Klipp November/Dezember 2021

Page 14

POLITIK

Justicia, so?

Am Beispiel der Hirschmann-Preisträgerin Christina Jilek

D

er „Gerhard Hirschmann Preis für Kritisches Denken“ wurde im Oktober an Ex-Korruptionsstaatsanwältin Christina Jilek verliehen. „Der Rotzbua wird unsere Partei in die Luft sprengen“, warnte der im September 2019 verstorbene Gerhard Hirschmann seine Freunde in der Politik Hermann Schützenhöfer und Christopher Drexler vor Sebastian Kurz bereits 2017. Als die Landesfürsten praktisch mit einem Kniefall alle Macht in der Partei in die Hände des knapp 30-jährigen Senkrechtstarters legten.

Drexler von Kurz fasziniert Vor diesem Hintergrund muss man die erste Preisverleihung des vom Land Steiermark und der Stadt Graz ins Leben gerufenen Preises sehen. Und: Die sechsköpfige Jury mit Alt-Landeshauptmann Franz Voves und Ex-Industrie-Präsident Jochen Pildner-Steinburg hatte es in sich. Denn mit der Grazerin Christina Jilek wurde jene Korruptionsstaatsanwältin (und heutige Richterin) ausgezeichnet, die mit ihrer Arbeit maßgeblich dazu beigetragen hat, dass Sebastian Kurz aufgrund seiner Aussagen im Ibiza-Untersuchungsausschuss zum Beschuldigten wurde und wenige Tage vor der Preisverleihung als Kanzler aufgrund der Umfrage-Skandals zurücktreten musste. Die Laudatio für die Preisträgerin hielt Kulturlandesrat Christopher Drexler. Dieser hatte in einem Interview mit dem Magazin „Weekend“, ebenfalls wenige Tage vor dem Rücktritt von Sebastian Kurz sich folgend geäußert (Zitat): „Er fasziniert mich in seiner Strukturiertheit und Entschlossenheit. Ich glaube, dass er entlang der Kanzlerpersönlichkeiten in einem Atemzug mit Bruno Kreisky und Leopold Figl zu nennen sein wird.“ Ein offenes Bekenntnis,

aber aus heutiger Sicht bereits eine Fehleinschätzung und ein Tritt ins Fettnäpfchen. Der Zeitpunkt der Preisverleihung hätte delikater, das atmosphärische Umfeld nicht bizarrer und grotesker sein können. Bekanntlich hat sich auch Hermann Schützenhöfer – „wir lassen uns unseren jungen Kanzler nicht herausschießen“ (TV-Pressestunde) – bis zur letzten Stunde schützend vor Sebastian Kurz gestellt. Das Polit-Duo hat beim Festakt in der Aula der Alten Universität in Graz versucht, die Entscheidung der Jury mannhaft hinzunehmen und das Beste aus der Situation zu machen. „Die Jury hat keine bequeme, sondern eine mutige Entscheidung getroffen“, so Schützenhöfer knapp.

Preisträgerin Christina Jilek ist Mit-Initiatorin des Anti-Korruptions-Volksbegehrens. Sie hat als Beamtin und Staatsanwältin ihren Auftrag zu Ermittlungen ernst genommen und ist offensichtlich in den Widerstand gegen Versuche der Einflussnahme und Unterdrückung getreten, sagte sie vor dem Untersuchungsausschuss als Zeugin aus. Sie hat es abgelehnt, unter widrigen Bedingungen ihren Auftrag nur teilweise zu erfüllen und daraus persönlich Konsequenzen gezogen, um sich damit der Ohnmacht einer Mittäterschaft zu entziehen, die da lauten: Postenschacher, Freunderlwirtschaft, politische Intervention und mangelnde Transparenz. Sie hat mit ihrer Arbeit dazu beigetragen, dass der Schleier in

einer Parallelwelt gelüftet wird. Von Gerhard Hirschmann (siehe Kasten) sagte Schützenhöfer: „Er war süchtig nach dem Widerspruch, war mit seinen Ideen und was er gemacht hat, seiner Zeit voraus.“ Auch was die Einschätzung des vermeintlichen ÖVP-Heilbringers Sebastian Kurz betraf. Christina Jilek zog sich als Staatsanwältin freiwillig zurück und ist heute Richterin in Graz. Gestern Staatsanwalt, heute Richter – sowas ist auch nur in Österreich möglich. Jilek ist keine Heldin per se, hat nie um ihre berufliche Existenz fürchten müssen. Und doch hätte Hirschmann zu Christina Jilek als Preisträgerin zustimmend genickt.

WER WAR GERHARD HIRSCHMANN? E

r verstarb auf einer Zugfahrt von Wien nach Graz am 27. September 2019, 68-jährig, an Herzversagen. Hirschmann hätte im Jahr 1995 nach der Wahlniederlage von

Landeshauptmann Josef Krainer und dem damit verbundenen Verlust der absoluten ÖVP-Mehrheit im Lande (erstmals!) diesem als Landeshauptmann der steirischen ÖVP folgen sollen. Völlig überraschend lehnte er aus privaten Gründen (Scheidung stand bevor) diesen Karrieresprung ab und schlug in der entscheidenden Sitzung des ÖVPParteivorstands Waltraud Klasnic vor. Hirschmann galt damals als Kronprinz von Josef Krainer, war in der steirischen ÖVP einer der Strategen, Visionäre und als geschäftsführender Parteiobmann

auch für das „Modell Steiermark“ verantwortlich.

Klasnic wurde daher 1995 zur Landeshauptfrau gewählt. Hirschmann trat in die Landesregierung ein, aus der er 2003 freiwillig ausschied und als Vorstandsdirektor in die Energie Steiermark wechselte. Der sogenannte „Estag- und Herberstein-Skandal“, den Gerhard Hirschmann ein Jahr später anprangerte, führte zum totalen Bruch mit Waltraud Klasnic und „seiner ÖVP“. Klasnic erzwang Ende 2004 sein

KAMPF DER ELITEN Es ist ein ständiges Tauziehen zwischen der Justiz und der Politik: Die Justiz versucht der Politik eine Macht zu entreißen – nämlich die Unabhängigkeit. Das kann aber gegenüber der Politik nur funktionieren, wenn sie von der Politik auch anerkannt wird, die Justiz, die da unabhängig sein will. In der österreichischen Justiz herrschte

lange eine für die ÖVP günstige Hegemonie. Jahrzehntelang war hier die Dominanz eher konservativer als liberaldemokratischer Werthaltungen typisch. Es war daher für die ÖVP leicht, diesen Umstand als eigenen Schrebergarten zu pflegen. Das gerät nun scheinbar außer Kontrolle. Sichtbares Dokument nach außen war und ist sozusagen der Fall Pilnacek. Er wies

Staatsanwälte an, etwa im Fall des Kaufs der Eurofighter, die Sache zu zerschlagen, wie man auf Wienerisch sagt. Seine Äußerungen wurden von Staatsanwälten geheim aufgenommen und dann nach außen gespielt. Damit wurde erstmals eine Kluft innerhalb der Justiz sichtbar. Es findet offensichtlich ein „Generationenwechsel“ statt. Die Mehrzahl der jüngeren

14 November/Dezember 2021

14-15_Politik.indd 14

23.11.21 21:58


Turn static files into dynamic content formats.

Create a flipbook
Issuu converts static files into: digital portfolios, online yearbooks, online catalogs, digital photo albums and more. Sign up and create your flipbook.