Und über uns der blaue endlose himmel

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Arm vermutlich abgequetscht worden. Neben den großen Schmerzen am Arm fühlte er nicht, daß auch vier Rippen gebrochen waren, was die Ärzte nachträglich feststellten. Mit Brecheisen wurden Möbelstücke gehoben, um Platz zu machen, damit man uns nach oben, durch die gegenüberliegende Waggontür hinausziehen konnte. Wir standen niedergeschlagen, verzweifelt und ratlos vor dem vor uns liegenden Haufen Elend, denn man wußte nicht, was weiter geschehen soll. Der Schaden war sehr groß und unersetzlich, denn über unsere Lebensmittelvorräte war das Petroleum gelaufen, das wir mitgenommen hatten für unsere Petroleumlampen und -kocher. Alles war weg, die Möbel zum Teil beschädigt, doch die brennendste Sorge für uns alle war der Arm meines Mannes und sein Befinden. Da fuhr der Bukarester Zug Richtung Temeschburg in Remetea ein und man geleitete meinen Mann dahin, um ihn mit dem Zug nach Temeschburg zu fahren. Obzwar unsere Bewachung nicht einwilligen wollte, daß ich mit ihm fahre, weil ich nur Quetschungen und Schürfungen im Gesicht und an den Armen hatte, blieb ich standfest, bis sie mir erlaubten mitzufahren. Am Fabrikstädter Bahnhof gab man ihm beim Roten Kreuz eine Starrkrampfimpfung, verband ihn und ließ ihn auf der Tragbahre ohne weiteren Rat einfach liegen. Weil kein Retterwagen zu bekommen war, bestellte ich ein Taxi, um in ein Krankenhaus zu fahren. Nach dem guten Rat meines Vaters bekam noch zu Hause jeder ein Leinwandsäckchen mit Geld um den Hals gehängt, das auf der Brust unter der Kleidung verwahrt war. So hatten wir Geld, um den Taxifahrer zu bezahlen, der unsere ausweglose Situation erkannte und uns mit seinem übermäßigen Preis gründlich ausnützte. Im Operationssaal der Klinik wurde sein Arm operiert und die am Innenarm vom Handgelenk über den Ellenbogen und bis zum halben Oberarm klaffende Wunde zugenäht. Am anderen Tag war eine zweite Operation fällig, weil die Wunde eiterte. Nach einem dreimonatigen Krankenhausaufenthalt wurde er entlassen, doch den Arm konnte er nicht mehr voll bewegen. Unsere Eltern, Schwester und Tante bekamen einen anderen Waggon und mußten alles, auch die angeschlagenen Möbel, zerbrochenen Hausrat und alles was noch zu gebrauchen war, umladen und wurden mit den drei anderen Waggons, die hinter uns auch entgleist, doch nicht umgestürzt waren wie der unsrige, an einen anderen Transport angehängt. Als mein Mann das Krankenhaus verlassen durfte und der Arm durch eine Nachbehandlung geheilt war, nur im Ellenbogengelenk teilweise steif blieb, versuchten wir auf legale Art in Temeschburg zu bleiben. Doch alle Versuche mit Rechtsanwälten in Temeschburg und Bukarest und den Anträgen an das Innenministerium, verliefen ergebnislos. Arbeitsstellen konnten wir auch keine finden, denn ohne Personalausweise stellte uns niemand an. Im Prozeß, den wir angestrengt hatten und wo es festgelegt werden sollte, wieviel Schadenersatz uns für die Unfallverletzung und für den Sachschaden zusteht, antwortete das Eisenbahngericht unserem Rechtsvertreter kurz und bündig, daß für uns Staatsfeinde der Platz im Baragan wäre und wir als solche keinen 199


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