4 minute read

Vertrauensverhältnis in der Praxis

Die Rolle von Hausärzten in Hinblick auf Adhärenz, Health Literacy und Empowerment

Hausärzte nehmen eine besondere Funktion und damit Rolle innerhalb des Gesundheitswesens ein. Vor allem aus dem vertrauensvollen Arzt-PatientenVerhältnis resultiert eine zentrale Stellung, aber ebenso – und das wird gelegentlich übersehen – eine besondere Verantwortung.

Wechselseitiges Vertrauen

An der Auffassung „Vertrauen verpflichtet!“ – ist etwas Wahres dran. Da Hausärzten für gewöhnlich großes Vertrauen entgegengebracht wird und darum eine besondere Form der Intimität herrscht, in welcher Rat gesucht wird, ist dieses Vertrauensverhältnis natürlich auch anfällig für Einflussnahmen. Insbesondere der für jede medizinische Intervention vorausgesetzte „informed consent“ sollte stets nichtdirektiv zustande kommen, was allerdings jeder realen Kommunikationsstruktur widerspricht: Kommunikationsverhältnisse, erst recht jene, die durch Vertrauen und Intimität bestimmt sind, unterliegen immer schon wechselseitigen Einflussnahmen. Anspruch und Wirklichkeit sind zweierlei Dinge und ersteres muss wohl eher als Ideal gesehen werden.

Bedeutende Schnittstellenfunktion

Nun muss man jenen Umstand nicht zwangsläufig bedauern, zugleich versteht man, warum Hausärzten eine zentrale Funktion – und damit freilich auch eine Form der Macht – im Gesundheitswesen zukommt. Genau diese Schnittstellenfunktion prädestiniert Hausärzte allerdings dafür, als Brückenbauer und Transmissionsriemen für Verbesserungen im Gesundheitssystem zu fungieren. Derzeit bestehen enorme gesellschaftliche Herausforderungen, von denen COVID-19 nur eine ist. Die bisherigen Entwicklungen erfordern bereits nachhaltige Initiativen insbesondere in Bezug auf die individuelle Gesundheitskompetenz. Bei jenen haben Hausärzte – neben anderen Funktionsträgern – eine herausragende Vermittlungsposition. Man denke etwa an die (global) immer noch steigenden Zahlen von Übergewicht und Adipositas, an den Bewegungsmangel (verschärft durch aktuelle Home-Learning- und HomeOffice-Strategien), an die problematische Ernährung und damit insgesamt an all das, was gemeinhin als Zivilisationskrankheiten bezeichnet wird, welche wiederum bei den Erkrankungen und Todesursachen ganz oben rangieren. Wie diese derzeit noch kulminierenden Probleme sich verlässlich bewältigen lassen, ist nicht ganz klar. Eines zeigt sich aber seit längerer Zeit: Der Mangel an eigenverantwortlichem Gesundheitsverhalten, also an Empowerment, resultiert weniger aus Unkenntnis denn aus emotionalen Schwierigkeiten mit der Motivation.

Evolutionärer Hintergrund

Das Problem lässt sich auch evolutionsbiologisch beschreiben: Für biologische Systeme ist evolutionär die biologische Fitness eine Frage der Effizienz, also

zunächst der biologischen Bestrebung, bei möglichst wenig Energieverlust den größten Nutzen zu erzielen. Damit liegen die biologisch sinnvollen Strategien betreffend Bewegung und Ernährung auf der Hand. Als solche sind sie fest im neuronalen System durch Neurotransmitter- und Hormonregulation verankert, allerdings in hoch modernen, funktional stark ausdifferenzierten Gesellschaften teilweise kontraproduktiv. Die besagten Strategien wurden unter enormem Anpassungsdruck und angesichts einer massiven Ressourcenknappheit entwickelt – und damit fernab aktueller Gesellschaftsstrukturen. Diese evolutionär tief verwurzelten Strategien spielen in sämtliche Lebensbereiche hinein und beinhalten auch gesundheitskompatibles Verhalten, Empowerment und Therapietreue, sprich Adhärenz.

Mögliche Rolle als Gesundheitscoach

Will man die oben skizzierte Situation verbessern, müssen also offenbar

Autor: Doz. (PD) Univ.-Lektor Dr. Andreas Klein

Universität Wien, Ethik Consulting Klein GmbH Wien

Foto: © Businessfoto Wien

Strategien gefunden werden, die neben den notwendigen informationellen Kompetenzen insbesondere die emotionalen Motivatoren erreichen. Denn es mangelt meist nicht am zumindest rudimentären Wissen über Gesundheitsbelange, sondern an deren Umsetzung. „Der innere Schweinehund“ meint schließlich nichts anderes als jene evolutionär sehr erfolgreiche Strategie, die nun aber auf die moderne Welt ausgerichtet werden muss. Und dazu braucht es Motivation und Emotion, denn Gehirne wollen einen Nutzen sehen – oder besser: „spüren“ . Dies hat auch die WHO vor längerer Zeit richtig erkannt.

Mind-Changing-Prozess

Nun muss tatsächlich ein Mind-Changing-Prozess auf allen Ebenen der Gesundheitsdienstleister einsetzen: Es gilt, Strategien zu entwickeln, welche ebenjene emotionale Steuerungsfunktion (des Gehirns) beeinflussen. Hier sind enorm viele Optionen denkbar, sie reichen von monetären oder anderen Anreizen über soziale Interaktionen bis hin zu technologischer Unterstützung (Gamification, Nudging u. v. m.). Dabei muss kein künstliches Gegeneinander von intrinsischer und extrinsischer Motivation aufgebaut werden, weil hier der Erfolg im Mittelpunkt steht. Und dieser lässt sich an einem adäquaten Gesundheitsverhalten ablesen, er wirkt sich letztlich nicht nur auf den Einzelnen, sondern auch auf die Gesellschaft insgesamt und natürlich auf die Gesundheitsausgaben positiv aus.

Gute Voraussetzungen schaffen

An dem genannten Mind-ChangingProzess können insbesondere Hausärzte entscheidend mitwirken, und zwar schon aufgrund der niederschwelligen Vertrauensbeziehung zwischen ihnen und ihren Patienten. Dabei vernachlässige ich hier die gerne geführten ausschweifenden Diskussionen über Bezahlsysteme, Zeitmangel und dergleichen. Der Fokus liegt vielmehr darauf, dass am spezifischen Interaktionsort „Hausarzt – Patient“ Kommunikationsprozesse ablaufen, welche an sich bereits gute Voraussetzungen bieten, um Empowerment, Health Literacy und Adhärenz zu fördern. Zwar kann und darf es hier freilich nicht zu einer Überbewertung dieser Interaktion kommen, da Menschen nun einmal vorwiegend ihr Leben außerhalb der Ordination führen, jedoch heißt das nicht, dass man mit dem Hausarzt nicht in mehrfacher Hinsicht verbunden ist und bleibt. Betrachtet man etwa das Anreizsystem für ein besseres Gesundheitsverhalten der ehemaligen SVA oder die Diabetes-Strategie der vormaligen VAEB, so kommt dem Hausarzt hier eine zentrale Vermittlungs- und Coaching-Rolle zu: Er ist im Gedächtnis oder virtuell stets präsent. Ganz generell wird vor dem Hintergrund digitaler Lebenswelten (Stichwort: Doktor Google) der Hausarzt zunehmend auch als Gesundheitscoach fungieren. Als solcher betreut er Menschen bei ihren individuellen Fragen und Problemen – auf Augenhöhe, nämlich als Partner, und nicht paternalistisch.

Uneigennützige Motivation

Freilich bedarf es hierzu einer MindOpeness seitens der Hausärzte, sodass sie sich für neue Wege des Miteinanders und der positiven Beeinflussung von Motivation, Emotion und Disziplin interessieren. Dazu gehören auch die Offenheit für und das Einlassen auf neue digitale Optionen, die Einbeziehung von Erkenntnissen der modernen Gehirn-, Lern- und Kommunikationsforschung und vor allem die Selbstwahrnehmung als mitverantwortlicher Partner, Coach und Begleiter. Die zahlreichen gesellschaftlichen Herausforderungen im Bereich der Gesundheit lassen sich nur gemeinsam meistern. Aber gerade deswegen kommt jedem Einzelnen eine Verantwortung zu, um – ethisch gesprochen – das Gute zu tun bzw. zu erreichen. <

This article is from: