COVERSTORY
Maler-Rebell a.D. G
AUCH IN DER PROVINZ EN „Wieder einmal: Ich sitze allein, bearbeite das Inhaltsverzeichnis des neuen Buches. Wochenlanges Miterlebenmüssen der Entstehung. Ich bin unzufrieden, rate zu mehr Klarheit, weniger Heterogenität. Und dann sitze ich in der nächtlichen Stille, konzentriere mich auf das, was vor mir liegt und mehr und mehr erfasst es mich. Ich tauche in die Brettschuhsche Bilderwelt ein, in eine große, manchmal überbordende und anstrengende Erzählung, eine, die vom Menschsein per se erzählt. Eine Erzählung voll Kraft, Eleganz, Zärtlichkeit. Anmaßend und egozentrisch. Doch: Da ist nichts Verborgenes, Neurotisches, Hinterhältiges. Wieder einmal wird mir bewusst, dass sich bei Gerald Brettschuh die Frage nach dem Zeitgeist erübrigt.“
Der steirische Maler-Rebell a.D. Gerald Brettschuh ist 80 geworden. Er lebt seit 1976 in Arnfels – früher die Region der Windischen. Den Träumen seiner Jugend hält er die Treue. Große Ausstellungen im Steiermarkhof und in der Hofgalerie in Graz stehen bevor.
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ünter Brus und Herbert Brandl sind „out of Steiermark“ bedeutsame Künstler geworden. Auch ein ranz o nik geht erfolgreich seinen Weg. Gerald Brettschuh – Maler, Zeichner, Aufschreiber. Er arbeitet und lebt seit 1976 in Arnfels in der Südsteiermark. Dort, wo wenige Kilometer weiter Slowenien beginnt. Hier muss es sein. „Schulgasse 11“, steht auf einem selbst geschriebenen weißen Blatt Papier am Eingangstor in Arnfels. Das Haus schließt direkt an die örtliche Raiffeisenbank an, wenig weit davon dominiert die Kirche die Umgebung. Hinter dem offenen Eingangstor ein Sammelsurium von Kisten, Mal-Utensilien, Flaschen, Werkzeug, Schachteln. Der Blick in den Innenhof ist möglich, doch der Zutritt gelingt nur – noch einmal hinaus und um die Ecke durch den kleinen Vorgarten des 150-jährigen früheren städtischen Bürgerhauses. Im Katalog zur kommenden Ausstellung im Steiermarkhof schreibt
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Das Zuhause: 150 Jahre altes Bürgerhaus Christiane Muster, seine Frau, über ihren Mann pointiert, mit „Abstand“, aber sich nicht distanzierend: „Darf Kunst heute so aussehen? Die Frage habe ich mir gestellt, als ich vor mehr als 40 Jahren die ersten
Brettschuhs Frau Christiane Brettschuh-Bilder sah. Die Begeisterung hielt sich in Grenzen. Meine Neigung galt und gilt der Avantgarde. Trotzdem: Die Liebe fragt nicht, wo sie hinfällt.“
Gerald Brettschuhs Frau Christiane, gebürtige Kärntnerin, vom Beruf Architektin und selbst Porträt-Künstlerin, hat Tee und Kaffee zubereitet. Im großen Küchenherd knistert das Holzfeuer und wärmt den Raum an diesem draußen ungemütlichen Samstag Vormittag. Wir sind einander da und dort in Graz bei Anlässen schon begegnet. In den nächsten Stunden unseres Gesprächs werden wir auf viele gemeinsame Anknüpfungspunkte stoßen. Einer ist die Schule. „Der Hauptschuldirektor hat meiner Mutter eingeredet, ich müsse unbedingt Lehrer werden.“ Der Vater war aus dem Krieg nicht mehr zurück gekommen. „Obwohl schon vorher besprochen war, ich dürfe in die Kunstgewerbeschule in Graz gehen“, schildert Gerald Brettschuh die nach der Hauptschule in Arnfels entscheidende Phase für sein späteres Leben. Ein Fleck in Mathematik und Latein beendete nach drei Monaten, im Dezember 1956, am Ende des ersten Trimesters den „Schulungsversuch“ an der Lehrerbildungsanstalt am Hasnerplatz in Graz. Sein dortiger Zeichen-Professor erkannte aber das Zeichentalent des 15-Jährigen und empfahl ihn an die Kollegen an der Kunstgewerbeschule am Ortweinplatz. Damit durfte er ohne Aufnahmeprüfung dorthin wechseln. „Als 16-Jähriger bist du auf jemanden angewiesen, der dich lobt.“ Und rückblickend: „Ich wäre der schlech-
teste Lehrer geworden.“ Nach der Kunstgewerbeschule folgte seine künstlerische Ausbildung an der Universität für Angewandte Kunst in Wien, die er 1968 mit dem Diplom abschloss. Ein Stipendium ermöglichte ihm ein Jahr an der Akademie der Schönen Künste in Warschau. Von 1970 bis 1976 war er ebrauchsgrafiker, Zeichner, llustrator und Assistent an der Universität für Angewandte Kunst in Wien. Um das Werk und Schaffen des
Häuptling Adlerauge in der Kindheit (re.) heute 80-Jährigen zu begreifen, braucht es einen breiten Streifzug in seine Kindheit, Schulzeit und das Erwachsenwerden als junger Wilder. „Ich wäre gern Indianer gewesen, als ich jung war“, zeigt uns Gerald Brettschuh beim KLIPP-Gespräch sein Indianer-Buch, das im Jahr 2000 erschien. Dort liest man: „Wenig von allem, was ich war, gewesen war, gern gewesen wäre, ist hier zu sehen. COCHISE der Apache war ich und: ADLERAUGE. Wie hunderttausende europäische, Indianer spielende Buben damals das auch waren … Der GROSSE GEIST, die EWIGEN JAGDGRÜNDE: Wer weiß, ist Indianertum, wie es ein Kind versteht, damit verbunden.“ Am Felsen oberhalb seines Geburtshauses habe es wilde Kämpfe gegeben. „Die meisten Waffen dafür habe ich aus Holz geschnitzt, die Mutter hat die Bekleidung gemacht und es ging wild zu.“ Nur zwei Fotos gibt es aus dieser Zeit. Diese zeigen die Rothäute auf dem Kriegspfad, geknipst von einem „weißen Mann“. Dieser durfte nicht mit kämpfen, weil er Brillenträger war. Sein Stolz war ein Fotoapparat, den er von seinem Onkel geschenkt bekommen hatte. Im Kino in Arnfels, das drei Mal in der Woche spielte, holte sich Adler-
April/Mai 2021
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