Wald kann mehr

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Themenheft von Hochparterre, März 2024

Wald kann mehr

Wie und warum muss der Wald im Siedlungsgebiet gepflegt, bewirtschaftet und weiterentwickelt werden ? Ein Plädoyer für den Wald als Erholungs- und Klimaraum.

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Ein einfacher Steg bietet Abwechslung von der Waldstrasse und reicht aus, um neue Blickwinkel zu eröffnen ( Thurauen ZH ).

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Coverfoto: Ein kleines Tal, stehendes Wasser, liegende Bäume, kein Unterholz. Nur dank genügender Blicktiefe lässt sich dieses Bild überhaupt erfassen ( Sihlwald ZH ).

Editorial

Der Wald als siedlungsnaher Erholungsraum

Foto Rückseite: Ein Glück, dass der Kopf des Einhorns nicht überwuchert ist. Oder hat jemand nachgeholfen ? ( Wolfsschlucht SO )

Inhalt

4 Das ungenutzte Potenzial Zur Erholungsleistung des siedlungsnahen Waldes.

8 Zwölf gute Beispiele Von Arlesheim bis Villars-sur-Glâne.

16 Die Anfänge der Waldgestaltung Ein Blick zurück auf die ersten ‹ Schönheitswälder › der Schweiz.

18 Der Wald ist das Ziel Ein Manifest in zwölf Punkten.

Heftvernissage und Podium Der Wald wird als Erholungsraum immer wichtiger. Damit er Menschen im Siedlungsgebiet mehr bieten kann, braucht es Veränderungen. In welche Richtung müssen diese gehen ? Wovon braucht es mehr, wovon weniger ? Und wer be­zahlt dafür ? Am Tag des Waldes diskutieren Fach­leute aus Planung, Forstwirtschaft und Behörden unter der Leitung von Philipp Maurer. Donnerstag, 21. März, 19 Uhr, Kulturpark, Pfingstweidstrasse 16, Zürich www.hochparterre.ch / veranstaltungen

Die Bevölkerungszahlen in den Städten und Agglomerationen nehmen zu. Die Grünräume in der Bauzone werden weniger, die bestehenden Grünflächen kommen immer mehr unter Druck. Damit steigt auch der Nutzungsdruck auf die Wälder in Siedlungsnähe. Weil der Wald in der Schweiz – anders als das Grün in den Ballungsräumen – durch die Waldgesetzgebung gut geschützt ist, kann er nicht gerodet werden. Das ist ein Glücksfall, und die Forstleute wachen sorgfältig darüber. Damit der Wald im Siedlungsgebiet auch künftig eine wichtige Ressource bleibt – als naturnaher Erholungs- und Klimaraum, als Ort der Kontemplation und als gesundheitswirksamer Freiraum –, braucht es allerdings Veränderungen. Das vorliegende Themenheft will deshalb nicht nur die Wahrnehmung der immateriellen Waldleistungen auf der Sinnesebene fördern, sondern fokussiert auch auf die ökonomische Ebene. Es fächert auf, wie und warum der Siedlungswald gepflegt, bewirtschaftet und entwickelt werden muss und was das planerisch und politisch bedeutet. Der einführende Text skizziert Bedürfnisse, Anforderungen und Potenziale und wie mit den Zielkonflikten Erholung – Biodiversität – Holzproduktion – CO2-Speicher umgegangen werden kann. Ein Blick auf die Anfänge der Erholungsnutzung um die Wende zum 19. Jahrhundert zeigt, dass man vor mehr als 100 Jahren vielerorts einen progressiveren Umgang mit dem Wald als Erholungsraum pflegte als heute. Um diesen wiederzubeleben, sind im Beitrag ‹ Der Wald ist das Ziel › zwölf Punkte versammelt, welche die Erholungsleistungen des Waldes im Siedlungsraum fördern. Dieses Manifest richtet sich an Forstleute, Stadt- und Landschaftsplanerinnen sowie Politiker. Die Fotos stammen aus dem Buch ‹ Waldbilder › von Markus Bühler. Roderick Hönig

Philipp Maurer Geschrieben und recherchiert hat die Texte der Zürcher Forstingenieur und Raumplaner Philipp Maurer. Als Präsident eines Forstreviers kennt er die Sicht der Waldeigentümer, die wirtschaftlichen Aspekte und die Ansprüche der Erholungsuchenden. Maurer ist in der Stadt Zü­rich aufgewachsen und lebt heute in der Agglomeration. Nach dem Studium der Forstwissenschaften an der ETH Zürich sammelte er einige Jahre Berufserfahrung, unter anderem als Akkordholzer. Nach einem Nachdiplomstudium in Raumplanung an der ETH Zürich wechselte er in die Raumplanung und in die Baukultur. In diesem Feld betreibt er seit 15 Jahren das Büro BauSatz in Zürich. Die Schnittstelle von Wald und Gesellschaft hat ihn nie losgelassen.

Impressum Verlag Hochparterre AG Adressen Ausstellungsstrasse 25, CH-8005 Zürich, Telefon +41 44 444 28 88, www.hochparterre.ch, verlag@hochparterre.ch, redaktion@hochparterre.ch Geschäftsleitung Werner Huber, Rahel Marti Verlagsleiterin Susanne von Arx Konzept Philipp Maurer und Roderick Hönig, basierend auf einer Idee von Köbi Gantenbein Fotografie Markus Bühler, www.buehler-fotograf.ch Art Direction Antje Reineck Layout Barbara Schrag Redaktion Roderick Hönig Produktion Linda Malzacher Korrektorat Rieke Krüger Lithografie Team media, Gurtnellen Druck Stämpfli AG, Bern Herausgeber Hochparterre in Zusammenarbeit mit der Hamasil Stiftung hochparterre.ch / siedlungswald Themenheft bestellen ( Fr. 15.—, € 12.— ) und als E-Paper lesen

Themenheft von Hochparterre, März 2024 — Wald kann mehr — Inhalt

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« Forestry is not about trees, it is about people. » J. V. Thirgood

Das ungenutzte Potenzial Der siedlungsnahe Wald könnte für die Erholung der Bevölkerung weit mehr leisten, als er es heute tut. Das bedingt aber ein Umdenken in der Bewirtschaftung. Text: Philipp Maurer

Waldkindergärten, deren Waldsofas eine Zeit lang wie Pilze aus dem Boden schossen, haben Pionierarbeit geleistet. Denn die Kleinen und ihre Betreuungspersonen pflegen keine forstwirtschaftliche Sicht auf den Wald. Sie suchen frische Luft, Natur, Abenteuer und einen Ort, an den sie immer wieder zurückkehren können und an dem sie sich geborgen fühlen. Waldkindergärten haben als dauerhaftes Provisorium so manchen Förster herausgefordert. Inzwischen sind sie akzeptiert – und sie haben die Sicht auf den Wald verändert. Nicht nur Kinder wissen: Im Wald wohnen Gute und Böse, Räuber und Samichläuse, Gnomen, Trolle und Rebellen. Seit Menschengedenken ist der Wald mehr als ein Holzproduzent, ein Schutzgarant oder ein Naturrefugium. Der Wald ist auch ein Ort der Fantasie und der Geschichten, ein Raum ohne Horizont, mit eingeschränkter Blicktiefe und erschwerter Orientierung. Das forderte schon Hänsel und Gretel heraus. Der Wald ist ein stimmungsvoller Ort, er erzeugt Gefühle, die bei Weitem nicht nur dunkel sind. Belegt sind etwa die rauschenden Auffahrtsausflüge der Zürcher Jugend auf den Uetliberg, die der Obrigkeit schon 1627 missfielen. Der neugierige Naturwissenschaftler Salomon Schinz hielt 1774 schriftlich einen Spaziergang fest, auf dem er sich an der Schönheit der Natur des Zürcher Hausbergs ergötzt hatte. Neben Erholung suchte er auch wissenschaftliche Inspiration. Schinz war ein klassischer Vertreter der Aufklärung. Mit ihr erstarkte die positive Wahrnehmung der Stimmung im Wald, und er wurde zunehmend als schön, lieblich und lichtdurchflossen wahrgenommen. Zahlreiche Gedichte und Gemälde von Eichendorff bis Schischkin zeugen davon. Das Umfeld Die urbanen Gebiete der Schweiz wachsen seit Jahren. Das Siedlungsgebiet wird immer mehr verdichtet, weil der ungebremste Bodenverbrauch längst nicht mehr mehrheitsfähig ist. In den Schweizer Städten wohnen heute

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824 000 Personen mehr als vor 40 Jahren. Dieser Trend ist ungebrochen. Wegen des Bevölkerungswachstums und der damit einhergehenden baulichen Entwicklung nimmt die Versiegelung des Bodens stark zu. Die politisch erwünschte Verdichtung geht primär auf Kosten der privaten Grünräume. Die öffentlichen Grünflächen sind meist gesichert, doch das Grün ums Haus verschwindet und wandert auf den Balkon. Der Druck auf die Grünräume hat nicht nur mit der wachsenden Bevölkerung zu tun, sondern auch mit dem veränderten Arbeits- und Freizeitverhalten. Städtische Grünflächen sind zunehmend auch bewohnter Aussenraum – nicht nur tagsüber. Da wird gechillt, gespielt, gegessen, grilliert, getanzt, gegärtnert, gefeiert, in der Sonne gelegen und vieles mehr. Nicht überraschend also, dass in städtischer Umgebung auch der Wald für die Erholung genutzt wird. Mit 32 Prozent umfasst er in unseren Städten den grössten Flächenanteil – Trend stabil, auch dank rigidem Waldgesetz, das ihn vor Begehrlichkeiten aller Art schützt. Der Nutzungsdruck verlangt aber nach einer erweiterten Sicht auf den Wald. Er ist zwar heute schon die grösste Ruhezone und die wichtigste Sportarena für den Individualsport, er könnte aber noch viel mehr sein – wenn in siedlungsnahen Gebieten und auf geeigneten Flächen der Erholung der Vorrang gegeben würde. Erholung nicht als geduldeter Nebeneffekt, sondern als erwünschter Hauptzweck. Für die Umsetzung dieser umgekehrten Perspektive braucht es eine aktive Planung.

Schweizer Städte in Zahlen Bevölkerung 1980: 3 377 000 2021: 4 201 000

Versiegelte Flächen 1979 / 85: 19 % 2013 / 18: 24 %

Flächenanteile 2018 Siedlungsgebiet: 23 % Landwirtschaft: 31 % Wald: 32 % Unproduktiv: 14 %

Quellen: Statistik der Schwei­zer Städte, BFS / SSV und Arealstatistik der Schweiz

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Wie Erholung funktioniert Doch was suchen die Menschen in ihrer Freizeit im Wald ? Interessante Daten dazu liefert das soziokulturelle Waldmonitoring ( Wamos ) des Bundesamts für Umwelt, das 2020 zum dritten Mal durchgeführt wurde. Befragt wurden zahlreiche Personen in urbanen Wäldern in Zürich und Genf. Zunächst einmal hat sich gezeigt, dass der Wald für alle da ist. Seine Besucher kommen aus allen Altersklassen und Bildungsschichten. Die Befragten gaben an, zu jeder Jahreszeit in den Wald zu gehen, viele sogar ein bis zwei Mal pro Woche. Wichtig ist, dass der Wald in maximal 10 bis 15 Minuten zu Fuss erreichbar ist. Im Hürstholz in der Stadt Zürich etwa sind Spazieren und Wandern die am häufigsten genannten Aktivitäten ( 95 Prozent ), gefolgt von ‹ Natur beobachten › ( 86 Prozent ) und ‹ Einfach sein › ( 68 Prozent ). Die Menschen mögen Rundwege und Abwechslung, auch Lichtungen, Grill- und Rastplätze oder ab und zu ein Wald­sofa sind gefragt. Die Kontemplation schlägt die sportlichen Aktivitäten um Längen. Doch wie funktioniert Erholung überhaupt ? Die Erholungsforschung ist eine junge Disziplin. Die meisten Forschungstätigkeiten zielen darauf ab, das engere Arbeitsumfeld oder einen Genesungsprozess besser zu gestalten. Wissenschaftlich betrachtet, ist Erholung die Phase des Ausgleichs und des Aufbaus von körperlichen und psychischen Kräften. Zuvor erfolgte Belastungen werden reduziert, der Körper kommt wieder zu Kräften und kann Energie tanken. Wird die Erholung vernachlässigt, gerät der Körper aus dem Gleichgewicht. Analysen haben bestätigt, dass sensorisch angereicherte Umgebungen als angenehmer und erholsamer empfunden werden. Die aktuelle Forschung liefert auch konkrete Empfehlungen für die Gestaltung erholungsorientierter Umgebungen. Eine natürliche oder eine zumindest simuliert natürliche Umgebung dient der Erholung von kognitiver Erschöpfung – ein Garten oder ein Park, aber eben auch ein Wald. Dabei muss die Erholung sorgfältig austariert werden. Eine zu hohe Informationsdichte beziehungsweise ein zu hohes Mass an Informationsverarbeitung führt zu Überforderung. Zu wenige Reize wiederum führen zu Monotonie. Die optimale Erholung findet das richtige Mass zwischen Unter- und Überforderung. Verkürzt gesagt, geht es um die Sinneseindrücke pro Zeit – und die ist relativ kurz: Von den Befragten der Wamos-Studie halten sich rund 75 Prozent weniger als 60 Minuten im Wald auf, 42 Prozent sogar weniger als 30 Minuten. Intensiv­erholungs­ anlagen wie Biketrails oder Seilparks unterliegen anderen Nachfragegesetzen. Die Vorreiter Über Jahrhunderte diente der Wald der städtischen Bevölkerung als Bau- und Brennholzlieferant. Was lange Zeit mehr oder weniger gut ging, gipfelte im 18. und 19. Jahrhundert aufgrund der Industrialisierung und des Bevölkerungswachstums in einer gewaltigen Ausbeutung und Dezimierung der Wälder. Es folgten Erosionsschäden, Leid und Kosten. Besorgte Forstleute bewirkten einen Kurswechsel. Es ist ihr Verdienst, dass der Wald seit rund 150 Jahren gut geschützt ist. Die baumbestockten Flächen sind jedoch keineswegs Natur pur. Der Wald ist von Försterhand gestaltet, meist mit Blick auf den Ertrag. Weitsichtige Menschen erkannten bereits vor mehr als 100 Jahren, was die städtische Bevölkerung an ihrem Wald auch noch hat: einen grossen Raum für die Erholung in der damals spärlichen Freizeit. Gestalterische Eingriffe sollten das Walderlebnis zusätzlich steigern. Im Zürcher Stadtwald setzte Gottlieb Friedrich Rothpletz, Direktor des Stadtzürcher Gartenbauamts,

die Ideen gemeinsam mit dem Verschönerungsverein in die Tat um. Die Gestaltungswelle erfasste zahlreiche Städte in ganz Europa und darüber hinaus. Das Wirken der Erholungspioniere ist bis heute erkennbar. Ihre Sichtweise jedoch ist in Vergessenheit geraten. Naturschutz und Biodiversität haben das Ruder in der Waldentwicklung übernommen – das war nach einer beispiellosen Monotonisierung mit Fichten im 20. Jahrhundert auch nötig. Wald gestalten Seit weit mehr als 100 Jahren liegt den Forstleuten die Gestaltung des Waldes und die Erziehung der einzelnen Bäume am Herzen. Schöne, gerade Stämme erzielen gute Preise, das regelmässige und gezielte Entfernen unerwünschter Äste trägt dazu bei. Aus ökonomischer Sicht ist es zudem sinnvoll, einen Baum nicht zu dick werden zu lassen. Denn: Wie kriegt man ein solches Monstrum aus dem Wald, und wer kann den Stamm zersägen – der dann wegen eines altershalber verfärbten Holzkerns doch nur als Brennholz taugt. In der Forstwirtschaft heisst die Disziplin des Waldgestaltens Waldbau. Um es gleich vorwegzunehmen: Waldbau im Erholungswald ist keine forstliche Palastrevolution. Das vielerorts etablierte System des Dauerwaldes soll nicht auf den Kopf gestellt werden. Weil Dauerwald für die Erholungsuchenden aber eher langweilig ist – Waldflächen mit verschiedenen Altersstufen nebeneinander und viel Unterwuchs sehen sich oft zum Verwechseln ähnlich –, liegt dort punktuell Gestaltungspotenzial brach. Es braucht mehr angenehme Orte zum Ausspannen, für das Sammeln von Sinneseindrücken und das Zusammensein.

Erholungswald ist wesentlich günstiger zu haben als innerstädtische Parkanlagen. Unter dem Begriff Urban Forestry laufen in Deutschland, Slowenien, Grossbritannien oder Schweden vielfältige Projekte für eine städtische Waldgestaltung. Die Universität im schwedischen Alnarp hat schon vor Jahren einen Versuchswald eingerichtet, in dem Gemeindevertreterinnen und Forstleute unterschiedliche Waldbilder, deren Ästhetik und Nutzungsmöglichkeiten anschauen können. Auch die Landschaftsgestaltung des ausgehenden 19. Jahrhunderts liefert einen Fundus an Ideen, wie etwa markante Einzelbäume, besondere Wuchsformen, die Pflege der Unterschicht mit Gras oder Blumen, aber auch Wege mit Tunnelwirkung oder die Platzierung von Landmarken. Im Vordergrund stehen Sinneseindrücke, Abwechslung und Ästhetik. Möblierung und feste Anlagen sind weniger wichtig, denn die Erholung steigt mit dem Erlebnis. Der Wald wird aktiv gestaltet. Die Freude der Menschen an ungewöhnlichen Bäumen und Waldbildern dürfen die Forstreviere durchaus als Bestellung interpretieren. Sie können sich überlegen, wo und wie sich welches Angebot eignet und wie es von den Waldbesucherinnen entdeckt und geschätzt wird. Was hindert die Waldeigentümer noch daran, rund um das Samichlaushüsli Weisstannen oder Douglasien zu pflanzen, um die passende Umgebung herzustellen ? Oder ein paar Aren mit Zwieseln, knapp über dem Boden verzweigt, zu fördern ? Eine Buchenhalle anzustreben, Bäume im Kreis anzupflanzen → oder unter dichten Eiben einen Tunnel anzulegen ?

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Erholung ist etwas wert Eine wichtige Frage bleibt: Wer bezahlt ? Die Weiterentwicklung des Erholungswaldes wird mit Kosten verbunden sein. Doch die Leistungen für die Erholung lassen sich nicht einfach über den Holzertrag finanzieren, zumal die Holzpreise seit Jahren im Keller sind. Die Forstleute haben erkannt, dass es besser ist, Habitatbäume für Vögel stehen und Totholz für Käfer und Pilze liegen zu lassen. Für den Lebensraum des Bibers verzichtet die Gesellschaft auf die Bewirtschaftung von vielen Hektar Wald. Förderprogramme richten auf beachtlichen Flächen lichten Wald her. Für Massnahmen zugunsten der Biodiversität gibt es Beiträge der Kantone. Finanzielle Beiträge an den Erholungswald haben allerdings noch kaum Fuss gefasst. Doch es braucht sie, um astige, knorrige, dicke oder alte Bäume stehen lassen zu können. Die Menschen wollen das Rundholz nicht liegend am Boden, sondern stehend, gesund und mit grossem Alterungspotenzial sehen. Dieser Mehraufwand muss gezielt entschädigt werden.

Attraktive Naherholung wirkt der steigenden Freizeitmobilität entgegen. Vielfältiger und attraktiv gestalteter Erholungswald ist allerdings wesentlich günstiger zu haben als innerstädtische Parkanlagen. Die Forstbetriebe sind organisatorisch meist so gut aufgestellt, dass sie die anfallenden Arbeiten hervorragend ausführen können. Bietet der Wald der Gesellschaft mehr Erholung, wird diese über die Gemeindekasse gerne bereit sein, etwas dafür zu bezahlen. Letztlich würden dann ein ökonomischer Ansatz und das bewährte Instrument der Leistungsaufträge zu neuen Waldbildern führen. Diskutiert werden auch Giesskannenbeiträge der Kantone an private und öffentliche Waldeigentümer nach dem bekannten System der Direktzahlungen an die Landwirtschaft. Die traditionelle Welt der Forstleute muss von der Vorstellung wegkommen, dass die Erholungsnutzung ein zu duldendes Übel ist, welches das Ziel der Holzproduktion nicht tangieren darf. Die Fläche des vorrangigen Erholungswaldes macht in einem Forstrevier nur selten mehr als einen Bruchteil der Gesamtfläche aus. Fläche und Produktionseinbusse sind nicht relevant, aber Erholungsleistungen sind ein ernst zu nehmendes Geschäftsfeld. Um dieses erfolgreich zu betreiben, braucht es die nötige Fachkompetenz. Wer den Erholungswald gestaltet, muss wissen, wie Erholung funktioniert und was es zu beachten gilt. Weil solche Sachkenntnis sich heute nicht in Forstkreisen findet, muss sie aus den Domänen des Tourismus, der Soziologie oder der Stadt- und Freiraumplanung in die Forstwirtschaft fliessen. Doch auch das Wissen der Revierforstleute ist gefragt. Sie können und sollen die Bestellung der Erholungsleistungen beeinflussen. Sie wissen viel über die Verzweigungseigenschaften und die Wuchstendenzen der Baumarten, über ihre Licht- und Schattenverträglichkeit oder ihre Standortansprüche. Und sie wissen, wie sie das Bestandsgefüge subtil verändern können. Es gilt, Holz­ernte­ metho­den an die gewünschte Zielsetzung anzupassen – punktuell, kleinräumig, aber immer kostendeckend. Der Erholungswald bietet ausgezeichnete Möglichkeiten, die Menschen einzubeziehen, Fachwissen weiterzugeben und Verständnis für die forstlichen Grundanliegen zu schaf-

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fen. Vielleicht einmal Handholzerei vor Publikum zeigen ? Oder einen Kurs anbieten, in dem Interessierte unter kundiger Anleitung einen eigenen Ster Brennholz oder einen Sack Kohle herstellen können ? Neue Ideen und Mut zur Umsetzung In den 1980er-Jahren hat der englische Forstprofessor J. V. Thirgood treffend festgestellt: « Forestry is not about trees, it is about people. » Der Erholungswald verlangt von den Forstleuten eine neue Sicht auf ihr Hoheitsgebiet: Sie müssen sich in den urbanen Gebieten näher zu den Menschen hinbewegen. Mit den Waldentwicklungsplänen, wie die Richtpläne der Forstleute heissen, existiert ein geeignetes Planungsinstrument, um Vorrangflächen für die Erholung zu definieren. Die Pläne müssen der gesellschaftlichen Entwicklung Rechnung tragen und das soziale Potenzial des Waldes ausschöpfen. Wer jetzt aus Sorge um den Wald die Hände verwirft, kann beruhigt sein: Wald bleibt Wald. Er verändert sich, aber nur auf einem kleinen, doch wichtigen Bruchteil der Fläche. Waldentwicklungspläne bilden zusammen mit den konkreten Eingriffszielen für die gewünschten Waldbilder in den Betriebsplänen der Forstreviere und Waldeigentümer die Grundlage für eine Bestellung der Gemeinden. Sie vertreten diejenigen, die im Wald Erholung suchen. Neben Ideen braucht es den Mut zur Umsetzung – wie damals bei der Abkehr von der Ausbeutung des Waldes. Wichtig sind Weitsicht und Geduld, zwei klassische Förstertugenden. Helfen werden Weiterbildungsangebote im Bereich Erholung und Waldästhetik für Forstleute, Planerinnen und Waldeigentümer siehe ‹ Weiterbildungsangebote ›, Seite 17. Nützlich wären Forschungsarbeiten, die sich mit den Erholungsbedürfnissen und -wirkungen sowie dem Verhalten verschiedener Bevölkerungsgruppen auseinandersetzen. Wandern und Würste grillieren im Wald ist heute vielen Menschen fremd. Es gilt, nicht nur das Bedürfnis nach Erholung aus dem Siedlungsgebiet zu befriedigen, sondern der Stadtbevölkerung den Wald wieder näherzubringen. Die Entwicklung des Waldes wird auch in Zukunft eng mit der Entwicklung der Gesellschaft verbunden sein. Attraktive Naherholung wirkt überdies der steigenden Freizeitmobilität entgegen. Das passt zum raumplanerischen Ziel der Stadt der kurzen Wege. Es ist an der heutigen Generation von Politikerinnen, Planungs- und Forstleuten, Ideen, Konzepte und konkrete Projekte zu entwerfen, die den gewandelten Bedürfnissen Rechnung tragen.

Wald und ( Stadt- )Klima Dank Schatten und Verdunstungsleistung ist die Temperatur im Wald fünf bis zehn Grad niedriger als in der versiegelten Sied­lungsumgebung. Fachleute der Stadtplanung versuchen, Kaltluftströme aus dem Wald in das überhitzte Siedlungsgebiet zu lenken. Einfach ist das nicht: Gebäude stehen im Weg, und das Strömungsver­ halten ist komplex. Der kontinuierliche Temperaturanstieg macht auch dem Wald zu schaffen. Wie die Bäume mit dem Klimawandel fertig werden, ist ungewiss. Auch wie die Zusammensetzung der Baumarten verändert und gesteuert werden soll, ist noch unklar. Die Anzeichen sind beunruhigend. Immerhin herrscht in der Branche Klarheit bei der Holzver­ wendung: Besser verbauen als verheizen, weil beim Verbauen CO2 eingelagert wird. Verbautes Holz kann auch in 100 oder mehr Jahren noch verbrannt werden.

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Die Möglichkeit, ein Feuer zu machen, ist ein kleines Stück Freiheit und Urtümlichkeit. Zunehmende Trockenheit schränkt das Angebot aber immer mehr ein ( Andelfingen ZH ).

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Zwölf gute Beispiele Mit einem einzelnen Baum die Orientierung erleichtern, uralte Bäume taufen, eine Bühne bieten – oft braucht es nicht viel, um im Wald Orte zu schaffen, die Menschen anziehen.

Orte schaffen Die Stadt Uster wollte die Erholungsqualitäten des nicht bebauten Gemeindegebiets besser erfahr­ bar machen. Die Landschaftsarchitektin Robin Winogrond schlug mehrere Interventionen vor, die den Wald, den Greifensee und die Drumlinland­ schaft gezielt in Szene setzen. Im Forhölzli wurde etwa die ‹ Wildwood Plaza › realisiert: Drei Flächen unterschiedlicher Grösse sind mit stehenden Rundholzstücken gepflastert und mit Trampel­ pfaden verbunden. Im dichten Unterholz entste­ hen kleine Lichtungen mit befestigtem Boden, die dazu einladen, sich niederzulassen und die Um­ gebung zu betrachten. Die Intervention besticht durch die Aufenthaltsqualität, die ungewohnte Sicht auf oder in den Wald und die Ausführung aus Materialien des Waldes. Foto: Robin Winogrond Wildwood Plaza, 2014 Forhölzli, Uster ZH Gestaltung: Robin Winogrond, Zürich Auftraggeberin: Stadt Uster

Uraltbäume ehren Die Waadtländer Gemeinde Baulmes schützt aus­gewählte Baumriesen. Seit 1966 werden ge­ eignete Uraltbäume gekennzeichnet und dürfen ihren biologischen Kreislauf bis zum Absterben und Verrotten vollenden. Mehr als 7000 Bäu­ me haben inzwischen einen Stamm von mehr als zwei Metern Umfang. Sie stehen verteilt auf der 954 Hektar grossen Waldfläche und den 318 Hektar umfassenden Wytweiden von Baul­ mes. Prachtexemplare unter ihnen erhalten Na­ men wie ‹ Président d’honneur › oder ‹ ­Chêne Pré­ sident ›. Der ‹ Sapin Président › etwa wurde 1971 getauft, ist vermutlich rund 450 Jahre alt und hat ein Volumen von 24 Kubikmetern. Sein Umfang bei 1,30 Meter ab Boden beträgt stolze fünf Meter. Er war 42 Meter hoch, als ein Sturm ihn 2003 in 29 Metern Höhe abbrach. Jedes Jahr am letzten Wochenende im Juli würdigt die Bevölkerung die Baummonumente im Rahmen des Fests der Prä­ sidententanne. Auf dem Lehrpfad ‹ Sentier des géants › können Waldbesucher ganzjährig die Mächtigkeit und die Magie der Methusalembäu­ me erleben. Foto: Pascal Junod Uraltbäume, seit 1966 Baulmes VD

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Wald als Baudenkmal Mitten in der Stadt Bern, gegenüber der Müns­ terplattform und unweit des Bundeshauses, liegt an einem steilen Abhang zur Aare ein parkartiger Wald. Die pittoreske Anlage wurde in den Grund­ zügen um 1881 angelegt und ist Teil einer Serie von Promenaden, die in Bern bis ins 16. Jahrhun­ dert zurückgehen. Die Erstellung durch die eng­ lische ‹ Bern Land Company › mutet heute kurios an, passt aber zu damaligen Entwicklungsprojek­ ten im Quartier, welche die Stadt aufgrund der be­ schränkten Mittel nicht selbst realisieren konnte. 30 Jahre später erweiterte der Verschönerungs­ verein Bern die Anlage mit Sandsteinplatten, Tuffsteinmauern und Waldbrunnen entlang eines fein geschwungenen Wegs im Hang. Die Anla­ ge ist heute ein schützenswertes Baudenkmal. In den vergangenen Jahren wurden einzelne Ele­ mente wieder freigelegt oder instand gesetzt und punktuell ergänzt, zum Beispiel mit einem steilen Weg für Kinder, die den Abhang mit Hilfe eines Seils überwinden können. Ein spezieller Pfle­ geplan legt seit 2019 fest, wie die Anlagen und ihre Qualitäten zu erhalten sind. Foto: Jules Etienne Englische Anlagen, 1911 / 2021 Bern Gestaltung: Verschönerungsverein Bern ( 1911 ) ; Umland, Zürich ( 2021 ) Auftraggeber: Verschönerungsverein Bern ; Stadt Bern

Schafe statt Maschinen Der Hardwald in Muttenz ist ein Trinkwasser­ speicher und ein wichtiges Erholungsgebiet für die Bevölkerung. Siedlungen, Industrie und Ver­ kehrsinfrastruktur umgeben ihn auf allen Sei­ ten. Grossflächige, undurchdringliche Brom­beer­ dickichte sind ein zentrales Problem. Durch eine zweimal jährliche Beweidung sollen Teile des heute nahezu geschlossenen Laubwaldes par­ tiell geöffnet und als lichter Wald gestaltet wer­ den. Auf einer Bodenschicht mit Kräutern und Gräsern wachsen die Bäume in Zukunft locker gestreut. Das ergibt ein Waldbild, das ökologisch sehr wertvoll und auch ästhetisch attraktiv ist. Es ist hell und mutet mit viel Blicktiefe fast wie ein Park an. Die Beweidung erfolgt mit Spiegelscha­ fen, einer seltenen Rasse aus dem Bündnerland von Pro Specie Rara. Die Schafe schrecken vor den Brombeeren nicht zurück, zudem sorgt die Beweidung auch dafür, dass auf dem offenen Bo­ den seltene Gefässpflanzen aufkommen, und sie bekämpft Neophyten. Foto: Christian Fluri Beweidung Hardwald, seit 2015 Muttenz BL Trägerschaft: Bürgergemeinde der Stadt Basel ; Amt für Wald beider Basel, Sissach ; Abteilung Natur und Landschaft Kanton Basel-Landschaft, Sissach ; Hardwasser AG, Pratteln

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Sakraler Wald Die Waldkathedrale von Beromünster ist ein Uni­ kum – und ein ausgezeichnetes Beispiel dafür, wie die Gestaltung von Wald über einen ausgespro­ chen langen Zeitraum Wirkung entfalten kann. 1790 beschloss das Generalkapitel der Chorher­ ren von Beromünster, « auf dem buchwäldli blatz beym schlössle spaziergäng anzulegen und mit marroni-bäumen zu besetzen ». Ursprünglich als vierreihige Allee mit kleinen Plätzen an den Enden und Aussichtspunkten in der Mitte geplant, wuchs die Anlage über die Jahre zu einem grossartigen Gebilde in Form einer Kathedrale an. Doch mit der Zeit stellten sich die ersten Zerfallserscheinun­ gen ein. Ab 2009 entstand eine umfassende Do­ kumentation der Anlage und ein Parkpflegewerk unter gartendenkmalpflegerischer Begleitung. Einzelne Rosskastanien und Hagebuchen aus der Erstellungszeit wurden ersetzt. Ein nahe gelege­ ner Grillplatz und Zufahrtsbeschränkungen entlas­ ten die Anlage und schützen sie vor Übernutzung. Bis heute fasziniert die Waldkathedrale und lädt zum Verweilen und zum Genuss der Aussicht auf Stift und Alpen ein. Foto: Boris Bürgisser Waldkathedrale, 1792 Schlösslihöhe, Beromünster LU Gestaltung: Joseph Robert Purtschert Auftraggeber: Chorherrenstift St. Michael

Waldtheater Der Bois de Moncor – Bois de mon Cœur – ist ein Hotspot der Naherholung, inmitten von Einkaufs­ zentren, Uhrenfabriken, Autobahn und Wohnquar­ tieren und nur zwei Kilometer vom Stadtzentrum von Freiburg entfernt. Das Waldstück leistet auch einen Beitrag zur Sensibilisierung der Stadtbe­ völkerung für die Natur und ihre Kreisläufe. Mitten im Wald steht eine offene Bühne, deren elegante und leichte Holzkonstruktion an ein Baumdach erinnert. Mit einer Breite von zehn Metern bietet sie Schulklassen und anderen Gruppen Schutz bei Regen und dient zudem als Raum für klei­ ne Theateraufführungen oder thematische Spie­ le. Man kann die Bühne ganz einfach via Internet reservieren. Damit alles in einem bescheidenen Rahmen bleibt, ist vorgesorgt: Es gibt keinen Elektroanschluss. Foto: VCS / ATE Waldbühne, Bois de Moncor, 2014 Villars-sur-Glâne FR Gestaltung: Nikola Zarić / André Page Auftraggeberin: Corporation forestière Forêts-Sarine, Posieux

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Wald als Park Das Butzenbühl ist ein Hügel, eingeklemmt zwi­ schen Flughafen Zürich und Autobahn. Mit dem Bau des Geschäftszentrums The Circle in un­ mittelbarer Nähe entschieden die Eigentümer, den bislang kaum beachteten Moränenhügel mit Aufschüttungen, Wiesen, Steilhängen und Ersatzaufforstungen aufzuwerten und in einen Park zu verwandeln. Rund die Hälfte des acht Hektar grossen Areals ist rechtlich als Wald ein­ gestuft. Mit einem Wettbewerb lotete die Bau­ herrschaft aus, wie der Wald optimal in die Er­ holungsnutzung integriert werden kann. Studio Vulkan entwickelte gemeinsam mit Forstleuten ein Konzept, das den vielen Mitarbeitenden und Besuchern des Flughafens unterschiedliche An­ gebote macht: Ein urbaner und ein ländlicherer Rundweg verbinden offenes Land mit Waldpar­ tien. Ein grosser Baumkreis aus 200 Blutbuchen wird dereinst das prägende Parkelement bilden. Es gibt sehr diverse Waldbilder, verbunden durch Trampelpfade und angereichert mit Aufenthalts­ möglichkeiten, Open-Air-Kraftraum, Plätzen oder Holzliegen. Die ursprünglich streng schematisch angelegten Rückegassen für die schweren Forst­ maschinen wurden aufgelöst. In einer davon be­ findet sich nun ein langer Tunnel aus Haselsträu­ chern, der überraschend in einen Rastplatz mit Feuerstelle mündet. Foto: Simon Vogt

Orientierung erleichtern Mitten im Wald ist die Orientierung anspruchs­ voll. Schon ein einzelner markanter Baum kann die Orientierung erheblich erleichtern, indem er etwa eine Wegkreuzung von den anderen unter­ scheidet. Richtig platziert, steht der Baum auch den Forstmaschinen nicht im Weg. Die durch den Baum markierte Kreuzung hat noch weiteres Entwicklungspotenzial: Eine runde Sitzbank am Fuss des Baums würde Blicke in alle Wegachsen ermöglichen. Ein unverwechselbar gestalteter Wegweiser kann ebenfalls einen Orientierungs­ punkt schaffen. Kleine Massnahmen, die wenig Geld kosten und erstaunlich viel bewirken. Namenlose Wegkreuzung Agglomeration Zürich

The Park, 2020 Kloten ZH Gestaltung: Studio Vulkan, Zürich, mit Oeplan, Rapperswil-Jona, und Bausatz, Zürich Auftraggeberin: Flughafen Zürich AG, Zürich

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Adliges Ausspannen Balbina von Andlau-von Staal schuf mit ihrem Cousin, dem Domherrn von Arlesheim, einen Landschaftsgarten, auf dessen Hügelspitze das Schloss Birseck stand. 1785 eröffneten die beiden die Anlage als ‹ Solitude romantique près d’Arles­ heim ›. Der Erfolg veranlasste sie, den Garten lau­ fend weiter zu verschönern. 1793 zerstörten fran­ zösische Truppen das Schloss Birs­eck und viele Gartenszenen der Ermitage. Doch schon 20 Jah­ re später entstanden neue Bauten und Einrichtun­ gen. Aus dieser Zeit stammt die typisch romanti­ sche Konzeption der Anlage: Wald und Offenland verschmelzen zu Bildern, in die man eintaucht, um hinter jeder Wegbiegung neue Überraschun­ gen und Gedankenanstösse zu erleben. Heute weisen Tafeln auf die Sehenswürdigkeiten und deren Hintergründe hin. Nach wie vor gilt, was aus dem 18. Jahrhundert überliefert ist: « Man brauchet zwei Stund, um überall bequem herum­ zukommen ; und dennoch dabey ist zu bemerken, dass man niemals zweymal den nämlichen Weg machen muss. » Foto: Balbina Iselin Ermitage, seit 1785 Arlesheim BL Auftraggeber: Balbina von Andlau-von Staal, Heinrich von Ligertz und weitere ( 1785 ) ; Stiftung Ermitage Arlesheim und Schloss Birseck ( seit 1997 )

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Ort der Einkehr Heute ist es kaum vorstellbar, dass irgendwo im Wald eine Freiluftwirtschaft bewilligt würde – die Regeln für Bauten im Wald sind streng. Die Waldschenke Romanshorn gibt es seit 1931, und das Konzept überzeugt bis heute: Mitten im Ro­ manshorner Wald, nur zehn Gehminuten von der nächsten Bushaltestelle entfernt, stehen ein ein­ facher Unterstand für die Getränkeausgabe und Festbänke für 200 Personen. Die minimalistische Infrastruktur lässt keine grossen Menüs zu. So bleibt die Waldschenke ein Ausflugsort, an dem sich im Sommerhalbjahr bei gutem Wetter im kühlen Wald ausspannen lässt. Etwas vom Grill, einen Saft vom Fass, mehr braucht es nicht. Waldschenke, 1931 Romanshorn TG Besitzer: privat

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Ausgezeichnet Schon früh hat sich der Forstbetrieb der Stadt Lausanne für die Bedürfnisse der Bevölkerung in­ teressiert. Eine Besonderheit im Stadtwald von Lausanne ist die gezielte Besucherlenkung durch unaufdringliche landschaftsbezogene Massnah­ men. Den Mittelpunkt der Walderholungsland­ schaft bildet der Forêt de Sauvabelin wenige hundert Meter nördlich der Altstadt. Wege, Pfade, ein Waldweiher, ein Aussichtsturm und ein Wald­ bild, das seit mehr als 40 Jahren gezielt gestal­ tet wird, machen die mehr als 50 Hektar grosse innerstädtische Grünfläche zu einem beliebten Ort der Naherholung. 1993 erhielt der Lausanner Stadtwald den Binding-Waldpreis für seine zu­ kunftsweisenden Massnahmen zur Gestaltung der Stadtwälder und für die umfangreichen Akti­ vitäten in der Öffentlichkeitsarbeit, die das Inter­ esse bei der Bevölkerung gefördert und den Wald zu einem wichtigen Bestandteil des kulturellen Lebens von Stadt und Umland gemacht haben. Foto: F. Beaud Stadtwald, seit den 1980er-Jahren Lausanne Auftraggeberin: Stadt Lausanne

Lern- und Erlebnisraum Waldlehrpfade, um Baumarten kennenzulernen, gibt es zuhauf – doch sie finden kaum mehr Be­ achtung. Nicht so der Walderlebnispfad im Natur­ erlebnispark Sihlwald: Er führt Interessierte auf fantasievolle Weise in die Geheimnisse des Wal­ des ein und lässt sie mit allen Sinnen mit dem Wald in Berührung kommen. Der Pfad umfasst zwölf Stationen auf knapp drei Kilometern. Man kann Jahrringe zählen, Bäume bestimmen, natür­ liche Klangwelten erforschen, beobachten und erstaunliche Dinge entdecken. Dafür braucht es nicht viel: Ein sorgfältig in den märchenhaften Moorwald eingepasster Holzsteg reicht für ein eindrückliches Erlebnis. Dann wiederum lässt sich Totholz als Quelle des Lebens wahrnehmen, man kann herausfinden, wie ein Baum trinkt, sich mit Tieren im Weitsprung messen oder barfuss die unterschiedlichen Waldböden erspüren. So gelingt die Verbindung von Natur, Wissensver­ mittlung und stadtnaher Erholung beispielhaft. Foto: Stiftung Wildnispark Zürich Walderlebnispfad Sihlwald, 2008 Sihlwald ZH Auftraggeberin: Stiftung Wildnispark Zürich, Sihlwald

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Bevor im Frühling das Laubdach wieder dicht wird, ziehen Blütenpflanzen am randabfallende Bilder, setzt zusätzlich Boden für wenige Wochen die Bildlegende Aufmerksamkeit auf sich. Bärlauch nurAare im Themenheft einen olfaktorischen Akzent ( Alte bei Aarberg BE ).

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Pionier der Erholungsinfrastruktur: Der Verschönerungsverein Zürich und Umgebung ( VVZ ) kümmerte sich ab 1873 um den Bau und den Unterhalt zahlreicher Anlagen, etwa des ‹ Leiterli › beim Uto-Kulm ( Bild um 1900 ).

Der Ausschnitt einer Karte des VVZ von 1914 zeigt Waid- und Käferberg. Mit der Karte konnten Erholungsuchende sich einen Überblick über die Angebote verschaffen.

Die Anfänge der Waldgestaltung Während der Industrialisierung begannen Gartenkünstler und Forstleute in Europa damit, Waldparks zu gestalten. Ein Blick zurück auf die ersten ‹ Schönheitswälder › der Schweiz. Text: Philipp Maurer

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Im ausgehenden 19. Jahrhundert vervielfachte sich die Einwohnerzahl in den Städten. Diese reagierten mit Neubauquartieren und Blockrandbau auf die grosse Zuwanderung. Haupttreiber der Expansion waren die Industrialisierung und der Quantensprung in der Mobilität durch die Eisenbahn. Das sich im Aufbau befindliche Stromnetz befreite die Industrie vom Zwang, ihre Standorte direkt an einem Wasserlauf zu suchen, und ermöglichte Standorte in den Zentren. Dort schuf die industrielle Produktion Arbeitsplätze für immer mehr Menschen, auf dem Land hingegen wurden es immer weniger. Die Industrialisierung führte zu völlig veränderten Lebensbedingungen und schuf mit geregelten Arbeitszeiten trotz hoher Wochenstundenzahl ein neues Phänomen: Freizeit. Freizeit bedeutet auch Zeit für Erholung. In der Stadtplanung reifte die Überzeugung, dass die Versorgung der Bevölkerung mit Frei- und Grünflächen wichtig ist für die Erholung. Aufgrund der begrenzten innerstädtischen Flächen gerieten die stadteigenen Wälder oder Teile von

Waldkomplexen zunehmend in den Fokus. Ab 1880 begannen Gartenkünstler und Forstleute in zahlreichen Städten Europas, Wälder an geeigneten Lagen gartenkünstlerisch zu überformen und eigentliche Waldparks zu schaffen. Es entstanden gezielte Waldbilder, Spazierwege, Brücken, Trinkbrunnen, Aussichtsterrassen, unzählige Sitzbänke, Pavillons und sogar Ausflugsrestaurants. Findlinge erhielten fantasievolle Namen, so der Druidenstein oberhalb von Morschach. Felsblöcke wiederum wurden mit einer Leiter ausgestattet und zur Aussichtskanzel umgenutzt, wie das Känzeli auf dem Uetliberg. Grotten oder Einzelbäume wurden in Szene gesetzt, und vereinzelt tauchten Kunstobjekte wie Plastiken oder Denkmäler auf. Unterstützung erhielten diese Initiativen aus den aufstrebenden Kreisen, die sich mit der Gestaltung des Raums, mit Kunst und Kunsthandwerk auseinandersetzten, namentlich Verschönerungsvereine und Heimatschutz. In ganz Deutschland gibt es zahlreiche Beispiele für Waldparks. In der Schweiz entstanden etwa Anlagen in Zürich auf dem Waidberg oder beim Burghölzli, in Bern die Englischen Anlagen am Aarehang siehe ‹ Zwölf gute Beispiele ›, Seite 9 oder in Morschach der Park des Grandhotels Axen­stein mit gedrucktem Parkführer für die Gäste. Die Liste ist bedeutend länger.

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Ein Unikum in Solothurn Eine bemerkenswerte Anlage ist der Waldpark Wengi­ stein zwischen Solothurn und Rüttenen. Bereits vor mehr als 200 Jahren faszinierte die Verenaschlucht mit markanten Felsformationen, einem Bachlauf und einer Einsiedelei aus dem 12. Jahrhundert. Um 1813 errichteten die Solothurner neben der Schlucht auf einer Kuppe im Wald ein Denkmal für den Friedensstifter Niklaus Wengi mitsamt Aussichtspunkt und Pavillon. Ab 1895 wurde das Ergebnis eines Wettbewerbs zur ‹ Verschönerung und Verbesserung des Areals › schrittweise umgesetzt. Die Ini­ti­an­ten legten ein Wegnetz und ein Wasserbecken an, integrierten einen ehemaligen Steinbruch und würdigten verdiente Solothurner Persönlichkeiten mit Inschriften. Mit Lichtungen und Baumpflanzungen oder Einfriedungen aus Zement-Ast-Gebilden schufen sie Plätze. Heute unterhält die Bürgergemeinde Solothurn den etwas in Vergessenheit geratenen Waldpark Wengi­stein auf der Basis eines Parkpflegewerks. Die Anlage bietet auf kleinem Raum unterschiedliche Erlebniswelten und verbindet gekonnt Naturschauspiel mit Elementen der Gartenkunst. Ein Unikum: Die Einsiedelei am Nordausgang der Verenaschlucht ist bis heute bewohnt. Ästhetische Kriterien in Zürich Engagierte Personen gründeten 1873 den Verschönerungsverein Zürich und Umgebung ( VVZ ) mit dem Ziel, sich für die Erhaltung und Nutzbarmachung der landschaftlichen Schönheiten in und um den Wald der Stadt Zürich einzusetzen. Angelehnt an romantische Ideen der Parkgestaltung, hielt eine vollkommen neue Sicht auf den Wald Einzug. Die Bewirtschaftung ausgewählter Waldbestände in Stadtnähe erfolgte nicht mehr nach rein ökonomischen Prinzipien, sondern nach Kriterien der Ästhetik und der Erholung. In unmittelbarer Nähe zur Stadt legte der VVZ in Zusammenarbeit mit dem Direktor des Gartenbauamts und dem Stadtforstmeister neue Spazierrouten an und errichtete punktuelle Landmarken. Kommunikative Massnahmen wie Karten mit Ausflugsempfehlungen begleiteten die Waldparkanlagen. Wiederentdeckung von Natur und Landschaft An Tagungen zur Stadtentwicklung diskutierten Fachleute über Waldparks und forderten den ‹ Schönheitswald ›. Auch entsprechende Fachliteratur wurde verfasst: Kurz vor der Wende zum 20. Jahrhundert schrieb der Deutsche Heinrich von Salisch das Buch ‹ Forstästhetik ›. Theodor Felber, Forstprofessor an der ETH Zürich, veröffentlichte 1906 ‹ Natur und Kunst im Walde ›, in dem auch die Satzungen des im Jahr davor gegründeten Schweizer Heimatschutzes abgedruckt waren. Das zeigt das Umfeld seines Denkens: Felber orientierte sich an der internationalen Heimatschutzbewegung, am Begriff der landschaftlichen Schönheit, am Zeitgeist der Wiederentdeckung von Natur und Landschaft, am ‹ Gesicht › und am ‹ Ausdruck › des Landes, gedacht als Gegensatz zu den negativen Auswirkungen der Industrialisierung. Das Waldparkerlebnis beruhte schon damals auf der Wirkung des Waldes auf seine Besucherinnen und Besucher. Auf flächenmässig begrenzten Waldpartien rückten gestalterische Ideen in den Vordergrund und wurden damit der Holz- und Forstwirtschaft übergeordnet. Vielerorts sind die Anlagen nach wie vor ausgesprochen beliebt. Einige sind nur noch knapp erkennbar, andere wurden in den vergangenen Jahren unter gartendenkmalpflegerischer Begleitung instand gestellt. Sie bilden bis heute eine inspirierende Quelle für die Gestaltung des stadtnahen Erholungswaldes.

Weiterbildungsangebote

Weiterführende Literatur

In jüngster Zeit sind Weiterbildungsangebote rund um die Erholung im Wald und den Umgang mit Bäumen in einem urbanen Umfeld entstanden. Sie richten sich an Berufsleute aus der Landschaftsarchitektur, der Raum- und Städteplanung, der Forstwirtschaft oder der Baumpflege.

–T heodor Felber: Natur und Kunst im Walde. Vorschläge zur Verbindung der Forstästhetik mit rationeller Forstwirtschaft. Huber, Frauenfeld 1906 ( antiquarisch erhältlich ).

Gestaltung von Erholungswäldern Veranstalter: Ostschweizer Fachhochschule OST in Zusammenarbeit mit der Berner Fachhochschule BFH In diesem Weiterbildungsmodul geht es um Erholungsinfrastruktur und wie diese zweckmässiger anzulegen ist, um die Sinneseindrücke sowie den Erlebniswert für Waldbesucher zu steigern. Im Vordergrund steht die Wissensvermittlung zu Erholung und Waldbau, zur Ästhetik des Waldes, zum Entwurf konkreter Gestaltungsmassnahmen, zur Orientierung im Wald und zu rechtlichen und ökonomischen Aspekten des Erholungswaldes. www.ost.ch / weiterbildung Urban Forestry Veranstalter: FH Graubünden In diesem CAS lernen die Teilnehmenden verschiedene Themenfelder des urba­nen Waldes kennen: Baum und Wald, Umwelt und Ökologie, urbane Landschaft, Stadt, Gesellschaft. Zudem erwerben sie die erforderlichen partizipativen Kom­ munikationsstrategien, die zu einer städtischen Gesamtheit beitragen. Im Praxismodul wird ein konkretes Projekt umge­setzt. Die Fachkurse können auch einzeln gebucht werden. www.fhgr.ch / weiterbildung Erholungswald Veranstalter: Netzwerk Fortbildung Wald und Landschaft Der eintägige Kurs mit Exkursion be­ handelt aktuelle Fragen zu Freizeit und Erholung im Wald. www.fowala.ch Wald, Landschaft & Gesundheit Veranstalter: ZHAW, Wädenswil Wald und Landschaft sind gut für Körper und Geist. Die Teilnehmenden dieses CAS lernen die Technik der Waldtherapie und der Landschaftstherapie. Sie er­fahren, wie Waldbaden und Waldachtsamkeit gesundheitsfördernd eingesetzt werden können. www.zhaw.ch / de / lsfm / weiterbildung

– Heinrich von Salisch: Forstästhetik. Vero, Norderstedt 2019 ( Nachdruck von 1911 ). Fr. 44.— bei Hochparterre Bücher. – Ernst Zürcher: Die Bäume und das Unsichtbare. Erstaunliche Erkenntnisse aus der Forschung. AT Verlag, Aarau 2020. Fr. 34.— bei Hochparterre Bücher. Das Buch des Forstingenieurs und Professors für Holzwissenschaften an der Berner Fachhochschule blickt hinter die Erscheinungen der Bäume. Der Autor versammelt traditionelles Wissen und Erkenntnisse aus der Forschung, etwa über die Gezeiten in Baumstämmen, den kosmischen Puls der Knospen, Mondholz oder die neue Fruchtbarkeit der Erde. Wie wirken ein Holzhaus, ein Holzfeu­er oder Waldluft auf unsere Gesundheit ? Diese und viele andere Fragen beantwortet Ernst Zürcher in leicht zugänglicher Sprache und gibt zudem Handlungsanweisungen für die Zukunft. –S usanne Karn, Brigitte Nyffenegger ( Hrsg. ): Erholung in siedlungsnahen Wäldern. Früher, heute und in Zukunft. Vdf Hochschulverlag, Zürich 2022. Fr. 38.— bei Hochparterre Bücher. Das Buch schlägt den Bogen von grundlegenden Erkenntnissen zur Erholung im Wald über historische bis hin zu aktuellen Beispielen von Erholungswäldern. Der Blick der Herausgeberinnen geht ins Küsnachter Tobel, in den Stadtwald von Brüssel oder auf den Zürcher Käferberg. Wertvoll sind sowohl die Toolbox als auch die konkreten Vorschläge für die Gestaltung von urbanen Wäldern. – Markus Bühler: Waldbilder. AT Verlag, Aarau 2023. Fr. 42.— bei Hochparterre Bücher. Die grossformatigen Bilder in diesem Themenheft stammen von Markus Bühler. Der Zürcher Fotograf hat in seinem Bildband ‹ Wald­bilder › vielfältige Schwei­zer Waldwelten vom Flachland bis in die Al­pen versammelt: Misch­ wälder mit Totholz und verschlungenen Lianen, markante Bergwälder mit Arven und Lärchen.

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Der Wald ist das Ziel Ein Manifest an die Adresse von Forstleuten, Stadt- und Landschaftsplanerinnen sowie Politikern. Text: Philipp Maurer

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Ein Konzept muss her Erholung darf auch im Wald nicht planlos entwickelt und zufällig abgewickelt werden. Es braucht eine Vorstellung des Wie, des Wieviel und des Wozu. Ein Erholungskonzept bildet die Grundlage für kurz-, mittel- und lang­fristige Mass­nahmen, zeigt den Investitionsbedarf, fördert die effizi­ente Bewirtschaftung und unterstützt die Kom­muni­kation mit der Öffentlichkeit. Den Waldentwicklungsplan nutzen Der Richtplan der Raumplanung heisst im Wald Waldentwicklungsplan. Er muss das Thema Erholung stärken. Wo hat sie erste Priorität ? Wo kann erfolgreich ein Nebeneinander von Erholung, Holzproduktion und Biodiversität realisiert werden ? Durch den Wald­entwicklungsplan werden Erholungskonzepte verbindlicher. Er kann auch die Basis bilden für ein gesetzliches Vorkaufsrecht siehe Punkt 3. Landabtausch und Vorkaufsrecht Wo die Erholung im Vordergrund steht, steht auch ein öffentliches Interesse im Vordergrund. Deshalb sollten diese Flächen der Allgemeinheit gehören. Oft kann das mit einem Abtausch von Parzellen zwischen Privaten und Gemeinden erreicht werden. Um den Handlungsspielraum der Gemeinden zu erhöhen, braucht es in den kantonalen Waldgesetzen ein Vorkaufsrecht für Waldparzellen, die an Schlüsselstellen in Bezug auf die Erholung liegen. Ein solches Instrument gibt es beispielsweise im Kanton Zürich in der Freihaltezone. Es stellt keinen Eingriff in die Rechte von Eigentümerschaften dar. Betriebspläne erweitern Eine Stufe unterhalb des Waldentwicklungsplans regeln die Betriebspläne die waldbaulichen Ziele und die Menge Holz, die dem Wald entnommen werden darf. Die Er­holungsmassnahmen sind darin so festzuhalten, dass das Ziel auch über einen langen Zeitraum nicht aus den Augen gerät. Punktuell kann ein separates ( Wald- ) Parkpflegewerk förderlich sein. Die Musik spielt auf Gemeindeebene Die Gemeinden sind verantwortlich für ihre bauliche Entwicklung und damit auch für die Bevölkerungsentwicklung und die damit verbundenen Erholungsmöglichkeiten. Weil sie die lokale Situation am besten kennen, sollten sie auch die Erholungsinfrastruktur im Wald bereitstellen und unterhalten – genau wie die kommunale Infrastruktur generell.

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Kompetenz aufbauen Forstbetriebe sind meist hervorragend organisiert und bestens dafür geeignet, den Erholungswald zu pflegen. Oft fehlt es ihnen aber an Wissen über Erholungsplanung und Waldästhetik. Es braucht Weiterbildungsangebote für Berufsleute auf allen Stufen siehe ‹ Weiter­ bildungsangebote ›, Seite 17. Waldästhetik muss zum Pflichtfach für Forstleute werden. Mehr Abwechslung Die Dauerwaldbewirtschaftung führt zu Monotonie in den Waldbildern. Es gilt, an geeigneten Orten ab­ wechslungsreiche Waldbilder zu entwickeln und zu gestalten. Mehr Abwechslung führt zu mehr Erholung. Wettbewerbe veranstalten Für eine bessere Gestaltung gilt es, den Wettbewerb zu stärken. Kon­kurrenzverfahren unter interdisziplinären Teams führen zu mehr Lösungsansätzen und damit zu besseren Er­gebnissen. Sinneseindrücke verdichten Der Erholungswert steht in direkter Relation zu vielfäl­ tigen Sinneseindrücken. Markante Einzelbäume, besondere Wuchsformen, Pflege der Unterschicht ( Gras, Blumen ), überlange Umtriebszeiten, Tunnelwirkungen, Wegführungen oder Landmarken stimulieren die Sinne. Möblierung und feste Anlagen sind zweitrangig. Eingangstore und Ziele schaffen Wie komme ich zum Wald ? Wo geht es hinein ? Erkenn­ bare Routen und Eingangstore machen es den Erholung­ suchenden leichter. Zudem bevorzugen die Menschen Spaziergänge mit einem Ziel. Das kann etwa ein Rast­platz oder ein Aussichtspunkt sein, aber auch ein Ort, an dem die Schlüsselblumen im Frühling zuerst blühen, eine Baumgruppe aus Roteichen ihre eindrückliche Herbst­ färbung zeigt oder ein 300 Jahre alter Baumriese steht. Die Orientierung verbessern Nicht alle können Karten lesen oder sich die Umgebung einprägen. Gestalterische Massnahmen erleichtern die Orientierung. Die Besucher erkennen eine Kreuzung wieder, weil sie sich von der vorherigen unterscheidet. Ein markanter Baum am Wegrand bleibt in Erinnerung. Auch zeitliche Orientierung hilft: Spaziergängerinnen sollen – wie es Jogger schon heute können – unter ausgeschilderten Strecken unterschiedlicher Länge wählen können.

Erholungswald kostet weniger als urbaner Freiraum Die Erholungsleistung wird für die Gesellschaft erbracht und muss entsprechend abgegolten werden. Der Wald steht anderen öffentlichen Angeboten in Bezug auf die Besucherzahlen nicht nach, weshalb Steuergelder der Gemeinden für die Erholung im Wald gut eingesetzt sind. Ein vielfältiger, attraktiv gestalteter Erholungswald kostet pro Quadratmeter nur einen Bruchteil des Parkunterhalts im Siedlungsraum.

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Es ist ein kleines statisches Wunder, wie sich riesige Bäume mit ihren Wurzeln im Boden festkrallen ( Sihlsprung ZH  ).

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Wald kann mehr

Die Grünflächen in den Bauzonen nehmen ab, die bestehenden geraten durch Verdichtung unter Druck – die Waldfläche aber bleibt gleich. Der Wald im Siedlungsgebiet ist eine wichtige Ressource der Zukunft – als Erholungs- und Klimaraum, als Ort der Kontemplation und als gesundheitswirksamer Freiraum. Das vorliegende Heft erklärt, wie und warum der Wald gepflegt, bewirtschaftet und weiterentwickelt werden muss und was das planerisch und politisch bedeutet. Ein Manifest in zwölf Punkten fasst zusammen, was wo und wie verändert werden kann und muss, um die Erholungsleistungen des Waldes im Siedlungsraum zu stärken. Mit freundlicher Unterstützung von: Hamasil Stiftung

Kanton Zürich, Amt für Landschaft und Natur, Abteilung Wald Kanton Aargau, Departement Bau, Verkehr und Umwelt Kantonsforstamt St. Gallen

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