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Impfunsicherheit verstehen und ihr ziel genau begegnen

Impfunsicherheit verstehen und ihr zielgenau begegnen

Das 5C-Modell unterstützt Ärzte bei der Impfberatung

Die Anfang Jänner 2021 durchgeführte Umfrage von Unique research in Hinblick auf die COVID-19-Impfbereitschaft der Österreicher brachte ein ernüchterndes Ergebnis: Von den 500 befragten Bürgern gaben 31 % an, dass sie sich „ganz sicher“ impfen lassen würden, sofern sie die Möglichkeit dazu hätten. Weitere 20 % beantworteten die Frage mit „eher ja“ , woraus gefolgert werden kann, dass aktuell etwas mehr als die Hälfte der Österreicher das Angebot einer COVID-19-Schutzimpfung annehmen würden. Summa summarum liegt die Impfbereitschaft bei 51 %. Im Vergleich dazu beträgt sie in Deutschland gemäß einer von Infratest dimap zur selben Zeit durchgeführten Umfrage 75 %. Auch wenn Österreich sich laut einem im Jahr 2018 von der EU veranlassten Bericht über das allgemeine Impfvertrauen (State of vaccine confidence in the EU 2018) mit Platz 13 im Mittelfeld befindet, werden Herr und Frau Österreicher ihren Ruf als Impfmuffel wohl nicht so schnell los. Denn wenn es um die Beurteilung der Faktoren „Wichtigkeit“ und „Sicherheit“ der Influenza-Impfung geht, nimmt unser Land den letzten bzw. vorvorletzten Platz unter den 28 Mitgliedstaaten ein.

Die Kluft zwischen Wissen und Glauben

Die Suche nach den Ursachen von Impfmüdigkeit, -skepsis und -gegnerschaft entwickelt sich, befeuert durch die COVID-19-Pandemie, mittlerweile weltweit zu einer interdisziplinären Herausforderung, hinter der vor allem die große Frage nach der stärker werdenden Kluft zwischen Wissen und Glauben in unserer Gesellschaft steht. Während die WHO den Einsatz von Impfungen (nach dem Zugang zu sauberem Wasser) als die zweitwichtigste Errungenschaft im Dienst der Weltgesundheit bezeichnet, haben seit Mitte der 1970er Jahre immer mehr Menschen Zweifel an oder Vorbehalte gegen Impfungen oder lehnen diese kategorisch ab.

Skepsis und Gegnerschaft als Begleitphänomene

Die Gründe von Skeptikern und Gegnern waren und sind vielfältig. Aus Sicht der Psychologie sind jedoch zwei zentrale Vorbehalte erkennbar: erstens der Aspekt der „Unnatürlichkeit“ einer Impfung an sich, zweitens der Aspekt des „Einbringens eines potenziell schädigenden Agens“ in den menschlichen Körper, kombiniert mit der Angst vor Schäden, die den Nutzen bei Weitem überwiegen können. Es sei jedoch angemerkt, dass impfkritische bzw. impfgegnerische Bewegungen nicht allein auf dem Boden medizinischer Laien gedeihen, wovon nicht nur das Beispiel des 1901 gegründeten „Vereins impfgegnerischer Ärzte“ zeugt, sondern auch so manche Stellung-

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nahmen und Initiativen von Medizinern in der Gegenwart. In puncto Motivation fällt oftmals auf, dass der Wille zum Dissens bei einigen Proponenten den Willen zum konstruktiven Dialog massiv dominiert.

Ärzte und die „Impfmoral“

Die ärztliche Einstellung zu Schutzimpfungen ist insofern bedeutsam, als sie für die „Impfmoral“ der Bürger im jeweiligen Land in hohem Maße verantwortlich zeichnet, wie die EU-weite Studie

X Tabelle: Das 5C-Modell des Impfverhaltens – konstituierende Faktoren und mögliche Interventionen

Fehlendes Vertrauen (Confidence) Fehlendes Risikobewusstsein (Complacency) Praktische Barrieren (Constraints) Hohes Informationsbedürfnis (Calculations) Schutz der Gemeinschaft (Collective responsibility)

Gängige Mythen entkräften Mediale Effekte erklären Schmerz- und stressfreies Impfen Risiko von Folgeerkrankungen erklären Nur eingeschränkt anwendbar: Furchtappelle und Kontextualisierung Impferinnerungen verschicken Fachübergreifendes Impfen Aufsuchendes Impfen Anreize zum Impfen schaffen (Vorträge, Fragestunden …) Zielgruppengerechtes Angebot von Informationen aus vertrauenswürdigen Quellen (selbst verfasste Infoblätter, Broschüren …) Risikokommunikation Aufklärung über Beitrag für den Schutz der Gemeinschaft Information über individuellen Beitrag für die Eradikation von Erkrankungen

Autor: Mag. John Haas

Diplompsychologe in Wien/Melk, FH-Lektor: Psychologie, Data Science und Future Studies

zum Impfvertrauen aus dem Jahr 2018 klar aufzeigt. Eine österreichspezifische Untersuchung aus dem Jahr 2020 erhob, dass die Mediziner und insbesondere die praktischen Ärzte für Patienten die vertrauenswürdigste Quelle darstellen, wenn es um Informationen über das Impfen geht. Nennenswert ist aber auch die verzerrende Darstellung des Impfdiskurses durch manche Medien. Während unter Gesundheitsexperten ein ausgeprägter Konsens bezüglich der „großen“ Fragen rund um die Impfung herrscht, vermittelt die mediale Darstellung z. B. in Form von Pro-und-Kontra-Diskussionsrunden vielen Menschen den falschen Eindruck, dass die Medizin betreffend Sinnhaftigkeit und Sicherheit von Impfungen gespalten sein könnte.

Impfunsicherheit verstehen

Der Praktiker steht vor der Aufgabe, neben den zuvor diskutierten „großen“ Fragen vor allem die „kleinen“ Fragen im ärztlichen Alltag zu beantworten. Man muss jedoch anerkennen, dass Fragen, Zweifel oder Vorbehalte von Patienten, wenn sie auch irrational erscheinen mögen, vor allem zutiefst menschliche Anliegen darstellen. Obgleich diese meist an Sachinhalte gekoppelt sind („Glauben Sie wirklich, dass diese Impfung sicher ist?“), müssen sie insbesondere beim heiklen Thema Impfung als Ausdruck des Menschen in seinem jeweiligen Lebenskontext verstanden werden. Hat der Praktiker jene Sichtweise, so kann das eine oder andere vormals nicht verstandene Anliegen eines Patienten in einem anderen Licht erscheinen und sich vielleicht einfacher beantworten lassen. Obgleich der Arzt nicht immer in der Lage ist, grobe Defizite in der Gesundheitskompetenz mancher Patienten zu verringern, so sollte er dennoch bemüht sein, seine Einstellung und sein Wissen in puncto Impfung empathisch, klar und vor allem authentisch zu kommunizieren. Patienten nehmen von einem Arztbesuch mehr mit als nur ein Rezept. Die Rede ist hier von der Empfindung, die oft länger nachwirkt als der eigentliche Vorstellungsgrund. Im Zusammenhang mit Impfungen ergibt sich aus der aktuellen Forschung ein wertvoller Hinweis auf eine potentielle Kommunikationsfalle. Diese schnappt häufig dann zu, wenn Ärzte ihre Patienten mit Hinweisen auf mögliche Risiken nicht zu stark belasten wollen, wobei beim Patienten das Gegenteil der Fall ist. Werden nämlich Impfrisiken verneint oder sehr gering eingeschätzt, führt das vor allem bei ängstlichen oder skeptischen Menschen paradoxerweise zu einer höheren Einschätzung des Risikos.

Das 5C-Modell als Beratungshilfe

Da im Rahmen der COVID-19-Pandemie die Zeit einen wichtigen Faktor darstellt, empfiehlt es sich, beim Umgang mit Fragen und Vorbehalten seitens der Patienten das 5C-Modell zu beherzigen (siehe Tabelle). Es beschreibt das Impfverhalten von Menschen anhand der fünf wichtigsten, empirisch ermittelten Faktoren. Zu ihnen zählen Vertrauen (Confidence), Risikowahrnehmung (Complacency), Praktische Barrieren (Constraints), Informationsbedürfnis (Calculations) und Schutz der Gemeinschaft (Collective responsibility). Dabei sind jedem der Faktoren bestimmte Interventionen zugeordnet, mit denen Vorbehalten der Patienten effektiv entgegengewirkt werden kann. Mit diesem Modell und den empfohlenen Interventionen haben Ärzte bei der Impfberatung ein Rahmenmodell zur Hand, das ihnen ermöglicht, Patientenvorbehalte einzuordnen und ihnen mit „Best Practices“ und im Sinne der medizinischen Ethik zu begegnen. <

X HAUSARZT-Buchtipp

COVID-19 und Psychologie

Kompakte, wissenschaftliche fundierte Übersicht über psychologische Pandemieauswirkungen Autor: John Haas

ISBN 978-3-658-32030-0, Springer 2020

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