Unsere Erfahrung zeigt allerdings klar: Im Re- und Upskilling bestehender Mitarbeiter*innen liegt für Unternehmen der größere Hebel, um Fachkräfte zu binden – und für sich zu gewinnen. Denn neue Kompetenzen werden zum Wettbewerbsvorteil. Das haben Arbeitnehmer*innen längst erkannt. Unternehmen, die dies über Bildungsplattformen fördern, haben ebenfalls einen Wettbewerbsvorteil und profitieren von geringerer Fluktuation.
„Unternehmen, die es schaffen, Lernprogramme zu etablieren und zur Kultur des Unternehmens zu machen, sind klar im Vorteil”
Entscheidend bei der Gestaltung der teils virtuellen Lernprogramme ist, dass sie individuell auf die Mitarbeiter*innen zugeschnitten sind. Statt eines umfassenden Neustudiums sind zielgerichtete Fortbildungen entscheidend, die einzelne Aspekte vertiefen. Informatiker*innen können so ins Thema Maschine Learning einsteigen, Buchhalter*innen in generative KI, Mechaniker*innen in die Komplexität von E-Autos, Kellner*innen in die Untiefen der Buchhaltungssoftware. Unternehmen, die es schaffen, solche Lernprogramme zu etablieren und deren Nutzung zur Kultur des Unternehmens zu machen, sind klar im Vorteil.
Darüber hinaus sind eine wertschätzende Unternehmenskultur und eine gute Bezahlung unerlässlich. In einer Welt mit vielen Optionen und Bewertungen auf Onlineplattformen ist Wertschätzung oft mehr wert als ein monetärer Bonus. Unternehmen, die all das bieten, haben große Chancen im Wettbewerb um Talente.
PERSONALARBEIT LEICHT GEMACHT
DIESE KÖLNER STARTUPS WISSEN, WIE ES GEHT.
AUTOMATISIERTES RECRUITING MIT KI
CATCH
Das Kölner Startup Catch unterstützt mittelständische Unternehmen beim Recruiting. Mithilfe von KI sucht es in mehr als 600 Jobportalen nach passenden Bewerber*innen. Damit sollen eigenen Angaben zufolge fünfmal mehr Bewerber*innen auf eine Stelle kommen – und der Personalabteilung deutliche Zeitersparnisse bei der Suche bringen.
Die junge Kölner Firma Candidate Select hat einen Algorithmus entwickelt, der Ausbildungsstationen, Abschlussnoten und Berufserfahrung von Bewerber*innen ins Verhältnis setzt. So werden Abschlüsse über einen „Score” vergleichbar, der Personalverantwortlichen hilft, das beste Talent für eine bestimmte Stelle auszuwählen. Der Talentpool des Startups umfasst nach eigenen Angaben über 80.000 Absolvent*innen.
KI-GESTÜTZTE SOFT-SKILL-TRAININGS
DEEPSKILL
KI und Menschlichkeit in Einklang bringen: Das ist das Ziel des Startups DeepSkill. Es hat eine Lernplattform entwickelt, die Algorithmen einsetzt, um individuelle Lernpfade zu erstellen. Dadurch werden Unternehmen, ihre Mitarbeiter*innen und Führungskräfte in essenziellen „Deep Skills”, wie Führungskompetenz oder Teamarbeit, geschult.
FOODFORECAST
WENN KI DIE
BRÖTCHEN BESTELLT
Eine der größten Herausforderungen für Bäckereien ist die tägliche Entscheidung, wie viele Brötchen, Brote und Kuchen sie benötigen. Das Kölner Startup foodforecast hat eine künstliche Intelligenz entwickelt, die diese Entscheidung trifft – und so erfahrene Bäckereimitarbeiter*innen unterstützt.
Wenn beim Bäcker des Vertrauens ausgerechnet das französische Lieblingsbaguette ausverkauft ist, ist dies nicht nur für die Kund*innen ärgerlich. Auch die deutschlandweit rund 35.000 Bäckereifilialen erleiden Umsatzeinbußen durch verfrühten Abverkauf. Zu viele Baguettes wollen sie jedoch auch nicht vorhalten. Der Idealfall sieht so aus: Bis Ladenschluss werden alle Wünsche der Kund*innen erfüllt – und abends landen nur wenige Produkte in der Tonne.
Gegen Retouren und Verschwendung
Dass dieses Ziel mit einer optimierten Planung zu erreichen ist, verspricht das Kölner Startup foodforecast. Seine künstliche Intelligenz berechnet täglich neu, welche Bestellmenge
für welches Produkt sinnvoll ist. Damit hat das im Jahr 2018 gegründete Unternehmen bereits Kunden in ganz Deutschland gewonnen.
Die Geschäftsidee war das Ergebnis einer Umfrage des Firmengründers Justus Lauten auf LinkedIn. Damals hatte er schon viel Erfahrung mit Startups gesammelt. Während seines Informatikstudiums gründete er ein Carsharing-Unternehmen, das er an einen Konkurrenten verkaufte, später baute Lauten für den Energieversorger innogy ein Unternehmen innerhalb des Konzerns auf. Irgendwann kam der Wunsch auf, selbst noch einmal zu gründen. Über LinkedIn fragte Lauten kleine und mittelständische Unternehmen, vor welchen Problemen sie stünden, die sich mit Technologie lösen ließen.
Zwei Bäckereien meldeten sich, die unabhängig voneinander von hohen Retouren und der damit verbundenen Lebensmittelverschwendung berichteten. Also programmierte Lauten gemeinsam mit zwei weiteren Informatikern eine KI mit hoher Prognosegenauigkeit.
Maschinelles Lernen bei Merzenich
Zur Marktreife gebracht hat foodforecast die KI in Zusammenarbeit mit der Kölner Bäckereikette Merzenich. Anderthalb Jahre dauerte die Testphase. Heute arbeiten alle 69 Merzenich-Filialen mit der intelligenten Software. Die KI ist an das bestehende Kassen- und Warenwirtschaftssystem angeschlossen und hat damit Zugriff auf historische Bestell- und Verkaufsdaten. Diese Informationen werden mit zusätzlichen relevanten Verkaufsfaktoren wie der aktuellen Wettervorhersage, den Schulferien, Feiertagen und weiteren Ereignissen wie drohenden Bahnstreiks kombiniert. Die daraus ermittelten Bestellmengen sind automatisch im Warenwirtschaftssystem hinterlegt. An den Arbeitsabläufen im Betrieb ändert sich nichts.
Um das System kontinuierlich zu verbessern, stellt Lauten der KI regelmäßig Übungsaufgaben, damit die Software neue Lösungswege trainiert. „Das ist wie im Matheunterricht”, erklärt der Startup-Gründer. „Erst werden Übungsaufgaben gelöst, dann kommen Aufgaben hinzu, die der Lehrer vorab nicht genau erklärt hat. Dass das System damit umgehen kann, ist der große Mehrwert unserer Software.”
Während sich die Geschäftsführung von Merzenich Lauten zufolge innovationsfreudig zeigte, hätten einige Mitarbeiter*innen in den Filialen skeptisch reagiert. „Die größte Herausforderung lag darin, beim Personal Vertrauen in die KI zu schaffen”, berichtet der Gründer. Dies gelang schließlich, weil die KI von Beginn an überzeugende Ergebnisse lieferte. „Die Prognosegenauigkeit liegt bei 95 Prozent. So lassen sich durchschnittlich 30 Prozent der Retouren einsparen. Das
Bis zu 19 Prozent überschüssige Backwaren bleiben am Ende eines Verkaufstags in Bäckereien übrig.
Quelle: WWF, 2018
macht sich hinter der Theke bemerkbar und hat letztlich auch die skeptischen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter überzeugt.” Nur ein Faktor bringt die KI trotz maschinellem Lernen immer noch an ihre Grenzen: Karneval. Die närrische Zeit ist für den Algorithmus offenbar schwer zu verstehen. „Die KI erhöht die Anzahl der Berliner an Karneval zwar um das Dreifache, verkauft wird aber mindestens das Zehnfache”, erzählt Lauten. Der Geschäftsführer ist sich aber sicher, dass die KI auch hier jedes Jahr dazulernt und sich die Prognosegenauigkeit an Karneval in den kommenden Jahren verbessern wird.
Fürs Wachstum gut aufgestellt
Aktuell sind 1.500 Verkaufsstationen mit der Software des Kölner Startups ausgestattet. Das System ist in Bäckereiketten wie Merzenich, Dat Backhus und Göing im Einsatz, zunehmend aber auch im Einzelhandel und in der Gastronomie, unter anderem für mehr als 400 Backshops von Aldi Nord und bei der Restaurant- und Lieferdienstkette Beets & Roots. „Seit 2023 sind alle Unternehmen, die unsere rund dreimonatige Testphase genutzt haben, zu zahlenden Kunden geworden”, freut sich Lauten. Wer kein eigenes Warenwirtschaftssystem hat, kann eine von foodforecast bereitgestellte Bestellplattform mit integriertem Produktionsplan nutzen.
Für zukünftiges Wachstum sieht sich das Startup gut aufgestellt, was Lauten auch am Standort Köln festmacht. „Köln bietet ein gutes Umfeld für Gründer*innen. Das hat mit der Mentalität der Menschen zu tun, die offen für neue Denkweisen sind. Und Köln ist natürlich die spannendste Stadt in ganz Nordrhein-Westfalen, was uns für potenzielle neue Mitarbeiter*innen interessant macht.”
Von den Vorzügen der Stadt können sich bald auch die ersten ausländischen Geschäftspartner von foodforecast überzeugen, wenn sie das 17-köpfige Startup besuchen. Erste Unternehmen aus Österreich konnte foodforecast jüngst für die Kölner KI gewinnen.
600.000 Tonnen Brot, Brötchen und andere Backwaren bleiben jährlich in Deutschland unverkauft.
Quelle: WWF, 2018
21.000 Euro an Umsatz verliert jede Bäckereifiliale durchschnittlich im Jahr aufgrund zu früher Abverkäufe. Quelle: foodforecast, 2024
KÜNSTLICHE INTELLIGENZ
WAS WAR IHRE
MUTIGSTE ENTSCHEIDUNG?
Prozesse optimieren, neue Marktchancen erschließen, das Kundenerlebnis verbessern: Der Einsatz von künstlicher Intelligenz im Unternehmen kann zum Wettbewerbsvorteil werden. EXPRESS.de-Redaktionsleiter Christian Spolders und „Zukunftsbauer” Peter Zens zeigen, wie sie die Technologie einsetzen – und warum sich der Schritt lohnt.
KI im Journalismus:
Auf Skepsis folgte Produktivität
Christian Spolders, Redaktionsleiter EXPRESS.de
„Seit gut einem Jahr haben wir bei EXPRESS.de nun unsere KI-Redakteurin Klara Indernach im Einsatz. Die Idee dazu entstand Ende 2022. Damals machte ChatGPT von sich reden, und wir beschlossen, intensiver auf das Thema KI zu setzen. Eine künstliche Intelligenz, die Texte schreibt, kann unsere Redakteurinnen und Redakteure deutlich entlasten. Als die Tests funktionierten, haben wir Klara auf EXPRESS.de implementiert und weisen seitdem in unseren Guidelines unter jedem KI-Artikel transparent darauf hin. Wir haben der KI einen Namen gegeben, weil das den Umgang mit ihr als ‚Kollegin‘ erleichtert und Vorbehalte abbaut.
Von Chatbots bis Smart Farming: KI-Revolution für die Landwirtschaft
Peter Zens, Erlebnisbauernhof Gertrudenhof
„Auf dem Gertrudenhof versuchen wir von jeher, das Wissen früherer Generationen zu sammeln und mit modernen Technologien zu verbinden. Ich arbeite ständig daran, unseren Erlebnisbauernhof zukunftsfähig zu machen. Dies gelingt bei uns wie auch in anderen Unternehmen nur, wenn wir die drei Säulen der Nachhaltigkeit – Ökonomie, Ökologie und Soziales – zusammendenken. Moderne Technologien und KI können dabei der Schlüssel sein.
Besonders von Medienjournalist*innen wurden wir damals kritisch beäugt. Doch nachdem die erste Kritikwelle abgeebbt war, erhielten wir viele positive Rückmeldungen – auch von Verantwortlichen anderer Medienhäuser. Natürlich gab es auch skeptische Stimmen in unserer eigenen Redaktion. Die Frage, ob wir in Zukunft alle von Maschinen ersetzt werden, drängte sich bei einigen auf. All diese Gedanken haben wir immer zugelassen, intern viele Gespräche geführt. Gleichzeitig wollen wir mutig, progressiv und experimentierfreudig sein.
Auch wenn wir bei Artikeln teilweise auf KI setzen: Es ist immer noch ein Mensch, der sie steuert. Die Kernaufgabe des Journalismus hat sich dadurch nicht verändert. Wir wollen Missstände aufdecken, mit Menschen sprechen, Ereignisse einordnen. All das können aktuell nur Menschen, KI ist für uns lediglich ein Werkzeug. Unsere Redakteur*innen können es nutzen, müssen es aber nicht. Doch je routinierter sie damit umgehen, desto mehr Zeit gewinnen sie für andere Themen oder eigene Recherchen. Inzwischen wird bei uns mehr als jeder zehnte Artikel mit KI geschrieben. Sie werden genauso oft gelesen wie Texte, die ohne KI entstanden sind, und für unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ist die Technologie längst Teil des Alltags. Ich kann Unternehmer*innen nur raten, mutig zu sein, die eigenen Mitarbeiter*innen mitzunehmen – und auch die Nerven zu bewahren, wenn es gerade am Anfang mal nicht so läuft wie geplant.”
Christian Spolders ist seit 2020 Redaktionsleiter bei EXPRESS.de. Das Boulevard medium gehört zum Kölner Verlagshaus DuMont.
So setzen wir zum Beispiel einen Chatbot auf unserer Homepage ein. Bevor wir den hatten, klingelte das Telefon den ganzen Tag. Wir bekamen immer wieder Anrufe mit den gleichen Fragen, zum Beispiel ob man einen Hund mitbringen kann. Der Chatbot nimmt uns bei genau solchen Anfragen viel Arbeit ab, und er liefert unseren Kundinnen und Kunden sekundenschnell eine Antwort. Jetzt können sich unsere Mitarbeiter*innen im Kundenbüro wieder stärker auf ihre eigentlichen Aufgaben konzentrieren. Kann der Bot einmal nicht weiterhelfen, verweist er auf eine E-Mail-Adresse, an die Rückfragen geschickt werden können.
Aber auch in der klassischen Landwirtschaft kann KI helfen. Im Januar 2025 starten wir ein dreijähriges Projekt mit der Technischen Hochschule Köln, um den Einsatz von KI im Vertical Farming zu testen, also beim Anbau von Pflanzen im Gewächshaus in mehreren Ebenen übereinander. Wenn Supermärkte künftig kleine ‚vertikale Farmen‘ betreiben, zu denen die betreuenden Landwirtinnen und Landwirte nicht ständig selbst hinfahren müssen, wäre viel gewonnen. KI könnte den Zustand der Pflanzen überwachen und weitergeben, was zu tun ist. So können wir Ernährung sichern, Biodiversität erhalten, Transportwege reduzieren und das Klima schützen.
Natürlich besteht immer das Risiko, jetzt Zeit und Geld in eine KI zu investieren, die in wenigen Jahren schon wieder überholt ist. Davon sollte man sich nicht abschrecken lassen. Wer jetzt nicht einsteigt, verliert den Anschluss und hat es später umso schwerer. Es erfordert Zeit, Mut und Pioniergeist, aber es lohnt sich. Das erleben wir auf dem Gertrudenhof täglich.”
Peter Zens ist Geschäftsführer und Inhaber des Erlebnisbauernhofs Gertruden hof in Hürth. Aufgrund seines kontinuierlichen Engagements für die nachhaltige Modernisierung der Landwirtschaft wird er als „Zukunftsbauer” bezeichnet.
KURZ GEFASST
KÖLN KANN KI
Künstliche Intelligenz – ja, gern. Aber wo anfangen, ohne sich zu verzetteln? Eine Auswahl an Beratungsstellen, die Unternehmer*innen bei der Digitalisierung helfen
COLOGNE AI AND MACHINE LEARNING MEETUP
Das Cologne AI and Machine Learning Meetup, kurz CAIML, bietet eine Plattform für alle, die sich in Köln für künstliche Intelligenz und maschinelles Lernen interessieren. Das Meetup organisiert regelmäßige Veranstaltungen mit Vorträgen zu aktuellen Themen der KI sowie Möglichkeiten zum Netzwerken. Die Treffen richten sich sowohl an Branchenexpert*innen als auch an Neulinge im Bereich der KI.
STARTPLATZ
Seit 2012 unterstützt die STARTPLATZ Köln GmbH als Inkubator und Accelerator die Entwicklung von Startups und jungen Unternehmen. Sie bietet Büroräume, Coaching und Veranstaltungen für Startups an. Seit diesem Jahr konzentriert sich der STARTPLATZ verstärkt auf das Thema KI. Der STARTPLATZ AI Hub veranstaltet regelmäßig Workshops, Events und Bootcamps.
KI.NRW
KI.NRW ist die zentrale Anlaufstelle für künstliche Intelligenz in Nordrhein-Westfalen. Sie beschleunigt den Transfer von KI aus der Spitzenforschung in die Wirtschaft, fördert die berufliche Qualifizierung und den gesellschaftlichen Dialog. KI.NRW bietet Unternehmen kostenfreie Beratung, einen KI-Showroom zur Erkundung von KI-Demonstratoren sowie verschiedene Workshop-Formate wie KI-Design-Sprints und Shadowing zur Potenzialanalyse.
NACHGEFRAGT
„KI
IST KEIN SELBSTZWECK”
Herr Dr. Reuter, was erschwert Unternehmer*innen den Einstieg in die Digitalisierung?
Die eigenen Geschäftsmodelle und internen Prozesse sind oft tief verwurzelt, und viele Informationen über die genauen Abläufe liegen zwar in den Köpfen der Mitarbeiter*innen, wurden aber nie in ausreichender Qualität dokumentiert. Eine weitere Hürde ist die Vielzahl von KI-Lösungen, die es vielen Unternehmer*innen erschwert, die richtige auszuwählen.
Was raten Sie diesen Unternehmer*innen?
KI ist kein Selbstzweck. Sie müssen Ihre eigenen Prozesse verstehen und identifizieren, wo eine Digitalisierung zu einer Effizienzsteigerung oder verbesserten Kundenerfahrung führen kann. Erst im zweiten Schritt finden Sie die geeignete digitale Lösung – mit oder ohne KI. Einrichtungen wie KI.NRW und KölnBusiness unterstützen dabei mit kostenlosen Beratungen.
Wie hilft das Digitalnavi bei Digitalisierungsvorhaben?
Das Digitalnavi bietet einen klaren und strukturierten Überblick über die besten kostenfreien Unterstützungsangebote im Bereich der Digitalisierung. Es hilft dabei, sich über technologische Trends zu informieren und so Digitalisierungsprojekte umzusetzen. Dies umfasst Fragen zur Projektplanung, Förderung, Prozessanalyse und der Umsetzung im eigenen Unternehmen.
Dr. Cédric Reuter ist Innovationsmanager Technologietransfer im Team Transformation bei KölnBusiness mit den Schwerpunkten Digitalisierung und Wissenschaft.
FOTOREPORTAGE
ZWISCHEN WELTEN
Drei Millionen Besucher*innen jährlich und mehr als 54.000 ausstellende Unternehmen aus 122 Ländern: Seit 100 Jahren werden bei der Koelnmesse Geschäfte gemacht. Heute ist der Handelsplatz am Rhein einer der größten der Welt. Nur an wenigen Tagen im Jahr steht das Messegelände still.
Dann gibt es den Blick frei auf Architektur und Design, auf technische Details und Innovationen.
TREFFPUNKT
DER WELTMÄRKTE
Hinter den Kulissen der Koelnmesse GmbH sorgen rund 800 Mitarbeiter*innen dafür, dass gut 40 Veranstaltungen allein in Köln realisiert werden können. Für mehr als 25 Branchen sind diese Veranstaltungen die Weltleitmessen. Zu ihnen gehören die Anuga, die ISM und die gamescom.
CONFEX: EIN NEUER MASSSTAB
Mit dem neuen Confex bietet der Standort Köln erstmals die Möglichkeit, mehr als 6.000 Kongressgäste an einem Ort zusammenzubringen. Es umfasst zwei Konferenzebenen mit 22 Räumen unterschiedlicher Größe. Die Confexhall ist dreifach teilbar und für bis zu 4.300 Besucher*innen ausgelegt. Durch die direkte Anbindung an weitere Hallen kann das Confex um zusätzliche Räume und Flächen erweitert werden.
RAUM FÜR GROSSES
Mit einer Hallen- und Außenfläche von rund 400.000 Quadratmetern gehört das Kölner Messegelände zu den größten der Welt. Elf Messehallen, zwei Kongresszentren und ein 100.000 Quadratmeter großes Freigelände bieten Raum für Messen, Kongresse, Tagungen und Events.
MILLIARDENMOTOR FÜR DIE REGION
Die Internationalität der Kölner Messen ist eine der höchsten der Welt: Im Durchschnitt kommen rund 80 Prozent der Aussteller*innen und über 50 Prozent der Besucher*innen aus dem Ausland. Insgesamt generieren die Besucherinnen und Besucher der Koelnmesse jährlich rund eine Milliarde Euro Umsatz für Köln und die Region. Sie übernachten in Hotels, besuchen Restaurants und kaufen in den Geschäften der Stadt ein. Rund 40 Prozent der Übernachtungen in Köln gehen nachweislich auf Messegäste zurück. 18.000 Arbeitsplätze hängen direkt oder indirekt an der Koelnmesse, allein 11.000 davon in Köln.
GLOBAL VERNETZT, REGIONAL VERANKERT
Neben den Veranstaltungen in Köln expandiert die Koelnmesse auch international. Mit Tochtergesellschaften und Repräsentanzen in gut 100 Ländern organisiert sie Messen in Nord- und Südamerika sowie in Asien. In Asien werden rund 20 eigene Messen in Kooperation mit lokalen Branchenorganisationen und Messeveranstaltern realisiert. Viele davon sind Leitmessen in ihrer Region, so die interzum guangzhou und die THAIFEX – Anuga Asia in Bangkok.
NACHGEFRAGT
INNERSTÄDTISCHE MESSEPLATZ DER WELT” „KÖLN WIRD DER ATTRAKTIVSTE
Die Koelnmesse feiert ihr 100-jähriges Bestehen. Anlässlich des Jubiläums spricht Messechef Gerald Böse über den Weg aus der schwersten Krise der Unternehmensgeschichte, das neue Konferenzzentrum und die Internationalisierung.
Herr Böse, die Koelnmesse ist 100 Jahre alt geworden. Wie steht es im Jubiläumsjahr um den Messestandort?
Wir haben uns von der schwersten Krise gut erholt. Während der Coronapandemie hatten wir ja quasi ein Arbeitsverbot. Die letzten Geschäftsjahre haben aber gezeigt, dass das Interesse an Messen ungebrochen ist. Der Mensch ist ein soziales Wesen, das ändert sich nicht. Insgesamt stehen wir also wieder sehr gut da, fast auf dem Niveau vor der Pandemie.
Eine überstandene Pandemie, neue politische Krisen – vor welchen Herausforderungen steht die Koelnmesse heute?
Die Pandemie war nicht die erste Krise, die ich als Geschäftsführer managen musste. Und sie wird auch nicht die letzte gewesen sein. Als ich 2008 hier anfing, befand sich die Koelnmesse in einer existenzbedrohenden finanziellen Situation. Das konnten wir durch eine konsequente Restrukturierung beheben. Heute machen uns politische Krisen und die zunehmende Polarisierung der Welt zu schaffen. Wir sind einer der internationalsten Messestandorte der Welt, rund 54 Prozent unserer Besucherinnen und Besucher kommen nicht aus Deutschland. Gibt es Reisebeschränkungen oder politische Spannungen, ist das nicht gut für uns.
Wie reagieren Sie auf diese veränderte Weltlage?
Wenn die Menschen nicht zu uns kommen können, kommen wir zu ihnen. Deshalb treiben wir die Internationalisierung unseres Geschäfts voran. Wir bespielen Standorte auf der ganzen Welt, in Europa, Asien oder Südamerika. Natürlich
Gerald Böse ist seit 2008 Vorsitzender der Geschäftsführung der Koelnmesse. Insgesamt arbeitet er seit mehr als 35 Jahren im Messegeschäft, vor seinem Engagement in Köln unter anderem in München, Düsseldorf und Karlsruhe.
Zeit- und Budgetrahmen, was heutzutage keine Selbstverständlichkeit ist. Jetzt können mehr als 6.000 Kongressgäste gleichzeitig tagen, eine Größenordnung, für die es in Köln bisher keine Option gab.
Was sind die Vorteile der Hybridbauweise?
Die Anforderungen an Messen verändern sich. Früher ging es darum, möglichst viel Fläche an die Aussteller zu vermieten. Das ist heute anders, manche Firmen fusionieren, andere kommen aufgrund der politischen oder wirtschaftlichen Situation mit kleineren Ständen. Das verringert den Flächenbedarf. Dafür wird das Rahmenprogramm mit Content wichtiger, der Mehrwert, den die Gäste über die reine Produktschau hinaus von einem Präsenzevent erwarten.
Sind Hybridveranstaltungen zwischen Kongress und Messe ein Erfolgsrezept für die Zukunft?
Es ist auf jeden Fall eine wichtige Ergänzung und ein Weg, der das Messegeschäft verändert. Der Markt ist sehr gesättigt, neue Formate müssen etwas Besonderes bieten, um Besucherinnen und Besucher anzuziehen. Wenn es neben der reinen Messe zusätzlich einen fachlich passenden Kongress zum Netzwerken gibt, dann überlegen sich die Gäste eher, nach Köln zu kommen.
Köln wird also als Messestandort relevant bleiben?
ohne unsere Messen am Standort Köln zu kannibalisieren. Ein schönes Beispiel ist die Anuga, die wir neben Köln seit vielen Jahren sehr erfolgreich auch in der thailändischen Hauptstadt Bangkok veranstalten. Dort hat im Mai ein chinesischer Landwirtschaftsbetrieb neun Quadratmeter gemietet, um Bioorangen und Fruchtsäfte zu präsentieren. Schon am ersten Messetag schloss der Händler mit dem winzigen Messestand einen Vertrag über 87 Millionen US-Dollar ab. Mit einer Investition in einen neun Quadratmeter großen Stand innerhalb weniger Stunden einen zweistelligen Millionenumsatz zu generieren ist sensationell und selten. Aber diese Geschichte zeigt die Dynamik, mit der eine von uns organisierte Messe Angebot und Nachfrage auch im Ausland gewinnbringend zusammenfügt.
Sie expandieren international. Am Standort Köln haben Sie im Sommer das Confex eröffnet.
Genau. Bis 2040 wollen wir rund eine Milliarde Euro in den Ausbau und die Modernisierung unseres Messegeländes investieren. Ziel ist es, der attraktivste innerstädtische Messeplatz der Welt zu werden. Ein wichtiger Meilenstein ist das neue Confex, ein Hybrid aus Konferenzzentrum und Messehalle. Damit ist es deutlich flexibler als unsere klassischen Hallen. Wir haben es parallel zur Jubiläumsfeier eröffnet – im
Auf jeden Fall. Nicht nur die hohe Internationalität spricht für uns, sondern auch die zentrale Lage in Europa. Hinzu kommt das große Angebot an Hotels und Gastronomie, das Köln als Standort attraktiv macht. Für die Stadt ist die Messe natürlich auch ein wichtiger Wirtschaftsfaktor. Unsere Besucherinnen und Besucher geben jährlich rund eine Milliarde Euro in Köln und der Region aus, die sogenannte Umwegrendite. Bundesweit liegt die bei rund zwei Milliarden Euro. Zudem hängen 18.000 Arbeitsplätze direkt oder indirekt an der Koelnmesse, allein 11.000 davon in Köln. Es profitieren also alle Seiten.
REPORTAGE
HEIMVORTEIL
Das Kölner Indie-Games-Studio Critical Rabbit hat mit „Fall of Porcupine” seinen ersten Erfolg gefeiert. Nun sucht Geschäftsführer und Entwickler Sebastian Heße Investor*innen für sein neues Spiel „Project Tortuga”. Die Entwicklerkonferenz devcom und die gamescom könnten seine Chance sein.
Dienstagmittag, 14 Uhr. Nur noch wenige Tage bis zur devcom. Im Studio von Critical Rabbit werkeln Sebastian Heße und Mitgründer Florian Rüttger konzentriert an ihrem Stand für die Entwicklerkonferenz, die in einer Woche den Auftakt zur diesjährigen gamescom bilden wird. Aus einfachem Holz haben sie eine kleine Präsentationsfläche gebaut. Es ist kein glamouröser Stand, aber er erfüllt seinen Zweck: Aufmerksamkeit auf „Project Tortuga” zu lenken, ihr neuestes Spiel, für das sie dringend Investor*innen suchen. Insgesamt 250.000 Euro benötigen die Gründer des Videospielstudios, die Film- und Medienstiftung NRW hat bereits die Herstellungsförderung zugesagt. Jetzt fehlt noch der Rest, um etwa ein Dutzend Mitarbeiter*innen zu bezahlen: Grafikdesigner*innen, Co-Autor*innen, Tonspezialist*innen. Sie alle zusammen sollen ein
Spiel entwickeln, bei dem es um die Reise einer Meeresschildkröte geht, so viel steht fest. Und im besten Fall wird es ein Hit, made in Cologne. Das ist der Traum.
Auf einem Bildschirm an der Rückwand läuft der Trailer ab: Eine Hütte am Strand, im schummrigen Licht hängen Landkarten und Fotos – das ist der erste Eindruck, den Besucher*innen von dem Projekt bekommen. Schnell wird klar, es geht um die Plastikverschmutzung der Meere. Ein mutiges Thema, doch es passt zu Critical Rabbit, dem Kölner Indie-GamesStudio, das mit „Fall of Porcupine” bereits einen ersten Erfolg gefeiert hat. Das Spiel handelt von einem jungen Assistenzarzt und thematisiert die Probleme des Gesundheitssystems: Pflegekrise, Privatisierung, Überforderung.
Die Blase ist geplatzt
Heße und Rüttger wissen, dass es eine schwierige Zeit ist, Investor*innen zu finden. „Es macht gerade gar keinen Spaß”, sagt Heße. Die Branche ist seit Monaten in Krisenstimmung. Weltweit kam es zu Entlassungen und Studioschließungen, auch Heße musste die Hälfte seines Teams gehen lassen. Dabei sah es lange so aus, als könnte es für die Gamingindustrie nur in eine Richtung gehen: aufwärts. Die Coronapandemie lockte die Menschen vor die Konsolen. Allein 2020 wuchs der Umsatz der Branche um 32 Prozent. Für viele Entwicklerstudios eröffneten sich neue Möglichkeiten, Ideen, die lange auf eine Finanzierung gewartet hatten, bekamen eine Chance. Davon profitierte auch Heße. Ursprünglich Filmhochschulabsolvent und Werbefilmer, brachte er sich das Programmieren selbst bei und gründete mit Florian Rüttger, seinem damaligen Chef der Kölner Werbeagentur Buntspecht, das Studio Critical Rabbit. Investor*innen für ihr erstes Projekt zu finden war nicht schwer. „Die Publisher waren über jede Idee glücklich, die sie unterstützen konnten”, sagt Heße rückblickend. Neben der Unterstützung von Assemble Entertainment erhielten sie auch hier eine Förderung von der Film- und Medienstiftung NRW.
2023 kommt „Fall of Porcupine” auf den Markt und erhält viel Zuspruch. Heße gewinnt den Deutschen Entwicklerpreis in der Kategorie Beste Story und wird in gleich vier Kategorien für den Deutschen Computerspielpreis nominiert. Aber nicht nur bei den Jurys kommt das Kölner Spiel gut an. Zehntausende Male wurde es bisher verkauft. Auch ein Jahr später ist das Spiel noch beliebt und ermöglicht dem Studio bis heute kleine, aber konstante Einnahmen. Wenn erst einmal ein paar Spiele veröffentlicht sind, so die Hoffnung, wollen Heße und Rüttger Games aus eigener Tasche finanzieren – doch dafür müssen sie wachsen. „Project Tortuga” soll dabei helfen. Es soll Critical Rabbit durch die Krise bringen.
Netzwerk und Unterstützung für Kölns Gamingindustrie
Köln als Standort bietet Studios dafür wichtige Rahmenbedingungen. Das dichte Netzwerk von globalen Konzernen wie Electronic Arts oder der ESL FACEIT GROUP und die vielen kleinen und mittelgroßen Gamingunternehmen in der Stadt ermöglichen den kontinuierlichen Austausch von Wissen und Ideen, wovon junge Player wie Critical Rabbit profitieren können. Durch das Cologne Game Lab an der Technischen Hochschule steht zudem eine qualifizierte Nachwuchsschmiede zur Verfügung, die den Zugang zu gut ausgebildeten Talenten erleichtert.
Gerade in Zeiten wie diesen ist die Unterstützung durch Initiativen wie das geplante Cologne Games Syndicate von KölnBusiness entscheidend. „Dieser Verein soll jungen Studios dabei helfen, ihr Wachstum zu beschleunigen und ihre unternehmerische Professionalität zu stärken”, erklärt Christoph Kohlhaas, Experte für Gaming und E-Sports bei der KölnBusiness Wirtschaftsförderung. „Zudem wollen wir den Austausch von Wissen, technologischen Entwicklungen und innovativen Ideen fördern. Ziel ist es, Köln als Hotspot in der europäischen Games-Landschaft zu positionieren und den gesamten Games-Standort Nordrhein-Westfalen wettbewerbsfähiger zu machen. Rund 20 Studios und Partner haben bereits ihr Interesse bekundet.”
Und dann ist da noch die gamescom. Die größte Videospielmesse der Welt mit 335.000 nationalen und internationalen Besucher*innen. „Das alles und noch viel mehr macht Köln zu einer der wichtigsten und spannendsten Games-Städte”, sagt Felix Falk, Geschäftsführer von game, dem Verband der deutschen Games-Branche. „Die gamescom ist ein ganz entscheidender Impulsgeber für die globale Games-Branche. Sie bildet zudem den perfekten Rahmen, um Partner und Investoren zu treffen.” Genau diese Chance wollen Heße und Rüttger nutzen – und das beginnt auf der devcom.
devcom-Jury-Preis für die Meeresschildkröte
Der Stand ist gebaut, der Trailer lockt viele devcom-Besucher*innen an. Es werden Visitenkarten getauscht. Doch der eigentliche Höhepunkt folgt am letzten Abend der devcom. Auf der European Game Night darf Heße mit neun anderen Studios vor Publishern und Investoren aus ganz Europa pitchen. Sebastian Heße, ein schlanker Mann mit langen blonden Haaren, Bart und Brille ist ein bekanntes Gesicht in der Branche, er tritt selbstbewusst auf. Trotzdem ist er nervös. Er geht seine Rede ein letztes Mal durch. Drei Minuten hat er Zeit, um das Publikum von seiner Idee zu überzeugen. Dann ist er endlich dran. Und es passiert das, womit Heße selbst am wenigsten gerechnet hat.
Critical Rabbit hat die Jury überzeugt und gewinnt den Pitch vor Studios aus Frankreich, Spanien, Malta und der Schweiz. Überrascht betritt Heße die Bühne, nimmt die Urkunde in Empfang und setzt zu einer Rede an: „Danke, dass ihr noch in der Spielebranche seid. Lasst uns versuchen, wieder dahinzukommen, zusammen Spiele zu machen.” Zwar ist mit dem Sieg nicht sicher, ob er Investor*innen finden wird, doch die Unsicherheit der vergangenen Monate ist für einen Moment wie weggeblasen.
Die Hoffnung wächst
Zwei Tage später. Es ist Donnerstag, gamescom, der erste Tag der Besuchermesse und der vorletzte Tag für die Profis. Mittags spielt Gnu, eine bekannte Streamerin, „Fall of Porcupine” auf der Bühne der Film- und Medienstiftung NRW. Besonders das Thema des Spiels berührt viele: „Bin auch in der Pflege, finds super, dass das Thema mal aufgegriffen wird!”, schreibt eine Userin im Chat. „Sieht furchtbar cute aus”, schreibt ein anderer. Solche Momente sind wichtig für Heße. „Wir sitzen 50 Wochen im Jahr vorm Bildschirm”, sagt er. „Da merkt man, warum man den Job gerne macht.” Diese positive Haltung nimmt Heße mit in den Abend. Auf der Branchenparty spricht er mit vielen möglichen Unterstützer*innen. Die Hoffnung wächst. Zwei Gespräche sind vielversprechend, eins fühlt sich besonders aussichtsreich an. Doch was sich daraus ergibt, wird Heße erst in den nächsten Wochen erfahren. Publisher gehen noch einmal jede vorgestellte Idee durch und entscheiden erst im Nachhinein, welchem Studio sie ihr Geld geben. Vielleicht ruft dann auch einer bei Heße an – und die Reise der Meeresschildkröte kann beginnen.
Games-Standort Köln
70+
Branchenunternehmen in Köln
1.600
Mitarbeiter*innen in der Games-Branche
Cologne Game Lab an der TH Köln als Ausbildungsort und mit eigenem Inkubator zur Unterstützung von Startups
Veranstaltungen
gamescom, devcom, Intel Extreme Masters Cologne, Deutscher Entwicklerpreis, Indie Game Fest
335.000
nationale und internationale Besucher*innen bei der gamescom 2024
FOTOALBUM
DER KUNSTVERSTEHER
Daniel Hug hat der ART COLOGNE wieder zu altem Glanz verholfen und sie zu einer der wichtigsten Kunstmessen in Europa gemacht. Für usp köln zeigt er, wie ihm das gelungen ist – und öffnet sein Fotoalbum.
KUNST UND KINDHEIT IN ZÜRICH
„Schon als Kind war ich von Kunst umgeben. Meine Mutter ist die Tochter von László Moholy-Nagy, einem der Begründer des Bauhausstils, mein Vater war Architekt. Meine ersten Jahre habe ich in Zürich verbracht. Die Aufnahme stammt aus dem Jahr 1961, ich muss zweieinhalb Jahre alt gewesen sein. Ich sitze auf einer Skulptur vor der Predigerkirche, unsere Wohnung war nur wenige Meter entfernt. Die Skulptur stammt von Eduardo Chillida, einem baskischen Bildhauer. Rechts daneben war die Galerie Maeght. Da standen immer verschiedene Skulpturen. Sie haben mich fasziniert. Man konnte darauf klettern, das war schön. Ich habe immer schon auch das Haptische an der Kunst geliebt.”
PER REZEPT ZUR VERNISSAGE IN CHICAGO
„Nach der Trennung meiner Eltern zog meine Mutter mit uns nach Michigan in die USA. Ich studierte Malerei an einer Kunsthochschule in Chicago. Dann wechselte ich zur Fotografie. Nach meinem Abschluss 1992 wollte ich eigentlich Künstler werden. Aber es war eine schwere Zeit, es gab keine Jobs und kaum Galerien.
1997 beschloss ich also, einfach selbst eine zu eröffnen. Darüber wollte ich auch Kontakt zu einer anderen Galerie aufbauen, die meine Bilder ausstellt. Denn das tat man damals nicht – die eigenen Werke in der eigenen Galerie zeigen. Ich nannte sie RX Gallery, in Anlehnung an Apotheken in den USA, die oft mit Buchstaben im Namen arbeiten. Die Einladungen zu meinen Ausstellungen habe ich als Rezepte herausgegeben, jedes mit einem Stempel. In Chicago gab es aber noch eine andere Galerie, von Michael Hall, einem hochintelligenten Kunsttheoretiker. Sie war besser, aber er hatte keine guten Räumlichkeiten. Dann haben wir uns 1998 im Chicago Project Room zusammengetan. Ich habe viel von ihm gelernt. Damals konzentrierten wir uns darauf, lokale Künstlerinnen und Künstler zu fördern, darunter Henrik Plenge Jakobsen. Er stellte bei uns seine ‚Cuban Embassy‘ aus.”
PHARAONIN MIT SPORTBRILLE: DEUTSCHE KÜNSTLER*INNEN IM FOKUS
GALERIEN ZUFRIEDEN, PRESSE BEGEISTERT:
DIE ERSTE NEUE ART COLOGNE
„2008 rief mich Meyer Voggenreiter an und fragte, ob ich die Leitung der Messe übernehmen wolle. Die ART COLOGNE war damals ziemlich am Boden. Ich habe die Messe dann besucht und mir viele Notizen gemacht, was meiner Meinung nach falsch lief. Unter anderem war sie viel zu groß. Außerdem war die Messe von den alten Hallen, in denen jetzt RTL sitzt, in die neuen Hallen umgezogen. Die neuen Hallen stammten aus den 1980er-Jahren, sahen deprimierend aus und hatten vier Eingänge. Das war schlecht, denn dadurch verliefen sich das Publikum und die Käuferinnen und Käufer. Sammlerinnen und Sammler müssen mitbekommen, wo andere gerade etwas kaufen, das motiviert auch sie, schnell Kunstwerke zu erwerben. Es gab nicht einmal eine klassische Eingangshalle. Zudem war die Beleuchtung schlecht.
Ich habe dann unter anderem einen internationalen Beirat organisiert. Außerdem habe ich die Messe verkleinert, ich habe viele Aussteller rausgeschmissen. Beides hat die Qualität gesteigert. Zudem sind wir in eine schönere Halle umgezogen. Dann bin ich auf Akquise gegangen, habe mein Netzwerk genutzt, um Galerien zu überzeugen, im nächsten Jahr in Köln auszustellen. Und am Ende? Unsere erste neue ART COLOGNE war ein voller Erfolg. Auch die Presse war begeistert.”
„Eine Messe zu veranstalten ist unfassbar anstrengend. Man arbeitet monatelang darauf hin, dann muss an den vier Messetagen alles passen. Und immer wieder passieren Dinge, die sich nicht verhindern lassen. 2010 kam uns der isländische Vulkan Eyjafjallajökull in die Quere. Alle Aussteller*innen waren vor Ort, nur die Sammler*innen konnten nicht kommen. Inzwischen stellen wir hier in Köln zu 60 Prozent Werke von deutschen Künstler*innen aus, der Rest kommt aus dem Ausland. In internationalen Rankings liegt die Art Basel noch vor uns, aber das ist auch nicht verwunderlich, die Messe setzt viel weniger auf lokale Künstler*innen. Davon gibt es in der Schweiz einfach nicht so viele.
Wir wollen deutsche Künstler*innen unterstützen, dafür wurde die ART COLOGNE einst gegründet. Seit 2012 gestalten zum Beispiel Studierende der Kunsthochschule für Medien Köln exklusiv eine Kölschstange und erhalten auf der ART COLOGNE einen Preis. Jeden Donnerstag haben Studierende zudem freien Eintritt zur Messe. Der Erfolg lässt sich auch an den ausgestellten Kunstwerken ablesen. Die Skulptur hier stammt von Isa Genzken. Im Grunde hat sie diesem Replikat einer Pharaonin nur eine Sportbrille aufgesetzt. Das Werk war mit einer Million Euro eines der wertvollsten, die wir je ausgestellt haben.”
WAS GUTE GALERIST*INNEN AUSMACHT
EIN DINO FÜR DIE EIGENE SAMMLUNG
„Ich liebe das Bild, ich liebe den Humor. Es war nach Covid, und wir standen alle so ein bisschen vor der Frage: ‚Was kann jetzt noch passieren?‘ Mir gefällt die Anspielung auf unseren Umgang mit der Coronakrise. Anstatt uns um unsere Existenz zu sorgen, machten wir uns Gedanken um die Wirtschaft. Außerdem finde ich die Farben schön. Das Bild ist ziemlich groß und hängt bei mir zu Hause. Meine Frau hasst es übrigens.”
„Das Entscheidende ist, Kunst wirklich zu verstehen. Wer eine erfolgreiche Kunstgalerie leiten möchte, muss auch die Vergangenheit gut kennen. Er muss klassische und moderne Kunst begreifen und besonders die Postmoderne verinnerlichen. Ich habe damals ein Buch darüber gelesen, das meinen Blick komplett verändert hat: Bilder sollten nicht einfach nur schön sein, sie müssen einen Zweck erfüllen. Ein Beispiel dafür ist die begehbare Soundskulptur ‚Trichter‘ von Arjan Stockhausen, dem Enkel des Komponisten Karlheinz Stockhausen. Malerei, Skulptur und Film interagieren hier mit Musik in Form der Klanginstallation ‚Rückverzauberung im Trichter‘ von Wolfgang Voigt. 2023 haben wir sie auf der ART COLOGNE ausgestellt.”
ART COLOGNE
Die ART COLOGNE gilt als die weltweit älteste Messe für zeitgenössische Kunst. Sie fand erstmals 1967 statt. Die 57. ART COLOGNE startet am 7. November 2024 auf dem Gelände der Koelnmesse. Vier Tage lang werden mehr als 150 Galerien aus zahlreichen Ländern die Werke von Tausenden Künstler*innen präsentieren.
Ein Montblanc-Füllfederhalter aus limitierter Edition mit eingraviertem Elefanten erinnert Geiss an seinen 2015 verstorbenen Vater. Er habe die Tiere geliebt und stets gesagt: „Ein Elefant vergisst nie.”
Das Telefon klingelt fast ununterbrochen. „Dafür brauche ich eigentlich mal eine andere Lösung”, gibt Geiss zu.
Immer das nächste Ziel vor Augen zu haben, ist für den 41-Jährigen entscheidend. Zur Organisation setzt er – ganz klassisch – auf Notizzettel.
Ohne seinen Vater wäre Herbert Geiss nicht da, wo er heute ist. „Damit er immer bei mir ist, habe ich ein Foto von ihm auf meinem Schreibtisch.”
2003 übernahm der gelernte Kaufmann die Leitung des Kölner Familienunternehmens. Mittlerweile betreibt Geiss 31 Filialen in ganz Deutschland. Seinen Hauptumsatz macht Deiters in der Karnevalszeit ab dem 11. November.
PAUSENAUFSICHT
HERBERT GEISS
INHABER VON DEITERS
Bekannte Kölner*innen machen eine Pause. Wir ein Foto von ihrem Schreibtisch
Damit Herbert Geiss auch unterwegs immer erreichbar ist, hat er eine Powerbank für sein Handy dabei.
Kaffee ist das Grundnahrungsmittel des Deiters-Inhabers. Ein richtiges Essen gibt es für ihn erst am Abend.
Der kleine Roboter ist eine mechanische Uhr, die Herbert Geiss selbst aufdrehen muss.
Vincent Moissonnier führte fast 40 Jahre lang mit seiner Frau Liliane das Restaurant Le Moissonnier und erhielt seit 1996 jedes Jahr einen Michelin-Stern –seit 2008 sogar zwei. 2023 schloss das Restaurant vorübergehend, kam Anfang dieses Jahres mit einem Bistrokonzept zurück und gewann wieder einen Stern.
BUSINESSLUNCH
VINCENT MOISSONNIER EMPFIEHLT:
RISTORANTE ALFREDO
„Für mich ist und bleibt die Adresse für ein ausgesprochen gutes Mittagessen das Ristorante Alfredo in der Tunisstraße an der Oper. Es ist ein italienisches Restaurant wie aus dem Bilderbuch, wie aus einem Film, mit weißen Tischdecken und wundervollen Gläsern. Ein luftiger Raum mit einem unglaublichen Ambiente, erzeugt von dem Wirt Roberto, genannt Tino. Er ist für mich der Gastgeber par excellence. Er nimmt jeden Gast sehr ernst und berät jeden Einzelnen am Tisch. So, wie es sein soll.
Sein Essen ist unglaublich, sehr auf das Produkt konzentriert und sehr fischlastig. Er hat ein unglaubliches Gefühl für die Würze, für das kurze Anbraten von Fisch. Das ist einzigartig und beschreibt die Küche von Tino perfekt: kein Firlefanz, kein Schnickschnack. Er gibt dem Produkt die Hauptrolle. Ich liebe diese Küche. Tino ist auch einer der wenigen, die es verstehen, Weine zu empfehlen, die zu seiner Küche passen. Sie sind oft elegant, nicht so alkoholreich, eher mineralisch. Das verführt schnell zu mehr als einem Glas. Deswegen ist es sehr schwer, dort nicht zu viel zu trinken. Für einen Businesslunch also perfekt.
Wenn ich dort bin, habe ich kein festes Gericht, weil er frische Produkte anbietet, je nach Verfügbarkeit und Saison. Im Frühjahr waren es zum Beispiel unglaubliche Gamberoni aus Genua, die er direkt von dort bezieht und halb roh verarbeitet. Das heißt, sie werden ganz kurz der Hitze ausgesetzt und bekommen nur einen leichten Schleier von Röstaromen. Mit etwas Olivenöl und Pfeffer und ohne Soße schmecken sie gigantisch. Wenn man die im Mund hat und die Augen schließt, ist man in Genua. Das darf dann auch mal ein paar Euro mehr kosten. Wer die volle Erfahrung mit Vor- und Nachspeise haben will, sollte mit 120 Euro pro Person rechnen, und dann kommt noch Wein dazu. Teuer, aber dem Produkt und dem Ambiente absolut angemessen.”
Die Inhalte beruhen auf den Informationen, die der Redaktion bis Mitte September 2024 vorlagen. Sie geben nicht in jedem Fall die Meinung der Herausgeberin wieder. Ein Teil der Inhalte wurde mithilfe künstlicher Intelligenz erstellt. Alle Beiträge sind urheberrechtlich geschützt. Änderungen behalten wir uns vor. www.koeln.business Bildquellenverzeichnis
S. 4/5 Aktuelles: factsfiction, koelnmesse, Bauwens
S. 6–9 Stadt im Wandel: Bauwens, PE FKS GmbH & Co. KG, Landmarken AG, Art-Invest Real Estate Management
S. 10/11 City der Zukunft: Hallmackenreuther, Maurice Schmittem, Scheues Reh
S. 12/13 Schwerpunkt: Ronald Liedmeier
S. 14 Essay: Schloen
S. 15–19 Feature: Marko Seifert, Xaver, Gothaer
S. 20–23 Ricardo Wiesinger
S. 24/25 Mobility-Grafik: Ronald Liedmeier
S. 26/27 Fokus Forschung: Universität zu Köln
S. 28/29 Infografik: Wolfram Esser
S. 30/31 Gastbeitrag: Kienbaum, BDU
S. 32/33 foodforecast: Karin Maigut
S. 34/35 Mutigste Entscheidung: KStA Medien, Peter Zens
S. 36/37 Köln kann KI: Ronald Liedmeier
S. 38–47 Fotoreportage und Interview: Marko Seifert
S. 48–51 Heimvorteil: Thilo Schmülgen
S. 52–55 Fotoalbum: Gene Glover, Daniel Hug, koelnmesse, Galerie Nagel Draxler Berlin, Köln, München
S. 56/57 Schreibtisch: Thilo Schmülgen
S. 58 Businesslunch: Erik Chmil
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