Ben-David Jost hat eine schwierige Kindheit durchlebt, als Blindenverbandsobmann sorgt er für viel „frischen Wind“. „Ich habe bis zu meinem 5. Lebensjahr auf einem Auge normal gesehen“, erzählt der 1973 in Papua-Neuguinea aufgewachsene Ben-David Jost. Seine Eltern wirkten dort als Lehrer und Missionare. Ein Auge wurde Ben-David Jost aufgrund eines Tumors gleich bei der Geburt entfernt. Leider gab es weitere bösartige Wucherungen auf dem linken Auge, die man mit Bestrahlungen bekämpfte. „Die haben sich auch auf meine Gesichtsform ausgewirkt und leider auch auf mein linkes Auge“, erzählt er. Blutungen auf der Netzhaut führten dazu, dass die Sehkraft verloren ging. „Ein ganz kleiner Rand ist quasi geblieben und der ist sozusagen zuständig dafür, dass ich Flächen erkenne; außerdem signalisiert er mir in einer bekannten Umgebung: Aha, da ist ein Hindernis.“ Der 40-Jährige: „Man hat mir damals eine Lebenserwartung von 30 Jahren gegeben. Das Risiko von Knochenkrebs im Schädelbereich
ist durch die Bestrahlung auch heute noch extrem hoch für mich.“ Haben Sie Seh-Erinnerungen? Ben-David Jost: „Ja, in Träumen habe ich öfters ein sehr detailliertes Sehen. Ich habe auch noch eine Vorstellung von damals, wie ich mit meinem Fahrrad in ein Auto hineingefahren bin. Diese Dinge helfen mir sehr für meine Wahrnehmung, für mein Gesamtbild, aber auch für mein Gefühl. Ich nehme Sie zum Beispiel als Person wahr. Aber es ist ein Trugbild. Wenn ich Sie jetzt so anschaue, sehe ich einen Vollbart, da ist eine Lederjacke, da ist ein Pullover, und jetzt müssen Sie mir sagen, was die Wahrheit ist.“ Klipp-Reporter Jürgen Lehner: „Ja, ich habe eine Lederjacke an, aber keinen Pullover drunter, sondern ein Hemd mit Krawatte. Ich trage auch keinen Vollbart, sondern einen 3-Tage-Bart.“ BenDavid Jost darauf: „Jetzt nehme ich Sie anders wahr. Ich habe eine Vorstellung von Ihrer Beschreibung. Ob die stimmt, weiß ich natürlich auch nicht ganz genau. Aber ich bin auf jeden Fall näher an der Realität.“ Übersiedlung nach Graz
Auf rund 4.000 wird die Zahl der blinden Steirer geschätzt. Die Zahl der stark Sehbehinderten beträgt 40.000. 36
Weil seine Mutter auf eine entsprechende Schulausbildung drängte und sein Vater in Graz in der evangelischen Kirche eine Stelle bekam, übersiedelte BenDavid Jost als 11-Jähriger mit ihnen in die Steiermark. Ein wichtiger Grund für die Eltern: Es gibt hier das Odilieninstitut, die Ausbildungsstätte für Blinde. „Ich empfand Graz als furchtbar kalt, trocken, grau, und die Leute waren unheimlich unfreundlich“, erinnert sich Ben-David Jost. „Mich verbindet mit Papua-Neuguinea ein sehr hochstilisiertes Heimatgefühl, aber auch eines, das ich mit Freiheit verbinde.“ Noch heute könnte er sich in PapuaNeuguinea – ursprünglich eine deutsche Kolonie – mit der Basissprache Pidginenglisch durch-
schlagen. Denn nach den Deutschen übernahmen die Australier das Kommando, und daher gibt’s diese Mischung aus Deutsch und Englisch. Ganz im Gegensatz zu vielen seiner jungen Mitschüler im Odilieninstitut lernte Ben-David Jost kein Handwerk, sondern schaffte – „natürlich mit vielen Problemen und in einer Art Pilotversuch“ – auch die Matura in der Grazer Dreihackengasse. Aufgrund seines starken Interesses für die damals noch „kleine Computer-Welt“ kam er bei Styria Online unter und wurde sogar mit der Leitung des Callcenters betraut. „Nach einem dreiviertel Jahr wollte man mich nicht direkt anstellen, weil man Angst vor der Unkündbarkeit hatte, da ich ja behindert war“, blickt Ben-David Jost zurück. Blindheit kaschiert
Er schaffte es, trotz seiner praktischen Blindheit bei Telering in Wien angestellt zu werden. Niemand wusste dort, dass er seine hochgradige Sehbehinderung herunterspielte, als er sagte: „Ich seh nur ein bissi schlecht.“ „Ich konnte das einfach gut kaschieren und hatte dann sogar zehn bis zwölf Mitarbeiter in meiner Verantwortung. Wir leben ja hier in Österreich in einer regulierten Welt. Es ist die Stufenhöhe genau vorgeschrieben und alles andere auch. Also da kann man sich dann so schon zurechtfinden. Es ist ein gewisses Risiko, aber es geht.“ Und wie haben Ihre Eltern, die heute in Deutschland leben, das alles aufgenommen? „Ja, die wollten ursprünglich, dass der Sohn zur Post geht und einen sicheren Job hat. Ich wollte aber beweisen, dass ich genauso leistungsfähig bin wie andere. Die eigentliche Arbeit habe ich in der Nacht gemacht, damit das wahre Ausmaß meines ‚ein bisschen schlecht sehen‘ nicht auffällt; das hat sich dann gerächt.“ Ben-David Jost rutschte ins Burnout ab. „Dann
Fotos: Werner Krug, Heimo Ruschitz
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Aufgewachsen in Papua-Neuguinea
Bis zum 5. Lebensjahr sah Ben-David Jost normal: „Dann haben die Folgen der Tumorbestrahlung mein Augenlicht zerstört.“
ging auch noch die Beziehung mit meiner langjährigen Freundin zu Ende und damit brach alles zusammen.“ Outing als praktisch Blinder
Ben-David Jost begab sich dann in Psychotherapie, für die er nach Graz zurückkehrte. Die Voraussetzung war jedoch: Er müsste sich als praktisch Blinder outen – was er dann auch tat. „Das war für mich ganz, ganz schwer, weil ich Angst davor gehabt habe. Wie werde ich wahrgenommen? Wie wird man mit mir umgehen? Wie kann ich das schaffen?“ Es war für Ben-David Jost ein dramatischer Wechsel, wie er bald feststellen musste. „Früher habe ich als jemand gegolten, der zwar sehr schlecht sieht, aber ich war praktisch unter den Normalen. Und dann habe ich mich gemeldet gleichsam als Blinder. Die Wahrnehmung war eben eine ganz andere auf einmal, obwohl KLIPP Februar 2013