Und über uns der blaue endlose himmel

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Ende, da drohte eine neue Gefahr. Aufgrund der schnellen Erwärmung der Erdoberfläche begann der Schnee sehr schnell zu schmelzen und es kam zu riesigen Schmelzwasseransammlungen. Wir hatten Pech, daß unser Haus in einer kleinen, fast unmerklichen Vertiefung stand. Die Wassermengen drohten unser Haus zum Einsturz zu bringen. In großer Eile legten wir mit Pickel und Spaten einen Ableitungsgraben von unserem Haus bis zum Fahrweg an. Dort gruben wir ein Loch und beförderten in pausenlosem Einsatz das Wasser in eine einige Meter entfernte Baugrube. Die Gefahr war gebannt und wir fielen erschöpft auf unsere Bettstellen. Zu unserem Glück kam am nächsten Tag ein plötzlicher Wetterumschwung, es wurde kurzfristig wieder kälter, so daß der Schnee nur langsam schmolz. Im Frühjahr 1955 heiratete ich und zog ins Haus meiner Frau. Im Sommer verbreitete sich die Kunde, daß wir freikommen. Eine Kommission kam nach Dalga und brachte Listen mit, auf denen die Freizulassenden verzeichnet waren. Aber nicht alle Verschleppten hatten das gleiche Glück. Einige hat man in anderen Ortschaften der Baragan-Steppe zusammengezogen, um auf den dortigen Staatsgütern zu arbeiten. Es waren die wenigen Familien, die einst mehr als 50 Hektar Land besaßen und im Baragan verbleiben mußten. Nach viereinhalb Jahren in der Deportation waren die meisten auf freiem Fuß und konnten die Heimreise antreten. Jeder Familie wurde auferlegt, sich selbst um die Rückreise zu kümmern und die nötigen Waggons zu beschaffen. Für die paar Zentner Mais, welche wir als Entgelt für die Bearbeitung eines Hektars "zum vierten Teil" vom Staatsgut bekamen, für das Maisstroh, etwas Kleeheu und unseren Holzvorrat, bestellten wir uns einen offenen Waggon. Ende Januar 1956 traten wir dann die Heimreise an. Die Deportation in die Baragan-Steppe war für uns ein harter Schicksalsschlag. Durch die Enteignung von 1945 haben wir unsere Lebensgrundlage, den Boden, den wir seit Generationen bearbeiteten, verloren. Sechs Jahre später hat man uns in die unwirtliche Baragan-Steppe deportiert, um die Felder zu bearbeiten und Häuser aufzubauen. Für Menschen, die von 1945 bis 1950 Zwangsarbeit in Rußland geleistet hatten, wie zum Beispiel meine Schwester, bedeutete dies die bittere Erfahrung von insgesamt zehn Jahren Deportation. In die Heimat zurückgekehrt, mußten wir abermals von neuem beginnen. 1956 wurden den früheren Eigentümern die enteigneten Häuser wieder zurückgegeben und wir versuchten uns in der neuen Realität des sozialistischen Rumäniens zurechtzufinden. Die vielen Demütigungen, die wir über uns hatten ergehen lassen müssen, hatten zur Folge, daß wir uns nach der Erfahrung der Deportation als Heimatlose in unserer Geburtsstadt fühlten. Viele deutsche Familien beschlossen, Rumänien zu verlassen. Auch meine Familie siedelte im Jahre 1964 nach Deutschland aus.

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