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Videoanalyse im Trainingsplan
von Helena Stanek
Die heutigen digitalen Möglichkeiten in unserer Sportart sind auf ein Niveau herangewachsen, das personell viele Ressourcen fordert, das aber auch oft entscheidende Vorteile für Sportler und Trainer schaffen.
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Eine seit kurzer Zeit im Bundeskader eingesetzte Methode, ist die videobasierte Wettkampfanalyse in Zusammenarbeit mit dem Lehrstuhl für Trainingswissenschaften und Informatik von der Technischen Universität München. Klaus Haggenmüller: „Wer heutzutage keine professionelle Videoanalyse mit seinen Athleten und Athletinnen macht, verschenkt enorm viel Potenzial.“
In vielen Telefonaten mit Klaus Haggenmüller, in Gesprächen mit dem leitenden Bundestrainer Georg Streif und auch mit einigen Athleten und Athletinnen habe ich erfahren, was hinter dieser sehr aufwendigen Prozedur der Videoanalyse steckt.
Wenn ich mich an meine aktive Zeit als Kämpferin erinnere und wie das Thema Videoanalyse behandelt wurde, ist ein Vergleich nahezu unmöglich. Das, was heutzutage möglich ist, kann man mit den damaligen Methoden nicht mehr vergleichen.
Stellen Sie sich einmal vor, Sie fahren auf einen internationalen Wettkampf, bei dem schon feststeht: „Meine Schülerin/mein Schüler kämpft heute im ersten Kampf gegen xy aus Frankreich.“ Was für ein enormer Vorteil wäre es, zu wissen, - welche Stärken dieser Kämpfer/diese Kämpferin hat? - welche Tritte er/sie statistisch belegt am häufigsten tritt und zu wie viel Prozent diese einen Treffer auslösen? - wie oft er/sie im Schnitt den Fauststoß einsetzt? - ob er/sie eher offensiv oder defensiv kämpft? - ob er/sie häufig Verwarnungen kassiert? - welche Auslage die bevorzugte Auslage ist oder ob er/ sie stets wechselt?
Einige können an dieser Stelle sagen: „Ach, das wissen wir doch schon. Es sind ja immer wiederkehrende Gegner und Gegnerinnen auf den Turnieren. Man kennt sich doch und weiß, was der Gegner oder die Gegnerin hauptsächlich macht.“ Nun aber wird das Ganze mithilfe des Videoanalyse-Projektes statistisch belegt. Es ist somit nicht nur eine persönliche Einschätzung, dass die Gegnerin xy aus Frankreich eher offensiv kämpft und stets einen Paltung nachkickt, wenn sie mit der Faust verkürzt hat. All dies kann nun statistisch belegt werden und dank des Softwaretools der Firma Athlyzer den Trainern in der Vorbereitung oder aber auch direkt am Turniertag zur Verfügung gestellt werden.
„Aktuell haben die Bundestrainer der DTU Zugang zu der Video-Datenbank. Hier sind zur Zeit etwa 200 Kämpfe gespeichert. Da unser Fokus in den letzten Monaten in der Vorbereitung auf Olympia, sprich Alexander Bachmann, lag, stehen aus seiner Gewichtsklasse etwas mehr Kämpfe zur Verfügung. Unser Ziel ist es aber natürlich, die Datenbank stets weiter auszubauen und mit Material zu füllen. Und natürlich die Trainerwelt für dieses wichtige Thema zu sensibilisieren“, so Klaus Haggenmüller.
Wie sieht das in der Praxis aus?
Wir nehmen das Beispiel Alexander Bachmann. Aufgrund der Weltrangliste für seine Gewichtsklasse wissen wir schon heute, dass Alex bei den Olympischen Spielen am 27. Juli im ersten Kampf voraussichtlich gegen Ruslan Zhaparov kämpfen wird. Videos von dem Kämpfer aus Kasachstan wurden auf den vergangenen internationalen Turnieren gesammelt, in die Datenbank eingepflegt und mithilfe zuvor festgelegter Kriterien analysiert. Nach der Analyse durch Klaus Haggenmüller
erhalten Trainer und Sportler eine ausgearbeitete Analyse, die nur die wichtigsten Stärken/Schwächen/ Ticks/etc. des Gegners beinhaltet. Auch kurze Videoclips unterstreichen diese Analysepunkte, sodass Trainer und Sportler auch visuell die statistischen Werte nachschauen können. „Einen kompletten Kampf bei einer Videoanalyse anzuschauen wäre zeitlich gesehen sehr ineffektiv und wäre am Turniertag kaum machbar. Dafür gibt es dann uns. Wir stellen die wichtigsten Punkte übersichtlich und nachvollziehbar für den Trainer zusammen. Und das sogar in Echtzeit.“
In Echtzeit, das bedeutet, um auf das Beispiel Alexander und Olympia zurückzukommen: Schon jetzt steht fest, dass Alex in seinem zweiten Kampf entweder gegen Kuba (Rafael Alba) oder Korea (Kyo-don IN) kämpfen wird. Für diese beiden Kämpfer wird nun im Vorfeld ebenso ein umfangreiches Gegnerprofil mit statistischen Werten erstellt. Bei den Olympischen Spielen am 27. Juli läuft das Software-Programm bei den beiden Kämpfern aus Kuba und Korea mit und erfasst die aktuelle Tagesform während ihres Vorkampfes bei Olympia. Vanja und Alex erhalten dann unmittelbar nach den Kämpfen eine Info von Klaus wie z. B.: „Am heutigen Tag kämpft der Kämpfer xy statistisch gesehen genauso wie das Gegnerprofil aus der Vorbereitung.“ Vielleicht verhält er sich am Tag der Olympischen Spiele aber auch anders und hat beispielsweise eine neue Supertechnik erlernt. Dann kann Klaus Haggenmüller auch das Erfassen und den Trainern mitteilen: „Er kämpft heute statistisch gesehen so wie es das Gegnerprofil aussagt, außerdem setzt er heute mehrfach einen eingedrehten PandaDollyo-Chagi ein.“ Ist dieses Wissen nicht ein enormer Vorteil für unsere Sportlerinnen und Sportler? Aus meiner Sicht ist es das. Grenzt dies nicht ein wenig ans Ausspionieren? Aus meiner Sicht nicht. Es ist einfach ein weiterer Schritt in eine noch professionellere Vorbereitung mit Daten, die das Netz frei hergibt. Dank der Livestream-Übertragungen von internationalen Turnieren ist das Netz voll mit Material. Das Heraussuchen, Aufarbeiten und Analysieren kostet enorm viel Zeit. Zeit, die Trainer im normalen Trainingsalltag nur schwer freischaufeln können. Wenn nun solch ein gutes Programm in Deutschland für Deutschland zur Verfügung steht, sollte dieser Vorteil im internationalen Vergleich noch besser genutzt werden.
„Es ist unser Ziel, zukünftig an die Landesverbände heranzutreten und Trainer noch stärker für dieses Thema zu sensibilisieren und Vertrauen zu schaffen. Schulungen im Umgang mit der Software sollen angeboten werden, damit wir diesen nationalen Vorteil international nutzen“, sagt auch Klaus Haggenmüller
Jede statistisch erhobene Zahl über einen Gegner ist aber natürlich kein Freifahrtschein zum Gewinnen. Auf der Fläche herrschen immer noch eigene situative Regeln. Und auch nicht jeder Sportler ist der Typ, der möglichst viel über seinen Gegner wissen will. Manche konzentrieren sich lieber auf sich selbst und ihre eigenen Stärken. Aber genau in diesem Punkt kann auch die Videoanalyse helfen. Das bewusste Auseinandersetzen mit seinen eigenen Fähigkeiten und das Wissen über seine möglicherweise stärksten Gegner sollte in der heutigen Zeit ebenso zur Wettkampfvorbereitung gehören, wie Konditions-, Ausdauer- und Krafttraining.


