RC Premium 1/2016

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DOSSIER

Faszination Mensch Über Vielfalt, Veränderung und Verstand Dr. Matthias Zimmermann

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st der Mensch ein faszinierendes Wesen? Natürlich sind wir fasziniert von unserem Partner und unseren Kindern – meistens jedenfalls. Es gibt Freunde und Bekannte, die uns faszinieren. Künstler und Gelehrte, Artisten und sogar der eine oder andere Politiker. Sie alle können ein Gefühl der Faszination auslösen. Es sind besondere Eigenschaften von Menschen, die uns in ihren Bann ziehen – besonders dann, wenn Überraschendes zuwege gebracht wird und unsere Erwartungen übertroffen werden. Faszination entsteht aus der Frage: Wie ist das nur möglich?

Dabei bedarf es mitnichten einer Betrachtung außergewöhnlicher Leistungen oder gar Rekorde. Allein der Respekt vor dem Leben lässt den Menschen an sich als faszinierendes Wesen erscheinen. Der Mensch weckt das Interesse wie kaum etwas sonst und versetzt Forscher in einen Rausch aus Neugier. Neugier ist der Brennstoff für die Wissenschaft. Dabei beinhalten die Lebenswissenschaften die wohl spannendsten Forschungsfragen überhaupt. Doch was genau ist es, was an der Spezies „Mensch“ so große Faszination auslöst?

Die menschliche Vielfalt

Über 7,2 Milliarden Menschen leben seit diesem Jahr auf unserem Planeten. Sie einzeln zu zählen würde 200 Jahre dauern. Und jede Minute werden 250 Babys auf der Welt geboren – zweihundertfünfzig Individuen. Jedes so einzigartig wie jeder andere Menschen auf unserer Erde auch. Selbst eineiige Zwillinge, als Babys äußerlich fast identisch, entwickeln kleine Unterschiede, zum Beispiel die Nasenlänge, die Fingerabdrücke oder auch die Mimik. Im Laufe des Älterwerdens treten auch die charakterlichen Eigenheiten stärker hervor. Individualität ist es, was den Menschen kennzeichnet, diese Ansammlung von Milliarden lebender Zellen, die in ihrem Kern den Bauplan für jedes einzelne Individuum beherbergen.

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Dieser Bauplan ist das Ergebnis einer Verschmelzung aus den Erbinformationen des Vaters (im Kopf des Spermiums) und der Erbinformation der Mutter (in der Eizelle). Er enthält die Anweisungen, wie der lebende Körper aussehen und funktionieren soll. Jedes Gen ist eine „Funktionsanweisung“ für die menschlichen Zellen. Etwa 22.000 dieser Gene sind in der so genannten DNA (Desoxyribonukleinsäure) zusammengefasst. Die DNA – also dieser Bauplan – bildet die Form einer spiralförmig gedrehten Leiter, deren Sprossen aus vier chemischen Verbindungen, den so genannten Basen, bestehen. Eine doppelte Spirale mit je zwei Basenpaaren bildet einen DNA Abschnitt, Sequenz genannt. Würde man die gesamte DNA einer Zelle auf eine Linie legen, wäre diese Linie nur zwei Nanometer dünn, aber fast zwei Meter lang und mit 6 x e109 Basenpaaren bestückt. Tatsächlich aber wickelt sich diese DNA um Eiweißkörperchen und wird so zu einem DNAMolekül (Chromosom) verdrillt. Jeder Zellkern enthält 46 solcher Chromosomen, wobei zwei davon (XX für weiblich, XY für männlich) das Geschlecht bestimmen. Man stelle sich das so vor: 22.000 Planungscodes, geschrieben auf Papierrollen, die in 46 Grundsteinrollen verpackt und in ein Fundament eingebracht sind, auf das man baut. Es ist einleuchtend, dass es dem Verständnis von einem Gebäude dient, wenn man diese Grundsteinrollen öffnet, den Inhalt entrollt und sich einzelne Papiere genauer ansieht. Und eben das ist geschehen beim „Humangenomprojekt“ (HGP), an dem zu Beginn über 1.000 Wissenschaftler in 40 Ländern teilnahmen. Dabei gelang es, im Zeitraum zwischen 1990 und der Jahrtausendwende das Genom des Menschen zu „sequenzieren“. 3,4 Milliarden Basenpaare der DNA wurden in Sequenzen zerlegt, um deren Funktion zu verstehen – oder eben auch ihre Dysfunktion, womit man zum Beispiel der Entstehung von Krebs oder dem Auftreten von Erbkrankheiten auf die Spur kommen möchte. So wurde beispielsweise im Jahre 2000 das Chromosom 21 vollständig sequenziert und damit neue Voraussetzungen geschaffen, die Trisomie 21 (bekannt als Down-Syndrom) zu erforschen.


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