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So viel als nötig, so wenig wie möglich
Das Mammakarzinom ist die am häufigsten diagnostizierte Krebsart bei Frauen. Im vergangenen Jahr zählte man weltweit 7,8 Millionen Patientinnen mit der Diagnose „Brustkrebs“. Auch in Österreich sei das Mammakarzinom mit rund 5.500 Ersterkrankungen pro Jahr die häufigste Krebserkrankung bei Frauen, berichtete die Expertin Assoz.Prof.in Priv.-Doz.in Dr.in Marija Balic im Juli 2021. Anlass für die Pressekonferenz in Wien* war die Präsentation der Studie ABCSG 16/S.A.L.S.A.1 Die Vizepräsidentin der Austrian Breast and Colorectal Cancer Study Group (ABCSG) ergänzte: „Die größte Gruppe stellen dabei die sogenannten hormonrezeptorpositiven Mammakarzinome mit etwa 70 Prozent dar, wobei vor allem das Luminal-A-Mammakarzinom besonders häufig nach der Menopause auftritt.“ Somit liegt die weitreichende Bedeutung der bereits genannten Studie über postmenopausale Patientinnen mit hormonrezeptorpositivem Brustkrebs klar auf der Hand. Unter der Leitung renommierter österreichischer Spezialistinnen und Spezialisten (siehe Infobox) erlangte man nicht nur international wissenschaftliche Anerkennung, sondern es wurden auch neue Standards in der Brustkrebs-Therapie gesetzt.
Sieben Jahre (5 + 2 Jahre) bringen das beste Ergebnis
Hormonrezeptorpositiver Brustkrebs weist ein beträchtliches Langzeitrisiko einer Krankheitswiederkehr auf: Mehr als 50 Prozent der Rezidive würden nach den ersten fünf Jahren auftreten, so Prof.in Balic. Während die Standardtherapie nach der Diagnose fünf Jahre umfasst, blieb die optimale Dauer der Therapieverlängerung bis vor kurzem ungeklärt. Mit den Ergebnissen der ABCSG 16/S.A.L.S.A.-Studie gibt es nun klare Anhaltspunkte für ebenjene Zeitspanne. Die insgesamt 3.484 postmenopausalen Studienteilnehmerinnen mit hormonrezeptorpositivem Brustkrebs erhielten im randomisierten Verhältnis 1 : 1 entweder eine um zwei oder fünf Jahre erweiterte adjuvante Anastrozol-Therapie. Daraus resultierende Unterschiede waren lediglich in Bezug auf die Nebenwirkungen feststellbar: Univ.-Prof. Dr. Michael Gnant, Studieninitiator und Präsident der ABCSG: „Mit der umfangreichen und vor allem auch lange nachbeobachteten Patientengruppe konnten wir eindeutig zeigen, dass postmenopausale Patientinnen mit hormonrezeptorpositivem Brustkrebs mit durchschnittlichem Risiko nicht von einer verlängerten adjuvanten Antihormontherapie nur mit Anastrozol über eine Gesamtbehandlungsdauer von sieben Jahren hinaus profitieren.“ In diesem Sinne laute der Grundsatz für die optimale Therapie: „So viel als nötig, so wenig wie möglich.“ Durch die zeitliche Einschränkung sollen Frauen künftig vor vermeidbaren, knochenassoziierten Nebenwirkungen geschützt werden.
Keine „Kochbuch-Medizin“
Wie bei jeder medizinischen Studie stellt sich auch in diesem Zusammenhang die Frage nach der individualisierten Therapie. In welchen Fällen die Aromatasehemmer über den empfohlenen Zeitraum hinaus zu nehmen seien, ließe
sich nicht so einfach beantworten. „Die Onkologie ist keine ‚Kochbuch-Medizin‘. Gerade weil sie so komplex ist, weil sie so schwere Interaktionen zeigt, die weit über das hinausgehen, was viele andere Therapien in der Medizin mit sich bringen, ist eine hohe Individualisierung auf der Basis eines sehr komplexen Wissens und einer hohen Dynamik im Austausch von Innovationen notwendig“, gab Prim. Univ.-Prof. Dr. Richard Greil, Vizepräsident der ABCSG, zu bedenken. Den Begriff „Standard“ verwende er zum Beispiel bewusst nicht, da jener wissenschaftlich nicht definiert sei. Zu beachten sei, dass zwei Drittel bis drei Viertel der Studienteilnehmerinnen der Tumorklassifikation T1 zugeordnet worden und etwa ebenso viele von keinem Lymphknotenbefall betroffen gewesen seien. In anderen Stadien mit großem Risiko einer Fernmetastasierung müsse die Situation bzw. die Dauer der Therapie daher womöglich überdacht werden. Ebenfalls abzuschätzen sei das individuelle Osteoporoserisiko. All diese Faktoren gelte es abzuklären. Als ganz wesentlich erachtet Prof. Greil jedoch den „Impact“ der Studie in Bezug auf die Verhinderung der Übertherapie von „Low-Risk“- oder „Intermediate-Risk“-Patienten. Einen wichtigen Hinweis gab es auch betreffend den prämenopausalen Bereich, der im Rahmen der besagten Studie nicht abgedeckt wurde. Man könne demnach keine Aussagen über die optimale Therapiedauer für prämenopausale Patientinnen ableiten – dazu brauche es eine neue Studie, so Univ.-Prof. Dr. Christian Singer.
Nebenwirkungen reduzieren
Im Anschluss an die Pressekonferenz wurde zudem die Bedeutung der Knochendichteverminderung thematisiert. Die ABCSG habe diesbezüglich hochwertige Studien publiziert, betonte Prof. Greil. Durch die Verbesserung der Knochendichte könne nicht nur die Frakturrate gesenkt, sondern auch insgesamt ein besseres Outcome für die Patienten erzielt werden. „Bei uns in Salzburg bieten wir all jenen Patienten zusätzlich Zoledronat an“, so Prof. Greil. Die Knochenprotektion sei bei ABCSG 16/S.A.L.S.A nicht Fokus der wissenschaftlichen Untersuchung gewesen, ergänzte Prof. Singer. Es gebe jedoch die Studien ABCSG 12 und ABCSG 182 zu dieser Fragestellung.
Aktuelle Forschungsaspekte
Die vorliegende Studie hat eine konkrete Frage beantwortet, aber viele weitere sind noch zu klären. Aktuell sei eines der innovativsten Projekte die ABCSG 50 – über eine sozusagen vorbeugende Intervention bei Patienten mit einem erhöhten genetischen Brustkrebsrisiko, informierte Prof. Gnant. Die Finanzierung solcher Studien stelle übrigens keine leichte Aufgabe dar. Während in den USA rund 50 Prozent der klinischen Forschung vom Staat finanziert würden, liege der Prozentsatz in Österreich lediglich im einstelligen Bereich. Aber man hat offenbar andere Finanzierungsmöglichkeiten gefunden. So sei beispielsweise das amerikanische Verteidigungsministerium ein Geldspender für das Projekt ABCSG 50, wies Prof. Gnant auf einen interessanten Aspekt hin. Um einen frühen Zugang zu modernen Behandlungsmethoden zu bekommen und an aktuellen Studien teilzunehmen, sollten sich Interessierte an eines der zertifizierten Brustgesundheitszentren in Österreich wenden, fügte er hinzu.
Mag.a Ines Riegler, BA
* Dieser Artikel bezieht sich auf das Pressegespräch der Austrian Breast and Colorectal
Cancer Study Group (ABCSG) am 29. Juli 2021 im APA Pressezentrum, Wien. Quellen: 1 Michael Gnant et al., N Engl J Med, 29 July 2021: 385:395-405. 2 abcsg.org/die-abcsg/die-grosten-erfolge (abgerufen am 17.9.21)
X Infobox: Expertinnen und Experten der ABCSG 16/S.A.L.S.A.-Studie
Univ.-Prof. Dr. Michael Gnant
Comprehensive Cancer Center, Medizinische Universität Wien, Studieninitiator und Präsident der ABCSG
Assoz.-Prof.in Priv.-Doz.in Dr.in Marija Balic
Klinische Abteilung für Onkologie, Universitätsklinik für Innere Medizin, Leiterin des Brustzentrum-CCC Graz, Med Uni Graz, Vizepräsidentin der ABCSG
Prim. Univ.-Prof. Dr. Richard Greil
III. Medizinische Universitätsklinik Salzburg, Onkologisches Zentrum, Leiter des Salzburg Cancer Research Institutes und des Cancer Clusters Salzburg, Vizepräsident der ABCSG
Univ.-Prof. Dr. Christian Marth
Leiter der Universitätsklinik für Frauenheilkunde der Medizinischen Universität Innsbruck, Vizepräsident der ABCSG
Univ.-Prof. Dr. Christian Singer
Leiter des Brustgesundheitszentrums an der Universitätsklinik für Frauenheilkunde der Medizinischen Universität Wien am AKH und Vorstandsmitglied der ABCSG