Ohne sie wäre alles langweilig: Wir brauchen keine aalglatten Heldinnen und Helden. Es sind die Rebellinnen und Rebellen unter den Helden, die den wahren Reiz ausmachen. Sie schwimmen gegen den Strom, setzen Visionäres um und ecken da an, wo andere im Mittelmaß verharren. Sie sind immer ungemütlich und reißen Grenzen nieder, da wo andere erstarrt stehen bleiben.
Das ist ein Heft über die Rebel Heroes. Und auch in dieser Nummer brechen wir selbst lustvoll aus vorhersehbaren Genres aus. Ganz einfach, weil wir größer und weiter denken wollen und die Kulinarik als große Kunst erfassen. So diskutiert in diesem Magazin der rebellische Schauspieler mit der jüngsten Haubenköchin, der Soziologe gibt Einblick, warum wir Heldengeschichten so lieben, vom Heldentum aber auch eine Gefahr ausgeht. Und schließlich haben wir eine rebellische Literatin eingeladen, für uns ein Stück über die Wiener Beislkultur zu schreiben. Sie, die Literatin Lydia Haider, ist es auch, die das Cover dieser Ausgabe ziert. Erstmals setzen wir damit eine Person auf unseren Titel und brechen damit selbst mit Gewohntem. Es wäre uns aber zuwider auf das Material eines Covershootings zurückzugreifen. Das ist zu gestellt. Das überlassen wir den anderen Magazinen. Wir haben ein Bild aus der Serie der begnadeten Fotografin Apollonia Theresa Bitzan genommen, die Lydia Haider auf ihrer Beisltour begleitet hat. Ein Schuss mitten aus dem Leben. Wild. Ungezähmt. Und frei.
Das sind übrigens auch jene Winzerinnen und Winzer, die wir auf der Rückseite des Magazin-Umschlags zeigen. Es sind Empfehlungen, die direkt aus der Spitzensommellerie kommen. Sie alle stehen für einen besonders nachhaltigen Umgang mit den Böden sowie für ein unverwechselbares Handwerk. Und sie sind rebellisch. Denn sie bilden das Gegengewicht zu jenen „Winzern“, die mit Industrieweinen Böden, Geschmack und Kultur zerstören.
Viel Freude mit diesem Magazin. Und: Bleibt unangepasst!
Herausgeber und Chefredakteur: Michael Pöcheim-Pech (chefredaktion@kalkundkegel.com)
Co-Herausgeber: Peter Eder Geschäftsführung: Claudia Pöcheim-Pech, Julia Zötsch
Chefin vom Dienst: Sonja Planeta Fotoredaktion: Leni Almer
Autorinnen und Autoren: Eva Biringer, Lisi Brandlmaier, Wolfgang Fassbender, Juliane Fischer, Roland Graf, Lydia Haider, Manfred Klimek, Lucia Laggner, Lucas Palm, Alexander Rabl, Risto Rieger, Katja Scharnagl, Jürgen Schmücking, Niko Stöhr
Layout & Produktion: Christoph Pilch / LEFTKISS & Michael Zimmer / GLDDGGRS
Vorteils-Abo: www.kalkundkegel.com/shop
Druck: Druckhaus Thalerhof GmbH, 8073 Feldkirchen bei Graz info@kalkundkegel.com, www.kalkundkegel.com
Schauspieler Philipp Hochmaier, 3-Sterner Juan Amador und Österreichs jüngste Haubenköchin Viktoria Fahringer im Gespräch über Heldengeschichten, Hochmut und Scheitern.
LEGENDEN
Als Fressen und Saufen erst richtig geil wurde: Ein Streifzug durch die Geschichte der Kulinarik.
EIN HOCH AUF DEN SERVICE
Die New Yorker Top-Sommelière Katja Scharnagl über die verkannten Heroes im Service.
FRAUEN AN DIE MACHT
Weltweit machen immer mehr Frauen als Chefköchinnen und Gastromanagerinnen Karriere. Lösen sie die Männer ab?
ECHTE HEROES
Unsere Kolumnistin Eva Biringer über die wahren Heldinnen und Helden der Kulinarik und warum Kochen eine ziemliche Macho-Disziplin ist.
VERGIFTETER APPLAUS
Der Freiburger Soziologe Ulrich Bröckling im Interview über die Gefahren einer falschen Heroisierung und warum wir Heldengeschichten so lieben.
STILLE HELD:INNEN
Ohne sie würde in ihren Betrieben nichts laufen und trotzdem werden andere gefeiert. Schluss damit, wir sagen „Vorhang auf“.
GEFALLENE HELD:INNEN
Hochgelobt und heute fast vergessen? Auch diese Geschichten schreibt die Spitzenküche. Wir haben sie notiert.
REBEL BELLS
Eine Reise mit Konstantin Filippou in das Heimatland seines Vaters. Übrigens lange bevor der Koch in massive Kritik geriet.
LEUCHTTURM
In Wien kocht Heinz Reitbauer 3 Michelin-Sterne. Aber das wirklich visionäre Gastrokonzept zieht er in der steirischen Pampa auf.
DIE NEUEN STERNE
Österreich zählt im neuen Guide Michelin zu den weltweiten Top-Nationen. Plus: Unsere Abrechnung mit Falstaff und Gault&Millau.
Wir feiern das Ende der VIPs. Und das Comeback des Echten.
(S.92)
HOMMAGE AN DAS BEISL
Die österreichische Literatin Lydia Haider war für uns auf Lokaltour, um herauszufinden, wo es sich am besten schreiben, saufen und tanzen lässt.
NERVENSÄGE
(S.104)
(S.106)
(S.110)
(S.112)
Nehmt euch nicht zu wichtig in der Sommellerie, schreibt unser Kolumnist, der selbst Sommelier ist.
ALTER SCHUPPEN…
…frische Ideen! Im ältesten Restaurant Europas tobt das Leben wie nie zuvor. Wir waren dort.
HELDENSAGA
Warum es das Almdudler-Trachtenpärchen als Titelhelden nun sogar in ein eigenes Comic geschafft hat.
LASS SPRUDELN
Top-Sommelier Niko Stöhr liebt PetNat. Hier singt er ein Hochlied über den hippen Schaumwein. Plus: Die besten PetNats im Überblick.
(S.118)
OH CALIFORNIA!
Justin Leone über seine Liebe zu kalifornischen Weinen.
(S.120) BIO-HEROES
(S.122)
(S.128)
(S.131)
(S.136)
Mit 160 Hektar bewirtschaftet die Domäne Wachau die größte Bio-Weinbaufläche Österreichs. Und das als Genossenschaft!
SLÀINTE MHATH!
Plötzlich geht es auch bei Whisky um Nachhaltigkeit. Wir haben uns den neuen Trend angeschaut.
NULL PROMILLE
Was hat es mit dem Hype um die alkoholfreien Wildfrucht Essenzen auf sich, nach denen die Top-Somms gerade wie verrückt sind.
ENTBEHRUNG DES SEINS
Interview mit Weinlegende Andrew Jefford: Was wir von Literatur-Nobelpreisträgern und Philosophen über Wein lernen können.
GEORGS WEINE
Vom Drachentöter bis hin zu George Clooney – was das mit unserem Autor zu tun hat? Auflösung auf Seite 136.
DIE RÜCKSCHLÄGE BRINGEN DICH WEITER
Interview
Lisi Brandlmaier Fotos
Rainer Fehringer
Ein Gespräch über „wahre” Held:innen, Hochmut und das Scheitern. Am Tisch sitzen drei Menschen ,die in den Medien oft als Held oder Heldin bezeichnet werden. Aber fühlen sie sich auch so? Wir sprechen mit Österreichs jüngster Haubenköchin Viktoria Fahringer
sowie mit Schauspieler- und Jedermann-Star Philipp Hochmair und dem 3-Sternekoch Juan Amador, der verrät, dass seine Reise als Held am Herd bereits ein exaktes Ablaufdatum hat.
ihr Helden?
Philipp Hochmair: Für mich ist ein Held jemand, der Außergewöhnliches leistet. Jemand, der herausragt.
Juan Amador: Ich tue mir mit dem Begriff „Held“ etwas schwer. Ja, in der Außendarstellung mag das zutreffen, aber es gehört mehr dazu. Ein Team, das zur richtigen Zeit am richtigen Ort ist, viel Fleiß, Konsequenz und ein wenig Glück spielen ebenfalls eine Rolle. Heldentum klingt romantisch, doch es erfordert auch harte Arbeit. Ich würde mich selbst nicht als Held bezeichnen – aber ihr dürft das gerne tun! Im Ernst: Ein Held ist für mich eher jemand, der oder die außergewöhnliche Leistungen vollbringt, wie Menschen bei der Feuerwehr oder im medizinischen Bereich. Aber sicher keine Köchinnen oder Köche.
Viktoria Fahringer: Es geht nicht nur darum, außergewöhnliche Leistungen zu erbringen, sondern auch einen echten Mehrwert für andere zu schaffen – oft sogar ohne direkten Bezug zu sich selbst. Ansonsten ist man einfach jemand, der in seinem Fachgebiet wirklich gut ist. Feuerwehrleute und Ärzt:innen sind außergewöhnlich kompetent und professionell in ihrer Arbeit. Sie leisten einen wesentlichen und wichtigen Beitrag für andere. Das soll nicht heißen, dass unser Essen oder deine Kunst, Philipp, nicht ebenfalls von Bedeutung sind. Aber für mich liegt hier ein klarer Unterschied in der Definition. Daher würde ich mich nicht als Heldin bezeichnen.
Demnach sind Held:innen für euch eher im Alltag zu finden, als in euren Berufen? „Held der Festspiele“, „Heldin der Küche“ – das ist doch oft in den Medien zu lesen…
Es ist faszinierend, das Wesen des Heldentums zuerkunden, während ich die Rolle eines Helden verkörpere. Dennoch fühle ich mich persönlich nicht als Held. Selbst das Einspringen am Domplatz war für mich ein bedeutendes Erlebnis, doch ich habe es nicht als heldenhafte Tat wahrgenommen, wenngleich ich als Held gefeiert wurde (Anmerkung: Philipp Hochmair ersetzte den erkrankten Tobias Moretti in der Rolle des Jedermanns 2018 bei den Salzburger Festspielen). Für mich war es ein wirklich gelungenes Experiment. Wir haben das große Privileg, das tun zu dürfen, was wir lieben – und dafür wird enormer Aufwand betrieben. Es erfordert einen ständigen Kampf, um das zu verwirklichen, was uns am Herzen liegt. Helden hingegen sind oft Menschen, die außergewöhnliche Leistungen erbringen müssen, um andere zu retten oder zu unterstützen.
„Hochmut kommt vor dem Fall” – Heldentum und der damit verbundene Stolz bzw. die Selbstüberschätzung liegen oft dicht beieinander. Ist die Gefahr „abzuheben“ ein Berufsrisiko?
Wenn ich an gefallene Helden denke, kommt mir Ikarus in den Sinn – er ist einfach ein Stück zu
hoch geflogen. Das Problem war, dass er vergessen hat, wo er gestartet ist. Es ist entscheidend, nie zu vergessen, wo man herkommt. Jeder von uns hat klein angefangen; ich erinnere mich daran, wie ich am Anfang nicht einmal wusste, wie man Schnittlauch richtig schneidet und mein Messer falsch hielt. Meine ersten Fischgerichte sahen katastrophal aus! Man lernt nie aus. Daher stellt sich die Frage, ob es überhaupt einen Punkt gibt, an dem man „oben“ angekommen ist – selbst wenn man bereits an dieser Spitze steht.
Für mich liegt der Schlüssel darin, die Aufgabe als das eigentliche Ziel zu betrachten. Wenn man sich auf die Aufgabe konzentriert, bleibt der Fokus klar. Es geht nicht um das eigene Wohlbefinden oder persönliche Empfindungen, sondern darum, alles dem Werk unterzuordnen. Das Ziel, dieses Werk zu schaffen, ist größer als das individuelle Glück. Diese Perspektive erdet mich auf natürliche Weise.
Das finde ich sehr spannend. Persönlich habe ich auch Rückschläge erlebt und im Nachhinein betrachtet war es gut so. Die Rückschläge bringen dich weiter. In einer Phase wurde ich vielleicht zu sehr gelobt und verlor dadurch meinen Fokus. Es ist wichtig, weiterzumachen und mit den gesammelten Erfahrungen nimmt man sich selbst nicht mehr so ernst. Die Aufgabe bleibt das Wichtigste – auch im Team. Ich habe 25 Menschen um mich herum. Ohne sie wäre ich nichts. Viktoria hat recht: Es ist enorm wichtig zu wissen, woher man kommt und vor allem auch zu verstehen, wie es nicht funktioniert – viele wissen das oft nicht.
Man sollte für sich selbst definieren, wohin man wirklich möchte – unabhängig davon, was die Welt da draußen einem vorschreibt. Das treibt mich persönlich an: herauszufinden, wo ich angefangen
habe und wohin ich will. Ich reflektiere ständig über meine Entwicklung und frage mich: Bin ich glücklich mit dem Fortschritt? Es ist wichtig, den Status quo regelmäßig neu zu bewerten und zu definieren: Ist das gut für mich oder nicht? Diese Selbstreflexion begleitet mich derzeit ganz wesentlich.
Juan und Viktoria - ihr habt ein Team, das mit euch arbeitet und euch unterstützt. Wie ist das in der Schauspielerei?
Da brauche ich natürlich auch ein großes Team und viele Leute, die das vorantreiben. Ein Film entsteht ja nicht aus mir selbst, sondern durch die Arbeit vieler Personen mit den unterschiedlichsten Aufgaben. Ich komme gerade vom „Blind ermittelt“-Set, wo 40 Leute alle möglichen Aufgaben erfüllen – vom Produktionsfahrer über Requisiteure, Masken- und Kostümbildner bis hin zu Drehbuchautoren, Regieassistenz, Kamera und so weiter. Ohne sie gäbe es keinen Film. Ich bin zwar dann das Gesicht, das man im Fernsehen sieht, aber das ist eine Konsequenz aus ganz vielen Zusammenhängen. Da muss man sich einfügen, demütig und vor allem geduldig sein. Da komme ich mit dem Druck, den ich mir selber mache, nicht sehr weit.
Pusht der Druck oder wird man in seinem Tun und Schaffen eingeschränkt?
Ich habe nie Druck – also im unerwünschten Sinne negativen Druck gespürt – ganz im Gegenteil. Ich sehe es vielmehr als ein Geschenk. Als ich nach Wien gezogen bin und das Restaurant Amador eröffnet habe, wollte ich eigentlich nicht mehr in diese Richtung gehen: drei Sterne, der Beste der Besten zu sein. Es ist passiert. Aber dann haben wir alle Parameter aufgestellt, um wieder in dieser Liga zu spielen. Was hast du für Vorteile? Ich kriege die besten Leute, das beste Team. Die wollen alle zu uns. Wir haben die besten Gäste, die kommen aus der ganzen Welt und wollen bei uns essen. Und wir haben Kontakt zu den besten Lieferanten weltweit. Das ist doch ein Geschenk. Und dann ist das auch eine Verantwortung und ein schönes Gefühl, wenn das Restaurant jeden Tag voll ist und die ganze Welt hier speist. Das ist nichts Negatives und ich habe auch vor dem vermeintlichen Druck keine Angst.
Warum? Weil wir im Vorfeld alles machen, damit keine Fehler passieren. Über Geschmack lässt sich streiten – gut. Aber technische Fehler sind bei uns komplett ausgeschlossen, weil wir fokussiert arbeiten und alles vorab besprechen.
Aber die Angst, dass das aufhört, dass es irgendwann doch das letzte Mal sein kann, die ist bei mir durchaus da. Wenn ich zum Beispiel an „Siegfried und Roy“ denke – der Tiger schlägt einmal zu und es ist alles aus. Diese Frage, wie lange geht das noch beschäftigt mich. Ist das heute das letzte Mal oder geht es noch zehn, 20 Jahre so weiter.
Es ist interessant, was du sagst, weil ich meinen Ausstieg bereits vorbereite. Der Tag wird kommen und ich weiß das auch schon.
Du hast dein Datum im Kopf?
Ich habe ein Datum im Kopf. Das habe ich schon vor vier Jahren festgelegt und richte jetzt alles auf diese Nachfolge aus und ich will mich auch in eine neue Rolle hineindenken und so auch mehr Freiraum schaffen für andere Projekte und andere schöne Dinge, die es im Leben gibt. Ich habe für mich eigentlich schon mehr erreicht, als ich mir je gewünscht hätte und ich weiß, dass ich nicht mehr besser werden kann. Also trete ich zur Seite, einen Schritt zurück und bereite meine Übergabe vor.
Ein sanfter Ausstieg sozusagen?
Genau. Ich klinke mich aus und bereite mich darauf vor. Mir ist dabei nur wichtig, dass mir niemand etwas wegnimmt. Das ist vielleicht sogar mit ein bisschen Angst verbunden. Aber im Grunde kann eigentlich nichts passieren.
Viktoria, wie geht es dir damit. Wie viel Druck spürst du in deinem Tun?
Seit nunmehr zehn Jahren bin ich in der Küche tätig. Aufgewachsen im Wirtshaus meiner Eltern, kann man sagen, dass ich ein echtes „Gasthauskind“ bin. Als ich schließlich in den Familienbetrieb einstieg, stellte ich das traditionelle Konzept – ein klassisches Wirtshaus mit einer hohen Gästeanzahl von 40 bis 50 Kuverts zu Mittag und Abend, sieben Tage die Woche – völlig auf den Kopf. Ich wollte meinen eigenen Weg gehen, und die „feine“ Küche war ursprünglich nicht mein Ziel. Ich habe von Beginn an ganz allein in der Küche gearbeitet, und es war schon ein kleines Wunder, dass ich mit 21 Jahren meine erste Haube erhielt – von einer zweiten ganz zu schweigen. Jetzt, mit 26 Jahren, ist es mir wichtig, nicht nur als die jüngste Haubenköchin Österreichs wahrgenommen zu werden. Trotz vieler Erfolge, die ich mittlerweile feiern durfte, möchte ich nicht auf diese eine „heldenhafte“ Errungenschaft reduziert werden.
Das bedeutet im Grunde, dass man nicht auf eine Leistung, die erste Haube oder den dritten Stern reduziert werden sollte. Wie war das für dich, Philipp, als du 2018 als „Retter“ der Festspiele gefeiert wurdest?
Meiner Meinung nach ist es gut, dass es eine Assoziation gibt, die man zu jemandem hat. Es ist doch im Grunde toll, wenn man etwas geleistet hat und die Leute einen zuordnen können. Um das überhaupt zu erreichen, muss man schon viel und hart gearbeitet haben und wenn neue Erfolge, Projekte und Assoziationen dazukommen, freue ich mich. Aber ich kann damit leben, dass man sagt, dass ich ein Held war, weil ich über Nacht am Domplatz eingesprungen bin. (lacht)
Kann jeder ein Held oder eine Heldin sein?
Davon bin ich überzeugt. Diese Vorstellung kann eine große Motivation sein und zeigen, dass alles möglich ist. Jeder sollte die Chance haben, seine Träume zu verwirklichen –auch wenn das nicht immer einfach ist. In meiner Schauspielschulklasse waren wir zwanzig Leute, aber nur vier von uns haben es wirklich geschafft. Es gibt nur begrenzten Platz an der Spitze. Mein erster Gedanke ist daher: Habt keine Angst, euch selbst zu verwirklichen!
Für mich war es entscheidend, in den letzten Jahren persönliche Ziele zu definieren und herauszufinden, was mir wirklich wichtig ist. Oft wird uns von außen suggeriert, was erstrebenswert ist und wie wir leben sollten. Das hat mich manchmal unglücklich gemacht, weil ich nicht das Glück gefunden habe, das ich erwartet hatte. Es geht darum, für sich selbst klarzustellen: Wo will ich im Leben hin? Was macht mich von Herzen glücklich? Glück bedeutet für mich Zufriedenheit – am Ende des Tages zu wissen: Heute war ein guter Tag oder auch nicht, aber ich habe das getan, was ich gerne mache. Sich mit sich selbst auseinanderzusetzen und einen Plan zu entwickeln, ist essenziell.
Erfolg und Glück sind eng miteinander vebunden. Es reicht nicht aus, erfolgreich zu sein – man muss auch glücklich sein. Ich war lange Zeit erfolgreich, aber innerlich unglücklich. Es ist wichtig, bei sich selbst zu bleiben und einen Plan zu verfolgen – dabei alle mit ins Boot zu nehmen. Ich bin immer da für mein Team – nicht, weil sie ohne mich scheitern würden, sondern weil ich sicherstellen möchte, dass wir gemeinsam motiviert bleiben. Man muss Teil von etwas Größerem sein, alleine schafft man das nicht. Ich lasse mich von Kritikern nicht beeinflussen, solange wir an dem festhalten können, was wir tun und daran glauben, machen wir weiter so. Viele Menschen sind erfolgreich, aber unglücklich – das sind zwei verschiedene Dinge! Ich freue mich über Auszeichnungen, aber danach denke ich oft: Bin ich jetzt zufrieden? In mir schlummert immer eine latente Unzufriedenheit – vielleicht aus Angst vor Stagnation oder Nachlässigkeit. Diese Unzufriedenheit treibt mich an – sie ist mein Motor.
Also eine positive Unzufriedenheit darf durchaus vorhanden sein, um sein Ziel zu erreichen?
Eine glückliche Unzufriedenheit.
Eine kreative Unzufriedenheit!
Man sollte sich nicht in einen Strudel ziehenlassen und immer wieder hinterfragen: Ist das der richtige Weg für mich? Auch wenn es kitschig klingt –man muss auf sein Herz hören. Ob du eine Heldin bist, kannst nur du für dich allein definieren.
JUAN AMADOR
Der Sohn spanischer Gastarbeiter, geboren 1968 in Waiblingen, entdeckte schon früh seine Leidenschaft für das Kochen. Nach verschiedenen Stationen in renommierten Restaurants, darunter auch Sterne-Betriebe, eröffnete er im Februar 2004 sein eigenes Restaurant „Amador“ in Langen bei Frankfurt am Main, das mit drei Michelin-Sternen ausgezeichnet wurde. Mit seinem zweiten Restaurant „Tasca“ in Wiesbaden erkochte Amador zwei Sterne, musste jedoch aufgrund wirtschaftlicher Schwierigkeiten schließen. Trotz des fortlaufenden Betriebs seiner anderen Restaurants war die Amador AG im Jahr 2012 nicht vor einer Insolvenz gefeit. Im April 2016 eröffnete Amador im 19. Bezirk von Wien erneut das Restaurant „Amador“, das 2017 mit zwei und schließlich 2019 mit drei Sternen ausgezeichnet wurde – übrigens als erstes Restaurant in Österreich. Gault&Millau ehrte ihn mit fünf Hauben und 19 von 20 Punkten.
Im Jahr 2018 wurde Philipp Hochmair, Schüler von Klaus Maria Brandauer, als Held der Nation gefeiert, als er über Nacht für den erkrankten Tobias Moretti als Jedermann einsprang und damit die Salzburger Festspiele vor einem kleinen Desaster rettete. 1973 in Wien geboren, entdeckte Hochmair schon früh seine Leidenschaft für die Schau-
PHILIPP HOCHMAIR
spielerei. Bereits als Schüler sprang er während des Unterrichts auf den Tisch und rezitierte Goethes „Totentanz“. Er studierte am Max Reinhardt Seminar in Wien sowie am Conservatoire national supérieur d’art dramatique in Paris. Seine Monologe – darunter „Werther“ von Goethe, „Amerika“ und „Der Prozess“ von Franz Kafka sowie die Rockversion „Jedermann reloaded“, die er mit seiner Band „Die Elektrohand Gottes“ präsentiert – zeichnen sich durch beeindruckende Intensität und emotionale Tiefe aus. Seine Fähigkeit, komplexe Charaktere und innere Konflikte darzustellen, verleiht seinen Darbietungen eine fesselnde
Authentizität. Auch im Film und Fernsehen konnte der Schauspieler mit seiner charismatischen Präsenz überzeugen, etwa als korrupter Politiker Joachim Schnitzler in „Die Vorstadtweiber“, als blinder Kommissar Alexander Haller in „Blind ermittelt“ oder als Reinhard Heydrich in „Die Wannseekonferenz“. Im Sommer 2024 war er als 20. Jedermann der meistfotografierte Mensch Österreichs.
VIKTORIA FAHRINGER
Der aus Kufstein in Tirol stammenden Köchin und Hotelière wurde die Leidenschaft und das Talent fürs Kochen quasi in die Wiege gelegt. Mit nur 21 Jahren erhielt sie ihre erste Haube und wurde damit zur jüngsten Haubenköchin Österreichs. Im Jahr 2024 folgte die Auszeichnung als „Köchin des Jahres 2024“ vom Schlemmer Atlas und Rolling Pin. Schon früh verspürte Viktoria Fahringer den Wunsch, ihren eigenen Weg zu gehen. Obwohl sie 2019 den elterlichen Betrieb übernahm, transformierte sie diesen grundlegend. So entstand „Viktorias Home“, ein 4-Sterne-Hotel mit fünf luxuriösen Suiten und Appartements, das nicht nur das mittlerweile mit zwei Hauben ausgezeichnete Gourmet-Wirtshaus „Tiroler Hof“ beherbergt, sondern auch ihre
eigene Kochschule. Im Jahr 2024 gründete sie gemeinsam mit drei weiteren Powerfrauen aus der Branche das kulinarische Kollektiv „Kuliktiv“ „ Hier dreht sich alles um Teamwork und Innovation – von der Küche über die Patisserie bis hin zu Wein und Service. „Wir experimentieren mit neuen Zutaten und modernen Kochtechniken, um außergewöhnliche Geschmackserlebnisse zu schaffen und bringen frischen Wind in die Gastronomie-Szene.“ Zudem co- gründete sie auch das neue Food Start-up Veatzz mit dem glutenfreien Bio-Zaubermehl. Aktuell arbeitet sie an ihrem ersten Kochbuch und eigenem Dokumentarfilm, welche beide Ende 2025 erscheinen sollen.
Als FRESSEN und SAUFEN erst richtig GEIL wurde
Wie war das mit den Helden von damals?
Ein Streifzug durch die Geschichte der Kulinarik von Escoffier über Bocuse bis Eselböck und was die Bewegung junger Filmregisseure in Paris mit der Nouvelle Cuisine zu tun hatte.
Manfred Klimek
Sommer 1966. Der Beginn einer weltweit unruhigen Zeit, wie wir sie gerade wieder gut hinbekommen – wir Menschen. Weltweit, von Mexiko über die USA und Kanada, in Europa, in Teilen der so genannten Dritten Welt und auch in Japan, beginnt die Jugend, Leute zwischen 16 und 30, einen Aufstand gegen das erstarrte System der Nachkriegszeit – ausgerechnet am Höhepunkt des Kalten Krieges. Diese Bewegung, die in den gewalttätigen Studentenaufständen zwischen 1967 und 1970 mündete, wird in den 1970er-Jahren „die Achtundsechziger“ genannt; ein bis heute gültiger Sammelbegriff für APO (Außerparlamentarische Opposition – die Vorfahren der NGOs), SDS (Sozialistische und Maoistische Studentenbünde) und der Mehrheitsfraktion dieser Bewegung, schlicht Hippies genannt.
Ein paar Jahre zuvor, so ab 1959, ging von Paris weg eine Bewegung junger Filmregisseure auf die Straße, um auf der Straße realistische Filme zu drehen, die alle unglaublich erfolgreich waren. Die Regisseure dieser Bewegung, die sich selbst „Nouvelle“ Vague nannten, also Truffaut, Godard, Rivette, Malle, Chabrol und die anderen, hatten eines gemeinsam: Sie gingen alle gerne richtig gut essen. Doch genauso wie sie die alte Filmwelt verachteten und disruptiv zerstörten, fanden sie auch die alte Pariser Restaurantwelt maximal scheiße und suchten nach neuen, jungen Köchen, die so radikal waren wie sie selbst.
In diesem Sommer 1966 folgte die Hochküche weltweit seit mehr als sieben Jahrzehnten den Konzepten von Auguste Escoffier, der Ende des „Fin de Siècle“ selbst ein großer Reformer war: Escoffier führte die Hygiene in der Küche ein und auch die Küchenbrigade mit ihren einzelnen Stationen der Zubereitung, wie sie teilweise auch heute noch vorhanden sind. Und Escoffier überarbeitete die französische Küche derart
erfolgreich, dass diese zum Exportschlager wurde: Die erfolgreichsten Restaurants der Escoffier-Bewegung fanden Platz in den großen Hotels der großen angloamerikanischen Städte. Im immer noch berühmtesten Hotel Londons, dem Savoy on the Strand, werkten im dortigen Grill-Room bis zu sechzig Köche in der Küche – nicht alle kriegten Lohn dafür, die Stellen waren auch Prestige, denn mit dem Zeugnis des Savoy konnte man leicht sein eigenes Restaurant eröffnen.
Escoffier und seiner Küche war eines eigen: Abendmenüs mit 18 bis 26 Gängen. Ein Konzept, das der spanische Molekularkoch Ferran Adrià in den 1990er verschlankt nochmals ins Leben rief – mehr zu Adrià später im Text. Diese Menüs waren Butter- und Sahnesaucen-Orgien mit sogenannten Eisbomben zum Schluss, aus welchen Feuerwerke gezündet wurden. Die Gäste begannen um 18 Uhr und gingen meist erst gegen 2 Uhr früh wieder heim. Es war ein Zirkus für die Reichen, die ausschlafen durften.
Walter Eselböck: Koch, kulinarisches Popidol der 90er und sogar als möglicher Gesundheitsminister gehandelt.
Und dieser Zirkus war der einflussreichen Bewegung der Pariser Nouvelle Vague maximal unsympathisch – sie hassten und verachteten ihn. Was die Nouvelle Vague von jungen und neuen französischen Köchen wollte, war, dass diese ihre Menüs radikal verschlankten. So wie sie ihre Filme verschlanken, so wie sie nicht mehr in Filmstudios und Filmkulissen drehen wollten, sondern ihre Themen mit Handkameras auf der Straße suchten, fanden und drehten, sollten „ihre Köche“ die Zutaten, die Grundprodukte der Speisen auf den Feldern, den Weiden und an den Küsten Frankreichs finden: frisch, natürlich und wenn möglich lokal. Kommt Köchen heute irgendwie bekannt vor.
In diesem Sommer 1966 machte sich ein junger Koch namens Paul Bocuse daran, der schon im Entstehen begriffenen neuen Küche einen Namen zu geben, der folgerichtig, nach der Bewegung der Filmer, das Nouvelle als Vorwort pflegte: „Nouvelle Cuisine“, eine Küchenideologie, die die Küche Escoffiers weltweit in die Tonne trat – nach 80 Jahren Alleinherrschaft. Und Bocuse, der die Nouvelle Vague gar nicht erfunden hatte, wurde Prinz, König und Kaiser dieses neuen, megamodernen kulinarischen Stils.
Die Nouvelle Cuisine hatte eine einfache, aber vor allem geniale Struktur, die in weiten Teilen der Hochküche auch heute noch gilt: Amuse Gueule, zwei Vorspeisen, ein Sorbet, ein Roti (Fisch oder Fleisch) mit zwei Beilagen, zuzüglich einer genialen Sauce und ein Dessert. Beginn um 19 Uhr, Ende drei Stunden später.
Vor allem in New York erkannte man den Vorteil, ein Restaurant abends mit zwei Seatings (18 bis 21 Uhr und 21 Uhr bis Mitternacht) mit großem Gewinn auslasten zu können. Auch die Küchenbrigade wurde zumindest halbiert.
Ein neues Zeitalter, eine neue Zeitrechnung begann.
Eckart Witzigmann: Mit ihm schwappte die Nouvelle Cuisine Anfang der 70er von Frankreich nach Deutschland über.
Auguste Escoffier: Der Erfinder der Menü-Schlachten mit dutzenden Gängen.
Die gro e Welle
Anfang der 1970er-Jahre schwappte die Nouvelle Cuisine nach Deutschland über. Und ein österreichischer Koch, Eckard Witzigmann, aufgewachsen in Bad Gastein, wurde ihr erster großer Vertreter in Mitteleuropa – engagiert von einer Architekten- und Bauherrenfamilie aus München. Das Restaurant selbst war (und ist) in seiner Architektur und in der Anordnung der Küchen (Vorbereitungs- und Hauptküche) mega-progressiv. Das Tantris war Jahrzehnte lang die erste Adresse für großartige Nouvelle Cuisine in Deutschland; eine Pilgerstätte für die Moderne in Sachen Essen und Trinken. Wichtig: Erstmals wurden die Weinkellner zu echten Sommeliers ausgebildet (im Tantris war es mit Paula Bosch sogar eine Sommelière), die sich nur dem Wein widmen durften – so weit waren die französischen Restaurants noch nicht.
Witzigmann verließ das Tantris mit zwei Michelin-Sternen (den dritten kochte erstmals in Deutschland sein Nachfolger, der Südtiroler Heinz Winkler) und erfand sich in seinem Münchner Restaurant Aubergine neu, wo er auch eine ganze Elite junger Köche ausbildete – darunter Jörg Wörther, Karl Ederer, Hans Haas (der Winkler im Tantris nachfolgte und dort den dritten Stern etwas ungerecht wieder verlor) und ein paar Tage lang auch Reinhard Gerer, der die Wiener Hochküche ein paar Monate später radikal reformierte.
Eine große Zeit großer Köche, die in den 1980er-Jahren auch im kulinarisch verschlafenen Wien Platz griff. Wesentlich dafür war die eher wertekonservativ ausgerichtete steirische Familie Reitbauer, die in ihrem Steirereck ihrem Koch Helmut Österreicher Raum und Zeit gab, eine gesamtösterreichische und nicht nach Frankreich schielende (wie man es in Deutschland damals noch für wichtig hielt) Kulinarik zu entwickeln. Österreicher und Reitbauer, allesamt eher das alte Österreich verkörpernd, wagten auch für sich einzigartig Radikales und begannen vor allem mit ihren unglaublich günstigen und richtig genial schmackhaften Mittagsmenüs eine neue Schar Gäste ins Haus zu holen, die in den Jahre danach zur wesentlichen Stütze des Steirerecks und der neuen jungen Köche wurden – die Leute „von den Medien und aus der Werbung“; also jene, die gerade begannen, Geld zu verdienen.
Im Steiereck arbeiteten auch die Weinviertler Brüder Schmid: Adi und Herbert Schmid, der eine für die Weine, der andere für den Käse zuständig. Adi Schmid war es, der uns nach dem Weinskandal 1985 die Weine junger österreichischer Winzer nahebrachte.
Das Steirereck war, noch vor der fulminanten Übernahme des Sohnes Heinz jr. und seiner Frau Birgit, jenes Lokal, das die Moderne der österreichischen Gastronomie einleitete; eine Moderne, die andere Gastronomen in ihrer Komplettheit nie begriffen haben, was dazu führte, dass gleich ausgerichtete Lokale wie Nikis Kuchelmasterei oder Rudi Kellners großartiger Altwienerhof keinen Weg in die Gegenwart fanden. Nur Ewald Plachutta kriegte nach seinem Ausstieg bei Uwe Kohls immens teuren Innenstadt-Gastrotempel „Drei Husaren“ einen profitab -
Paul Bocuse: Er gab der neuen Bewegung den Namen – abgeleitet vom neuen französischen Kino „Nouvelle Vague“.
len Weg in seine eigene traditionelle Moderne hin: er gründete eine mega-erfolgreiche, nach ihm benannte RindfleischküchenKette, die heute von seinem Sohn Mario geleitet und verwaltet wird.
Drau en auf dem Land
Doch Österreich ist nicht nur Wien. Österreich: Dort gibt es auch Berge. Und am Fuße dieser Berge, in Bregenz und in Plomberg am Mondsee, lieferten sich von 1979 an, einem auch weltpolitisch wichtigen Jahr, zwei heute seltsamerweise vergessene Spitzenköche ein Duell, das sie auch verbal austrugen („Der kann ja nichts!“, „So ein Angeber“): Ernst Huber und Karl Eschlböck. Huber startete in einem winzigen Restaurant namens Zoll (weil dicht an der Grenze zur Schweiz), Eschlböck residierte in seinem Hotelrestaurant „Mein Plomberg“ direkt am See mit Badestrand. Beiden angriffslustigen Superstars der österreichischen Küche, die auch vom neu gegründeten österreichischen Gault&Millau Höchstwertungen erfuhren, war lange Zeit eigen, dass sie von Gästen aus der Schweiz und Deutschland lebten. Die Österreicher brauchten etwas, bis sie erkannten, welche gastronomischen Magnaten auf ihrer Scholle kochten. Wie so oft im Österreich der damaligen Jahre ging der Impuls von der Auslandspresse aus, während die lokale Inlandspresse Huber und Eschlböck schlichtweg verlachte. Karl Eschlböck erzählte oft, dass er Tage hatte, an denen in seinem vollen Seerestaurant kein einziger österreichischer Gast dinierte. Das führte zu Äußerungen (die sich Huber stets verkniff) wie: „Die Österreicher sind kulinarische Trotteln“, was Eschelböck immer, bis zum Schließen des Plomberg, übelgenommen wurde. Nicht vergessen werden darf, dass in
Österreich, anders als anderswo, sehr schnell auch Frauen Spitzenköchinnen wurden. Zuerst, schon zu Beginn der 1980er, die großartige Lisl Wagner-Bacher in Mautern – mehr Feministin, als sie selbst von sich ahnte. Und dann, rund zehn Jahre später, Johanna Maier in Filzmoos, die erstmals auch von Frauen gestaltete österreichische Spitzengastronomie weltweit bekannt machte.
Ende der 1980er-Jahre aber tauchte ausgerechnet im damals ärmsten Bundesland Österreichs, dem Burgenland, eine Gastronomenfamilie auf, die in Schützen am Leithagebirge einem alten und einfachen Straßendorf-Gebäude Leben einhauchte. Weil dort ein Taubenschlag stand, nannten Eveline und Walter Eselböck ihr Restaurant Taubenkobel – so heißt es, geführt von Tochter Barbara und ihrem Mann, dem elsässischen Spitzenkoch Alain Weißgerber, auch heute noch.
Eselböck, großgewachsen und so wie seine Frau Eveline gutaussehend und modebewusst, wurde um 1990 herum das erste echte Popidol der österreichischen Küche, mit einer wahnsinnig selbstgewissen Selbstpräsentation in den Medien, die nach einer derart wort- und ausdrucksstarken Gastronomenfamilie förmlich lechzte. Und, kein Witz: Nach zahlreichen sehr klugen Interviews über die Wechselwirkung zwischen Essen, Trinken und Volksgesundheit wurde dem Autodidakten Eselböck zugetraut, auch autodidaktisch ein Ministeramt zu führen. Als der Sozialdemokrat Viktor Klima Altkanzler Franz
Vranitzky beerbte, Da stand Walter Eselböck ein paar Wochen lang auf einer improvisierten Ministerlisteals eventueller Gesundheitsminister festgeschrieben.
Als die Aufbruchsjahre zu Ende gingen, also Anfang des neuen Jahtausends, da kamen auch die Superstars der neuen Küche in erste Bedrängnis. Und das weltweit, denn weltweit ersetzten Moden die Moderne, übernahmen Ideologien die Küchen. Zuerst schon in den 1990er-Jahren die Fusionsideologie, verschiedene Küchenstile verschiedener Länder zu einer Weltkulinarik zu verschmelzen. Danach dann die Mode Molekularküche, die auf Sizilien erstmals kreierte Physikerküche des wissenschaftlich versierten französischen Kochs Hervé This, deren berühmtester Vertreter der eingangs erwähnte Dreisternekoch Ferran Adrià wurde. Und der Molekularküche folgte ca. 2008 die Nordic Cuisine, deren Epizentrum das Kopenhagener Restaurant Noma war.
Führend im Propagieren der Modeküchen wurden die Michelinund Gault&Millau-Konkurrenten „The World’s best 50 Restaurants“ – ausgerichtet ausgerechnet von einer Mineralwasserfirma, die dem böse beleumundeten Schweizer Nahrungsmittelkonzern Nestlé gehört. Spätestens dann war die Zeit der legendären Kulinarik-Reformer und nunmehrigen Altspatzen zu Ende. So wie sie durch Disruption an Einfluss gewannen, so beseitigten sie das alte System wieder durch Disruption. Der Rest steht in anderen Geschichten.
Lisl Wagner-Bacher: Zu ihrer Zeit eine der besten Köchinnen der Welt.
WANN HABEN WIR DIE WERT
SCHÄTZUNG FÜR ALL DAS VERLOREN?
Katja Scharnagl Die New Yorker Spitzensommelière Katja Scharnagl bricht eine Lanze fürs Service : Über Heldinnen und Helden unter dem Radar, die den Laden am Laufen halte
n u nd jene, die den Umsatz ankurbeln können. Oder eben nicht.
Nein! Da steht jemand vor dir mit einem Wissen, so umfangreich, wie es im Team kein anderer hat: über das Menü, einzelne Zutaten, Weine, Spirituosen. Da steht jemand, der dir zuhört und sich für dich interessiert; der weiß, was dir schmeckt und was nicht, welche Allergien und Unverträglichkeiten du hast, ob dein Mineralwasser still oder prickelnd sein soll und wie du deinen Kaffee trinkst. Was das betrifft, ist für mich Johanna Stiefelbauer aus dem Landhaus Bacher in Mautern in Niederösterreich ein absolutes Role Model. Sie kennt die Vorlieben jedes Gastes. Sie ist die Seele des Hauses. Ein Landhaus Bacher ohne sie ist gar nicht vorstellbar. Ein Restaurantbesuch ist mehr als nur Essen. Was sich einprägt, ist der persönliche Service. Kellnerinnen und Kellner, die ein Gespür für ihr Gegenüber haben. Ein Restaurant ist ein Theater; eine Bühne, auf der der Gast im Rampenlicht steht und sich dabei wohlfühlt. Das gelingt nur, wenn Restaurantbetreiber:innen langfristig denken: Will ich heute einen schnellen „Sales“ oder will ich morgen zwei, vier oder vielleicht sogar noch mehr neue Stammgäste begrüßen?
nur der Kellner, so what?“
Betrieb wohlfühlen, dann geben sie dieses Gefühl auch an ihre Gäste weiter. Man spricht nicht umsonst vom Service als Visitenkarte des Restaurants. Lehrlinge sind da, um zu lernen, nicht um ausgebeutet zu werden. Wir haben drei Jahre Zeit, um ihnen zu zeigen, wie schön Gastronomie sein kann. Andernfalls sehen wir sie nach ihrer Ausbildung nie wieder.
Nutzen wir diese Chance und investieren wir in den Nachwuchs. Gastronomie öffnet Türen. Ja, die Arbeit ist anspruchsvoll, manchmal hart, aber das ist Arbeit in anderen Branchen auch. Und keiner sagt, dass man jahrzehntelang Kellner oder Kellnerin bleiben muss. Es ergeben sich Aufstiegschancen und Möglichkeiten, sich fortzubilden und zu reisen, außerdem Jobangebote. Gastronomie ist eine Schule fürs Leben. Man eignet sich Hardund Soft-Skills an, von denen man auch in anderen Berufen und privat profitiert: Einfühlungsvermögen, Menschenkenntnis, die Fähigkeit, Unterhaltungen zu führen. Wer einmal in einem Restaurant gearbeitet hat und als Gast zurückkommt, begegnet dem Service mit einer ganz anderen Wertschätzung und Respekt. Man würde nie auf die Idee kommen, zu sagen: „Das ist doch
Die Aufmerksamkeit liegt in der Regel auf dem, was auf dem Teller und im Glas ist. Die Superstars der Branche sind die Köch:innen, die Sommelièren und Sommeliers und Barkeeper:innen. Wichtiger jedoch als das, was der Gast serviert bekommt, ist, wie er sich dabei fühlt. Das ist Aufgabe der Servicemitarbeiter:innen. Sie sind es, die den Gast in Empfang nehmen, ihn durch den Abend begleiten und verabschieden. Ein guter Kellner, eine gute Kellnerin, beherrscht die hohe Kunst, aus Gästen Stammgäste zu machen. Diese sind für Restaurants immens wertvoll, weil sie wichtige Multiplikatoren sind und dabei helfen, selbst Krisenzeiten gut zu überstehen. In New York hat es sich eingebürgert, Gäste nach Schema F zu bedienen. Statt langfristiger Gästebindung durch persönlichen, individuellen Service zählt ein möglichst hoher Table Turnover. Zusatzverkäufe bleiben aus, und die Rechnung kommt automatisch, sobald deine Zeit als Gast abgelaufen ist. Kellnerinnen und Kellner werden zu Tellertaxis degradiert und ihnen jegliche Kompetenz und Verantwortung abgesprochen. Dabei sind genau sie es, die am Tisch die ersten Verkäufer:innen sind. Sie können den Umsatz ankurbeln. Oder eben auch nicht. Kellner:in ist ein Beruf, auf den man unglaublich stolz sein kann. Das müssen wir jungen Menschen bereits in ihren Ausbildungsjahren deutlich machen. Wir müssen sie genauso zu Superstars machen, wie wir es mit anderen Berufsgruppen in der Branche tun –damit auch der Gast das Service wieder mehr wertschätzt. Was bringt es, wenn das Restaurant schön und die Küche gut ist? Es sind die Menschen, die einen Restaurantbesuch zum Erlebnis machen. Dort sollten wir ansetzen –indem wir unsere Servicemitarbeiter:innen motivieren. Wenn sie Anerkennung erhalten, man sich um sie kümmert und sie sich im
Ein Restaurant ist ein Theater; eine Bühne, auf der jeder seine Rolle spielt. Wer aber erntet den größten Applaus? Spoiler: Es sind nicht die Servicemitarbeiterinnen und -mitarbeiter. Und das, obwohl sie maßgeblich zum Gesamterlebnis beitragen. Mehr noch: Kellnerinnen und Kellner sind die Stützen erfolgreicher Restaurants. Sie sind Highly Skilled Professionals: empathisch, flexibel, stressresistent, talentiert im Kommunizieren und Verkaufen. Wann haben wir die Wertschätzung für all das verloren?
Von Heldinnen und Diven
Die Welt der gehobenen Gastronomie musste zu lange fast ohne Frauen auskommen. Heute sind Köchinnen – und vor
allem Chefköchinnen – begehrt wie nie. Das bringt große Talente an die Spitze, die ganz anders ticken als ihre männlichen Kollegen.
Wolfgang Fassbender
Janaína Torres
Es war eine ebenso skurrile wie anachronistische Situation. Eine ganze Phalanx von Männern meist gehobenen Alters saß im Frankfurter Gesellschaftshaus Palmengarten Seit an Seit, allesamt von hohen, altertümlich wirkenden Kochmützen überragt. Mittendrin eine einzige Frau. Léa Linster, die Luxemburgerin. Zusammen mit ihren männlichen Kollegen sollte die ehemalige Gewinnerin dieses Wettbewerbs über die Kandidaten der deutschen Vorausscheidung zum Bocuse d’Or richten. Ob keine weiteren weiblichen Köche gesucht wurden, ob sich keine andere Cheffe de Cuisine Anreise und Testessen antun wollte? Es drang nichts nach außen, doch die eine Frau unter
allzu vielen Männern ist keine Ausnahme, sondern immer noch Regel. Köchinnen und Alibiköchinnen werden händeringend gesucht. Und die fast 70-jährige Linster, de facto schon weitgehend im Ruhestand, gehört zu den wenigen, die sich gern in Bereitschaft halten. Linster weiß ihre nach dem eigenen Bocuse-d’Or-Sieg 1989 aufgebaute Popularität zu nutzen, obwohl (oder weil) sie bisweilen den Status der Diva pflegt. Dass sie den in ihrem Restaurant zum Interview angemeldeten Journalisten und den mitgereisten Fotografen mal eine Dreiviertelstunde warten ließ, weil der Friseurtermin wichtiger war, schadet ihr nicht.
Marcus Steinmeyer
Claire Smyth
Es ist verständlich, wenn so manche ernsthaft arbeitende und talentierte Frau der Kochbranche sich nicht von der grellen Show einiger Fernsehköchinnen angesprochen fühlt – denn wie auch bei den Männern bleiben die Besten hinter dem Herd als vor die Kamera zu rücken. Wer eher still und leise für sich selbst und seine Kunden arbeitet, wird bei Anfragen für Events wohl eher abwinken, seine Präsenz auf Festivals auf ein Mindestmaß beschränken, nie ins TV drängen. Frauen pflegen dieses noble Understatement mehr wie Männer – leider sogar so sehr, dass man schnell vergisst,
dass so viele großartige Köchinnen überhaupt existieren; Angebote zur Leitung von Teams und Küchen bleiben dann oft aus. Wie Anne-Sophie Pic. Die 3-Sterneköchin zeichnet sich nämlich wie kaum eine andere Köchin durch Delegationstalent aus, das dem von Alain Ducasse und Martín Berasategui nicht nachsteht. Restaurants in Paris und London ebenso aus der Ferne zu steuern wie das zweifach besternte Outlet in Lausanne, dazu daheim noch drei Sterne zu verteidigen und ihren Stil weiterzuentwickeln, schafft nicht jede, nicht jeder.
Als Vorbild für die kochenden Frauen dieser Welt taugt die Gastronomin aus Valence gewiss, an der französischen wie internationalen Vorherrschaft der Männer ändert ihre Präsenz freilich nur allmählich etwas. Ebenso rar wie die Drei-SterneKöchinnen – neben Pic etwa Hélène Darroze und Claire Smyth – sind jene weiblichen Managerinnen, die Executive-Positionen in der gehobenen
Hotellerie innehaben und ganze Brigaden führen. So wie die eloquente Anaisa Guevara, die im mexikanischen Ferienparadies Los Cabos mehrere Restaurants leitet und gerade mit Anfang 30 von einem Fachmagazin zu einer der wichtigsten Küchenchefinnen des Landes gekürt wurde.
Elena Arzak
Hélène Darroze
Als Vorbild für die kochenden Frauen dieser Welt taugen die Köchinnen gewiss, an der französischen wie internationalen Vorherrschaft der Männer ändert ihre Präsenz freilich nur allmählich etwas.
Ob sich auf solcher Basis internationale Bekanntheit erreichen lässt, ob Sterne und andere Auszeichnungen folgen, hat immer auch mit der Persönlichkeit der Menschen zu tun und damit, inwieweit ihre Arbeitgeber das auch fördern. Gerade für jene, die nicht im eigenen Betrieb aufwachsen, ist Unterstützung oft ebenso wichtig wie Talent. Ein gutes Beispiel ist die Baskin Elena Arzak. Ihr Vater Juan-Mari
hat ihr jenen Weg bereitet, auf dem die fließend Deutsch sprechende Köchin mit eigenen Ideen und unnachahmlichem Kommunikationstalent strahlend weiterschreitet. Dass die baskische Spitzenküche in ihrer philosophisch unterlegten Konzeption gefangen sei, behaupten zwar einige, aber wer sich einlässt auf eine im Vergleich zu österreichischen, deutschen oder Schweizer Kochpraktiken so ganz
andere Art der Zubereitung, wird was erleben und darüber hinwegsehen, dass der eine oder andere Gang eher durch erfrischende Ideen fasziniert als durch dreisternwürdige Komplexität. Arzak indes ist auch ein Beispiel für eine Frau, die nicht nur einen Betrieb zu organisieren weiß, sondern auch das Netzwerken beherrscht. Die Zusammenarbeit mit
ihren weiblichen oder männlichen Kollegen, die Präsenz auf Fachsymposien wie der Madrid Fusión, die Kontakte mit Journalisten sind für Arzak selbstverständlich. Und noch mehr beherrscht die Spanierin: Ihre außergewöhnliche Verbundenheit mit der Heimat wird durch die fördernde Verbundenheit mit dem dortigen Basque Culinary Center ebenso
Pam Soontornyanakij
deutlich wie die Selbstverständlichkeit, mit der einheimischen Stammgästen Plätze freigehalten werden.
Wille zum Erfolg
Ihre Kolleginnen aus Lateinamerika, die Brasilianerin Janaína Torres oder die Peruanerin Pia Léon, sehen das auf eine etwas jüngere, etwas coolere Weise ähnlich. Kaum eine andere Küchenchefin als Léon hat sich so konsequent ihren Weg erarbeitet, hat bei namhaften Kollegen hospitiert, sich vorbereitet, auf sich aufmerksam gemacht. Und kaum
jemand pflegt das Storytelling so gut wie Pichaya „Pam“ Soontornyanakij, deren Familie in Thailands Hauptstadt Bangkok eines der spektakulärsten Restaurants Asiens eingerichtet hat. Die Leistung der Küche, zweifellos gut, verblasst hier fast vor der Dramaturgie und dem Willen, nicht nur das eigene Restaurant, sondern die ganze Stadt auf der Weltkarte der Gastronomie zu platzieren; der MichelinStern, den das Restaurant Potong vorzeigen kann, wird da fast nebensächlich. Was Dominique Crenn geleistet hat, ist freilich auch nicht zu unterschätzen. Die erste Dreisterneköchin der USA zeigt neben ihrer Fähigkeit, auf französischer Basis eine eigen-
Dominique Crenn
Julia Leitner
, Handwerk, Geschmack, Braukunst – und mit Sicherheit ein gutes B CulturBrauer. 2025 veranstalten wir gemeinsam spannende Worksho euch, für uns und für die Zukunft der österreichischen Bierkult
„Der Begriff gastrosexueller Mann bezeichnet jene, die im Alltag bereits die Spülmaschine als Endgegner begreifen, an ihrem freien Tag hingegen zehngängige Menüs auffahren.“
p rofessionelles kochen ist eine ziemliche m achod isziplin
… meint unsere Autorin Eva Biringer. Wer die wahren Heroes der Kulinarik sind und was gastrosexuelle Männer damit eben nicht zu tun haben –schreibt sie hier in ihrer Kolumne.
Helden am Herd, eine Alliteration, die Raum für vieles birgt. Kochlöffel als Schwerter, Trockentücher, die flattern wie Superheldencapes. Die geheime Superkraft: Macarons backen ohne Mengenangabe. In der Realität geht es dabei viel eher um Verantwortung. Kochen für Helden nannten Max Strohe und Ilona Scholl ihre Aktion, bei der sie während der CoronaPandemie Berliner Pflegepersonal mit Eintöpfen versorgten. Siebzig Restaurants in ganz Deutschland folgten ihrem Beispiel, verdienterweise gab es für die Betreiber des Tulus Lotrek das Bundesverdienstkreuz. Gal Ben Moshe, Wahlberliner und Besitzer des besternten Levante-Restaurants Prism, verbringt eine Woche im Monat in Tel Aviv, wo er nicht nur in einer Museumsgastronomie kocht, sondern auch für all diejenigen, die für die Freilassung der Hamas-Geiseln protestieren. Manche denken zukunftsorientiert, indem sie wie Andreas Caminada die Nachwuchsgeneration mit einem fünfmonatigen Stipendium fördern, inklusive Praktika an weltweiten Topadressen. Finanziert wird die Uccelin-Stiftung durch Golfturniere und Four-Hands-Dinner. Merke: Chef und Charity vertragen sich gut. Andere kämpfen, wie der TIAN-Chefkoch Paul Ivic, für eine vegetarisch-vegane Kochausbildung, mit Erfolg, wie die ab kommendem Jahr geltende Änderung zeigt, oder wie Heinz Reitbauer vom Steirereck für eine nachhaltige Landwirtschaft und gute Produzentenbeziehungen. Wieder andere schreiben sich das Thema Inklusion auf die Fahne wie das ausschließlich neurodiverse Mitarbeiter beschäftigende Alamesa in Buenos Aires und das Wiener Hotel Magdas, in dem Geflüchtete eine Anstellung finden.
Schon gewusst? Ein Drittel aller weltweit verfügbaren Le bensmittel landet täglich im Müll. Dagegen recken Douglas McMaster vom Londoner Silo die Faust und der Andalusier Ángel Léon mit seiner Zero-Waste-Fisch-Philosophie. In eine ähnliche Richtung geht Food for Soul, die von Massimo Bottura und Lara Gilmore gegründete Stiftung. Die von Indien nach London emigrierte Asma Khan positioniert sich gegen den leider in vielen Profiküchen herrschenden Rassismus, indem sie in ihrem Darjeeling Express regelmäßig migrantischen Nachwuchsköchinnen überlässt. Hierzulande machen Lukas Mraz, Philip Rachinger und Felix Schellhorn als Healthy Boy Band durch Kunstaktionen und Kochperformances auf dieses strukturelle Problem aufmerksam, ebenso auf das Thema Sexis mus – das professionelle Kochen ist nämlich eine ziemliche Machodisziplin. Überhaupt können klare politische Ansagen aus einem Gastronomen einen Helden machen. So klebt an der Tür des Berliner Nobelhart & Schmutzig ein Anti-AfD-Aufkleber, und das nicht erst seit diesem Jahr. Davon abgesehen bezahlt Billy Wagner seine Mitarbeitenden übertariflich und lässt sie auf ihren Positionen rotieren, was unter anderem bedeutet, dass jeder mal mit dem Abwasch dran ist. Spüler sind nämlich die wahren Helden der Profiküchen! Und schließlich kann man gegen Jamie Oliver sagen, was man will (vom Besuch seiner Currywurst-Pizza-Systemgastronomien würde ich abraten), sein Engagement für Schulessen und Zuckersteuer ist ehrenwert. Eine Stiftung hat auch er, sie heißt Fifteen Foundation und
ermöglicht benachteiligten Jugendlichen eine Kochausbildung. Viel weniger bekannt, aber nicht weniger Superheldenkostümwürdig ist der albanische Koch Bledar Kola, der sich ebenfalls für eine bessere Ernährung von Kindern und Jugendlichen einsetzt.
Und wie sieht es jenseits der Profiküchen aus? Nur weil jemand das Grundbedürfnis eines anderen stillt, macht ihn das nicht automatisch zum Helden. Ganz besonders trifft das auf jene Milliarden Frauen zu, die tagtäglich drei bis fünf Mahlzeiten auf den Familientisch zaubern. Nicht alle von ihnen zieht es naturgemäß an den Herd, es fragt sie bloß keiner. Niemand beklatscht dienstagabends deren Hackfleisch-Käse-Auflauf, im Gegensatz zu dem, was ihre Partner am Wochenende fabrizieren. Der Begriff gastrosexueller Mann bezeichnet jene, die im Alltag bereits die Spülmaschine als Endgegner begreifen, an ihrem freien Tag hingegen zehngängige Menüs auffahren. „Was für einen Küchenhelden du hast!“, ruft das beeindruckte Publikum der Ehefrau zu, geblendet vom Solinger Damaststahlmesser. Hoffentlich räumt er seinen Pacojetaufsatz hinterher wenigstens in die Spülmaschine.
Und dann gibt es noch eine Karte im Superheldenquartett: all die motorisierten oder nichtmotorisierten Zweiradkuriere mit ihren auf den Rücken geschnallten Warmhalteboxen. Auch wenn ich mich regelmäßig darüber aufrege, dass die Fahrradwege jetzt noch voller sind, gebührt ihnen mein tiefer
Der Applaus für Heldinnen kann auch vergiftet sein
Wo Konkurrenzdruck herrscht, gibt es einen Hang zur Personalisierung, meint der Soziologe Ulrich Bröckling. Über die Lehrjahre als Heldenreise bis zum „Rebel Hero“ und die Gefahren einer falschen Heroisierung.
Ulrich Bröckling lehrt Kultursoziologie an der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg. Mit der Figur des Helden als Ausnahmegestalt beschäftigt er sich schon seit 2012. Seine Essays „Das unternehmerische Selbst“ und „Postheroische Helden. Ein Zeitbild“ sind im Suhrkamp Verlag erschienen
In der Kulinarik gibt es den Hang dazu, aus Köch:innen sowie aus Sommeliers und Sommelièren Stars zu machen. Wieso neigt die Menschheit dazu? Was ist die Funktion der Heroisierung?
Ulrich Bröckling: Ich würde unterscheiden zwischen Stars und Helden. Bei Stars geht es ausschließlich um Bekanntheit und Prominenz. Sie sind reine Effekte einer medialisierten Öffentlichkeit. Auch Heldinnen und Helden sind öffentliche Personen, aber bei ihnen muss noch etwas dazukommen: Um als Held oder Heldin bewundert oder verehrt zu werden, braucht es eine außergewöhnliche Tat, braucht es Opferbereitschaft und Mut.
Das wäre dann in der Kulinarik beispielsweise eine spezielle Technik oder ein SignatureGericht, für das der Koch oder die Köchin steht?
Der Heldenbegriff ist in den letzten Jahrzehnten völlig ausgefranst. Grillhelden braten die Nackensteaks, und Lieferhelden bringen uns die Pizza. Der Discounter Aldi hat sogar mal eine Kuchenglasur zum Alltagshelden gekürt. Das Wort wird inflationär verwendet. Kein Wunder, dass auch Köche, die etwas Neues ausprobieren, als Helden der Küche gefeiert werden. Das hat eine Menge mit Marketing zu tun und damit, dass die Gastronomie eine wettbewerbsgetriebene Branche ist. Wo Konkurrenzdruck herrscht, gibt es einen Hang zur Personalisierung. Im Mittelpunkt steht nicht das Menü oder das Team, sondern der Patron. Seine Persönlichkeit, die Stationen seiner Lehrjahre, die Herausforderungen, die er souverän gemeistert hat, sein kreatives Genie – darüber wird berichtet, und das bestimmt auch die Selbstdarstellung. Damit sind wir bei einem Punkt, der für alle Helden wichtig ist: Helden gibt es nur durch die Heldengeschichten.
Der Ruhm basiert meistens auf diesen Heldengeschichten, und die werden reichlich ausgeschmückt. Können Sie uns gängige Bausteine einer solchen Erzählung (im Bereich der Kulinarik) nennen?
Heldengeschichten stellen eine Einzelperson in den Mittelpunkt. Damit er oder sie in glänzendem Licht erstrahlen kann, müssen alle anderen im Hintergrund bleiben oder werden ganz ausgeblendet. Heldengeschichten erzählen also nicht nur, sie lassen auch weg und machen unsichtbar.
Was macht einen Helden oder eine Heldin aus?
Heldenfiguren zeichnen sich in irgendeinem Feld durch außerordentliche Taten aus. Das kann der Krieg sein, die Politik, die Wissenschaft oder eben auch die Restaurantküche. Jemand leistet etwas Besonderes und wird dafür bewundert. Diese Handlungsmacht hat zweitens in aller Regel etwas Kämpferisches. Für den Helden wird alles zum Kampf, selbst das, was man mit dem Kochlöffel bewältigt. Immer müssen Siege errungen und Hindernisse überwunden werden. Um ihre Gegner in die Schranken zu weisen, müssen Helden drittens Grenzen überschreiten. Sie sind Revolutionäre, Innovatoren, Pioniere, scheren sich nicht um Regeln, sondern tun, was sie selbst für richtig halten. Das wichtigste Merkmal hat mit der Nähe des Heroischen zum Kriegerischen zu tun: Helden müssen bereit sein für das, wofür sie eintreten, Opfer zu bringen – im Extremfall auch das eigene Leben aufs Spiel zu setzen. Heldenkult ist oft Totenkult. Denken Sie an die nationalistischen Kriegerdenkmäler, die in fast jeder Gemeinde an prominenter Stelle aufgestellt sind.
Das hat etwas Märtyrerhaftes.
Märtyrer sind ausschließlich Leidensgestalten, Helden kämpfen. Bei den Kochhelden geht es dabei zum Glück nicht um Leben und Tod. Aber an vielen Tagen 12 bis 14 Stunden unter hohem Druck zu arbeiten, auf Freizeit zu verzichten, sich vielleicht sogar gegen eine eigene Familie zu entscheiden, um sich Hauben und Sterne zu erkochen, um das eigene Lokal nach vorne zu bringen, auch das erfordert Opferbereitschaft.
Was ist an Helden und Heldinnen so faszinierend?
Heldenfiguren bewegen ihr Publikum im ästhetischen Sinne, manchmal auch in einem erotischen Sinne. Wir finden sie schön und attraktiv. Die Geschichten, die über ihre Taten berichten, sind spannend. Vor allem aber affizieren sie uns auch moralisch. Sie treten für etwas ein, was uns wichtig ist. Das kann etwas Fragwürdiges sein, wie das „Vaterland“ oder die „Nation“, als Helden werden aber auch die Feuerwehrleute ausgezeichnet, die Leben retten.
Welche Rolle fällt den Gästen bei der Geschichte von den Helden in der Küche zu?
Wenn wir von Helden oder Heldinnen reden, müssen wir auch über das Publikum sprechen. Helden gibt es nur, wenn es Leute gibt, die sie bewundern und verehren. In der Gastronomie gibt es dann die Paul Bocuses, die als Kochhelden oder -heldinnen inszeniert werden und sich selbst inszenieren, und es gibt die Kundschaft, die von ihnen hört und liest und in ihre Gourmettempel einkehrt. Gerade in der Spitzenküche geht es ja nicht darum, einfach nur gut zu essen und satt zu werden. Ich vermute, wer ein solches Lokal besucht, will vor allem zeigen, dass er oder sie da gewesen ist und es sich leisten kann, dort zu speisen. Der Restaurantbesuch vermittelt ein Erlebnis exklusiver Außerordentlichkeit. Die Gäste hoffen, dass etwas vom Ruhm des Küchenchefs auf sie abfärbt. Sie bringen oft Geschäftskunden mit oder führen die neue Liebe aus, um sich selbst in dieses Licht zu stellen.
Köche und auch Köchinnen inszenieren sich auf Instagram, es gibt unzählige Kochshows – welche Rolle spielt die Öffentlichkeit im modernen Heldennarrativ?
Wie der Kommunikationswissenschaftler Niklas Luhmann sagte: Alles, was wir über die Welt wissen, in der wir leben, wissen wir durch die Massenmedien. Gerade in einer hochkompetitiven Branche wie der Gastronomie müssen Köche und Sommeliers darum nicht nur etwas Besonderes auf den Teller oder ins Glas bringen, sondern sie müssen auch dafür sorgen, dass andere mitbekommen, dass es sich um etwas ganz Besonderes handelt.
Welche Konsequenzen hat die rasante Entwicklung in diesem Bereich?
Diejenigen, die ein Restaurant erfolgreich führen wollen, müssen ständig Alleinstellungsmerkmale erfinden, das heißt, sie müssen etwas Einzigartiges präsentieren, das ihr Publikum begeistert. Um dies zu erreichen, bietet es sich geradezu an, den Koch selbst in den Mittelpunkt zu rücken. Die Aufmerksamkeitsökonomie erzeugt und bedient gleichzeitig den Heldenhunger des Publikums. Die Gäste zieht es zu denen, die sie zuvor im Fernsehen oder in den Social Media gesehen haben. Der Höhepunkt des kulinarischen Erlebnisses ist nicht das Essen selbst, sondern das Tellerfoto, mit dem man
dokumentiert: Ich war da. Damit naschen die Gäste an der Prominenz des Restaurants mit?
Ja, verkauft wird die Teilhabe an einer Atmosphäre der Besonderheit.
Um dieses Abstauben von Ruhm und Geltung geht es auch, wenn man in der Hotellerie und Gastronomie startet. Dann ist es üblich, eine Reihe von Stationen zu durchlaufen. In den Lehrund Wanderjahren zieht man vom unbezahlten Praktikum zum nächsten, sammelt Erfahrung und praktisches Wissen, aber muss auch viel erdulden. Warum braucht es so eine Leidensfähigkeit?
Das erinnert an den Mythos der Heldenreise: Der Protagonist erhält den Ruf, sich aufzumachen, die vertraute Umgebung zu verlassen und zieht in die Ferne. Unterwegs findet er meist einen älteren Mentor, der ihm mit Rat beisteht. Nach einer Reihe von Abenteuern kommt es zum entscheidenden Kampf, den er für sich entscheidet und einen Schatz gewinnt. Mit diesem kehrt der junge Mann verändert und geläutert als Held zurück in die Heimat und leistet dort fortan Großes. Die Selbstdarstellungen von Köchinnen und Köchen, etwa auf der Website ihres Restaurants, erzählen oft diese Geschichte. Man hat bei diesem Meister gelernt, hat unter jener Berühmtheit gearbeitet, bevor man sich schließlich selbstständig gemacht hat. Auffällig ist, dass kaum kollektive Geschichten erzählt werden. Fast immer geht es ausschließlich um den Chef, fast nie um das Team. Diese Fixierung auf Einzelne ist in anderen Branchen nicht so ausgeprägt. Fast
immer
geht es ausschließlich um den Chef, fast nie um das Team.
Heldenfiguren sind ein Seismograf, der auf gesellschaftliche Krisen und Verunsicherunge hinweisen kann. Dass sie die Probleme lösen könnten, ist dagegen nur eine
Wunschfantasie.
Und dieser Chef ist meistens männlich. Können nur Männer zu Helden werden?
Es gibt selbstverständlich auch Heldinnen und spezifische Felder, in denen sich Frauen – zum Beispiel als Tugendheldinnen – bewähren können. Im Kern ist das Heroische jedoch männlich konnotiert: Autonomie – ein Held setzt seine eigenen Regeln und schert sich nicht um das, was man ihm sagt –, Kampfesmut, Durchsetzungsfähigkeit und Opferbereitschaft, all das wird traditionell eher Männern zugeschrieben. Letztlich erhält alles, was in die Sphäre des Heroischen gerückt wird, einen männlichen Touch. Superwoman ist eine Frau, kämpft aber wie ein Kerl. Greta Thunberg ist eine interessante Figur, eine zeitgenössische Klimaheldin, die den Jeanne d‘Arc-Mythos wiederbelebt: Sie ist jung, folgt unbeirrt ihrer Mission und strahlt dabei zugleich etwas Verletzliches aus. Es gab eine eindrückliche Szene, als sie in New York durch das Foyer des UN-Gebäudes geht und dort unvermittelt auf Donald Trump stößt. Für einen Moment trafen da zwei komplett gegensätzliche Typen aufeinander.
Jemanden zur Heldin zu küren, kann auch ein Ablenkungsmanöver sein.
Das klingt ganz so, als wären Helden gefährlich…
Was unterscheidet sie schon auf den ersten Blick?
Auf der einen Seite die zierliche jugendliche Aktivistin, die kurz darauf vor der UN-Hauptversammlung den Delegierten ihr „How dare you?“ entgegenschleudern wird, auf der anderen Seite der bullige Rüpel, der schon in seinem körperlichen Auftreten, mit seinen Drohungen, seinem grenzenlosen Narzissmus und seiner Verachtung für alle, die er für schwächer hält, eine Aura der Gewalt ausstrahlt.
Den Machtmissbrauch haben Sie schon genannt. Warum sollten wir sonst noch skeptisch gegenüber Heroisierung sein?
Zu Helden schaut man auf. Sie werden symbolisch auf einen Sockel gestellt. Damit schafft Heldenverehrung ein vertikales Weltbild. Es mag demokratische Heldengestalten geben, aber das Prinzip des Heldentums ist aristokratisch und oft genug auch autoritär. Um die eine Person in den Mittelpunkt stellen zu können, müssen Heldengeschichten viele andere unsichtbar machen. Ihre Leistungen finden keine Erwähnung. Auch das passt nicht zu einer demokratischen Gesellschaft. Vor allem aber bezieht sich meine Abneigung gegen Heldenkulte auf die appellative Seite von Heldengeschichten. Diese fordern uns ja dazu auf, den Helden nachzueifern und wie sie kein Opfer zu scheuen. In einer Zeit, in der der Krieg in unsere Nähe rückt, werden solche Töne wieder lauter.
Aus soziologischer Perspektive betrachtet sind Helden Problemanzeiger. Heldengeschichten boomen immer dann, wenn eine Gesellschaft ihren Mitgliedern besondere Zumutungen abverlangt. Das kann ein Krieg sein, eine Pandemie oder eine Flutkatastrophe. Heldenfiguren sind ein Seismograf, der auf gesellschaftliche Krisen und Verunsicherungen hinweisen kann. Dass sie die Probleme lösen könnten, ist dagegen nur eine Wunschfantasie.
Vermehrt werden in letzter Zeit Frauen vor den Vorhang geholt. In der Lebens- und Arbeitsrealität helfen Auszeichnungen nur bedingt. Vielleicht verschleiern sie sogar die ungleich schwierigeren Bedingungen und Abschläge, mit denen Frauen im Vergleich zu Männern konfrontiert sind. Soll man trotzdem Heldinnen küren, weil es weibliche Vorbilder braucht? Oder überschätzen wir das?
Sicher suchen Mädchen und Frauen auch weibliche Vorbilder, aber ich bin skeptisch, ob das auch Heldinnen sein müssen. Erinnern wir uns an die Anfangsphase der Covid-Pandemie: Bald nach dem Lockdown wurden die Krankenschwestern auf den Intensivstationen und die Verkäuferinnen an der Supermarktkasse als Coronaheldinnen gefeiert. In Deutschland haben die Pflegekräfte dagegen protestiert und gefordert: Hört auf mit diesem Heldengetue, bezahlt uns lieber ordentlich und sorgt für sichere Arbeitsbedingungen! Aus ihrer Sicht war der Applaus vergiftet. Respekt und Dankbarkeit sind gut, aber hier hatten sie eine Alibifunktion. Jemanden zur Heldin zu küren, kann auch ein Ablenkungsmanöver sein.
In der Gastronomie geht es häufig um Auszeichnungen, Bewertungen und Rankings. Muss man ein kompetitiver Mensch sein, um ein Held zu werden?
Praktiken des permanenten Vergleichens sind in Konkurrenzgesellschaften allgegenwärtig. Wie im Sport bestimmen auch in anderen Bereichen Aufstiegsambitionen und Abstiegssorgen das tägliche Geschäft. Jede Fitness-App bedient sich der Symbolik von Medaillen und Pokalen, Unternehmen zeichnen Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen des Monats aus, und es gibt so gut wie nichts, das nicht in Ranglisten erfasst würde. Der Appell, der von all dem ausgeht, lautet: Die Welt ist ein Wettkampf, du musst dich ihm stellen. Selbstverständlich finden sich auch Einzelne, die sich entscheiden, aus dem Rennen auszusteigen. Es gibt immer wieder Spitzenköche, die das machen, weil es sich finanziell nicht rechnet, auf die Sterne hinzukochen, oder weil sie dem Stress entkommen wollen. Manchmal steckt dahinter auch die Strategie, sich als Außenseiter zu behaupten.
Ist der Aussteiger auch ein Heldentypus?
Jedenfalls kann auch der Ausstieg sich als Erfolgsrezept herausstellen. Wer bewusst eine einfache Küche pflegt und eine Nische besetzt, kann zum „Rebel Hero“ aufsteigen, der dafür bewundert wird, sich den etablierten Regeln des Spiels zu verweigern. Selbstbewusst zu erklären, ich brauche das nicht, ich kümmere mich nicht um den Guide Michelin oder Gault&Millau, auch so kann man Gäste gewinnen.
Am Herd herrscht eine aufgeheizte Stimmung: Welche soziologischen Typen sind Helden oder Heldinnen? Welche Charakterzüge werden ihnen oft zugeschrieben?
In einer Restaurantküche arbeiten eine Menge Leute auf engem Raum unter hohem Zeitdruck. Das stellt eine große organisatorische Herausforderung dar. Der Chefkoch oder die Chefköchin ist der- bzw. diejenige, der oder die die Regeln setzt, das Team anführt und die Abläufe dirigiert. In einer solchen Situation stellt sich die Frage: Funktioniert das besser demokratisch, oder braucht es eine Person, die das alleinige Sagen hat? Und wie führt sie? Ermutigend? Autoritär? Macht sie die anderen klein, oder fördert sie den Teamgeist? Welches Klima herrscht in der Küche? Es gibt unterschiedliche Stile, und nicht per se einen, der den Erfolg garantiert. Ich vermute, dass es in der Küche in den letzten zwanzig oder dreißig Jahren einen Kulturwandel gab. Große Zampanos, die wie Feldherren durch die Küche brüllen, wirken heute aus der Zeit gefallen. Wer seinen Laden auf diese Weise führt, wird es schwer haben, qualifiziertes Personal zu finden. Machtmissbrauch geht nicht mehr so einfach durch, das gilt erst
recht, wenn #metoo-Enthüllungen aus der Küche an die Öffentlichkeit gelangen. Jüngere Leute in der Spitzengastronomie haben nicht nur kochen gelernt, sondern auch Personalführung. Sie wissen, dass es effizientere Formen gibt, als den Diktator zu mimen. Ich bin sicher, angehende Gastronom:innen lernen das bereits in der Berufsschule oder Fortbildungskursen. Vor einigen Jahren tauchte das Schlagwort vom „postheroischen Management“ auf.
Große Zampanos, die wie Feldherren durch die Küche brüllen, wirken heute aus der Zeit gefallen.
Zu jeder guten Heldengeschichte gehört ja ein ebenbürtiger Gegner.
Was versteht man unter postheroisch?
Postheroisch meint nicht, dass es keine Helden und Heldinnen mehr gibt, sondern dass es sich um gebrochene oder ambivalente Gestalten handelt, deren Vorbildcharakter zweifelhaft ist. Ihre Geschichten werden nur noch in ironischem Ton erzählt. Selbst die Superhelden im Kino haben inzwischen eine schwierige Kindheit, kämpfen mit Depressionen und bekommen ihre Affekte nicht in den Griff.
Ist ein postheroischer Held ein Anti-Hero, wie Taylor Swift ihn besingt?
Genau. Als Antihelden werden allerdings auch die Gegenspieler von Heldenfiguren bezeichnet. Zu jeder guten Heldengeschichte gehört ja ein ebenbürtiger Gegner. Der Schurke.
Eine letzte Frage: Brauchen wir Heldengeschichten?
Wir brauchen sie nicht, aber ich befürchte, wir werden sie nicht los. Der Traum vom Weißen Ritter, der uns rettet, ist zu verlockend. Zu glauben, in einer komplexen, hoch technisierten Welt könnten einzelne Menschen durch herausragende Taten die Dinge zum Guten wenden, ist soziologisch gesehen reichlich naiv. Für den Fall, dass ich schwer krank werden sollte, hoffe ich nicht auf einen heroischen Chefarzt, sondern auf ein gut ausgebautes medizinisches Versorgungssystem. Analog dazu könnte man sich fragen: Finde ich kulinarischen Genuss wirklich nur dort, wo ein Fernsehkoch herumzaubert? Oder nicht doch eher dort, wo jemand sein Handwerk versteht und seiner Leidenschaft nachgeht, statt dauernd aufs nächste Ranking zu schielen.
Held:innen
Die stillen Heroes der Gastronomie haben sich mehr Aufmerksamkeit verdient. Stellvertretend für ihre tausenden Kolleg:innen stellen wir fünf Menschen vor, ohne die in ihren Betrieben nichts laufen würde.
Von Lucia Laggner
Das Erstellen von B ilanzen ist 50 Prozent der Arbeit
Mandy Martin
Finanzbuchhalterin
Nobelhart & Schmutzig, Berlin
Auch die Welt des größten Genusses und der festliche Schauplatz der gehobenen Gastronomie kommen nicht ohne sie aus: Zahlen, Daten, Fakten. „In meinem Job ist es wesentlich, den Überblick zu behalten.“
Mandy Martin ist die Finanzbuchhalterin im Berliner Restaurant Nobelhart & Schmutzig. Für Restaurantbesitzer und Geschäftsführer Billy Wagner ein klarer Vorteil: „Früher haben wir mit einem Steuerbüro gearbeitet und gemerkt, dass uns das externe Service nicht reicht. Seit über einem Jahr haben wir deshalb mit Mandy eine Vollzeitstelle besetzt. Wir wollen vorausschauend arbeiten, uns nicht nur auf mein Bauchgefühl verlassen und auf Basis der aktuellsten Zahlen planen.“ Großer Stress ist
in dieser Position eher selten. Eigentlich sollte dieser gar nicht aufkommen. Denn eher geht es um Besonnenheit und Beständigkeit. Tägliches Controlling und vorausschauendes Planen sind das A und O Mandys Jobprofils. „Ich schaue mir täglich die Zahlen an. Wie viele Gäste waren da und welchen Umsatz haben wir gemacht.“ Vom Tagesplan geht es zum Wochenplan. Wie war die Gästeanzahl unter der Woche, wie am Wochenende? „Das Erstellen von Auswertungen macht 50 Prozent meiner Arbeit aus.“ Mandys scharfer Blick ist entscheidend für die Planungen des nächsten Geschäftsjahres. Restaurantbesitzer und Geschäftsführer Billy Wagner hinterfragt sehr genau, wie der Spielraum ist. In engem Austausch mit ihm ist sie in Sachen Finanzen seine Sparringpartnerin, um gemeinsam das beste Ergebnis zu erzielen. Mandy hat in vielen unterschiedlichen Branchen gearbeitet, bis sie vor einem Jahr durch Zufall in die Gastronomie kam. „Den größten Unterschied bemerkt man daran, ob du nahe am Kunden arbeitest oder etwa in der großen Automobilindustrie. Im Restaurant müssen wir Tag für Tag das produzieren, was abends von den Gästen gegessen wird. Nicht mehr und nicht weniger. Ob die Planung auf Basis der aktuellen Auswertungen die richtige war, bekommen wir also sofort zu spüren. Das macht den Job so spannend.“
Mandy Martin mit „Nobelhart & Schmutzig“-Chef Billy Wagner
Gestellte Freundlichkeit fällt auf
Mercedes Furtlehner Sales Managerin
Parkhotel Graz
Es ist der erste Eindruck, der zählt. Innerhalb weniger Sekunden entscheiden Gäste, ob sich etwas richtig anfühlt – und buchen entsprechend ein Zimmer oder nicht. Das weiß auch Mercedes. Als Sales Managerin und „Reservierungsdame“ des Parkhotel Graz verkörpert sie mit jeder Faser ihres Seins jene authentische Herzlichkeit, die den Gästen das Gefühl gibt, genau am richtigen Ort angekommen zu sein. Ob am Telefon, per E-Mail oder persönlich: „Ich bin davon überzeugt, dass man immer ein ehrlich gutes Gefühl vermitteln kann und muss. Gestellte Freundlichkeit fällt auf.“
Seit sie 16 Jahre alt ist arbeitet Mercedes in der Gastronomie. Nach der Matura stieg sie ins Eventmanagement-Studium ein. Doch schon bald entschied sie sich um: „Ich habe erkannt, wie viel Freude mir die Arbeit bereitet. Ich wollte direkt in der Praxis
lernen, um meinen Job so perfekt wie möglich auszuführen.“ So kam es, dass Mercedes eine Lehre als Rezeptionistin begann. „Ich wusste, dass ich den Menschenkontakt liebe und in dieser Position an ganz unterschiedlichen Schnittstellen mit Gästen und Mitarbeiter:innen zusammenkomme. Ich mache nie einen ganzen Tag nur eine Sache.“ Mercedes lacht: „Meistens sind es eher hundert.“ Sie jongliert unterschiedlichste Aufgaben: Telefonate, Reservierungen, Buchungen im Restaurant, Abstimmungen mit der Küche, Bestellungen. Wenn sie gefragt wird, was ihr Job wirklich ausmacht, kommt die Antwort wie aus der Pistole geschossen: „Zuhören! Und das können nicht alle. Manchmal muss man auch zwischen den Zeilen lesen, um genau zu verstehen, was der Gast möchte.“ Und wenn ein Wunsch nicht erfüllbar ist? „Dann suche ich nach einer Alternative. Es gibt immer eine Lösung und es gibt immer eine Möglichkeit, Gästen ein gutes Gefühl zu geben. Es sind die kleinen Dinge, die den Unterschied machen – wie die Messerspitze Zucker im Dessert.“ Schon lange hatte Mercedes den Wunsch, im Parkhotel zu arbeiten. Als sie vor zwei Jahren durch Zufall auf die ausgeschriebene Stelle stieß, bewarb sie sich sofort – und wurde genommen. „Es ist ein Genuss, in diesem Team zu arbeiten. In keinem Beruf auf dieser Welt ist der Zusammenhalt so stark wie in der Hotellerie. Es ist enorm herzlich.“ Und so schließt sich der Kreis einer Herzlichkeit, die für Mercedes Berufung und Leidenschaft zugleich ist.
In drei Minuten ist das Bett perfekt gerichtet
Zemira Sejdic
Stubenmädchen, Room Attendant
Altstadt Vienna
Wir erreichen Zemira bei der Arbeit. Sie ruft gleich zurück. „Ich mache noch ein Zimmer fertig. Nicht, dass die Gäste in der Zwischenzeit zurückkommen.“
In wenigen Worten drückt sie alles aus. In ihrem Job geht es um Timing. Es geht um Diskretion. Und um Perfektion. „Bevor ein Gast in ein Zimmer kommt, checke ich alles nochmal durch. Ich lege den Stift parallel neben den Block. Ich achte darauf, dass die Polster aufgeklopft und exakt in der Mitte des Bettes liegen. Ich kontrolliere, ob alle Bilder kerzengerade an der Wand hängen.“ Jedes Detail macht den Unterschied.
Zemira ist Stubenmädchen, eine Berufsbezeichnung, die sich aus dem 18. Jahrhundert bis in die Gegenwart gehalten hat. Vielerorts und offiziell spricht man von Room Service oder vom Zimmermädchen. Egal wie man diese Position nennt – sie ist die Mischung aus maximaler Diskretion und Perfektion. Niemand kommt der Intimität der Gäste eines Hotels so nahe wie die Stubis. Zemiras Tag startet früh morgens: „Aufstehen, einen Coffee trinken und ab ins Hotel.“ In ihrem Stockwerk plant sie den Ablauf genau. Wer reist wann ab? Wer kommt wann neu an? Was sind die Prioritäten für den Tag? Nach 25 Jahren sitzt jeder Handgriff. Fast logisch, dass sie zu den Dienstältesten im Haus zählt. Im Normalfall reinigt sie ein Zimmer in einer halben Stunde. „Ruckzuck schaffe ich ein Bett in drei Minuten. Meine Kolleginnen haben mich gestoppt, um mir zu beweisen, dass ich am schnellsten bin.“ Für sie kein Grund, sich über die anderen zu stellen. Sie weiß, dass auch sie einmal Anfängerin war. Wesentlich ist für sie, dass sie geschätzt wird. „Ich merke, dass die Rezeption und meine Kolleginnen mich mögen. Ich bin nicht mehr wert als alle anderen. Wichtig ist mir, dass wir bei der Arbeit Spaß haben und uns aufeinander verlassen können.“ Zemira ist jedenfalls gekommen, um zu bleiben. „Ich freue mich auf mein 30-jähriges Jubiläum“, sagt sie. „Vielleicht führen wir dann wieder ein Gespräch miteinander.“
Mein natürliches Habitat ist der Garten
Katica
Drazić Hotelgärtnerin
Adria-Relax-Resort Miramar in Opatija/Kroatien
Innen hui, außen wow. So erleben es sowohl die Gäste als auch die Mitarbeiter:innen im Resort Miramar im kroatischen Küstenort Opatija. Verantwortlich für den beeindruckenden Park und Garten rund um das Anwesen ist die hauseigene Gärtnerin Katica Drazić, Ingenieurin für mediterrane Landwirtschaft. „Seit 30 Jahren lebe ich meine Leidenschaft als Gärtnerin. Mein natürliches Habitat ist der Garten. Als ich vor sechs Jahren hierher kam, habe ich mich sofort verliebt.“ Sie ist nicht nur für die Pflege des Hotelparks verantwortlich, sondern auch der kreative grüne Daumen des Resorts und erschafft mit ihren Arrangements die wechselnden saisonalen Dekorationen für das Hotel. Die Herausforderung für Katicas Arbeit liegt unter anderem in dem geringen Tiefgang des Gartenbodens. Katica kümmert sich um Blumen, Sträucher und Bäume, die gerade einmal 50 Zentimeter tief in den Boden wurzeln. „Wenn wir neue Pflanzen auswählen, muss ich auf diese Bedingungen Rücksicht nehmen. Außerdem haben wir kein automatisches Wassersystem. Ich behalte den Überblick darüber, wo Wasser gebraucht wird.“ Katica legt großen Wert auf biologische Pflege und verzichtet bewusst auf Pestizide, um die natürliche Balance zu erhalten und Insekten sowie Vögeln einen Lebensraum zu bieten. Für Katica ist der Park nicht nur eine Attraktion, sondern ein echtes Ökosystem, das eine gesunde Umgebung für alle bietet – für Gäste und Mitarbeiter:innen. „Ich arbeite an einem Ort der Ruhe und Kraft. Er ist nicht nur ein Garten – in ihm zeigt sich die Geschichte unseres Hotels.“ Katica genießt ein hohes Maß an Vertrauen und Verantwortung im Adria-Relax-Resort Miramar. Sie hat die Freiheit, das Budget für den Hotelpark eigenständig zu verwalten. Die Hoteldirektion verlässt sich auf ihre Expertise und ihre Ideen. Und die werden ihr noch lange nicht ausgehen.
Ich springe ein, wo ich gebraucht werde
Alexandru Nita Küchenhelfer
SENNS Restaurant, Salzburg
Wer, wenn nicht der Küchenchef selbst sollte es am besten wissen: „So jemand wie der Alexandru ist verdammt schwer zu finden!“ Christian Geisler gerät ins Schwärmen, wenn er die Qualitäten seines Küchenhelfers Alexandru Nita hervorhebt. „Im SENNS kochen wir in einer Schauküche. Wir sind elf Mitarbeiter im Team und jeder hat viel zu tun. Um uns Platz zu schaffen, gibt es auch eine eigene Vorbereitungsküche. Alexandrus Verantwortung ist es, dass alles sauber und an seinem Ort ist.“
Es ist der Backstage-Bereich der Spitzengastronomie und Alexandrus Einsatzgebiet. Wie ein Souffleur agiert er aus dem Hintergrund. Alexandru weiß, dass sich das Team zu 100 Prozent auf ihn verlassen können muss: „Meistens bin ich den ganzen Abend lang allein hauptverantwortlich für diese zweite Küche. Ich kenne diesen Ort in- und auswendig und achte ganz genau auf das Timing. Ich weiß, wo sich was befindet und wer was in welchem Moment brauchen wird.“
Alexandru übernimmt auch vieles im Hintergrund. „Natürlich ist Sauberkeit und Hygiene in der Küche meine Hauptarbeit, aber sobald ich Zeit habe, springe ich überall ein, wo Hilfe gebraucht wird. Mal reinige ich die Wäsche, mal kümmere ich mich um die Pflanzen, mal bin ich der Hausmeister.“
Seit mehr als fünf Jahren ist er Teil des Teams und will es auch bleiben. Auf die Gründe angesprochen, antwortet der sonst eher schüchtern wirkende Alexandru schnell und mit Nachdruck: „Ich bleibe, weil alle vor mir Respekt haben und wir uns im Team immer unterstützen. Ich weiß, was ich von meinem Chef erwarten kann, und er weiß, was er von mir erwarten kann.“
Was haben der Schauspieler Kevin Spacey und der deutsche Küchenchef Christian Jürgens gemeinsam? Nicht unbedingt viel. Spacey gewann seine Academy Awards nicht am Herd, sondern mit seinen Auftritten in Filmen wie American Beauty, er baute seine Präsenz mit der Serie House of Cards aus. Und Jürgens hat eigentlich noch nie in einem ernsthaften Film mitgespielt, dafür eine ernsthafte 3-Sterne-Küche vorgelegt, damals in seiner Zeit im Restaurant Überfahrt in Süddeutschland. Beiden gemeinsam ist aber: Sie wurden medial stark zur Sache gebeten, die Vorwürfe der Übergriffigkeit standen breitbeinig im Raum. Journalist:innen delektierten sich, im Fall Jürgens wie bei einem großen Menü in seinem Restaurant. Noch etwas haben Spacey und der Küchenchef gemeinsam: Beide wurden vor Gericht von allen Vorwürfen freigesprochen. Und auch: Die Laufbahn beider hat einen Knacks abbekommen, um nicht zu sagen: Beide Karrieren wurden ruiniert. Spacey wurde von Ridley Scott seiner Rolle in dem Film „All the Money in the World” beraubt, seine Szenen mit Christopher Plummer nachgedreht. Jürgens wurde von seinem Arbeitgeber, den Althoff Hotels, vor dem Freispruch an die Luft gesetzt. Karrierebruch durch Medienberichterstattung: Ein Thema in der Hochgastronomie. Ein paar weitere Ursachen, warum Spitzenköche und -köchinnen ihre Jobs am Herd aufgeben und in andere Branchen wechseln, erzählen wir hier.
Kochen auf Niveau ist Spitzensport, sagen viele. Der Job als Koch an sich ist schon kein Spaziergang. In der Oberliga braucht es noch das bestimmte Quäntchen Disziplin, Schweiß und Ehrgeiz mehr. Deshalb haben viele Top-Leute nach einer gewissen Zeit genug. Dominique Le Stancs Laufbahn ist ein Musterbeispiel eines gelungenen Ausstiegs, der zumindest aus Sicht Le Stancs eigentlich ein Aufstieg war.
Le Stanc arbeitete lange als Küchenchef im Hotel Negresco in Nizza. Dieses ist seit der Gründung der feinste Platz der Stadt am Meer, die im Winter damals, durch die Alpen vor der Kälte geschützt, angenehm von der Wintersonne erwärmt, schon
den russischen Adel an die Côte d’Azur lockte. Das Negresco beherbergt ein Restaurant, La Rotonde, in dem Kochgrößen wie Jacques Maximin (80er Jahre) oder eben Dominique Le Stanc (90er Jahre) kochten. Eines Tages muss sich Le Stanc im Speisesaal des in Bordeauxrot tapezierten Lokals umgeschaut haben und gedacht haben: „Nicht mehr meins.“ Er quittierte. Aber nicht, um in ein anderes Michelin-Sterne-Lokal zu wechseln. Sein neuer Wirkungskreis war ein durch eine winzige Tür erreichbares Mini-Lokal in der Nähe des berühmten Nizzaer Marché au Fleurs. Winzige Tische mit einfachen Hockern statt bequemen Fauteuils. Statt einer ausladenden Weinkarte drei Weine: Weiß, Rosé und Rot. Statt Kaviar oder Gänseleber frittierte Zucchiniblüten, Pizza oder Tripes Nicoise. Das Restaurant ist seit den Tagen der Eröffnung mittags wie abends komplett ausgebucht, immerhin geht das jetzt schon Jahrzehnte. Dabei gilt immer Le Stancs Grundsatz, wie man ein Lokal wirklich begehrenswert macht, nämlich so: Kein Telefon, keine Kreditkarten. Man reserviert per Postkarte. Le Stanc hat ein großes Fanpublikum, eines, das ihm vermutlich nie ins Negresco gefolgt wäre. Er kocht hier, was er will, frei von den Zwängen der Michelin-Guide-Gastronomie und von den Riten eines Luxushotels, dessen Gäste zweifelsfrei und teils berechtigterweise eine bestimmte Art des Kochens verlangen. Le Stanc betreibt sein kleines Lokal gemeinsam mit seiner Frau und nur mit einem Assistenten. In der Küche ist auch nicht mehr Platz, diese hat vielleicht ein paar Quadratmeter.
Sobald sich in einem Land eine Hochgastronomie herausbildet und Köchinnen und Köche in ihr groß werden, gibt es einen kleinen Prozentsatz, dem das irgendwann zu anstrengend wird und der den Eindruck hat, dass das Leben in die falsche Richtung geht. In Österreich war der erste dieser Aussteiger ein Koch namens Richard Hedrich. Er kochte in den 80er-Jahren in einem kleinen Luxusrestaurant namens Mattes. Das Restaurant wurde ins Leben gerufen vom Architekten und Feinschmecker Wilhelm Holzbauer und betrieben von seiner Frau Ulla Holzbauer. Das winzige und architektonische Mattes in der Schönlaterngasse im ersten Wiener Gemeindebezirk war neben den „3 Husaren“ einer der wenigen wirklich guten Essplätze in Wien und schloss erst in den 90er-Jahren. Hedrich hätte sich in Wien in den 80ern aus Top-Angeboten das Beste aussuchen können. Doch er entschied sich gemeinsam mit seiner Frau eine hässliche Imbissstube am Stubenring zu übernehmen und ins Refurbishment des Interieurs gerade ein Minimum zu investieren. Tafelsilber und Stoffservietten waren auf einmal nicht mehr notwendig. Dafür gab es Menüs um umgerechnet 7 bis 12 Euro. Erinnerlich blieb die köstlich duftende, intensiv grüne, weil frisch vorm Service gemixte Basilikumschaumsuppe. Das Hedrich-Wiener galt in der Schnitzel-verrückten Stadt damals als eines der besten. In den Zehnerjahren verkaufte Hedrich sein Lokal und ging ganz normal in Pension.
Einer seiner Nachfolger im Mattes war Reinhard Gerer, ohne Zweifel einer der schillerndsten und wichtigsten Köche der neueren österreichischen Kochgeschichte. Gerer verstarb 2023. Bis Mitte der 80er-Jahre kochte er im Mattes, schöpfte aus einem Budget, wo das Wort Wareneinsatz, das meistens in Begleitung von „zu hoch“ auftaucht, unbekannt ist. Dann setzte er seine junge Karriere im Korso bei der Oper im Wiener Bristol fort, einem Restaurant, das den Geist der 80er, den Willen zu einer gewissen Grenzenlosigkeit perfekt abbildete.
Reinhard Gerer war auch einer der wichtigsten Ausbildner Österreichs und eine seiner wichtigsten Schülerinnen war Martina Willmann. Willmann gab im Korso jahrelang die Sous-Chefin, sie hatte die Gererküche drauf wie keine andere. Später wechselte sie ins Novelli des Unternehmers Haslauer, das von Fabio Giacobello geführt wurde, schließlich kam sie als Küchenchefin ins Schwarze Kameel in der Wiener Innenstadt, damals noch ein kleines, intimes Restaurant samt angeschlossener Bar und Delikatessenladen. Der Lammrücken, den Willmann dort briet, war große Gererschule, perfekt. Doch der Stress war ebenso enorm und nach einigen extrem erfolgreichen Jahren als weibliche Chefin im Kameel schmiss Willmann hin und wechselte ins Catering bei Do&Co. Vor kurzem hat Willmann komplett den Beruf gewechselt und arbeitet erfolgreich und mit Freude in einem Immobilienunternehmen.
Vom 4-Hauben-Restaurant ins Wirtshaus, so lautete auch die Überschrift über
die Laufbahn des späten Christian Petz. Er hatte neben Jörg Wörther, Joachim Gradwohl und Hans Haas in der famosen Mannschaft von Eckart Witzigmann in der Münchner Aubergine gekocht, später dann unter anderem im Palais Schwarzenberg in Wien, einem der prächtigsten Restaurants Wiens in der Gestaltung von Hermann Czech. Petz startet dann richtig durch im Meinl am Graben, das er zum besten Restaurant der Innenstadt und einem der besten des Landes hochkocht. Seine gefüllte Kalbsbrust genießt bald Legendenstatus. Als Petz vom Meinl am Graben ins Palais Coburg wechselt, ist er am Höhepunkt seiner Laufbahn. Ein paar Jahre später die vierte Haube. Damals ein Ritterschlag. Doch der Ritter Petz sagt noch im selben Jahr der Haubenverleihung der Hochgastronomie Adieu. Er scheint das Tafelsilber irgendwie satt zu haben. Vielleicht auch diese bestimmte Art des Restaurants im herausgeputzten Ambiente des Palais eines deutschen Immobilienunternehmers. Petz‘ neue Bleibe ist die Antithese zum funkelnden Palais, nämlich ein
Restaurant auf dem Wiener Badeschiff, das ab dem Tag eins nach Petz Einzug zu einer der angesagtesten Adressen Wiens wird. Petz wird sogar ein Buch machen über die persönliche Art einer Wiener Küche, die er dort vorlegt. Einige Jahre, nachdem ihm das Badeschiff viel abverlangt hatte, wechselt Petz ins Gusshaus in der Gusshausstraße. Das Wirtshauskind aus Oberösterreich ist in seinem Wirtshaus angekommen. Sein Kalbskopf, den er selbst zubereitet, macht die Gäste süchtig. Doch Petz Gesundheit hat nach vielen Jahrzehnten am Herd so sehr gelitten, dass er das Gusshaus nach einigen Jahren aufgibt. Petz, dessen Karriere Aufs und Abs kannte, der aber immer seinen Fanclub hatte und immer gut gekocht hat, genießt jetzt den Ruhestand. Seine Fans gingen eine Zeit lang zu seiner Sous-Chefin aus dem Gusshaus, als diese noch am Meidlinger Markt kochte. Dort gab es hie und da Kalbsbrust oder ganze Braten, auch das ist jetzt vorbei.
Der Name Witzigmann ist bereits gefallen. Er muss fallen, wenn es um die Geschichte der deutschen und damit der österreichischen Küche geht. Seine Schüler kochten selbst ausgezeichnet, aktiv ist nur noch einer, Joachim Gradwohl, der an der südsteirischen Weinstraße ein Winziglokal betreibt, eine Pilgerstätte der klassisch-modernen Küche, die zeitlos gut zubereitet wird.
Witzigmann selbst streifte am Höhepunkt seines Schaffens in den Neunziger Jahren ein Skandälchen, eine Geschichte mit Drogen, aus der die deutsche Presse einen Skandal machte und ihm die Münchner Behörden genüsslich einen Strick drehten. Er musste sein Lokal schließen. Ein Stück deutsche, eigentlich europäische Kochgeschichte fand ein Ende. Doch Witzigmann ist als Koch niemand, der sich unterkriegen ließ. Das ist er auch nicht als Mensch. Er stand zwar nie mehr selbst am Herd, betrieb aber Restaurants in Asien oder etwa auf Mallorca. Dort arbeitete ein gewisser Roland Trettl, blutjung, ehrgeizig, der aus Südtirol stammt. Als Autor im deutschen Feinschmecker oder von diversen Kochbüchern macht Witzig-
mann sich auch in einer Essgemeinde einen Namen, die zuvor nie in der Münchner Aubergine essen war. 2003 feiert er als Mentor und Konzeptionist des Ikarus im Salzburger Hangar-7 ein Comeback. Nicht als Küchenchef, aber als Ideengeber des dort gepflogenen Gastkochkonzepts. Roland Trettl wird als Chef installiert, er hat fast zehn Jahre lang eine der spannendsten und aufreibendsten Positionen im österreichischen Kochgeschäft inne. Dann verlässt er, ausgeblutet vom Stress der monatlich wechselnden Herausforderungen am Herd, die Position im Ikarus. Auch Trettl wird danach nie mehr am Herd stehen. Er schreibt ein Buch, in dem er mit der Hochgastronomie abrechnet, er tritt in deutschen Kochsendungen auf und betreibt eine kleine, von Sponsoren finanzierte Koch-Show in den Sozialen Medien. Eine sehr gute Kochshow. Ein weiteres Beispiel dafür, dass gute Leute auch nach dem Job als Spitzenkoch, wenn sie es schaffen, über den Tellerrand zu schauen, viel werden können.
Ein weiteres Beispiel dafür, dass gute Leute auch nach dem Job als Spitzenkoch, wenn sie es schaffen, über den Tellerrand zu schauen, viel werden können.
Im Das LOFT fängt’s da erst an! Hier kreiert Küchenchef Peter Duransky kulinarische Höhenflüge. Gekrönt wird das Ganze von der ikonischen Decke der Künstlerin Pipilotti Rist – und einem Ausblick, der die Stadt zu Füßen legt. Ein beliebter Spot in Wien. Deshalb empfehlen wir, rechtzeitig zu reservieren.
PRATERSTRASSE 1, 1020 WIEN | WWW.DASLOFTWIEN.AT
REBEL BELLS
War da was? Ja, da war was. Anfang 2025 geriet der 2-Sternekoch Konstantin Filippou heftig in Kritik: Vorgeworfen wurden ihm Etikettenschwindel sowie Beschimpfung von Mitarbeitenden. Filippou räumte Fehler ein und beteuerte Missstände zu beheben.
Im Sommer davor begleitete der Fotograf und Autor Jürgen Schmücking den Koch auf einer Reise in die Heimat seines Vaters nach Griechenland, wo er eingeladen war, seine Gerichte zu kochen. Wir erlebten einen tiefsinnigen und sentimentalen Menschen. Hier zeigen wir die Bilder der Reise.
Fotos: Jürgen Schmücking
Das Apaggio ist das Fine-Dining-Restaurant des Resorts Nido. Das Hotel gehört zur Mar-Bella Collection und ist ein entspannter Hideaway in der Nähe der Hauptstadt Korfu. Am Ende noch hinzufügen: An einem Abend hat Filippou hier seine Kochkunst gezeigt.
Palpo & Polpo. Der eine, der Wein, ist eine makellose makedonische Schönheit vom Weingut Kir-Yianni, das andere, der Polpo, eine makellose Schönheit aus dem Ionischen Meer.
In Griechenland sind sie eine schnell und einfach zubereitete Fischdelikatesse: die Sardinen, die auf Griechisch übrigens sardéla heißen oder σαρδέλα.
Eine alte Tradition, die es (fast) nur hier gibt: Kumquat-Likör.
Es gibt diese Verbundenheit zur alten Heimat, zu den Wurzeln in Griechenland, sagt Filippou. Draußen am Meer und am Strand kann er es am stärksten fühlen.
Das Hitzige liegt ihm im Blut. Im Schatten der alten Bäume wird er zahm, der Koch. Eine Feinfühligkeit, die wir an seiner Küche so lieben. Am Abend wird er Kaviar servieren, Garnelen mit Metaxa und Lamm mit Seafood Garum.
Der kleine Fischmarkt am Hafen. Hier trifft der griechische Held die Fischer der Insel. Er sagt: Das sind die wahren Helden.
Ellinico métrios“, lehrt uns der Koch. So und nicht anders bestellt man griechischen Kaffee in Griechenland. Höchstens noch skétos“.
Nur wenige Tage auf Korfu. Aber irgendwie schon immer da gewesen. Kein echter Abschied. Irgendwann kehren wir zurück.
LEUCHTTURM IM
LICHT DER STERNE
Zurecht blickt die Welt der Gastronomie auf Österreichs neuen Dreisterner: das Steirereck im Stadtpark. Eine gute Gelegenheit, auch das andere Steirereck ins Rampenlicht zu rücken – jenes am Pogusch, rund eineinhalb Autostunden vom Stadtpark entfernt. Es ist eines der herausragendsten Konzepte der internationalen Gastronomie – inklusive Mitmach-Rabatt, Übernachten im Glashaus und Speisen am Feuer.
Lucas Palm
Die Sternevergabe auf der Bühne des Salzburger Hangar-7 war so gut wie beendet – und dann gab es da diesen einen Moment: Das Publikum wusste, dass Gwendal Poullennec es wusste. Und Gwendal Poullennec wusste, dass das Publikum es wusste. Deswegen fing der Jubel schon an, bevor der Direktor des Guide Michelin überhaupt aussprechen konnte, worauf viele, sehr viele in der österreichischen Gastronomie seit Jahren gehofft hatten: Dass das Steirereck im Stadtpark endlich mit drei Sternen ausgezeichnet wird. Unter schwelendem Jubel – und ersten Standing Ovations – tat Poullennec als Co-Moderator dieses Abends aber seine Pflicht. Sprach’s – und sorgte für einen der wohl emotionalsten Momente der österrei-
chischen Gastronomiegeschichte. War es eine Überraschung, dass das Steirereck nun die höchsten Weihen der international wichtigsten aller Gourmetbibeln erhielt? Nein. War es eine Sensation? Ja. Weil das Steirereck für viele von uns seit langem schon „eigentlich ein Dreisterner“ ist. Und man sich trotzdem mit jedem Jahr mehr damit abfand, dass es als Zweisterner, nun ja, verkannt wurde. Wie dem auch sei: Heinz und Birgit Reitbauers Restaurant gehört nun auch laut Guide Michelin zu den besten Restaurants der Welt. Zum Zeitpunkt der Verleihung in Österreich gab es weltweit nur 148 weitere mit drei Sternen. Damit erhält das Steirereck noch mehr internationale Aufmerksamkeit, als es das als aktuelle Nummer 22 der World’s 50
Best Restaurants-Liste ohnehin schon tut. Die Sache ist nur die: Rund eineinhalb Autostunden vom Steirereck im Stadtpark machen die Reitbauers etwas, das mindestens genauso so spektakulär ist – vielleicht sogar über die drei Sterne im Stadtpark hinausstrahlt. Etwas, wovon die Welt mehr denn je wissen muss, weil es eines der kühnsten gastronomischen Unterfangen überhaupt ist: Das Steirereck am Pogusch in der Steiermark.
Die Achse Wien-Pogusch
Es ist aber nicht so, dass sich Birgit und Heinz Reitbauer hier, auf rund 1100 Metern Höhe, aus blindem Ehrgeiz ein neues Projekt vorgeknöpft hätten. Nein, das Steirereck am Pogusch ist seit rund 30 Jahren Familiensache – und wesentlicher Bestandteil der Steirereck-DNA. Mitte der 1990er-Jahre kauften die Reitbauers das Grundstück samt Immobilie. „Alles war in einem ziemlich desolaten Zustand, von Wasser über Heizung bis zum Kanal haben wir vieles neu machen müssen“, erinnert sich Heinz Reitbauer. Aufgesperrt wurde „der Pogusch“, Betonung auf dem zweiten U, als Gasthaus schließlich 1996 – mit Heinz Reitbauer junior als Küchenchef. „Eigentlich hätte es jemand aus dem Steirereck in Wien übernehmen sollen“, sagt er. „Der ist aber im letzten Moment abgesprungen, deswegen habe ich auf Bitten meines Vaters übernommen. Geplant war, dass ich es rund ein Jahr mache. Geworden sind es letztlich neuneinhalb Jahre.“ Bis 2005 also entwickelte Heinz Reitbauer ein tiefes Gespür für diesen Ort – und dafür, was hier alles möglich ist. Und doch: Ab 2005 galt sein Augenmerk dann dem Steirereck im Stadtpark. „Da fand der familiäre Wechsel statt: Birgit und ich sind in den Stadtpark und meine Eltern, die bis dahin in Wien gewesen waren, auf den Pogusch, der von Anfang an auch als ihr beruflicher Alterssitz geplant war.“ Mit dem großen Umbau im Stadtpark 2014 stellte sich für Heinz und Birgit aber mehr denn je die Zukunftsfrage: Wie lange würden die Eltern noch am Pogusch können und wollen? Würden sie, Heinz und Birgit, einen zweiten Betrieb überhaupt stemmen können? Und wenn ja: Wie sollte der sein?
Heinz und Birgit Reitbauer: Synonym für visionäre Gastronomie made in Austria.
„Für uns stand schnell fest: Wir wollen dort etwas mit Weitblick machen“, sagt Reitbauer. „Etwas, das uns selbst beflügelt, das uns Kraft gibt – und auch anders ist als Wien. Nur ein Ausflugsgasthaus mit klassischer Ausrichtung, das wollten wir nicht mehr. Auch, weil wir gesehen haben, dass es immer schwieriger wurde, gute Mitarbeiter an den Pogusch zu bekommen.“ Jahrelang wälzten Heinz und Birgit Pläne hin und her. Tauschten sich mit Menschen aus unterschiedlichsten Disziplinen aus. Erstellten Modelle. Schrieben einen Architekturwettbewerb aus. Tigerten sich in das Thema der nachhaltigen Energiegewinnung und der Kreislaufwirtschaft hinein. „Sieben Jahre haben wir uns fast
täglich – neben unserer Arbeit im Stadtpark – mit dem Pogusch beschäftigt. Das ist lange, ja, aber es hat uns erlaubt, jede Idee mehrmals zu hinterfragen, wirklich in die Tiefe zu gehen. Diese Zeit brauchten wir – und sie hat sich gelohnt.“
Kommt Zeit, kommt Nachhaltigkeit
Heute ist das Steirereck am Pogusch einer der verspieltesten, nachhaltigsten und durchdachtesten kulinarischen Schauplätze – und das weltweit. Mithilfe von modernster Photovoltaik, einer Biomasseanlage, einem Holzvergaser und gefinkelten Wärmespeichersystemen setzt es gerade in Zeiten unberechenbarer Energiepreise neue Standards in Sachen nachhaltiger Energiegewinnung. Die Reitbauers investierten in hochklassige Mitarbeiterunterkünfte, zwei Glashäuser, in ein ans Gasthaus angeschlossenes Salettl, ein Energiehaus, um nur das Wichtigste zu nennen. Und auch konzeptuell geht man am Pogusch einen ganz eigenen Weg – wie die „Schankkuchl“ zeigt.
Am Feuer aus
dem Vollen schöpfen
Als Gast blickt man, an Hochtischen sitzend, auf mehrere Feuer- und Dampfstellen, an denen Küchenchef Manuel Weißenböck und sein Team nichts anbrennen lassen: Ganze Hendln rotieren da rund vor sich hin – und landen rund eine Stunde später im Menü unter dem Namen „Überflieger“ auf den Tellern: mit Käferbohnen im eigenen, kräftigen Sud, Curry, Kochsalat und Röstzwiebeln. Aus dem Holzofen kommt eine Sauerteigkreation mit Frischkäse, Speckpilz und Kürbis. Neben der Glutgrube hängt eine Forelle im Rauch, und auf dem Grillrost geht es dem Amurkarpfen an die Haut: mit Spitzpaprika, Spinat, Basilikum und Soave-Chili steht er sinnbildlich für diese genauso archaische wie elaborierte Küche der „Schankkuchl“, die im Gegensatz zum größeren Wirtshausteil nebenan nicht viel auf kulinarische Gutbürgerlichkeit gibt. Weißenböck kann hier im Pogusch-Universum aus dem Vollen schöpfen: Die hauseigene Landwirtschaft, von der übrigens auch Fleisch und Pflanzen in den Stadtpark gehen, versorgt Weißenböck nicht nur mit Lämmern, Schweinen, Eiern von den Hühnern und jeder Menge Streuobstarten, sondern auch mit 500 Pflanzen- und Zitrusarten, die da in den Gärten wachsen – und im Glashaus. „Das Glashaus ist für uns zusammen mit der Schankkuchl sicher das innovativste Projekt am Pogusch“, kommt Reitbauer auch heute noch, drei Jahre nach der Eröffnung, ins Schwärmen. Denn hier wächst nicht nur allerhand Grünes und Zitrisches, hier sind auch die „Kabanen“ untergebracht.
Wer im Glashaus schläft, darf mithelfen.
Das sind gemütliche, kleine Zimmer, die mit einem Bett ausgestattet sind. Man schläft also inmitten von Pflanzen und Blumen, taucht ein und wird Teil dieser vegetabilen Welt, die so prägend ist für alles, wofür das Steirereck steht. Wer in der Küche, der Landwirtschaft oder dem Glashaus selbst mithelfen will, erhält übrigens einen Rabatt auf die Übernachtungskosten. „Wir wollen die Gäste dazu animieren, unseren Anspruch an einen transparenten Betrieb selbst zu entdecken“, sagt Reitbauer. „Das kommt so gut an, dass wir mittlerweile auch viele Gäste aus Asien haben, die das erleben wollen!“ Neben dem Glashaus gibt es am Pogusch eine Vielzahl an anderen Übernachtungsmöglichkeiten: Direkt gegenüber dem Wirtshaus in genauso urig wie modern gehaltenen Zimmern im Stallgebäude. Oder mitten im Wald in der Rehleinhütte. Oder hinter dem Wirtshaus in der Jagdhütte. Oder waldaufwärts in den durch und durch instagrammablen Baumhütten. Oder auf der Schneid in den hellen Vogelhäusern mit großen Glasfenstern. „Die Vielfalt, die Lebendigkeit des Angebots steht hier über allem“, sagt Reitbauer. Davon zeugt auch die Wirtshauskarte, die Küchenchef Jürgen Schneider verantwortet. Wie in der „Schankkuchl“ wird hier zum allergrößten Teil auf die Erzeugnisse der eigenen Landwirtschaft zurückgegriffen, außerdem steht von Mittwoch bis Samstag jeder Tag unter einem anderen Motto: Mittwochs gibt es allerhand aus Garten, Feld und Wald, donnerstags stehen Gerichte aus eigener Schlachtung im Vordergrund, freitags der frische Fisch aus den nahegelegenen Seen des Hochschwab – und samstags geht’s ums steirische Milchkalb, das auf Nachbars Wiesen grast und, eh klar, wie alle anderen Tiere hier Nose to tail verarbeitet wird.
Man ist versucht zu sagen: Kein Betrieb verbindet Nachhaltigkeit, Gastfreundschaft und die natürliche Vielfalt der österreichischen Küche zukunftsträchtiger als das Steirereck am Pogusch. Bleibt zu hoffen, dass dieses Leuchtturmprojekt auch international an Strahlkraft gewinnen wird, seit die drei Sterne über dem Wiener Stadtpark funkeln.
ÖSTERREICH HAT PLÖTZLICH MEHR MICHELIN STERNE ALS DEUTSCHLAND
Die Österreich-Werbung-Chefin, Astrid Steharnig-Staudinger, verhandelte den Michelin-Deal.
Ein Erfolg, den auch KALK&KEGEL für sich verbuchen kann:
Der weltweit wichtigste Restaurantführer, der Guide Michelin, testet nach 15 Jahren der Abstinenz wieder in Österreich. Und auf Anhieb zählt die Alpenrepublik zu den kulinarisch wertvollsten Destinationen der Welt. Auch wenn das Falstaff und Gault&Millau zunächst gar nicht gefallen hat.
Michael Pöcheim-Pech
Eine Schlagzeile, die sich die Österreich Werbung gewünscht und verdient hat: 82 Michelin Sterne, 33 Grüne Sterne, 43 Bib-Gourmand – neben Juan Amador ein zweiter 3-Sterner mit dem Steirereck im Wiener Stadtpark und die Message „Österreich gehört kulinarisch zur den Besten der Welt“. Umgerechnet auf die Einwohneranzahl hat Österreich sogar mehr Sterne als Deutschland und liegt gleichauf mit Frankreich. Diese Message wird ziehen – erwartungsgemäß internationales und ausgabefreudiges Publikum nach Österreich. „Die Kooperation mit dem Guide Michelin ist nicht nur eine Auszeichnung für die österreichische
Kulinarik, sondern auch ein Zeichen für die Leidenschaft und das Engagement, das in jeder Küche unseres Landes steckt. Unsere ausgezeichneten Köchinnen und Köche schaffen mit ihrer Kreativität und ihrem Können kulinarische Erlebnisse, die Herzen berühren und die Menschen begeistern. Sie sind die Seele unserer kulinarischen Exzellenz“, so Astrid Steharnig-Staudinger, CEO der Österreich Werbung.
Die Rückkehr des Guide Michelin sowie die Ceremony wurden von der Österreich Werbung und den Landestourismusorganisationen initiiert und mitorganisiert. Auch durch das Engagement der Branchenvertretung der Wirtschaftskammer
wurde die Österreich-Präsenz des Guide Michelin möglich. Den Stein ins Rollen aber brachte KALK&KEGEL mit einer Petition, die von mehr als 20.000 Menschen in der Branche unterstützt wurde und die uns schließlich die Türen öffnete zu den politischen Entscheidungsträger:innen im Parlament. Mit dieser Initiative und dem daraus folgenden medialen Getöse war alles aufbereitet für öffentliche Tourismus-Institutionen, die mit diesem positiven Rückenwind schließlich den Sack zumachen konnten. Die Zahl ist zwar nicht bestätigt – es sollen aber rund 2,1 Millionen Euro an öffentlichen Geldern sein, die die weltweite (!) Werbung für drei Jahre kostet. Das sind pro Bundesland und Jahr umgerechnet 78.000 Euro.
Eine super Investition, wenn man bedenkt, dass die kulinarische Kraft vor allem eben nicht in den Städten, sondern auf dem Land stattfindet. „Endlich werden alle Bundesländer bewertet und alle Bewertungen tragen dazu bei, dass die österreichische Kulinarik ihre internationale Strahlkraft noch weiter erhöhen kann“, betont Michael Feiertag, Geschäftsführer von Steiermark Tourismus und als Sprecher der Landestourismusorganisationen im Jahr 2024 ein ganz besonders wichtiger Motor für das Sterne-Comeback.
Unter den neuen Sternen, die die kulinarische Landschaft Österreichs zieren, sticht besonders das Restaurant „Steirereck“ von Heinz Reitbauer hervor, das neu mit drei Sternen ausgezeichnet ist. Reitbauer, ein Visionär der österreichischen Gastronomie, hat es geschafft, traditionelle Elemente der österreichischen Küche mit modernen Techniken zu verbinden. „Ein Michelin-Stern ist nicht
nur eine Auszeichnung, sondern auch eine Verantwortung. Es ist unsere Aufgabe, die kulinarische Kultur Österreichs weiterzuentwickeln und den Gästen unvergessliche Erlebnisse zu bieten.“
Diese Philosophie spiegelt sich in jedem Gericht wider, das in seinem Restaurant serviert wird.
Die hohe Dichte an Michelin-Stars in Österreich ist jedoch nicht nur ein Verdienst der Spitzenrestaurants. Auch kleinere, familiengeführte Betriebe und aufstrebende Köche – leider wenige Köchinnen – tragen zur kulinarischen Vielfalt bei. Sie setzen auf regionale Produkte und kreative Rezepte, die die Kultur und Tradition des Landes widerspiegeln. Diese Entwicklung hat dazu geführt, dass immer mehr Gäste die österreichische Gastronomie als aufregendes Ziel entdecken.
Einen letzten Gedanken noch zu Falstaff und Gault&Millau Österreich, die im
Vorfeld medial gegen die Finanzierung des Guide Michelin durch die öffentliche Hand gewettert hatten: Dass Österreich in der Qualität heute so gut positioniert ist, ist sicher auch ein Verdienst dieser beiden Guides. Falstaff und Gault&Millau leisten seit Jahren eine äußerst wertvolle und höchst seriöse Arbeit und sind die Basis für die stetig steigende Qualität der heimischen Gastronomie. Schade, dass sie bei der Bewegung für das Comeback des Guide Michelin nicht auf der Seite der Gastronominnen und Gastronomen kämpften, für die sie sich sonst ja angeblich so stark machen und einsetzen. Wenn es angetrieben durch Neid und Missgunst gegen den gemeinsamen Feind aus Frankreich geht, werden die eigentlichen Freunde in den österreichischen Restaurants und Wirtshäusern schnell vergessen. Dort wundert man sich noch heute darüber.
Heinz Reitbauer und Michael Bauböck, Steirereck (Wien)
Als alle Sterne bei der Gala im Hangar-7 schon vergeben waren, war nur einer noch nicht auf der Bühne: Heinz Reitbauer. Vielleicht ein bisschen geschockt, aber sichtlich stolz saß er also im Publikum, das wie er bereits wusste, was gleich passieren wird: 3 Sterne für das Steirereck. Standing Ovations der Kolleginnen und Kollegen als er gemeinsam mit Küchenchef Michael Bauböck auf die Bühne geholt wurde. Hoch verdient! steirereck.at
Elisabeth und Clemens
Grabner, Waldschänke (Grieskirchen)
Am Herd gibt es in der Waldschänke zwei Chefs und zwei Generationen: Elisabeth und Sohn Clemens zeigen die Vielseitigkeit der heimischen Küche. Kreativ und heimatverbunden verpackt in einem Küchenstil, der gewachsene Geschichte ist. Waldschänke Geschichte. So finden sich Wirtshausklassiker, Lieblingsgerichte und neue Interpretationen. waldschaenke.at
Jan Eggers,
Zur Goldenen Birn (Graz)
Kein zweites Restaurant in Österreich schoss in so kurzer Zeit an die Spitze: Das Restaurant „Zur Goldenen Birn“, beheimatet im Parkhotel in Graz, stieg mit 4 Gault&Millau-Hauben ein sowie mit 4 Gabeln im Falstaff. Dass es im Guide Michelin nicht einmal eine Erwähnung gab, hat einen Grund. Im Dezember gab es einen Küchenchefwechsel und nach der Winterpause wurde erst wieder im Feber geöffnet – genau dazwischen wurden die Sterne verliehen. Es wären 2 Sterne gewesen, sagen die Gerüchte. Im Jänner 2026 werden wir es wissen. zurgoldenenbirn.at
Sie ist Österreichs einzige 4-Hauben-Köchin und ab sofort nur eine von drei Sterneköchinnen: Traudl Sigwart. In Brixlegg legt sie in der „Grauen Katze“ eine außergewöhnliche Produktküche hin – von klassisch-französisch bis mediterran. Wer so gut kochen kann wie sie, braucht sich nicht hinter komplizierten Gerichten verstecken. Somit steht sie für eine Küche von früher, die gerade so modern ist wie vielleicht noch nie. tiroler-weinstuben.at
Juan Amador, Amador (Wien)
Verlässlich in absoluter Perfektion:
Dass Juan Amador seine 3 Sterne aus dem Michelin „Main Cities of Europe“Guide verteidigen würde, daran zweifelte niemand. Seine Küche steht für eine unvergleichliche Präzision und Klarheit. Um das zu erleben, reisen schon jetzt Menschen aus aller Welt nach Wien. restaurant-amador.com
Daniel Edelsbrunner und Sandra Scherbinek, Kupferdachl (Premstätten) Empfehlung
Das beste Restaurant im Grazer Umland und eine Empfehlung im Guide Michelin. Daniel Edelsbrunner und seine Lebensgefährtin Sandra Scherbinek fahren zwei Konzepte unter einem Dach: das Wirtshaus, mit einer perfekt gekochten und kompromisslos regionalen Wohlfühlküche, und dem Fine-Dining-Bereich mit einem hocheleganten und handwerklich aufwändigen Überraschungsmenü. Im Sommer 2025 wird groß umgebaut. Hier könnte bald ein Stern glänzen. kupferdachl.at
Christian Marent, Das Marent (Fiss)
Erst im August 2024 präsentierte Christian Marent in der Bruderherzstube seines Hotels in Fiss sein neues Konzept – aus dem Saisonbetrieb wurde ein Ganzjahresbetrieb. Damit wollen die Marent-Brüder, Christian und Alexander, den Tourismus in der ganzen Region beleben. Der Michelin-Stern und die 16 Punkte im Gault&Millau leuchten nun auch international sehr hell über dem Tiroler Boutique-Hotel. dasmarent.at
Thomas Dorfer, Landhaus Bacher (Mautern) Endlich sichtbar auf der Landkarte der besten Restaurants der Welt: Mit 2 Sternen wurde das Landhaus Bacher von Thomas und Susanne Dorfer ausgezeichnet. Eine Bestätigung, die auch die Kolleginnen und Kollegen bei der Guide-Michelin-Verleihung feierten. Sie schickten Dorfer mit lautem Jubel auf die Bühne. landhaus-bacher.at
Florian Wörgötter und Julia Mausser, Wörgötter (Ligist)
Eine der größten Überraschungen im Guide Michelin Österreich: Mit 14,5 Punkten im Gault&Millau ganz sicher unterbewertet, holten Florian Wörgötter und Julia Mausser nicht nur einen Michelin-Stern in ihr Restaurant, das früher eine Dorfdisko war, sondern auch einen Bib-Gourmand für ihr Wirtshaus. Am Tag nach der Verleihung gingen Reservierungen für die nächsten 3 Monate ein. Und plötzlich verirrten sich sogar russische Gäste in die kleine steirische Gemeinde. wörgötter.at
Andreas Senn und Christian Geisler. SENNS.Restaurant (Salzburg)
Seit 10 Jahren vergibt der Guide Michelin beständig 2 Sterne für das Restaurant von Andreas Senn, das in der wohl spektakulärsten Location aller österreichischen Restaurants beheimatet ist: in einer alten, aufgelassenen Glockengießerei. Nicht wenige hatten ihn auf der Rechnung für 3 Michelin-Sterne. Die Perfektion der Küche würde genau das widerspiegeln. Ein fantastischer Ort. Andreas Senn: „Wichtig ist, dass Österreich durch den Michelin international wieder eine Nummer ist. Davon profitiert das ganze Land.“ senns.restaurant
Johann Schmuck, Terra in der Mühle Stainz (Stainz) Empfehlung
Was Johann Schmuck seit zehn Jahren in Stainz entwickelt, ist beachtlich. Aus der ehemaligen Mühle am Rathausplatz formte er mit seinem Team rund um Küchenchef Max Grandtner und Sommelier Joachim Retz einen einzigartigen Genuss-Hotspot, der Menschen von weit her anlockt. Besonders ist die Lockerheit, mit der man im Terra dem großen Genuss begegnet: à-la-carte, Menü, Terrasse, ein paar Häppchen – das alles wird angeboten ohne große Zwänge. Erfrischend – und neben den 3 Gault&Millau Hauben mit 16,5 Punkten sicher auch bald besternt. johann-schmuck.at
Glaskultur, die wir lieben.
Er ist überall. Der Duft der Vanille verfolgt uns in Joghurts ebenso wie in un zähligen Parfums oder in Raumsprays. In Vanillekrapfen und -kipferl sowieso.
Aber sind das natürliche Aromen? Gibt es überhaupt so viel Vanille, wie die Industrie verwendet? Wo wächst die beste Vanille und was hat das Ganze mit einem Wiener in der Karibik und mit Kuhdung zu tun?
Ein Lokalaugenschein in der Dominikanischen Republik. Und die Geschichte eines Mannes, der auf der Insel zu sich gefunden hat.
Text und Fotos: Jürgen Schmücking
Fünf Uhr morgens. Über den Hügeln rund um Tenares, einem kleinen Ort im Landesinneren der Dominikanischen Republik, zieht sanfter Nebel. Es regnet ein wenig. Randall Quirk ist bereits auf den Beinen und marschiert auf schmalen Pfaden durch den Regenwald. Er kontrolliert seine Schüt zlinge, die Vanillepflanzen.
Seine Aufgabe ist an diesem Morgen aber eine andere. Randall sammelt Frauenhaarfarn. Dieser Zierfarn wächst auf der Farm genauso üppig wie die Vanille selbst. Er hat beim Anbau der Vanille eine besondere Aufgabe. Die Herausforderung bei landwirtschaftlicher Nutzung ist, dass die Bestäubung händisch durchgeführt werden muss. Jedenfalls ist die Bestäubung für die Entwicklung der Bohnen, die wir später als Vanilleschoten bezeichnen werden, von essenzieller Bedeutung.
Genau hier kommt der Frauenhaarfarn ins Spiel. Nahe seiner Wurzel ist der Stängel des Farns dünn und rau genug, um die feinen Pollen aufzunehmen und trotzdem stark und fest genug, um genau den Teil im Inneren der Orchideenblüte zu treffen, wo die Bestäubung stattfinden soll. Geübte Arbeiter bestäuben etwa 1500 Blüten am Tag. Irgendwann werden vielleicht Drohnen diesen Job übernehmen. Sehr wahrscheinlich sogar. Im dichten Urwald im Norden der Dominikanischen Republik will man davon aber nichts wissen. "Die beste Zeit für die künstliche Bestäubung ist zwischen 7 Uhr morgens und 11 Uhr“, sagt Randall Quirk und sammelt die letzten Farne ein, bevor die Mannschaft auf die Farm kommt.
Es dauert ungefähr neun Monate, bis die Bohnen entwickelt sind und geerntet werden können. In dieser Zeit braucht die Pflanze Zeit, eine stattliche Menge Wasser, aber auch eine gute Drainage, damit das Wasser auch wieder abfließen kann. Das ist einer der Gründe, weshalb der hügelige Regenwald im Zentrum der Insel so gut für den Anbau geeignet ist. Nach der Ernte werden die Schoten ein paar Minuten lang gekocht und danach für einige Tage an der Sonne getrocknet. Dadurch erhalten sie ihre charakteristische bräunliche Färbung. Und weil die Bedingungen für die Pflanzen dermaßen optimal sind, sind die Vanilleschoten von der Puronilla-Farm deutlich größer als die durchschnittliche Schote am Markt.
Außerdem haben einige Institute, die sich mit der Vanille wissenschaftlich auseinandersetzen, der Vanille aus Tenarez eine besonders hohe Konzentration an Aromastoffen attestiert.
BOtANIK UND SENSo RIK
„Vainilla“ ist der spanische Begriff für kleine Schote. Wobei sie so klein gar nicht sind. Manche Sorten können bis zu 35 cm lang werden. Nicht jede Orchidee ist essbar. Im Gegenteil. Im Grunde sind es drei Sorten, die den Weltmarkt beherrschen. Vanilla planifolia (früher hieß sie Vanilla fragrans), die es von ihrem Ursprung in Mexiko nach Madagaskar schaffte und jetzt die dominierende Sorte ist. Dann gibt es noch Vanilla pompona und Vanilla tahitensis. Die drei gehören wie gesagt zu den Orchideen, sind Kletterpflanzen und brauchen zum Wachsen symbiotische Partnerbäume. Das können Orangenbäume, Palmen oder eben auch Urwald sein, wie im Fall der Dominikanischen Republik.
Bestäubung von bestimmten Bienenarten und einigen Kolibris erledigt wurde, die es wiederum nicht überall in Lateinamerika gab. Dass wir heute in einer vanillegetränkten Welt leben, in der das Aroma omnipräsent ist, verdanken wir Edmond Albius, einem zwölfjährigen Sklavenjungen von der Insel La Réunion. Er entdeckte, vermutlich in einer Kombination aus Ehrgeiz, Neugier und Spieltrieb, dass man die Arbeit der Bienen auch selbst und mit dem Stängel eines Blattes erledigen kann.
Sie brauchen Wärme und eine gewisse Luftfeuchtigkeit. Vor allem aber müssen die Blüten bestäubt werden, damit die Pflanze die begehrten Schoten bildet. Das war lange das zentrale Problem der gewerblichen Vanilleproduktion, da die natürliche
Die Insel La Réunion (das koloniale Frankreich trug entscheidend zur Verbreitung der Vanille, sowohl auf Verbraucher- wie auch auf Produktionsseite bei) hieß früher Île Bourbon und war damit Namensgeber für die Bourbon-Vanille, während andere Inseln mit französischer Kolonialgeschichte, die karibischen Inseln Guadeloupe und Martinique, als Ursprung der westindischen Vanille gelten.
VOn DeR oRCHIDEE
Es gibt deutlich mehr Vanillejoghurt oder Vanille-Eis, als es natürliche Vanille gibt. Das wirft Fragen auf. Eine Möglichkeit, den maßlosen globalen Vanillin-Bedarf zu decken, ist die Suche nach Alternativen und hier hat die Industrie bereits einiges an Kreativität geboten. Sie hat sich längst von der Idee verabschiedet, Vanille aus einer exotischen Orchideenart zu erzeugen und überlegt, wie 4-Hydroxy-3-methoxybenzaldehyd (so der wissenschaftliche Name von Vanillin) im Labor her zustellen ist. In der Fichte schlummert ein Stoff mit dem Namen Lignin. Wenn man diesen Stoff mithilfe eines Katalysators aus Kupfer oxidiert, entsteht Vanillin. Aus ungefähr 30 Kilogramm Fichtenholz kann 1 Kilogramm Vanillin erzeugt werden. Und nachdem die Fichte ein Baum und damit eine natürliche Sache ist, wird das Fichtenvanillin auch als "natürliches Aroma" vermarktet.
Ebenfalls als natürliches Aroma gilt das Vanillin aus einem deutschen Labor, bei dem der Farbstoff Curcumin mithilfe von drei Enzymen in Vanillin verwandelt wird. Die Enzyme kommen jeweils aus einem Pilz, der als Speisepilz untauglich ist (die Blasse Borstentramete), einem Speisepilz (dem Kräuterseitling) und der Candida-Hefe. Dann gibt es noch eine dänische Crew, denen das nicht weit genug ging. Sie veränderten das Genom der Bäckerhefe und fügten hinzu: eine der Gensequenzen eines dungfressenden Pilzes, eine der Gänserauke und eine Sequenz aus dem menschlichen Genom. Wie gesagt. In der Not entwickelt die Lebensmittelindustrie eine erstaunliche Kreativität.
Definitiv verlassen wird der Pfad des natürlichen Aromas, wenn es um Recycling im wahren Wortsinn und um die Verwendung von Darmbakterien und Verdauungsrückständen geht. So wird zum Beispiel der Umstand genutzt, dass Rinder den bereits erwähnten Stoff Lignin nicht verarbeiten können und daher wieder ausscheiden. Das Lignin ist aus Kuhfladen mit wesentlich weniger Energieaufwand zu extrahieren als aus frischem Fichtenholz. Weiterverarbeitet wird es dann auf die gleiche Art und Weise, und im Endprodukt ist die Herkunft – sensorisch – nicht zu unterscheiden. In Frankreich wurde vor ein paar Jahren ein Verfahren entwickelt, bei dem Vanillin aus Altpapier und modifizierten Darmbakterien hergestellt wird, und Forscher der University of Edinburgh haben erst kürzlich eine Methode vorgestellt, mit der sie nicht nur das Vanilleproblem, sondern auch den Plastikmüll reduzieren wollen. Dabei wird aus dem in Plastikflaschen verwendeten Polyethylenterephthalat (PET) der Bestandteil Therephtalsäure extrahiert, der dann mit Hilfe von (im Darm vorkommenden) E. coli-Bakterien in Vanillin umgewandelt. Das muss man als Vanilleeis-Fan erst einmal verdauen.
ZUM PLASTIKMüLL
Der Wiener Andreas Harb zieht in der Dominikanischen Republik ein international bestauntes Vanille-Projekt hoch.
aM SPRUNG nACH KUBA
Der Mann, der hinter dem Vanille-Projekt in der Dominikanischen Republik steckt, ist der Wiener Andreas Harb. Er ist der Mastermind und Gründer von Puronilla, dem Schweizer Unternehmen, das den institutionellen Rahmen für die Abwicklung der Karibikgeschäfte bildet. Andreas Harb war Zeit seines Lebens Unternehmer. Fest verwurzelt in der IT-Branche samt ihren Ritualen und Eitelkeiten. Eines seiner Start-ups hat einen Algorithmus entwickelt, der heute noch vom Branchenriesen Amazon verwendet wird. Geklaut klarerweise. Irgendwann wollte er das alles nicht mehr. Eines Abends saß er auf dem Sofa in seiner Döblinger Wohnung und zappte sich durch das Abendprogramm. Bei einer Dokumentation über den Anbau von Vanille blieb er hängen. Das war's. Das wollte er auch. Vanille in Kuba anbauen. Jetzt erwies sich Kuba aber als – politisch –nicht ganz einfaches Pflaster. Also musste ein "Plan B" her. So verschlug es Andreas Harb und seine Idee auf die Nachbarinsel in die D ominikanische Republik.
Dort, in der Dominikanischen Republik, ist es Andreas Harb nicht nur gelungen, eine stattliche Anbaufläche für 37.000
Vanillepflanzen zu akquirieren, sondern zugleich auch 30 Jahre an Erfahrung beim Vanilleanbau hinzuzugewinnen. Genauso lange leitete der Vanille-Experte Mark Lineweaver die von Harb erworbene Plantage auf der Insel. Lineweaver hat den Anbau nicht genveränderter Vanille entwickelt und zum Erfolg geführt. Neben den ökologischen Aspekten beim Vanilleanbau zählen für ihn auch der Schutz der Natur und menschenwürdige Arbeitsbedingungen zu den herausragenden Leitmotiven für unternehmerisches Handeln bei Puronilla. Für die Vanille bedeutet das konkret: Bio & Fair Trade sind Pflicht, herausragende Qualität die Kür. Das Projekt, von dem eingangs erzählt wurde, zog auch die Aufmerksamkeit der Behörden und der Regierung auf sich. In den letzten Jahren hat sich die Dominikanische Republik landwirtschaftlich stark verändert. Im Land entstanden Musterbeispiele biologischer Landwirtschaft. Mittlerweile gibt es einen Vertrag zwischen Andreas Harb und dem Ministerium für Landwirtschaft der Dominikanischen Republik. Beim Unterschreiben des ersten Vertrags steckten in der Brusttasche von Harbs Safarihemd ein Kugelschreiber und eine Vanilleschote.
Eine seiner Plantagen befindet sich in einer Bergregion auf 1000 Metern Höhe und bietet einen wunderbaren Weitblick. Bei klarer Luft und schönem Wetter kann man vom Hügel der Farm sogar das Meer im Norden sehen. Im Moment läuft es für Andreas Harb und sein Team in der Dominikanischen Republik recht gut. Aber dabei will er es nicht belassen. Wendet man den Blick vom Norden nach Westen, sieht man zwar das Meer nicht, aber es sind nur 500 Kilometer Luftlinie nach Kuba. Und dort könnte schon bald die nächste Vanilleplantage stehen. In einem Land, das wir mit der Produktion von Vanille (noch) nicht in Verbindung bringen. Aber das Klima passt. Und was Kuba sonst an verführerischen Noten zu bieten hat, passt ebenso zum Aromaprofil der Vanille: Rum und Tabak.
Und die Dominikanische Republik? Die ist dem Exil-Wiener mittlerweile zur zweiten Heimat geworden. Er hat sich in eine Inselschönheit verliebt und ist Vater eines zauberhaften Buben. Die Grundlage für eine austro-karibische Familiensaga ist gelegt.
Bei einer D okumentation über den Anbau von Vanille blieb er hängen.
Lydia Haider ist eine radikale und sprachgewaltige Stimme der deutschsprachigen Literatur. Ihre Texte schreibt sie überall, aber am liebsten in ihrem Stammlokal, dem Schmauswaberl. Für KALK&KEGEL geht sie auf Lokaltour, um herauszufinden, wo es sich überall noch so schreiben lässt – eine Hommage an die Wiener Beislkultur.
von Lydia Haider
Apollonia Theresa Bitzan
Fotos:
Geh in viele Lokale und du erlebst was.
Geh immer nur in ein Lokal und du erlebst auch was.
Wo ich schon überall geschrieben hab, das kannst du dir gar nicht vorstellen: tanzend in Clubs und auf Festivals in Menschenmengen, wo mir Leute ringsum das Getränk gehalten und geschaut haben, dass mich niemand umstößt oder ich versehentlich jemand erstech mit dem Bleistift; halbtot auf irgendwelchen Afterhourn in der Ecke irgendwelcher Keller irgendwelcher Bildender Künstler tausende Seiten in mein Notizbuch rein nächtelang durch; mit blutenden Fingern (nicht mein Blut); neben schlafenden Kindlein oder schlafenden Typen; auf meinem eignen Sarg (echt - aber halt mein Performancesarg);
ich
schreib
auch
manchmal beim Geschlechtsverkehr oder inmitten eines Rudels ausgehungerter Wölfe, die schon auf das Zerfleischen warten;
demnächst schreib ich live, was die größte Challenge ist (einmal in einem Kunstprojekt ausprobiert und das ist hard: die Veröffentlichung passiert ja im Moment der Niederschrift); das ärgste Schreiben war und bleibt aber jenes im völligen Rausch und in dem Sein, dass der Körper nicht mehr gehorcht, das Gehirn aber ganz da ist (und wenn ich dann das Notizbuch oder den Laptop zuklappe, instant vom Sessel runterkipp - das Schreiben allein erhält mich am Leben).
Und ja, was soll ich sagen: Das liegt auch daran, dass ich als Mutter und vielbeschäftigte Kunstschaffende so viel zu tun hab, dass ich oft gar nicht mehr zum Schreiben komme. Ich muss aber.
(Godmother Jelinek hat es mir befohlen: Nie aufhören zu schreiben, Lydia! Und also ist es auch so.)
Und dann das Gefühl: Ich muss sesshaft werden. (Sonst verende ich versehentlich wo in der Gosse und das ist schlecht - Kinder; und Nobelpreis räusper.) Ich brauch ein Stammlokal zum Schreiben, wo ich mich sicher fühl und wo gleichzeitig so sehr die Post abgeht, dass ich nie und nimmer und nicht im entferntesten das Gefühl haben könnt, etwas zu versäumen. Und wo gehts am Ärgsten zu und wo sind die härtesten Leut von Wien am Start und
wo treffen dicke Fäuste auf Staranwälte und Kunstbrunzer auf Untergrundchefes?
Ja da beantwortest die Frag eh schon selbst.
Wahrlich ich sage euch: So beginnt also die lange kurze Geschichte von der Produktionsprozesswahrheit. Da ist sie leicht wie schwer erklärbar und doch muss es sein: Diese meine
Angelegenheit ist Schaffensschweinen klar und Logik ist was für Schwache. Sag das an die nächste Wand und freu dich, dass du lebst, mein Freund. So beginnt ein Text. Und so ist es. Denn hier tut sich das Wesen im Eig’nen von Wahnsinn und menschlichem Rückhalt bestehend wiederum ausschließlich aus Wahnsinn, so sich dieser hier in/im Menschen findet, sammelt und aufbauscht, aufstachelt und sich gegenseitig irrsinnigst übertrumpft wie nirgends sonst: im Lokal. Und das spürst du, das spürt jede Sau, du spürst jede Sau. Und es geht solcherart ganz und gar durch dich durch und gibt dir die Narrenfreiheit. Der Narr: Das bin ich. Der Narr unter Narren noch viel schöner. Der Narr ist die Nullerkarte im Tarot ergo solch Narr immer außerhalb steht und die Freiheit ausschließlich und über die Maßen bei diesem liege und sei. Daher (und he ich scheiß auf Tarot, nur dass das klar ist) sucht der 0815-Durchschnittsmensch auch den Narren so sehr: um sich dann mit diesem in der Freiheit zu fühlen. Der Mensch strebt hierzu in seinem ganzen Wesen, in dieser damness Drecks- und Suchensweise, bei allem Sicherheitsbedürfnis (das ich nicht abspreche noch will noch je könnte), bei all der Sicherheitsverwerfung und -aufwerfung des Menschheitsgeschlechts sei die Frag nach Freiheit umso schärfer ins Direkte gestellt und stell dir das Produkt folglich rein: Warum gehst du in ein Lokal? Ja weswegen suchest du und egal wessen deinesgleichen sei es doch auf der großen Such nach einer kleinen Tür in der Zubetoniertheit und Abgeschlossenheit des trägen und faden Menschheitsgeschlechts. So ist es doch, nicht wahr? So siehe: Du suchst auch mit einem kleinen und verbrunzten Afterworkdrink (so wird das genannt) die Tür im Sein nach einer Entlastung, nach einem Ablass, nach einer Erfahrung, nach Sprach und nach Körper (von dir), nach Spiegelung und nach Wert, nach Erhöhung und nach Grenz, nach Bestätigung und einem kleinen Fuß in der Tür, wie sie es für dich noch nicht gibt. Denn dazu musst du in ein – welches auch immer – Lokal gehen. Und jetzt he so siehe erneut: Dies ist vielfältig. Manche brauchen, qua Geburt, qua Klasse, qua Geschlecht, qua Beruf oder Fetzenhinigkeit (sic!) im Hirn mehr von was und manche weniger. Was trennt das eine vom andren oder eh nichts oder doch? Wir werden sehen. Ich verlasse meine Komfortzone, mein Stammlokal, das Schmauswaberl, und gehe raus in die Welt und in Lokale und schau, wie frei sie dort sind und was sie dort verweilen lässt und warum ich denn solcherorts nicht zu produzieren also zu schreiben gedenke.
Mein Plan heißt:
Gehe in sechs Lokale auf einen (oder mehrere) Drinks und versuche, dort zu schreiben.
Und ich wandle also: ins Café Stadtbahn, in die sogenannte Bibliotheque des Sans Souci, ins Café Andrea, in die Skybar im Steffl, ins Romantika und ins Barflys.
(Anmerkung/Exkurs: Seit Jahren geh ich über den Winter ins Spa im Sans Souci und über den Sommer ins Schönbrunnerbad, um die Menschheit und meinen Schindluder-Lebensstil zu verdauen, zu verdauen mich und das Wesen Mensch, worüber ich als Schriftstellerin seit einem Jahrzehnt schwer genötigt bin, zu schreiben (falls jetzt wer rechnet: davor Studium, Doktorat und zwei Söhne im Alter jetzt volljährig). Erzähl mir doch nicht, dass ich als Proletenkind und Hardcorearbeiterin – an den Seinszuständen des Ganzen der Welt ist es eine Überbürde –
nicht das Recht auf größtmögliche Versorgung und Luxus hätt noch habe da. Mein nächstes Buch heißt Kosmoproletin, aber nur, weil ich das Geld und die Zeit zur Kosmopolitin nicht hab, du Lustiger. Sicher schmerzt das ab und an, dies hakt sich rein in mein niederes Sein und wo ich Jelinek im Ohr hab, beruhigt sie mich und spricht: Es wird schlimmer, sobald du alt bist. Und bald bin ich alt. Und sie hat Recht. Kosmo hin oder her: Ich wollte und will nach wie vor die hiesig österreichischen Zustände ergründen und ganz in sie reinkriechen und sie verstehen und damit das Weltliche (umgekehrt) darüber erklären – bottom up und nicht top down, Arschgeigen tun das andersrum. Nur: Wer tut es so und das sage ich dir: Wer tut den solches im Moment in der ö. Geschicht von Kunstschweinen, ja recht wenige. Und kurz erzähl ich dir von der Begegnung mit einer, die ich künstlerisch liebe und zu deren Musik ich ständig schreibe
(Anm.: ich kann nur zu Musik schreiben; daher sitze ich in Lokalen so gut wie immer mit Kopfhörern übers Notizbuch gebeugt – falls du mich ansprichst und ich nicht aufmerke, ist es aus diesem Grund)
und diese Musikerin kommt unverhofft rein in mein Lokal (=Schmauswaberl) und ich sehe sie und bin ganz euphorisch und bezeuge meine Fanschaft und wir diskutieren über das Schaffen und über Österreich und was glaubst du, wie ich mich (ehrlicherweise und deppert halt) Pfaffe und Nazi und Schwarzer Block und Kreisky nenn dabei, denn es ist halt so, dass ich all das sehe und alle sein will und alles verstehen nur kann, wenn ich mit allen und auch alle bin), nur mag sie das relativ wenig und es artet auch aus fast zur Schlägerei mit ihr. Wer kann das sein. Ein Narr. Doch am End vereinbaren wir einen Auftritt zusammen im Morast. Vielleicht merkst du hier schon, worum es mir im Schaffen geht.)
So verlasse ich also das Schmauswaberl und gehe hinaus und schau zu allererst ins gute und traditionsreiche und künstlerisch vielversprechende Café Stadtbahn (wo es seit acht Jahren mit Genoss*innen eine Lesereihe (Blumenmontag) zu organisieren gilt – ich kenne von daher das Lokal recht gut und geh aber erstmals hin ohne Organisationsauftrag) und setz mich rein und denke nach und beginn zu schreiben und das funktioniert hier sehr ähnlich wie im Schmauswaberl und es ist ein – nenn es doch wie es ist – Freudensein von Auflösung und Wahrheit wie Respekt und wenn wer fragt, welchen sollen wir töten (Brechts Seeräuberjenny spielt im Hirn drin ist’s nie still), so ist die Antwort freilich alle (wenn dann): bist umgeben von Leuten, die sich nicht scheuen anzusprechen und zu benennen, was das Arschlochgebilde Welt dir vorzusetzen sich denkt und ausgesprochen hat es vermutlich nicht einmal eine Trauerweide, wie sie nie vor dem Lokal könnte stehen, denn hier fahren KFZe auf und ab in einer Vielspurigkeit, dass du speiben möchtest und solche haben Platz und kein Baum und keine Rauchperson hat das hier und die wertlosen Weltvernichtungswappler in den Autokutschen da drin scheuen sich nicht, einfach weiterzufahren und keinen Millimeter Platz herzugeben noch kannst du sie
rausreißen aus den Dreckshütten und verdreschen oder legal unterbinden he sagst du endlich, was du sagen willst: dass es mich SS, mich Super Sau, drängt und ich was anders machen will und was ich bin hast du nicht begriffen als eine Verwerfung sei sie zuhin und auf mich kannst ausschließlich dein Anliegen werfen sehr und wirf so wirf doch endlich. Es fühlt sich an dem Wurfe gleich. Ja wo es spricht, dass es zu werfen sei, da sei es also auch zu werfen den ersten Stein und den letzten auch und in der Gemeinheit hat noch niemals wer von diesem letzten Stein was gesagt. Aber sagen tut sich viel. Ich aber sage euch: SAU bedeutet eigentlich: Sine Auto Undfleisch. SAU.
Heute muss man eine Sau sein.
(Anm.: „Sine“ heißt „ohne“.) Höret dies ihr Einwohner dieses Erdenflecks: ohne Fleischfressen und ohne Autofahren. Und das auch zu sagen. Sonst geht alles unendlich bald und viel zu früh vor die Hunde (siehe Weltuntergang und Klimakatastrophe und Massensterben und Irrsinn von Grenzziehung und noch mehr Tod und Sterben generell alles hin). Fresset und fahret weiter. Und wir werden sehen. (Bitte ladet mich in 20 Jahren erneut zu einem Bericht genau darüber ein <3 danke.)
Nachdem ich gesehen, dass es sich im Stadtbahn recht gut schreibt, nun denn, so wandle ich weiter: In der Bibliotheque des Sans Souci schreibt es sich ebenso angenehmst. Ich kenne und liebe den Geruch hier (programmiert auf Erholung seit jesiehe oben), die Drinks sind einer Personalisierung ähnlich und von daher dem Denken nah,
die Wörter laufen raus, es ist alles gut hier, der Bleistift fährt und führt mich raus und rein in die Welt des Wahrheitsabfalls.
Allein das Wort bringt Grillen der Verzweiflung derb in meines Hirn (hier gehts jetzt um die Bezeichnung Bibliotheque; das Zitat ist Hamlet, aber in der richtigen Übersetzung und heute wird sowas nicht mehr derartigst übersetzt, denn da müssten sich alle aufhängen). So bedenkt mein Freund (Hamlet) die Abbildung deiner Sprach und macht ja meine und deine Wirklichkeit da ist die in und durch und mit sich ganz Französisch (was soll ich da noch sagen). Ein bewusster Günter Brus (zu diesem Mauki habe ich eben eine Messe im Aktionismusmuseum gefeiert) sagt es so: „Speiübel ist mir und gonorrhoisch. Ich breche schon fließend französisch.“ Das muss reichen. Der Ort ist toll. Es schreibt sich gut. Nur: Kann man denn in Österreich (worüber ich schreibe) das Wort Bibliothek nicht so nennen und schreiben, wie es hier ist? Ich verzweifle fast und verberge meine Tränen.
Ich geh weiter ins Andrea in den 5. Bezirk in die Reinprechtsdorferstraße. Das ist ein Traumort, wo ich immer wär, würd ich nicht schon mit dem Schmauswaberl verheiratet sein und die Kinder dort mit offnen Mündern auf mich warten, sie zu versorgen und mit Worten zu laben, um mich wiederum selbst an ihrer Liebe und ihren Worten zu laben. Das Andrea ist eine Stätte der Hochachtung des Rausches und seiner Träger*innen und das zu jeder Tageszeit.
Ich schreib auch manchmal beim Geschlechtsverkehr oder inmitten eines Rudels ausgehungerter Wölfe, die schon auf das Zerfleischen warten;
Ein befreundeter und sehr begabter Bildender Künstler verkehrt hier und die Stammgäste haben keine Angst vor Kunstschweinen.
Das ist selten und eine ganz besondere Auszeichnung, für uns. Hier regiert das Gegenseitige. Die Chefin lässt uns beim Fotografieren alle Freiheit (denn diese Wasser-zu-Wein-Wandlung wurd von der unvergleichlichen Apollonia T. Bitzan abgelichtet und damit schonungslos festgehalten) und wir geben ihr Tipps zur Raumgestaltung (die sie eh selbst auch erkannt eigentlich). Letztlich lädt sie uns sogar auf alle Drinks ein. Sie erzählt, dass hier früher Schriftsteller gesessen, schon am Vormittag, und geraucht wurd und Kaffee getrunken und später sich auch das Hochprozentige einverleibt (oder auch am Morgen schon) und dass die dann aber nach dem Rauchverbot weggeblieben sind. Ich verstehe das, leider. Wenn man zum Schreiben rauchen will oder muss (das hatte ich bei meinem vierten Buch), dann ist es echt beschissen, wenn man dazu vom Text weg und hinausgehen muss. Da kann man gleich zuhause bleiben, denn das killt jeglichen Schreibfluss und dann muss man vielleicht auch noch mit Trotteln vertrottelte Gespräche führen beim Rauchen vor der dann nur mehr zugetrottelten Tür, die einen noch weiter rausreißt aus der Dreckshochkulturschreiberei. Furchtbar kompliziert. Ich hab damals auch begonnen, mehr zuhaus zu schreiben und dann später einfach mein Rauchverhalten angepasst ergo eingeschränkt und von der Schreiberei entkoppelt (ja auch das geht: dreimal die Woche in Analyse auf der Couch arbeite ich intensiv an meinen Arbeitsprozessen und deren Einfluss auf die Kunst und schaue, dass ich möglichst frei bin und mich möglichst anpasse; neoliberal? vermutlich ja, verdammt).
In den Morgenstunden geht es weiter ins Steffl in die Skybar auf einen Smoothie und auf einige Prosecco, um zu schauen, was da geht schreibtechnisch heast hui mit Blick auf den Stephansdom schon ideal für den Text, den ich gerade schreib (irgendwann muss ich es ja sagen: es ist ein Text für den Wiener Beschwerdechor, und ich will es denen nicht leicht machen bzw. will ich das, was ich grad wirklich zu sagen habe, in einen Text bringen und hoffe, dass mir das gelingt; der Text wird am Ende von der hiesigen Leser*in zu lesen sein). Hier kann man schreiben und denken und alles ist möglich, wenn man so will. Bei mir nicht – mir fehlen die Menschen, die ganze Bandbreite des Österreich. Aber sonst ist alles toll. Ja kauf dir alles. Aber Menschen (um Vielfalt in ein Lokal zu bringen) kann man nicht kaufen. Oder schon? Es haut mir langsam das Inwendige auswendig.
Ich schau weiter ins Romantika, wo ich zu unterschiedlichsten Tages- und Nachtzeiten schon war und immer war es gut und auch gut, um zu schreiben: sehr liebe Chefin, getränketechnisch alles da, Musik auch, die Menschen hier wie logisch zu allem bereit (und das ist gut), die ganze Gegend hier im 16. strotzend vor Widerstand und dem Sinn, zusammen zu sein und nicht auszugrenzen, denn ausgegrenzt wird keine Sau. Hier sind sie ja der Sau noch viel näher und gleich. Denn hier wird gearbeitet, hier wird verarbeitet, hier wird sich nicht angeschissen, hier geht was weiter, hier wird nicht nur „geredet“, wie es heißt. Hier könnte auch ein erster Stein fliegen (und sind sie in der Geschichte auch schon des öfteren) und es ist nur eine
Frage von nützlichem Kräfteverteilen, ob der Mensch hier auch saufen kann in Ruhe oder sich fürchten muss, dass er aufgrund von Klasse, Geschlecht oder Herkunft nicht mehr in Sicherheit und zickzack-Gang nachhaus gehen kann.
Der Ritt ist noch nicht vorbei: Es geht ins Barflys, wir sind schon viel zu spät dran, unser Tisch längst weggegeben, aber: Wir dürfen uns direkt ins Separee setzen, wo mich eine riesige Plattensammlung und eine Musikanlage erwartet, die ich genau jetzt brauch zum Schreiben (Oh heiliger Gott, hast du mein Flehen leicht erhört?). Sie bringen die Drinks, ich leg eine Platte auf und freu mich und tanz herum und sing und schreib dabei und glaub mich recht klar und da bin ich längst entfernt davon, lieb Freund, was denkst du. Ein alter Italiener, der hier seine zwanzig Zeitungen liest, steigt in meine Suche ein. Wir tauschen uns aus und ich wundere mich über die Sprach: Es geht doch noch einiges. Manchmal hauts mich in Latein rein. Und wir wissen, dass wir suchen. Ja:
Geh in viele Lokale und du erlebst was. Geh immer nur in ein Lokal und du erlebst auch was.
Nur was genau, das ist die Frage. Was willst du erleben und was ist deine Suche, liebe Leserin?! Ich stelle mir die Frage seit Jahren selbst. Was kann man überhaupt finden?!
Am Ende gehe ich voller Freude und mit dem fast fertigen Text ins Schmauswaberl und setze mich auf meinen Tisch. Was bleibt zu sagen? Um ehrlich zu sein: Ich bin hier auch so gern, weil ich mir den Chef aufgerissen hab (bzw. eigentlich er mich). Ich bin hier auch so gern, weil Alpha und Omega hier nicht nur möglich, sondern diese Worte hier geboren. Es ist hoch und tief, es ist die absolute Einfachheit und so schwierig, es ist schirch und schön gleichzeitig, und es ist voll von Kunst und solchen Leuten mit Kunst drin und so viel Schrift in allem, dass selbst die Wände nicht nur mit Geschichte, sondern auch Geschichten inhärentes Sein so sehr dir herhauen, dass tausend Romane und Lyrikbände da rausgehen von selbst. Das ist es. Hier ist das Zentrum von einem Denken, dass sich durch Dichotomiefick aufhängt. Da schau ich gern zu dabei (im eignen Hirn desgleichen) wie sich der Obdachlose gemeinsam mit dem Burgschauspieler zu meinen Texten anspeibt, wenn sie diese meine Texte lesen und sprechen und sich darstellen. Und wer die Texte letztlich besser gesprochen, kann ich gar nicht beurteilen. Denn es ist groß, wo vermeintliche Gegensätze sich auflösen. Dann erst beginnt es, relevant zu werden in dem Leben drin. Doch: Daran werden wir als Menschheit noch arbeiten müssen. Recht viel Wasser wird die Donau noch hinunterzufließen haben, bis ein solches tatsächlich in die Köpfe und Körper eingeht unter ein Dach, dass dann auch schützen kann, was es zu schützen gibt: nämlich uns als Menschheit selbst. Gegenseitig, ohne Vorbehalte, egalitär.
An diesem Textende bleibt mir nur noch eins zusagen: Ich zitiere die Großmeister HGich.T, die es auf den Punkt bringen: „Alle sind besoffen. Alle saufen. Der Arsch ist offen. Alle hoffen, dass ein Wunder geschieht.“
Sommeliers und Sommelièren nerven. Gäste auch. Ob sie das dürfen, darüber macht sich unser Kolumnist Risto Rieger Gedanken. Er ist übrigens selbst als Sommelier
tätig – und als pointierter Schreiber in der von ihm gegründeten Facebook-Gruppe „Vin brutalement“.
Von Risto Rieger
Unlängst stieß ich bei der allmorgendlichen Lektüre diverser Tageszeitungen auf folgende, in eine Headline verpackte, vermutlich rhetorische Frage: „Darf ich dem Sommelier sagen, dass mir sein Geschwafel auf die Nerven geht?“ Eines schon mal vorweg: Nein, dürfen Sie nicht!
Diese Frage ist anmaßend und gleichermaßen hinfällig, wie die Fragen, ob bei meinem Smartphone ein Update ansteht, ob ich mit wenig Schlaf auskomme, ob ich noch jung bin, ob ich die Energie habe, mit kleinen Kindern zu spielen, ob ich bestimmte Lebensmittel aus meiner Wohnung verbannen sollte, ob meine Schlaflosigkeit vererbbar ist, ob ich einen Bestseller schreiben werde oder doch eher ein populistisches Pamphlet, um damit zu reüssieren, ob es an der Zeit ist, mein Testament zu machen, ob der Konsum von Pornografie meine Libido schwächt, ob ich mich darüber freuen soll, Briefe von meiner Bank zu öffnen oder WhatsApp-Nachrichten meiner Ex-Frau zu lesen, ob mein Geist
ein wirklich ernst zu nehmender ist, ob mir die Größe und Form meines Penis gefällt, ob ich es jemals schaffen werde, meine Zukunft abzusichern, ob ich bereit dazu bin, mich zu ändern, ob ich singulär bin oder es nur spät nachts in angesoffenem Zustand lustig mit mir ist, ob es viel intensivere Denker als mich gibt?
Gegenfrage: Darf ich als Sommelier dem unangenehmen Gast, der in der Regel ein sich als Alpha-Mann definierender Gast ist, sagen, dass mich sein arrogantes Geschwafel, das meist von impertinenter Ahnungslosigkeit assoziiert ist, nervt? Dass dieses Männlein der begleitenden Person, die sich in der Regel als Frau definiert, imponieren will und gleichermaßen den ausgebildeten Sommelier oder die Sommelière wie ein kleines, unwissendes Kind ausschauen lassen möchte. Einem Gast, der sich seiner Rolle als „Gast“ nicht bewusst ist und auf ganz dünnem Eis bewegt, das jeden Moment zerbersten könnte?
Darf ein Sommelier bzw. eine Sommelière dem Gast sagen, dass er mal kurz innehalten sollte, weil ihm andernfalls jeden Moment der Status des Gastseins abgesprochen werden könnte?
Ja, das dürfen wir grundsätzlich. Jedoch gebietet es die Höflichkeit und Souveränität als Gastgeber:in darüber hinwegzulächeln und dem ungeliebten Gast einen möglichst unvergesslichen Abend zu bereiten. Wir sollten den Besuch eines ambitionierten Speiselokals wieder als das sehen, was er im besten Fall auch ist: ein Erlebnis. Sich fallen lassen in die Hände des Servicepersonals, der Expertise der Sommeliers und der Sommelièren vertrauen, denn diese, in der Regel überdurchschnittlich gut ausgebildeten Fachleute, machen sich durchaus vorher intensive Gedanken darüber, welcher Wein zu welchem Gang als Begleiter infrage kommt.
Nun bin ich freilich in der etwas komfortablen Lage, viele Restaurantbetreiber:innen und deren Sommeliers und Sommelièren persönlich zu kennen oder gar mit ihnen befreundet zu sein. Das vereinfacht die Problematik ungemein, denn diese Leute wissen ohnehin ziemlich genau, welche Weine ich präferiere und welche eher nicht. Richtig ist auch, dass Sommeliers und Sommelièren bisweilen tatsächlich grandios nerven können, wenn sie sich selbst mal wieder über den Wein erheben und mäandernde Vorträge über Böden, Philosophie, An- und Ausbau halten, während das Essen noch kälter wird, als es ohnehin meist schon auf den Tisch kommt. Andererseits wird ja niemand dazu genötigt, die Weinbegleitung in Anspruch zu nehmen. Wenn ich den Mundschenk nicht kenne oder mir das vorgeschlagene Pairing nicht zusagt, nehme ich die Weinkarte
zur Hand und bestelle mir eine Flasche Rot und eine Flasche Weiß nach meinem Gusto, die mich während eines mehrgängigen Menüs durch den Abend begleiten. Nebeneffekt: Man setzt sich nicht dem Risiko aus, jeden Moment durch übermotiviertes „Wein-Blabla“ sediert zu werden.
Die Flaschen kommen an den Tisch und fertig. Problem gelöst, bevor es die Chance hatte, sich zu manifestieren.
Grundsätzlich jedoch gilt für beide Seiten, dass etwas mehr Respekt, Empathie und Rücksicht aufeinander die Wahrscheinlichkeit deutlich erhöht, den Abend zu einem Erlebnis werden zu lassen.
Richtig ist auch, dass Sommeliers und Sommelièren bisweilen tatsächlich grandios nerven können, wenn sie sich selbst mal wieder über den Wein erheben und mäandernde Vorträge über Böden, Philosophie, AN und Ausbau halten, während das Essen noch kälter wird, als es ohnehin meist schon auf den Tisch kommt.
Was für eine Location! Vergesst Mozart und den Jedermann –mitten in der Salzburger Altstadt gibt es seit mehr als 1200 Jahren einen Ort, an dem der Genuss zelebriert wird.
Das St. Peter Stiftskulinarium ist damit das älteste Restaurant Europas. Und wahrscheinlich war das „Peter“ noch nie so cool und modern wie jetzt. V on Michael Pöcheim-Pech
Fotos: Bianca Hochenauer
Visionäre: Veronika Kirchmaier und Claus Haslauer, die erfolgreichen Gastronomen des Stiftskulinariums.
Während andere nach zeitgemäßen Kulinarikkonzepten suchen, blüht ausgerechnet im ältesten Restaurant Europas seit geraumer Zeit ein neuer Boho-Chic auf, der von hier aus frisch und modern durch die Gassen der S alzburger Altstadt weht und in seinem Sog ein buntes Publikum anzieht: Junge, die sich zum Afterwork-Drink treffen (Motto ist ”Später beim Peter“), Tourist:innen, die beim ”Mozart Dinner Concert“ staunend im Barocksaal mit Kerzenlicht sitzen, Alte, die in der Richardstube mit Kind, Kegel und Urenkerl den 50. Hochzeitstag feiern und alle jene, die einfach nur gut essen wollen oder trinken (knapp 900 Positionen in der Weinkarte von Klassikern bis hin zu biodynamisch und Naturals). Frischer Wind im alten Gemäuer wäre man geneigt zu sagen. Doch das ist untertrieben. Denn es ist vielmehr ein Orkan, der den 1200 Jahre alten Keller mit seinen elf unterschiedlichen Räumen – jeder einzelne ist ein künstlerisches Gesamtensemble – so durcheinander gewirbelt hat, dass hier genau gar nichts alt oder verstaubt wirkt.
Auf der Speisekarte stehen zum Beispiel Tagliolini mit schwarzem Trüffel oder Seeteufel mit Champagner-Hummerschaum neben dem Wiener vom Salzburger Milchkalb, Crème brûlée von der Blutorange und natürlich auch Salzburger Nockerl. Das Mediterrane liegt hier gefühlt viel näher als irgendeine andere Küche. Champagner, Crémant und Rieslingsekt werden auf der Speisekarte als Aperitif offen angeboten. Das heißt aber nichts. Denn im Prinzip reißt Sommelier Rakshan Zhouleh fast jede Flasche für ein Gläschen auf, wenn er die Vorfreude in den Augen seiner Gäste erkennt – von Château Margaux bis zum fantastischen Pinot Noir Hengstberg von Clemens Strobl.
Es ist genau dieser federleichte Zugang zur unkomplizierten Kulinarik, der aktueller denn je ist. Anderswo werden große Menüs gerade wieder von den Karten gestrichen. Keine Bevormundung wollen die Gäste. À-la-carte ist gefragt. Im Stiftskulinarium eine Selbstverständlichkeit. Spätestens an dieser Stelle wird es nun schön langsam Zeit zu erwähnen, wer hinter all dem ”Neuen“ im Stiftkulinarium steckt. Es sind Zwei, die eigentlich gar nicht so neu sind. Denn sie betreiben diesen Ort schon seit mehr als 30 Jahren: Veronika Kirchmair und
Claus Haslauer. Beide das beste Beispiel dafür, dass junge Ideen nicht zwangsläufig etwas mit jungem Alter zu tun haben. Veronika und Claus sprühen nur so vor Schaffenskraft und wollen sich und ihr ”Stiftskulinarium“ am liebsten immer wieder neu erfinden. Für den Sommer wurde in die Willibaldarkaden des Stiftskulinariums eine Outdoor-Lounge im UrbanJungle-Look gepflanzt, die Salzburg so noch nie gesehen hat – in stimmungsvollen Farben und Kontrasten. Urlaubsfeeling inmitten der Stadt! Wir haben Wert auf Style und Farben gelegt, um Fröhlichkeit zu versprühen. Unterschiedliche Pflanzen und Tierfiguren spielen genauso wie Naturmaterialien eine große Rolle. Teppiche aus Naturfaser und Bilder auf Papyrusrollen sind hier beispielsweise zu finden“, erzählt Veronika. Ambiente ist auch Kunst, heißt einer ihrer Leitsätze. Der Callwey Verlag hat das St. Peter Stiftskulinarium“ unter die schönsten Restaurants im deutschsprachigen Raum gewählt. Eine Bestätigung für Veronikas besonderes Gespür, was Interieur und Design angeht. ”Kunst ist eine Inspirationsquelle, die wichtige Denkanstöße gibt. Kunst provoziert und irritiert und dieses Andersdenken eröffnet neue Denkräume – auch für uns“ sagt Veronika, die sich als Ausstellerin mit verschiedenen Künstler:innen aus aller Welt auseinandersetzt und die Ausstellungsstücke kuratiert.
”Innovation ist seit jeher unser wichtigstes Anliegen“, sagt auch Claus. Dabei geht es vor allem um Küche und Keller, um Kompetenz im Service und bei Veranstaltungen. ”Ein historisches Restaurant in die Moderne zu transportieren ist anspruchsvoll, aber sehr erfüllend. Uns besuchen Menschen aus aller Welt, die sich für wahrhaftiges Speisen in alten Gemäuern begeistern können. Aber auch junge Menschen kommen gern zum Sonntagsbrunch ins PETER.“ Einst soll übrigens sogar Faust persönlich im Stiftskeller eingekehrt sein. Die Geschichte ist hier spürbar und letztendlich jener Spannungskontrast zu Style, Design, Küche und Wein, der diesen Ort so besonders macht. Das Stifskulinarium mag zwar mehr als 1200 Jahre alt sein, aber seine coolste Geschichte beginnt gerade jetzt. Das MUSS man gesehen haben in Salzburg.
stpeter.at
HELDENSAGA DUDELN
ART NICHT ARTVERWANDT
Almdudler-Geschäftsführer Gerhard Schilling erklärt:
„Ein so besonderes Stück
Almdudler-Geschichte wollten wir unbedingt allen interessierten Menschen zugänglich machen. Aus diesem Grund steht die hochwertige Print-Version mit Hardcover des Almdudler Comics im Almdudler Webshop zur Verfügung im Package mit der ‚Comic Edition‘ der Almdudler Formflasche oder im Bundle mit der Dose.“ Einige Exemplare sind noch zu haben.
N ein Superheld?
IST K L EI
Ist er! Im letzten Jahr hat ihn die Almdudler-Geschichte umgetrieben, die er dann mit Jessica Veit in einem Comic umgesetzt hat. Aufschreiben, aufschreiben hat er sich gedacht als die Vergangenheit angeklopft hat. Wer mehr über die Superbrand und die Hintergründe wissen will, wird mit Freude die humorvolle, ironische Übersetzung der Heldengeschichte lesen. Die Hauptrolle spielt aber nicht Herr Klein, ganz groß kommen Marianne und Jakob, das Almdudler-Trachtenpärchen, im Comic raus.
ALLER ANFANG
99,9 Prozent aller Österreicher:innen kennen Almdudler. Ein Wert, der weit über vergleichbaren Produkten liegt. Almdudler ist Teil unserer Identität.Wie schafft es eine Kräuterlimo, einen derartigen Status zu erlangen?
Es gibt ihn auf jeder Berghütte, in jedem Gasthaus, im Supermarkt, in der Skihütte – überall. Almdudler ist verflüssigtes Österreich. „Wenn die kan Almdudler hab‘n, geh‘ i wieder ham!“ ist kein Werbeslogan, sondern Ausdruck eines Lebensgefühls. Der Dudler ist Heimatliebe, groß gedacht. Almdudler gehört, in einem tief positiven patriotischen Sinn zu Österreichs DNA. Denn echte Heimatliebe bedeutet Liebe zum Land mit all seinen bunten Facetten und feinen Nuancen. Wenn 99,9 ihn kennen ist die Marke gesellschaftlicher Klebstoff, ohne pickig zu sein.
UNVERWECHSELBAR
32 Alpenkräuter, Zucker und Wasser – alles ohne künstlichen Schnickschnack machen den unverwechselbaren Geschmack aus. Almdudler ist so eigenständig, dass man ihn nie mit etwas anderem verwechseln könnte. Die Versuche ihn zu kopieren sind allesamt gescheitert. Wehe, wenn eine Kräuterlimonade versucht ein Held zu sein. Es kann nur einen Almdudler geben.
KULT-CHARAKTER
Die Flasche dreht seit Jahrzehnten nicht nur in der Gastronomie ihre Runden. Kult ist aber nicht nur die charakteristische Flasche, Kult ist das (Kapelle! Einen Tusch!) authentisch, lebensfrohe, dudelnde ...
ES IST VOLLTRACHT
Von Peter Eder
Das Trachtenpärchen ist kein Logo, es ist ein kulturelles Statement, das Tradition und Moderne verbindet. Es steht für Österreich, ohne kitschig zu sein, es verbindet Generationen, weil es nix Altbackenes hat, es funktioniert über 1000 Meter genauso wie beim Keller-Rave. Es ist sexy, cool, urban, mega, es ist Popkultur – Marianne & Jakob, das Almdudler-Trachtenpärchen, altern nicht. Dafür sorgen Künstler wie Tom Lohner, Golif oder auch Mel Ramos sowie Jessica Veit, die die ikonische Flasche mit ihrer Marianne & Jakob Version zum Sammelobjekt machen.
Almdudler ist einzigartig, kein einfaches Soda, sondern ein eigenständiges Gesamtkunstwerk. Hätte man Marketing nach Theorie an ihn herangelassen, wäre der Almdudler wohl abgesoffen. Mit „Kleingeist“ interpretiert ist ein Klassiker aus der Marke geworden, die seit 1957 pulst wie deppert. Vor der Marke steht Thomas Klein der sich 2004 aus der Geschäftsführung „zurückgezogen“ hat. Öffentliche Auftritte nutzt Herr Klein jedoch, um der Marke mutig sein Profil zu verleihen, in all seiner erdenklichen Buntheit. Klein am Trachtenpärchenball (2007-2016) war ebenso großartig zu erleben, wie in jeder Pressekonferenz, die nicht ohne sein Alm-Aufreger-Dudeln stattfindet. Wenn Kunst von Müssen und nicht von Können kommt, dann trifft das auf Thomas Klein voll zu.
Dazu muss man wissen, dass Klein eigentlich Schauspieler werden wollte. Der frühe Tod des Vaters zwang ihn mit 19 Jahren in Verantwortung. Das Müssen in Bezug auf Kunst hat ihn jedoch nie verlassen. Möglich, dass sich Klein vom Alltag in eine Rolle gepresst sah und seine Freiheit im Müssen, in der künstlerischen Interpretation der Marke sah. Das „so tun, als ob“ im Alltag wich in der Auseinandersetzung mit der Marke Almdudler, seinem wilden Naturell –da hält Klein nichts zurück.
Thomas Klein
Unkompliziert, easy-going und immer auch ein bisschen rebellisch: PetNat hat eine große Anhängerschaft und ich gehöre definitiv dazu. Ich mag den Vibe, diese Leichtigkeit, die PetNat hat – die Brause macht einfach Spaß. Als Aperitif, aber auch in der Weinbegleitung. Mit einem PetNat nach dem Hauptgang weckst du die Leute wieder auf. Ein Käsegang vor dem Dessert, nicht in Richtung Blauschimmel, sondern mit einem schönen Hartkäse und nicht allzu gereiftem Weichkäse, und dazu zum Beispiel Ancestral aus Sankt Laurent von Claus Preisinger: leichter Tannin-Schub, aber trotzdem mit einer Frische. Oder eine gebeizte Lachsforelle als Vorspeise, mit Mangold und Roter-Rübe-Reduktion, und im Glas Fortuna Minor von Gross&Gross – perfekt!
Was das Glas betrifft, bekommt PetNat übrigens die gleiche Anerkennung wie jeder andere Schaumwein auch. Wenn ich es fancy mag, nehme ich die Bleikristallgläser meiner Oma. Sieht gut aus und setzt gleich mal ein Statement. Ich habe PetNat aber auch schon im Burgunderglas serviert. Ich denke, es ist in Ordnung, das Ganze ziemlich freestyle zu halten, so wie PetNat eben auch ist. Glas und Inhalt dürfen zu einem gewissen Grad konträr sein; gerade bei PetNat, der vielleicht noch etwas Erklärungsbedarf hat. Sticht die Präsentation heraus, wird die Begeisterung für das Thema viel schneller geweckt.
Unser Restaurant liegt in Zeltweg in der Steiermark inmitten einer ausgeprägten Wirtshauslandschaft. Vorbehalte gegenüber PetNat sind bei uns vermutlich größer als in der Stadt. Begriffe wie Méthode Ancestral oder Méthode
Rurale haben manche Gäste schon mal gehört, aber dass PetNat die Urform der Schaumweinherstellung ist, wird generell viel zu wenig hervorgehoben. Wobei es natürlich nicht unsere Aufgabe als Sommelière oder Sommelier ist, die Gäste zu belehren. Wir können sie dennoch charmant an das Thema heranführen. Berührungsängste nehme ich, indem ich PetNat glasweise in die Weinbegleitung einbaue. Für viele ist es der erste Einstieg in das Thema Naturwein und Low Intervention. Eine ganze Flasche naturtrüben Sprudel am Tisch einzustellen, wäre eher kontraproduktiv. Ich habe immer drei bis vier PetNats auf der Karte, die ich regelmäßig austausche. Mehr braucht es in der Regel nicht, außer man ist auf Schaumwein spezialisiert.
PetNat ist gekommen, um zu bleiben –inzwischen gibt es auch Winzer, die sich darauf spezialisiert haben, wie „WeinSchach“. Martina und Andreas Schachenhuber (daher auch der Name Weinschach) arbeiten ausschließlich nach der Méthode Ancestral und reizen aus, was geht. Zusätze sind Tabu und die Mengen oft limitiert. Mit ihren PetNats rocken sie die Szene und haben Fans in der ganzen Welt gefunden, besondern in New York tauchen ihre PetNats häufig auf. Und ich bin gespannt, was die Zukunft in diesem Bereich noch bringt. PetNat wird immer diesen wild ferment Touch haben, dieses freakige im positivsten Sinn. Vielleicht kommt irgendwann mal ein Produzent um die Ecke, der versucht, PetNat im Smoking zu präsentieren und anders darzustellen wie bisher, wer weiß. Möglichkeiten gibt es sicherlich genug – ich kann nur empfehlen: Füllt die Gläser mit diesem Sprudel und Cheers!
nur unverfälschten, ehrlichen Naturwein ohne Filtration, Schönungen und Schwefel. Für ihren PetNat Pretty Nuts 2024 setzt das Duo auf ein Koferment aus Blaufränkisch und Syrah vom Leithaberg in Neusiedl am See. Ein fruchtig, frischer PetNat für anspruchsvolle Bubble-Fans – zum Narrischwerden gut! weingut-koppitsch.at
Weingut Nittnaus:
Brandheißer PetNat am Gefrierpunkt
Lydia, Martin und Andreas Nittnaus verschieben mit ihren Weinen regelmäßig die Grenzen des Machbaren. Für ihren Pet Nat Arktika wird ein Großteil des Weins gleich fertig vergoren und eine kleine Charge Most tiefgefroren. Im Frühling wird sie ertigen Wein beigefügt und die Gärung neu gestartet. Zweifellos einer der heißesten PetNats!
Am Remushof Jagschitz ist bereits die 7. Generation am Start –und Junior Franz Paul Jagschitz legt mit seinem PetNat gleich ordentlich was vor! Der Savage Naturel 2023 aus Cabernet Sauvignon begeistert durch seine natürliche Gärung und entfacht mit seiner feinen Perlage die lebendigen Fruchtaromen von Waldbeeren. Leicht, süffig und mit jeder Menge Trinkspaß.
Weingut Leiner:
Das Beste aus zwei Welten Sekt oder Pet Nat?
Warum entscheiden, wenn man beides haben kann! Sven Leiner aus der Pfalz produziert klassischen Schaumwein komplett ohne zugesetzte Hefe und Zucker. Sowohl sein Brut Nature als auch sein Brut Nature Rosé sind damit ein Hybrid aus Sekt und PetNat – und dabei so straight, würzig, leicht und trinkfreudig, dass wir uns fragen, wie wir bislang ohne diese Paarung auskommen konnten? weingut-leiner.de
Martina und Andreas Schachenhuber setzen mit ihren PetNats ein klares Statement: Null Prozent Schnickschnack, dafür 100 Prozent Präzision und Leidenschaft. Ihr No. 04 PetNat Blanc de Noirs 2022 aus 100 Prozent Blauer Zweigelt überzeugt mit präziser Mineralität, spannender Aromenvielfalt und knackiger Textur. Streng limitiert auf 492 Flaschen. Ein echtes Kamptaler Meisterwerk! weinschach.com
2023 Pétillant Naturel Riesling –AMON Unfiltriert –natürlich prickelnd! Der pure und gelbfruchtige Ausdruck der Traube. Ein exzellenter Aperitif mit feiner Briochenote und Trinkvergnügen. amon.bio
2022 PetNat Zweigelt –HAGER Angenehm fruchtiger, trockener und trinkanimierender PetNat Rosé und ein Beweis, wie geil sich Zweigelt für Schaumwein eignet. Passt perfekt als Aperitif und zu feierlichen Anlässen. hagermatthias.com
In der Nase etwas Birne und Mango mit einem Hauch von Holunderblüten. Am Gaumen sehr saftig und animierend. Trinkspaß pur mit eleganter Säure und feiner Balance. hajszanneumann.com
2023 Natural PetNat –Hajszan-Neumann
In der Nase mineralisch und klar, am Gaumen mit animierender Säure und feiner Perlage. Ein saftiger PetNat, der förmlich nach einer salzigen Speise schreit, die er begleiten kann. wildrose.wine
2023 Wildrose PetNat Riesling –STEFAN ROSNER
2023 Pet up your life –MICHAELA RIEDMÜLLER Von der Queen of Ried Braunsberg! Ein PetNat Rosé aus Blaufränkisch, einzigartig und lebendig, mit einem authentischen Charakter und straffer Struktur. michaelariedmueller.at
Die Idee eines Blanc de Noirs, nur mit einer Gärung in der Amphore und ohne Zusätze. 20 Monate Lagerung in der Flasche auf der Hefe. Komplex, elegant, frisch, mineralisch. clauspreisinger.at
2023
St. Laurent Ancestral –PREISINGER
2023 Oh when the Saints –HEINRICH Weiß gekelterter Sankt Laurent PetNat aus der Lage Rosenberg. Zarte Perlage geht Hand in Hand mit einem knackigen Säurenerv. Puristisch, hefig-cremig, fruchtgeladen. heinrich.at
2024 OMG PetNat white –GSELLMANN 100 Prozent Scheurebe von der kühlen Lage Reitacker. W underbare Frucht und spannend am Gaumen! Frühstücks-PetNat par excellence. gsellmann.at PetNat OrangeHARKAMP Ein PetNat fernab des Mainstreams. Feine Perlage, lebendiger, feiner Gerbstoff und eine erfrischende Säure. Voller Energie, mit ordentlich Druck am Gaumen, leichtfüßig und frisch. harkamp.at/weingut
2023 Nr. 19 Grüner Veltliner PetNat –ESTERHAZY Aus den Leithakalk-Rieden von Großhöflein. Aromen von gelbem Apfel und Grapefruit, ergänzt durch feine Brioche-Noten. Ideal als Aperitif, zu Salaten oder Frischkäse. esterhazywein.at
Der pure und natürliche Ausdruck der Traube und des Handwerks! Auch genannt „der C harakterstarke“. Müller Thurgau mit Grüner Veltliner perfekt vereint. ma-arndorfer.at/fuchs-hase
2022 PetNat Vol. 4 –FUCHS UND HASE
115 2023 PetNat Rosé –FUCHS UND HASE Animierender Pet Nat aus Zweigelt und C abernet Sauvignon, hergestellt nach der M éthode Ancestral. S pontan vergoren, ohne Zusätze, unfiltriert. ma-arndorfer.at/fuchs-hase
Bio Murano Pet Naturel –TROPPER Mutig, punktiert und individuell. Eine natürlich perlende Komposition in ihrer schönsten Form. Perfekter Aperitif oder solo zu genießen. wein-tropper.at
2022 Bitches Brew PetNat –LEINER Aus den PIWIs Sauvignac und Calardis Blanc. Von der Fruchtigkeit der Rebsorten und der Gerbstoffe der Mazeration geprägt. Leicht zu trinken und ernsthaft zugleich. weingut-leiner.de
Nicolett Pet Nat –KARL PROIDL Eine Liaison aus Zweigelt und Pinot Noir. Leichtfüßig, trocken, mit feiner Perlage, zar te Säurestruktur, leicht herben Noten und t rotzdem klare Frucht. Erinnert an eingelegte Sauerkirsche. instagram.com/weingutkarlproidl
Forever Young 2023KÖGL Schwer sich für einen der hervorragenden PetNats von Tamara zu entscheiden. Dieser hier ist Brut Nature und wir finden das Mineralisch-Zitronige richtig gut. 90 % Muskateller, 10 % Welsch. 100 Prozent genial! weingut-koegl.com
Weingut ZuschmanN Schöfmann: Neue Cuvée von internationalem Format
Die Schaumweine von Else Zuschmann und Peter Schöfmann gehören zu den besten des Weinviertels und darüber hinaus. Mit ihrem neuen Blanc de Noirs setzen sie ihrem handwerklichen Können die Krone auf.
Von der Traube bis zur Flasche: So lautet das Qualitäts- und handwerkliche Versprechen von Else Zuschmann und Peter Schöfmann. Seit 2007 steht das Paar für ausdrucksstarke, präzise Spitzen-Schaumweine, die längst einen fixen Platz in der heimischen Top-Liga haben. Ihr Sortiment umfasst die gesamte Sekt Austria Pyramide – von lebhaften, frischen „Sekt Austria“-Schaumweinen mit kürzerer Hefelagerzeit bis hin zu den „Großen Reserven“, die in Holzfässern reifen und durch eine verlängerte Hefelagerung markante Straffheit, Eleganz und feine Briochearomen entwickeln. Es sind große, prämierte Sekte von internationalem Format. Nun legen Zuschmann-Schöfmann noch eins drauf: und präsentieren erstmals eine Cuvée, die dem Weinviertel erneut alle Ehre macht.
Charakterstark und voller Spannung
Der Blanc de Noirs 2021 vereint die Rebsorten Pinot Noir, Zweigelt und Syrah. Die Grundweine werden spontan vergoren und gezielt als Assemblage vorbereitet, um noch mehr Tiefe, Komplexität und Geschmacksvielfalt zu ermöglichen. Mit größter Sorgfalt aus dunklen Trauben gekeltert, präsentiert sich dieser Sekt in einer hellgoldenen Farbe mit feiner Perlage und besticht durch seine komplexe, reduktive Aromatik. Als Brut Nature ausgebaut, zeigt er eine puristische, authentische Stilistik, die die Herkunft und die Qualität der Trauben in den Vordergrund stellt. In der Nase entfaltet er frische Noten von roten Beeren, feine Zitrusnuancen und eine elegante Würze, während der Gaumen mit einer feinen Struktur, lebendiger Säure und mineralischer Frische begeistert. „Wir konzentrieren uns immer stärker auf
unsere Kompetenz als Sektweingut. Als neueste Errungenschaft bringen wir Sekt nicht mehr ausschließlich sortenrein nach klassischer „österreichischer“ Stilistik auf den Markt, sondern auch verfeinert durch die bewusste Assemblage verschiedener Grundweine. Die handwerkliche Methode des Versektens rückt dadurch noch mehr in den Vordergrund. Die Cuvées ermöglichen uns außerdem neue sensorische Dimensionen und unterstreichen die Handschrift unseres Weinguts auf besondere Weise“, erklärt Else Zuschmann.
Die kalkreichen Böden des Weinviertels, das kühle Klima nördlich der Donau und eine nachhaltige, organisch-biologische Bewirtschaftung schaffen am Weingut Zuschmann-Schöffmann ideale Bedingungen für ausdrucksstarke Sektgrundweine. Sämtliche Arbeitsschritte passieren in Handarbeit und unter einem Dach – vom Anbau der Trauben über die Handlese bis zum händischen Degorgieren und Verkorken.
Die kontinuierliche Weiterentwicklung vom klassischen Weinviertler Betrieb mit Veltliner-Schwerpunkt zum heimischen Top-Schaumweinproduzenten zeigt sich bei Else Zuschmann und Peter Schöfmann auch am Erscheinungsbild: Für die gesamte Sektlinie wurde ein neuer, edler Look kreiert. Die SektOberliga, zu der auch der neue Blanc de Noirs gehört, präsentiert sich fortan in edlem Schwarz. Zuschmann: „Das Weinviertel gilt als herausragendes Anbaugebiet für Sektgrundweine –die perfekte Basis, um Schaumweine zu kreieren, die den unverwechselbaren Charakter dieser fruchtbaren Landschaft einfangen.“
Zuschmann-Schöfmann im neuen Kleid – ganz nach dem Motto: Qualität, Charakter & Vielfalt erstrahlt jede Flasche in neuem Glanz.
Justin Leone: In seiner Weinbar "Sticks & Stones" in München fährt er ein fantastisches Programm ü mit Spitzenweinen aus aller Welt. Jüngst wurde er ngst von der "Star Wine List" mit dem "California Wine List of the Year Germany"-Award ausgezeichnet.
Kalifornische
JUSTIN LEONE: WEINE SIND GIGANTISCH
Kalifornien war schon immer etwas cooler. Nun legt die viertgrößte Weinregion der Welt auch bei der Nachhaltigkeit vor. Denn neben Bio- und biodynamischen Weinen spielt in Kalifornien auch der Umgang mit den Menschen eine Rolle. Wie das schmeckt? Wir haben nachgefragt bei einem der besten Sommeliers Deutschlands!
Interview: Sonja Planeta
12 27 Certified Sign
Kalifornien ist ein internationales Vorbild für Nachhaltigkeit: Es geht u.a. um die Erhaltung lokaler Ökosysteme und Lebensräume für Wildtiere, ü um den Schutz von Luft- und Wasserqualität sowie um die Förderung von Mitarbeiter:innen. In den Weingärten leben zudem Schafe und Nutzvögel zur Unkraut- und Schädlingsbekämpfung.
Justin, du bist ein leidenschaftlicher Botschafter für kalifornischen Wein. Was zeichnet die Weine für dich aus?
JUSTIN LEONE: Langlebigkeit, Lebendigkeit, Komplexität. Ich bin immer wieder überrascht, wie frisch und lebendig kalifornischer Wein aus den 50er, 60er und 70er Jahren sein kann – oft deutlich mehr als vergleichbare Bordeaux-Jahrgänge.
Viele sprechen heute vom „neuen Kalifornien“ – was können wir uns darunter vorstellen?
Lange dachte man bei Kalifornien an etwas krass Holziges, Fettes und Alkoholisches. Das liegt daran, dass früher nur das große, kommerzielle Zeug nach Europa importiert wurde. Dieses Bild entspricht aber nicht der Realität. Für mich lässt sich Kalifornien nicht pauschalisieren. Mikroklima und Böden sind wahnsinnig komplex. Du kannst einen Cabernet aus den Mountains nicht mit einem Valley-Cabernet vergleichen, Napa nicht mit Central Coast und schon gar nicht mit Oregon, wo du diese dunkle, Cherry Cola-Stilistik hast, die auch sehr burgundisch sein kann.
Die Berge im Napa wie Howell Mountain sind auch kein Wein-Disneyland mehr. Die Winzer dort machen kühle, elegante, fein strukturierte Weine, die für eine lange Lagerung gemacht sind.
Lässt sich ein Stilwandel beobachten?
Klar, es gibt auch in Kalifornien Winzerinnen und Winzer, die eine Revolution angezettelt haben: Raj Parr von Sandhi und Domaine de la Côte. Arnot-Roberts. Oder Marie-Rivers. Das ist die neue Schule. Das ist ganz großes Kino.
Über die Hälfte der Anbaufläche in Kalifornien ist mittlerweile nachhaltig zertifiziert, viele Winzer:innen arbeiten bio- oder biodynamisch. Wie schmeckt das „neue“ Kalifornien?
Viele Winzerinnen und Winzer fokussieren sich auf eine sehr trinkbare, frische Stilistik. Nicht auf diese breiten, kräftigen Weine von früher. Die Chardonnays von Arnot-Roberts sind schlanker als viele Burgunder, die Pinots von Raj Parr eleganter als viele Deutsche.
Kalifornien hat im Vergleich zu Europa relativ hohe Weinpreise. Wein ist generell teurer geworden. Kalifornien misst sich einfach an der Konkurrenz und das ist absolut nachvollziehbar. Wenn
Château Haut-Brion, für mich eines der besten Weingüter in Bordeaux, 1200 Euro pro Flasche ter verlangt, warum soll einer der besten Weine aus Kalifornien nicht genauso viel kosten?
Warum werden die Burgunder für ihre hohen Preise gefeiert und die Kalifornier angefeindet? Das ergibt keinen Sinn. In Europa müssen wir verstehen, dass die Produktionskosten in den USA höher sind; allein deshalb, weil die Erntehelfer gut bezahlt werden. Was die Trauben kosten, ist absolut krank. Wobei der Preis jetzt wieder fällt. Der rückläufige Konsum der Generation Z hat viel verändert. Keiner ist mehr bereit, absurd hohe Preise zu bezahlen, egal wie gut die Weine sind. Das wird Kalifornien auch noch treffen.
Preis-Leistung ist also gerechtfertigt?
Abgesehen von einigen wenigen Bullshit-Angeber-Weinen, ja. Die durchschnittliche Qualität ist in Kalifornien deutlich höher als in vielen europäischen Gebieten. Deshalb kostet der Wein auch mehr. Aber die Kalifornier sind bereit, das zu bezahlen. In den USA werden
für eine Flasche Wein durchschnittlich rund 28 Dollar ausgegeben, in Deutschland 3 Euro. Das ist einfach nur peinlich. Die Weinabteilungen in den kalifornischen Supermärkten sind besser, als fast alle Weinläden, die ich in Deutschland kenne. Dort bekommst du auch Sachen wie Jordan, eine Ikone aus Sonoma, um 45 Dollar. Der Wein kann mit den ganz großen Namen in Bordeaux mithalten, die aber oft das Dreifache kosten. Du kannst im Supermarkt La Crema, Sonoma-Cutrer, Chalone oder Ferrari-Carano für unter 30 Dollar kaufen und die sind großartig. Die können auch noch 20 Jahre reifen.
Wie bringt man die Menschen zum kalifornischen Wein?
Eine ganze Flasche zu bestellen ist ein Commitment, das viele Gäste nicht eingehen wollen. Ich habe kalifornische Weine schon im Tantris immer in die Weinbegleitung eingebaut, anders waren sie nur schwer zu verkaufen. Im Sticks & Stones kann ich gar nicht genug davon haben: weil ich alles glasweise anbiete. Ich habe mittlerweile viele Stammgäste, die hauptsächlich Kalifornier trinken.
Du hast den Übersee-Keller des Tantris damals sogar für Sticks & Stones aufgekauft.
Das stimmt. Weil das neue Team keinen Bezug zu Kalifornien hatte. Das wäre totes Kapital gewesen. Eine Weinkarte muss die Leidenschaft, Philosophie und Erfahrung des Sommeliers widerspiegeln. Wenn europäische Sommeliers die Chance haben, Kalifornien zu bereisen, dann verstehen sie auch, wie geil die Weine sind. Sie müssen eine Beziehung zum Land aufbauen. Zum Glück gibt es Sommeliers wie Julian Schweighart im Guido Al Duomo oder Florian Richter im Kronenschlösschen, die leidenschaftlich gerne kalifornische Weine kaufen und verkaufen. Meine größte Sorge ist allerdings, dass die Gäste aufgrund der aktuellen Weltpolitik sagen: Scheiß auf die USA. Das ist bei meinen Landsleuten in Kanada bereits der Fall. Die Leute lassen die Produkte einfach im Regal stehen. Das ist aber der falsche Weg. Die Winzer können nichts dafür. Wir sollten sie unterstützen, nicht alleine lassen.
Wer sind deine All-Time-Favorites?
Ich mag die Stilistik der alten Schule. Diamond Creek, Dunn, Heitz. Von der neuen Schule: Fisher Vineyards. Das ist mit Abstand eines meiner Lieblingsweingüter. Paul Lato, einer der allerbesten Pinot- und Chardonnay-Produzenten aus dem Central Coast. Rhys aus den Santa Cruz Mountains. Gigantische Pinots und Chardonnays. Man kann kalifornische Weine mögen, aber du kannst ihre Qualität, Power und ihr Potential erst verstehen, wenn du einen gereiften Wein aus einem großen Jahrgang auf der Zunge hattest. Diese Weine sind nicht nur jung, fruchtig und nett – die sind gewaltig.
Weitere Weintipps aus Kalifornien DuMol, Spottswoode Winery, Kutch Wines, Continuum Estate, Cathiard Vineyard (www.finewineshop.com)
"DIE
DORT MACHEN
DER BEEINDRUCKENDE VORMaRSCH DER DOMÄNE WACHAU VISIONÄRE IM KOLLEKTIV
Sie bewirtschaften mit 160 Hektar die größte Bio-Weinbaufläche Österreichs. Mit ihrem einzigartigen, revolutionären Genossenschafts-Konzept hat sich die Domäne Wachau in die internationale Topliga katapultiert.
Von Sonja Planeta
Die Domäne Wachau befindet sich in der umfassendsten Neuausrichtung ihrer Geschichte: So puristisch, präzise und terroirbetont wie heute waren die Weine noch nie – und das nicht nur an der Spitze des Sortiments, sondern quer durch die Bank. Um dorthin zu kommen brauchte es Zeit, Geduld und zahlreiche nachhaltige Veränderungen: In den vergangenen 20 Jahren haben Weingutsleiter Roman Horvath und Kellermeister sowie Weingarten-Verantwortlicher Heinz Frischengruber tief in die Struktur der Winzergenossenschaft eingegriffen und diese auf neue, zukunftsweisende Beine gestellt.
Ihr revolutionäres Konzept sucht heute weltweit seinesgleichen. Das Erfolgsrezept? Mikrovinifizierung! Rund 200 Weinhauer:innen der Domäne Wachau bewirtschaften mehr als 2000 Kleinstparzellen. Gearbeitet wird maximal handwerklich nach einem rigiden Qualitätskonzept und einem fein abgestimmten Leseplan und Mikrovinifikationskonzept für jede einzelne Parzelle. Aufgrund der Komplexität des Wachauer Terroirs ist ein derart detaillierter Blick auf jedes einzelne Mikroterroir unerlässlich. Gelesen wird zu 100 Prozent per Hand und ausschließlich im Familienverband.
Gelesen wird zu 100 Prozent per Hand und ausschließlich im Familienverband.
”Unsere Weinhauer:innen sind unsere hochspezialisierten, super erfahrenen Weingarten-Fachkräfte. Ihr Tun ist nicht losgelöst von Heinz‘ Arbeit im Keller oder meiner Arbeit oder von etwaigen Qualitätsvorstellungen, Konzepten und Strategien. Die Weinhauer:innen sind wir – sie sind das Herz und die Seele der Domäne Wachau“, erklärt Roman Horvath. Die teils jahrzehntelange Erfahrung der Weinhauer:innen und ihr handwerkliches Geschick seien auch das, was die Qualität der Weine ausmache. Unseren Weinhauer:innen ist oft gar nicht bewusst, wie bedeutend das Wissen ist, über das sie verfügen. Wir haben ihre Erfahrungen in die richtige Form gebracht und den modernen Anforderungen des Weinbaus angepasst, ihnen ein Qualitätsbewusstsein gegeben und die Prozesse und Organisation dargestellt – und dabei stets dem Handwerk der Weinhauer:innen vertraut.“
QualitätsBoost Boost
Mit der Neuausrichtung kam auch das Selbstvertrauen und die Identifikation mit dem Begriff der Winzergenossenschaft, der in der Weinbranche nicht selten mit schlechter Qualität, Supermarktware und dem unteren Preissegment gleichgesetzt wird. Was die wenigsten wissen: In Spanien, Frankreich und Italien kommen 50% der gesamten Weinproduktion aus genossenschaftlich organisierten Betrieben, in Deutschland ist es rund ein Drittel. In Österreich ist der Genossenschaftsanteil hingegen relativ gering. Den Anschluss an die Top-Qualität haben nur die wenigsten geschafft; auch deshalb,
weil es keine intensive Zusammenarbeit und zu wenig Vertrauen gibt. Jeder Weinhauer macht draußen sein Ding, aber keiner kümmert sich um eine nachhaltige Gesamtstruktur. Auch wir mussten in den vergangenen 20 Jahren zahlreiche Investitionen tätigen, weil wir den aktuellen Standards anfangs hinterher waren“, erinnert sich Roman Horvath. ”Heute sind wir stolz darauf, eine Winzergenossenschaft zu sein.“
160 Hektar Weingärten werden derzeit biologisch bewirtschaftet. Die Domäne Wachau ist damit in Österreich das Weingut mit der größten Biofläche –Tendenz steigend. Jeder Weingarten hat seine Bestimmung, seine vorgegebene Stilistik und steht für ein bestimmtes Ziel. Keine Traube wird willkürlich oder zufällig einem Wein zugeordnet. Die Weinhauer:innen wissen genau, wofür ihre Weingärten und Parzellen bestimmt sind und welche Arbeiten dafür im Jahresverlauf notwendig sind. Gelesen wird Herkunfts-individuell nach Rieden.
Weitreichender Wandel
Für ihr extrem akribisches und handwerklich aufwändiges Arbeiten in jeder Parzelle werden die Weinhauer:innen angemessen und fair entlohnt – das gewährleistet eine nachhaltige und langfristige Bewirtschaftung. Aufgrund des komplexen Terroirs der Wachau liegt hinter jedem Weingarten ein anderer Arbeitsaufwand und so auch ein diffiziles Entlohnungskonzept. Am Ende des Tages gibt es also kein einheitliches
Traubengeld pro Kilo, sondern hinter der Entlohnung liegt eine komplexe Matrix, die die Qualitätsarbeit im Weingarten und das Terroir berücksichtigt und wertschätzt. Roman Horvath: ”Ich denke, dass wir als Strukturweingut ebenso für einen weitreichenden gesellschaftlichen Wandel stehen. Wenn kleine, individuelle Betriebe einen neuen Ansatz aufzeigen, dann ist das sehr wichtig, insbesondere wenn es anfangs qualitative Speerspitzen sind. Einen tieferen Impact kann es dann im nächsten Schritt haben, wenn Betriebe mit weitreichenderen Strukturen in die Zukunft blicken und mutige Schritte setzen. Gute Weine hat es bei uns immer gegeben – jedoch war das stets nur eine kleine Spitze in der Pyramide. Heute haben wir eine eigene Handschrift.“
SLÀINTE MHATH!
Slàinte Mhath, sagen die Schotten, wenn sie auf die Gesundheit anstoßen. Nachhaltigkeit wird immer wichtiger beim Whisky.. Nicht nur in Schottland. Biologisch oder biodynamisch angebautes Getreide, die Frage nach dem Wasserverbrauch, Artenvielfalt oder Energieeffizienz. Themen, die Brennerinnen und Brenner vor zehn Jahren bestenfalls vom Hörensagen kannten, tauchen in der Szene auf. Wir haben uns bei ein paar Pionierinnen und Pionieren umgesehen und ein Bild gemacht.
Von Jürgen Schmücking
W er Bio- W hisky macht, braucht Bio-Malz. U nd da wird der Markt schon sehr überschaubar.
Beim Wein ist Bio in den letzten Jahren quasi explodiert. In Österreich liegt der Anteil mittlerweile bei über 20 Prozent. Damit sind wir – noch vor Frankreich – weltweit die Nummer 1 bei den bio-zertifizierten Rebflächen. Die meisten relevanten Bio-Winzerinnen und Winzer sind ohnehin bei KALK&KEGEL vertreten. Wir haben uns daran gewöhnt, dass in Sachen Wein die Biolandwirtschaft im Spitzensegment angekommen ist. Aber wie sieht die Situation aus, wenn wir volumsprozentmäßig ein paar Gänge raufschalten? Bio-Schnaps? Echt jetzt? Sagen wir so: Es ist kompliziert. Es gibt eine Menge Studien zur Frage, warum wir zu Bio-Produkten greifen. Drei nicht unwesentliche Gründe dafür sind Gesundheit, Umweltschutz und Geschmack. Gesellschaftlich gesehen ungefähr in dieser Reihenfolge. Jetzt haben die Schnapsbrennerinnen und Schnapsbrenner natürlich ein Problem. Gesundheit? Um den Skeptikern und Zynikern gleich von vornherein den Wind aus den Segeln zu nehmen: Bio-Destillate sind nicht gesünder als andere, man kann sich mit Bio-Vodka genauso besinnungslos saufen wie mit einem konventionellen „Vodka Feige“ auf der Skihütte. Abgesehen davon hängt das Damoklesschwert der EU „Claims“ Verordnung über den Brennblasen, die verbietet, dass alkoholische Getränke mit gesundheitsbezogenen Werbesprüchen vermarktet werden. Zu behaupten, dass biozertifizierter Whisky gesünder sei als konventionell hergestellter, ist erstens zweifelhaft, zweitens illegal. Geschmacklich? Ganz dünnes Eis. Je höher der Verarbeitungsgrad eines Lebensmittels ist, desto geringer die Chance, es in einer Blindverkostung als „bio“ zu identifizieren. Und die Destillation ist zwar ein sehr klarer und natürlicher Prozess, gleichzeitig ist es aber so ziemlich der höchste Grad an Verarbeitung, den man erreichen kann. Und die beim Whisky erforderliche längere Lagerung im Fass setzt da noch einmal eins drauf. Bleibt als Argument die Umwelt. Beziehungsweise die Nachhaltigkeit. Das scheint zu ziehen. Also haben wir uns ein paar Brennereien angesehen, die sich das Thema an die Fahnen heften. Fündig wurden wir in Österreich, aber auch in Schottland, der Heimat der Single Malts.
Der Mostviertler Schnapsbrenner Josef Farthofer hat sich überlegt, wie seine Destillerie arbeiten muss, damit er der Field-to-Bottle-Idee möglichst nahekommt. Herausgekommen ist ein energieautarker Produktionsprozess, Kreislaufwirtschaft, eine eigene Mälzerei und der Schriftzug „Vom Feld in die Flasche“ auf Farthofers Whisky-Etiketten und den T-Shirts der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Josef Farthofer ist Bio-Brenner mit einem umfangreichen Sortiment an Bio-Destillaten. Vor ein paar Jahren hat er Whisky-Lunte gerochen.
Warum der ganze Aufwand mit einer eigenen Mälzerei? Das macht sonst niemand in Österreich. Und kaum jemand weltweit. Die Zusammenhänge sind eigentlich klar und einfach. Wer Whisky brennt, braucht Getreide. Nicht nur Getreide, sondern gemälztes Getreide. Wer Bio-Whisky macht, braucht Bio-Malz. Und da wird der Markt schon sehr überschaubar. Wer noch dazu seltene Getreidesorten wie Emmer oder Nackthafer am Acker stehen hat, will daraus natürlich auch Whisky machen, und da setzt der Markt komplett aus. Also selbst mälzen. Für jemanden, der erfinderisch ist und in Kreisläufen denkt, ist die Idee gar nicht so abwegig, sich eine eigene Mälzerei neben die Brennkolonnen zu stellen. Dass er der einzige Brenner im Land mit eigener Malztrommel ist, wundert Josef Farthofer aber schon ein wenig.
Josef Farthofer: Held vom Feld
Zurück zum Prozess und der Bedeutung des Mälzens beim Herstellen von Whisky. Bei der Destillation nutzt man die Tatsache, dass Alkohol einen Siedepunkt hat, der unter jenem von Wasser liegt. Der Alkohol verdampft, bevor das Wasser richtig heiß werden kann. Der Dampf wird abgekühlt – voilà: Schnaps. Das Ganze funktioniert aber nur, wenn der Stoff, der gebrannt wird, bereits Alkohol enthält. Sonst hätten das Erhitzen und Abkühlen gar keinen Sinn. Bei Obst erhält man den Alkohol durch die Vergärung des Zuckers in den Früchten zu Alkohol. Den alkoholischen Brei nennt man Maische. Weizen, Mais und Roggen haben keinen Zucker. Kein Getreide hat das. Jetzt kommt das Mälzen ins Spiel. Bei diesem Vorgang werden die Getreidekörner aufgequollen und so zum Keimen gebracht. Dadurch entstehen das Grünmalz und die Stärke im Getreidekorn (die Amylose) wird in Malzzucker (Maltose) umgewandelt. Jetzt haben wir Zucker, der später vergoren und anschließend destilliert werden kann. Zuvor muss das feuchte Grünmalz aber noch getrocknet und lagerfähig gemacht werden. Diesen Vorgang nennt man Darren.
Wie gesagt: In Österreich und wahrscheinlich auch in der Schweiz und Deutschland ist Josef Farthofer damit im Moment noch allein auf weiter Flur. Also mit der eigenen Mälzerei in der Brennerei. Wobei – stopp – stimmt nicht. Einen biozertifizierten Whisky gibt es neuerdings auch vom Stiegl-Gut Wildshut. Einen sehr guten wohlbemerkt. Und Wildshut hat seit 2012 seine eigene Mälzerei. In Schottland sieht die Sache ein wenig anders aus. Da sind Farthofer und die Wildshuter in bester Gesellschaft.
Die Destillerien Balvenie, Bowmore, Highland Park oder Springbank stellen noch ihr eigenes Malz her. Springbank noch größtenteils, die anderen zumindest einen Teil des Bedarfs.
Bruichladdich Distillery
Gesundheit? U m den Skeptikern und Zynikern gleich von vornherein den W ind aus den Segeln zu nehmen: Bio-Destillate sind nicht gesünder als andere, man kann sich mit Bio- Vodka genauso besinnungslos saufen wie mit einem konventionellen „ Vodka Feige “ auf der Skihütte.
Auf die Öhlinger Whiskys darf man jedenfalls gespannt sein. Die ersten gefüllten Flaschen waren bereits vielversprechend. Aus dem Jahr 2011 gibt es zum Beispiel einen im Mostello-Fass gereiften Weizenwhisky vom Lisslfeld, der an dunkle Schokolade, Karamell und eingelegte Pflaumen erinnert. Jüngere Whiskys aus Schlägler Roggen oder Nackthafer zeigen das unglaubliche Potential dieser Mostviertler Brände. In einiger Zeit könnte aber noch einmal richtig die Post abgehen. Wenn Brenn- und Mälzmeister Farthofer auch zum Masterblender wird, um aus den Fässern, die jetzt schon im Seitenstettner Stiftskeller lagern, den perfekten Whisky zu komponieren. Bis dahin heißt es jedoch noch warten und Tee, nein, einfach die Drams trinken, die schon verfügbar sind.
Bewegung in Schottland
Auch dort, wo der Whisky seinen Ursprung, seine Wurzeln hat, ist die Szene in Bewegung. Die leidige Diskussion zwischen Schotten und Iren blenden wir (Achtung Wortwitz) hier einfach einmal aus. Immer mehr Destillerien erkennen die Notwendigkeit, so zu arbeiten, dass auch eine langfristige Wirtschaftlichkeit ihrer Betriebe möglich ist. Manche entschieden sich dabei für den Weg in die Bio-Produktion, andere haben anderes im Sinn. Energieeffizienz zum Beispiel. Oder das Thema Wasser.
Immer mehr Destillerien erkennen die N otwendigkeit, so zu arbeiten, dass auch eine langfristige W irtschaftlichkeit ihrer Betriebe möglichist.
Annabel Thomas
Nc’nean Distilleryr
Josef Farthofer
In Sachen Bio müssen wir etwas über 30 Jahre zurückblicken. 1992 brodelte der erste biozertifizierte Single Malt in den kupfernen Brennkesseln von Springbank in Campbelltown. Es war ein Experiment, das dafür gedacht war, ins neue Millennium zu starten. 1999 wurden davon etwa 1000 Flaschen abgefüllt, und zwar von Dà Mhìle (sprich da-wie-le), einer Brennerei, die heute noch dafür bekannt ist, solide Destillate in Bio-Qualität herzustellen. Vom 92er sind am Markt noch ein paar Flaschen verfügbar. Allerdings zu einem stolzen Sammlerpreis von ein paar hundert Euro. Für Freaks kein Preis, an der Bar muss die Story aber schon verdammt gut sein, um das zu verkaufen. Richtig explodiert ist die Idee mit der Bio-Produktion in Schottland dann aber nicht. Einige Betriebe haben einzelne Produkte auf den Markt gebracht. Da waren durchaus spannende Whiskys dabei. Deanston und Loch Lomond zum Beispiel. Zwei Brennereien in den Highlands, die auch geografisch nicht weit voneinander entfernt sind, haben Außergewöhnliches in die Flasche gebracht. Deanston etwa einen 2002
destillierten und 2020 abgefüllten Single Malt, von dem ein Teil in amerikanischer Eiche und ein anderer in PX-Fässern reifen durfte. Aus Loch Lomond kommt ein 18-jähriger Single Grain Scotch. Letzterer ist am heimischen Markt über den Schweizer Brenner und Händler Lorenz Humbel erhältlich, der für seine importierten Bio-Whiskys das Projekt „The Organic World Selection“ aus dem Boden gestampft hat.
Und dann gibt es noch zwei Leuchtturmprojekte. Das eine ist Bruichladdich auf der Insel Islay. 2003 kam dort der erste Whisky aus der Brennerei. „Anns an t-seann Doigh“ nannten ihn die Laddies. Was Gälisch ist und auf Deutsch so viel heißt wie „Auf die alte Art“. Immerhin wurden etwa 15.000 Flaschen dieser Abfüllung auf den Markt gebracht. Ein grundsolider Single Malt, sehr wohl herkunftstypisch, aber nichts Großes. Allerdings waren für Bruichladdich damit die Weichen gestellt. Mit dem Organic 2009 kam das nächste Produkt auf den Markt und dann, ein paar Jahre später, ließ die Destillerie „The Biodynamic Project“ vom Stapel. Damit waren auf den Labels der Whiskys nicht nur das EU-Bio-Logo, sondern auch jenes von Demeter zu sehen. Biodyn ist beim Schnaps angekommen. Und damit auch Begriffe wie Bodengesundheit, regenerative Landwirtschaft oder CO2-Neutralität. Auch sensorisch sind diese Whiskys deutlich mehr als Durchschnitt. Sie zeigen Komplexität, Substanz, Tiefgang und klare Herkunft. Die biodynamisch angebaute Gerste kommt von der Yatesbury House Farm.
spass am gaumen
Annabel Thomas ist ein Wirbelwind. Eigentlich ist sie nach Schottland gekommen, um Abstand
Springbank
Die Produktion von W hisky ist de facto ein schmutziges Geschäft. Es wird zum Beispiel so viel davon produziert, dass das Gerstenvorkommen in Schottland niemals ausreichen kann.
zu gewinnen. Thomas‘ Leben war bestimmt von Mails und Meetings, von Zahlen und Verhandlungen. Sie war Finanzmanagerin in London. Eine Powerfrau mit Turbokarriere. Krass der Unterschied zur abgelegenen Westküste. Kräftige Winde, kristallklare Luft und raue See. Keine Entschleunigung. Eher Vollbremsung. Aber mit Stillstand hat es Annabel Thomas nicht so. Sie fand, dass hier auf der Halbinsel Morvern etwas fehlt. Der Ort wäre noch viel schottischer, stünde hier eine Destillerie. Thomas wollte ins Whisky-Business einsteigen. Aber anders. Ganz anders. Dazu ein paar Hintergrundinformationen. Seit 2023 gibt es von der SWA, der Scotch Whisky Association, ein Klimaziel. Die Branche soll bis 2040 CO2-neutral arbeiten. Die Produktion von Whisky ist de facto ein schmutziges Geschäft. Es wird zum Beispiel so viel davon produziert, dass das Gerstenvorkommen in Schottland niemals ausreichen kann. Ein Teil der Gerste – und zwar kein geringer – wird aus Kanada oder der Ukraine importiert. Die Fässer (größtenteils in den USA hergestellt) haben lange Transportwege und für die Brennkessel der Destillerien werden Millionen Liter an Heizöl verbrannt. Und das Thema Torf ist eine ganz eigene Geschichte. So gut stark getorfte Whiskys auch schmecken mögen, mit dem Abbau wird ein massiver CO2-Speicher vernichtet.
Annabel Thomas will einiges anders machen. Und vor allem mit der Neutralitätsfrage nicht bis 2040 warten. Was genau bei Nc‘nean (so heißt die Destillerie übrigens) anders ist: ein Biomassekessel, der mit Holzschnitzel aus dem örtlichen Wald befeuert wird. Für jeden gefällten Baum wird ein junger gepflanzt. Der Hackschnitzelbrenner kommt übrigens aus Wolfsberg in Kärnten. Außerdem werden Flaschen verwendet, die zu 100 Prozent aus recyceltem Glas hergestellt werden. Gebrannt wird ausschließlich schottische Bio-Gerste. Annabel Thomas meint es ernst. Dass ihre Whiskys auch am Gaumen Spaß machen, stellte Kollege Roland Graf bei einem Besuch in Morvern fest: Würziger Baguette-Krusten-Duft wird SteinobstDuft nach „Pfirsich Melba“ gefolgt; neben Vanille ist auch geflämmte Orangen-Zeste erkennbar. Dazu kommt eine cremige Note nach Erdnuss-Schokolade. Sie nimmt das Mundgefühl vorweg: Anfangs denkt man an süße Kaffee-Glasur, auch im Geschmack schwingt Vanille mit, mehr noch TonkabohnenAbrieb. Der cremige und zartsüße Nachhall wird von feinem Pfeffer und einem Karamell-Keks abgerundet. Sehr solide für einen „jungen“ Malt, das gute Gewissen gibt‘s obendrauf.
Deanston Distillery, Nc’nean
”Qualität schafft Freundschaft.“
- Hans Reisetbauer, Schnapsbrenner
Der Hype um die Retter Wildfrucht ESsenzen
An den Wildfrucht Essenzen der Edition Sommelier von Werner Retter kommt in Österreich derzeit niemand vorbei. Der Grund: Die Herstellung und die Qualität der Essenzen sind so herausragend wie einzigartig. Verwendet werden ausschließlich Früchte und Beeren aus den weltweit besten Wild- und Urwaldlagen, die von Werner Retter in seiner Manufaktur im steirischen Pöllau schonend verarbeitet und auf die Flaschen gezogen werden. Das Ergebnis sind reichhaltige, alkoholfreie Speisenbegleiter mit einer beispiellosen Aromenvielfalt und Geschmacksintensität. Mittlerweile sind die Essenzen in über 400 Hauben- und Sternerestaurants weltweit gelistet, darunter in Frankreich in den Häusern von Anne-Sophie Pic (Maison Pic, La Dame de Pic), in Deutschland im Aqua im The Ritz-Carlton und im The Table Kevin Fehling, in der Schweiz im The Dolder Grand und im Grand Resort Bad Ragaz sowie in Österreich bei Döllerer, im Mraz & Sohn,
im Silvio Nickol Gourmet Restaurant im Palais Coburg, im Senns und im Rote Wand Gourmet Hotel (Chef’s Table im Schualhus).
Werner Retter selbst ist ein bekennender Naturfreak. Über die Jahre entwickelte er eine kleine Landwirtschaft in der Oststeiermark zu einer international anerkannten Bio-Obstmanufaktur. Mit seinen kreativen und innovativen Produkten gehört Retter seit jeher zu den Vorreitern in der Getränkebranche. Die Wildfrucht Essenzen der Edition Sommelier sind die qualitative Speerspitze. „Wir sind Produzenten. Uns geht es um das hochwertigste Rohprodukt: Um die richtige Pflanze am richtigen Standort, die zur richtigen Zeit geerntet wird. Mit diesem Anspruch landest du automatisch bei Wildfrüchten“, so Retter. Und die stammen von den besten Lagen der Welt.
Die Wildpreiselbeeren etwa wachsen im hohen Norden nahe dem Polarkreis in den Wäldern Lapplands. Sie werden von Hand gepflückt und in kleinen Holzkisten feinsortiert. Sechs bis acht Tonnen finden so jährlich ihren Weg nach Pöllau. Die Wildheidelbeeren kommen wiederum aus nahezu unberührter Lage aus den weitläufigen Gebirgsregionen der Karpaten, den letzten Urwaldgebieten Europas. „Regionalität ist wichtig, sollte aber keine Zwangsverpflichtung sein. Wenn ich ein gesundes Produkt von einer gesunden Pflanze will, dann muss ich sie dort anbauen, wo sie heimisch ist. Bei uns in der Steiermark sind das zum Beispiel die Hirschbirne und der Gravensteiner Apfel. Beide werden perfekt, mit dem besten Säure-Zucker-Verhältnis, die brauche ich nicht von woanders beziehen; ich habe hier bereits den optimalen Rohstoff für die Veredelung.“
Für die Herstellung der Wildfrucht Essenzen erfolgt ausschließlich eine Erstsaftung. Danach reifen die Essenzen für einen natürlichen Fruchtsäureabbau bei konstanten Temperaturen mehrere Monate, manche Sorten sogar einige Jahre im Pöllauer Schlosskeller bis zu ihrer individuellen, optimalen Trinkreife. „Wir setzen nicht auf volle Ausbeute, sondern auf volle Qualität – und die erreichen wir nur mit dem hochwertigsten Rohprodukt und der geringfügigsten Verarbeitungsstufe. Dadurch bekom men wir dichte, komplexe Produkte mit einer Säure, die für die Geschmacksaromen verantwortlich ist und die Essenzen zu optimalen Speisebegleitern macht.“
Innerhalb der Edition Sommelier sind die Essenzen in drei Sortimente aufgeteilt: WILD umfasst Beeren und Früchte aus Wildsammlungen. Für WELL verwendet Retter Äpfel und Birnen aus dem Streuobstanbau, wobei es nur ein geringer
Teil der jährlichen Erntemenge jeder Sorte in die limitierten Lagen-Jahrgangsfüllungen schafft. Bei der Hirschbirne sind es etwa rund 10 Prozent. FLY umfasst die sortenreinen Traubenessenzen mit typischen Weintrauben wie Cabernet Sauvignon und Sauvignon Blanc.
Begeistert sind auch Spitzensommeliers wie Alex Koblinger aus dem 2-Sternerestaurant Döllerer in Golling: „Werner Retter ist an die Entwicklung der Essenzen sehr visionär herangegangen. Aber bitte nicht mit Säften vergleichen! Die Essenzen sind einen Schritt weiter: sie sind intensiver, ausdrucksstärker und für uns als Speisenbegleiter sowohl im Wirtshaus als auch im Restaurant einsetzbar. Sie sind eine Bereicherung am Tisch, und wir haben eine große Freude damit. Wichtig ist, den Gast bei der Hand zu nehmen und ihn die Essenzen verkosten zu lassen – dann geht er definitiv mit. Derzeit begleiten wir im Restaurant das Gericht Alpine Barigoule mit geschmorten und knusprigen Artischocken, dehydriertem Sellerie, Apfel und Apfelbalsam, Selleriecreme, Eierschwammerl, Tomaten und Unsterblichkeitskraut mit WILD Quitte.“
Andrew Jefford gilt vielen als „The Wine Writers‘ Wine Writer“. Nun hat er in einer Essay-Sammlung alles vorgelegt, was er über Wein zu sagen hat. Warum es ohne Helden:innen-Verehrung und Punkte-Vergabe abgehen sollte, erzählt er im Interview.
Interview: Roland Graf
Für Weinkritiker-Legende Hugh Johnson stellen die Schriften seines Landsmanns Andrew Jeffords „a powerful blend of science and dar. In der Tat führen seine Geschichten zu entlegenen Themen wie den Ausgrabungen von Hajji Firuz Tepe (Iran), dem Erdrutsch des Mont Granier im Jahr 1248 (Savoyen) oder Joan Mirós katalonischem Bauernhof-Bild „La masía“. Und doch kreisen die Gedanken Jeffords dabei stets um Wein. Er ist für ihn ein Kulturgut, das in den besten Fällen vom Leben an sich, seinem Werden und Vergehen erzählt. Entsprechend wenig hält er von Superlativen, wenn es um Wein geht: „Geeks reden über Böden, Hefekontakt und darüber, wie der 2016er im Vergleich zum 2010er abschneidet. Für sie ist das ein wahres Vergnügen. Aber es ist auch eine Art Meisterschaft und wenn man etwas beherrscht, schließt man auch etwas aus, man setzt Grenzen. Das würde ich eher nicht tun!“
Für Jefford gehört seit den Anfängen des Kelterns auch die Ambivalenz zum Wein. Gerne zitiert er auch Euripides‘ Charakte risierung des Dionysos, „des schrecklichs ten, aber auch des sanftesten Gottes für den Menschen“. Den meisten Weinfreunden sei es schließlich bewusst, dass Wein gesundheitsfördernd sein kann, bei Missbrauch aber auch töten kann. „Die Philosophie ist daher ein geeigneteres Werkzeug, um die Schönheit, das Rätsel und die Gefahr des Weins zu verstehen, als die üblichen Redeweisen vom Terroir“, ist der Autor überzeugt.
Jefford schreibt klar und präzisiert die Dinge. Im Gespräch hütet er sich vor Schwarz-Weiß-Malerei und dem Vertei len von Zensuren (auch Weinbewertungen schätzt er wenig). Ganz gemäß seiner Warnung: „Dogma is Danger“. Das Gespräch, das ich mit Andrew Jefford führte, ist daher keine leichte Lektüre, kein digitales Meinungshäppchen. Es geht darin auch um das letzte Buch des Briten. „Drinking With The Valkyries“ ist eine Art Bilanz über Jahrzehnte in der Branche. Es ent hält „die meisten Dinge, die ich über Wein sagen möchte“. Das Interview dazu ist ein Text, der gewisser maßen selbst „karaffiert“ gehört. Dann aber belohnt er mit reichhaltigen und tiefgründigen Ideen. Versprochen!
Mister Jefford, in einem Ihrer Essays sprechen Sie eine Situation an, die Sommelièren und Sommeliers kennen: „Wein ist uns vertraut wie ein Ehepartner“. Nur wie entdeckt man den wieder neu?
Andrew Jefford: Nicht unsere Erfahrung ist das Hindernis, das Sie sich vielleicht vorstellen. „Jungfräuliche“ Gaumen empfinden das große Weinangebot zunächst ja eher als Chaos. Sie können keinen Weg erkennen. Für erfahrene Gaumen ist das nicht so: Wir wissen, worauf es beim Gehen ankommt. Wir müssen jedoch vergessen, wohin wir gehen wollen, um uns auf das Gehen selbst zu konzentrieren. Das meine ich. Denn die meisten Menschen trinken Wein „unschuldig“. Sie erforschen die sinnlichen Dimensionen des Weins und nutzen den Wein, um Emotionen auszulösen. Darum geht es bei der Ehepartner-Analogie. Möglicherweise sind Sie seit 30 Jahren mit einer Person verheiratet; ihr kennt euch sehr gut. Doch die Beziehung funktioniert am besten und die Liebe wächst am meisten, wenn man die Originalität dieser Person wiederentdeckt – das, was einen zunächst zu ihr hingezogen hat. Wir müssen also jeden Wein für uns so fremd wie möglich machen, um ihn neu zu sehen. Oder sozusagen den gewohnten Weg wieder zum ersten Mal gehen.
Wie kann das in der Praxis gelingen? Soll man sein Weinwissen bewusst einmal vergessen?
Lassen Sie einfach den Namen und das Image eines Weins beiseite und sagen Sie zu jeder Flasche: Was bist du? Horchen Sie, gehen Sie damit so weit, wie der Wein gehen will und so weit, wie Sie gehen können. Sammeln Sie dabei den Reichtum der Erfahrung, egal in welchem Rahmen. In vielen Fällen wird es eine kurze Reise sein, aber machen Sie sie trotzdem.
Sie plädieren für das Wiederentdecken des Staunens, zitieren den Philosophen Mar tin Heidegger, für den sich im Idealfall die Dinge in ihrer Essenz, der „Entbergung des Seins“ zeigen. Hat irgendein österreichischer Wein je dieses „Staunen“ hervorgerufen?
Ich erinnere mich, dass ich in Österreich an einen Tisch kam, an dem einige Leute einen Wein tranken und sie sagten: „Er ist sehr gut, aber wir müssen gehen. Sie können die Flasche austrinken“. Dieser Wein – von Knoll, ich erinnere mich an das schöne Etikett – war gleichzeitig so reichhaltig und doch so frisch. Er lag jenseits der üblichen Abgrenzungen zwischen „reichhaltig//frisch“ oder „frisch//reichhaltig“. Ich habe gelernt, dass das etwas ist, was man in Österreich besser zum Ausdruck bringen kann als irgendwo anders auf der Welt: Alle Freuden von „Fleisch“ und Kontur des Weißweins waren gelöst durch Frische, die von Stein, Licht oder Wind kommen könnte. Ich erinnere mich, dass ich mich in diesen Wein verliebt habe. Und somit auch in das, was ihn ins Leben gerufen hat. Seither hüpft mein Herz vor Freude, wenn ich dieses Etikett oder das Versprechen von Weinen aus dieser Gegend sehe.
Ich denke, dass absolute Offenheit beim Einordnen der Wein-Erfahrung und absolute Einfachheit beim Ausdruck die Auswege aus der Sackgasse sind. Dazu nehme man die Erkenntnis, dass Weintrinken
ein menschlicher Akt ist und daher in Bezug zu unserer Menschlichkeit stehen sollte. Natürlich würden nur wenige Herausgeber ihren Weinautoren gestatten, auf diese Weise über Wein zu schreiben.
Ein weiterer unerwarteter Blickwinkel auf Wein betrifft Literatur-Nobelpreisträger Kazuo Ishiguro. „Es ist einfach, die Lautstärke aufzudrehen“, lautet eine der Lektionen, die Sie auf den Weinbau übertragen. Wie können Winzerinnen und Winzer heute den „Lärm-Pegel“ senken?
Wir haben wohl beide schon den Satz „Wir lassen den Weinberg sprechen“ auf der Rückseite von Weinflaschen außerhalb Europas gesehen. Viele Winzerinnen und Winzer verweisen auch in Europa auf das Terroir und sei ne lokalen Äquivalente. Die Suche nach dem „Puls des Ortes“ ist also eindeutig ein zentrales Anliegen aller, die „authentischen Wein“ herstellen möchten. Aber: Das Terroir spricht sehr leise. Wenn Sie Blindverkostungen organisieren und auf die Suche nach Terroir-Unter schieden gehen, werden Sie diese meist frustrierend schwer finden. Deshalb spreche ich oft vom Puls des Ortes als einem „Wasserzeichen“ im Wein. Es gibt immer viele andere Geräusche im Wein, viele andere Tinten, die auf das Papier gedruckt sind, das auch das Wasserzeichen enthält. Diese können das Ergebnis von Dingen sein, die Wein garten-Manager:innen und Kellermeister:innen tun (= interventionistisches Modell) oder nicht tun (= „Naturwein“-Modell). Diese Geräusche machen es schnell unmöglich, die leise Stimme des Weinbergs oder des Orts zu hören.
Wie kann man also „ruhig sein“ und die Klarheit schaffen, die es ermöglicht, den Puls eines Ortes zu hören oder das schwache Wasserzeichen zu sehen?
Das ist die Herausforderung. Aber es gibt diejenigen, die dies sehr gut machen, ohne Extravaganz oder Dogma, oft durch das Überdenken tiefer Traditionen. Die nützliche Analogie ist die zu einem Geschichtenerzähler. Er versucht, so unsichtbar wie möglich zu werden, um „die Geschichte sprechen zu lassen“. Oder Charaktere, die diese Geschichte bewohnen. Darf ich noch einen letzten Gedanken hinzufügen?
Sehr gerne!
Sie müssen das Ergebnis dieser Klarheit auch akzeptieren. Wenn Sie den Geräuschpegel reduzieren, dann bleiben Sie am Puls des Ortes. Dieser ist unterschiedlich und kann nicht immer außergewöhnlich sein; Frascati kann niemals Montrachet sein. Aber beide können klar und wahr sein! Besonders außerhalb Europas entsteht häufig ein Problem: Wenn
diejenigen, die die Lautstärke verringern, das, was sie finden, nicht mögen, es für unzureichend oder schwer verkäuflich halten, dann geht die Lautstärke sofort wieder hoch!
Sie schreiben „In Flaschen gefüllte Natur braucht Hilfe, um großartig zu sein“. Auch „Natural Wine“ sollte also mit einem hohen Maß an
Flasche in einem sensorisch optimalen Zustand ins Glas zu kommen.
Ausbaus häufig kleinen Holzfässern ausgesetzt waren. Wenn wir
Nur dass Thiole im Sauvignon Blanc begehrt sind. Und mit zunehmendem Alter verschwinden, während
Sie sehen also, wie sich die Schwierigkeiten häufen. Deshalb kann ich Ihnen zu diesen
die Unterschiede beim Wein viel
Beispiel für das „Sein“ im Wein nach Heidegger?
Ja, das ist es. Und vielen Dank, dass Sie darüber nachgedacht haben. Für alle, die den Text noch nicht gelesen haben, schildere ich die Situation: Ich hätte als Weinautor diesen Wein probieren und zu meinem Vater sagen sollen: „Das ist ein wirklich beschissener Wein – er ist flach, halbsüß und hat nichts Definiertes. Warum hast du mich nicht gefragt, bevor du den gekauft hast? Ich hätte etwas viel Besseres empfehlen können.“ Aber diese Beharrlichkeit hätte die kostbare und damals schon schwindende Gelegenheit des Zusammenseins vergiftet. Meine Mutter saß in der Ecke und starrte ins Leere, während ihre Alzheimerkrankheit fortgeschritten war und sie bald töten würde. Mein Vater saß da mit Prostatakrebs und Knochenkrebs, der ihn zunächst verkrüppeln und dann einige Monate später töten würde. Wir waren alle noch am Leben und verbrachten gemeinsame Momente, aber diese Zeit verging. Das war, ungewöhnlich deutlich, ein Augenblick von „Sein-zum-Tode“ (Jefford zitiert Heidegger auf Deutsch, Anm. der Redaktion). Mein Vater sagte: „Das ist wunderbar: Wir sind alle zusammen und trinken Wein! Ist dieser Wein nicht wunderbar!“ Und er hatte nicht unrecht, denn es
war das „Sein selbst“ des Weins, was wir genossen und das uns diese kostbare Zeit erhellte.
Gibt es – um einmal von Heidegger wegzugehen – auch das platonische Ideal eines Weines für Sie?
Ich halte Platon auf diesem Gebiet für gefährlich. Es besteht ja die Gefahr, dass für jede Art von Wein eine „Form“ aufgestellt oder angenommen wird, also das ideale Dies, das beste Das… Davor wird aber fast jeder Wein versagen, jede Flasche wird – in platonischen Worten – nur ein flackernder Schatten an der Höhlenwand sein. Und wir würden so ein Leben lang „enttäuschenden“ Wein trinken müssen.
Das wollen wir sicher beide nicht. Danke für den erquickenden Austausch!
Der Wein-Denker
Andrew Jefford (Jahrgang 1956) ist hier zulande als Kolumnist des „Decanter“ und Panel-Vorsitzender der „Decanter World Wine Awards“ bekannt. Büchern über die französische Wein-Szene („The New France“) oder Single Malts aus Islay („Whisky Island“) ließ er nun „Drinking With The Valkyries“ folgen. Das Taschenbuch mit seinen Essays versammelt eine Fülle von Gedanken, die Jefford rund um den Globus sammelte. Das P flichtstück für KALK&KEGEL war die auf 13 Seiten kondensierte Philosophie des Verkostens unter dem Titel „Wine and Astonishment“.
Erhältlich ist das Paperback von „Drinking With The Valkyries - Writings on Wine“ (272 Seiten) um 19,90 Euro
Unseren Autor verbindet vieles mit dem Namen Georg. Eine Heldengeschichte der etwas
Jürgen (Georg) Schmücking
Es begann alles mit dem Giorgio Primo von der Fattoria La Massa. Jahrgang 1997. Halt. Stopp. Kommando zurück. Ich muss weiter ausholen. Auf den Giorgio Primo komme ich wieder zurück. Es begann alles mit meinem Urgroßvater. Georg Mitterer. In der Familie liebevoll Geli genannt. Er starb kurz vor meiner Geburt. Ich kenne von ihm nur ein paar Geschichten. Wenn ich als Kind in seinem alten Wohnzimmer war, war er mir nah. Ein vergilbtes Bild auf der Kredenz. In den Vorhängen hing noch jahrelang der Duft von seinem Pfeifentabak. Egal. Meine Mutter hatte beschlossen, mir seinen Namen zu geben. Georg. Mein Vater, deutsche Wurzeln in Halle an der Saale, wollte das Deutsche irgendwie dabeihaben. So wurde ich der Jürgen. Salomonische Lösung. Weil, damit das auch gleich gesagt ist, Georg ist der etymologische Ursprung aller Jürgens, Jörgs, Schorschs, Georges, Jureks, Giorgios oder Juris dieser Welt. Alles Varianten und Abwandlungen von Georg. Mein Namenstag ist der 23. April.
Dass Jürgen eine Variante von Georg ist, hat mir als Kind (und teilweise auch jetzt noch) kaum jemand geglaubt. Anfangs hat mich das ein wenig geärgert, jetzt sehe ich es als Bildungsauftrag. Irgendwann, es muss so um die Jahrtausendwende gewesen sein, hat mir ein guter Freund, einer, den ich in der Zwischenzeit überzeugt hatte, eben jenen Giorgio Primo von La Massa geschenkt. Das war wow. Ein Wein mit meinem Namen. Und noch dazu ein ziemlich lässiger. Das war noch die Zeit, als der Wein noch ein lupenreiner Chianti Classico war. Es war auch die Zeit, in der ich anfing, mich intensiver mit Wein zu beschäftigen. Vom Giorgio Primo landeten später auch noch viele andere Jahrgänge in meinem Keller. Er wurde zu „meinem“ Wein.
Der Heilige
Ein Wein mit meinem Namen. Und noch dazu ein ziemlich lässiger. Das war noch die Zeit, als der Wein noch ein lupenreiner Chianti Classico war.
Machen wir einen kurzen Sprung zum Patron. Zum Heiligen Georg. Wer war er? Was tat er? Warum wurde er heiliggesprochen und warum taucht er immer wieder im Zusammenhang mit Wein auf? Also: Obwohl vieles, was den historischen Georg betrifft, von Mythen und Märchen getränkte Folklore ist (es dürfte zum Beispiel als gewiss gelten, dass er nie gegen einen richtigen Drachen gekämpft hat), sind sich Historikerinnen und Historiker einig, dass es ihn tatsächlich gab. Und zwar irgendwann um das 3. oder 4. Jahrhundert nach Christi. Höchstwahrscheinlich während der Regierungszeit des römischen Kaisers Diokletian. Es ist auch gewiss, dass Georg gefoltert wurde und den Märtyrertod starb, weil er sich weigerte, Apollo und Bacchus als Götter anzuerkennen.
Unser Autor hat sich tätowieren lassen. Der Georg, der Drachentöter, auf dem Unterarm und George, der Wein, in der Hand.
anderen Art. Und natürlich geht es auch um Wein. Und um Mezcal von George Clooney.
Der Kampf mit dem Drachen hat dort einen seiner möglichen Ursprünge. Heute ist Georg der Schutzpatron der Bauern und Feldarbeiter. Aber auch der Schlachter, der Wanderer und der Pfadfinder. Sein Kreuz (rot vor weißem Hintergrund) - überhaupt seine Symbolik findet sich auf unzähligen Wappen, Fahnen und Flaggen von England über Georgien bis nach Tirol. Die Verknüpfung Georgi und Landwirtschaft ist allerdings älter als der Held selbst. Von Vergil gibt es eine berühmte (und lesenswerte) Gedichtsammlung mit dem Titel Georgica. Man muss das nicht im Lateinischen Original lesen. Penguin Books hat eine passable und lesbare Übersetzung unter dem Titel „The Georgics“ herausgebracht. Darin geht es um die Landwirtschaft in Italien im letzten Jahrhundert vor Christi. Also ein paar Hundert Jahre vor Georg.
Seit ein paar Jahren greife ich am 23. April beherzt in meinen Keller und verkoste mit einigen Leuten GeorgiWeine. Wir starten meist mit einem Champagner von Georges Laval, (fast) immer dabei, die Georgener Weine von Roland Velich, garantiert immer dabei ein oder zwei Jahrgänge Giorgio Primo und auch immer dabei ein junger und ein gereifter NuitsSaint-Georges. Beim letzten Tasting war auch noch Château La Croix de Saint Georges 2017 im Line-Up. Und – mit Augenzwinkern – sogar der Casamigos Mezcal von George Clooney.
Ja, es ist ein Spleen. Aber es ist ein alter Spleen. Als Student war ich ein Jahr in Amerika. Das war 1992. Wein war damals genauso wenig Thema für mich wie Gastronomie oder Kulinarik. Ich war an der Edmund A. Walsh School of Foreign Service. Georgetown University.
Zurück zum Wein
Macht man einmal die Kiste mit Georg und dem Wein auf, tun sich völlig neue Perspektiven, ja Welten auf. Ich habe irgendwann damit begonnen, Georgi-Weine zu sammeln. Wichtig war mit dabei immer ein Bezug zum heiligen Georg. Welcher genau, war nebensächlich. Ich fand Weine aus diversen Gemeinden mit Namen St. Georgen. Ich entdeckte die Weingüter Georgiberg und Georgium. Ich lernte, dass es die Georgi-Rebe in der Weinwelt gleich zweimal gibt. Einmal weiß als Ursprungsrebe des Grünen Veltliners und einmal rot. Nämlich in Griechenland, wo sie unter dem Namen Agiorgitiko spannende Weine hervorbringt. Um den Agiorgitiko zu erkunden, habe ich ein paar Tage bei den Mönchen am Berg Athos verbracht. Ich war bis jetzt vieroder fünfmal in Georgien, habe die Appellation Nuits-Saint-Georges für mich entdeckt und freue mich, wenn im Restaurant Weine von Georg Prieler oder Georg Breuer in der Weinkarte stehen.
Ich lernte, dass es die Georgi-Rebe in der Wein-welt gleich zweimal gibt. Einmal weiß als Ursprungsrebe des Grünen Veltliners und einmal rot.
SCHLUSS PUNKT
Ist euch aufgefallen, dass es keine VIPs mehr gibt? Nicht am Opernball, nicht in Kochshows oder in anderen TV Formaten. Nicht einmal auf Insta. Es ändert sich gerade etwas. Ganz still. Fast bemerkt man es nicht.
Es geht nicht mehr um Schein, um berühmt oder reich. Es geht um Echt. Und das ist eine Jubelmeldung.
Vertrauen auf Einzigartigkeit braucht keine Maske. Kein Schischi, kein Kitsch, kein „allen gefallen wollen“. Es braucht nur das Authentische.
Haben wir auch längst schon in der Kulinarik bemerkt: Keine Schäumchen mehr, statt der Pinzette zum Anrichten reichen wieder die Finger als Werkzeug, immer weniger Menüschlachten und zum Glück auch kaum mehr Versuche, sich am Teller mit Optik anstatt mit Geschmack beweisen zu müssen. Die Lust ist wieder auf dem Vormarsch. Abgeschminkt und echt. Auf das Wesentliche reduziert.
Auch beim Wein. Und das beobachten wir ja schon lange: Reiner Wein – im Vertrauen auf natürliche Prozesse – ist lebendig. Ganz anders als die Industrieplörre, die gefaked als sperrige und lähmende Flüssigkeit im Glas lauert. Ein seelenloses Rauschmittel.
Beim Essen und Trinken geht es nicht um Essen und Trinken. Lebensmittel sind dazu da, um zu leben, um Kontakt aufzunehmen, mit sich und der Welt, die uns umgibt. Das gehört gefeiert. Die Heroes von heute sitzen am gemeinsamen Tisch. Essen. Trinken. Tauschen sich aus.