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Interview mit Anna-Lena Frömming
Interview mit Anna-Lena Frömming
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von Helena Stanek
Das Jahr 2021 läuft für dich bislang sportlich sehr erfolgreich. Zwei Silbermedaillen und eine Goldmedaille auf den bisherigen Weltranglistenturnieren stehen bereits auf deinem Medaillenkonto (Stand 4.11.2021). Wie siehst du deinen „Neustart nach Corona“ auf der internationale Wettkampfbühne?
Ich freue mich, dass endlich wieder Wettkämpfe stattfinden können. Ich habe die wettkampffreie Zeit genutzt, um an mir zu arbeiten – physisch aber auch mental. Dazu kam eine sehr intensive Vorbereitungs phase in Düsseldorf am Stützpunkt. Dass ich meine Leistung aus dem Training auch auf den Wettkampf übertragen kann, macht mich natürlich sehr froh.
Taekwondo war 2021 erstmals bei dem Mega-Event DIE FINALS vertreten. Du konntest hier deinen insgesamt 14. Deutschen Meistertitel feiern und zählst mehr denn je zu den erfolgreichsten Deutschen Taekwondo-Sportlerinnen in Deutschland. Was treibt dich Jahr für Jahr an, die Deutsche Meisterschaft zu gewinnen?
Es wird von uns Athleten erwartet, dass wir an der Deutschen Meisterschaft teilnehmen. Natürlich freue ich mich über jede Medaille, die ich gewinnen kann – vor allem wenn es vor deutschem Publikum ist. Dennoch würde ich mir wünschen, dass man solche Events attraktiver gestaltet, um mehr Zuschauer zu locken. Die Finals haben gezeigt, dass man viel mehr aus einem Wettkampf machen kann.
51 internationale Medaillen, 14 Deutsche Meistertitel, 2 WM-Medaillen, ein EM-Titel, … Was wünschst du dir noch in dieser Medaillensammlung?
Mein Ziel ist es, meine EM- und WM-Medaillensammlung auszubauen. Ich freue mich auf das kommende Jahr und hoffe, dass alle Wettkämpfe so stattfinden können wie sie momentan geplant sind.
Deine Karriere hatte bislang viele Höhen. Du musstest aber auch schon einige Rückschläge verkraften, wenn wir an die Ungerechtigkeit von der Olympiaqualifikation 2016 denken. Was hat dir in diesen teils schweren Momenten geholfen?
Das ist die Schattenseite im Sport. Ungerechtigkeiten wird es immer wieder geben. Es war kein leichter Moment und es hat seine Zeit gebraucht, um es zu verarbeiten. Ich wusste aber früh, dass Aufgeben keine Option ist. Man weiß nie, was noch alles kommt. Was mir besonders geholfen hat, war die Unterstützung von meinem Heimtrainer Özer Gülec, der mich immer motiviert. Er ist immer an meiner Seite, stärkt mir den Rücken und wenn es sein muss, steht er schützend vor mir. Ich bin ihm sehr dankbar, dass er mich auf meinem Weg begleitet. Und natürlich ist auch der Rückhalt von meiner Familie und meinen engsten Freunden sehr wichtig, genauso wie die stärkende Worte, die mich auf verschiedenen Wegen erreicht haben.
Trainer in ganz Deutschland schwärmen von deinem Trainingsfleiß, deiner Disziplin und deinem Ehrgeiz auf der Fläche. Du bist ein richtiges „Arbeitstier“. Macht Disziplin und Fleiß für dich einen guten TaekwondoKämpfer aus? Oder anders gefragt: Was braucht ein Sportler heutzutage, um so erfolgreich zu werden, wie du es bist?
Es gibt kein allgemeingültiges Erfolgsrezept und das macht den Sport interessant. Disziplin und Fleiß sind gute Voraussetzungen für sportliche Höchstleistung. Dazu zählen für mich aber auch Kontinuität, Talent, Veranlagung, Wille und Wissen.
Du hast als eine der wenigen noch aktiven Sportlerinnen so gut wie alle Wettkampf-Systeme miterlebt (elektronisch und nicht-elektronisch). Machst du dir als Sportlerin Gedanken über die verschiedenen Systeme

oder sagst du dir eher: "Ich nehme das System, was kommt und versuche das Beste rauszuholen."?
Der Sport hat sich in den letzten Jahren immer wieder verändert und technisch weiterentwickelt. Mir bleibt nichts anderes übrig, als das anzunehmen, was kommt. Man muss sich aber nie um 180 Grad drehen. Es hat alles immer seine Vor- und Nachteile. Ich mache das Beste daraus und versuche, mich dem System anzupassen, bleibe aber trotzdem meinem Stil treu. Man muss sich mit dem System entwickeln und nicht das System als Gegner sehen.
Gibt es ein Wettkampf-System, was dir am meisten lag/ liegt?
Ich komme mit beiden Systemen gut aus. Die ersten Jahre mit dem elektronischen System waren nicht leicht. Manchmal braucht alles seine Zeit. Man muss viel üben, Erfahrungen sammeln und geduldig sein. Jetzt kann ich mir das elektronische System nicht mehr wegdenken.
Vor einiger Zeit bist du aus Nürnberg zurück zu deinen Eltern nach Herdecke gezogen? Wie kam es zu dieser Entscheidung und was hat sich dadurch verändert?
Ich habe meine Familie und Freunde sehr vermisst. Ich bin sehr froh, dass ich in Düsseldorf am Bundesstützpunkt trainieren kann. Zuvor habe ich in meinem Heimatverein TKD Özer in Nürnberg trainiert bis der Stützpunkt in Nürnberg eröffnet wurde. Durch das laufende Training am Stützpunkt konnte ich nur noch sehr selten im Verein trainieren. Daher habe ich mich dazu entschieden, den Bundesstützpunkt zu wechseln. In Düsseldorf hab ich ein sehr individuelles auf mich abgestimmtes Training. Ich erfahre eine große Unterstützung durch den Stützpunkt und mein soziales Umfeld, worüber ich sehr glücklich bin.
Durch den Umzug zurück nach NRW hat sich auch die neue Chance für dich ergeben, am Bundesstützpunkt mit dem neuen Stützpunkttrainer Rafik Zohri zu trainieren. Wie läuft euer Training hier ab und wie sind deine Erfahrungen aus den ersten Monaten?
Ich bin sehr froh, dass ich mit Rafik am Bundesstützpunkt trainieren kann. Wir haben von Anfang an gemeinsame Ziele bestimmt und in der Trainingsgruppe individuelle Schwerpunkte gesetzt. Wir trainieren täglich zweimal am Stützpunkt. Unser Training wird in Absprache mit den Bundestrainern sorgfältig geplant und umgesetzt. Ich bin sehr beeindruckt von Rafiks Motivation und Struktur. Ich konnte in der kurzen Zeit einiges von Rafik lernen und ich bin ihm sehr dankbar für seine gute Vorbereitung.

Als Sportsoldatin der Bundeswehr ist es dein Beruf, zu trainieren. Erlaubt die Bundeswehr nebenher eine Weiterbildung, sodass man auch für die Zeit nach dem Sport vorbereitet ist?
Die Bundeswehr erlaubt neben der sportlichen Karriere eine Weiterbildung. Die berufliche Weiterbildung erfolgt zunächst in Absprache mit dem Verband (DTU). Ich bin sehr froh, dass ich neben dem Leistungssport auch meine beruflichen Ziele verfolgen kann. Die berufliche Weiterbildung ist enorm wichtig und muss gefördert werden. Dazu müssen auch gute Rahmenbedingungen
ANNA-LENA FRÖMMING
Alter: 26 Beruf: Sportsoldatin der Bundeswehr Verein: TKD Özer Heimtrainer: Özer Gülec Gewichtsklasse: -57/-62KG
Größten Erfolge: Jugendeuropameisterin 2011 Bronze bei der Weltmeisterschaft 2013 Vize-Militärweltmeisterin 2015 Bronze bei der Frauen-Weltmeisterschaft 2021 14-fache Deutsche Meisterin 52 Medaillen bei Weltranglistenturnieren


erschaffen werden, die ich hier vor Ort habe und für die ich auch selbst gesorgt habe. Ich studiere Sportwissenschaft an der Ruhr-Universität in Bochum. Ich habe einen sehr strukturierten Wochenplan, in dem ich meinen Stundenplan in der Universität meinem Trainingsplan angepasst habe.
Mit 26 Jahren gehörst du zu den erfahrensten und auch ältesten Sportlerinnen, die aktuell in der DTU aktiv sind. Was sind deine weiteren sportlichen Ziele für die kommenden Jahre?
Ich möchte noch einige Medaillen für Deutschland gewinnen. Auf dem Treppchen bei einer EM oder WM zu stehen kann einem nicht mehr genommen werden. Das sind besondere Momente, die man nicht so leicht vergessen wird. Gerade bin ich in einer sehr guten Form und möchte noch mehr aus mir herausholen. Die Rahmenbedingungen sind alle gegeben und ich bin sehr positiv gestimmt und freue mich auf das neue Jahr 2022. Im Moment ist alles möglich und wir werden sehen was die Zukunft bringt.
Unser Onlineworkshop „Gesellschaftliche Verantwortung des Sports“ am 10.11.2021
Taekwondo, wie jeder Sport, trägt gesellschaftliche Verantwortung. Wie können wir dem in unserem Vereins- und Verbandsleben gerecht werden? Mit neun Mutigen haben wir das in diesem Workshop untersucht. Unter der Leitung von Nico Mikulic haben wir uns dem kontrovers diskutierten Thema durch abstrakte Theorie und handfeste Alltagsbeispiele genähert. Es ging um Vorbildwirkung, Aufklärung und Vielfalt. Als Sportverbände können und sollten wir ein Umfeld schaffen, das alle Menschen willkommen heißt. In den drei Stunden kamen eine Menge spannender Ideen zusammen, wie wir das konkret leben können und welche Bedarfe es in den Vereinen gibt. Die Fortsetzung folgt bald in unserem Kampf für Integration und Toleranz.

