Koordination und pädagogische Leitung: Lola Neuberger, Leah Käser
Redaktion: Lola Neuberger
Design & Layout: Shani Nahum
Wir danken den Projektteilnehmenden, Workshop-Trainer*innen und künstlerischen Berater*innen.
® Hashomer Hatzair Deutschland, September 2024
Gefördert durch den Berliner Projektfonds Kulturelle Bildung
Mit Unterstützung des Fördervereins Hashomer Hatzair Deutschland e.V. & Hashomer Hatzair World Movement www.hashomer-hatzair.de * info@hashomer-hatzair.de
Über uns
“Hashomer Hatzair Deutschland“ (HHD) ist der wiedergegründete jüdische Jugendverband in Deutschland, der soziale Gerechtigkeit und Dialog durch nicht-formale Bildungsinstrumente fördert. Als Jugendbewegung glauben wir an das Prinzip der Jugendautonomie, und unsere Aktivitäten werden von den Jugendlichen selbst geplant und getragen.
Unser Verband arbeitet mit Partnerorganisationen und dem Hashomer Hatzair World Movement zusammen, um auf persönlicher und sozialer Ebene zusammenzukommen. Wir arbeiten daran, einen sichereren Raum zu schaffen, indem wir jüdische Sozialist*innen und ihre Verbündeten stärken und aufbauen. Wir wollen aus unserer Solidarität heraus unabhängiges und kritisches Denken fördern, um für eine gerechtere Gesellschaft zu kämpfen.
Einleitung
Jetzt, wo wir das Projekt „Jüdisches Empowerment ist Bunt“ zusammenfassen, erkennen wir die herausfordernden Zeiten an, die mit dieser Arbeit verbunden sind. Was ursprünglich als innovative Idee zur Unterstützung queeren jüdischen Lebens in Deutschland und seiner Sichtbarkeit begann, wurde zu einem lauten Statement - wir sind hier, wir sind queer, wir können auch jüdisch sein - aber wir wollen vor allem das Leben, die Kunst und die Kultur feiern. Existieren.
Im letzten Jahr wurde der Projektname zu seiner zentralen Stärke. Wenn man uns „empowern“ will, oder wir es selbst tun wollen, muss es bunt werden – in allen Farben.
Das Projekt widmete sich dem Empowerment und der Bewusstseinsarbeit durch kreative und künstlerische Methoden. Wir haben auf verschiedenen Wegen erforscht, Graffiti- und Drag-Workshops, Besuche in Museen, queer-säkularer Kabbalat Shabbat, jüdisch-queere Tour in Berlin und auch durch die Infragestellung des Hebräischen, das normalerweise als binäre und konservative Sprache gelehrt wird. Wir möchten die Leser*innen dieser Broschüre dazu ermutigen, ähnliche Projekte durchzuführen, ihre Stimme zu erheben und gemeinsam mit jüdischen und nicht-jüdischen Menschen für ein buntes Leben und eine bessere Zukunft zu arbeiten.
Inhalt
Über uns - Hashomer Hatzair Einleitung
01 Timeline der jüdischen Queers 02 Geschichte der jüdischen Queerness
Gründung des Wissenschaftlich-humanitären Komitees (WhK): Magnus Hirschfeld gründete in Berlin das WhK, die weltweit erste Homosexuellen Bewegung
1933-1945
Verfolgung während des Nationalsozialismus: Verfolgung queerer Menschen und deren Deportation und Ermordung in Konzentrationslagern
1871
Einführung des §175 im Strafgesetzbuch: stellte sexuelle Handlungen zwischen Männern unter Strafe
1969
Teilweise Entkriminalisierung von Homosexualität: Homosexuelle Handlungen unter Erwachsenen über 21 Jahren nicht mehr strafbar
2001
Einführung der Eingetragenen Lebenspartnerschaft
1994
Vollständige Abschaffung des §175: Vollständige Entkriminalisierung homosexueller Handlungen
2017
Einführung der „Ehe für alle“: Gleiches Recht auf Ehe und Adoption für homosexuelle Paare wie für heterosexuelle Paare
2020
Einführung der R.KeshetRolle als Teil des Hashomer Hatzair World Movements
2024
Projekt „Jüdisches Empowerment ist Bunt“ des Hashomer Hatzair DE
02. Geschichte der jüdischen Queerness
Queerness im Judentum ist ein kontroverses, vielseitiges und spannendes Thema. Einerseits werden queere
Identitäten auf verschiedene Weise bereits in historischen jüdischen Texten und Traditionen reflektiert. Beispielsweise werden im Talmud folgende verschiedene „Geschlechter“ unterschieden:
1. Zachar, männlich.
2. Nekevah, weiblich.
3. Androgyne, hat sowohl männliche als auch weibliche Merkmale.
4. Tumtum, ohne Geschlechtsmerkmale.
5. Aylonit hamah, bei der Geburt als weiblich identifiziert, entwickelt aber später auf natürliche Weise männliche Merkmale.
6. Aylonit adam, bei der Geburt als weiblich identifiziert, entwickelt aber später durch menschliches Eingreifen männliche Merkmale.
7. Saris hamah, bei der Geburt als männlich identifiziert, entwickelt aber später auf natürliche Weise weibliche Merkmale.
8. Saris adam, bei der Geburt als männlich identifiziert, entwickelt später durch menschliche Eingriffe weibliche Merkmale.
So scheint das jüdische Verständnis von Geschlecht weder binär noch ein Raster zu sein, in das jeder Mensch gezwungen werden muss, hineinzupassen.
Gleichzeitig ist trotz dieser historischen Anerkennung die Realität für queere jüdische Menschen in konservativen Gemeinden oft herausfordernd. Aufgrund Diskriminierungs-und Ausstoßungserfahrung suchen sie oft außerhalb der religiösen Gemeinschaft nach Akzeptanz und Repräsentation. Es ist daher wichtig, ein offenes und inklusives Judentum zu fördern, das queeren Menschen einen sicheren Raum bietet, sowohl kulturell als auch spirituell.
03. Persönlichkeiten
Magnus Hirschfeld
14. Mai 1868 − 14. Mai 1935
Deutscher Arzt in Berlin, Sexualforscher, Jude, Sozialist, schwul, Mitbegründer der weltweit ersten Homosexuellen-Bewegung („Wissenschaftlich-humanitären Komitees“, WhK). Mit seiner Theorie der „sexuellen Zwischenstufen“ und den „Jahrbüchern für sexuelle Zwischenstufen“ legte er einen Grundstein für die heutige Theorie zu Queerness und Geschlechtervielfalt. Er eröffnete das „Institut für Sexualwissenschaft“ als Forschungszentrum und Anlaufstelle für LGBTQIA+ Personen. Als Gründer des WhKs, kämpfte er für die Entkriminalisierung der Homosexualität, scheiterte letztlich an der Machtergreifung der Nationalsozialisten. 1935 verstarb er im Exil.
Anita Berber
10. Juni 1899 − 10. November 1928
Deutsches Modell, Bühnen-und Filmschauspielerin, queer, Vorkämpferin für die Erotisierung des Tanzes, Ikone des Berliner Nachtlebens, laut Karl Lagerfeld “die gewagteste Frau ihrer Zeit”. Anita Berber zog 1914 nach Berlin, begann ihre Karriere als Tänzerin und Schauspielerin und wurde bald ein Star auf Berlins Bühnen. Berber war für ihren unkonventionellen Stil und ihre provokanten Auftritte bekannt, was ihr großen Ruhm einbrachte. Sie pfiff auf Konventionen, brach mit Tabus und lebte einen Lebensstil geprägt von Exzessen, Drogenkonsum und Skandalen. Bald eroberte sie auch Bühnen im Nahen Osten. Am 10. November 1928 verstarb sie mit 29 Jahren an Tuberkulose.
04. Queer Hebräisch Wörterbuch
*Schomerisches Wörterbuch
Did you know? Die "Sprache" von Hashomer Hatzair besteht hauptsächlich aus hebräischen Wörtern, die auf eine bestimmte Art und Weise verwendet werden, um die Bildungsarbeit von Hashomer Hatzair zu unterstützen. Mit der Zeit wurde die schomerische Sprache so angepasst, dass sie alle Geschlechter einschließt, und wird auf diese Weise überall auf der Welt verwendet.
HASHOMER HATZAIR: (auf Hebräisch), "der junge Wächter ", der Name der Jugendbewegung
PEULA: eine Aktivität oder Aktion der Jugendgruppe
KVUTZA: eine Aktivitätsgruppe
CHULZAH SHOMRIT: blaues Hemd mit weißer
Spitze, Wurm für Gruppenaktivitäten
CHAZAK VEEMATZ: Motto von Hashomer
Hatzair, es bedeutet "Sei stark und mutig!“
Zitate aus dem Kurs Queer Hebräisch:
Übersetzung: Keine Telefone im Unterricht!
(Unsere Hebräischlehrerin war kein großer Fan von dem Versuch während des Kurses ein EM-Spiel am Handy zu schauen)
1. Lesbisch
2. Schwul
3. Bisexuell
4. Transgender
5. Asexual
6. Nicht-Binär
7. LGBTQIA+ Philadelphia Pride Flag
8. Aromantisch
9. Pansexuell 10. Inter
05. Interview mit einer Jewish Queen
(היידוהי הכלמ)
Judy LaDivina wurde Ende Dezember 2015 geboren, nachdem sie im selben Jahr von Tel Aviv nach Berlin gezogen war. Mit einer starken Verwurzelung in den Darstellenden Künsten tritt sie als Choreographin und Lipsync-Künstlerin der Extraklasse auf. Judy ist international tätig und für ihre mehrsprachigen Lippensynchronisationen in 35 Sprachen und ihre göttliche Attitüde berüchtigt. Sie ist politische Aktivistin, die ihre Stimme nutzt, um auf queere Themen wie Toleranz und Diversität in der queeren Community aufmerksam zu machen.
Judy LaDivina hat unseren Jewish Drag Workshop betreut. Wir haben sie interviewt, um mehr über Drag als Kunstform und ihre Perspektive als jüdisch-israelische Drag Queen aus Berlin zu erfahren.
Wie hast du mit Drag angefangen?
Nachdem ich lange Zeit hinter der Bühne mit meiner DragMama gearbeitet hatte, fühlte ich mich einfach sehr zu dieser Welt der Illusion hingezogen und sie half mir mit dem Anfang: Make-up zu verstehen und so weiter und so fort. Und ja, so kam es dann einfach dazu.
Wie würdest du Drag in einem Satz beschreiben? Inwiefern ist Drag eine Form von Kunst?
Drag ist ein großer kreativer Spielplatz. Es ist der Ausdruck von Freiheit und das Ventil für Liebe ohne Leiden. Drag ist in jeder
Hinsicht Kunst, aus jedem Blickwinkel, vom Anfang bis zum Ende, über die Ecken und die Seiten.
Was bedeutet es für dich, eine jüdische, israelische Drag Queen zu sein?
Es bedeutet, dass ich eine sehr reiche und schöne Kultur habe, von der ich mich inspirieren lassen kann. Ich bin mit einem Wertesystem aufgewachsen, das sehr inspirierend ist, weil es Werte wie Liebe, Fürsorge, Mitgefühl und Einheit beinhaltet, was meiner Meinung nach von Haus aus sehr queer ist.
Wie wirkt sich das Jüdischsein auf deine Erfahrungen/Auftritte in der Drag-Welt aus?
Ich glaube nicht, dass die Drag-Welt anders ist als jede andere Welt. Man wird mit Rassismus konfrontiert und manchmal wird man als Drag Queen damit konfrontiert und manchmal als gewöhnliche jüdische Peron. Wenn ich in Drag bin, trage ich mein Jüdischsein mehr nach außen, wodurch ich dem dann einfach mehr ausgesetzt. Aber ich stehe dazu, ich nehme es mit Stolz und Ehre, denn ich würde es gegen nichts anderes eintauschen wollen.
Ist Drag eine Form der Kunst, die dir das Gefühl gibt, in deiner jüdischen Identität bestärkt zu werden? Inwiefern?
Es gibt mir Urlaub von der realen Welt, weil ich spielen kann und jemand sein kann. Ich glaube nicht, dass ich in der Lage bin, zu beschreiben oder auch nur auszudrücken, was es bedeutet, wenn man sieht, wie jemand seine Freiheit in vollem Umfang zum Ausdruck bringt, sei es eine schüchterne Person, die gerade erst einen Raum betritt und jetzt in vollem Make-up lebt und sich selbst fühlt oder jemand im Publikum, der mit einer bestimmten Überzeugung kommt und dann die Show mit einer anderen Ansicht verlässt. Man hat das Gefühl, dass man etwas bewirkt hat, dass man einen Samen gepflanzt hat und nun eine Blüte sieht.
Gibt es ein verbreitetes Missverständnis über Drag, dass du gerne aufklären würdest? Was möchtest du, dass die Leute über dich, Drag oder das Jüdischsein in Drag wissen? Ich denke, Drag ist sehr, sehr schön und man braucht eine Menge Fähigkeiten, um es zu tun und ich wünschte, die Leute würden es mehr zu schätzen wissen. Und ich will allen meinen jüdischen Geschwistern sagen: Seid stolz darauf, wer ihr seid und zeigt euch in Drag, wir brauchen mehr jüdische Drag Performer*innen, wir brauchen mehr jüdische queere Darstellungen. Und bis dahin werde ich es weiterhin für den Rest von uns tun.
06. Projekt − Zeugnisse
Im Endworkshop konnten die Projekteteilnehmende ihre Gedanken und Eindrücke auf Leinwand bringen. Dabei sollte es nicht um das Resultat gehen, sondern um die künstlerische Freiheit dahinter.
07. Partners
Keshet in the World Movement
Für die ״Hashomer Hatzair Weltbewegung״ bedeutet Keshet Vielfalt, Inklusion, Safer Space, Akzeptanz, Mitgefühl, Einfühlungsvermögen, stark sein, mutig zu sein, erziehen.
„Rosh*a Keshet“ sind die Menschen in der Hashomer Hatzair Weltbewegung, die aktiv die Verantwortung übernehmen, einen sicheren Raum für Mitglieder aller Sexualitäten und Identitäten zu schaffen. Jeder unserer Standorte hat mindestens eine*n R. Keshet. Die Hashomer Hatzair Weltbewegung ist bestrebt, Vielfalt und Fluidität zu zelebrieren, die vergangenen und gegenwärtigen Kämpfe der LGBTQIA+Gemeinschaft anzuerkennen und selbst zu bestreiten. Für alle queeren Menschen soll ein “Safer Space” geschaffen werden, sowohl innerhalb der shomerischen Gemeinschaften als auch in der gesamten Gesellschaft. Keshet bedeutet Veränderung, Tikun Olam, Liebe, Zukunft, Stellung beziehen, Leben zu verändern, PROUD zu sein.
Keshet Deutschland
Der Verein Keshet Deutschland e.V. setzt sich für die Interessen von lesbischen, schwulen, bisexuellen, trans*, inter* und anderen queeren Menschen innerhalb und außerhalb der jüdischen Gemeinschaft in Deutschland ein. Die Vision von Keshet e.V. Deutschland ist, dass jüdische LGBTIQIA* Personen gleichberechtigt und sichtbar sind, in allen jüdischen Gemeinschaften in Deutschland und weltweit. Die Rechte von und der Umgang mit queeren jüdischen Menschen in Deutschland soll gefördert und ein offenes queeres Leben sowie queere Familien in jüdischen Gemeinden selbstverständlich gemacht werden. Insbesondere für junge Menschen ist Keshet e.V. Deutschland ein wichtiger Anlaufpunkt und bietet einen sicheren Raum, um die eigene Identität zu finden und zu entfalten.
Zu den wichtigsten Themenfeldern gehört auch die Auseinandersetzung und die Bekämpfung jeder Form von Diskriminierung von Menschen aufgrund ihrer sexuellen und geschlechtlichen Identität, die Sensibilisierung für LGBTIQIA*Themen sowie die Förderung eines innerjüdischen aber auch interreligiösen gesellschaftlichen Dialogs zwischen Menschen mit LGBTIQIA*-Identität und Anderen.
Unterstütze uns
Wir freuen uns über Eure Unterstützung und Spenden. Unsere IBAN lautet DE34 3702 0500 0001 7526 01 Spenden kannst du auch via PayPal - https://www.paypal.me/ HashomerHatzairDE
Es besteht auch die Möglichkeit einer Fördermitgliedschaft. Bitte kontaktiere uns unter foerderverein@hashomer-hatzair.de
Kontaktiere uns
Hashomer Hatzair Deutschland e.V. Saarstr. 14, 12161 Berlin