Massanzug für Spitzenforschung

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Themenheft von Hochparterre, April 2021

Massanzug für Spitzenforschung Das Biozentrum ist der erste Baustein des Life-Sciences-Campus der Universität Basel – eine sinnliche Technikmaschine, die Stadtraum und Spitzenforschung zusammenbringt.

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Die Schreibtischarbeitsplätze der Forscherinnen und Forscher auf den Laborgeschossen liegen in den tiefen Fenster­nischen. Am Ende des Gangs, der Labor und Büro trennt, liegt das Professorenbüro.

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Editorial

Ein Generationenbau

Inhalt

4 Stadtbausteine Ein Blick auf die Architekturgeschichte.

6 Die Umarmung des Ungetüms

Struktur, Raum und Technik im Einklang.

10 Fünf Architekturthemen Eingangshalle, Laborgeschosse, Fassade, Aussenräume und Gebäudetypus: eine architektonische Würdigung.

22 « Es brauchte einen Magneten » Die Projekte der engeren Wahl, die Jury und ein Gespräch mit Jurymitglied Astrid Staufer.

Die Universität Basel ist heute auf mehr als achtzig Gebäude im Gebiet von Basel-Stadt und Basel-Landschaft verteilt. Deshalb will sie ihre sieben Fakultäten auf fünf Campusareale kon­zen­trie­ren. Eines davon ist das Schälle­ mätteli-Areal direkt neben der Universitätsklinik mitten in Basel. Wo bis 2004 noch ein Basler Gefängnis stand, wird heute am Life-Sciences-Campus gebaut. Bis 2029 werden hier die Departemente Biologie, Biomedizin, Pharmazeutische Wissenschaften und das Departement Biosystems Science and Engineering der ETH Zürich mit einer modernen Infrastruktur zusammenfinden. In einer zweiten Etappe ist die Erneuerung der Bauten für Physik und Chemie geplant. Erster realisierter Baustein des Campus ist das Bio­zen­trum, dessen Wettbewerb das Nachwuchsbüro Ilg Santer Architekten 2010 gewonnen hat. Gesucht war ein « städtebaulich und architektonisch profilierter Neubau », der ein identitätsstiftendes Zeichen setzt und die Mitte des neuen Campus definiert. 2020 wurde das Ge­ bäude fertiggestellt. Aufgrund von Kosten- und Terminüberschreitungen ist seine Architektur lange Zeit in den Hintergrund gerückt. Deshalb will das vorliegende Themenheft die Architektur des Bio­zen­trums und seinen Beitrag an die Stadt feiern. Der Bau ist nicht nur eine funktio­ nal organisierte Maschine, er schenkt Basel auch einen spektakulären Innenraum – die öffentliche Eingangshalle ist notabene der einzige Raum, der im Wettbewerb nicht explizit verlangt war. In ihrem Text ‹ Die Umarmung des Ungetüms › beschreibt Deborah Fehlmann, welche Freiheiten im Grundriss die Verschränkung von Struktur und Haustechnik ermöglicht. Die Architektur wird entlang der Stationen Eingangshalle, Laborgeschosse, Fassade und Aus­sen­räume gewürdigt. In einem Gespräch blickt Jurorin Astrid Staufer zurück auf den Wettbewerb und verortet den Entwurf von Ilg Santer in der Reihe der Projekte der engeren Wahl. Der Typologie des Forschungs- und Bildungsbaus ist Isabel Borner nachgegangen und hat in der Architekturgeschichte nach Vorbildern gesucht. Die Bilder hat der Basler Architekt und Fotograf Daisuke Hirabayashi gemacht. Entstanden ist ein sinnlicher Bilder­ essay einer gewaltigen Technikmaschine.  Roderick Hönig

Impressum Verlag  Hochparterre AG  Adressen  Ausstellungsstrasse 25, CH - 8005 Zürich, Telefon + 41 44 444 28 88, www.hochparterre.ch, verlag @ hochparterre.ch, redaktion @ hochparterre.ch Verleger  Köbi Gantenbein  Geschäftsleitung  Andres Herzog, Werner Huber, Agnes Schmid  Verlagsleiterin  Susanne von Arx  Konzept und Redaktion  Roderick Hönig  Fotografie  Daisuke Hirabayashi, www.daisukehirabayashi.com  Art Direction  Antje Reineck  Layout  Barbara Schrag  Produktion  Linda Malzacher  Korrektorat  Lorena Nipkow, Dominik Süess  Lithografie  Team media, Gurtnellen  Druck  Stämpfli AG, Bern Herausgeber  Hochparterre in Zusammenarbeit mit Ilg Santer Architekten  Bestellen  shop.hochparterre.ch, Fr. 15.—, € 12.—

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Monofunktionaler Stadtbaustein: Der Brahms-Kontor von 1931 war damals der höchste Profanbau Hamburgs. Wie bei allen Kontorhäusern richten sich Pfeilerabstände und Fenstergrössen nach dem Platzbedarf eines Pults oder einer Pultgruppe. Foto: Ulrich Schaar­ schmidt / Wikimedia Commons

Gemischt genutzter Blockrandbau: Das Schiller Theater Building in Chicago wurde 1892 von Adler & Sullivan erstellt und 1961 zurückgebaut. Die Architekten kombinierten darin ein Theater mit Büroräumlichkeiten und einem Privat­ club. Foto: Library of Congress /  Wiki­media Commons

Stadtbausteine Schon vor über hundert Jahren prägten grosse, kompakte und gemischt genutzte Gebäude mit vielfältigen Programmen die Städte. Ein Blick auf die Architekturgeschichte. Text: Isabel Borner

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Mit einigen Forschungs- und Bildungsbauten der letzten Jahre hat ein neuer Gebäudetypus in Schweizer Städten Einzug gehalten. Diese neueren Monumente der Wissenschaft sind voluminös, tief und kompakt, haben einen gros­s en Fuss­abdruck, und ihre gemischten Nutzungen sind in die Höhe und in die Tiefe gestapelt. Wie im Biozentrum Basel werden etwa auch im Turm der Fachhochschule Nordwestschweiz in Muttenz oder in der zum Fach-

hochschulcampus der Zürcher Hochschule der Künste umgebauten Molkerei auf dem Toni-Areal in Zürich umfangreiche Institutionen zusammengeführt, deren einzelne Abteilungen vorher in den Städten verteilt waren. Das führt zu komplexen Raumprogrammen. Ihre schiere Grös­s e – oft haben die Gebäude einen Fuss­abdruck von mehreren Tausend Qua­drat­metern – macht ihre Integration in das städtische Gefüge zu einer Herausforderung. Die Kon­zen­tra­ti­on auf einen Standort hat zwar den Vorteil, dass gros­se Infrastrukturen in der Stadt bleiben und diese tagsüber beleben. Nicht selten sprengen sie aber den städtischen Massstab. Drei Beispiele aus der Architektur-

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geschichte zeigen, welche Antworten die Architekten vor mehr als hundert Jahren auf den Massstabssprung, die gemischte Nutzung und die Anschlussfähigkeit an die Stadt gefunden haben: die Hamburger Kontorhäuser und aus den USA der vorletzten Jahrhundertwende vielgeschossige Blockrandbauten und die ersten Hochhäuser. Alle diese Gebäude­arten sind in einer Zeit wirtschaftlicher Prosperität entstanden. Die Kontorhäuser als urbane Schwergewichte mit monofunktionaler Nutzung, ähn­ lichem Grund­riss­prin­zip, einheitlichem Tragsystem und Fassadenmaterial. Die New Yorker Wolkenkratzer und die massigen Stadtbausteine in Chicago als parzellengrosse Gebäude, in denen zwischen den einzelnen gestapelten Nutzungen thematische oder ergänzende Verbindungen hergestellt wurden. USA: Parzellenfüllend in die Höhe In seinem 1985 erschienenen Artikel ‹ Hybrid Buildings › beschreibt Joseph Fenton diese gemischt genutzten städtischen Grossbausteine, von denen die ersten in den USA mit der Industrialisierung entstanden sind. Die Dimension der Parzelle oder des städtischen Blocks innerhalb des orthogonalen Rasters, der vielen amerikanischen Städten zugrunde lag, definierte die Grös­se dieser Gebäude. Ihr Entstehen war eine Folge der explodierenden Bodenpreise in Verbindung mit den technischen Neuerungen des späten 19. Jahrhunderts: Stahlrahmenkonstruktion, Fahrstuhl, Telefon, elektrische Verkabelung, zentrale Heizung und Belüftung. Mit ihren Dimensionen übertrafen sie alles vorher Dagewesene. Ein berühmtes Beispiel für einen frühen thematischen Nutzungsmix ist der Downtown Athletic Club, erbaut 1931 von Starrett & van Vleck. Die 38 Etagen des Hochhauses erhoben sich auf einer Grundfläche von 23 auf 54 Metern. In den ersten zwölf Geschossen beherbergte es einen Sportclub mit verschiedensten Anlagen, etwa ein Schwimmbad und eine Squash-Etage. Ein Massage­salon, eine Austernbar und weitere Restaurants ergänzten das Programm. In den obersten 15 Stockwerken befanden sich Einzelzimmer, ein ‹ Boarding House › für die gut betuchten Nutzer des Hauses. In seinem Buch ‹ D eliri­ous New York › beschreibt Rem Koolhaas den Downtown Athletic Club und diese Art von Hochhäusern euphorisch als « Vervielfachung der Landfläche in die Höhe ». Er hebt die Gleichzeitigkeit des städtischen Lebens hervor, das nicht mehr nebeneinander, sondern konzentriert in einem Gebäude übereinander stattfindet. Ein weiteres Beispiel eines gemischt genutzten Stadtbausteins, der aber noch kein Hochhaus ist, ist das Schiller Theater Building in Chicago aus dem Jahr 1892. Die Architekten Adler & Sullivan kombinierten ein Theater mit Büros und einem Privatclub. Wie beim Downtown Athletic Club verbarg eine konventionelle Steinfassade die programmatische Vielfalt. Anders als im Hochhaus, wo die Nutzungen lediglich gestapelt wurden, gingen in Chicago Grundriss und Schnitt mit dem Programm eine schlüssige und räumlich attraktive Verbindung ein. Ein Tragwerk ermöglichte die flexible Einteilung der Grundrisse. Der Theatersaal war das von aus­s en unsichtbare Raumwunder, das sich vom Erdgeschoss bis in das fünfte Obergeschoss entwickelte. Obgleich das Biozentrum in Basel ausschliesslich Universitätszwecken dient, ist auch es ein ‹ Hybrid Building ›. Wie beim Schiller Theater Building macht sein strukturelles Konzept es möglich, dass sowohl Labor- und Bürogeschosse als auch eine offene, mehrgeschossige Halle im selben Fuss­abdruck Platz finden. Per definitionem gilt das Biozentrum zwar als Hochhaus, aber im Vergleich zum doppelt so hohen Downtown Athletic Club ist

es eher ein hohes Haus. Beide Hüllen verraten kaum etwas über die Nutzungsverteilung, anders als in New York spielt der kleine Fuss­abdruck in Basel allerdings Platz rund um das Gebäude frei und erinnert damit – und auch mit der Fassadengestaltung – eher an die Hochhäuser der amerikanischen Nachkriegsmoderne. Hamburg: Bautyp Kontorhäuser Ähnlich im Volumen, aber nur als Bürohäuser geplant, sind die Hamburger Kontorhäuser. Sie waren die wesentlichen Bausteine eines Stadtumbaus, der jede ältere Baustruktur verdrängte. Trotz der Radikalität des Umbaus erfuhren diese städtischen Bürobauten von Anfang an eine hohe gesellschaftliche Akzeptanz, was nicht zuletzt ihrer sorgfältigen Gestaltung geschuldet ist. Auf einen Schlag wurde das vier- bis fünfgeschossige Hamburger Bürgerhaus, das sich an der kleinteiligen Parzellenstruktur der mittelalterlichen Stadt orientierte, durch sechs- bis zwölfgeschossige, blockfüllende Bauten ersetzt. Der Nutzungsmix von Wohnen und Arbeiten wich dem monofunktionalen Mietbürohaus. « Stockwerkhäuser mit äusserster Ausnützungsfähigkeit in Grundfläche und Höhe ; untereinander möglichst benachbart und nicht zu weit von der Börse gelegen », beschrieb der Architekt und Zeitgenosse Hermann Distel sie im 1926 erschienenen Buch ‹ Die Hamburger Kontorhäuser ›. Sie zeichneten sich durch einen zentralen Erschliessungskern und frei einteilbare Geschossflächen aus. Möglichst viele Stützen wurden an die Aussenflächen verlegt, was den Kontorhäusern ihre charakteristische vertikale Fassadenstruktur verlieh. Sichtbar zutage tretende Pfeiler bestimmten deshalb die Fassaden. Die Pfeilerabstände und Fenstergrössen richteten sich nach dem Platzbedarf für ein Pult und einen Sitzplatz oder für eine Pultgruppe. Beim Biozentrum ist das ähnlich: Das Labormöbel steht als Grundmodul am Anfang des Grundrisses. Die liegenden Fensterformate bilden das Achsmass nach aus­s en ab. Ein wesentlicher Unterschied ist die monofunktionale Nutzung der Kontorhäuser, die geringere Ansprüche an das Tragwerk stellte, was zu einem einheitlichen Tragsystem führte. Backstein als Fassadenmaterial, ein ähnliches Grundrissprinzip und die Dreiteilung der Fassaden in Sockel, Mittelpartie und Dachabschluss wiederholten sich bei der Mehrheit der Kontorhäuser. Integration in das Stadtgefüge Bei den neueren Forschungs- und Bildungsbauten in der Schweiz hat sich noch kein einheitlicher Typus he­ raus­gebildet. Sie sind zu gross und ihre Programme zu heterogen, als dass sich eine wiederkehrende Lösung hätte etablieren können. Was sich wiederholt, sind jedoch die Herausforderungen, denen sich diese Bauten stellen müssen. Da sie in der Stadtlandschaft oft als Solitäre erscheinen, sind ihre Verbindungen zur Stadt und ihre Beziehungen zur unmittelbaren Umgebung entscheidend. Das Biozentrum bietet mit seiner Nutzungsanordnung und der dreiseitigen Öffnung der gros­sen Eingangshalle auch Stadtraum an. Indem sich das Foyer von der rigiden Struktur der oberen Geschosse loslöst, demonstriert es deren Flexibilität und zelebriert gleichzeitig die Öffentlichkeit. Der Blick zurück zeigt: Wenn ein städtischer Grossbaustein heute mit einer gemischten Nutzung, einer flexiblen Gebäudestruktur und öffentlichem Raum ein sinn­ volles Angebot an die Stadt formuliert, gelingt auch die Integration in das Stadtgefüge. Erst dann entstehen Gebäude, die mit ihrer unmittelbaren Umgebung kommunizieren und gleichzeitig einen Beitrag für die Stadt als Ganzes leisten können.

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Literatur – Hamburger Kontorhäuser. Hermann Hipp und Hans Meyer-Veden. Ernst & Sohn, Berlin 1988. – Hybrid Buildings. Jo­seph Fenton. In: Pamphlet Architecture No. 11. Prin­ ceton Architectural Press, Hudson 1985. –D elirious New York. Ein retroaktives Manifest für Manhattan. Rem Koolhaas. Arch +, Aachen 1999 ( 1978 ).

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Die Umarmung des Ungetüms

Regelgeschoss

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Der Entscheid für einen Turm und ein kluges strukturelles Konzept bilden die Fundamente des Entwurfs für das Biozentrum. Ilg Santer Architekten bringen Struktur, Raum und Technik in Einklang. Text: Deborah Fehlmann, Pläne: Ilg Santer Architekten

Labormöbel sind auf der ganzen Welt gleich gross, nämlich 120 Zentimeter breit und 90 Zentimeter tief – zumindest das Grundmodul. Damit sich die Normmöbel in Norm­ab­ stän­den zueinander aufstellen lassen, sollen Laborbau­ ten einen Achsraster zwischen 6,8 und 7,2 Metern haben. Das war das Erste, was Andreas Ilg und Marcel Santer lernten, als sie 2009 als Nachwuchsteam mit dem Wett­ bewerbsentwurf für das neue Biozentrum der Universi­ tät Basel begannen. Heute, zehn Jahre später, referiert Andreas Ilg aus dem Stegreif über die Spezifikationen von verschiedenen Labor-Schutzstufen, die räumlichen Anfor­ derungen eines Kernspinresonanzspektrometers und die Herausforderungen der Planung anderer wissenschaftli­ cher Technologieplattformen und Speziallabors. Schnell wird klar: Die aufgeräumte Chromstahlhülle des neuen Forschungsturms täuscht. Im Innern ist das Gebäude eine komplexe Maschine, konfektioniert auf die individuellen Ansprüche von vierzig Forschungsgruppen. Wie bändigt man ein solches Ungetüm ? Am Anfang standen zwei Grundsatzentscheide: ers­ tens, einen Turm zu bauen. Zugunsten eines möglichst grosszügigen Aussenraums stapelten die Architekten die Nutzungsflächen in die Höhe und verstauten so viel wie möglich im Untergrund. So fasst der sichtbare Teil des Baus – der 16-stöckige Forschungsturm – nur gerade sech­ zig Prozent des Gesamtvolumens. Der ganze Rest verteilt sich auf die drei weitaus grossflächigeren Untergeschos­ se. Zweitens entschieden sich Ilg Santer Architekten für ein starkes strukturelles Konzept. Tragend sind nur die Fassadenstützen und die vier massiven Kerne des recht­ eckigen Turms. Dazwischen sind die Geschosse frei un­ terteilbar. Der Flächenbedarf der vierzig Professuren definierte den Fussabdruck, und ihre normierten Labo­ ratorien gaben die sieben Meter Achsabstand der Fassa­ denstützen vor. Pro Regelgeschoss teilen sich vier Profes­ suren, die je einen gleich gros­sen Qua­dran­ten besetzen, eine gemeinschaftliche Mittelzone. Dieser langgezogene Raum von gut sechs Metern Breite ist Ankunftsort, sozi­ aler Treffpunkt und betriebliche Drehscheibe zugleich. Eine offene Treppe verbindet je zwei Geschosse zu einer Forschungseinheit von acht Professuren. So wie der Bau nun dasteht, wirkt das alles selbstverständlich, und gera­ de darin besteht die Entwurfsleistung. Struktur und Raum, Flexibilität und Effizienz, Funktion und Gestalt des Regel­ geschosses sind präzise austariert und geben den Takt für das gesamte Gebäude vor.

über drei Geschosse erstreckt. Ihrer Funktion als gross­ zügigem Ankunfts- und Begegnungsort entsprechend haben sich die Architekten bei der Konzeption vollstän­ dig von der aufgeräumt-orthogonalen Ge­bäude­struk­tur gelöst. Die Halle gräbt sich in das erste Untergeschoss, wo die gesamte Grundfläche des Turms als offener Ein­ gangs- und Erschliessungsbereich erlebbar ist. Eine brei­ te Aus­sen­trep­pe führt vom Vorplatz in die Halle hinunter. Unterrichtsräume, Bibliothek, Werkstatt und Cafeteria flankieren ihre Seiten. Die Decken der beiden Geschos­ se darüber lösen sich in ein lose zusammenhängendes Netz von kreisrunden Rauminseln auf, die im Grundriss an Seerosen erinnern. Auf ihnen finden Pausen- und Se­ minarzonen, eine Cafébar und der Empfang Platz. Wen­ deltreppen verbinden die Inseln über die Geschosse hin­ weg. Im Erdgeschoss setzt sich die Raumskulptur durch die verglaste Fassade in den Aussenraum fort und wird zur zweidimensionalen Platzgestaltung. Diese Befreiung aus dem strengen Grundrissraster macht aus dem blanken und vermeintlich unnahbaren Turm auf Strassenniveau einen öffentlichen Raum.

Allgegenwärtige Gebäudetechnik Die räumliche Durchlässigkeit des Eingangsbereichs und die gemeinschaftliche Mittelzone in den Forschungs­ geschossen ist nur möglich, weil die Aufzüge, die Sanitärund Serviceräume, die Fluchttreppen sowie die haustech­ nische Erschliessung nicht in einem einzigen gros­sen Erschliessungskern gebündelt werden. Stattdessen sind sie auf vier « Elefantenfüsse » verteilt, wie Andreas Ilg sie nennt. Ilg Santer modifizierten das klassische Hoch­ hauskonzept, wonach ein massiver zentraler Kern die statische Aussteifung und zugleich die gesamte vertika­ le Personen- und Medienerschliessung übernimmt. Beim Bio­zen­trum tragen die gelochten Fassadenscheiben die Wind- und Erdbebenlasten ab. Dazu wirken die Pfeiler und Brüstungen aus Ortbeton als Vierendeelträger. Dank steifer Eckverbindungen kommen diese – im Gegensatz zu Fachwerkträgern – ohne diagonale Verstrebungen aus. Nach aus­sen bildet die Chromstahlfassade die Statik durch eine Betonung der Knotenpunkte ab. Im Innern rahmt das rohe Betontragwerk die fast fünf Meter breiten und drei Meter hohen Fenster ein. In den Forschungsge­ schossen sind die riesigen Gläser zu ‹ Closed Cavity ›-Ele­ menten gefügt, einer doppelhäutigen Glasfassade, bei der sich die Sonnenschutzlamellen in einem geschlossenen und kontrolliert belüfteten Zwischenraum befinden. Die wuchtigen Fassadenstützen ragen 2,5 Meter tief in den Oben hoch, unten breit Die zehn identischen Forschungsgeschosse besetzen Raum und formen hinter jeder Glasfläche eine Nische für die oberen zwei Drittel des Turms. Darunter fügen sich vier Schreibarbeitsplätze. Die rechteckige Form der Stützen täuscht allerdings: das kleinteilige Rechenzentrum der Universität, die zen­ tra­len Dienste und ein Geschoss mit Praktikumsräumen Statisch wirksam ist nur ein darin eingeschriebenes Dop­ problemlos in dieselbe Grundstruktur ein. Was nicht in pel-T aus Stahlbeton. Leichtbauplatten bekleiden dessen die Struktur passte, etwa die grossflächigen Hörsäle, Seiten, die Hohlräume dazwischen dienen als Schächte Werkstätten oder Speziallabors, findet zusammen mit für die vertikale Medienerschliessung. Ohne diese zusätz­ unzähligen Nebenräumen, Anlieferung und Tiefgarage lichen Schächte wären die Elefantenfüsse weitaus grös­ser in den ausgedehnten Untergeschossen Platz. Wie breite ausgefallen, denn die Gebäudetechnik des Bio­zen­trums ist Rahmen umfangen sie den Fussabdruck des Turms. Die nicht nur komplexer als etwa bei einem Bürogebäude. Mit räumliche Verbindung zwischen dem Turm und dieser un­ flächendeckenden Sprinklern, unzähligen Gasleitungen terirdischen Welt stellt die Eingangshalle her, die sich und einem Lüftungssystem, dessen Aussenluftfassung →

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Situation

Neubau Biozentrum Spitalstrasse 41, Basel Bauherrschaft:  Kantone Basel-Stadt und Basel-Landschaft, vertreten durch das Hochbauamt Basel-Stadt Eigentümerin / Nutzerin:  Universität Basel Generalplanerteam Architektur:  Ilg Santer, Zürich Gesamtleitung und Baurealisation:  B + P Baurealisation, Zürich und Basel Bauingenieure:  Aerni + Aerni, Zürich Landschaftsarchitektur:  Krebs und Herde, Winterthur Fachkoordination und Gesamtleitung Gebäudetechnik:  Stokar + Partner, Basel HLKK-Planung:  Amstein + Walthert, Bern Sanitärplanung:  Pöyry Infra, Bern ; HK & T Kannewischer, Bern Elektroplanung:  IBG B. Graf, Baar GA-Planung:  Jobst Willers, Rheinfelden Laborplanung:  Dr. Heinekamp, Basel Bauphysik und Akustik:  Bakus, Zürich Brandschutzplanung:  AFC Air Flow Consulting, Zürich und Basel Fassadenplanung:  GKP, Aadorf Lichtplanung:  Licht Kunst Licht, Bonn Gastronomiekonzept:  Volkart und Richard, Solothurn Gastronomieplanung:  Creative Gastro Concept und Design, Hergiswil Verkehrsplanung:  Gruner, Basel Facility Management und Logistik:  Denk­gebäude, Winterthur Kunst am Bau:  Christoph Büchel, Basel ( Vita-Parcours ) ; Lang Baumann, Burgdorf ( Leiter )

Erdgeschoss

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→ allein einen Kanalquerschnitt von mehr als 25 Qua­ drat­metern benötigt, braucht sie auch deutlich mehr Platz. Die Bündelung der Forschungsgruppen im Turm ist des­ halb auch in dieser Hinsicht sinnvoll. Während viele der verschiedenartigen Räume in den Untergeschossen eine ganz spezifische Ausrüstung erforderten, verfügen die Forschungseinheiten über ein zwar sehr breites, aber iden­ tisches haustechnisches Grund­ange­bot. Das machte eine effiziente Erschliessung in der Vertikalen möglich. Dennoch ist die Gebäudetechnik auf den Laborge­ schossen allgegenwärtig. Die Horizontalverteilung be­ ansprucht ein gutes Viertel der vier Meter hohen Räume. Sichtbare Lüftungskanäle, Leitungstrassen und Rohre verdichten sich zu einem – rigoros geplanten – Wirrwarr an den Decken, lange LED-Balkenleuchten bilden den Horizont darunter. Das System garantiert maximale Zu­ gänglichkeit und Flexibilität. Andreas Ilg vergleicht den Planungsprozess für den Innenausbau mit demjenigen für vierzig Eigentumswohnungen: Jeder Lehrstuhl hat nicht nur seine ganz spezifischen Ansprüche, die Labors müssen auch jederzeit an die Anforderungen neuer For­ schungsprojekte angepasst werden können. Das erfordert auch mal Bohrungen in die Betondecken. Die 35 Zentime­ ter starken Flachdecken sind deshalb trotz gut zehn Me­ tern Spannweite schlaff armiert. Eingegossene Hohlkör­ per sorgen für eine Gewichtsreduktion. Beim Biozentrum spielt die Technik die Hauptrolle. Fast schon symbolisch dafür ist seine gläserne Krone den Maschinen vorbehalten. In ihr befindet sich eine von drei Haustechnikzonen, die je die gesamte Grundfläche des Turms einnehmen. Die zwei anderen liegen unter der Ein­ gangshalle in den Untergeschossen. Andreas Ilg findet es angesichts der Bedeutung der Haustechnik für das Gebäu­ de nur konsequent, die Geräte nicht wie üblich in einem geschlossenen Hut zu verstecken. Das zeichnet die Denk­ weise von Ilg Santer aus: Sie bändigten das Ungetüm, in­ dem sie es umarmten. Anstatt den endlosen technischen Anforderungskatalog mühsam in eine architektonische Gestalt zu pressen, entwarfen die Architekten eine kraft­ volle, raumbildende Grundstruktur, die dem vielgestalti­ gen Raumprogramm standhält und sich mit der Gebäude­ technik zu einem Organismus fügt. Dem Notwendigen eine gute Gestalt geben Die Herausforderung, bestehende Typologien im Span­ nungsfeld von Struktur, Raum und Technik zu hinterfra­ gen, fasziniert die Architekten. Marcel Santer: « Deshalb entwerfen wir am liebsten Generationenprojekte, also Bauwerke, die nur alle paar Jahrzehnte einmal gebaut werden. » Derzeit planen Ilg Santer ein Labor- und Büro­ gebäude für die ETH Zürich und die neue Halle 1 für die Olma Messen in St. Gallen. Mehr als etwa ein Wohnungs­ bau verlangen solche Projekte eine spezifische, der Zeit entsprechende Lösung. Ilg Santer verstehen das als Chan­ ce für die Entwicklung neuer Typologien. Beim Biozentrum verzichteten die Architekten konse­ quent auf das Unnötige und vertrauten auf ihre Fähigkeit, dem Notwendigen eine gute Gestalt zu geben. Die gewalti­ gen Fassadenstützen, die gleichzeitig tragen, erschliessen und Raum bilden, sind beispielhaft dafür. Die Strategie zeigt sich aber auch im Kleinen, etwa wenn die Sprinkler­ leitungen in den gemeinschaftlichen Räumen und Hör­ sälen durch einige Zusatzschleifen zum funktionalen De­ ckenornament werden. Oder wenn die Aussenluftfassung im unteren Teil der Fassade zum Ausgangspunkt für ein abstraktes Loch-Ornament in der Chromstahlverkleidung wird. Das Biozentrum ist ihr Erstling, und bereits da ist die Symbiose von Struktur, Raum und Technik gelungen.

Spitzenforschung in Basel 1971 wurde das Biozentrum der Universität Basel gegrün­ det. Heute ist es eines der weltweit führenden Institute für molekulare und biomedizinische Grundlagenforschung und Lehre. Mit mehr als 200 wissenschaftlichen Publika­ tionen pro Jahr, einem seit der Gründung interdisziplinä­ ren Ansatz und neuster Spitzentechnologie positioniert es sich regelmässig weit oben in der Weltrangliste der For­schungs­insti­tu­te. 1978 wurde Werner Arber, einem am Haus tätigen Mikrobiologen und Genetiker, der Nobel­ preis für Physiologie oder Medizin verliehen. Weil das fast fünfzigjährige Forschungsgebäude von Burckhardt + Part­ ner Architekten stark renovationsbedürftig ist und nicht bei laufendem Betrieb saniert werden kann, entschieden sich die beiden Basel für einen Neubau. Das von Grund auf neu geplante Gebäude ist ein Generationenprojekt. Es bringt ein einzigartiges, hochspezifisches Programm und äusserst komplexe Anforderungen an Ausrüstung und Infrastruktur in Einklang. Und so kann der Neubau des Biozentrums auch auf die Art, wie heute geforscht wird, passende Antworten geben. In direkter Nachbarschaft zum Gründerhaus beherbergt der Neubau auf 23 400 Qua­ drat­metern Nutzfläche 600 Forschende aus aller Welt, zahlreiche hochkomplexe Einrichtungen von der Imaging Technologieplattform über hochsensible wissenschaftli­ che Gerätschaften wie Kernspinresonanzspektroskope bis hin zu Speziallabors für verschiedene Gefahrenstufen. Die technischen Einrichtungen stellen hohe und sehr un­ terschiedliche Anforderungen an Temperatur, Lüftung, Druckverhältnisse, Raumklima, Schwingungsfreiheit oder Biosicherheit. Zehn der 19 Etagen stehen der Forschung zur Verfügung. Für die Universität werden zusätzliche Hörsäle für 800 Studierende geschaffen. Das Bio­zen­trum ist der erste Baustein des Life-Sciences-Campus auf dem Schällemätteli-Areal. Bis 2029 entstehen in unmittelbarer Nähe zum Universitätsspital und zum Universitäts-Kin­ derspital mehrere Neubauten für die Departemente Bio­ medizin, Physik und Chemie sowie das Department of Bio­ systems Science and Engineering der ETH Zürich. Gegen 800 Millionen Franken werden auf dem Life-Sciences-­ Campus in eine hochmoderne Infrastruktur investiert. Für die Universität Basel sind die Life Sciences ein wichtiger thematischer Schwerpunkt sowohl im Hinblick auf die For­ schung und internationale Ausstrahlung als auch im Studi­ enbereich. Für den Wirtschaftsraum Basel ist der Ausbau bedeutend, denn er sorgt für Nachwuchskräfte für die rund 600 Life-Sciences- und Biotechfirmen in der Region.  www.biozentrum.unibas.ch

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Von der Lernlandschaft im ersten Ober­geschoss hat man einen weiten und tiefen Blick in die Halle.

Eingangshalle Text: Roderick Hönig

Die weiss verputzte, dreigeschossige Eingangshalle unter dem Turm ist das luftige Prunkstück des Biozentrums. Dieser räumliche Mehrwert entstand, weil die Architekten die Verkehrsflächen für Hörsäle, Mensa und Bibliothek in einem Raum zusammengefasst haben. In der Halle wird die massige Trag­struk­tur in ihrer Umkehrung zu einem kraftvollen, vielseitigen Innenraum. Allein schon die Dimension beeindruckt: Die Halle ist 44 auf 35 Meter lang und 13 Meter hoch. Ein unregelmässig durchlöcherter, weis­ser Himmel, aus dem Kunstlicht strömt, begrenzt sie nach oben. Die Architekten verstehen die Halle als eine Art städtisches Forum für den ganzen Campus. Deshalb haben sie alle öffentlichen Funktionen wie Cafeteria, Empfang, Bibliothek, Mensa, Hörsäle, Shop, aber auch Anlieferung oder Werkstätten daran angegliedert. Obwohl der matt glänzende ‹ White Cube › ein Geschoss in die Erde versenkt ist, fällt erstaunlich viel Tageslicht durch die Fensterkränze des Erd- und des ersten Obergeschosses. Aufgrund der tiefen Fensterlaibungen erreicht zwar kaum direktes Tageslicht den Innenraum, doch die polierten Stuckwände reflektieren es und tragen es weit ins Innere. Das sanfte Licht trägt viel zur Raumqualität und zur Ruhe bei, die die Halle ausstrahlt. Das luftige Forum lädt die Studierenden ein, es auch als Lernlandschaft zu nutzen, Angestellte verbringen hier ihre Pause, und Kongressteilnehmerinnen nutzen es für Posterpräsentationen. Ein lose zusammenhängendes Netz von kreisförmigen Raum­inseln und Plattformen ist über zwei Ebenen an die vier Kerne an-

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gegliedert. Der Kontrast der im Grundriss traubenförmigen Seminar- und Pausenräume zur streng orthogonalen Grundstruktur verleiht der Halle viel Spannung. Nur in Bewegung kann man den Raum mit seinen drei Niveaus, den zahlreichen Nischen und Durchblicken erfassen. Spielerisch locken die kurvenreichen Formen zum Erkunden dieser Raumskulptur. Die Wahrnehmung ändert sich je nach Perspektive: In der Untersicht scheinen die Plattformen wie Seerosen über dem Hallenboden zu schweben. Auf der Eingangsebene dienen sie als Stege für den luftigen Gang durch das Gebäude. In der flies­sen­den Lernlandschaft im ersten Obergeschoss verleihen sie einem ein Hochsitz-Gefühl: Von hier aus überblickt man den Raum in seiner ganzen Höhe und kann sich an dem lebendigen Wimmelbild, das Studenten und Forscherinnen auf den Hallenboden zeichnen, kaum sattsehen. Die Halle ist aber kein hausinternes Raumspektakel, sie sucht und findet den Anschluss an den Stadtraum. Die Übergänge von innen nach aus­sen sind flies­send. Vom weiten Vorplatz an der Spi­tal­stras­se führt eine breite Aus­ sen­trep­pe als Abkürzung für die Studierenden direkt in die Halle zu den Hörsälen hinunter. Vor dem Eingang geben kreisförmige Flächen im Boden erste Hinweise auf die Geometrien im Innern, wo sich der Raum plötzlich nach unten und oben öffnet. Die tellerartigen Stege leiten zur Mittelzone, wo eine Wendeltreppe in die Halle hinunterund eine andere in die offene Lernlandschaft hinaufführt. Unten und Oben sind vielseitig verbunden: mit Treppen und Liften, aber auch durch das rundum vorherrschende Weiss, das aus der Halle einen edlen Stadtraum und aus dem Biozentrum eben auch ein städtisches Forum und keinen Elfenbeinturm macht.

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Auf der Eingangsebene führen kreisförmige Stege in luftiger Höhe durch das Gebäude.

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Obwohl der matt glänzende ‹ White Cube › ein Geschoss in die Erde versenkt ist, fällt viel Tageslicht durch die Fensterkränze des Erd- und des ersten Obergeschosses.

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Die Labors sind wo immer möglich verglast. Von den Schreibtischarbeits­ plätzen in den Nischen sehen die Forscherinnen und Forscher, was im Labor läuft und umgekehrt.

Laborgeschosse Text: Roderick Hönig

Zeitgemässe Forschungsarbeitsplätze bieten Platz, die richtigen Gerätschaften, gutes Licht, eine Portion Ruhe und kurze Wege zwischen Labor und Auswertungsplatz. Die Arbeitsplätze im Biozentrum erfüllen alle diese Anfor­ derungen und noch mehr. Bis zu 64 Arbeitsplätze sind auf jedem der zehn Laborgeschosse eingerichtet, die wiede­ rum in vier jeweils 310 Quadratmeter gros­se Qua­dran­ten aufgeteilt sind – einen pro Professur. Ein Forschungszentrum, das seit seiner Gründung auf Interdisziplinarität setzt, braucht aber nicht nur funkti­ onale Arbeitsplätze, sondern auch Raum für informellen Austausch. Denn heute weiss jedes Kind: Das abgeschirm­ te Studierzimmer ist der Feind jeder Innovation, der Fun­ ke springt oft in informellen Situationen über. Dafür ist im Zen­trum der Laborgeschosse die offene und technikfreie Mittelzone vorgesehen. Offen im Sinn von transparent, aber auch offen im Sinn von nicht vordefiniert. Hier tre­ ten Assistenten und Forscherinnen aus dem Lift, werden neue Reagenzgläser oder Nährstofflösungen angeliefert, hängen Laboranten ihren Kittel in die Garderobe, treffen sich die Koffeinjunkies vor der Kaffeemaschine oder die Professoren ihre Doktoranden zur Besprechung im Semi­ narraum. Die Halle ist in der Mitte zweigeschossig, eine filigrane weisse Stahltreppe verbindet nicht nur Unten und Oben, sondern führt jeweils acht Professuren zu ei­ ner Art Forscher-WG zusammen. Diese Begegnungszone wiederholt im Kleinen das erdgeschossige Foyer: Sie ist das soziale Zen­trum der Forschungsgruppen, die bis an­

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hin über die Stockwerke verteilt in kleinen Teams gear­ beitet haben. Von der Mittelzone aus sieht man über alle vier Seiten nach draussen, was bei der Orientierung hilft. Dieser Raum ermöglicht, anstatt vorzugeben. Darum ist er transparent gestaltet – nur in der Seminarzone können bei Bedarf Vorhänge zugezogen werden. Geschossübergrei­ fende Brandabschnitte erlauben die offene Verbindung jeweils zweier Laborgeschosse. Grundmodul der Laborgeschosse ist das Labormöbel, das überall gleich gross ist – 120 auf 90 Zentimeter. Die einzelnen Labors gaben das Achsmass der Fassadenstüt­ zen vor – sieben Meter. Pro Fenster ist ein Labor angeord­ net. Weil die Aus­sen­wände der Labors wo möglich verglast sind, sieht man von den Tischen der Schreibarbeitsplätze in der Fensternische, was im Labor läuft und umgekehrt. Die Büros liegen rundum entlang der Fassade und bieten einen weiten Blick über Basel. In dieser kranzförmig ange­ ordneten Bürozone braucht es keinen Kittel, hier werten die Forscher und Laborantinnen Testergebnisse aus oder führen am Computer ihre Notizen nach. Der Weg zur Pro­ fessorin ist kurz, sie residiert im Eckbüro. Und was, wenn Spitzenforschung in Zukunft vielleicht gar nicht mehr so viele Labors braucht und sich die Art und Weise, wie geforscht wird, mit der Digitalisierung grundlegend verändert ? Die Grundstruktur des Bio­zen­ trums kann darauf reagieren: Denn der Fussabdruck im Verhältnis 4 : 5 gibt kaum eine Richtung und damit wenig Hierarchie vor. Und weil nur die Fassadenstützen und die vier massiven Kerne tragend sind, sind die zehn Geschos­ se frei unterteilbar, was – wie die Bürogeschosse im unte­ ren Bereich des Turms zeigen – auch ganz andere Raum­ dis­p o­si­ti­o­nen möglich macht.

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Raum fĂźr informellen Austausch: Im Zentrum von jeweils zwei Laborgeschossen liegt eine offene und technikfreie Mittelzone. Sie fasst jeweils acht Professuren zu einer Art Forscher-WG zusammen.

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Die tragende Gitterstruktur bildet sich im flachen Relief des Fassadenblechs ab. In den Ecken liegen jeweils die ProfessorenbĂźros, was die Fassade in Mittelteil und Eckrisalit unterteilt.

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Die Kastenfenster sind fünf Meter breit und drei Meter hoch. Die Chromstahlverkleidung lässt das Gebäude in der Abendsonne golden leuchten.

Fassade Text: Roderick Hönig

Das Biozentrum ist auf faszinierende Art mass­stabs­los. Aus der Ferne betrachtet ragt es wie ein fein strukturierter Kubus aus dem Stadtkörper, von Nahem wächst es als abstrakte, matt schimmernde Stahl-Glas-Skulptur aus dem Boden. Die reduzierte Fassadengestaltung und die Chromstahlverkleidung bilden die Basis dieses Effekts. In den frühmorgendlichen Nebelschwaden taucht das Gebäude auf und wieder unter, tagsüber schimmert es silbern bis weiss, in der Abendsonne leuchtet es golden, und nachts, wenn die Fenster in der Dunkelheit verschwinden, löst es sich in eine gigantische Gitterstruktur auf. Das edle Material ist eine Reverenz an das technische Innenleben des Hauses und gibt ihm eine elegante, immer wieder andere Präsenz im Stadtraum. Das zweite Thema der Aussenhülle ist Masse: Ein Haus, bei dem Trag- und Gebäudestruktur eins sind, ist kein Leichtgewicht. Stützen und Träger bilden eine gitterartige Tragstruktur – die gelochten Fassadenscheiben sind, zusammen mit den vier inneren Erschliessungskernen, auch statisch wirksam. Und weil das Biozentrum zu seiner Masse steht, wird es nicht von einer ‹ Curtain Wall › umhüllt, sondern von einer schweren Lochfassade eingemantelt, die auch die Wind- und Erdbebenlasten aufnimmt. Die tragende Gitterstruktur bildet sich im flachen Relief des Fassadenblechs ab. Die Öffnungen sind so gross wie statisch möglich und wirken aus der Ferne trotzdem bloss wie kleine Ausstanzungen in einer Metall-

scheibe. Die Grössenverhältnisse täuschen: Die fest verglasten Kastenfenster sind fünf Meter breit und mehr als drei Meter hoch. In den Ecken stos­sen jeweils zwei Gläser direkt aufeinander. Das betont das Gitter – und nicht die Kante. Bei den zehn Laborgeschossen sind diese Eckfenster grösser. Fast schon klassisch teilt der Fensterstreifen, der dadurch an den Gebäudekanten entsteht, die Fassade in Mittelteil und Eckrisalit und deutet gleichzeitig an, dass im Winkel jeweils die Professorenbüros liegen. Über dem ersten und zweiten Geschoss ist das Brüstungsband für Zuluft rundherum expressiv durchlöchert, was eine Art Sockel auszeichnet. Eine gläserne Krone auf dem Kopf des Biozentrums gibt den Blick auf einen Teil der Haustechnik frei, die über allem im Dachgeschoss thront. Die Fenster sind vorgefertigte ‹ Closed Cavity ›-Kon­ struk­ti­o­nen: Jeweils ein Fensterelement ist ein eigenes, geschlossenes System. Dieser ‹ geschlossenen Kammer › wird mit leichtem Überdruck laufend trockene und gereinigte Luft zugeführt. Diese macht eine Öffnung zur Reinigung der Innenseiten der Gläser überflüssig und verhindert, dass sich auf den Fensterscheiben Kondensat oder Schmutz ablagern. Zwischen den Gläsern liegt auch der Sonnenschutz: hängende Stofflamellen, die sich je nach Sonnenstand automatisch ausrichten. Von aus­sen wirkt die Fassade flach, nur ein leicht versenktes Glas in einem chromstahlverkleideten Rahmen ist zu sehen. Im Innern tritt die Tragstruktur plastischer in Erscheinung, hier ragen die Fassadenstützen tief in den Raum. Sie formen wohlproportionierte Nischen, in denen jeweils vier Schreibarbeitsplätze mit – zumindest in den oberen Geschossen – herrlichem Blick über Basel eingerichtet sind.

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Auf dem Platz vor dem Haupteingang verschränken tellerförmige Felder im Boden Aussen- und Innenraum.

Aussenräume Text: Roderick Hönig

Das Biozentrum ist nicht nur der erste Baustein des Life-­ Sciences-Campus auf dem Schällemätteli-Areal, es ist auch eine Pionierpflanze: Es spurt den Campus nicht nur thematisch, sondern auch aussenräumlich vor. Weil zum Zeitpunkt des Wettbewerbs noch unklar war, wie und wo die weiteren Bausteine des Campus zu liegen kommen würden, haben die Architekten nicht in erster Linie Frei-, sondern Möglichkeitsräume geschaffen. Sie rückten ihren Turm von den Fassadenlinien ab und setzten ihn ins Zentrum des Grundstücks. So entstand ein grosszügiger und anschlussfähiger Freiraum rundherum. Indem sich die neuen Freiräume in die bestehende Abfolge öffentlicher Parks und Plätze entlang der ehemaligen Stadtbefestigung einreihen, fügt sich das Gebäude aus der Fuss­gänger­per­ spek­tive fast selbstverständlich in das Stadtgefüge ein. Als letztes Bindeglied schliessen die Plätze und Grünflächen rund um das Biozentrum zudem die Lücke in der fussläufigen Verbindung vom Petersplatz zum St. Johanns-Park. Die mehrheitlich asphaltierten Flächen sind zwar alle ähnlich gross, haben aber trotzdem unterschiedliche Charaktere und Funktionen. Es gibt ein klares Vorne und Hinten. Der Hauptplatz liegt an der Spi­tal­stras­se: ein weiter, leicht abfallender Vorplatz, der mit dem gegenüberliegenden Tschudi-Park ein sich ergänzendes Frei­ raum­ange­bot formuliert. Hier treffen sich Raucher und Verliebte, kreuzen sich Studentinnen und Spaziergänger, essen Werkstattarbeiter bei gutem Wetter ihr Znü-

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ni, und abends nehmen ihn die Skater in Beschlag. Es ist ein klassischer urbaner Begegnungsort mit einem homogenen, harten Bodenbelag. Die breiten Ränder der zwei flachen Wasserbecken laden zum Sitzen ein. Ihr Wasser wird durch die Abwärme des Hauses erhitzt, sodass sie im Winter dampfen und man die Füsse nicht nur im Sommer darin badet. Ins Auge springen die Readymades von 15 Vita-Parcours-Stationen, die der Künstler Christoph Büchel im Rahmen des Kunstprozents rund um das Biozentrum realisieren konnte. Sie sollen zur Bewegung animieren und die verschiedenen Nutzer des Gebäudes zusammenbringen. Vor den Eingängen verschränken tellerförmige Felder im Boden Aussen- und Innenraum. Sie sind eine Art formale Fortführung der aus Kreissegmenten bestehenden Brücken und Podeste im Innern der gros­sen Halle. Die einzigen vertikalen Elemente des Aussenraums sind die schmucken schwarzen Staketenzäune, die die gros­se Freitreppe in die Eingangshalle, die Velorampe und die Notausgänge einfassen. Weniger exponiert und frequentiert ist die Piazzetta entlang der Pestalozzistrasse. Eichen und ein grosszügiges Kiesfeld ergänzen das bestehende Baumfeld auf Stadtboden. Campus- und Strassenraum fliessen hier ineinander. Das lichte Wäldchen vor der Cafeteria verleiht dem Ort einen intimen und lauschigen Charakter. An den übrigen beiden Seiten des Bio­zen­trums liegen Veloabstellplätze zwischen den in den Boden eingelassenen Oberlichtern. Die Grenzen zu den Nachbarbauten sind flies­send, die durchgehenden Bodenbeläge fassen den Raum zwischen den Gebäuden zu einer Einheit zusammen.

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Ein Kiesfeld und neu gepflanzte Eichen ergänzen das bestehende Baumfeld auf der Piazzetta vor der Cafeteria. Campus- und Stadtraum fliessen hier ineinander.

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Grundausbau Laborgeschoss: Die Labore können frei eingeteilt werden. Entlang der Fassade formen die 2,5 Meter tiefen Stützen Nischen für jeweils vier Schreibtischarbeitsplätze.

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Axonometrie Nutzung F orschung Zentrale Dienste Universitäts­rechenzentrum Lehre Betrieb und Speziallabore Technik

Gebäudetypus Text: Roderick Hönig

Das Biozentrum ist ein matt schimmerndes Monument für Bildung, Wissenschaft und Forschung. Sein Programm ist einzigartig, die Verknüpfungen komplex, die Technik massgeschneidert, die Materialien edel – ein Generationenprojekt. Die beengten Verhältnisse auf dem Schällemätteli-Areal veranlassten die Architekten zum einen, in die Höhe zu bauen. Zum anderen spielt der kleinere Fussabdruck grössere Aussenräume frei. Das Bio­zen­trum versteckt sich nicht im Stadtkörper, sondern ragt als neues Wahrzeichen der Universität und des Life-Sciences-Campus darüber hinaus. Entstanden ist ein 73 Meter hoher, von den Strassenfluchten zurückversetzter Turm, der den Anschluss an die Nachbarbauten nur bedingt sucht, aber als anschlussfähiges städtebauliches Scharnier wirkt. Selbstbewusst fügt der Bau sich in die Reihe bestehender Monumente für Handel, Industrie und Kirche ein: Messeund BIZ-Turm, Roche- und Novartis-Türme, Münster. So unnahbar und mächtig der Bau aus der Ferne scheint, so nahbar ist er, wenn man davorsteht. Das Bio­ zen­trum ist keine universitäre Festung, sondern ein offenes Haus, das betreten werden will. Der Vorplatz, eine Art ‹ American Plaza ›, empfängt die Besucher mit urbaner Weite. Gros­se Kastenfenster geben rundherum Einblick

in das Innere. Insgesamt 23 400 Qua­drat­meter sind in Laborbau, Lehre und Betrieb vertikal gegliedert. Die unterschiedlichen Nutzer- und Warenströme lassen sich durch die Stapelung der Nutzungen auf einfache Weise trennen. Je vier Forschungsgruppen sind auf jedem der zehn Regelgeschosse verteilt. Darunter sind die zen­tra­len Dienste eingerichtet, und mit dem Universitätsrechenzentrum ist auch ein Dienst für die gesamte Hochschule untergebracht. Im zweiten und dritten Untergeschoss liegen Spezialräume sowie die Tiefgarage. Indem die Architekten einen Teil der Nutzungen im Turm stapeln und die anderen in den Untergeschossen verteilen, spielen sie auf Stadtniveau einen Raum frei, der als spektakuläre Halle auch der Öffentlichkeit dient. Darin führen die Architekten vor, welche Freiheiten der Grundriss mit den vier Kernen und den tragenden Fassadenstützen eröffnet. Die luftige weis­se Innenwelt verlängert den Platz ins Haus hinein und schafft Stadtraum. Für seine Belebung sorgen die 600 Mitarbeiterinnen und 800 Studenten des Bio­zen­trums, die Hörsäle, die auch Studentinnen anderer Fakultäten ins Haus holen, oder die Cafeteria auf der Seite der Pestalozzistrasse, die das Angebot im Quartier ergänzt. Kurz: Das Bio­zent­rum ist ein Haus, in dem sich Forscher, Studentinnen und Angestellte treffen, in dem sich aber auch die Wege der Baslerinnen und Basler kreuzen sollen. Ein Haus, mit dem die Architektur die Wissenschaft im Dienste der Gesellschaft feiert.

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« Es brauchte einen Magneten » 2009 wurde der Wettbewerb für den Neubau des Biozentrums ausgeschrieben. Jurymitglied Astrid Staufer erklärt, wo die Eigenheiten von Wettbewerb und Siegerprojekt liegen. Interview: Marcel Bächtiger, Fotos: Ruedi Walti

1. Rang ( Überarbeitung ) Der Entwurf von Ilg Santer Architekten tritt mit selbstbewusster Zurückhaltung auf. Das im Grundriss annähernd qua­ dratische Hochhaus sitzt in der Mitte der Parzelle und schafft einen allseitig gleichwertigen Umraum.

3. Rang ( Überarbeitung ) David Chipperfield Architects schlagen ein repräsentatives Institutsgebäude mit einem grosszügigen Atrium über alle Geschosse vor, dessen « kritisches Enga­ gement und leidenschaftliche Präzision » die Jury schätzt. Der Preis dieser Gross­ zügigkeit im Innern ist allerdings ein gros­ ser stadträumlicher Platzverbrauch.

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Architektur:  Ilg Santer, Zürich Gesamtleitung:  B + P Baurealisation, Zürich und Basel Ingenieure:  Aerni + Aerni, Zürich

Architektur:  David Chipperfield Architects, Berlin Gesamtleitung:  OTB, Basel Ingenieure: Ingenieurgruppe Bauen, Karlsruhe

2. Rang ( Überarbeitung ) Christ & Gantenbein haben ihren schlanken Hochkörper in der Überarbeitung um neunzig Grad gedreht, sodass seine Längs­ seite parallel zur Strasse steht. Die Jury sieht damit allerdings die gewünschte Durchlässigkeit des Areals infrage gestellt. Die « funktional in vieler Hinsicht über­ zeugende Lösung » fällt weiter durch eine

5. Rang ( Überarbeitung ) Nissen Wentzlaff schlagen ein schlan­kes Hochhaus mit einem seitlich angelagerten Flachbau vor. In den Augen der Jury mangelt es dieser Typologie allerdings an Präsenz im Stadtraum. Ausserdem kann die geforderte Flexibilität im Layout der Laborgeschosse trotz offener Baustruktur nicht ganz erreicht werden.

zeichenhafte Fassade mit verschieden gros­sen Rundfenstern auf, die in der Jury kontrovers diskutiert worden ist. Architektur:  Christ & Gantenbein, Basel  Gesamtleitung:  Proplaning, Basel Ingenieure:  Schnetzer Puskas, Basel

Architektur:  Nissen Wentzlaff, Basel Ingenieure:  Schlaich Bergermann und Partner, Stuttgart

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Rangierung 1. Rang:  Ilg Santer Architekten, Zürich ; B + P Baurealisation, Zürich und Basel ; Aerni + Aerni Ingenieure, Zürich 2. Rang:  Christ & Gantenbein, Basel ; Pro­pla­ning, Basel  ; Schnetzer Puskas, Basel 3. Rang:  David Chipperfield Architects, Berlin ; OTB, Basel ; Ingenieurgruppe Bauen, Karlsruhe 4. Rang:  Staab Architekten, Berlin ; SMV Bauprojektsteuerung, Berlin ; Dierks, Babilon und Voigt Ingenieure, Berlin 5. Rang:  Nissen Wentzlaff Architekten, Basel ; Schlaich Bergermann und Partner, Stuttgart 6. Rang:  Arge Architekten Loudon & Habe­ ler, Wien, und Zwimpfer Partner Archi­ tekten, Basel ; Toms Ziviltechniker, Wien 7. Rang:  Burckhardt + Partner, Basel ; Walt + Galmarini, Zürich

Komplexe Projekte haben eine lange Geschichte: Mehr als ein Jahrzehnt ist es her, dass der Wettbewerb für den Neubau des Biozentrums in Basel öffentlich ausgeschrieben wurde. Für das selektive Verfahren bewarben sich 58 Generalplanerteams, 28 wurden im Juni 2009 zur Teilnahme eingeladen. Als « im Sinne der Nachwuchsförderung zugelassene Bewerbende » komplettierten Ilg Santer Architekten und Park Architekten das prominent besetzte Teilnehmerfeld. Gesucht war ein « städtebaulich und architektonisch profilierter Neubau », der auf dem Schällemätteli-Areal ein identitätsstiftendes Zeichen des neuen Campus setzen sollte. Nach zwei Jurytagen verblieben sieben Projekte in der engeren Wahl und wurden provisorisch rangiert. Vier davon liess die Jury überarbeiten. In dieser Endrunde vertreten waren die beiden Basler Büros Nissen Wentzlaff und Christ & Gantenbein, der Londoner David Chipperfield sowie Ilg Santer Architekten aus Zürich. Die vier Projekte zeigten unterschiedliche städtebauliche und programmatische Herangehensweisen auf. Beim Wettbewerbsprogramm für den Neubau des Biozentrums in Basel fallen vor allem die rigiden Vorgaben auf. Der entwerferische Spielraum war begrenzt. Wodurch hat sich das Projekt von Ilg Santer Architekten auszeichnen können ? Astrid Staufer: Die inhaltlichen und programmatischen Vorgaben waren tatsächlich sehr eng. Die Universität Basel als Bauherrin hatte genaue Vorstellungen davon, wie die Labors konzipiert sein sollten. Im Vordergrund stand die Funktion – was bei Laborbauten mit ihren hohen Anforderungen an Technik und Flexibilität natürlich seine Berechtigung hat. Wir Architektinnen und Architekten in der Jury hatten dennoch einen etwas anderen Blickwinkel auf die Aufgabe: Wir wollten nicht nur eine optimale Grund­ riss­organi­sa­ti­on, sondern ein Projekt, das auch städtebaulich und architektonisch überzeugt – und auf dieser Ebene gab es durchaus einen gewissen Spielraum. Die Jurierung glich einem ständigen Ringen zwischen Sach- und Fachjury. Ilg Santer Architekten gelang schliesslich ein Vorschlag, in dem beide Seiten zusammenfanden. Allerdings führte erst eine Überarbeitung zur einvernehmlichen Lösung. Im Rückblick staunt man über den riesigen Aufwand: ein selektiver Wettbewerb mit 28 ausgewählten Teams, und dann auch noch eine zweite Stufe, in der man vier Projekte überarbeiten liess. Zum Glück wird das heute effizienter gehandhabt. Aber nach der ersten Stufe hatte man sich trotz langer Debatte nicht einigen können.

Fachjury – Fritz Schumacher, Hochbauund Planungsamt Basel-Stadt, Kantonsbaumeister ( Vorsitz ) – Marie-Theres Caratsch, Bau- und Umweltschutzdirektion BaselLandschaft, Kantonsarchitektin – Roger Diener, Architekt, Basel – Manfred Hegger, Architekt, Kassel – Peter Märkli, Architekt, Zürich – Astrid Staufer, Architektin, Frauenfeld – Nicolas Christ, Hochbau- und Planungsamt Basel-Stadt, Leiter Unterhalt Universitätsbauten

Sachjury – Anja Huovinen, Bildungs-, Kulturund Sportdirektion Basel-Landschaft, Leiterin Stabsstelle Hochschulen – Andreas Kressler, Finanzdepartement Basel-Stadt, Geschäftsleiter Immobilien Basel-Stadt – Gerhard Läuchli, Leiter Amt für Liegen­schaftsverkehr Basel-Landschaft – Erich A. Nigg, Universität Basel, Direktor Biozentrum – Joakim Rüegger, Erziehungsdepartement Basel-Stadt, Leiter Hochschulen – Christoph Tschumi, Universität Basel, Verwaltungsdirektor

Worin lag am Ende die Qualität des Siegerprojekts ? Die ganze Technik der Labors war nach aussen in die Trag­ struktur verlegt. Die Universität bekam damit ein Layout, das im Innern eine maximal grosse und flexible Freifläche bot. Wir Fachjuroren fanden es architektonisch in­te­ res­sant, die Struktur mit der Haustechnik zu kombinieren und so die Funktion des Laborgebäudes sichtbar zu machen. Hier kam die Jury zu einem Konsens. Gleichzeitig haben Ilg Santer Architekten die städtebauliche Herausforderung klar am besten gemeistert. Der Masterplan für das Schällemätteli-Areal gab vor, dass mit dem Neubau auf dem Wettbewerbsperimeter eine Mitte entstehen soll, die auch als Scharnier zwischen den verschiedenen Seiten funktioniert. Der von Ilg Santer vorgeschlagene konzentrierte Hochbau mit maximaler Öffentlichkeit und Durchlässigkeit im Erdgeschoss erfüllte dieses Ziel auf selbstverständliche Weise, während die konkurrierenden Projekte entweder zu expansiv waren oder mit ihrer Setzung wichtige städtebauliche Querbezüge blockierten. Im Jurybericht ist wiederholt vom « städtebaulichen Potenzial » des Projekts die Rede. Was ist damit gemeint ? Der Jury war die zeitliche Perspektive sehr wichtig. Beim Wettbewerb für das Biozentrum handelte es sich um das erste Projekt auf einem Areal, das in Zukunft ganz anders aussehen wird. Es brauchte deshalb einen Magneten, einen öffentlichen Ort, der auf alles ausstrahlt, was danach kommt. Schaut man sich den Schnitt des Siegerprojekts an, dann erscheint das Verhältnis von den effizient gestapelten Laborgeschossen zu der ausladenden dreigeschossigen Halle im Sockel fast unproportional. Im Hinblick auf das sich erst in Entwicklung befindende Areal hat die Halle aber die richtige Grösse, sie schafft eine Adressierung für das gesamte Geviert. Die Halle setzt auch einen Kontrapunkt zur Pragmatik der Laborgeschosse. Ja, die Halle ist das repräsentative Prunkstück des Entwurfs – und eine faszinierende Gratwanderung. Uns von der Fachjury hat interessiert, wie der Stadtboden von mehreren Seiten in das Gebäude hineinläuft und sich dort gegen unten und oben ausweitet. Das Erdgeschoss wird perforiert, das Innen und das Aus­sen verschränken sich – das ist ungewohnt bei einem Hochhaus. Mit Brücken, Treppen und Plätzen auf unterschiedlichen Niveaus entsteht eine Stadtlandschaft im Innern. Die Halle wird Teil des Platzes – ein öffentliches Zen­trum für das ganze Areal, nicht nur für das Gebäude selbst.

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Astrid Staufer ( 57 ) führt mit Thomas Hasler das Büro Staufer & Hasler Architek­ ten in Frauenfeld und Zü­ rich. Sie lehrt an der Tech­ nischen Universität Wien und ist Co-Leiterin des Ins­ tituts für Konstruktives Entwerfen an der Zürcher Hochschule für Ange­ wandte Wissenschaften in Winterthur.

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Massanzug für Spitzenforschung Die Universität Basel konzentriert ihre sieben Fakultäten auf wenige Campusareale. Eines davon ist das Schällemätteli-Areal mitten in Basel. Das Biozentrum von Ilg Santer Architekten ist sein erster Baustein. Das Themenheft rückt die Architektur dieses Forschungs- und Bildungsgebäudes in den Mittelpunkt und würdigt seinen Beitrag an die Stadt. Denn das Bio­­zen­trum ist nicht nur eine funktional organisierte Gebäudemaschine, es schenkt Basel auch eine spektakuläre öffentliche Eingangshalle – notabene der einzige Raum, der im Wett­bewerb nicht explizit verlangt war.

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