Trachsel u.a., Aare

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Berns Aare

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Berns Aare

Fotografien von Hansueli Trachsel Mit Texten von Anna B채hler Walter D채pp Ueli Gruner Christian L체thi Lisa Stalder Markus Steiner Franziska Witschi

Haupt Verlag

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Die Herausgabe dieses Buches wurde durch Beiträge folgender Institutionen ermöglicht:

Stadt Bern

SWISSLOS / Lotteriefonds Kanton Bern

Gesellschaft zu Schuhmachern

Gemeinde Bremgarten

Gemeinde Muri bei Bern

Gesellschaft zu Ober-Gerwern Die Mobiliar

Gemeinde Ittigen

Gemeinde Wohlen

ARA Region Bern AG naturaqua PBK AG

Gemeinde Köniz

Burgergemeinde Bern

Gemeinde Zollikofen

Gesellschaft zu Mittellöwen

Brauerei Felsenau

1. Auflage 2013 Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek  : Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie  ; detaillierte bibliografische Angaben sind im Internet über http  : //dnb.d-nb.de abrufbar. ISBN 978-3-258-07758-1 Alle Rechte vorbehalten. Copyright © 2013 Haupt Bern Lektorat  : Regine Balmer, Bern, Claudia Huber, D-Erfurt Gestaltung und Satz  : Atelier Mühlberg, Basel Litho  : FdB Für das Bild, Fred Braune, Bern Druck und Herstellung  : Appl Druck GmbH, Wemding Jede Art der Vervielfältigung ohne Genehmigung des Verlages ist unzulässig. Printed in Germany www.haupt.ch

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Die Aare

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Vorwort Wer liebt es nicht entlang der Aareschlaufen zu spazieren, sich an einer der vielen Feuerstellen mit seinen Freunden zu vergnügen, in einem lauschigen Gartenrestaurant ein kühles Bier zu trinken, sich auf oder im Wasser durch die abwechslungsreichen Mäander treiben zu lassen oder ganz einfach auf einer warmen Steintreppe die letzten Sonnenstrahlen des Tages zu geniessen  ? Die Aarefreunde werden sich jedoch kaum Gedanken darüber machen, in welcher politischen Gemeinde sie sich befinden, sondern ganz einfach das, was ihnen diese einzigartige Flussland­ schaft mitten im Herzen der Agglomeration Bern bietet, schätzen. Die Aareschlaufen verbinden auf ganz natürliche und selbstverständliche Art und Weise verschiedene Landschaften. Urbane Flussabschnitte wechseln ab mit parkähnlichen Erholungs­ räumen oder sogar natürlichen Flusslandschaften. Die Herausforderung besteht darin, den sen­ siblen, intensiv beanspruchten Lebensraum auch für die nachfolgenden Generationen zu erhal­ ten. Fünf Gemeinden, die durch die Aareschlaufen verbunden sind, haben sich zusammengetan, um die Verantwortung für die Flusslandschaft in und um Bern gemeinsam zu tragen. Zu diesem Zweck haben die fünf Partnergemeinden Bern, Köniz, Ittigen, Zollikofen und Bremgarten zu­ sammen mit der Regionalkonferenz Bern-Mittelland vor fünf Jahren das Kooperationsprojekt «  Aareschlaufen  » gestartet. Das Ziel besteht darin, Schutz und Nutzung durch gezielte Massnah­ men aufeinander abzustimmen und durch gemeindeübergreifendes Handeln neue, belebende Akzente zu setzen. Erste Projekte, die im vorliegenden Buch beschrieben werden, stehen vor der Realisierung. Die Aareschlaufen sind jedoch viel mehr als das Resultat von Planungen. Die unverwech­ selbaren Flusswindungen stiften Identität und wecken Gefühle. Sie sind ein Stück Heimat und vermitteln viele Emotionen, welche das vorliegende Aarebuch mit seinen lebendigen Texten und Bildern wunderbar zum Ausdruck bringt. Den Autoren und dem Verlag gebühren dafür An­ erkennung und Dank.

Stadtpräsident Bern

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Alexander Tschäppät

Gemeinderätin Köniz Rita Haudenschild

Gemeindepräsident Zollikofen Daniel Bichsel

Gemeindepräsident Bremgarten Dominique Folletête

Gemeindepräsident Ittigen Beat Giauque

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Inhalt Im Frühling das zarte Grün der Buchenblätter neben dem coolen Flaschengrün der Aare Walter Däpp

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1 Die Aare – eine Lebensader

Franziska Witschi 2 Die Ur-Aare Ueli Gruner Sich im Sommer vom Aarewasser treiben und umschmeicheln lassen Walter Däpp

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3 Die Aare macht Geschichte Anna Bähler

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4 Die genutzte Aare – Gewerbe und Industrie am Fluss Christian Lüthi

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Herbstspaziergang um die Engehalbinsel – und ein Tauchgang in die Aare-Unterwasserwelt Walter Däpp

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5 An der Aare, auf der Aare, in der Aare Lisa Stalder

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6 Landschaftsgestaltung durch die Aare Markus Steiner

Im Winter sind auch das Zwitschern der Vögel und das Schnattern der Enten eingefroren Walter Däpp

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Anhang Die Autorinnen und Autoren Dank Bildnachweis Literatur und Quellen

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Im Frühling das zarte Grün der Buchenblätter neben dem coolen Flaschengrün der Aare Walter Däpp

hinlegen, um die zaghafte Frühlingswärme zu geniessen. Auf dem weichen Waldboden hinter dem Schilfgürtel vielleicht  ? Auf dem Sand, der sich in der kleinen Bucht abgelagert hat  ? Auf dem Betonsporen, der der Strömung der Aare trotzt  ? Doch dieser ist schon besetzt. Eine Stockente hat sich hingesetzt. Oder ist es eine Krick-, Knäk-, Löffel-, Spiess- oder Schnatterente  ? Die Wanderung «  dr Aare na  », bis zum Wohlensee, kann beginnen. Vorerst geht es allerdings nicht weit. Entweder dem linken Ufer entlang bis zum Eichholz oder auf der rechten Aareseite zum Tierpark. Mit der Bodenacherfähre beim Fähribeizli kann man die Aare in wenigen Minuten traversieren. Sie ist die Die Aare führt viel Wasser, wie immer im Frühling, wenn im einzige Fähre zwischen Thun und Bern, verkehrt ganzjährig Berner Oberland der Schnee schmilzt. Träge fliesst sie vorbei. und befördert jährlich über 30 000 Leute. Einer der drei FähriNur am Ufer schäumt, spült, sprudelt und gurgelt sie. Dort, wo männer ist Mich Gerber, der bekannte Musiker, der diese Fähre das Wasser sich an Wurzeln und Steinbrocken reibt und wo es an einigen Sommerabenden jeweils auch zur Konzertbühne für einige Momente von Rinnen, Runsen und Löchern zurückge- macht und die Aarelandschaft ringsum mit seinem Kontrabass halten wird, bevor es mit der Strömung weiterfliesst. Fast lautlos, mit gleichmässigem, dumpfem, rauschendem Grundton. Im Orchester der Natur, das hier aufspielt, dominieren aber andere Instrumente  : das Pfeifen, Zirpen und Zwitschern der Vögel, das Quaken eines Grasfroschs, das Knacken eines dürren Asts, das Rauschen von Blättern. Zwischenhinein hört man einen Kleiber, der mit dem Schnabel in einen Baumstamm hackt. Oder ist es ein Specht  ? Dazwischen knattert ein Helikopter, der über die Aare hinweg dem nahen Belpmoos entgegenfliegt. Ein Hund bellt. Kaffeetassen scheppern – machen hörbar, dass das Fähribeizli nicht weit ist. Die Sonne dringt durch die hohen Tannen und Buchen, bricht sich am filigranen Astwerk der Hecken, spiegelt sich in den Pfützen und Tümpeln der Auenlandschaft des Naturreservats Elfenau. Am liebsten möchte man sich gleich

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WANDERROUTE

Von der Bodenacherfähre bis zum Tierpark SEHENSWÜRDIGKEITEN

Bodenacherfähre Naturreservat Elfenau Krebsenbächli Tierpark Dählhölzli

romantisch verzaubert. Nun hilft er aber einer jungen Mutter, den Kinderwagen ins Boot zu heben. Gleichzeitig achtet er darauf, dass die beiden älteren Knirpse sich hinsetzen. Als Fahrpreis kassiert er zwei Franken ein, für Jugendliche einen Franken. Dann stösst er mit dem «  Stecken  » am Ufer ab, reisst das

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lange Ruder so herum, dass die schräg am Drahtseil rollende Fähre von der Kraft der Strömung ans gegenüberliegende Ufer getrieben wird. Für ihn, sagt er, sei es grossartig, als Fährimaa die Leute von einem Aareufer ans andere geleiten zu können  : «  Wasser – das ist mein Element. Ich bin auch ein leidenschaft-

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Im Frühling das zarte Grün der Buchenblätter neben dem coolen Flaschengrün der Aare

licher Segler. Ob am Fluss oder am See. Wasser gibt mir eine angeregte Ruhe. Vor allem dann, wenn die Leute weg sind. Dann kann ich mich ins Fährihäuschen zurückziehen, mich ausruhen, nachdenken, lesen – oder Musik machen. Hier habe ich beim Üben mehr Geduld als zu Hause im Marzili.  » Und wenn er im Fährihäuschen übernachte, sei er auch eins mit den Tieren  : «  Mit dem Marder. Dem Biber. Den Vögeln. Dort drüben hat der Zaunkönig genistet. Und manchmal klopft die Klopfmeise ans Fenster.  » Reizvoll seien hier auch die Jahreszeiten  : «  Ich liebe den Frühling, wenn die Blätter spriessen, wenn die Natur explodiert. Aber fast intensiver geniesse ich den Winter. Wenn alles ruht. Wenn es kalt und karg ist.  » Die Aarelandschaft strahlt für Mich Gerber aber auch jetzt, im Frühling, «  eine wohltuende Ruhe aus  ». Gleichzeitig hat sie «  eine ungeheure Kraft  ». Und «  diese Abgeschiedenheit in Stadtnähe  » ist für ihn «  Poesie  ». Spürbar, sichtbar, hörbar. «  Immer wieder überraschend.  » Überraschend variiere auch die Farbe der Aare. «  Ihr Grün ist stark abgestuft  », sagt er, «  heftige Gewitter wühlen das Wasser auf, können es in wenigen Stunden zur braunen Brühe machen.  » An diesem Tag ist das Aaregrün kalt, verglichen mit dem zarten und eher warmen, hellen, gelblichen Grün der Buchenblätter. Es ist ein cooles Flaschengrün. Auf dem Aareweg durchs Naturreservat Elfenau zum Tierpark geniessen viele Menschen den Frühlingstag  : Spaziergängerinnen und Spaziergänger, Jogger, Hündeler, Velofahrer. Einige Nordicwalkerinnen, die aareaufwärts walken, scheinen es ausgesprochen lustig zu haben. Eine Joggerin eilt vorbei, ver­ kabelt mit rockigen Klängen aus dem iPhone und deshalb abgenabelt von der Klangvielfalt um sie herum. Beim Krebsen-

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bächli haben zwei Buben «   ein ganzes Meer   » in den Sand gebuddelt, wie sie ihrer Mutter sagen. Ein Hundebesitzer ruft seine Hunde herbei  : «  So, chömet, Giele  !  ». Der alte Mann, der langsam unterwegs ist, macht Pause, stützt sich auf den Stock, überblickt die Auenlandschaft. Und schaut, ob mit dem Schwan, der im Schilf nistet, alles in Ordnung ist. Im vergangenen Frühling seien hier sieben Junge ausgeschlüpft  : «  Das Schwanenpaar kennt mich. Manchmal bringe ich einige Brotbrocken mit. Das Männchen schnappt dann danach, nimmt es in seinen Kropf, in seinen Vormagen, und trägt es hinüber zum brütenden Weibchen.  » Dann geht er weiter, langsam, Schritt für Schritt. Der Spazierweg entlang der Aare behagt ihm, weil es «  geradeausgeht, nicht hinauf und nicht hinunter  ». Und weil er hier saubere Luft einatmen könne. Bald riecht es allerdings bereits nach Tierpark. Nach den Wildschweinen im untersten Gehege. Eines der massigen Tiere hat sich hingelegt, scheint zu schlafen. Doch einige Ferkel rennen herum. Es sind die sechs Jungtiere, die «  unsere Gina  » geboren hat, wie auf einem Plakat steht  : «  Mit etwas Glück kannst Du uns Frischlinge bereits beim Herumschnüffeln beobachten.  » Ja, man kann sie bestens beobachten. Auch sie geniessen den Frühlingstag, die Wildschweinchen, die ja auch Glücksschweinchen sind.

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Franziska Witschi

Die Aare Eine Lebensader

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Die Aare verbindet. Sie ist immer da und folgt ihrem Lauf. Sie ist das durchgehende natürliche Element in Bern, eine Art ökologisches Rückgrat. Während Naturräume in der Stadt durch ­Strassen, Häuserzeilen, Eisenbahnstrecken und Plätze unterbrochen sind, schafft der Fluss einen Korridor. Diese Kontinuität ist nicht nur für Spaziergänger schön und wichtig, sondern auch für Pflanzen und Tiere. Sie wandern dem Fluss entlang und erschliessen neue Lebensräume. Je grösser ein zusammenhängendes Areal ist, umso grösser ist auch die Auswahl an Artgenossen, mit denen sie sich fortpflanzen können: die Grundlage für gesunde Populationen. Und je grösser und beständiger ein zusammenhängendes Areal ist, umso besser können sich auch aufeinander abgestimmte Lebensgemeinschaften bilden.

Die Aare bietet viel Lebensraum – im Wasser und am Ufer.

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Wer schwimmt mit ? Der sommerliche Aareschwimmer ist bei Weitem nicht das einzige Wesen, das sich in der grünen Aare regt. Gegen 30 Fischarten, grosse und kleine, schwimmen ihm um die Füsse. Während der Grund des Flussbetts, die Flusssohle, eingangs der Stadt heute arm an Nischen und Ecken für die Fische ist, liegen unterhalb des Schwellenmätteli dank Biegungen, Kiesbänken und Vertiefungen gute Laichgebiete für Äschen (  Thymallus thymallus  ) und Bachforellen (  Salmo trutta fario  ). Zwischen Thun und Wohlensee lebt ein grosser Äschenbestand, eine Population von nationaler Bedeutung. Mit der markanten Rückenflosse, Fahne genannt, ist der schöne Fisch leicht erkennbar. Beobachten lässt sich die Äsche etwa beim Mückenfangen im Bereich der Hammerschmitte in Worblaufen. Auch viele andere Arten entdeckt man trockenen Fusses in der Restwasserstrecke ab dem Stauwehr Engehalde  ; die geringe Wassermenge und das klare Wasser machen sie wie im Aquarium sichtbar. Auch seltenere «  Fische  » schwimmen mit uns. Ein Sonderling ist etwa das Bachneunauge (  Lampetra planeri  ), mit seinem lang gezogenen Körper einem Aal nicht unähnlich. Es gehört jedoch nicht zu den Knochenfischen wie Aal, Äsche und Forelle, sondern zu den sogenannten

1 Die Äsche reagiert besonders empfindlich auf Veränderungen in der Wasserqualität.

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kieferlosen Rundmäulern, die als Vorfahren der heutigen Fische gelten. Von der Seite betrachtet, scheint das Neunauge tatsächlich neun Augen zu haben. In Wahrheit handelt es sich bei der Punktelinie aber um Nasenloch, Auge und sieben Kiemenöffnungen. Das exotisch anmutende Tier kommt in Bern bei der Mündung des Mattebachs und im parallel zur Aare verlaufenden Dalmazibach vor. Den grössten Teil seines Lebens verbringt das Neunauge als Larve ohne Augen. Blind sitzt es eingegraben im sandigen Untergrund und filtriert organisches Material aus der Strömung. Einmal erwachsen, kümmert es sich nicht mehr ums Futter, sondern ausschliesslich um die Fortpflanzung. Die Fischbestände in der Aare gingen in den letzten Jahren stark zurück, grosse Artenzahl hin oder her. Laut Angelfischerstatistik nahmen die Fänge von Bachforellen und Äschen zwischen 1990 und 2006 um 80 Prozent ab. Der Kanton Bern sah sich zum Handeln veranlasst und ergriff Massnahmen, darunter ein dreijähriges Äschenfang-Moratorium und eine gross angelegte Untersuchung zum Gewässerzustand der Aare. Mit Renaturierungsprojekten soll ebenfalls zum Fortbestehen und zur Förderung der Berner Fische beigetragen werden.

Mikrokosmos Den Grossteil der Lebewesen in der Aare machen weder wir Menschen noch die Fische aus, sondern kleine und kleinste Kreaturen – die wirbellosen Tiere. Stellenweise leben am Aaregrund auf einem Quadratmeter mehr als 15 000 Tiere. Die häufigsten sind kleine Krebse, Insektenlarven und Schnecken. Dreht man am Ufer einen grösseren Stein um, sitzt oft eine ganze Schar von kleinem Getier darauf. Extravagant sind die Larven von Köcherfliegen (  Trichoptera  ), in Bern auch Steinbeisser genannt. Mithilfe eines Sekrets kleben sie kleine Steinchen oder Pflanzenteile so aneinander, dass ein Köcher entsteht. Darin stecken sie wie in einem Schlafsack, den 2 Flohkrebse sind oft an der Unter­ sie beim Umherspazieren mittragen. Wachsen die Larven, erweitern sie die Wohnröhre am Vor- seite von Steinen in der Aare zu finden. derrand laufend. Häufig zu sehen sind auch die bis 24 Millimeter langen Flohkrebse (  Gammarus  sp.). Im Gegensatz zu den meisten Wasserinsekten verbringen sie ihren gesamten Lebenszyklus im Wasser und fressen dort totes Pflanzenmaterial und Aas. Die Zusammensetzung der wirbel­ losen Tiere in einem Flussabschnitt gibt Aufschluss über den Natürlichkeitsgrad des Gewässers, weil die Arten sich in den Ansprüchen an ihre Umwelt – etwa in Bezug auf die Strukturiertheit der Ufer – unterscheiden.

Wo sind die Auen  ? Alte Bilder der Aarelandschaft um Bern zeigen Kiesbänke, Blumenwiesen, ausgedehnte Schilfgürtel und lauschige Uferwälder. Die Aare fliesst in verzweigten Gerinnen. Oberhalb der Stadt nutzte sie keck die ganze Talsohle, in der Elfenau schuf sie drei markante Inseln. Mit dem Dammbau Mitte des 19. Jahrhunderts wurde die ausufernde Aare aber in die Schranken gewiesen. Heute zwängt sie sich durch einen hart verbauten Kanal. Nur an wenigen Stellen unterhalb der Stadt bleibt ihr ausreichend Raum, ihr Bett bei Hochwasser zu erweitern und für Veränderungen im Gewässerraum zu sorgen.

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3 Auenlandschaft beim Zehendermätteli

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Flussauen werden regelmässig überflutet. Tiere und Pflanzen, die dort heimisch sind, müssen mit nassen Füssen leben können. Je näher am Fluss, umso extremer sind die Wechsel zwischen Überflutung und Trockenperiode. Pionierpflanzen siedeln sich auf neu entstandenen Kiesbänken an, um beim nächsten Hochwasser vielleicht wieder weggespült zu werden. Etwas weiter vom Ufer weg entstehen aufgrund der Grundwassernähe Feuchtgebiete und Teiche. Über dem Mittelwasserstand entwickelt sich als schmaler Uferstreifen sogenannter Weichholzauenwald. Die Pflanzen dieser Zone, vorherrschend sind Weiden (  Salix sp. ), müssen fähig sein, eine zeitweilige Überflutung ohne Schaden zu überstehen und sich wieder zu erholen – und das mehrmals im Jahr. Im hintersten, höchstgelegenen Bereich des Überschwemmungsgebiets gedeiht Hartholz­ auenwald. Es erstaunt nicht, dass Auengebiete mit ihren vielen Nischen zu den artenreichsten Lebensräumen überhaupt gehören  ; rund 40 Prozent aller Schweizer Pflanzen- und sogar 80 Prozent der Tierarten kommen in einer typischen Aue vor.

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In der Elfenau hat die ursprüngliche Aue nach der Kanalisierung ihre Dynamik verloren, die jährlichen Überschwemmungen fehlen. Geblieben sind Relikte der einstigen Aue  : Der Weiher ist ein Altlauf der Aare, es gibt Giessen, Röhrichte, Wiesen, moorige Stellen und Auenwälder. Diese Überbleibsel sind wertvoll, deshalb ist die Elfenau als Teil der Belper Auen, einem Auengebiet von nationaler Bedeutung, geschützt. Der Elfenauweiher ist mit seinen Röhrichtbeständen ein wichtiges Ruhe- und Brutgebiet für Wasservögel und verbindet die grösseren Wasservogelgebiete an Thuner- und Wohlensee. So suchen der Zwergtaucher (  Tachybaptus ruficollis  ), der wohl possierlichste aller Wasservögel, und die Reiherente (  Aythya fuligula  ) den Weiher für ihr Brutgeschäft auf. Aus dem Schilf schallt der Teichrohrsänger (  Acrocephalus scirpaceus  ), wegen seines eigenwilligen Gesangs auch Rohrspatz genannt. Bunt-, Klein- und Grünspecht (  Dendrocopos major, D. minor, Picus viridis  ) hämmern ans Totholz. Im Frühling und Herbst rasten Zugvögel hier. Im Spätsommer mausern sich viele Enten  ; sie brauchen für die sensible Phase des Gefiederwechsels eine ruhige Umgebung. Nur Hunde, die nicht angeleint sind, stören die Idylle gelegentlich. Die Elfenau ist nicht nur von ornithologischem Interesse  ; sie ist auch – ebenso wie der ennet der Aare gelegene Weiher Schnydere in Köniz – ein Amphibienlaichgebiet von nationaler Bedeutung. Unter anderen finden hier der Kleine Wasserfrosch (  Rana lessonae  ), der Grasfrosch (  Rana temporaria  ), die Erdkröte (  Bufo bufo  ), der stark gefährdete Kammmolch (  Triturus cristatus  ) und der Fadenmolch (  Lissotriton helveticus  ) einen Lebensraum. Letzterer ist unser kleinster Molch und der häufigste in den Auengebieten entlang der Aare, wo er sich in halbschattig gelegenen Weihern tummelt.

Welche anderen Bereiche an der Aare besitzen Auencharakter  ? Im Schwellenmätteli lagert die Aare direkt hinter der Schwelle Kies ab. Die Kiesbank gehört zum Stadtbild, sie ist zeitweise mit typischen Pionierpflanzen wie Weiden (  Salix sp. ) bewachsen und auch bei Wasservögeln beliebt. Zu einiger Bekanntheit gelangte eine Schwanenmutter, die auf der exponierten Kiesbank ihr Nest anlegte – just in jenen Tagen, als in Thun der neue Hochwasserentlastungsstollen zum ersten Mal getestet werden sollte. Besorgte Mattebewohner hielten den Wildhüter dazu an, das Nest umzusiedeln, bevor es durch die Welle aus dem Oberland hinweggespült werde. Der Wildhüter nahm sich der Sache an und konnte Glück im Unglück ver­ melden  : Das Schwanenweibchen hatte noch keine Eier gelegt. Ein Auenrelikt liegt mitten im Marziliquartier, am Hangfuss beim ehemaligen Seminar Marzili. Das hinter Gebüsch versteckte Feuchtbiotop ist der Überrest eines einstigen Seitenarms der Aare, was auf einem Luftbild noch gut erkennbar ist. Laut Albrecht von Haller, dem berühmten Arzt, Dichter und Forscher aus dem 18. Jahrhundert, war das Marzili damals ein floristisches ­Juwel. So entdeckte er dort den Schweizer Alant (  Inula helvetica  ), eine heute weltweit seltene Sumpfpflanze. Auch sei das Marzili mit Hunderten von Orchideen bewachsen gewesen, etwa mit dem Sumpf-Knabenkraut (  Orchis palustris  ). 4 Natürlicher Flussabschnitt, links das steile Prallufer, rechts das bei Hochwasser umgestaltete Gleitufer

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Noch heute herrscht in Abschnitten der Engehalbinsel einige Dynamik mit umgelagerten Kies­ inseln und Sandplätzen. Im Winter, bei Niedrigwasser, wähnt man sich zeitweise in fremden Gefilden angesichts der wildromantischen Stimmung, die auf den kargen Flächen aufkommt, etwa auf der (  Halb-  ) Insel in Reichenbach oder gegenüber der Kirche Bremgarten. Sitzt ein Graureiher (  Ardea cinerea  ) am nebligen Ufer, ist der Zauber vollkommen.

5 Die Wasseramsel ist der einzige heimische Singvogel, der nicht nur gut schwimmen, sondern auch tauchen kann.

Der urbane Fluss Man erwartet nicht unbedingt, dass entlang des kanalisierten, wenig natürlichen Gerinnes innerhalb der Stadt viele Arten leben, schon gar nicht seltene. Doch weit gefehlt. So saust etwa die Wasserfledermaus (  Myotis daubentonii  ) in der späten Dämmerung knapp über die Wasseroberfläche und jagt Insekten. Ihre Wohnung liegt in einer Baumhöhle oder einem Gebäude in der Nähe des Flusses, zum Beispiel beim Altenbergsteg oder in der Lorraine. Die geschützte Fledermaus scheut Lichtquellen. Damit sie unentdeckt von der Schlafstätte in ihre Jagdgründe gelangt, fliegt sie längs von Baumreihen und Ufergehölz.

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6 Juveniles Blässhuhn auf Erkundungstour

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Sie kommt überall am Aareufer vor, hat einen leuchtend weissen Brustfleck und singt sehr laut – dennoch übersieht man sie leicht  : die Wasseramsel (  Cinclus cinclus  ). Um kleine Wassertiere zu fangen, taucht sie ab und schreitet mit erstaunlicher Grazie über den Grund der Aare. Anders als bei den meisten Singvögeln singen bei den Wasseramseln nicht nur die Männchen, sondern auch die Weibchen. In aarenahen Arealen, die ehemals für Gewerbe und Industrie genutzt wurden, lebt zu­ weilen viel Natur. Im Frühling erklingt in der ehemaligen Fischzuchtanlage im Eichholz, direkt neben der grossen Liegewiese, ein lautes Froschkonzert. Wo früher Hechte gezüchtet wurden,

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ent­ wickelt sich in den heute zum Eichholz-Reservat gehörenden, viereckigen Teichen eine ­reiche Tier- und Pflanzenwelt. Ebenso im Gaswerkareal in Bern. Beim Durchqueren der weit­ läufigen Grünanlage zwischen Dampfzentrale und Sportanlage Schönau passiert man verschiedenste Lebensräume. Vom ehemaligen Auengebiet zeugen die verbliebenen Auenwäldchen oder Tümpel mit Erdkröte, Teichfrosch (  Rana esculenta  ) und Molchen. Unscheinbar, aber von grossem ökologischem Wert sind die Brachflächen mit Wegwarte (  Cichorium intybus  ) und Pastinake (  Pastinaca sativa  ). Bei botanischen Untersuchungen wurden seltene Pflanzen gefunden, die als national prioritäre Arten gelten und entsprechend zu schützen sind. Auch das unterirdische Kanalisationsnetz ist eine Zone, in der es sich gut leben lässt. Zumindest für Kreaturen wie Schaben (  Blattodea  ) oder die Wanderratte (  Rattus norvegicus  ). Letztere wird fast 30 Zentimeter lang, der nackte Schwanz kommt mit etwa der gleichen Länge hinzu. In Bern sieht man die intelligenten Tiere selten. Wanderratten leben gern in Wassernähe, sie schwimmen gut und können sogar tauchen. Eine Bernerin erzählt, dass sie beim spät­abendlichen Aarebad im Langmauerquartier Ratten aus dem Abwasserrohr ins Wasser plumpsen hörte. Als sie bei der nächsten Treppe wieder aussteigen und sich auf einer Stufe abstützen wollte, tat sie einen Griff ins Fell. Laut Kanalnetzbetrieb der Stadt Bern ist der Rattenbestand in der Stadt seit 20 Jahren gering, aber konstant und nicht auszurotten. Viel zu schlau sind die sozialen Nager.

Lebensraum Ufer So wie sich die Aare durch die Stadt Bern schlängelt, schlängelt sich die Ringelnatter (  Natrix natrix  ) durch die Blockverbauungen am Aareufer. Eine solche Blockbaute eignet sich zum Sonnenbaden, aber auch als Versteck – ideale Bedingungen für die Ringelnatter. Da sie sich am liebsten von Amphibien ernährt, sucht sie die Nähe von Giessen oder Tümpeln. Günstiger Lebensraum sind auch Schwemmholzhaufen oder Sporen aus Blocksteinen, an denen Äste und andere Pflanzenteile hängen bleiben, wie zum Beispiel gegenüber der ARA Worblaufen. Die Ringelnatter ist eine der grössten Schlangen der Schweiz. Am ehesten trifft man sie in der Elfenau an, auf der Tiefenauhalbinsel oder im Wohlensee. Jüngere Sichtungen gab es auch beim Restaurant Altenberg. Viele Aarebadende erzählen von einem überraschenden Rencontre mit einer Natter am Strand des Zehendermätteli. Dabei besteht kein Grund zur Aufregung  ; auch schwimmende Ringelnattern sind vollkommen harmlos. Je lebendiger, verwilderter ein Ufer, desto spannender ist es für Fauna und Flora. Eine natürliche Ufervegetation mit Überhängen, Wurzeln und umgestürzten Bäumen bietet Unterschlupf für Fische und Krebse und fördert Insekten, die sich dort vermehren können. Elektrobefischungen an der Aare brachten zutage, dass bei abwechslungsreichen Naturufern deutlich mehr Fische vorkommen als bei allen übrigen Ufertypen. Für Fische sind Verstecke unerlässlich, etwa als Schutz vor fischfressenden Vögeln. Diese sitzen auf erhöhten Warten – und warten. Kormorane (  Phalacrocorax carbo  ) und Gänsesäger (  Mergus merganser  ) sind die bedeutendsten Fischräuber 7 rechts Wurzel als wertvolle Uferstruktur 8 nachfolgende Seite Uferlandschaft am Wohlensee mit Rohrkolben

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9 links Weibchen des Gänsesägers; die Art brütet in Baumhöhlen, Felsnischen und Gebäuden 10 oben Haubentaucher, unverkennbar dank seiner charakteristischen Haube

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11 Kormoran beim Trocknen des Gefieders

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bei uns. Beim Schwellenmätteli oder in der Elfenau sieht man vor allem im Winter Schwärme von Kormoranen, die nach Fischen Ausschau halten. Ein Kormoran frisst opportunistisch, das heisst, er nimmt Vorlieb mit den Fischen, die gerade da sind. Der kleinere Gänsesäger frisst nur Fische, die kürzer sind als zehn Zentimeter, davon aber pro Tag bis zu 300 Gramm. Es gelangen folglich viele Jungfische in seinen Magen. Wie viel Einfluss Kormoran, Gänsesäger und Graureiher – die beiden Letzteren sind in der Schweiz geschützt – auf den Fischbestand haben, ist seit Jahren Gegenstand einer heftigen Debatte zwischen Vogelschutz und Fischerei. Sieht man ihn vorüberflitzen, reibt man sich die Augen  : So intensiv blau-orange schillert der Eisvogel (  Alcedo atthis  ), ein weiterer Fischliebhaber. Im Sturzflug ergattert er seine Beute. Kleine Fische schluckt er sofort, grössere transportiert er auf einen stabilen Ast, schüttelt sie und schlägt sie auf das Holz, bis sie tot sind. Am leichtesten entdeckt man einen Eisvogel im Winter, wenn

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die Bäume ohne Laub sind und der Vogel sich an eisfreien Gewässern mit ausreichend Futter aufhält, etwa an den Teichen beim Muribad oder am Wohlensee. Der Eisvogel steht auf der Roten Liste der gefährdeten Brutvögel. Für seinen Rückgang ist das Verschwinden von geeignetem Lebensraum verantwortlich  ; an vielen kanalisierten Flüssen fehlen heute Uferanrisse oder Wurzelteller umgestürzter Bäume zum Anlegen der Eisvogelbruthöhle. Was wächst am Aareufer  ? Auengewächs. Denn selbst wo der Uferweg direkt neben der Uferverbauung liegt und keine wilde Natur herrscht, besteht die Ufervegetation vorwiegend aus den ursprünglich vorkommenden Bäumen und Sträuchern. Eichen (  Quercus robur  ) sind vorherrschend, zusammen mit Eschen (  Fraxinus excelsior  ), Zitter-Pappeln (  Populus tremula  ), SchwarzErlen (  Alnus glutinosa  ), Ahorn (  Acer sp. ) und Weiden. Etwa ein Dutzend Weidenarten gedeihen an der Aare, darunter die erhabene Silber-Weide (  Salix alba  ). Als unsere grösste Weide wird sie über 20 Meter hoch und sorgt mit ihrem silbernen Schimmer für Glanzpunkte im Gehölz, beispielsweise im Gaswerkareal. Sie ist ein schnellwüchsiges Weichholz, pro Jahr kann sie über zwei Meter Länge zulegen. Das Splintholz, die inneren Teile des Holzkörpers, sind nicht wie bei anderen Baumarten durch Gerbstoffe vor Fäulnis geschützt und verwittern rasch. Daher sind alte Weidenbäume innen oft hohl. Solche Höhlen dienen Tieren als Unterschlupf oder als Bruthöhle, etwa dem schönen Schwarzspecht (  Dryocopus martius  ). Gross ist auch die Palette an Sträuchern entlang der Aare. Im Winter fallen die leuchtenden Beeren von Hartriegel (  Cornus sanguinea  ), Schneeball (  Viburnum opulus  ), Holunder (  Sambucus nigra  ), Pfaffenhütchen (  Euonymus europaeus  ) und Roter Heckenkirsche (  Lonicera xylosteum  ) auf, notwendige Winternahrung für Vögel. Mit kräftig gefärbten Blüten mutet die Zimtrose (  Rosa majalis  ) wie eine gezüchtete Gartenrose an, die sich im Raum Dählhölzli ans Aareufer verirrt hat. Sie ist aber wild – und selten. Aufgrund ihrer europaweiten Seltenheit trägt Bern eine besondere Verantwortung für die Erhaltung der Art. Sie riecht nicht nach Zimt, wie der Name anzudeuten scheint. Zimt bezieht sich vermutlich auf die Farbe der Zweige. Entlang der Ufer breiten sich auch unerwünschte Pflanzen aus, oftmals mit einiger Vehemenz. Japanischer Staudenknöterich (  Reynoutria japonica  ), Kanadische Goldrute (  Solidago canadensis  ) und Schmetterlingsflieder (  Buddleja davidii  ) sind sogenannte invasive Neophyten, die am Aareufer vorkommen und mit ihrer Konkurrenzstärke einheimische Pflanzen verdrängen. Beim Altenbergsteg dominiert der Japanische Staudenknöterich die Ufer. Abgesehen vom ökologisch bedeutsamen Umstand, dass er andere Pflanzen verdrängt, ist er gerade an Flussufern problematisch. Seine Wurzeln dringen in kleinste Ritzen ein und können Mauern und andere Verbauungen sprengen. Zudem stabilisieren sie den Boden schlechter als andere Pflanzen, was häufig zu Böschungsrutschungen führt. Ein grosser Freund von Ufervegetation ist der Biber (  Castor fiber  ). Mit etwas Glück trifft man ihn im Stadtgebiet an. Die urbanen Biber haben gelernt, dass ihnen Spaziergänger nicht gefährlich werden, entsprechend gering ist ihre Scheu. In der Lorraine oder in der Elfenau kann man beim Eindunkeln in aller Ruhe einem Tier auf kurze Distanz beim Fressen zuschauen. Geschichten werden erzählt, von Joggern zum Beispiel, die regelmässig aus dem Tritt geraten, weil ein Biber in seiner ungelenken Weise vor ihnen den Aareweg kreuzt. Der Wirt des Restaurants Schwellenmätteli in Bern erinnert sich gut an jenen milden Sommerabend, als ein Biber gemächlich die Terrasse querte, ohne sich von den anwesenden Gästen stören zu ­lassen.

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12 links Biberspuren beim Altenberg 13 rechts Der Fischotter ist im Gegenzug zum vegetarischen Biber karnivor: Er frisst hauptsächlich Fisch.

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In der Schweiz war der Biber zu Beginn des 19. Jahrhunderts ausgestorben, zu intensiv war die Jagd auf sein Fell, sein Fleisch und das Castoreum, sein als Heilmittel geltendes Sekret. Ab 1956 wurden an verschiedenen Orten in der Schweiz Biber ausgesetzt. Die Wiederansiedlung war erfolgreich – neue Biberpopulationen entstanden. In Bern gibt es wild lebende Biber wahrscheinlich seit dem Aarehochwasser 1999, als die Fluten das Bibergehege im Tierpark Dähl­hölzli zerstörten. In Fachkreisen wird angenommen, dass die meisten Biberfamilien im Raum Bern von getürmten Bibern abstammen. Allerdings sind auch Tiere aus dem Aareunterlauf via Wohlensee in die Stadtumgebung gewandert. Eine genetische Untersuchung, vorgesehen im Jahr 2013, wird die Herkunft der Berner Biber erhellen. Leichter als das grosse Nagetier selbst sind seine Spuren zu entdecken. Am imposantesten sind Biberburgen  ; man findet welche auf der Insel bei der Wohleibrücke, bei der ARA Neubrücke oder an der Gürbemündung. Im Winter 2009 fällte ein Biber selbst im Marzili ein paar Bäume und legte in der äussersten Ecke des Bueber, des Männerbads, einen Bau an. Holzspäne am Boden und die charakteristischen Nagespuren an Sträuchern und Bäumen sind fast auf der gesamten Strecke zwischen Muri und Wohlensee zu entdecken. Am allerliebsten macht der Biber sich über die zarte Rinde an jungen Zweigen her. Dem Biber nicht unähnlich ist der Fischotter (  Lutra lutra  ). Er starb erst Ende der 1990erJahre in der Schweiz aus und hat sich noch nicht wieder angesiedelt – mit Ausnahme jener Tiere, die aufgrund des Stromunterbruchs beim Aarehochwasser 2005 aus dem Gehege im Dähl-

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hölzli entweichen konnten. Diese Fischotter siedelten sich an der Aare an und vermehrten sich auch. Trifft man in Bern auf einen Fischotter, handelt es sich deshalb mit Sicherheit um ein entwichenes Tier. Zuletzt geschehen im Frühling 2012, als dem Wildhüter aus Hinterkappelen ein Fischotter gemeldet wurde, genau zu dem Zeitpunkt, als der Tierpark Dählhölzli eine Vermisstenmeldung aufgab. Der Fischotter bewegt sich ebenfalls flink durchs Wasser, ist aber viel schlanker als der Biber und hat im Gegensatz zu diesem einen behaarten, runden Schwanz mit spitzem Ende.

14 Höckerschwan mit Jungen

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Die Autorinnen und Autoren Hansueli Trachsel Fotograf und Buchautor Anna Bähler Historikerin, schrieb bereits über die Stadt Thun und das Wasser Walter Däpp Journalist und Buchautor Ueli Gruner Geologe, arbeitet im Berner Geologiebüro Kellerhals + Haefeli AG und ist dem Berner Untergrund seit vielen Jahren auf der Spur Christian Lüthi lic. phil., Historiker, ist in der Leitung der Universitätsbibliothek Bern sowie freiberuflich tätig. Autor zahlreicher Publikationen zur Geschichte der Stadt Bern Lisa Stalder Journalistin, bei der Tageszeitung «Der Bund» in der Redaktion «Bern» tätig Markus Steiner Landschaftsarchitekt, Mitarbeit im regionalen Projekt «Aareschlaufen» Franziska Witschi Biologin, arbeitet im Büro naturaqua PBK in Bern und freiberuflich als Autorin von Texten zu Naturthemen

Dank Hansueli Trachsel ( Fotograf ) dankt Beat Ammann, Ernst Baumgartner, Regula Baumgartner, Anne und Werner Ramp, Kurt Rufener, Alex Vollmer. Walter Däpp ( Wanderungen ) dankt Donat Fisch, Mich Gerber, Daniel Gyger, Margrit Pfister, Manuela Sinniger. Franziska Witschi ( Kapitel 1) dankt Simon Witschi, Christoph Angst, Beat Fischer, Sabine Tschäppeler, Rudolf Zbinden, Martin Schmid, Christoph Küng, Gaby Sethson, Robert Aeberhard, Reto Haas und Corinne Roth. Ueli Gruner ( Kapitel 2 ) dankt Prof. Christian Schlüchter, Geologisches Institut Universität Bern. Lisa Stalder (Kapitel 5) dankt Christoph Bussard, Anna Marie und Christoph Stalder, Hansruedi Petri, Martin Seiler, Hans Thoenen, Valentin Belz, Jan Gyger, Sandro Joss.

Bildnachweis Sämtliche unten nicht aufgeführten Bilder stammen vom Bildautor Hansueli Trachsel. S. 17 Okapia, Andreas Hartl  ; S.  22 Blickwinkel, J. Fieber  ; S. 46 Haupt Verlag  /  Atelier Seifert  ; S. 48 Haupt Verlag  /  Atelier Seifert  ; S.  63 http : //www.swisscastles.ch/bern/bremgarten.html (  Zugriff Januar 2013  )  ; S.  65 Burgerbibliothek Bern, Gr.D.58  ; S. 69 Sammlung Kurt Rufener, Bremgarten  ; S. 70 oben Burgerbibliothek Bern, FP.E.192  ; S. 70 unten Burgerbibliothek Bern, FN.G.C.906  ; S. 72 links Burgerbibliotek Bern FP.E. 198  ; S. 72 rechts Schweizerische Nationalbibliothek  ; S. 73 Burgerbibliothek Bern, Gr.A.468  ; S. 74 Stadtarchiv Bern  ; S. 80 Gewerbepark Felsenau Bern  ; S. 81 Graphische Sammlung der ETH Zürich  ; S. 82 Burgerbibliothek Bern, FP.E.213  ; S. 83 Denkmalpflege der Stadt Bern  ; S. 87 Privatbesitz  ; S. 90 Energie Wasser Bern EWB  ; S. 92 links Sammlung Ernst Baumgartner  ; S. 128 Markus Hubacher, Spiez  ; S. 129 Schweizerische Nationalbibliothek  ; S. 132 Burgerbibliothek Bern, FN.K.A.1049

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Literatur und Quellen Kapitel 1

Aus dem Wohlensee wachsen die Inseln. Der Bund, 3. November 2011 BKW FMB Energie AG  : Verlandungsstudie Wohlensee. Kurzfassung, 2011 Gewässer- und Bodenschutzlabor des Kantons Bern  : Der biologische Zustand der Aare zwischen Thunerund Bielersee, Untersuchungen Frühjahr 2008 Grossenbacher, Kurt  : 40 Jahre Biber ( Castor fiber) im Kanton Bern und angrenzenden Gebieten. 2005 Infraconsult  : UVB Voruntersuchung Hochwasserschutz Aare Bern. 2008 Kirchhofer, Arthur  : Der Wohlensee. 2010 Lienhard, Luc  : Hallers Landschaften botanisch. Sonderdruck aus «  Mitteilungen der Naturforschenden Gesellschaft in Bern  », Band 66, 2009 Tafeln der Ausstellung Biodiversität, Stadtgärtnerei Bern, 2010 Umweltverträglichkeitsbericht aarewasser, 2009 Vuille, Thomas  : Die Fische in der Aare brauchen neue Lebensräume, aarewasserThema, Februar 2011 (www.aarewasser.ch) www.prolutra.ch www.vogelwarte.ch

Kapitel 2

Dürst Stucki, Miriam  /  Reber, Regina  /   Schlunegger, Fritz  : Subglacial tunnel valleys in the Alpine foreland  : An example from Berne, Switzerland. In  : Swiss Journal of Geoscience 103, (  2010  ), S.  363–374 Gruner, Ueli  : Eiszeitliche Trogbildungen im Raum Bern. In  : Mitteilungen der naturforschenden Gesellschaft Bern, 50 (  1993  ), S.  35–43 Gruner, Ueli  : Blatt 1167 Worb. Geologischer Atlas der Schweiz 1  :25 000. Erläuterungen 104. 2001 Kellerhals, P. / Haefeli, C. (Geologiebüro) / Stäger, D. (2000)  : Blatt 1166 Bern. Geologischer Atlas der Schweiz 1: 25 000, Karte 100 mit Erläuterungen. Bundesamt für Landestopografie Swisstopo Kellerhals, Peter  /   Isler, Alfred  : Profilserie durch die Quartärfüllung des Aare- und Gürbetroges zwischen Thunersee und Bern. In  : Eclogae Geologicae Helvetiae 76 (1983  ), S. 417–430 Pfiffner, O. Adrian  : Geologie der Alpen. 2. Auflage, Stuttgart 2010 Schlüchter, Christian  : Das Eiszeitalter in der Schweiz. Stiftung für Landschaft und Kies. Uttigen 2010

Kapitel 3

Baeriswyl, Armand  : Stadt, Vorstadt und Stadterweiterung im Mittelalter: archäologische und historische Studien zum Wachstum der drei Zähringerstädte Burgdorf, Bern und Freiburg im Breisgau. Basel   2003 Bähler, Anna  : Badekultur  : Gesundheit durch Baden und Schwimmen. In: Berns moderne Zeit. Bern   2011 Bähler, Anna / Barth, Robert / Bühler, Susanna / Erne, Emil / Lüthi, Christian  : Bern – die Geschichte der Stadt im 19. und 20.Jahrhundert: Stadtentwicklung, Gesellschaft, Wirtschaft, Politik, Kultur. Bern   2003 Bähler, Anna  : Gebändigt und genutzt: die Stadt Thun und das Wasser in den letzten 300 Jahren. In: Berner Zeitschrift für Geschichte und Heimatkunde. Bern. Jg.69 (2007), H. 3, S.153–207 Berns mutige Zeit: Das 13. und 14. Jahrhundert neu entdeckt. Hrsg.von Rainer C. Schwinges. Bern   2003 Bretscher, Alfred  : Zur Flussschiffahrt im Alten Bern  : Wasserwege, Schiffe und Organisation. Bern  : Berner Zeitschrift für Geschichte und Heimatkunde, Jg. 61 (1999), H. 3. S.105–147 Casanova, Giacomo  : Erinnerungen, Band 3, Leipzig 1911 Däpp, Walter / Trachsel, Hansueli / Wyler, Theo  : Gesundgebadet  : ein Berner Bäderbuch. Bern 1982 Fallet, Eduard M.  : Die Fähren von Bremgarten, Dettigen und Reichenbach. In: dr Wecker, Monatliches Morgenblatt von Bremgarten bei Bern, 31. Oktober 1994, S. 8 f. ; 30. November 1994, S.16 –19; 21. Dezember 1994, S.10 f.

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Fallet, Eduard M.  : Die Kirche von Bremgarten bei Bern. Hrsg. von der Matthäus-Kirchgemeinde Bern-Bremgarten aus Anlass der Restauration 1978 / 79. Bern-Bremgarten  1980 Furrer, Bernhard / Bay, Jürg / Nizon, Paul / Lukàcs, Georg  : Übergänge. Berner Aarebrücken – Geschichte und Gegenwart. Bern   1984 Gohl, Friedrich Wilhelm  : Die Heilquellen und Badeanstalten des Kantons Bern: In topographischer, chemischer und therapeutischer Hinsicht geschildert; Mit den Ansichten von Gurnigel u.Weissenburg. Bern 1862 Gygax, Peter  : Marzili  : Berner Welt am Aareufer. Münsingen   1991 Morgenthaler, Hans  : Das Marzili-Inseli und die Anfänge der Flussbadanstalt Bubenseeli in Bern. In: Historischer Verein des Kantons Bern. Festausgabe für Heinrich Türler. Bern, 1931. S.199–220 Müller-Beck, Hansjürgen  : Die Engehalbinsel bei Bern, ihre Topographie und ihre wichtigsten vor- und frühgeschichtlichen Denkmäler. Bern 1970 Rüsch, Gabriel 1794 –1856  : Anleitung zu dem richtigen Gebrauche der Bade- und Trinkcuren überhaupt mit besonderer Betrachtung der schweizerischen Mineralwasser und Badeanstalten. Ebnat / Bern / Chur, 1825 –1832 ( Zitat: Band 2, S.112 ) Vischer, Daniel  : Die Aare als ganzjähriger Wasserweg. Der Schwallbetrieb zwischen Thun und Bern. In: Berner Zeitschrift für Geschichte und Heimatkunde. Bern. Jg. 74 (2012), H. 4, S. 36–49 Barth, Robert / Erne, Emil / Lüthi, Christian (Hg.)  : Bern – die Geschichte der Stadt im 19. und 20. Jahrhundert.

Kapitel 4

Stadtentwicklung, Gesellschaft, Wirtschaft, Politik, Kultur. Bern 2003 Brodbeck, Thomas / Schüpbach, Andrea  : Wohlen bei Bern im 19. und 20. Jahrhundert. Eine Gemeinde zwischen Stadt und Land. Wohlen 2006 Egger, Kurt W.  : Von der Gaslaterne zum Erdgas. Die Geschichte der Berner Gasversorgung 1843–1993. Bern 1993 Elektrizitätswerk der Stadt Bern  : 100 Jahre EWB 1891–1991. Bern 1991 Gerber, Roland  : Gott ist Burger zu Bern. Eine spätmittelalterliche Stadtgesellschaft zwischen Herrschaftsbildung und sozialem Ausgleich. Weimar 2001 Gugger, Hans  : Ittigen. Eine junge Gemeinde mit alter Geschichte. Ittigen/Bern 1998 Lüthi, Christian  : Stadt Bern. Bevölkerung und Industrialisierung 1850 –1950. In: Pfister, Christian / Egli, Hans-Rudolf (Hrsg.)  : Historisch-statistischer Atlas des Kantons Bern, 1750 –1995. Bern 1998, S. 90 f., 159 Lüthi, Christian  : Die Spinnerei Felsenau 1864 –1975. Ein wichtiges Kapitel der industriellen Vergangenheit Berns. In  : Berner Zeitschrift für Geschichte und Heimatkunde, Jg. 64 (2002), S. 49–99 Schnell, Dieter et al.  : Stadtführer Umnutzen von Industriebauten. Bern, Berner Heimatschutz, Regionalgruppe Bern, 1997 Stadtgärtnerei Bern  : Gaswerkareal Bern. Bern 1993 Hafner, H. / Steiner, M.  : Projekt Aareschlaufen, Ausgangslage, Uferschutzplanung der Gemeinde Bremgarten

Kapitel 6

Hochwasserlage  : Die Situation bleibt unverändert, Der Bund vom 7. Juli 2012 Vischer, Daniel  : Die Geschichte des Hochwasserschutzes in der Schweiz, Bundesamt für Wasser und Geologie BWG. Bern 2003 Vortrag des Gemeinderats an den Stadtrat von Bern. Hochwasserschutz Aare Bern: Wasserbauplan Gebietsschutz Quartiere an der Aare, Projektierungskredit (Abstimmungsbotschaft). Bern 19. September 2012 Wasser- und Energiewirtschaftsamt des Kantons Bern: Grundlagen für Schutz und Bewirtschaftung der Grundwasser des Kantons Bern – Hydrogeologie Aaretal, zwischen Thun und Bern. Bearbeitung  : Dres. P. Kellerhals, Ch. Haefeli und B. Tröhler, Geologen SIA/ASIC, Bern 1981

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