Glace & Dessert 2016

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Fokus

Pâtissiers im Badrutt’s Palace, St. Moritz, bereiten die Friandises­Körbchen zu. Neujahr 1956.

Nach dem Zweiten Weltkrieg blieben viele «Pulver» erhalten und fanden ihren Weg ganz offiziell auf den Desserttisch von Herrn und Frau Schweizer. Puddinge und Cremen, die man nur noch kalt oder warm mit Milch oder Wasser anrühren musste, waren absolut in und sind noch heute in jedem Supermarkt zu finden. Um einen festlichen Touch zu erzielen, servierte man die Puddings und Cremen entweder mit selbst eingemachten Früchten (Rumtopf) oder mit Pfirsichen, Birnen oder Fruchtsalat aus der Dose. Zur Dekoration gab es den obligaten Rahmtupfer, auf dem eine knallrote Maraschino-Kirsche thronte. Besagter Büchsen-Fruchtsalat wurde zudem gerne mit einem Schuss Kirsch angereichert und so verfeinert auch als eigenständiges Dessert aufgetischt. Die Schoggicreme mit Büchsenbirne hiess klangvoll «Poire Belle Hélène» und war gemäss Dr. Oetker in den 1960er-Jahren eines der beliebtesten Desserts. Nach Betty Bossi waren damals in der Schweiz auch warme Desserts beliebt. Und zwar so sehr, dass «Apfelchüechli» und «Vogelheu» gleich als süsse Hauptspeise ins Kochrepertoire aufgenommen wurden.

Kleine Portionen, grosse Qualität

die sahnig-cremigen Desserts durch luftig-leichte Mousses und Espumas ersetzt worden. Statt einer Torte werden Cupcakes, Mini-Törtchen und Cake-Lollis serviert. Und statt Coupegläser sind Miniaturförmchen gefragt. Der Rahmtupfer und die Maraschino-Kirsche haben filigranen Schokooder Zuckergittern, Fondant-Blümchen und anderen Dekoelementen Platz gemacht. Geschichtete oder gestrudelte Süssspeisen in Kleinstformaten werden auf künstlerisch arrangierten Saucenspiegeln angerichtet. Überfüllte Teller sind tabu. Zwar sind Convenienceprodukte im Dessertbereich noch immer ein Thema, doch die Konsumenten legen auch hier verstärkt Wert auf eine hohe Qualität der Produkte. Zudem spielt auch die Herkunft der Rohstoffe vermehrt eine Rolle. Gemäss den Trendscouts von Betty Bossi und Dr. Oetker bleiben kleine, hübsch dekorierte Portionen weiterhin aktuell. Als Beispiele nennt Esther Bieler, Communication Manager der Betty Bossi AG, Cheesecake im Gläschen, Mini-Eclairs in verschiedenen Aromen, farbige Mini-Meringues. Bei den Aromen sind Früchte wie Cassis, Orange, Granatapfel und Mandarine im Kommen. Generell werde, so die Betty-BossiSprecherin, bei Süssspeisen in Zukunft noch kreativer gearbeitet. Sensorisches Food-Pairing, Heiss-Kalt-Kombinationen sowie der Einsatz von Gemüse und Gewürzen werden für neue Geschmackserlebnisse sorgen. An Stelle von Zucker werde mit Honig, Birnel, Dattelsirup und Kokoszucker gearbeitet. Ganz im Sinne der veganen Küche werde vermehrt Mandelmus zum Einsatz kommen statt Eier und Rahm.

Produzieren wie zu Grossvaters Zeiten Vor neuen Trends verschliessen sich weder Michi Halter von der Willi Beck AG in Sempach noch Kevin Sollberger von der Bäckerei-Konditorei Sollberger in Gontenschwil. Trotzdem halten beide an den traditionellen Zubereitungsmethoden fest. Bei Willi Beck werden die Cremeschnitten jeden Tag frisch nach alter Schule hergestellt. Als Zugeständnis an die heutige Zeit wird die Diplomat-Creme als Füllung immer wieder mal ersetzt durch aromatisierte Cremen in Geschmacksrichtungen wie Apfel, Mango oder Mocca. Passend zur Jahreszeit werden die Cremeschnitten dekoriert. An der Fasnacht mit Konfetti, am Valentinstag mit Herzchen, an Ostern mit Hasen, an Weihnachten mit Sternen. Neben den Cremeschnitten stellt Michi

Seit den 60er-Jahren haben sich die Dessertvorlieben stark verändert. Weincreme, Schoggi-Mousse und Tiramisù lösten den Dosenfruchtsalat ab. Heute sind

Dessert gab es nur am Sonntagmittag. Im Bild ein Menüplan aus der Betty­Bossi­Post von 1956.

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