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Entkriminalisierung der Sterbehilfe
Entkriminalisierung der Sterbehilfe Wunsch nach Kooperation zwischen Hausarzt und Palliative-Care-Experten
+++ Verfassungsgerichtshof hebt § 78 – Hilfeleistung beim Suizid – auf +++ Klare gesetzliche Regelungen noch ausständig +++ Sozialer Druck als Risiko +++ Chancen für Palliativversorgung +++ Gesprächsbereitschaft der Hausärzte als zentraler Faktor +++
Viel Aufregung verursachte die Entscheidung des Verfassungsgerichtshofes (VfGh) von Anfang Dezember hinsichtlich der Sterbehilfe. Der VfGh stellte fest, dass der § 78, 2. Tatbestand Strafgesetzbuch (Hilfeleistung beim Suizid), verfassungswidrig und daher aufzuheben ist. § 8, 1. Tatbestand (Verleitung zum Selbstmord), und § 77 (Tötung auf Verlangen) sieht der VfGh hingegen als verfassungskonform an. Der Gesetzgeber muss nun klare gesetzliche Regelungen für den assistierten Suizid festlegen.
„Historischer Durchbruch“
Österreich ziehe mit dieser Entscheidung im internationalen Vergleich nach, wenn auch mit einiger Verspätung, zeigt sich die Österreichische Gesellschaft für ein humanes Lebensende (ÖGHL) zufrieden. „Es ist eine Entscheidung, welche schwerkranken Menschen, die nicht mehr länger leiden möchten, das Sterben ein Stück humaner macht“ , sagt Wolfgang Obermüller, Politiksprecher der ÖGHL. Mit dem Urteil würde eine zutiefst inhumane Strafbestimmung aus der Zeit des Austrofaschismus aufgehoben, es sei ein historischer Durchbruch, heißt es seitens der ÖGHL. Dass legale Sterbehilfe tatsächlich durchführbar wird, dafür setzt sich die ÖGHL nun ein. Überrascht habe das Urteil niemanden, meint OA Dr. Dietmar Weixler, Anästhesist, Intensiv- und Palliativmediziner. Die Frage nach einem Rechtsanspruch auf assistierten Suizid oder Tötung auf Verlangen beschäftige die reichsten westlichen Staaten seit den 1990er Jahren. Das Konstrukt der „Freiheit eines
Foto: © Dieter Schewig
Experte zum Thema: OA Dr. Dietmar Weixler
Facharzt für Anästhesie, Intensivmedizin und Palliativmedizin
X Institutionen im Kurzporträt
Die Österreichische Gesellschaft für ein humanes Lebensende erachtet das Recht auf Selbstbestimmung am Lebensende als wesentlichen Teil der Autonomie des Menschen. Sie setzt sich daher für die Entkriminalisierung der Sterbehilfe, insbesondere für die Liberalisierung von § 78 StGB („Mitwirkung am Selbstmord“) und von § 77 StGB („Tötung auf Verlangen“), ein und agiert gemeinnützig, überkonfessionell und überparteilich. Weitere Informationen unter www.oeghl.at Die Österreichische Palliativgesellschaft (OPG) vertritt als wissenschaftliche Fachgesellschaft Repräsentanten unterschiedlicher medizinischer Fächer, Professionen und beruflicher Disziplinen, welche unheilbar erkrankte und sterbende Menschen behandeln, betreuen und begleiten. Dabei unterstützt sie Initiativen in Forschung, Fortbildung und praktischer Ausübung von Palliative Care mit dem Ziel, die einzelnen Disziplinen und ihre Interprofessionalität zu stärken. Mehr Informationen unter www.opg.at
Suizidwilligen“ im Sinne eines freien und unabhängigen Willens erachtet der Palliativmediziner allerdings als sehr problematisch.
Schwierige Rolle der Ärzte
„Für mich als Palliativmediziner und Notarzt bedeutet das Urteil eine enorme Verunsicherung“ , macht Dr. Weixler aufmerksam. „Aus meiner Sicht wäre es recht und billig, wenn man als Österreicher nicht nur einen Rechtsanspruch auf einen assistierten Suizid hätte, sondern auch ein Recht auf eine Grundversorgung im Sinne der Palliative Care – unter Einschluss aller relevanten Berufsgruppen. Sehr intensiv beschäftigt mich die Frage, wie man als Notarzt mit einem ‚Suizidwilligen‘ umgehen sollte, bei dem das Verfahren, wie es in der Literatur beschrieben ist, nicht ‚zum Erfolg‘ geführt hat. “ Dr.in Annette Henry, MSc, Allgemein- und Palliativmedizinerin, arbeitet in der Kinder- und Jugendpalliativmedizin in MOMO – Wiens mobiles Kinderhospiz und Kinderpalliativteam, wo sie mit Fragen der Lebensverkürzung nicht konfrontiert wird. Als Ausbildnerin auf dem Gebiet der Palliative Care und nach Jahren im Erwachsenenpalliativbereich kann sie sich jedoch vorstellen, dass sich nun öfter Fragen an Hausärzte ergeben. „Im Idealfall entwickelt sich daraus ein konstruktiver Gesprächsprozess“ , so Dr.in Henry. „Dabei können Fragen nach der Art des Lebens im Krankheitsfall und der Bedeutung von Lebensqualität gestellt werden. Es geht in jedem Fall darum, eine möglichst gute Zeit mit hoher Lebensqualität zu verbringen“ , fährt die Palliativmedizinerin fort. „Meiner Erfahrung zufolge wird normalerweise nach jedem therapeutischen Strohhalm gegriffen, selbst nach experimentellen Behandlungen. “ Das bringe auch eine Chance für Palliative Care mit sich. Bei schweren Erkrankungen entwickelt der Großteil der Menschen eine Art Anpassung. Während im ersten halben Jahr nach einer Diagnose negative Emotionen überwiegen, steigt die Lebensqualität danach. Meist wird in der finalen Lebensphase der Lebenswunsch schließlich größer. Nur ein kleiner Teil der Patienten bleibt bei dem Wunsch, das eigene Leben selbstbestimmt zu beenden. „Der Autonomieverlust stellt für viele ältere Menschen eine größere Hürde dar als die Angst vor dem Sterben“ , weiß Dr.in Henry aus Erfahrung. Dahingehende Fragen an den Arzt des Vertrauens sind eine Einladung zum Dialog. „Fragen Sie den Patienten, was ihm unerträglich ist, hören Sie ihm aufmerksam zu, denn die durch das Gespräch entstehenden Bilder können die Sichtweise verändern“ , betont die >
Expertin zum Thema: Dr.in Annette Henry, MSc
Allgemein- und Palliativmedizinerin, MOMO Wiens mobiles Kinderhospiz und Kinderpalliativteam
„Im besten Fall entsteht aus dem Sterbewunsch ein konstruktiver Gesprächsprozess.“
Palliativmedizinerin. Wichtiger als die Unterstützung beim Suizid seien ein offenes Ohr, die kontinuierliche Begleitung der Betroffenen und der Versuch, ihre Leiden zu lindern. „Als Arzt muss man nicht einwilligen, ein Leben zu verkürzen oder dabei zu helfen. Zeit zu investieren, Erkrankte zu begleiten und bei einer Therapiezieländerung zu unterstützen, können jedoch bedeutsame Aufgaben sein“ , gibt Dr.in Henry zu bedenken. Dr. Weixler, für den die Frage nach assistiertem Selbstmord keine neue Erfahrung ist, schlägt in die gleiche Kerbe: „Am allerwichtigsten scheint es mir, zuzuhören, sich Zeit zu nehmen, von den Problemen, Bedürfnis-
X Stimmen zum Thema Sterbehilfe sen und Ängsten zu erfahren. In der Palliativmedizin haben wir gelernt: Ein WTHD (wish to hasten death) muss nicht zwingend bedeuten, dass ein Sterbewunsch fixiert ist. Hinter jenem stecken häufig Ängste und Sorgen, unbeachtete Bedürfnisse, eine verbesserungswürdige Symptomkontrolle wie auch das Gefühl, anderen zur Last zu fallen.“
Mehr Gewicht für Hospiz- und Palliativversorgung
ÖÄK-Präsident Dr. Thomas Szekeres zeigte unlängst auf, dass durch den VfGh-Beschluss Menschen vermehrt
Univ.-Prof. Dr. Thomas Szekeres
Präsident der ÖÄK „Keine Ärztin und kein Arzt darf bei diesem sensiblen Thema dazu gezwungen werden, gegen ihr oder sein Gewissen zu handeln und zur Tötung eines Menschen beizutragen. Auch dürfen keinesfalls einer Ärztin oder einem Arzt dadurch irgendwelche Nachteile entstehen, wenn sie oder er nicht an Sterbehilfe beteiligt sein will. Die individuelle Einschätzung steht für die Österreichische Ärztekammer außer Frage.“
Wolfgang Obermüller
Politiksprecher der Österr. G. f. ein humanes Lebensende (ÖGHL)
Univ.-Prof. Dr. Klaus Markstaller
Präsident der Österr. G. f. Anästhesiologie, Reanimation und Intensivmedizin (ÖGARI) „Die möglichen Konsequenzen der Aufhebung des Verbots einer Suizid-Beihilfe sieht die ÖGARI mit einiger Sorge. Wir haben viele Möglichkeiten und Methoden, auch schwere Leiden und belastende Symptome effektiv zu lindern. Zudem hat der Gesetzgeber vor zwei Jahren auch eine wichtige Klarstellung im Ärztegesetz vorgenommen, indem er ausdrücklich eine Beistandspflicht für Sterbende unter Wahrung ihrer Würde festlegte und Rechtssicherheit für wichtige palliativmedizinische Maßnahmen schaffte.“
unter Druck gerieten, ihr Dasein und ihren Lebenswillen zu rechtfertigen. Diese Gefahr ortet auch Dr.in Henry – abhängig von der Entwicklung der Gesellschaft in jener Frage. Dr. Weixler sieht darin sogar eine sehr konkrete und keine potenzielle Gefahr, wie er aus seiner täglichen Praxis weiß, „da bei den meisten problematischen Entscheidungen das soziale Umfeld sehr bestimmt mitagiert, etwa bei Aspekten wie Hospitalisierung und Unterbringung, aber auch bei ethisch herausfordernden schwerwiegenden medizinischen Eingriffen. “ Gerade unter Anwendung der „neuen Krebstherapien“ sei es üblich geworden, das Thema palliative Versorgung trotz umfangreicher Metastasierung in den Hintergrund zu drängen und buchstäblich bis zum letzten Atemzug Druck in Richtung der Kurativität zu machen. „Eine Absurdität. Die palliativen Mittel werden viel zu spät – gleichsam im Feuerwehrmodus – angefordert und bleiben dann in jedem Fall ohne Effekt“ , ärgert sich Dr. Weixler. Allerdings birgt die Krise auch eine Chance für neue Kooperationsmodelle. „Kommt der Wunsch nach unterstütztem Suizid auf, so sollte ein Gespräch mit Personen stattfinden, die in Palliative Care ausgebildet wurden. Daraus könnte eine Kooperation zwischen Hausarzt und Palliative-CareExperten entstehen“ , erklärt Dr.in Henry hoffnungsvoll. Noch scheinen diesbezügliche Regelungen in weiter Ferne. Die Österreichische Hospiz- und Palliativlandschaft wartet seit der Parlamentsenquete 2002 auf die Zuteilung von Mitteln, die eine wohnortnahe, den Bedarf deckende Versorgung ermöglichen könnte. „In dem Zusammenhang gibt es viele herzerweichende Lippenbekenntnisse, vereinzelt auch beachtliche Investitionen, aber eine bundesländerumspannende Lösung ist aktuell nicht in Sicht“ , so Weixler. Bis zur Umsetzung einer neuen Rechtsprechung in Bezug auf § 78 wäre Zeit für eine Weichenstellung.