
3 minute read
Genmutationen, die das Krebsrisiko steigern
Wie man sich BRCA-Defekte in der Behandlung des Ovarial- und Prostatakarzinoms zunutze machen kann
Jährlich erkranken etwa 650 Frauen an einem Ovarialkarzinom – ein Blick auf die Sterblichkeit lässt aufhorchen: „Wir müssen leider davon ausgehen, dass derzeit in etwa jede zweite Frau an Eierstockkrebs verstirbt. Die Erkrankung weist also eine hohe Mortalität auf“, bedauert Univ.-Prof. Dr. Christian Marth, Universitätsklinik für Frauenheilkunde, Med Uni Innsbruck. Das Prostatakarzinom wiederum ist die häufigste Krebserkrankung des Mannes, rund jeder achte Krebstodesfall lässt sich auf jenes zurückführen. Die große Herausforderung bei Eierstock- und Prostatakrebs ist die Tatsache, dass es sich jeweils um einen „stillen Krebs“ handelt, der lange keine spezifischen Symptome verursacht und teilweise erst in einem fortgeschrittenen Stadium bemerkt wird. Genetische Testungen und darauf aufbauende zielgerichtete Therapien stellen hier eine bedeutsame Ergänzung der Früherkennung und Behandlung besagter Krebsarten dar.
Familiäre Häufung
Prostata- und Eierstockkrebs können genetisch bedingt sein und resultieren häufig aus Mutationen in einem der beiden Gene BRCA1 und BRCA2 (BReast CAncer Gene 1 und 2), die sowohl Frauen wie auch Männer von Geburt an in sich tragen. BRCA1/2-Gene haben eine wichtige Funktion bei der Reparatur von Zellschäden. Veränderungen in jenen Genen sind vor allem dafür bekannt, dass sie das Risiko einer Brust- oder Eierstockkrebs-Erkrankung deutlich erhöhen, sie können jedoch auch die Entstehung von Melanomen, Darm-, Bauchspeicheldrüsen- oder Prostatakrebs begünstigen. Eine Mutation der BRCA1/2-Gene besteht entweder ausschließlich in den Tumorzellen (somatische Mutation) oder in allen Körperzellen (Keimbahnmutation). Jene Unterscheidung hat eine große Bedeutung, da die Keimbahnmutation erblich bedingt ist (etwa zehn bis 15 Prozent der Prostata- und Ovarialkarzinome). Ein Träger jener Mutation gibt sie mit einer Wahrscheinlichkeit von 50 Prozent an seine Nachkommen weiter. Deshalb spielt die Familienanamnese bei der Abschätzung des Krebsri-

sikos und folglich bei der diagnostischen Vorgehensweise eine tragende Rolle.
Genetische Testungen
Sind Familienangehörige des Patienten bekannt, die z. B. an Prostata- oder Eierstockkrebs leiden, gehört er einer Risikogruppe an: „Diese Risikogruppen sollten sich in Bezug auf BRCA testen lassen, das empfehlen wir dringend“, betont Univ.-Prof. Dr. Gero Kramer, Universitätsklinik für Urologie, MedUni Wien. Dennoch kann die Familiengeschichte nicht über alle BRCAMutationen Aufschluss geben, da eine Familienanamnese in vielen Fällen nicht vorhanden ist. Somit wird zum Beispiel jeder Frau mit der Diagnose Ovarialkarzinom eine genetische Untersuchung der BRCA1/2-Gene und eine HRDTestung (Testung auf homologe Rekombinationsdefizienz) angeboten, und zwar unabhängig von der Familiengeschichte. Eine Testung erfolgt nach einer eingehenden Beratung an einem spezialisierten Institut oder bei einem Facharzt. Die Kosten übernimmt die Sozialversicherung, sofern festgelegte Kriterien, bspw. ein erbliches Risiko, erfüllt werden.
Der Stellenwert in der Vorsorgeuntersuchung
Die familiäre Häufung und das genetische Risiko haben auch einen Einfluss auf den Zeitpunkt der urologischen Vorsorgeuntersuchung, da eine Mutation im BRCA-Gen mit einem früheren Erkrankungsbeginn vergesellschaftet ist. Im Falle von Eierstockkrebs gibt es keine sicheren Möglichkeiten zur Früherkennung, jedoch können eine Tastuntersuchung, ein Ultraschall sowie die Bestimmung von Tumormarkern einen Hinweis liefern. Die Vorsorgeuntersuchung in Hinblick auf Prostatakrebs wird opportunistisch durchgeführt, also individualisiert und risikoadaptiert nach einem ausführlichen Beratungsgespräch. Bei Männern mit einer Familienanamnese oder einer bekannten BRCA-Mutation soll die erste Vorsorgeuntersuchung (PSA-Test und rektale Untersuchung) zehn Jahre früher stattfinden, also bereits mit 40 Jahren. Eine MRT kann zusätzlich in Erwägung gezogen werden. Hinzu kommt, dass eine BRCA-Mutation einen Risikofaktor für einen aggressiven Krankheitsverlauf darstellt. Diesbezüglich merkt Prof. Kramer an: „Es gibt auch Prostatakarzinome, die man nicht behandeln muss. Und es ist wichtig, dass wir Risikofaktoren haben, die uns die ‚bösen Karzinome‘ sozusagen besser aufdecken lassen. Hierbei kann uns die BRCA-Mutation helfen.“
Gezielte Therapiemöglichkeiten
Das besonders Wertvolle an dem Wissen über eine BRCA-Mutation: Inzwischen gibt es zielgerichtete Therapien, die sich genau jenen Gendefekt zunutze machen – die PARP-Inhibitoren. PARP (Poly-ADP-Ribose-Polymerase), ein Schlüsselenzym, ist an der Reparatur von DNA-Einzelstrangbrüchen beteiligt. Wenn der Reparaturmechanismus der Zelle aufgrund einer BRCA1/2Mutation bereits beeinträchtigt ist und eine PARP-Hemmung hinzukommt, „vermag die Zelle die Erbinformation nicht mehr zu retten. Es kommt zu Doppelstrangbrüchen, zu sehr schweren Schädigungen der Zelle und dadurch zu einem Absterben der Tumorzelle“, erklärt Prof. Marth. „Die Beeinflussung der genetischen Reparaturmechanismen als neue Säule der Therapie des Eierstockkrebses ist wirklich ein ganz entscheidender Fortschritt“, unterstreicht der Gynäkologe. Und Prof. Kramer fügt hinzu: „Diese Therapien sind beim metastasierten Prostatakarzinom lebenszeitverlängernd.“
Anna Schuster, BSc
Quelle: Pressegespräch zum Weltkrebstag: Prostata- und Unterleibskrebs oft in der Familie – Kampagne „New Normal, Same Cancer – Neuer Alltag, gleicher Krebs“ soll Bewusstsein schaffen, 01/2021.