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Sportwissenschaftler Oliver Heine

INTERVIEW MIT SPORTWISSENSCHAFTLER OLIVER HEINE

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von Helena Stanek

Viele Male hat er mich ins Ohr gepikst. Viele Male hat er mich motiviert, aus meinem Körper auf dem Laufband alles rauszuholen. Viele Male ist er auch mit mir gelaufen. Hat mich gefordert und gefördert. Und das wichtigstes: Er hat meine Laufbahn und mein Training sportwissenschaftlich begleitet. Sportwissenschaftler Dr. Oliver Heine begleitet schon lange die deutsche Nationalmannschaft. Nicht nur die Taekwondo-Sportler und Trainer vertrauen ihm. Auch viele andere Spitzensportler aus Deutschland folgen seinen Trainingsempfehlungen.

Wann meine erste Leistungsdiagnostik war, kann ich gar nicht mehr genau sagen. Es waren ehrlicherweise zu viele, als dass ich mich an die eine so explizit erinnere. Anfangs, da erinnere ich mich auf jeden Fall dran, war das alles oft einfach nur ein Spaß und eine gute Abwechslung zum Training. Als ich aber mehr und mehr die Zusammenhänge verstanden habe, waren die Tests auch teilweise mit Druck behaftet. Denn die Zahlen der Auswertung lügen ja nicht und spiegelten wieder „Ist Helena fit oder nicht.“ Lief es gut, war ich natürlich stolz und froh, dass sich die letzten Wochen von intensivem Training auch in Zahlen wieder spiegelten. Weniger erfreut war oft die erste Leistungsdiagnostik im Jahr, die einem vor Augen führte „Hier liegt noch viel Arbeit vor dir.“.

Egal welches Ergebnis die Leistungsdiagnostik auch hat, sie gibt einem ein wichtiges Hilfsmittel an die Hand, um das Training zu steuern und so effektiv zu trainieren. Ich denke heutzutage ist die Kondition noch viel wichtiger, als zu meiner aktiven Zeit. Heute läuft ein Kampf nahezu 3 x 2 Minuten und es gibt wenig Unterbrechungen. Hinfallen, weil man keine Luft mehr hatte. Schützer richten, weil man ein wenig Zeit schinden wollte. Aus der Fläche gehen, damit der Vorsprung gehalten wird. All das ist heutzutage nicht mehr möglich und erfordert noch mehr konditionelle Fähigkeiten der Kämpferinnen und Kämpfer. In einem meiner letzten Interviews mit Olympiasieger und Weltmeister und jetzigem Nationaltrainer der türkischen Nationalmannschaft, Servet Tazegül, hat er meine Ansicht bestätigt: „… am Ende gewinnt derjenige, der die bessere Ausdauer hat. Ausdauer, Kraft und Kondition ist heutzutage echt sehr wichtig.“ Für Viele galt Servet als das

Paradebeispiel dafür, dass man seine Priorität auf das Taekwondo-Training legen sollte. Er sei in seiner Karriere nur sehr wenig gelaufen und habe fast zu 100% Taekwondo trainiert. Athletiktraining stand weniger auf seinem Trainingsplan: „Früher hat man vielleicht nicht so viel Stabi-Training gemacht. Nur wenn man verletzt war. Aber heutzutage muss man viel mehr Kondition-und AthletikTraining machen.“

Durch viele Regeländerungen haben die konditionellen Anforderungen an die Taekwondo-Sportler enorm zugenommen. Kondition im Kampf könnte als der entscheidende Faktor über Sieg und Niederlage sein, wenn man aktuell in Europa die Engländer betrachtet, die sich durchweg körperlich absolut fit auf den Wettkämpfen in der Welt präsentieren. In Deutschland ist Vanessa Körndl aktuell ein sehr gutes Beispiel wo man sieht, dass konditionelle Voraussetzungen die Grundlage für sportlichen Erfolg ist. Nach ihrer überstandenen Corona-Infektion im Mai diesen Jahres hat sie auf vielen Weltranglistenturnieren und zuletzt auch bei dem G4-Weltranglistenturnier in Riyadh durch fulminante Aufholaktionen gezeigt, dass sie konditionell immer noch eins drauf legen kann. Erst in Riyadh bei der World Taekwondo Woman Championship holte sie im Medaillenkampf einen 11:4 Rückstand auf und drehte den Kampf zum Sieg. Beim Weltranglistenturnier in Warschau konnte ich mich selbst davon überzeugen, wie stark Vanessa konditionell vorbereitet war, Rückstände aufgeholt hat und am Ende des Tages mit der Goldmedaille nach Hause fährt.

Da das Thema Kondition zunehmend an Bedeutung gewinnt, habe ich einmal unseren Sportwissenschaftler Dr. Oliver Heine zu diesem wichtigen Thema interviewt und gefragt, wie man denn nun eine bessere Kondition bekommt und was man in den Tagen zwischen Weihnachten und Neujahr trainieren sollte.

Training für die Feiertage

DTU: Die Feiertage stehen bevor, Zeit auch mal etwas weniger tun?

Oliver Heine: Es ist gut, wenn man jetzt in dieser Übergangsphase noch mal ein richtiges Grundlagentraining macht. Das man versucht, die Basics, bei den Dingen die man nicht so gut kann, zu verbessern. Da hilft es, sich an den fünf motorischen Hauptbeansprunchungsformen Kraft, Ausdauer, Schnelligkeit, Koordination und Beweglichkeit zu orientieren. Und sich einfach mal überlegt „Was kann ich gut, was kann ich nicht so gut?“ und genau das, was nicht so gut ist, kann man in dieser Phase jetzt verbessert. Bedeutet z.B.: Derjenige, der eine gute Ausdauer hat, kann das Thema Ausdauer ein wenig vernachlässigen und sich besser jetzt ein bisschen mehr um seine Kraft oder Schnelligkeit kümmern. Andersrum, jemand der kaum Ausdauer hat, sollte da jetzt an den Grundlagen arbeiten. Es muss nach einer langen Saison aber auch mal die Zeit für absolute Regeneration sein. Mal komplett abschalten und das Jahr ausklingen lassen. Auch wenn durch die Corona-Pandemie viele Sportler im Jahresverlauf Phasen hatten, wo vom normalen Trainingsbetrieb abgewichen wurde, sollte dies zum Jahresbeginn auch beachtet werden. Dann kann man einfach wieder hochmotiviert und mit einer guten Grundlage in das neue Jahr starten.

DTU: Was heißt das konkret für meine Wochenplanung?

Oliver Heine: 4-6 Wochen Grundlagen in dem Bereich aufbauen, wo Defizite sind. Diese Phase sollte bis Mitte Januar dauern. Hier macht es Sinn, auch komplett aus der Sportart rauszugehen und die Kondition über Laufen, Langlauf oder Fahrrad fahren aufzubauen. Das ganze Grundlagentraining läuft natürlich neben den 1-2 Trainingseinheiten Taekwondo pro Woche. Im Februar sollte man dann wieder intensiv in das Taekwondo spezifische Training einsteigen (alles natürlich abhängig von der individuellen Zielsetzung der Sportler), um hier dann auch die spezifische Kondition zu verbessern.

DTU: Der Taekwondo-Wettkampfkalender füllt sich mehr und mehr. Es wird wieder schwieriger, gewisse KonditionsBlöcke einzubauen. Wann siehst du den optimalen Zeitpunkt, konditionelle Schwächen zu verbessern?

Oliver Heine: Wenn im Mai der Höhepunkt mit der Europameisterschaft ist, sollte man nach dieser Übergangszeit Weihnachten/Neujarh keinen kompletten Konditionsblock mehr einfügen. In den langfristigen Wochenplanungen sollte man aber stets Zeit einplanen, damit die aufgebaute Kondition aus dem Dezember/Januar auch hält. Wenn man hier wieder komplett zurückfährt, baut sich die Kondition verständlicherweise auch wieder ab. Wenn ich also nur noch Taekwondo trainiere, geht die Grundlage auch leicht wieder verloren. Für Sportler, wo die Grundlage eher schlecht ist, sie sich aber über eine gute Vorbereitung Kondition aufgebaut haben und diese nun halten wollen, gibt es ein einfaches Mittel: Man lässt diese Sportler einfach 10-15 Minuten länger Aufwärmen und Auslaufen, als die anderen. Dieses 10-15 Minuten länger hat dann in ihrer täglichen Wiederholung auch einen Einfluss auf die Erhaltung der Grundlagenfähigkeiten.

Es spricht auch nichts dagegen, dass man z.B. im März noch mal den Fokus auf ein bestimmtes Element der fünf Hauptbeanspruchungsformen legt. Hier sollte sich der Sportler oder die Sportlerin auch stets selbst hinterfragen: „Was kann ich denn schon gut, und was sollte ich vielleicht jetzt noch mal verbessern?“. Gemeinsam mit dem Trainer/ in und idealerweise einem Sportwissenschaftler/in ist das dann ein wichtiger Bestandteil der Jahresplanung.

DTU: Was sollten Kämpferinnen und Kämpfer am Wettkampftag tun, um sich nach einem anstrengenden Kampf möglichst schnell wieder fit für den nächsten zu werden? Gibt es hier ein paar Geheimtipps aus sportwissenschaftlicher Sicht?

Oliver Heine: Auf jeden Fall gilt zunächst mental vom Kampf runterzukommen. Und danach natürlich auch körperlich regenerieren. Das kann man gut in Form eines Cool-Down, zum Beispiel durch Auslaufen, machen. Wichtig ist, dass man so früh wie möglich die KohlehydratSpeicher durch z.B. Riegel, Bananenbrot oder Gels wieder auffüllt. Da sollte man sich selbst eine gute Strategie zurechtlegen, dass man die Produkte auch gut verträgt und was gut im Körper ankommt. Ein Eisbad, wenn man die Möglichkeit hat und genug Zeit zwischen den Kämpfen ist, ist sicher auch super. Man sollte nur stets beachten, dass man alle diese Maßnahmen vorher mal im Training simuliert hat und das nicht erstmals an einem Wettkampf austestet. Wichtig ist, dass jeder seinen eigenen Ablauf am Wettkampftag findet, damit er optimal fit in jeden Kampf geht.

DTU: Thema Aufwärmen: Psychologisch betrachtet, ist das Aufwärmen extrem wichtig, da man aus einer ermüdenden Warteposition den Körper und Geist auf die Höchstleistung vorbereitet. Sollte man hier schon Vollgas geben? Verschießen nicht einige hier vielleicht auch schon wertvolle Körner, die dann im Kampf fehlen? Wie kann man das Aufwärmen bei uns effektiv gestalten?

Oliver Heine: Auch hier zählt: Wenn du auf eine gute Grundlage zurückgreifen kannst, macht einem auch ein etwas intensiveres Aufwärmprogramm nichts aus. Wenn ich hingegen merke, „ok, ich habe jetzt schon ziemlich viele Körner verkickt“ und mache jetzt lieber nur noch ein halbherziges Aufwärmprogramm, ist das natürlich schlecht. Denn wenn man schlecht aufgewärmt in einen Wettkampf geht, steigt die Verletzungsgefahr und auch die Konzentration ist nicht zu 100% da. Was aus meiner Sicht enorm hilft ist eine Routine im Aufwärmen. Wie eine Art Zeitplan, an dem man sich orientiert und den man immer wieder abspielt. Wichtig ist, dass man einmal während der Aufwärmung 100% anzieht und so einfach dieses „Gute Gefühl“ für sich bekommt und den Körper einmal kurzzeitig an seine Leistungsfähigkeit bringt. Das gibt neben den körperlichen Vorteilen auch enormes Selbstbewusstsein für den Kampf. Bei längeren Kampfpausen, von z.B. 3 oder 4 Stunden zwischen den Kämpfen, macht es auf jeden Fall Sinn, sich nochmal komplett neu aufzuwärmen und vorzubereiten.

DTU: Macht es für Taekwondo-Kämpfer nicht mehr Sinn, nur Taekwondo spezifisch Kondition zu trainieren? Schließlich sind wir ja Kämpfer und keine Läufer?

Oliver Heine: Ja das ist Quatsch und wirklich Schwachsinn. Wer glaubt, nur mit Taekwondo Kondition trainieren zu können, wird nie aufs Treppchen kommen. Heutzutage ist das konditionelle Anforderungsprofil so groß und hoch, dass man es nicht schafft, sich in der Weltspitze zu etablieren und bei den großen Events wie EM, WM und Olympia aufs Treppchen zu klettern, ohne Konditionstraining. Und ich kenne wenige bis keinen Taekwondo-Kämpfer, der heutzutage nur noch mit seiner super außergewöhnlichen Technik glänzt. Athletik ist hier in den Kampfsportarten eine Säule des Erfolgs. Wichtig ist einfach, dass sich Sportler und Trainer bewusst sind, was Kondition eigentlich ist. Kondition ist: Ausdauer, Kraft, Schnelligkeit, Koordination und Beweglichkeit. Das alles ist Kondition. Und wenn man sagt, wir machen Konditraining dann bedeutet das eben nicht nur laufen. Warum sollte ein Sportler, der einen guten Schwellenwert in der Ausdauer hat, laufen gehen. Der vergeudet im Prinzip nur Zeit. Zeit, die er braucht, um seine anderen Defizite der Kondition zu verbessern. Der sollte vielleicht mehr in die Schnelligkeit investieren oder in die Kraft. Aber all das ist Kondition. Alle diese fünf Bereiche. Heute war zum Beispiel eine Spitzensportlerin bei mir in der Leistungsdiagnostik und die hat wirklich eine gute Ausdauer. Alle Ausdauerwerte waren top. Sportlich lief es in diesem Jahr aber nicht ganz so erfolgreich, wie sie es sich erwünscht hat. Da gilt es jetzt als Trainer zu überlegen, woran lag es? Was gilt es für uns jetzt in den nächsten 4 Wochen zu verbessern? Ist es die Schnelligkeit? Ist es ihre Beweglichkeit? Oder hat sie vielleicht zu wenig Kraft in ihren Tritten? Das erfordert viel Arbeit in der Trainingssteuerung und natürlich muss ein Trainer mit sich selbst ins Gericht gehen und sich vielleicht auch mal kritisch hinterfragen.

DTU: Laufen ist somit ein wichtiger Bestandteil, um die Grundlagenausdauer in den kommenden Wochen aufzubauen. Welche Lauf-Empfehlungen kannst du unseren Leserinnen und Lesern für einen einfachen Wochenplan geben?

Oliver Heine: Wenn jemand ein Defizit in der Ausdauer hat, sollte er nun nach Weihnachten zwei- bis dreimal die Woche 40 Minuten für einen Zeitraum von drei Wochen laufen gehen. Idealerweise morgens nüchtern. Für den Grundlagenaufbau sollte das ein lockeres einfaches Tempo sein. Und danach steigert man die Intensität und baut auch mal Intervalle mit ein. Und dann geht es in den sportartspezifischen Bereich. Und das gleiche gilt natürlich auch für denjenigen, der in der Kraft Defizite hat. Auch er sollte dann jetzt für einen gewissen Zeitraum eine KraftGrundlage trainieren, danach intensiver werden, bevor er dann wieder in das sportartspezifische Krafttraining einsteigt.

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